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ÄdL REISEBERICHTE – ZUSAMMENFASSUNG VERSCHIEDENER MITSCHRIFTEN
Di, 9.45-11.15, HS34, Hellmuth
SS 2015
1. Einheit am 3.3.
Inhalt der Vorlesung: Fernreiseberichte aus dem Mittelalter: erste Berichte über bis dahin
unbekannte Gebiete
Bilderberichte kommen bei ihm nicht vor
Unterlagen werden auf moodle zu finden sein (Bibliographie und Textbeispiele)
Marco Polo etc. in der Sprache des 14./15. Jh. im Original
schriftliche Prüfung am 30.6.: 3 allgemeine Fragen zum Stoff (zu Texten und Autoren das
Wesentliche sagen können, die Bedeutung der Texte kennen) – weitere Termine im Herbst, bzw.
mündlich in den Sprechstunden (einfach hingehen, ab Juli)
gibt teilweise noch keine kritischen Ausgaben zu den einzelnen Texten... Edition sind oftmals erst in
Vorbereitung
Reiseliteratur wurde erst im späten 20. Jh. Forschungsgebiet der Mediävistik
kommt bis dahin nur sporadisch und ausschnitthaft in Lesebüchern und Sammelbänden vor
THEORIEN zur REISELITERATUR (inkl. Bibliographie):
1990: Forschungsbericht über deutschsprachige Literatur aller Jahrhunderte erschienen
→ Peter J. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als
Vorstudie einer Gattungsgeschichte. Tübingen 1990
ist sehr umfangreich (740 Seiten insgesamt, aber nur 40 Seiten für mittelalterliche Reiseberichte)
Bibliographie der deutschen Reiseberichte des Mittelalters:
Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie. Hg. von Werner
Paravicini. Teil 1: Deutsche Reiseberichte. Bearbeitet von Christian Halm. Frankfurt a M. 1994, (2.
Aufl. 2001)
unbedingt 2. Auflage verwenden, weil die erste sehr fehlerhaft ist
zweiter und dritter Teil: französische und niederländische Reiseberichte
Fast alle Untersuchungen zur ma. Reiseliteratur stammen aus den letzten Jahrzehnten.
Warum wurde die Reiseliteratur so lange vernachlässigt?
Sie sind die allerältesten Texte der europäischen Literatur (Odyssee von Homer) und waren für
klassische Philologen interessant. Zum Beispiel auch der „Periplus“ von Skylax (Schiffsreise, die
nur in Fragmenten erhalten ist, 6. Jh. v. Chr.). Ein weiterer wichtiger alter Bericht ist von Pytheas
von Massilia, der bis in den Norden Europas kam (an Spanien und GB vorbeigesegelt bis in die
Nordsee und wahrscheinlich in den Nordatlantik) – auch hier sind nur Fragmente erhalten.
In der deutschen Literatur sind Reiseberichte mit literarischen Ansprüchen erst sehr spät zu finden
(z.B. bei Goethe die Italienreise). Bis ins 18. Jh. sollten also authentische Informationen gegeben
werden, die durch eigene Anschauungen angereichert werden. Ästhetische Ansprüche waren nicht
so wichtig. Der Fokus lag auf dem Inhalt. Wahrscheinlich beachtete deswegen die
Literaturwissenschaft die Reiseberichte für eine sehr lange Zeit gar nicht.
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1) Erweiterung des Literaturbegriffs
Reiseberichte veränderten den Literaturbegriff der Germanistik im späten 20. Jahrhundert,
ausgehend auch von der 1968er Bewegung.
Friedrich Sengle: Literarische Formenlehre. Vorschläge zu ihrer Reform. 1967
→ Sengle weist darauf hin, dass über die konventionalisierte Gattungstrias (Epik, Lyrik, Dramatik)
auch noch die Zweckformen der Literatur zu berücksichtigen seien (Tagebücher, Reiseberichte...).
Dadurch steigt auch das Interesse an den vor- und nachklassischen Perioden (Stauffische und
Weimarer Klassik waren lange im Zentrum der Forschung)
Dichtung des späten 13. und 14. und 15. Jahrhunderts galt bis dahin lediglich als Epigonentum der
Stauffischen Klassik. Es werden nun auch Kleinformen des Erzählens berücksichtigt.
(Ehrendichtung, didaktische Literatur...). Auch die Fachprosaforschung (mittelalterliche
Fachliteratur) nimmt dabei ihren Ausgang. Wird zu einem wichtigen Forschungbereich der
Mediävistik und wird von Gerhard Eis (Heidelberg) begründet.
Gerhard Eis: Mittelalterliche Fachliteratur. 1962
Die Fachliteratur wird auch Artesliteratur genannt und oft synonym verwendet – in diesen Bereich
fallen auch die Reiseberichte. Der Begriff ist auf die artes liberales (Trivium und Quadrivium), die
artes mechanicae und die artes prohibitae zurückzuführen.
Die artes liberales wurden von jenen gelernt, die es sich leisten konnten. Das Trivium war
Grammatik, Rhetorik und Dialektik. Im Quadrivium Arithmetik, Geometrie, Musik und
Astronomie. Die artes mechanicae betrafen die „nützlichen Tätigkeiten“ wie Seefahrt, Erdkunde,
Landwirtschaft, Handel etc. - die Reiseberichte sind eng damit verbunden, weil sie Informationen
über Seewege und Handelswege geben. Die artes prohibitae waren die verbotenen Künste, vor
allem die Magie und die Zauberkünste. Gibt viele Bücher, die sich mit verbotenen Künsten
auseinandersetzen und sind zu hunderten überliefert (z.B. zur Tierheilkunde etc.).
Die Reiseberichte des Mittelalters geben auch Rückschlüsse auf die damaligen Lebensverhältnisse,
Erkenntnisstand und Bildungsmöglichkeiten. Geben auch Aufschlüsse über die Denkweise der
Autoren und Rezipienten. Das Forschungsfeld der Reiseberichte bietet somit die Möglichkeit für
interdisziplinäre Forschungsansätze.
2) Anstöße durch andere Geisteswissenschaften
Neuorientierung der Geschichtswissenschaft in Frankreich in der Zwischenkriegszeit:
Nouvelle histoire = Ecole des „Annales“, liefert einen Anstoß zur Beschäftigung mit diesen
Texten. Die Annales waren eine Zeitschrift, die mehrmals ihren Namen wechselte. Zunächst von
1929-39 widmeten sich die Annales der Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Diese
Geschichtswissenschaft ging stark von Marxistischen Prämissen aus.
Begründer der nouvelle histoire waren Lucien Febvre, Marc Bloch, Fernand Braudel, Georges Duby
(war ein Mittelalterforscher), Jacques Le Goff und Emmanuel Le Roy Ladurie (Buch über
Pyrenäendorf im Spätmittelalter, beschreibt Inquisition) → das Interesse an der Erforschung von
sozialen und ökonomischen Strukturen, sowie der Alltagsgeschichte war dadurch geweckt.
Immer mehr werden auch Briefe, Tagebücher, Autobiographien und auch die Reiseliteratur zum
Forschungsgegenstand, weil sie genau zu diesen Fragen Auskünfte geben.
Der geistige Horizont der Autoren der Reiseberichte spielt eine wichtige Rolle:
welche Voraussetzungen bringen Mönche und Kaufleute mit, die Indien und Asien bereisen und
wahrnehmen? Welche Vorurteile werden formuliert? Wie gehen die Menschen im Mittelalter mit
dem Fremden um?
-2-
Es gibt auch wahrnehmungspsychologische Untersuchungen zu den Reiseberichten.
z.B. von Michel Mollat: Les explorateurs du XIIIe au XVIe siècle. Paris 1984
Die Erforschung der Reiseberichte ist also nicht nur für die Literaturwissenschaft interessant,
sondern auch in anderen Disziplinen Forschungsgegenstand.
3) Die Krise des Reisens durch den Massentourismus
Bis ins 18. Jahrhundert gab es immer konkrete Anlässe für Reisen: Geschäftsreisen, Bildungsreisen,
diplomatische Reisen, Wallfahrten – Reisen als Abenteuer war bis ins 18. Jahrhundert völlig
unbekannt. Reisen als Freizeitgestaltung ist auch heute noch für einen Großteil der Menschen völlig
unmöglich. Reisen war in alter Zeit auch nicht erfreulich und angenehm, sondern sehr strapaziös.
Auch die Verbannung von der Heimat zeigt, wie negativ das Herumirren gesehen wurde.
mhd. elend, germ. alja-landja: in der Fremde sein (Schwierigkeiten und Gefahren sind zu erdulden,
die man zuhause nicht auf sich nehmen müsste) → „Fernweh“ ist somit eine romantische Kategorie
Marco Polo und den anderen werden erst nachträglich die Motive des Fernwehs unterstellt – auch
die Neugier dürfte kein Antrieb gewesen sein. Vielmehr sind pragmatische Gründe (Handel) zu
suchen. Die Suche nach dem Glück in der Ferne ist ein viel späteres Motiv.
In vielen Berichten wird das Christentum mit der Moral der Einwohner einer fernen Gegend
verglichen und schneidet dabei nicht immer gut ab. Dies hat aber auch didaktische Gründe, damit
die Christen zuhause, sich noch mehr Mühe gäben, moralischer zu handeln.
Im Mittelalter ging man nicht davon aus, dass es schon auf der Erde einen Ort gäbe, auf dem man
sein Glück finden könnte. Erst mit der Entdeckung der Südseeinseln im 18. Jh. taucht der Gedanke
eines irdischen Paradieses auf. Diese Suche nach dem irdischen Paradies manifestiert sich v.a. im
heutigen Massentourismus.
Hans Magnus Enzensberger: Eine Theorie des Tourismus. 1964
darin: Die Verwirklichung des romantischen Traumes eines irdischen Paradieses wird durch den
Tourismus eigentlich zerstört: „Der Tourismus vernichtet all das, was er zu leben vorkommt.“
Berichte über Reisen sind heute nicht mehr so interessant, weil jeder Durchschnittstourist entlegene
Gebiete bereisen kann. Die Informationsfunktion des Reiseberichtes ist heute auf andere Medien
übergegangen (Fernsehreportage, Lichtbildervorträge, etc.). Die literarische Darstellung weicht der
bildlichen Darstellung. Nach wie vor ist Reiseliteratur aber ein wichtiger Bereich des Buchmarktes
(Reiseführer und Bildbände). Reiseführer werden aber immer mehr auf Spezialbedürfnisse
zugeschnitten. Bildbände enthalten immer weniger Text, dafür sehr ästhetisch ansprechende Bilder.
In manchen Rundfunksendungen und Feuilletons gibt es noch Reiseessays – die Subjektivität der
Reisenden und ihre Impressionen stehen dabei im Vordergrund. (z.B.: Christoph Ransmayer: Atlas
eines ängstlichen Mannes. → Sammlung von Reiseskizzen aus heutiger Zeit.)
England:
Reisebericht hat nach wie vor eine starke Präsenz (British Empire, Forschungstätigkeit auch in
ehemaligen Kolonien)
Der Reisebericht als literarische Gattung ist wahrscheinlich schon eher an einem Endpunkt
angekommen, wegen der Universalisierung des Reisens und der Verlagerung der
Informationsfunktion in bildliche Darstellung (Filme, Internet...).
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Möglicherweise führt die Krise des Tourismus auch zu einem verstärkten Interesse an
konventionellen Reiseberichten der Vergangenheit. Dies führte zu einer Fülle an Neubearbeitungen
und Neuausgaben alter Texte (in allen Preislagen und für jedes Publikum). Viele dieser Ausgaben
sind aber bearbeitet, gekürzt, durch Übersetzung verfälscht und somit für die wissenschaftliche
Arbeit nicht geeignet.
