Geiger, Einführung Lesung Niklas Frank

Ó 1000 Augen - Dreieichschule
Foto: W. Geiger
Es gibt kein Thema, über das mehr geschrieben wurde als über Hitler, den
Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust – ein großes
Thema. Die Erinnerung daran hat selbst schon Geschichte geschrieben –
freilich eine sehr wechselvolle Geschichte.
„Man verlangt von den Deutschen, dass sie bereuen“, schrieb der Arzt und
Schriftsteller Max Picard in der Schweiz 1946 in seinem Buch Hitler in uns
selbst, „aber dieser deutsche Mensch kann sich an nichts erinnern, und nur
wo der Mensch im Innern das bei sich hat, was er getan hat, da kann er
seine vergangenen Handlungen durchschauen, sie prüfen und Reue haben
über das Sündhafte.“
Er-innern heißt vom Ursprung des Wortes her und im Sinne Picards, etwas in
seinem Inneren aufzurufen. Es ist mehr als nur eine Gedächtnisleistung und
deswegen gibt es ja auch Verdrängung. Nach dem Krieg fanden sich die
Deutschen mit der Schuldfrage konfrontiert, die, nach einer kurzen Phase
der offenen Diskussion in den von den Alliierten neu zugelassenen
Zeitschriften und Büchern, recht schnell auf eine kleine Gruppe
Verantwortlicher eingeschränkt wurde. Der Nürnberger Prozess wurde
gleichwohl von Kritikern als Siegerjustiz angeprangert und der Bayrische
Rundfunk meinte noch 2009, „unter Völkerrechtlern“ sei „die Legitimität“
dieses Kriegsverbrechertribunals „noch heute umstritten.“
Max Picard: Hitler in uns selbst,
Erlenbach-Zürich 1946, S. 31.
Plakat „Nürnberg 1946: Die Welt
klagt an!“
Der Nürnberger Prozess 1945/46,
Radio Wissen, BR Bayern 2
Doch der Prozess lieferte diese Schuldigen, deren Verurteilung viele
Deutsche trotz Kritik am Prozess dann doch als eine Absolution von der
zuvor erhobenen Kollektivanklage empfanden. Schon die Nürnberger
Nachfolgeprozesse fanden in einer Atmosphäre statt, die auf Normalisierung
drängte, und mit der Gründung der Bundesrepublik begann auch die
parlamentarische Debatte über den berühmten Schlussstrich unter die
Vergangenheit, zumal angesichts einer neuen politischen Konfrontation im
Kalten Krieg. Fünf Tage nach seinem Amtsantritt als Bundeskanzler forderte
Konrad Adenauer am 20.9.1949 die Beschränkung der Entnazifizierung auf
„die wirklich Schuldigen“. Doch selbst deren Bestrafung war im AdenauerDeutschland ein Problem. Allein den großen Kreis der unmittelbar
Verantwortlichen SS-Männer vor Gericht zu bringen, war ein steiniger Weg,
den gerade in letzter Zeit zwei Spielfilme über den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer publikumswirksam in Erinnerung gerufen haben.
Neben der juristischen trat die historische Aufarbeitung, anfangs nicht
weniger beschwerlich, hatten doch nicht nur die meisten Juristen sondern
auch die meisten Historiker im Dritten Reich ihre Karriere begonnen.
Plakat „Diese Schandtaten: Eure
Schuld!“
CDU-Landtagswahlplakat NRW
1947
FDP-Bundestagswahlplakat
1949Regierungserklärung
Adenauers vom 20.9.1949,
Deutscher Bundestag, 5. Sitzung,
Plenarprotokoll, S. 27
Spielfilme:
Im Labyrinth des Schweigens,
2014
Der Staat gegen Fritz Bauer,
2015
Dokumentarfilm:
Fritz Bauer - Tod auf Raten,
2012
Auf die Historiker folgten die Zeitzeugen, die erst mit zeitlichem Abstand in
die Öffentlichkeit / an die Öffentlichkeit traten, abgesehen von einigen
wenigen herausragenden Persönlichkeiten, und abgesehen auch von den
Zeugen, die in Prozessen ausgesagt haben, aber der Öffentlichkeit
weitgehend unbekannt blieben. Für die meisten jedoch, die die Zeit des
Nationalsozialismus persönlich erlebt hatten, war offenbar eine zeitliche
Distanz notwendig, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Neben den Zeitzeugen, die selbst überlebende Opfer waren oder jedenfalls
als Zeugen des Geschehens die Opferseite vertraten, ergriffen dann auch
Personen aus der Generation der Nachkommen von der Täterseite her das
Wort. Niklas Franks Buch über den Vater machte Furore nicht nur deswegen,
weil es überhaupt erschienen ist, sondern vor allem wegen der Art und
Weise, wie es geschrieben ist. Wir werden es hören.
