Kita forscht!«: ausgezeichnete naturwissenschaftliche Bildung in

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»Kita forscht!«: ausgezeichnete
naturwissenschaftliche Bildung in
einer überbetrieblichen Kita
Was ist nötig, damit naturwissenschaftliche Bildung in der Kita gelingt? Die Pädagogin
Susanne Ehrecke aus Lörrach stellte ihr Konzept auf dem Zukunftskongress »Invest in Future« in
Stuttgart vor. Ihre Einrichtung war dort von der element-i-Bildungsstiftung mit dem Pädagogik-Innovationspreis KitaStar 2015 in Gold ausgezeichnet worden.
Eike OstendorfServissoglou
eoscript, Redaktionsbüro für
Bildung und Soziales, Stuttgart
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athematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik
(MINT): Sind das Themen schon für
die Jüngsten? Dazu gehen die Meinungen – auch unter Fachleuten – auseinander. Denn MINT-Bildung wird oft
mit instruktivem, schulischem Lernen
gleichgesetzt – einem Lernverständnis,
das der Pädagogik in den meisten deutschen Kindertagesstätten widerspricht.
Doch es geht auch anders: Das zeigen
die Gewinnerinnen und Gewinner
des KitaStar 2015, den die elementi-Bildungsstiftung zum Thema »Kita
forscht!« auslobte.
Ein Labor gehört seit über 10 Jahren
dazu
Ein KitaStar in Gold ging nach BadenWürttemberg: an die Überbetriebliche Kindertagesstätte Lörrach, die von
einem gleichnamigen Verein getragen
wird. Die Bildungsbereichsverantwortliche Susanne Ehrecke berichtete, wie
sich das Thema in ihrer Einrichtung
entwickelte und welche Erfahrungen
sie bei der Umsetzung sammelten: »Unser naturwissenschaftlich-technischer
Schwerpunkt leitet sich aus einer intensiven Naturpädagogik ab. Kinder
sind wissbegierig. Sie gehen mit Energie und Ausdauer auf ‚Forschungsreise‘
und stellen Fragen über Fragen. Von
Spaziergängen bringen sie zum Beispiel
ihre Funde mit in die Kita, wollen sie
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untersuchen und bearbeiten«. Bereits
im Kindergartenjahr 2002/2003 schuf
das Kita-Team, das nach dem infansKonzept mit Funktionsräumen arbeitet,
daher ein Labor. Es bestand zunächst
nur aus einem kleinen Raum mit Regalen, in dem die Kinder ihre »Schätze«
präsentierten, untersuchten und diskutierten. Das Materialangebot wuchs
mit den Forschungsfragen der Kinder.
Chemikerinnen und Chemiker unter
den Eltern steuerten echte Laborutensilien bei und engagierten sich, indem
sie Experimentiertage in der Kita veranstalteten.
ten in unserem Labor wie Blitzlichter:
Experiment entdeckt, durchgeführt,
vielleicht noch präsentiert und gut. Mit
Begeisterung und Ausdauer bei der Sache bleiben die Kinder dann, wenn sie
eigene Fragen beantworten und eigene
Ideen umsetzen können«. Vor diesem
Hintergrund verschrieb sich das KitaTeam mehr und mehr einem offenen,
freien Forschen, das die Fachkräfte
unterstützen, begleiten und situativ
durch inhaltliche Impulse oder weitere
Materialangebote bereichern.
MINT-Bildung fachlich fundiert
Zu dieser konzeptionellen Haltung trugen auch der fachliche Austausch und
die Weiterbildung bei, die Susanne
Ehrecke intensiv betrieb: So gründete
die Kita 2008 den »Qualitätszirkel Naturwissenschaftliche und Technische
Bildung in Kitas des Landeskreises Lörrach«, der im Bereich der Frühförderung
an dem Projekt »phaenovum – trinationales Schülerforschungsnetzwerk Drei-
Für offenes, freies Forschen
entschieden
Frühe naturwissenschaftliche Bildung
wurde zu dieser Zeit zunehmend zum
Thema in der Fachpresse und fand Niederschlag im »Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten«. »Plötzlich
gab es eine Flut von Experimentierbüchern und -materialien
sowie
entsprechende
Fernsehsendungen für
Vorschulkinder«, berichtet Susanne Ehrecke. »Die Mädchen
und Jungen kamen
jetzt häufiger mit Experimentvorschlägen
in die Kita. Auch wir
brachten Ideen für Experimente von MINTFortbildungen
mit«.