Alte Reiseberichte berichten uns von einer Welt, die heute nicht mehr erreichbar ist. Sie sind
Gegenstände historischen Interesses, weil sie Auskunft über das europäische Welt- und
Selbstverständnis vom Mittelalter bis in die Gegenwart geben. Sie können somit Teil einer
historischen Anthropologie sein.
Norbert Ohler: Reisen im Mittelalter. 1986 (4. Aufl, 2004)
Folker Reichert: Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter. 2001
(gutes allgemeines Buch zum Reisen im Mittelalter)
Die Editionslage zu den mittelalterlichen Reiseberichten ist unterschiedlich (sehr gute Marco Polo
Ausgabe, v.a. altfranzösisch). Eine kritische Mandeville-Ausgabe fehlt aber noch. Hier gibt es nur
einzelne Handschriften und teilweise Inkunabeldrucke. Es gab damals Fassungen für ein jeweils
unterschiedliches Zielpublikum: Kaufleute, Gelehrte, Adelige...
Die jeweiligen Textfassungen waren unterschiedlich bearbeitet. Damit sind philologische und
interpretatorische Probleme verbunden.
Es gibt noch weitere Texte des Mittelalters, denen eine Reise zu Grunde liegt, die in dieser
Vorlesung aber nicht behandelt werden:
Allegorische Reisen im Mittelalter: Christine de Pisan: Reise über das lange Studium
Imaginäre Reisen (Jenseitsreisen): Divina commedia etc.
Traumallegorien in Form einer Reise
Reisethematik in den großen Romanen:
Spielmannsepik (die Reisen und Abenteuer des Spielmannes)
aber auch im Parzifal (Orientreise in der höfischen Literatur)
2. Einheit am 10.3.
Jakob von Vitry (gest. 1246 in Rom): lebte als Bischof im Heiligen Land und verfasste eine
Geschichte der Kreuzzüge (historia orientalis). Er schrieb Reiseberichte in Briefform aus seiner
Zeit in Syrien und verfasste auch beispielhafte Erzählungen aus dem Orient, die auf diese Weise
nach Europa gekommen sind.
Es gibt grundsätzlich viele Briefe von Kreuzfahrern, welche in diesen Auskunft über die
Verhältnisse im Orient, Rom, Sizilien etc. geben. Viele dieser Briefe enthalten persönliche
Bewertungen und Beobachtungen.
Für eine Gliederung der Reiseliteratur, scheint es am Sinnvollsten, sich an dem Zweck der Reise zu
orientieren. Diese Gliederung wird bei Jean Richard entworfen.
Jean Richard: Les récits de voyages et de pèlerinages. Turnhout 1981. (Typologie des sources du
Moyen-àge occidental. Bd. 38)
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Jean Richard unterteilt die Reiseliteratur in 7 Gruppen:
1)
2)
3)
4)
5)
6)
7)
Pilgerführer
Pilgerberichte
Kreuzzugsschilderungen
Berichte von Botschaftern und Missionaren
Führer für Kaufleute
Berichte von Forschern und Abenteurern
Imaginäre Reisen
Diese Einteilung ist auch für die deutschsprachige Literatur akzeptabel. Im Mittelpunkt der
Lehrveranstaltung stehen Berichte von Botschaftern und Missionaren und Berichte von
Forschern und Abenteurern. Die Grenzen sind aber manchmal fließend.
Wolfgang Achnitz: Deutsches Literaturlexikon. Das Mittelalter. Reiseberichte und Geschichtsdichtung (Band 3). Berlin 2012
→ bringt Reihenfolge in die Texte, viele sind allerdings anonym
darin ist auch ein Essay zur Reiseliteratur enthalten
1) Pilgerführer:
Diese hängen auch eng mit der Heiligenliteratur zusammen. Die meisten Pilgerfahrten des
Mittelalters gingen in die Nähe (blieben also im eigenen Land), es gab aber auch Fahrten in
entlegenere Gebiete (peregrinationes maiores), v.a. nach Santiago, Rom und Jerusalem.
Wichtige Pilgerführer aus dem Mittelalter:
Santiago de Compostela: Liber Sancti Jacobi (Titel erst aus dem 19. Jahrhundert, Buch schon im
12. Jh. entstanden) → War der wichtigste Pilgerführer für das westliche Europa zum Grab des Hl.
Jakobus.
Klaus Herbers: Der Jakobsweg mit einem mittelalterlichen Pilgerführer.
→ beschreibt Wegverlauf, Unterkünfte, Länge der Etappen, die Heiligtümer von unterwegs
Rom: Pilgern zu den Gräbern von Paulus und Petrus in der Peterskirche
Itineraria Romana CCSL (große Sammlung von Texten des Mittelalters); Band 175 und 176:
Pilgerführer nach Rom aus dem Mittelalter
Jerusalem: besonders großes Interesse bestand aber an Pilgerführern ins Heilige Land:
Wegkenntnis aufgrund der großen Entfernung war besonders notwendig und wichtig
Herbert Donner: Pilgerfahrt ins Heilige Land.
Itinerarium Burdigalense (333/334) → Wegbeschreibung von Bordeaux bis ins Heilige Land
Der Verfasser ist anonym, hat aber seine Reise im Frühling 333 begonnen und im Frühling 334
beendet. Jerusalem war damals auch ein Teil des Römischen Reiches, genauso wie Bordeaux.
Das Itinerarium Burdigalense ist ein sehr trockener Reiseführer, streckenweise erfolgt eine reine
Aufzählung der Orte und Poststationen (zum Pferdewechseln). Trotzdem handelt es sich dabei um
ein wichtiges Dokument, auch um das entstehende Christentum im Römischen Reich und Heiligen
Land zu erforschen. Dank dieses Pilgerberichts weiß man, dass das Reliquienwesen damals noch
nicht stark ausgeprägt war.
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Der Itinerartypus beschreibt den Reiseweg eher weniger über persönliche Erfahrungen. Diese
Form ist sehr häufig. Dennoch sind viele Pilgerführer eher eine Beschreibung des Landes in Form
einer descriptio terrae.
Vor allem ab dem 11. Jh. ist ein starker Zuwachs an Pilgerführern ins Heilige Land zu verzeichnen.
In diesen wird der Hinweg selbst nicht mehr beschrieben, sondern vor allem das Heilige Land.
Matthaeus Paris: stammte aus London und war ein Dominikanermönch, sowie ein bedeutender
Historiker des 13. Jh. (verfasste eine Chronik der englischen Geschichte). Sein Itinerarium
beinhaltet seine Reise von London bis Jerusalem.
Burchhardus de Monte Sion: stammte aus Magdeburg und reiste 1283 ins Heilige Land (war
schon das Ende der Kreuzzugszeit); Bei seinem Bericht handelt es sich um eine sehr beliebte
descriptio terrae sanctae, die in über 90 Abschriften erhalten ist und für die Zeitgenossen ein sehr
wichtiges Informationsmaterial für ihre Pilgerreisen war. Burchhardus war selbst im Heiligen Land
und ließ seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse miteinfließen. Sein Bericht ist eine Mischung
aus Pilgerbericht und Reiseführer.
Vertrieb der Pilgerführer im Mittelalter:
Diese waren vor allem in Venedig vor der Einschiffung verfügbar, ist aber nicht mit Sicherheit
beweisbar. Man kann aber von einem großen Verschleiß der Bücher durch die Reisestrapazen
ausgehen.
Ab dem frühen 14. Jahrhundert dominieren Reisebeschreibungen, da die Zeit der Pilgerführer
und Kreuzfahrten schon abgeklungen ist. Die Pilgerführer und Pilgerberichte standen sich sehr nahe
und es ist schwierig, diese beiden voneinander abzugrenzen.
2) Pilgerberichte:
Bei den Pilgerberichten steht das eigene Ich nicht so im Mittelpunkt, allerdings konnte es als
besonders frommes Ich thematisiert werden.
Hieronymus: Epitaphium Sanctae Paulae (404): Hat die Pilgerreise der Heiligen Paula ins
Heilige Land gemeinsam mit ihrer Tochter zum Inhalt. Wurde immerhin von Hieronymus verfasst
und die Pilgerreise ist ein Teil der Heiligenvita der Heiligen Paula.
Jean de Joinville: Vie de Saint Louis
Die Pilgerberichte sind häufig Teile von Heiligenviten (z.B. des Königs Ludwigs und des VI.
Kreuzzugs in der Mitte des 13. Jahrhunderts). Der Verlauf des Kreuzzuges wird nicht so sehr
beschrieben, eher die Frömmigkeit des Königs Ludwigs.
Auch in der keltischen Tradition gibt es viele Reisebeschreibungen und -berichte. Oft sind es
Eremiten, die in der Ferne leben und ihren Bericht verfassen: z.B. die St. Brandan-Legende aus
dem 10. Jahrhundert, eine abenteuerliche Geschichte, die auf Latein verfasst wurde und in
Deutschland erschien.
Die Motive der Pilgerfahrt werden meistens am Anfang der Pilgerberichte genannt. Diese sind
meist, dass der Pilger den Spuren Christi folgen möchte und die Orte der Propheten kennenlernen
will, wo ihnen ihre Wunderzeichen offenbart wurden.
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Wichtige Pilgerberichte:
Wilbrand von Oldenburg: ist ein lateinischer Pilgerbericht aus dem 13. Jahrhundert. Wilbrand
starb 1234 und war Bischof in Oldenburg. In seinem Pilgerbericht berichtet er für jene, die das
Heilige Land nicht besuchen können und es nur über zweite Hand erfahren können.
Dietmar von Merseburg (13. Jahrhundert): Seine Darstellung der Pilgerreise sollte den Lesern
Freude verschaffen
Burchhard de Monte Sion: Er fordert den Leser auf, auch selbst das Heilige Land zu besuchen.
Wer das nicht kann, soll zumindest von seinen Erkenntnissen und Erfahrungen profitieren und diese
lesen.
Felix Fabri (reiste 1480 und 1483 nach Jerusalem): Er war ein Dominikaner und wurde von seinen
Brüdern in Ulm gebeten, für sie alles möglichst genau aufzuschreiben. So schrieb er für seine
Mitbrüder einen sehr detaillierten Pilgerbericht, der in 3 verschiedenen Ausgaben erschien: als
lateinischer Bericht für Mitbrüder, als Kurzfassung in deutscher Sprache und schließlich noch in
einer weiteren, nochmals gekürzten, Fassung.
Einfließen des Biographischen in Pilgerberichten:
In der ältesten Reiseliteratur war das Autobiographische noch gar nicht enthalten. Langsam findet es
aber auch in der Pilgerberichten Einzug.
Saewulf (12. Jh.): Pilgerreise von England ins Heilige Land.
Es handelt sich um einen lat. Bericht. Grundsätzlich ist die Darstellung sehr unpersönlich, aber er
lässt seine eigenen Erfahrungen einfließen und erzählt, wie er mehrmals Schiffbruch erlitten hätte
und sich gerade noch retten konnte. In diesem Zusammenhang beschreibt Saewulf sogar seine
eigenen Empfindungen bei diesen Ereignissen.
Gegen Ende 13. Jh. gehen die Kreuzzüge zu Ende (1291: Fall Akkons). Ab 1330 nimmt die Zahl
der Pilgerberichte rapide zu und Pilgerreisen waren sogar über Venedig buchbar. Es gab zu diesem
Zweck sogar Pilgerführer und man konnte bei den Banken einzahlen, um die Kosten dafür
abzudecken. Im Spätmittelalter entstehen auch deutschsprachige Pilgerberichte in beträchtlicher
Zahl (vgl. Literaturliste). Auch das persönliche Element wird immer mehr hervorgehoben, da es
sich schließlich sich um die eigene Pilgerreise und somit die Entfaltung der eigenen Religiösität
handelt. In den Pilgerberichten wird das individuelle Element hervorgehoben.
