Konzept eines mobilen, harmonisierten

Konzept eines mobilen, harmonisierten
Spontanmeldesystems zur Meldung
unerwünschter Arzneimittelereignisse
durch den Patienten
Daniel GOSCHa,1, Walter GALLa
Zentrum für Medizinische Statistik, Informatik und Intelligente Systeme, Medizinische
Universität Wien
a
Kurzfassung. In Europa werden ca. 5% aller Krankenhausaufenthalte auf
unerwünschte Arzneimittelereignisse (UAE) zurückgeführt. Diese stellen mit rund
195.000 Toten pro Jahr die fünft-häufigste Todesursache in Krankenhäusern dar.
Spontanmeldesysteme, ein Bestandteil der Pharmakovigilanz, die systematische
Überwachung der Sicherheit im Arzneimittelbereich bilden heutzutage eine
Methode um UAE-Meldungen zu erfassen. Aufgrund der Neuregelung der
europäischen Gesetzeslage soll es nun auch dem Patienten ermöglicht werden,
UAE-Meldungen an eine nationale Behörde abzusetzen. In dieser Arbeit wurde ein
Analysemodell erstellt welches die organisatorischen und rechtlichen
Rahmenbedingungen berücksichtigt. Das Modell setzt auf den Funktionalitäten
des bisherigen Online-Meldesystems der AGES Medizinmarktaufsicht auf und
enthält visionäre Funktionen zur Datenakquirierung aus der ELGA.
Keywords. Pharmakovigilanz, unerwünschtes Arzneimittelereignis, mobiles
Spontanmeldesystem, Patient Empowerment.
1. Einleitung
In Europa werden ca. 5% aller Krankenhausaufenthalte auf unerwünschte
Arzneimittelereignisse zurückgeführt. Diese stellen mit rund 195.000 Toten pro Jahr
die fünft-häufigste Todesursache in Krankenhäusern dar [1]. Trotz dem erwiesenen
Nutzen von Arzneimitteln bergen diese Risiken und können zu Erkrankungen,
Invalidität oder dem Tod führen [2].
„Zu Risiken und Nebenwirkungen befragen Sie ihren Arzt oder Apotheker“. Die
meisten Anwender eines Arzneimittels kennen diesen Satz und gehen meist von einer
sicheren und nebenwirkungsfreien Anwendung des Arzneimittels aus. Zur Evaluation
des Risiko/Nutzen-Verhältnis eines Arzneimittels sind Maßnahmen zur ständigen
Überwachung der Sicherheit im Arzneimittelbereich erforderlich, genannt
Pharmakovigilanz. Primäre Quellen zur Entdeckung von unerwünschten
Arzneimittelereignissen (UAE) sind unter anderem Klinische Studien, Pharmazeutische
Unternehmen und Spontanmeldesysteme. Letztere sind aber limitiert durch underreporting, BIAS und unzureichend qualitative Meldungen [3]. Internationale Studien
1
Daniel GOSCH, E-Mail: [email protected]
verdeutlichen den potenziellen Mehrwert durch die Einbeziehung der UAE-Meldungen
von Patienten [4].
Für die Arzneimittelsicherheit in Österreich ist das Bundesamt für Sicherheit im
Gesundheitswesen (BASG) zuständig. Die operativen Aufgaben werden dabei von der
AGES Medizinmarktaufsicht, welche für die strukturierte Sammlung der in Österreich
auftretenden UAE verantwortlich ist, wahrgenommen. Gesetzliche Grundlagen dafür
bilden in Österreich das Arzneimittelrecht [5] und die Pharmakovigilanzverordnung [6].
Eine Neuregelung der EU-Richtlinie (2010/84/EU vom 15. Dezember 2010) sowie der
EU-Verordnung (1235/2010 vom 15. Dezember 2010) sollen die Pharmakovigilanz in
Europa stärken und nun auch dem Patienten ermöglichen, eine UAE-Meldung an eine
nationale Behörde abzusetzen.
Ziel dieser Arbeit war es, die organisatorischen Voraussetzungen für eine
österreichische, nach europäischen Gesichtspunkten harmonisierte UAE-Meldung, die
den gesetzlichen Rahmenbedingungen entspricht sowie visionäre Möglichkeiten der
Datenakquirierung wie aus der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) [7]
berücksichtigt mit Hilfe eines objektorientierten Analysemodells (OOA-Modell) zu
erarbeiten.