Die Erfahrungen damit
waren eindeutig: »Die
vorgefertigten ‚Experi- Abb. 1: Funktionsräume: Jedes Kind kann seine »Schätze«
mentiereinheiten‘ leb- präsentieren
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Abb. 2: Platz zum Experimentieren ist gegeben
ländereck« mitwirkte. Im Rahmen des
Projekts entstand ein Zertifikatslehrgang, dessen Inhalte die Kita teilweise
in der Praxis erprobte und den Susanne
Ehrecke selbst erfolgreich absolvierte.
»Dieses Projekt sowie der Austausch mit
Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz haben
uns unzählige Impulse und fachliche Sicherheit gegeben«, berichtet die MINTPädagogin.
Das Labor wächst
In der Kita wurde das Labor unterdessen zunehmend beliebter und zog um:
Der heutige Labor-Raum ist 60 Quadratmeter groß, hat zwei Ebenen und ist
in drei Bereiche gegliedert. Es gibt einen
Labortisch mit Experimentierutensilien,
einen Lichttisch mit Material zur Naturerkundung sowie einen mathematischen
Bereich mit Gegenständen zum Ordnen
und Sortieren.
»Momente des Staunens« in Worte
fassen
Damit MINT-Bildung gelingt, ist mehr
nötig als eine gute Raum- und Materialausstattung. Susanne Ehrecke beschreibt es so: »Grundlage forschenden
Lernens ist eine anregende Lernatmosphäre, getragen von Wertschätzung.
Uns ist es wichtig, dass die Kinder
beim Forschen und Entdecken erleben:
‚Das habe ich alleine herausgefunden‘.
Sie steuern den eigenen Lernprozess –
eine wichtige Könnenserfahrung«. Die
Erzieherin gibt dabei Hilfestellung.
»Wenn Kinder über Alltags- oder Naturphänomene staunen, unterstütze
ich sie dabei, sich dieser ‚Momente des
Staunens‘ bewusst zu werden. Ich ermutigen sie, das Gesehene in Worte zu
fassen, es mit Vorerfahrungen zu ver-
knüpfen und Fragen zu formulieren –
ein Prozess der Ko-Konstruktion, der
Gestaltung durch Zusammenarbeit«.
Sei die Forschungsfrage formuliert,
ginge es darum, das bereits Beobachtete
genauer anzuschauen. »In dieser Phase
erscheint es uns wesentlich, dass die
Kinder das Phänomen dokumentieren,
zum Beispiel, indem sie es zeichnen
oder fotografieren«. Fragen wie »Was
hast du beobachtet?« und »Was hast
du herausgefunden?« regen diesen Prozess an. »Welche Hypothese hast du?«,
»Was vermutest du?« und »Was möchtest du jetzt tun?«: Zum Beispiel mit
diesen Fragen fordert Susanne Ehrecke
die Mädchen und Jungen auf, weiterzudenken, Lösungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen.
Forschen als »Arbeitshaltung«
Ihren Forschungsprozess zu dokumentieren und die Ergebnisse zu präsentieren, hilft den Kindern, sich ihres eigenen Lernens bewusst zu werden. Sie
führen dazu ein Forschungstagebuch,
tauschen sich mit ihren Forschungsfreundinnen und -freunden aus oder
stellen ihre Arbeiten den Eltern vor.
Aus Sicht von Susanne Ehrecke geht
es bei früher MINT-Bildung vor allem darum, dass Kinder Interesse an
naturwissenschaftlichen Inhalten und
Tätigkeiten entwickeln, entsprechende
Denk- und Arbeitsweise kennenlernen
und das Selbstvertrauen aufbauen, sich
MINT-Themen erschließen zu können.