Niklas Frank wurde 1939 geboren,
verbrachte seine Kindheit mit seinen Eltern
und Geschwistern abwechselnd am
Schlierssee in Bayern und im besetzten
Polen, in Krakau, auf dem Wawel, der alten
polnischen Königsburg, damals Amtssitz
seines Vaters, des Generalgouverneurs.
Nach dem Krieg wurde er Journalist und
veröffentlichte 1987 sein Buch über den
Vater, das vorab als Artikelserie im STERN
abgedruckt wurde.
Foto: W. Geiger
(1987) Das Buch gibt es heute
nur noch antiquarisch oder neu
2014 beim Autor im Eigenverlag
Brigitte Frank unsel. Erben
Die Lesung umfasste Auszüge aus seinen
drei Büchern über den Vater, die Mutter und
den Bruder.
Video: Vater Mörder - das Erbe des Niklas Frank, BR, in der ARD-Mediathek verfügbar bis
3.5.2016
Audio: Interview mit Niklas Frank zum 27.1.2015, SWR
Beprechungen online: Meine deutsche Mutter (fr-online), Bruder Norman (zeit.de)
Henryk M. Broder über die Reaktionen auf das Buch Der Vater 1987 (spiegel.de)
Bonn, Dietz-Verlag, 2013
Meine deutsche Mutter,
München (Bertelsmann), 2005.
Wer war sein Vater Hans Frank, was war er im Dritten Reich? Hierzu möchte
ich noch ein paar Hinweise zum historischen Verständnis geben.
Hans Frank war fast einer der ersten Stunde in der NSDAP, bereits 1919 fand
er als Neunzehnjähriger Kontakt in jene rechtsradikalen Kreise in München,
die Hitler zu seiner Karriere verhalfen. In die Partei trat er 1923 ein und
beteiligte sich am missglückten Hitler-Putsch. Nach einem kurzfristigen Exil
in Italien setzte er sein Jurastudium in Deutschland fort und wurde dann
Rechtsberater der NSDAP und Verteidiger Hitlers in zahlreichen Prozessen.
Im Zuge der Ausschaltung aller noch oppositionellen Länderregierungen
wurde Hans Frank im März Justizminister in Bayern und dann im April
„Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz“ und später „Reichsrechtsführer“ und Präsident der „Akademie für Deutsches Recht.“ Seine
vordringliche Aufgabe war die Gleichschaltung der Justiz in Deutschland.
Ende 1934 wurde er auch formell in die Reichsregierung aufgenommen als
Minister ohne Geschäftsbereich. Mit der Eroberung Polens im Zweiten
Weltkrieg bekam Hans Frank dann eine neue Aufgabe, er wurde Generalgouverneur im besetzten Polen. Das Generalgouvernement umfasste ein
territorial reduziertes polnisches Gebiet, da große Teile Westpolens direkt
an das Reich angegliedert wurden; nach dem Beginn des Krieges gegen die
Sowjetunion erfuhr es dann noch eine beträchtliche Gebietserweiterung
durch Galizien, einem Teil des zunächst im Hitler-Stalin-Pakt 1939 an die
Polnisches Gebiet, das direkt an
Deutschland angeschlossen wurde
(u.a. Warthegau).
Generalgouvernement 1939,
nach dem Kriegsbeginn gegen die
Sowjetunion 1941 im Südosten
erweitert (Galizien).
Karte bearbeitet nach der Vorlage von
Wikimedia Commons
Hans Frank, 1939.
Bundesarchiv Bild 146-1989011-13 / CC-BY-SA 3.0 Wikipedia
In Baedekers Reiseführer für das Generalgouvernement von 1943, der unter
anderem auch Kurorte und Wintersportmöglichkeiten anpries, heißt es zur
Stadt Krakau, dass der Stadtteil Kasimierz, ursprünglich eine Vorstadt von
Krakau und „später jedoch zum Teil Wohnsitz der jüdischen Bevölkerung“
war und „jetzt judenfrei“ ist. Tatsächlich wurden die dort wohnenden Juden
zunächst in das neu errichtete Ghetto südlich der Weichsel in Podgorze
zwangseingewiesen und dieses Ghetto am 14. März 1943 aufgelöst durch
die Deportation in die KZs und Vernichtungslager. Ein Teil kam in das
nahegelegene KZ Plaszow, im Süden Krakaus, dessen Kommandant Amon
Göth durch den Film Schindlers Liste einer größeren Öffentlichkeit bekannt
wurde.
Plaszow war allerdings kein Vernichtungslager, Kommandant Göth erschoss
KZ-Insassen vom Balkon seiner Dienstvilla aus zur persönlichen Belustigung.
Auschwitz lag nicht mehr auf dem Gebiet des Generalgouvernements,
sondern bereits jenseits der Verwaltungsgrenze im vergrößerten Schlesien.