3) Kreuzzugsschilderungen:
Dabei handelt es sich um Berichte über Kämpfe und die Teilnahme an Kämpfen, auch Itinerarium
peregrinorum genannt. Im Wesentlichen sind diese Kreuzzugsschilderungen Beschreibungen eines
Zuges ins Heilige Land aus der Sicht eines Pilgers und Kreuzfahrers.
Die Texte stammen v.a. aus dem 13. Jh, weil nach dem Fall von Lakon (1291) keine Kreuzzüge
mehr stattfanden. Bei den Kreuzzügen wurden wesentliche Stätten des Heiligen Landes besucht,
aber auch die Christen des Heiligen Landes wurden militärisch unterstützt.
Hierosolymita: hierbei handelt es sich um lateinische Texte, die Jerusalem beschreiben. Der
Kreuzzuge wird bei Hierosolymita als Pilgerfahrt verstanden.
1065: Zug des Gunter von Bamberg: Gunter reiste mit vielen Erzbischöfen und einem großen
Gefolge ins Heilige Land. Bei diesem Kreuzzug wird das Ezzolied gesungen. Dabei handelt es sich
um das erste Lied in deutscher Sprache. Inhaltlich werden die Wunder Christi besungen. Das
Ezzolied stammt aus der Zeit vor den eigentlichen Kreuzzügen.
Eine Verbindung von Pilgerfahrt und Kampf findet sich aber auch in Berichten von Reisenden aus
anderen europäischen Regionen (z.B. auf der Iberischen Halbinsel).
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Auch in den historischen Chroniken gibt es immer wieder Darstellungen der Kreuzzüge. In diesem
Falle ist es häufig schwierig, historische Berichte vom Pilgerbericht zu unterscheiden. Dazu
kommt, dass nicht alle Pilger auch an den Kämpfen teilnehmen wollten und viele von ihnen in
friedlicher Absicht reisten (z.B. der große Sachsenherzog Heinrich der Löwe).
Arno von Lübeck: chronica slavorum (Pilgerreise von Heinrich dem Löwen wird beschrieben)
Die Kreuzzugsschilderungen entsprechen oft dem streng chronologischen Erzählen eines Itinerars.
In den Volkssprachen wurde bis zum 12. Jahrhundert kaum über Kreuzzüge berichtet, auch nicht in
der altfranzösischen Literatur. Es gibt keine Erzählungen, die Kreuzzüge zum Inhalt haben. Nur in
den altfranzösischen chanson de gestes werden Kreuzzüge in Form von einer alten Dichtung aus
einer vergangenen Zeit behandelt.
4) Berichte von Botschaftern und Missionaren
In diesen Bereich fallen Berichte von gebildeten Diplomaten, die im Auftrag von Päpsten und
Königen in ferne Länder reisten und über diese Reisen ihre Berichte abgeben mussten. Manchmal
gab es schon im Vorhinein Fragenkataloge, die beantwortet werden mussten. Diese Reisen dienten
also auch der Information über andere Völker und eventueller Feinde.
Die Botschafter sorgten auch dafür, dass es einen Austausch zwischen verschiedenen Herrschern
geben konnte. Ein Beispiel dafür ist die Begegnung der fränkischen Delegation mit dem Kalifen
Harun Al Raschid von Bagdad. Die Botschafter bekamen einen Elefanten als Gastgeschenk und
reisten mit diesem zurück in ihre Heimat. Leider ertrank der Elefant aber im Rhein, wie im Bericht
vermerkt wird. Man sieht daran, dass nicht jede Begegnung feindlicher Natur war.
Botschafterberichte aus der Zeit der Kreuzzüge:
Wilhelm von Tyrus: Er war Bischof und Kanzler des Heiligen Landes und ab 1175 auch der
Erzbischof von Tyrus. Er verfasste die bedeutendste lateinische Chronik der Kreuzzugszeit und
verfügte über alle möglichen Informationen (auch über die der Botschafter, die nach Kairo und an
andere arabische Höfe gesandt waren), die er in die Chronik einarbeitete.
Aus dem Frühmittelalter gibt es aber kaum Berichte über Kontakte mit arabischen und
zentralasiatischen Völkern in Kontakt mit europäischen Völkern. Diese finden sich erst ab dem 13.
Jahrhundert. Mit dem Auftauchen der Mongolen, gibt es viele Beschreibungen über die Kontakte
zwischen Europäern und Zentral- und Fernasien. Die Bedrohung durch die Mongolen war damals
die Lebensrealität der Menschen, da dieses Volk bis Korneuburg vordrang.
3. Einheit vom 16. 3 2015
Eroberungszüge der Mongolen:
Im Jahr 1206 beginnt mit Dschingis Khan (Činggis-Khan) der Aufstieg der Mongolen, indem er
verschiedene mongolische Stämme unterwarf und einte. Im Jahr 1227 verstarb Dschingis Khan.
Sein Nachfolger wird Ögedei, dessen Hauptstadt sich bereits in Karakorum befand. 1241 sind die
Mongolen schon bis ins östliche Mittelmeer vorgestoßen. In der Schlacht von Liegnitz (Schlesien;
60 km westlich von Breslau), am 9. 4. 1241, gelang es den Mongolen ein polnisch-schlesischdeutsches Heer unter Heinrich II. von Schlesien zu schlagen. Die Ritter in ihren schweren
Rüstungen waren dem mongolischen Heer absolut unterlegen. Am 11. 4. 1242 fiel der ungarische
König Bela IV. in der Schlacht bei Mohi, ebenfalls gegen die Mongolen. Im Zuge dessen stießen die
Mongolen bis nach Korneuburg vor. Am 11. 12. 1241 verstarb allerdings plötzlich Ögedei.
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Batu Khan, der Feldherr des Westfeldzugs, brach den Feldzug darauf ab und zog mit seinem Heer
zurück in den Osten. Die Mongolen verfolgten eine grausame Kriegstaktik, indem sie Dörfer
angriffen und darauf warteten, dass die Bewohner in die Felder fliehen, um sie dort ungeschützt zu
überfallen. Große Teile des Ostens Europas gehörten ab der Mitte des 12. Jahrhunderts zum Reich
der Goldenen Horde. Güyük (1246-48) und Mönke (1251-59) waren weitere wichtige Großkhane.
Später gab es keine Khane mehr, die das gesamte Großreich beherrschten.
Folker E. Reichert: Begegnungen mit China. 1992.
Die Mongolen waren in den Quellen bereits vor ihrem Sturm auf Europa bekannt. In den
europäischen Quellen werden sie fast immer als Tartari bezeichnet vor. Die Bezeichnung kommt
wahrscheinlich von einem ehemals kleinen Stamm. Das r in Tartari hängt wahrscheinlich mit dem
Tartarus, der Hölle, zusammen. Es handelt sich daher um eine Assoziation mit der Unterwelt, also
ein Volk, dass den Tiefen der Hölle entkommen ist. Im Mittelhochdeutschen fehlt interessanterweise
das r.
Berichte über das Mongolenreich
Die Alexander-Literatur hat viel zum geographischen Wissen der Welt beigetragen. Sonst gab es nur
eine ferne Kenntnis von China. Erst der Mongolenzug brachte eine Wende herbei.
Nach dem Rückzug der Mongolen sah man in ihnen potenzielle Verbündete gegen den Islam.
Bereits im 12. Jahrhundert sind Boten nach Europa gekommen, die von einem Priester Johannes
sprechen, welcher weit im Osten sein Reich hat und bereit ist, gegen den Islam zu Felde zu ziehen.
Von Ungarn aus sind bereits in den 20er des 12. Jahrhunderts Dominikaner in den Osten gereist. Ein
Mönch namens Julianus ist hier zu nennen und konnte auch schon etwas über den
Mongolenfeldzug in Erfahrung bringen. Ein weiterer Gesandter war ein flämischer Ritter namens
Balduin von Hennegau. Diese Gesandtschaft war weitgehend erfolglos.
1245 gab es eine weitere Delegation im Auftrag Papst Innozenz IV. Die Leitung übernahm der
Franziskaner Johannes de Plano Carpini (*ca. 1180/85; †1252), einer der engsten Gefolgsmänner
des Franz von Assisi. Als er zu den Mongolen aufbrach, muss er mindestens 60 Jahre alt gewesen
sein, wurde vom Papst aber als besonders würdig empfunden. Er war nicht der erste Europäer,
welcher in das mongolische Reich kam. Er war aber der Erste, der einen ansprechenden Bericht
verfasste.
Einer der wichtigsten Begleiter war Benedikt von Polen. Er war in erster Linie Dolmetscher und
verfasste ebenfalls einen kurzen Bericht. Im April 1246 ist Johannes de Plano Carpini beim Fürsten
Batu an der Wolga angelangt. Der Fürst sah sich aber nicht zuständig und verwies auf den
Großkhan in Karakorum, um ihn die Ausdehnung des Reiches aufzuzeigen. Deshalb reiste er weiter,
erreichte Karakorum aber nie direkt, sondern nur den Aufenthaltsort in der Nähe der Hauptstadt.
Johannes verblieb drei Monate am Hof des Khans, der sich den Brief des Papstes übersetzten ließ.
Der Brief des Papstes und die Antwort des Khans sind erhalten geblieben.
Karl Ernst Lupprian: Die Beziehungen der Päpste zu islamischen und mongolischen Herrschern im
13. Jahrhundert anhand ihres Briefwechsels. Cittá del Vaticano 1981, Nr. 21, 13. 3. 1245. und Nr.
32 11. 11. 1246
Inhaltlich zielt der Brief darauf ab, dass der Großkhan seine „mordgierigen Hände“ nicht weiter
nach Westen ausstrecken soll. Ansonsten müsse er mit der Strafe Gottes rechnen. Wie der Khan den
Brief verstanden hat, weiß man nicht. Der Brief wurde, wie alle Briefe, als Unterwerfungsgeste
interpretiert, dementsprechend wurde auch die Antwort formuliert, die in persischer Sprache
formuliert ist.
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Interessant sind auch Formulierungen, die eine theologische Diskussion betreffen, denn woher
sollen die Christen wissen, wer im Auge Gottes würdig ist? Diplomatisch ist die Gesandtschaft
gescheitert, der Bericht des Johannes de Plano Carpini ist kulturhistorisch aber von äußerster
Wichtigkeit und wurde ebenso ins Deutsche und Italienische übersetzt:
Bericht des Johannes de Plano Carpini
Johannes de Plano Carpini: Ystoria Mongolorum. In: Anastsius von den Wyngaert OMF (Ed.):
Sinica Franciscana I. 1929, S. 3-130
Enrico Menestó 1989 übers. ins Italienische
Friedrich Risch 1930 übers. ins Deutsche
Felicitas Schmieder übers. ins Deutsche 1997
Dieser Bericht ist der erste, der auf eigenen Beobachtungen im Reich der Mongolen basiert.
In der Einleitung wird klar, dass der Besuch am Hof des Großkhans nicht nur diplomatischer Natur
war, sondern man wollte die Mongolen besser kennenlernen, um auf künftige
Auseinandersetzungen besser vorbereitet zu sein. Am Ende zieht Johannes ein desillusionierendes
Resümee, da eine freiwillige Unterwerfung der Mongolen undenkbar ist, die Christen müssen die
Mongolen im Kampf besiegen. Auch der Auftrag des Papstes wird noch einmal betont.
Im ersten Kapitel des Berichts wird der Lebensraum der Mongolen (1) behandelt. Es folgt eine
ethnographische Studie über die Menschen (2) (Ehe, Kleidung, Besitz ...), die religiösen
Vorstellungen (3), gute und schlechte Sitten der Mongolen (4), den Beginn der Herrschaft der
Tataren (5) (historisches Kapitel), die Kriegsführung (6), die Art wie die Mongolen mit anderen
Völkern Frieden schließen und unterworfene Völker behandeln (7), Möglichkeiten der
mongolischen Kriegsführung entgegen zu treten (8) und als neuntes und letztes Kapitel folgt der
eigentliche Reisebericht (9).