Abb. 3: Mit dem Lichttisch kann Material
erkundet werden
Forschungsbegleitung: eine
Herausforderung für Fachkräfte
Für diese Art der MINT-Bildung sind pädagogische Fachkräfte nötig, die präsente
und akzeptierte Gesprächspartnerinnen
bzw. -partner für die Kinder sind. Sie sollten Kindern eigenständiges Denken und
Experimentieren zutrauen, sich mit ihnen
gemeinsam forschend auf Entdeckungsreise begeben und sich darauf einlassen
können, dass das Ergebnis des Prozesses
offen ist. Dabei ist eigene Neugierde und
Begeisterungsfähigkeit sowie eine gewisse naturwissenschaftliche Grundbildung
hilfreich, um auf die Experimente und
Fragestellungen der Kinder eingehen zu
können. Sich in Denkweisen von Kindern
hineinversetzen und ihre Vorstellungen
»aufspüren« zu können, sei ebenfalls eine
wichtige Fähigkeit, betont Susanne Ehrecke. »Es ist spannend zu erleben, wie sich
die Konzepte, die Kinder von bestimmten
Zusammenhängen haben, im Forschungsprozess verändern und weiterentwickeln«.
PÄDAGOGIK-INNOVATIONSPREIS KITASTAR
Die element-i-Bildungsstiftung lobt jährlich den KitaStar aus und prämiert jeweils zu
einer bestimmten Themenstellung die »Besten Kitas Deutschlands«. 2015 lautete
das Thema »Kita forscht!«. Da zwei Bewerbungen gleichermaßen herausragten
und die element-i-Bildungsstiftung das Geld für einen weiteren Preis zur Verfügung
stellte, vergab die Jury ausnahmsweise zwei KitaStars in Gold.
Folgende Einrichtungen erhielten einen Preis für ihre beispielgebende frühe naturwissenschaftlich-technische Bildung:
Überbetriebliche Kindertagesstätte in Lörrach (KitaStar in Gold dotiert mit
5.000 Euro vom Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg)
Kita EinSteinchen in Frankfurt an der Oder (KitaStar in Gold dotiert mit 5.000 Euro
von der element-i-Bildungsstiftung)
Kita Regenbogen in Ortrand (KitaStar in Silber dotiert mit einem 1.000 Euro-Warengutschein des Kita-Ausstatters Dusyma)
Kita Quickelbü in Quickborn (KitaStar in Bronze dotiert mit einem 500 Euro-Büchergutschein der Cornelsen Schulverlage).
Weitere Informationen unter: www.element-i-bildungsstiftung.de.
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Abb. 4: Gemeinsam können die Kinder
Naturwissenschaft entdecken
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Wie funktioniert der Apfelschäler?
Das wird an folgendem Beispiel für forschendes Lernen in der Überbetrieblichen
Kindertagesstätte Lörrach deutlich: Jeremy und Leo bestaunen einen Apfelschäler, dessen Innenleben aus verschiedenen
Zahnrädern aufgrund eines durchsichtigen Gehäuses gut sichtbar ist. Sie bringen ihn mit ins Labor und möchten ihn
untersuchen. Die Jungen beschreiben den
Schäler so: »Also als Erstes muss man den
Apfel drauf machen, dann muss man’s
hinstellen und dann müsste man drehen
und dann schält sich so der Apfel«. Weitere Kinder gesellen sich dazu und fachsimpeln mit. Susanne Ehrecke hört den Kindern zunächst aufmerksam zu und fordert
sie dann auf, den Schäler zu zeichnen.