2. Methoden
Zur Erstellung des OOA-Modells wurde das analytische Vorgehensmodell zur
Systemanalyse nach Balzert [8] angewendet. Zur Identifizierung der organisatorischen
sowie rechtlichen Rahmenbedingungen der Pharmakovigilanz wurden die generischen
Methoden zur Analyse des IST-Zustandes des derzeitigen Systems sowie eine SollSpezifikation des zukünftigen Meldesystems, von Ammenwerth und Haux [9]
verwendet.
Die zentrale Fragestellung lautete: Wie könnte ein österreichisches,
patientenorientiertes, mobiles UAE-Spontanmeldesystem aussehen?
Ausgangspunkt dazu bildete eine Literaturrecherche bei welcher primär auf das
Service Pubmed der Datenbank Medline zurückgegriffen wurde. Eine Bewertung des
derzeit in Österreich eingesetzten Meldesystems „VigiWeb“ legte dessen Stark- bzw.
Schwachstellen im Hinblick auf Design, rechtliche Rahmenbedingungen sowie
Interaktion mit dem Meldeformular offen. Ferner wurden die derzeitigen gesetzlichen
Rahmenbedingungen sowie Vorschläge für europaweite Harmonisierungen von
Meldeformularen analysiert.
3. Resultate
3.1. Attribute des harmonisierten UAE-Meldeformulars
Das UAE-Meldesystem ist in nahezu jedem Land eines der essentiellsten Bestandteile
der Pharmakovigilanz. Dabei dient das UAE-Meldeformular primär zur
Informationssammlung und bildet somit die Grundlage für das Erkennen von kausalen
Zusammenhängen zwischen dem verdächtigen Arzneimittel und dem Ereignis. Die
Maharashtra University of Health Sciences in Indien hat zu diesem Thema eine Studie
[10] durchgeführt, bei der sie 18 essentielle Punkte identifiziert hat, um eine
Abbildung 1. Komponenten des mobilen UAE-Meldesystems
Für ein österreichisches mobiles UAE-Meldesystem könnten die in Abbildung 1
dargestellten Komponenten, welche nach außen über definierte Schnittstellen
Funktionalitäten bereitstellen, zusammenwirken und ein für den Patienten qualitativ
hochwertiges mobiles UAE-Meldesystem formen.
Der Patient kann bei einer UAE-Meldung eine Datenabfrage durch die ELGA zur
teilautomatisierten Unterstützung bei der Erstellung einer UAE-Meldung einleiten. Die
ELGA stellt dazu in den Dokumenten Entlassungsbrief Ärztlich, Entlassungsbrief
Pflege, Laborbefund und e-Medikation, welche im HL7 CDA R2 Standard vorliegt,
alle nötigen Informationen zur Verfügung. Als Artefakte des mobilen UAEMeldesystems werden eine XML Datei nach den ICH E2B (R2) Richtlinien sowie ein
PDF Dokument, welches die zusammenfassende UAE-Meldung beinhaltet, generiert.
Die XML Datei wird der AGES Medizinmarktaufsicht übermittelt.
4. Diskussion
Im Gesundheitswesen existieren viele Ansätze, welche den Einsatz mobiler Endgeräte
adressieren. Dadurch wird versucht e-Health-Services an die speziellen Bedürfnisse des
Patienten anzupassen.
Das Pharmakovigilanz-Wesen in Österreich ist derzeit auf den
Gesundheitsdiensteanbieter ausgerichtet und schöpft den Mehrwert durch eine
spontane UAE-Meldung des Patienten noch nicht ganz aus. Dabei sollte ein besser auf
den Patienten abgestimmtes sowie auf mobilen Endgeräten funktionierendes UAEMeldeformular ein definiertes Ziel sein.
Mit der Einführung von ELGA wird eine Plattform geschaffen, welche dem
Patienten aktiv bei einer UAE-Meldung unterstützen könnte. Der Patient sollte darüber
hinaus aktiver über seine Rolle in der Pharmakovigilanz aufgeklärt werden.
References
[1] C. Mazzitello, S. Esposito, A.E. De Francesco, A. Capuano, E. Russo, G. De Sarro, Pharmacovigilance in
Italy: An overview, Journal of pharmacology & pharmacotherapeutics, 2013, S8-20.
„gute“ UAE-Meldung abzusetzen. Laut der Studie ermöglichen diese 18 Punkte eine
korrekte kausale Beurteilung des UAE.