Im letzten Kapitel finden sich bereits Beschreibungen von Europäern, welche dem Großkhan
gedient haben. Die Gliederung des Berichts geht aller Wahrscheinlichkeit nach auf einen
Fragenkatalog des Papstes zurück. Wenige Monate nach der Entsendung des Johannes de Plano
Carpini hat der Papst einem russischen Augenzeugen einen ähnlichen Katalog vorgelegt. Die
Fragen stammten größtenteils aus der antiken Ethnographie.
Johannes de Plano Carpini hat die Fragen aufs Notwendigste beantwortet und auch erweitert. Der
Bericht wurde bald danach in die großen Enzyklopädien und Nachschlagewerke aufgenommen.
Salimbene von Parma berichtet, dass Johannes schon auf dem Rückweg überall über seine
Erlebnisse berichten musste. Johannes bestätigt selbst, dass sein noch unfertiger Bericht bereits auf
der Rückreise mehrmals abgeschrieben wurde. Johannes war deutlich bewusst, dass sein Bericht
aufgrund seiner Neuartigkeit schwer zu glauben sein musste. Er schilderte den tatsächlichen
Reiseverlauf und erwähnte immer wieder Christen, welche er auf seiner Reise getroffen hatte.
Damit wollte er beglaubigen, dass er tatsächlich an den Orten gewesen ist. So findet sich auch die
Bitte, dass er von den Lesern nicht als Lügner dargestellt wird. Ganz offensichtlich hat es ihn
derartig beunruhigt, dass er so viel Neues in Erwägung brachte, welches sich nicht bei den antiken
Autoren findet. Außerdem fand er vieles nicht, was von jenen Autoren als gesichertes Wissen galt
(wie z.B. Wundermenschen etc.).
Deshalb befürchtete er zusätzlich, für einen Lügner gehalten zu werden. Dies ist aber bei den
meisten Fernreiseberichten der Fall, weil man nie auf einen antiken Autor, als Autorität, verweisen
konnte. Johannes war keineswegs der einzige Europäer, der sich Mitte des 13. Jahrhunderts ins
Mongolenreich bewegte. So gab es auch zahlreiche Russen und Ungarn, die sich im Mongolenreich
aufhielten, teilweise handelte es sich dabei um Gefangene, die aber aufgrund ihrer technischen
Fähigkeiten als Experten am Hof es Khans dienten. Von diesen Menschen fehlen allerdings eigene
Aufzeichnungen.
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Die diplomatischen Reisen hingegen wurden zumeist von Franziskanern und Dominikanern
geleitet. Die vielen Reisen waren auch mit der Hoffnung verbunden, ein Bündnis mit den Mongolen
gegen den Islam einzugehen. Diese Hoffnung wurde aber enttäuscht. Es gab aber immer wieder
Gerüchte, dass sie dieser oder jener mongolischer Fürst zum Christentum bekehrte, wodurch diese
Hoffnungen immer wieder genährt wurden. Unter den großen Reisenden des 13. Jahrhunderts ist
auch der Dominikaner Andreas von Longjumeau, der im Auftrag des französischen Königs eine
Reise zu den Mongolen unternahm und bis in die Hauptstadt Karakorum vordrang. Dabei handelt es
sich aber um nichts anderes als einen Unterwerfungsbefehl an die Mongolen, welcher ähnlich scharf
beantwortet wurde. Damals war der mongolische Großkhan Mönke verstorben, die Antwort
stammte so von seiner Witwe. Der Bericht des Andreas ist uns nur in der Chronik des Matthaeus
Parisiensis und der Chronik des Vincentius Bellovacensis (Speculum quadruplex) überliefert.
In dieser Enzyklopädie ist der Reisebericht des Johannes aufgenommen, wodurch er auch
Bekanntheit erlangte.
Diese Enzyklopädie stammt von Vinzenz von Beauvais (auch: Vincentius von Bellovacensis), die
den Titel Speculum Quadruplex trägt und ein Spiegel der Welt sein soll. Es gliedert sich in 4 Teile:
• Speculum naturale
• Speculum historiale
• Speculum doctrinale
• Speculum morale
Der Inhalt des gewaltigen Werkes entspricht ca. 16 Bänden im Normalformat. Interessant ist
vor allem das Speculum historiale. Vinzenz ist 1264 gestorben, die letzte Aufnahme von
Material wurde 1253 abgeschlossen. Johannes’ Werk wurde noch aufgenommen, Wilhelm
von Rubruks aber nicht mehr und war deswegen nicht so verbreitet.
4. Einheit am 24.3.
Die Reise Wilhelm von Rubruks zu den Mongolen
Wilhelm von Rubruk war französischer Mönch (1253 mit Empfehlungsschreiben von König
Ludwig zu den Mongolen aufgebrochen, Inhalt des Schreibens ist nicht erhalten), seine
Muttersprache war Flämisch, aber er war auch mit dem Französischen vertraut, er nahm
Mongolischunterricht bei einer Frau des Khans, jedoch reichte seine Kenntnis danach nicht
besonders weit.
Wilhelm hatte halbdiplomatischen Status, der Zweck der Reise war die christlichen Gefangenen der
Mongolen zu betreuen und Mongolen zu bekehren. Wilhelm sollte seine Erlebnisse für den König
aufzeichnen, keine der beiden Aufgaben ist jedoch gelungen (nur 6 Taufen, kein Kontakt zu
Gefangenen), dies ist wahrscheinlich auf den Dolmetscher zurückzuführen, der laut Wilhelm meist
betrunken war.
Kurz vor Wilhelms Abreise nach 2 Jahren bei den Mongolen wurde noch ein religiöses Gespräch
geführt, welches vom Anführer der Mongolen angesetzt war (Buddhisten gegen Christen). Wilhelm
ging auf viele Punkte der Buddhisten nicht ein und führte das Gespräch an die Grenzen zwischen
Christentum und Buddhismus.
Wilhelms Bericht an den König zeigt seine Enttäuschung, er räumt ein, dass der Papst einen Bischof
schicken könnte/sollte, jeder andere Versuch wäre ebenso zwecklos. Von diesem Text sind nur 5
Handschriften erhalten.
Die Härte der Reise wird in dem Text betont – es wird von Gefahren durch geflüchtete Sklaven
berichtet, die nachts rauben und morden. Der mongolische Führer droht, die Gruppe zu verlassen,
sollte diese nicht besser mit der Kälte zurechtkommen. Die Männer leiden Hunger und Durst,
bekommen nur abends eine richtige Mahlzeit, ihnen werden beim Pferdewechsel die schlechtesten
Pferde zugeteilt.
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Die Mongolen sehen es als selbstverständlich an, dass die Gruppe ihnen gewisse Gefallen tut und
Dinge schenkt, sie empfinden dann aber keine Dankbarkeit für diese Gefälligkeiten.
Zur Überlieferung und Bedeutung des Berichtes des Wilhelm von Rubruk
Es sind heute nur noch 5 Handschriften des Reiseberichtes von Wilhelm von Rubruk erhalten, 4
davon befinden sich in England. Warum war dieser Reisebericht so wenig verbreitet?
Man vermutet, aufgrund des Erfolges des Berichts von Johannes de Plano Carpini. Außerdem
wurde der Bericht des Wilhelm nicht in eine Enzyklopädie eingearbeitet, sondern er ist ein
Itinerarium („iter“ = Weg). Es handelt sich dabei um eine Wegbeschreibung des Reiseverlaufs in
chronologischer Reihenfolge aus der Ich-Perspektive, es hat Briefcharakter. Das Werk gliedert sich
in 38 Kapitel und einen Epilog, dabei erzählt Wilhelm dem König, was ihm auf seiner Reise so
zugestoßen ist.
Man findet darin auch eine Fülle von persönlichen Beobachtungen und Bemerkungen (im
Gegensatz zu Johannes’ Bericht)!
Wilhelm von Rubruks Reise dauerte von 1253 bis 1255, er hat dabei ca. 16.000 km zurückgelegt.
Es gibt von seinem Werk einige Übersetzungen:
Friedrich Risch: Wilhelm Rubruk: Reise zu den Mongolen 1253 – 1255. Übersetzung von Friedrich
Risch, Leipzig 1934.
Peter Jackson: The mission of Friar Wilhelm of Rubruk: His journey to the court of the Great Kahn
Möngke 1253 – 1255. Transl. By Peter Jackson. London 1990.
Eine französische Übersetzung stammt von Cl., R. Kappler.
Wilhelm war bereit, bisher Unbekanntes zur Kenntnis zu nehmen und hatte ein außerordentliches
Beobachtungstalent. Man kann ihn als Vorläufer der so genannten „teilnehmenden Beobachtung“
(ein Prinzip der Sozialwissenschaften) bezeichnen. Seine gewonnen Informationen versuchte er in
das Asien-Wissen einzuordnen.
Isidor von Sevilla, ein westgotischer Bischof vor dem Einfall der Mongolen, hatte nämlich bereits
eine Enzyklopädie des antiken Wissens verfasst, darunter auch Informationen über Westasien.
Wilhelm kannte dieses Buch und versuchte, die neuen Erkenntnisse daran anzuknüpfen. Er
versuchte, ein genaues Bild der geographischen Gegebenheiten zu zeichnen und scheute sich auch
nicht, Fakten des antiken Wissens zu widerlegen. Er erkannte als erster, dass das Kaspische Meer
nicht mit dem nördlichen Meer in Verbindung steht, wie beispielsweise die Enzyklopädie Sevillas
behauptet.
Er erkundigte sich auch nach den Monstern und Fabelmenschen, von denen Isidor und Solinus, der
im 3. Jh. n. Chr. einen Auszug aus dem Werk des Plinius gemacht hat, berichten. Die Mongolen
erzählten, dass sie noch nie solche Wesen gesehen hatten und sehr verblüfft waren, ob das den
stimmt, dass man das erzählte.
Das Werk erbrachte auch kulturelle Errungenschaften, zum Beispiel eine Darstellung der
chinesischen Schrift, die man vorher nicht kannte. Wilhelm beschreibt auch den Buddhismus und
versuchte den Schamanismus zu beschreiben, allerdings mit christlichen Termini. Auch
naturhistorisch ist das Werk Rubruks von außerordentlicher Bedeutung.
Seit den Reisen in den 40er und 50er Jahren des 13. Jh. riss der Kontakt zu den Asiaten nie wieder
ab und brachte eine Erweiterung des Horizonts des Abendlandes mit einem Durchbruch an Wissen
mit sich.
Die lateinischen Reiseberichte des Johannes und Wilhelm wurden im Mittelalter jedoch nicht ins
Mittelhochdeutsche übersetzt und existierten nur in Latein. Der Text des Johannes wurde in eine
bedeutende Enzyklopädie aufgenommen und erfuhr eine rege Verbreitung (Speculum Quadruplex).
Aufgrund der Sterbedaten des Verfassers, konnte der Reisebericht von Wilhelm nicht mehr in die
Enzyklopädie aufgenommen werden.
-12-
5. Einheit am 14.4.
Odorico von Pordenone
Odorico von Pordenone (auch: Odoricus de Portu Naonis) stammte aus der Stadt Pordenone, die zu
seiner Zeit unter habsburgischer Herrschaft stand.
Von der lateinischen Fassung in der Sinica Franciscana, gibt es auch eine deutsche Übersetzung:
Die Reise des seligen Odorich von Pordenone nach Indien und China 1314/18 – 1330, Übersetzung
eingel. u. erl. Von Folker Reichert. Heidelberg 1987.