Sie ist überrascht, wie gut es den Kindern gelingt, die Zahnräder zu erfassen,
auch, wenn sie sich in einigen Zeichnungen nicht berühren bzw. sich gegenseitig
blockieren. Die Kinder selbst erkennen
ebenfalls Unzulänglichkeiten und haben
die Idee, den Schäler zu demontieren. Die
Jungen und Mädchen sind begeistert bei
der Sache. Ihnen ist auch klar, dass sie den
Schäler hinterher wieder zusammenbauen
müssen, da er im Bistro der Kita gebraucht
wird. Mit Eifer zerlegen die Kinder das
Gerät und zählen die vielen Zahnräder
und anderen Einzelteile. Sie entdecken,
dass sich die Zahnräder unterschiedlich
schnell bewegen. Im Dialog und mit
Fachwissen, das einige Kinder einbringen, entsteht ein genaueres Bild von der
Funktionsweise des Schälers. Die Erzieherin hält sich in dieser Phase zurück, da sie
wahrnimmt, wie sehr sich die Kinder über
ihr eigenständiges Forschen freuen. Beim
Zusammenbauen merken die Mädchen
und Jungen, dass es wichtig ist, die Zahnräder genau zu platzieren. Ihre bisherigen
Vorstellungen genügen nicht mehr. Neue
Lösungen werden ausgehandelt und erkundet. Mit hochroten Wangen arbeiten
sie an ihrem Konstruktionsprojekt. Doch
als sie stolz den fertigen Schäler in Betrieb
nehmen wollen, kommt der Augenblick
der Ernüchterung: Er funktioniert nicht.
»Es war erstaunlich, wie die Kinder in
diesem Augenblick ihre Willenskräfte
aktivierten, um der Lösung des Problems
auf den Grund zu gehen«, erinnert sich
Susanne Ehrecke. »Ich verzichtete daher
darauf, sie zu einer Pause zu überreden«.
Für ihre Beharrlichkeit werden in Kinder
wenig später mit einem funktionierenden
Apfelschäler belohnt.
Jeremys Erklärung
Nun erklärt Jeremy den Schäler so: »Den
haben Leo und ich auseinandergebaut
und auch wieder zusammenbekommen.
Der Apfelschäler hier, genau der hat 20,
ich sage 20 Teile und so funktioniert
der Apfelschäler: Den Hebel dreht man
so, denn im Hebel ist eben ne Stange
und dann – an der Stange ist vorn nen
kleines Zahnrad und da hinter ist noch
mal ein großes Zahnrad – UND (er
holt Luft): Das große, das kleine Zahnrad bewegt das Zahnrad hier – also hier
(er zeigt auf das große untere Zahnrad).
Also hier sind auch Ritz-Zacken drauf,
das Zahnrad dreht die Zacken und die
Zacken drehen dann dabei auch noch
das große Zahnrad da, das große bewegt
das Zahnrad, das Zahnrad bewegt das
und an dem Zahnrad ist ne Zahnstange die bewegt eben das. – Und das große Zahnrad, nee das kleine bewegt das
Zahnrad, da ist auch noch mal ne kleine
Stange dran, hier, und an der ist noch
mal was Kleines und das Kleine bewegt
das Große da und da ist dann ne Stange dran und das bewegt das ganze Teil
und das ganze Teil bewegt eben den hier
(Schäler)«.
MINT-Bildung in der Kita wirkt
prägend
Dass ihr Konzept forschenden Lernens
nachhaltig wirkt, weiß Susanne Ehrecke
aus der Rückmeldung von Kindern, die
die Kita bereits verlassen haben und in
die Schule gehen. Jared, der die 7. Klasse
eines Gymnasiums besucht, schreibt zum
Beispiel: »Forschen – bedeutet für mich,
Fragen zu stellen und die Antworten selbst
zu suchen. Im Englischen heißt es ja auch
‚research‘ – d.h., für mich auf der Suche
sein. Ich habe das in meinem Kindergarten
gelernt. Heute sind meine Lieblingsfächer
die Naturwissenschaften, weil ich weiß,
dass es nicht nur Theorie aus Büchern ist,
sondern alles, was uns als Mensch umgibt
und wir so vieles noch gar nicht wissen. Ich
denke zurück an Kugelbahnen, wilde Legokonstruktionen, selbstkonstruierte Autos
mit Luftballonantrieb, an bunte Reagenzgläser und an eine wunderbare Kindergartenzeit«.
}P LINKS:
Überbetriebliche Kindertagesstätte
Lörrach: www.ue-kita.de.
KitaStar:
www.element-i-bildungsstiftung.de.
Zukunftskongress für Bildung und Betreuung »Invest in Future«:
www.invest-in-future.de.
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Ihre Angela Ott
Abb. 5: Auch Zahlen sind leicht erlernbar
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