Tabelle 1 zeigt einen Überblick über die benötigten Attribute für eine nach den 18
Punkten harmonisierte (H01-H18) sowie nach den österreichischen Minimalkriterien
[11] und den Konvention der International Conference of Harmonisation (ICH),
genauer der Richtlinie ICH E2B (R2) [12], gültige UAE-Meldung. Attribute, welche
für eine UAE-Meldung nach den österreichischen Minimalkriterien (AUT) bzw. ICH
Richtlinien (ICH) verpflichtend anzugeben sind, wurden dementsprechend
gekennzeichnet. Darüber hinaus wurden auch die Attribute gekennzeichnet, welche
zukünftig durch die ELGA akquiriert werden könnten, um den potentiellen Mehrwert
der ELGA (E) für den Patienten zu verdeutlichen.
Tabelle 1. Attribute des Meldeformulars
Patientenidentifikation
Schwangerschaftsstatus
Allergiestatus
Diagnose
Relevante Pat.-geschichte
Schwere des UAE
Beschreibung des UAE
Dauer des UAE
Folgen des UAE
Verlauf des UAE
Behandlung des UAE
Nach Absetzten
Nach Reexposition
H01
H02
H03
H04
H05
H06
H07
AUT
AUT
AUT
AUT
H08
AUT
H09
H10
H11
ICH E
E
E
E
E
ICH
Arzneimittel
Dosierung
Häufigkeit
Beginn / Ende
Applikationsweg
Indikation
Begleitmedikation
Chargen Nr.
Ablaufdatum
Kausalität
MelderIdentifikation
H12
H13
H14
H15
H16
H17
H17
H18
AUT
AUT
AUT
AUT
AUT
ICH E
E
E
E
E
E
E
AUT
AUT
ICH
3.2. Funktionen und Komponenten des mobile UAE-Meldesystems
Das OOA-Modell beschreibt die essentielle Struktur sowie Funktionalität des
zukünftigen Systems. Für das zukünftige mobile UAE-Meldesystem für eine
Spontanmeldung durch Patienten sind die folgenden Funktionen denkbar:
 Darstellung und Erfassung der Daten auf mobilen Endgeräten
 Schnittstellen für zusätzliche Datenakquirierung aus externen
Datenquellen wie der ELGA oder Arzneimitteldatenbanken
 Absetzen der UAE-Meldung an die AGES Medizinmarktaufsicht
[2] World Health Organization (WHO), Pharmacovigilance: ensuring the safe use of medicines, Geneva,
2008.
[3] K. Haerian, D. Varn, S. Vaidya, L. Ena, H.S. Chase, C. Friedman, Detection of pharmacovigilancerelated adverse events using electronic health records and automated methods, 2012, 92(2):228-34.
[4] Avery AJ, Anderson C, Bond CM, Fortnum H, Gifford A, Hannaford PC, et al. Evaluation of patient
reporting of adverse drug reactions to the UK 'Yellow Card Scheme': literature review, descriptive and
qualitative analyses, and questionnairesurveys. Health Technology Assessment. 2011;15(20):1-234.
[5] Bundesgesetz vom 2. März 1983 über die Herstellung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln,
Arzneimittelgesetz - AMG, Fassung vom März 2014.
[6] Verordnung des Bundesministers für Gesundheit über Pharmakovigilanzanforderungen und
Pharmakovigilanzmeldungen, Pharmakovigilanz - Verordnung 2013 - PhVO 2013, 2013.
[7] S. Herbek, H.A. Eisl, M. Hurch, A. Schator, S. Sabutsch, G. Rauchegger, The Electronic Health Record
in Austria: a strong network between health care and patients, European Surgery, 2012, 44(3):155-63.
[8] H. Balzert, Lehrbuch der Objektmodellierung: Analyse und Entwurf mit der UML2, Elsevier, 2005.
[9] E. Ammenwerth, R. Haux, IT-Projektmgmt. in Krankenhaus und Gesundheitswesen, Schattauer, 2005.
[10] M.S. Bandekar, S.R. Anwikar, N.A. Kshirsagar, Quality check of spontaneous adverse drug reaction
reporting forms of different countries, Pharmacoepidemiology and drug safety, 2010, 19(11):1181-5.
[11] Dr. O. Rögelsperger, Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH Institut Pharmakovigilanz. Meldung von Nebenwirkungen zu Arzneimitteln für den Humangebrauch,
2011.
[12] Maintenance of the ICH Guideline on Clinical Safety Data Management: Data Elements for
Transmission of Individual Case Safety Reports E2B(R2), 2001.