Weitere Informationen finden sich hier:
Folker Reichert: Asien und Europa im Mittelalter. Göttingen 2015
Odorico wurde selig gesprochen, derzeit läuft sogar ein Heiligsprechungsprozess. Wir wissen heute
nicht genau, wann er geboren ist. Er war entweder verhältnismäßig jung oder schon
fortgeschrittenen Alters bei seiner Reise. Er hat einige Zeit als Einsiedler gelebt und ist dann dem
Franziskanerorden beigetreten. 1317 soll er noch in der Heimat gewesen sein. Er ist nicht als
Diplomat gereist, sondern als ganz einfacher Franziskanermönch. Er war nicht allein unterwegs,
spricht aber in seinem Werk nie von seinen Begleitern. Sein Ziel war es, nach Indien zu reisen, um
es zu missionieren. Er reiste nach Bombay. Dort gab es gerade zu dieser Zeit Christenverfolgungen,
wo schon vor der Ankunft Odoricos viele Franziskaner umgekommen waren. Odorico hat
beschlossen, die Gebeine der Verstorbenen mitzunehmen und dann in China zu bestatten. Es gibt
dort heute noch Gräber!
Von Indien weg reiste er nach China in die Hauptstadt Khanbalik (Peking). Dort hat es seit 1308
bereits eine Franziskanergemeinschaft gegeben. Die Franziskaner waren am Hof des Großkahns
sehr angesehen. Es ist nicht bekannt, inwieweit sich Odorico an den Missionen des dortigen
Franziskanerordens beteiligt hat. Er ist von Khanbalik 1329 wieder abgereist und kam 1330 wieder
in seiner norditalienischen Heimat an.
Im Mai 1330 war er in Padua und traf seinen Mitbruder Wilhelm von Solagna. Diesem hat er seine
Erinnerungen diktiert (im Gegensatz zu Wilhelm und Johannes, die ihre Berichte selbst verfasst
haben). Der Bericht Odoricos war in einem sehr anspruchslosen und einfachen Latein verfasst. Erst
später in Frankreich wurde Odoricos Bericht anspruchsvoller gestaltet.
Von Padua hat sich Odorico dann auf den Weg nach Avignon zu Papst Johannes XXII gemacht, um
sich die Erlaubnis für eine zweite Reise nach China zu holen. Er ist aber schwer erkrankt und darauf
verstorben. Sein Grab ist heute noch erhalten. Odorico ist auf seinem prachtvollen
Marmorsarkophag als Mönch in einer Kutte abgebildet, der zu den Völkern Asiens spricht/predigt.
Verschiedene Seiten des Sarkophags zeigen verschiedene Bilder. Odorico berichtete seinen Brüdern
von seiner Zeit in Asien, seine Aussagen wurden von Übersetzern und Redakteuren stark verändert.
Beim Begräbnis soll es einen gewaltigen Tumult gegeben haben: Odorico galt nämlich damals
schon als heilig und jeder wollte ein Stück seiner Kleidung als Andenken haben. Es gibt auch
Berichte darüber und Sammlungen über Wunder, die an seinem Grab geschehen sein sollen. 1755
hat Papst Benedikt XIV Odorico selig gesprochen.
Odorico beschreibt Eigentümlichkeiten der asiatischen Länder welche vorher in der europäischen
Literatur noch nicht erwähnt waren und nur durch tatsächliche Erfahrungen bekannt geworden sein
konnten (z.B. Fischfang mit Vogel, die Lotusfüße der Damen, die Pflanzenwelt und Geografie),
daher sind die Anschuldigungen des Schwindels, die gefallen sind, nichtig.
Dietmar Henze: Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde III (1993), S. 733 ff: Beitrag
über Odorico, Dietmar stellt die Einheitlichkeit seiner Berichte infrage
-13-
Odoricos Beschreibungen sind weitestgehend zuverlässig, das meiste ist stimmig, es lassen sich
aber Einschübe biblischer Art und auch Fabeln und Wundergeschichten finden. Odorico glaubte den
Erzählungen solcher denen er vertraute, da die asiatische Welt so verwunderlich war, dass er die
Linie zwischen Wahrheit und Lüge wohl nicht mehr erkannte, aber auch diese sind von großem
Interesse für Forscher, sein Reisebericht wurde 2 Mal ins Französische und mehrmals ins
Italienische übersetzt.
Überlieferung und Zweifel am Bericht des Odoricos
Die Überlieferung des Reiseberichtes ist noch nicht vollständig erforscht. An einer kritischen
Ausgabe wird derzeit gearbeitet. Die meisten Handschriften überliefern den Text, den Odorico
seinem Mitbruder diktiert hat. Es gibt auch eine deutsche Übersetzung aus dem 14. Jh. von Konrad
Steckel. Im Jahr 1340 hat Heinrich von Glatz den lateinischen Text Solagnas in Prag überarbeitet
und in ein strengeres Latein gebracht. Er hat aber auch einige Kapitel über die Tumulte und die
Wunder an Odoricos Grab angefügt. Auch im so genannten Memoriale Toscano, einer italienischen
Übersetzung des Textes, stehen einige Geschichten, die man bei der Fassung von Solagna nicht
findet. Es gibt auch Aufzeichnungen von Gesprächen zwischen Franziskanermönchen und Odorico,
bei denen er Fragen beantwortet. Es sind spontane und unmittelbare Aufzeichnungen.
Im 18. und 19. Jh. hat man Odorico weitgehend als Lügner angesehen, man behauptete, er hätte
seine Reisen gar nicht unternommen, sondern seine Quellen von woanders haben, wie zum Beispiel
von Marco Polo. Es gibt aber in Odoricos Bericht viele kleine Geschichten, die bei Marco Polo
nicht vorkommen, z.B. Erzählungen über den Fischfang, der vollkommen richtig beschrieben wird,
oder die Verkrüppelung der Füße chinesischer Mädchen.
3 Jahrzehnte nach dem Tod Odoricos wurde sein Bericht in Wien ins Frühneuhochdeutsche
übersetzt, nämlich von Konrad Steckel. Diese Übersetzung war nicht sehr erfolgreich, es sind bis
heute nur vier Handschriften und ein Fragment bekannt. Eine Handschrift befindet sich in
Klosterneuburg, zwei in München und eine Handschrift war im Besitz der Fürstenberger Bibliothek
Donaueschingen, die sich heute in Karlsruhe befindet.
• Die Klosterneuburger Handschrift: enthält neben Odoricos Bericht auch Teile von John
Mandeville und ein kurzes Pilgerbüchlein. Ist eine sehr schöne Handschrift mit Abbildungen
von Odorico. Heute teilweise im Internet einsehbar. Um 1425 entstanden.
• Die ältere Münchener Handschrift: stammt aus Niederösterreich und ist stark auf religiöshistorische Bereiche ausgelegt. Es handelt sich um eine Reimchronik mit Anweisungen für
Glaubensgespräche mit Juden. Erst am Ende befindet sich Odoricos Bericht.
• Die Donaueschinger/Karlsruher Handschrift: ist in schwäbischem Dialekt geschrieben
und enthält eine Weltgeschichte und die Goldene Bulle auf Deutsch. Odoricos Bericht wird
in die Weltgeschichte eingeordnet. Ist 1466 geschrieben worden.
• Die jüngere Münchener Handschrift: ist etwa um 1490 geschrieben worden und dürfte in
Augsburg entstanden sein. Sie enthält eine deutsche Übersetzung des Reiseberichtes von
Marco Polo und auch Berichte von Brandan (ein Reisebericht über eine Meerfahrt), den
Bericht von Mandeville, dann Steckels Übersetzung von Odoricos Reisebericht und
abschließend den Bericht von Hans Schiltbergers Gefangenschaft.
Wie schon erwähnt, gibt es noch keine kritische Ausgabe. Auch Steckel hat mit sehr
einfacher Sprache gearbeitet. Odorico hat Toposwissen besessen, das heißt, er wusste
Sachen, die er von seiner eigenen Kultur und Ausbildung erworben hatte und als
selbstverständlich angesehen werden bzw. sehr prägnant sind.
-14-
Annalia Marchisio: Il volgarizzamento tedesco della „Relatio“ di Odorico da Pordenone e il suo
modello latino. In: Filologia mediolatina 18 (2011), S. 305-358.
Odoricos Vorlage (seine Aufzeichnungen?) ist nicht mehr vorhanden und wird wahrscheinlich nicht
mehr auftauchen.
Odorico war kein gelehrter Mönch, hat zwischen Erfahrungswissen (was er selbst auf Reise erlebt)
und Toposwissen (aus der Antike überliefert und in Europa verbreitet) unterschieden, in seinen
Berichten findet sich keinerlei Überlegenheitsgefühl gegenüber den anderen Völkern. Er hat einiges
weggelassen – zeigt christliche Bescheidenheit von Odorico
Meistens ist die Fortbewegungsart nicht genau genannt, bis auf die Erwähnung der Schifffahrt. In
seinem Bericht gibt es vergleichsweise wenig Info über die Missionierung asiatischer Völkern. In
einer anderer Schrift ist die Rede von 20.000 Missionierungen, wobei dies wahrscheinlich nur
Schätzung sind und als ‚wirklich viele‘ gedeutet werden kann. Eine Beschreibung der
Teufelsaustreibung bei den Mongolen ist im Bericht vorhanden.
Konrad Steckel
Über Steckel ist wenig bekannt da dies seine einzige Nennung ist, nur dass Nähe zum
Franziskanerorden vorhanden gewesen sein muss und er ein gutes Verständnis von Latein gehabt
haben musste. Sein Werk fand keine große Verbreitung (nur 5 Handschriften bekannt).
Textausschnitte1 des Reiseberichtes von Odorico in der Übersetzung Steckels
Konrad Steckel muss eine Vorlage für seine Übersetzung gehabt haben. Er hat sehr präzise auf
Deutsch übersetzt, wenig ausgelassen und hat den Text öfters erweitert (Selbstnennung, Erklärung,
Erzählung). Steckel hat jedoch manches missverstanden.
Text 1 (sinngemäße Übersetzung): Da hat dieses Büchlein Konrad Steckel von Tegernsee (liegt in
Oberbayern) höchstpersönlich in der Stadt Wien in schlechtem, ungereimten und ungeziertem
Deutsch vorgefunden. ... Odoricos Bericht beginnt mit dem Schwur, alles selbst gesehen bzw. von
vertrauenswürdigen Personen gehört zu haben.
Text 2: Ich, Bruder Ulrich von Friaul, der in der Gegend von Pordenone zur Welt kam, ... habe bei
Gott und beim Gehorsam geschworen, dass ich alles deutlich mit meinen Augen gesehen habe oder
gehört von ehrbaren Leuten. ... Auch habe ich manche Dinge weggelassen, die ich mit Sicherheit
wusste, die aber denen, die sie nicht mit eigenen Augen gesehen haben, zu unglaublich erscheinen
würden.
Odoricos Reise war, wie schon erwähnt, eine Missionsreise zur Vermehrung des christlichen
Glaubens. Im Bericht wird aber nicht klar, auf welche Art und Weise er gereist ist. Nur Floskeln wie
„von derselben Stadt kam ich...“ deuteten auf räumliche Entfernungen hin. Nur manchmal wurden
Seewege erwähnt. Die Missionsreise dauerte insgesamt 12 Jahre und Odorico soll dabei 20.000
Menschen zum christlichen Glauben bekehrt haben, was sehr unglaubhaft ist.
Text 3: Es wird von einem Exorzismus bei den Mongolen berichtet. Odorico bezieht sich auf das
nördliche China. Dort treiben die Franziskaner mit Leichtigkeit aus den Besessenen die bösen
Geister, wie einen Hund aus einer Küche. Oft bringt man die Besessenen aus der Ferne zu den
Brüdern, gefesselt und jämmerlich. Sind sie dort, sind die bösen Geister meist gehorsam und fahren
aus. Die Befreiten werden getauft und die Götzen werden ins Feuer geworfen. Die Tartaren schauen
zu und beobachten, wie man ihre Abgötter verbrennt. Und wenn sie die Brüder das erste Mal ins
-151 Die Textausschnitte befinden sich auf moodle.