Dafür beherbergte das Generalgouvernement aber alle anderen Vernichtungslager: Treblinka, Majdanek, Sobibor und Belzec. Ein Blick auf den Plan
des KZ Belzec zeigt, dass es hier, anders als in den anderen Vernichtungslagern, kein Areal von Baracken für die – wenn auch nur vorübergehende –
Unterbringung von Häftlingen gab, sondern nur einen einzigen und direkten
Weg von der Bahnrampe in die Gaskammer. Lediglich kleine Baracken am
Rande dienten zur Unterbringung weniger Zwangsarbeitskräfte, die man für
den Lagerbetrieb brauchte.
Baedekers Reisehandbücher,
Generalgouvernement, 1943.
Online: Polnische Nationalbibliothek, Karte
Generalgouvernement,
Stadtplan Krakau S. 32,
Text S. 50.
Cf. Martin Gilbert: The
Routledge Atlas of the
Holocaust, London/New York
(Routledge), 4th ed., 2009, S.
238.
Vgl. auch Death Camps
Wikipedia Wannseekonferenz
Zur Teilnahme an der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 schickte Hans
Frank seinen Staatssekretär Bühler, für die logistische Umsetzung der
sogenannten „Endlösung“ war das Generalgouvernement ein Hauptschauplatz und seine Verwaltung ein Hauptakteur, zum einen, weil dort selbst
viele Juden lebten, zum anderen, weil alle Transporte, die nicht über
Deutschland nach Auschwitz gingen, durch das Generalgouvernement
führten.
Hans Frank und Heinrich Himmler hatten sich Anfang der Vierziger Jahre
verfeindet, der Generalgouverneur beschwerte sich, dass er bei der
Verwaltung der Konzentrationslager nicht beteiligt war, weil diese ausschließlich in Händen des Reichssicherheitshauptamtes lag. Im Nürnberger
Prozess hat sein Anwalt Dr. Seidl darauf die Verteidigungsstrategie
aufgebaut, die Vernichtung der Juden sei ohne Zutun des Generalgouverneurs abgelaufen. Dabei hatte sich Frank nur darüber beschwert,
nicht daran beteiligt worden zu sein, vielleicht auch an den damit verbundenen Geschäften, denn die persönliche Bereicherung in großem Stil
war ihm eine Herzensangelegenheit. Gleichwohl kamen Himmler und Frank
dienstlich desöfteren zusammen und zwar in Sachen „Endlösung“, nach dem
Sprachgebrauch des Wannseeprotokolls.
Zahlreiche Dokumente, darunter sein akribisch geführtes Diensttagebuch,
das er protokollarisch von einem Mitarbeiter hat führen lassen, geben
Aufschluss darüber, dass er sich von Anfang an, noch lange vor der
Wannseekonferenz, die Vernichtung der Juden zum Ziel gesetzt hatte.
Ganz unabhängig davon ging er auch als „Schlächter von Polen“ in die
Geschichte ein, weil er gleich 1939 in der sogenannten „Außerordentlichen
Befriedungsaktion“ sowie in späteren „Befriedungsaktionen“ Zigtausende
von Polen, v.a. aus der geistigen Elite oder der Kirche, als „Geißeln“ zur
Foto von Himmler, Heydrich und
Frank bei einer Besprechung des
Polizeiausschusses auf
www.welt.de
Wikipedia AB-Aktion
Wikipedia Palmiry Massacre
Abschreckung des Widerstandes hinrichten ließ, damals noch zusammen mit
der SS unter Richard Heydrich.
Nach seiner Flucht mit der Familie zurück nach Bayern 1945 wurde Hans
Frank von den Amerikanern festgenommen und im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess angeklagt. Am 1.6.1946 wurde er schuldig
gesprochen und zum Tode verurteilt.
Die Akten des Nürnberger
Hauptkriegsverbrecherprozess
es gibt es online bei zeno.org.
Über die Indizes kann man auch
eine Suche nach Themen oder
Personen unternehmen.
Ausgewählte Materialien von
den Nürnberger Prozessen gibt
es auch im NS-Archiv
ZDF Info: Das Dritte Reich vor
Gericht - Die Nürnberger
Prozesse, 3 Videos (zdf.de)
Weitere Literatur:
Quellen:
Immanuel Geiss / Wolfgang
Jacobmeyer (Hrsg.): Deutsche
Politik in Polen 1939-1945. Aus
dem Diensttagebuch von Hans
Frank, Generalgouverneur.
Opladen (Leske + Budrich),
1980.
NS-Archiv: Aus dem
Diensttagebuch von Hans Frank.
Hans Frank auf der Anklagebank in Nürnberg.
Bundesarchiv / Wikimedia Commons
Frank Beer / Wolfgang Benz /
Barbbara Distel (Hrsg.): Nach
dem Untergang. Die ersten
Zeugnisse der Shoah in Polen
1944-1947. Berichte der
Zentralen Jüdischen
Historischen Kommission.
Dachau (Metropol & Dachauer
Hefte), 2014.
Darstellung/Analyse:
Dieter Schenk: Hans Frank Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur. Frankfurt a.M. (S.
Fischer), 2006).
Foto: W. Geiger
Alle Fotos von Niklas Frank wurden am 26.11.2015 in der Dreieichschule
Langen aufgenommen.