Feuer werfen, springen die Götzen oft wieder heraus. Besprüht man sie aber vorher mit
Weihwasser, verbrennen sie ruhig und die Geister fahren aus. Wenn die bösen Geister ausfahren in
die Lüfte schreien sie und rufen: Sieh, sieh, ich bin vertrieben aus meiner Herberge und
Wohnung! ... Hintergrundinformationen zu den Glaubensriten der Chinesen werden aber nicht
genannt.
Text 4: Odorico berichtet vom Kloster Quanzhou.
In jener großen Stadt gibt es viele Klöster und heidnische Mönche und ihrem Glauben entsprechend
geistliche Menschen, aber sie sind alle Götzendiener. Ich selbst habe ein solches Kloster von innen
gesehen. Da drinnen waren 3000 geistliche Heiden, die hatten 11.000 Götzen. Der kleinste von
diesen Götzen war so groß, wie wir in Friaul einen Heiligen Christophorus malen! (also sehr
groß!) Und während sie den Göttern Opfer gebracht haben, kam ich und sah es. Sie setzten den
Göttern heiße Speisen vor, dass der Dampf und Dunst den Göttern in die Augen stieg. Das sollte die
Speise der Götter sein. Den Rest der Speisen aßen sie selbst, die sich dadurch rächten, dass sie
schon kalt waren.
Bei diesem Besuch, der keineswegs feindlich ablief, hatte Odorico viel Zeit, die Opferriten zu
beobachten. Die folgende Schilderung über die Begegnung mit dem chinesischen Kaiser soll erst
später eingefügt worden sein. Die Franziskaner hatten Pflichten gegenüber dem Kaiser, sie mussten
ihm huldigen.
Text 5: Als ich, Bruder Ulrich, in Khanbalik war, kam der Kaiser einst daher. Das machte man
allgemein bekannt. Seine geistlichen Leute mussten zu ihm gehen und ihn empfangen und auch
unsere Brüder. Also gingen wir ihm zwei Tage weit entgegen. Als wir so weit entgegengegangen
sind, dass wir ihn sahen, hoben wir unser Kreuz empor. Ich habe das Behältnis mit Weihrauch
getragen. Wir sangen mit lauter Stimme: „Veni, creator spiritus“. Das hörte der Kaiser und befahl,
dass wir zu ihm kommen sollten, wir hatten es nicht gewagt, sich ihm zu nähern. Als wir hinkamen,
nahm er seinen prächtigen Hut ab und verbeugte sich in Demut vor dem Kreuz und ich räucherte
ihn ein. Das nahm er freundlich auf. So ist es bei uns Gewohnheit nach dem alten Sprichwort, das
besagt: „Du sollst vor deinem Herren nicht mit leeren Händen erscheinen“, das der, der zum
Herren will, etwas mitbringen soll. So hatten wir arme Franziskaner nach der Sitte armer Leute
einige Apfel mitgebracht. Die reichten wir ihm in einer schönen Schüssel. Dieselben schnitt man
ihm in Stücke. Da nahm er ein Stück und aß es. Danach segnete ihn unser Bischof. (= der erste
Bischof von Ostasien, Johannes de Montecorvino) Da entließ er uns und gab uns den Auftrag, ins
Kloster zu eilen, damit wir nicht zu Schaden kämen durch seine Begleiter. Da gingen wir und
kamen zu Edelleuten, denen gaben wir auch Apfel. Die nahmen sie gerne an. Dann begaben wir
uns wieder zurück in unser Kloster.
Während Indien als Labyrinth beschrieben wird, wird China als geordnete und freundliche Welt
dargestellt. Die indischen Riten stehen in großem Gegensatz zu den alltäglichen Gebräuchen der
Europäer, zum Beispiel der Kannibalismus. Odorico tadelt den Kannibalismus, zögert aber nicht,
deren Rechtfertigung dazu aufzuschreiben: „Wenn wir sie (die Toten) nicht essen, werden sie von
den Würmern verzehrt, das würde ihrer Seele schaden.“
Odorico schreibt beispielsweise auch einen Bericht über einen Witwenselbstmord in Indien: Wenn
ein Mann stirbt, dann verbrennt man ihn. Hat er aber eine Frau, verbrennt man die Frau mit. Hat
sie aber Kinder, dann kann sie am Leben bleiben. Am Leben zu bleiben schadet aber ihrem
Ansehen.
Im Werk von Henry Yule, Cathay (= Nordchina) and the way Fither (dorthin), aus dem Jahre 1866,
ist auch einen Bericht von Odorico enthalten. Yule hat diesen schon wissenschaftlich analysiert. Die
2. Auflage aus 1913 stammt von H. Cordier. Eine besondere Bedeutung in den Berichten Odoricos
haben die Landesprodukte und die der einzelnen Städte, er führte sie sogar mit Preis an. Die Natur
wird immer unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit beschrieben.
-16-
6. Einheit am 21.4.
Die Vergleiche mit der Heimat Odoricos sagen mehr über den Beobachter als über den Gegenstand
aus.
Text 6: handelt von der Pfeffergewinnung an der Küste
In derselben Gegend gibt es viel Pfeffer und der gedeiht folgendermaßen. Die Bäumlein oder die
Reben werden gepflanzt, die wachsen wie die Weinreben in Friaul, und tragen auch solche Früchte.
Sie bringen so viele Früchte hervor, dass die Reben fast zusammenbrechen. Wenn die Pfefferfrüchte
reif sind, so sind sie grün und werden abgelesen wie der Wein. Danach dörrt man sie in der Sonne
und behält sie. Im selben Wald sind viele fließende Gewässer da befinden sich viele Schlangen und
Tiere, die Krokodile heißen.
Bei der Pfeffergewinnung gibt es viele gefährliche Tiere, die man zuerst vertreiben muss. Wie man
sieht, werden bei solchen Texten oft Vergleiche mit der norditalienischen Heimat herangezogen.
Zum Beispiel die langen, dünnen Bärte der Chinesen werden mit den Tasthaaren der Katzen
verglichen. Die zahmen Elefanten in Indien vergleicht Odorico mit den gehorsamen Ochsen. Oft
zieht er Größenvergleiche der Städte mit bekannten heimischen Städten heran.
Es finden sich bei Odorico viele Geschichten, die sehr unglaubwürdig erscheinen, aber einen
anderen, plausiblen Hintergrund haben. Eine solche Geschichte handelt von einem See, der von den
Tränen Adams und Evas gefüllt werden soll. Die Begründung ist eine unterirdische Quelle, die den
See speist.
Text 7: Es gibt dort eine Insel, die heißt Sistami. Sie ist wohl 200 Meilen groß. Dort gibt es viele
Schlangen und Nattern und anderes Gewürm, das sehr groß ist, und Elefanten. Auf dieser Insel gibt
es ein hohes Gebirge. Man sagt, dort habe Adam seinen Sohn Abel 300 Jahre lang beklagt. In der
Mitte dieses Berges ist ein See, nicht sehr groß, doch beinhaltet er viel Wasser. Man sagt, dieser See
entstand aus den Tränen Adams und Evas, die um ihren Sohn geweint haben, aber das ist
unglaubwürdig. (denn es gibt eine unterirdische Quelle).
Odorico schreibt von einer Geschichte, die ihm erzählt wurde, die er aber nicht ganz glauben
konnte. Er schreibt von einer Pflanze in der ein kleines Tier heranwächst. Odorico distanziert sich
ausdrücklich von dieser Erzählung, jedoch zieht er einen Vergleich zu Bäumen, in denen Vögel
„wachsen“. Ein Beispiel für so eine Missinterpretation ist die Barnikelgans – es wurde Treibholz
mit Muscheln darauf gefunden, es wurde geglaubt dass die Gans in diesen heranwächst.
Weiters gab es Erzählungen von einem Fluss, der aus den Tränen von Adam und Eva entstanden
sein soll, von einem Paradies das auf Erden ist aber nicht betretbar ist, und von einem Menschen der
einen großen Fuß hat und sich selbst damit Schatten bietet.
Text 8: Odorico erzählt kommentarlos die Geschichte „Der Alte vom Berge“, die wahrscheinlich als
wahr akzeptiert wurde. Sie handelt von einem schönen und reichen Land, das von einem Alten
beherrscht wird, dessen Reich von Mauern umgeben ist. In dem Land werden schöne Jungfrauen
erzogen, Rösser gezüchtet und alles Genüssliche auf der Welt befindet sich darin – unter der Erde
laufen Leitungen mit Wein, Honig und Milch. Nur vom Alten Angewiesene dürfen im Tal ein und
aus gehen. Odorico nennt das Land ein Paradies (in der Hochkultur des Iran waren bewässerte
Gärten üblich).
Wenn ein Junge verspricht, stark zu werden, darf er in dem Tal leben. Wenn der Alte einen Feind
loswerden möchte, lässt er einen Jüngling betäuben und außerhalb des Paradieses aussetzen. Dieser
wird dann zu ihm geführt und ihm wird aufgetragen, die Person zu töten, damit er wieder in das
Paradies eintreten darf. So war der Alte immer sicher, bis die Mongolen kamen – da ließ er seine
Mörder hinaus, viele Mongolen starben und das machte sie sehr zornig, die Mongolen belagerten
das Paradies, eroberten es und töteten den Alten, die Burg und die Stadt wurden verwüstet. Diese
Geschichte ist im Mittelalter weit verbreitet, sie wurde schon vor Odorico erwähnt und hat einen
historischen Hintergrund.
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šayḫ al găbal –> se nex de monte –> le viel de la montagne –> Der Alte vom Berge
(Namensherkunft)
Die Geschichte hat sich seit dem 12. Jh. unglaublich weit verbreitet. Bei dieser Geschichte jedoch
hatte Odorico keinerlei Bedenken bezüglich der Glaubwürdigkeit.
Da kam ich in ein Land, das hieß Imlestore, das ist schön und reich. Dort hat der Alte von den
Bergen seinen Sitz. Zwischen zwei Bergen ist ein schönes Tal, in diesem Tal sind die herrlichsten
Quellen und alles, was Freude macht. Und drinnen zieht er schöne Frauen groß und die schönsten
Pferde und alles, was Freude macht. Er hat Einrichtungen (unterirdische Leitungen), in denen
Wein, Honig, Milch und Wasser fließen. (? ein Paradiesgarten!) Dort sind bewährte Dienstleute,
die die Erlaubnis haben aus und ein zu gehen. Der Alte nennt dieses Tal ein Paradies. Wenn der
Alte von den Bergen einen Jungen sieht, der verspricht, kräftig und groß zu werden, nimmt er ihn
mit ins Paradies, dort kann er ein unbeschwertes Leben führen. Und wenn der Alte mit einem
Fürsten in Streit gerät, dann gibt er solchen Jungen Qualm zu trinken (Betäubung!). Man trägt sie
dann außerhalb des Gartens und wenn sie dort erwachen, toben sie und wollen wieder ins
Paradies. Man bringt sie dann zum Alten. Sie verlangen, dass sie wieder zurück dürfen. Der Alte
befiehlt ihnen, den Fürsten zu Tode zu bringen. Wenn sie das schaffen, dürfen sie wieder in das
Paradies. Durch dieses starke Verlangen geleitet führen sie den Auftrag aus. Auf diese Weise hat
der Alte von den Bergen viele Könige und Fürsten töten lassen. Alle Könige fürchteten ihn und
zahlten Tribut, um sicher zu sein. Als aber die Mongolen diese Gebiete bezwangen, kamen sie auch
in sein Land. Der Alte schickte die Jungen aus und diese ermordeten viele Mongolen. Diese wurden
sehr zornig und belagerten seine Stadt, bis es ihnen gelang, sie einzunehmen. Das Paradies wurde
zerstört und der Alte und seine Leute wurden auf schreckliche Weise getötet. Und die Burg und die
Siedlungen wurden verwüstet.
Die Geschichte besteht aus 3 Teilen:
•
•
•
Beschreibung des Paradieses und der Taten
Die Aussage, dass der Alte das lange Zeit gemacht hat
Der historische Teil: Zerstörung durch die Mongolen um 1256
Diese Geschichte findet man 30 Jahre vorher auch bei Marco Polo, aber ein bisschen anders: Er
nannte es Muleete, das „Land der Ungläubigen“ (aus mulhid = arab. Ungläubiger). Bei Odorico gibt
der Alte den Meuchelmördern Rauch zu trinken (Tabak/Haschisch zu rauchen), bei Marco Polo
bekommen sie einen Trank, der sie betäubt. Es ist nicht sicher, ob Odorico sich an die Version
Marco Polos anlehnt oder nicht. Probleme gibt es bei der Bezeichnung „Alter von den Bergen“. Im
Lateinischen heißt er „senex de monte“, also „Alter vom Berg“. Sicher ist: Odorico hat die
Geschichte aber nicht im Iran gehört.
Der historische Hintergrund: Der Perser Hasan e Sabbah kam in den Iran und kaufte eine Burg und
soll dort Meuchelmörder ausgeschickt haben. Er gründete eine Sekte. Auch Mordanschläge auf
christliche Fürsten hat er befohlen, deshalb fürchteten ihn viele. Die Mörder waren dabei immer
verkleidet. In Syrien hat die Sekte dann einen Namen bekommen: „Assassinen“. Das englische
Wort „to assassinate“ leitet sich davon ab. Es wurde aus „hasisiyun“ gebildet, was bedeutet: Leute,
die Haschisch konsumiert hatten. Diese Bezeichnung war immer negativ konnotiert.
Der Bericht Odoricos weist die Struktur eines Itinerariums auf, eine genaue Beschreibung des
Weges. Je entfernter ein Gebiet von Europa ist, desto genauer wird es beschrieben. (Eine
Lektüreempfehlung dazu: Reinhold Jandesek: Das Fremde China; geht sehr quantifizierend vor:
Was sind die Vorlieben Odoricos: Einrichtungen, Gemeinwesen, Organisation... Odorico hob auch
die Ähnlichkeiten mit der Heimat deutlich hervor, nicht nur die Unterschiede!). Der Bericht ist
keine dogmatisch-christliche Dokumentation.
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7. Einheit am 28.4.
Der Alte vom Berge (→ eine Art Märchen eines mächtigen Mannes, der einen Paradiesgarten
anlegt, um junge Menschen zu täuschen; werden mit einem Rauschtrank entfernt und leben in
Sehnsucht nach dem wunderbaren Leben)
Das Ende dieser Geschichte liefert historische Information über ein konkretes politisches Ereignis
(Eroberung des Vorderen Orients durch die Mongolen). Die Burg und das Land wird von den
Mongolen eingenommen und der alte Mann wird umgebracht.
Diese Erzählung ist in vielen Sprachen verbreitet worden und war im Mittelalter sehr bekannt.
Ursprünglich stammt sie wahrscheinlich aus Syrien.
Wer war der Alte vom Berge? Wer waren die Meuchelmörder, die in ermorden sollten?
Wahrscheinlich handelt es sich bei den Meuchelmördern um eine israelitische Sekte: die Ismailiya,
eine Abspaltung der Šica (Nachfolger des Propheten, auch Vorläufer der Shiiten)
Infos zu dieser Sekte:
Ismail ist der rechtmäßige Imam laut den Ismailiya. Die Anhänger traten erst im 10. Jahrhundert in
Tunesien an die Öffentlichkeit. 1078 kam es zu einer weiteren Abspaltung und von den östlichen
Ismailiten wurde Nizar als rechtlicher Nachfolger gesehen (Anhänger waren die Nizariya). Ein
wichtiger Unterstützer dieser Richtung war Hasan-i Sabbah (nahm im Nordiran eine Reihe von
Burgen ein, war der Sitz der neuen abgespaltenen Sekte der Nizariya → Feinde wurden konsequent
durch Meuchelmörder erdolcht).
→ werden in Syrien als Sekte der Assassinen benannt (Wort für „Mord“ noch in vielen romanischen
Sprachen und auch im Englischen)
→ verübten Anschläge auf Kreuzfahrer, den Kalifen von Kairo, etc. → waren berühmt-berüchtigt
(in Europa und im Vorderen Orient)
Der Name der Assassinen wird auch mit Haschisch in Verbindung gebracht (hašiš = getrocknetes
Gras, auch Cannabis; hašašiyin sind Leute, die Haschisch konsumieren) → war aber
möglicherweise auch ein Schimpfwort, für Menschen, die nicht ganz bei sich waren...
Jans (der Jansen) Enikel:
Enikel war ein Wiener Patrizier, der mit dem Abt des Schottenklosters befreundet war, von dem er
Schriften bekam. Jans Enikel schrieb für seine Mitbürger eine Weltchronik, in der auch die
Geschichte „Der Alte vom Berge“ vorkommt (wahrscheinlich 80er Jahre des 13. Jahrhunderts).
Somit war die Geschichte in Europa noch vor Odorico de Pordenone und Marco Polo überliefert.
Wahrscheinlich stammten die Informationen zu dieser Geschichte von Kreuzfahrern und Pilgern,
die im Schottenkloster Station machten. Enikel nimmt auch gleich eine Umdeutung der Geschichte
auf europäische Ereignisse vor:
Der Alte vom Berge war bei Enikel der Kaiser Friedrich II. (der letzte Stauffer-König), welcher
kleine Kinder zu Meuchelmördern herangezogen haben soll, um Feinde zu ermorden. In anderen
Varianten werden aber auch andere europäische Herrscher bezichtigt, mit Syrern zu kooperieren,
um ihre Feinde ermorden zu lassen.
Bernard Lewis: The Assassins – a radical sect in Islam. 1967
(2001 in „Die andere Bibliothek“ auch in deutscher Übersetzung erschienen)
Reinhold Jandesek: Das fremde China. Berichte europäischer Reisender des späten Mittelalters
und der frühen Neuzeit. Pfaffenweiler 1992
→ gibt darin auch viele Grafiken über Schwerpunkte der Berichte. Odorico schrieb über China und
Fernost am Gründlichsten.
-19-
Odorico interessierte sich vor allem für die Religionen und religiösen Sitten, sowie die politischen
Gegebenheiten. Ihm fallen beim Vergleichen eher die Ähnlichkeiten und nicht die Unterschiede der
Lebenseinstellungen auf. Oft wird auch die Überlegenheit der chinesischen Kultur gegenüber der
europäischen herausgestrichen. Die Grundhaltung Odoricos ist zwar christlich, aber nicht
dogmatisch. Sein Bericht ist von bemerkenswerter Klarheit und Unmittelbarkeit und die
Beobachtungen Odoricos erwiesen sich in vielen Fällen als richtig. Es gibt noch viele weitere
Berichte von Diplomaten und Missionaren. Sehr oft sind diese Berichte auch in Briefform gestaltet.
Johannes de (von) Marignola / Giovanni dei Marignolli
Johannes de Marignola war ein Franziskanermönch und entstammte einer florentinischen Familie.
Er war bereits in jungen Jahren Mönch und später auch Lektor in Bologna (wahrscheinlich für
Kirchenrecht).
1338: wurde vom Papst Benedikt XII. beauftragt, eine päpstliche Delegation nach China zu leiten
und die Christen in China zu betreuen. Für diese Mission wurden 32 Personen nach China gesandt
und Johannes war der Leiter dieser Mission. Die Reise dauerte 15 Jahre und man fuhr von Genua
über Konstantinopel ans Schwarze Meer, dann auf dem Land weiter über die Seidenstraße.
19. August 1342: Ankunft in China beim Großkhan, wo Johannes Geschenke überreichte und
ehrenvoll begrüßt und behandelt wurde.
Text 1: beschreibt die Ankunft, bei der Johannes mit einem schönen Kreuz und schön gekleidet vor
den Großkhan tritt, der in einem großartigen Palast residierte. Bei der Begrüßung singen die
Mönche ein Credo. Johannes blieb 3-4 Jahre in China.
Text 2: Johannes will mit seiner Delegation viele Menschen zum Christentum bekehrt haben.
Auf dem Rückweg reiste er über Südindien an den Persischen Golf. Der weitere Rückweg ist
unklar. Johannes wurde später zu einem Bischof ernannt (in Bisignano in Calabrien), es ist aber
unbekannt, ob ein anderes Mitglied der Delegation in China zurückblieb. Der neue Papst war zu
diesem Zeitpunkt schon Innozenz VI.
Letzten Endes wurde Johannes aber von Karl IV. nach Prag geholt und wurde sein Historiograph
und schrieb in dieser Funktion auch die Böhmische Chronik. Er starb wahrscheinlich 1358/59
(Urkunde vom März 1359 verkündet, das man in Bisignano einen neuen Bischof bräuchte).
Johannes de Marignola: Cronica Boemorum ed. J. Emler in: Fontes rerum Bohemicarum 3, Prag
1882, S. 492-604
Die Reiseerfahrungen des Johannes sind in lateinischer Fassung auch bei den Franziskanern
erhalten: Sinica Franciscana 1, S. 524-560 (enthält nur die Passagen der Reise nach Ostasien)
Aufsatz über Johannes de Marignola:
Xenia von Ertzdorff: Et transivi per principaliores mundi provincias. In: Wolfram-Studien XIII
(1994), S. 142-173
Die Böhmische Chronik des Johannes wird von Gelehrten der damaligen Zeit als misslungene
Arbeit gesehen. Die Einteilung in 3 Abschnitte orientiert sich an Kosmas von Prag (1054-1125) und
ist weitgehend einfach abgeschrieben, aber kein eigener Beitrag zur Landesgeschichte. Johannes
Ziel war eher, eine Weltgeschichte zu schafften.
1. Teil: bis zur Sintflut
2. Teil: Geschichte der Menschheit nach der Sintflut (weltliche Herrschaften)
3. Teil: Geschichte der Menschheit nach der Sintflut (geistliche Herrschaften)
-20-
Die Berichte über die Asienreise des Johannes werden unzusammenhängend und assoziativ an
Themen der biblischen Geschichte angehängt. Es entstehen unsystematische Exkurse (v.a. bei der
Frühgeschichte des Menschen in der Bibel in Zusammenhang mit dem Leben im Paradies).
Die Frage nach der Bekleidung der Menschen im Paradies wird z.B. mit eigenen Erlebnissen der
Reise bearbeitet. Nach Ansicht des Johannes sollten die eigenen Betrachtungen verifizierend sein,
weil in Asien noch alles so war, wie es am Anfang geschaffen war und man deswegen Rückschlüsse
auf die Genesis erhalte. Johannes war bewusst, dass diese Exkurse nicht allen Lesern gefallen
würden und schrieb, dass man sie mit einem Messer rasch entfernen könne...
Der größte Teil des Reiseberichts ist im 1. Teil der Chronik zu finden. Das Paradies ist für Johannes
auch Indien und Ceylon (zumindest ist es die Umgebung des Paradieses, die er kennenlernte,
weswegen er sich das Paradies nun mühelos vorstellen könnte).
Text 3: Schließlich gelangten wir mit dem Schiff nach Ceylon, einem ruhmreichen Berg gegenüber
des Paradieses gelegen. Die Einwohner sagten: es seien nur noch 40 italienische Meilen zum
Paradies. Man kann sogar das Rauschen der Wasser die aus dem Paradies entspringen, noch
hören.
Johannes legte sich selbst den Titel als päpstlicher Legat bis in die Nähe des Paradieses zu. In
seinen Exkursen gibt er eine ausführliche Beschreibung der Gewässer, die aus dem Paradies
entspringen und die wichtigen Ströme dieser Erde sind:
Gyon (umfließt Äthiopien und fließt als Nil weiter durch Ägypten ins Mittelmeer)
Physon (Kombination aus Ganges und Yang-Tse-Kiang – nicht geografisch nachvollziehbar)
Euphrat
Tigris (diese beiden Flüsse besuchte er selbst, die Beschreibung stimmt demnach ungefähr)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schilderung der Flüsse wirklich sehr konfus und
seltsam ist.
Richard Hennig: Terrae incognitae.
Hennig forschte in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts über unbekannte Gebiete der Erde und ihre
allmähliche Entdeckungen und gibt viele Textbeispiele. Durch die neuere Forschung häufig schon
überholt. Hennig schreibt über Johannes, dass dieser konfuse Vorstellungen gehabt habe, und
erwähnt seine lebhafte und kritiklose Phantasie.
Text 4: Johannes dürfte auch über ein übertriebenes Selbstbewusstsein verfügt haben und stellt sich
über Alexander den Großen, als er in Indien war. Auch deswegen, also nicht nur wegen seiner
konfusen Vorstellungen über die Welt und das Paradies und den Glauben, brachte er die Kritiker
gegen sich auf. Seine Beschreibungen sind christliche Interpretationen des Gesehenen und Erlebten.
Ein Beispiel dafür ist ein Volksfest, das Johannes in China erlebt. Wahrscheinlich in Hanshou
erlebte Johannes ein Volksfest mit (wahrscheinlich wurde am 2.2.1346 chinesisches Neujahr
gefeiert) und dort sah er das Standbild einer Jungfrau, und glaubte, dass das Fest für die Jungfrau
Maria gefeiert wurde. Es war aber das traditionelle Laternenfest zum Neujahr und die Statue war
nicht Maria, sondern die Göttin der Barmherzigkeit im buddhistischen Glauben. Die
Reiseerfahrungen des Johannes werden in rationale Zusammenhänge gestellt und Bibelstellen sind
nicht nur der Ausgangspunkt und Anlass für eigene Reiseerfahrungen, sondern die
Reiseerfahrungen dienen bei ihm zur Interpretation der Bibel. Ein weiteres Beispiel dafür ist, dass
er sich gegen die Annahme wendet, dass sich Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies
mit Fellen bekleidet hätten. Er beweist dies mit den Bewohnern der Gebiete in Ceylon, die sich
immer noch in Gewändern aus pflanzlichen Fasern kleiden und er bringt auch Kleidungsstück nach
Florenz mit. Johannes schwankt somit zwischen rationaler Nüchternheit und phantasievollen
Vorstellungen.
-21-
Text 5: Wilhelm von Rubruk erkundigt sich nach den Fabelwesen am Mongolenhof, die nie jemand
selbst gesehen hätte. Wilhelm bezweifelt die Richtigkeit der Annahme.
Text 6: Johannes tritt entschieden gegen die Annahme der Existenz von Fabelwesen auf. Auch
Augustinus lehnte Fabelwesen ab. Johannes unterscheidet zwischen Fabelwesen und Missgeburten
(diese hat er sowohl in Italien, als auch Böhmen gesehen – diese seien aber Einzelfälle und keine
Beweise für die Existenz von Fabelwesens). Er beteuert, trotz ständiger Suche auf seiner Reise,
keine Fabelwesen gefunden zu haben.
Johannes beschreibt in seinem Bericht auch immer wieder die mirabilia mundi = alles Erstaunliche,
das sich in der Welt befindet (war im Mittelalter eine eigene Textsorte).
Text 7: Existenz der Skiapoden
Handelt davon, dass alle Inder nackt herumgehen und deswegen einen Schirm mit sich in der Hand
tragen (dieser heißt chattir). Sie spannen ihn gegen Sonne und Regen auf und dieser Schirm wird
von Dichtern zum „Fuß“ umgestaltet – wodurch der Irrglaube um die Skiapoden entstanden sein
muss.
Skiapoden: skia, gr. = Schatten; Skiapoden waren sog. Schattenfüßler und sind ein Volk der
Fabelmenschen, das seit der Antike in Indien vermutet wird. Sie spenden sich bei Hitze mit ihrem
großen Fuß selbst Schatten.
Johannes widerlegt die Annahme, dass diese Menschen in Indien existierten. Ihre Füße seien in
Wahrheit nur die Schirme. Als weiteren Wahrheitsbeweis bringt er einen Schirm nach Florenz mit.
Text 8: Existenz von Riesen
Johannes berichtet, dass er in Indien einem Riesen begegnet sei, dem er mit dem Kopf gerade bis
zum Gürtel reichte. Dieser Riese war von fürchterlich hässlicher Gestalt, stank und war ein
Waldmensch. Die Riesen in Indien sind nackt und behaart und lassen sich bei Menschen
normalerweise nicht finden. Sie verstecken sich vor den Menschen und sammeln und bauen
Pflanzen an, mit denen sie auch Handel treiben. Zu diesem Zwecke legen sie Produkte auf die
Wege, verbergen sich wieder im Wald und nehmen dann das hinterlegte Geld der Käufer entgegen.
Johannes beschreibt somit eine Form des Silent Trade.
Riesenhafte Waldmenschen werden von Fabelwesen der antiken Tradition unterschieden. Die
indischen riesenhaften Waldmenschen leben zwar ausserhalb der menschlichen Gemeinschaft und
vermeiden Kontakt zu dieser, sie sind hässlich und stinken, üben aber menschliche Tätigkeiten aus
(säen, sammeln, tauschen...).
Die Bibel bleibt für Johannes die absolute Autorität und in Zweifelsfällen wird die Aussage der
Bibel über die eigenen Erfahrungen gestellt. Ein Beispiel dafür ist die Besichtigung des Hauses
Adams auf Ceylon:
Johannes besichtigte das Haus Adams, weil dort die Sintflut nicht hingekommen sei, aber er
zweifelt dies an, weil es gegen die Aussage der Bibel sei (wo ja alles Menschliche, bis auf die
Arche, zerstört worden sei). Bei ihm stehen überliefertes Wissen und empirische Erkenntnis nicht
gegeneinander, sondern wären miteinander zu verbinden und kompatibel.
Johannes war einer der letzten namentlich bekannten Missionare in China während des Mittelalters.
Im späteren 14. Jahrhundert flauten die Kontakte zwischen Europa und Fernost wieder ab, wovon
nicht nur die Missionierungen betroffen waren, sondern auch die Handelsbeziehungen.
Möglicherweise spielte die Pest dabei eine Rolle, die sich über Asien nach Europa ausbreitete.
Johannes war der letzte nachgewiesene Missionar in China. Er erlebte den Wechsel von der
mongolischen Herrschaft zur Mingdynastie 1386 mit und wurde vom Mingkaiser noch persönlich
verabschiedet (= aufgefordert, das Land zu verlassen). Die Mingdynastie war sehr nationalistisch
und lehnte alles Fremde ab.
-22-
Die franziskanische Chinamission des Mittelalters geht damit auch zu Ende und es ist nicht
bekannt, ob die Franziskaner die Kirchen in China überhaupt jemals erreichten. Erst zu Beginn des
17. Jahrhunderts starteten die Jesuiten eine neue Phase der Chinamission, worüber es aber nur sehr
wenige erhaltene Aufzeichnungen gibt.
8. Einheit am 5.5.
5) Führer für Kaufleute
Im China der Yuang-Dynastie gab es ein enges Verhältnis zwischen Missionaren und Kaufleuten, da
diese in der Fremde wohl aufeinander angewiesen waren. Die Kaufleute stifteten Grundstücke für
Kirchenbauten in China und die Geistlichen fungierten als Notare bei Geschäftsabschlüssen.
Es gibt keinen einzigen Bericht über eine reine Kaufmannsreise nach Ostasien. Wahrscheinlich auch
deswegen, weil über Geschäfte natürlich weniger gesprochen, und schon gar nicht geschrieben,
wurde und man das Handelsgeheimnis wahren wollte. Die Geschäfte mit Ostasien waren
risikoreich, da der Besitz beim Versterben innerhalb der Mongolei wieder an den Khan zurückfiel.
Gleichzeitig es gab aber auch die Möglichkeit zu beträchtlichen Gewinnen, was viele Kaufleute zu
solchen Geschäften verlockte.
1291 unternahmen die Brüder Vivaldi aus Genua den ersten Versuch Indien auf dem westlichen
Seeweg zu erreichen. Der Versuch wurde allerdings verheimlicht, um Konkurrenten auf falsche
Fährten zu locken, weshalb man nur sehr wenig über diese Reise weiß. Es gibt einige Handbücher
für Kaufleute als Reiseführer, aber nur wenige sind erhalten und sie waren damals auch gering
verbreitet.
Francesco Balducci Pegolotti
Der berühmteste Handelsführer war in florentinischer Sprache verfasst und sehr praktisch
ausgerichtet. Er stammte von Francesco Balducci Pegolotti: prattica della mercatura
(Handelspraxis) aus dem Jahre 1340.
Pegolotti behandelt die Produkte und Währungen der einzelnen Länder, gibt auch Informationen
über die Handelsformen und Handelsorte (vom Mittelmeerraum bis China), die Entfernungen
zwischen Etappen werden angegeben, ebenso eine Menge praktischer Hinweise (empfiehlt einen
Dolmetscher, schreibt aber zusätzlich ein mehrsprachiges Glossar).
Dieser Führer für Kaufleute ist nur in einer einzigen Abschrift erhalten, welche sich bis heute in
Florenz befindet. Der Führer war also kein Buch für den allgemeinen Gebrauch und sollte die
größere Öffentlichkeit nicht erreichen. Wahrscheinlich war er maßgeblich für spätere ähnliche
Handelsbücher.
Eine Übersetzung ins Deutsche ist nicht überliefert. Das war aber auch nicht notwendig, weil der
Asienhandel ausschließlich in italienischer Hand war und die Produkte anschließend über die Alpen
nach Norden transportiert wurden. In Norddeutschland entstanden ebenfalls vereinzelte
Handelstexte, z.B. im 15. Jahrhundert in Hamburg. Dabei handelt es sich um ein Seebuch in
mittelniederdeutscher Sprache, in dem nordeuropäische Küsten und Seewege von der Ostsee bis
Gibraltar beschrieben wurden. Dieses Buch wurde, im Gegensatz zu Pegolotti, oft abgeschrieben
und war weit verbreitet.
-23-
6) Berichte von Forschern und Abenteurern
Marco Polo
Marco Polo (1254-1324) entstammte einer venezianischen Handelsfamilie. Sein Vater Nicolò und
sein Onkel Maffeo unternahmen bereits vor der Geburt Marcos Reisen an die Krim. Kurz nach der
Geburt Marcos gab es eine große Ostasienreise der beiden (1255-69), bei der sie bis zum Großkhan
der Mongolen gelangten. Sie kehrten 1269 mit großem Gewinn nach Venedig zurück und brachten
auch einen Brief des Großkhans an den Papst mit, in dem der Khan um die Entsendung von 100
christlichen Gelehrten an seinen Hof bittet.
1271 wird Gregor der X. als neuer Papst gewählt. Er gibt nur 2 Dominikanermönche nach Ostasien
mit, z.B. Wilhelm von Thyrus. Diese bleiben aber in Kleinasien und kehren ins Heilige Land
zurück. Die große gemeinsame Reise von Marco mit seinem Vater und Onkel von 1271-1295 findet
also ohne den erwarteten geistlichen Beistand statt.
Die Reiseroute unterschied sich bei der Hin- und Rückreise. Die Hinreise wurde auf den
Karawanenwegen der Seidenstraße gemacht, während die Rückreise auf dem Seeweg stattfand und
einen längeren Aufenthalt in Sri Lanka mit sich brachte.
Die Reiseroute kann auf moodle nachgelesen werden.
1. Teil der Reise.
1271: Aufbruch aus dem Heiligen Land
1275: Ankunft beim Großkhan
Nicolò und Maffeo trieben Handel, der junge Marco Polo trat aber in den Dienst des Großkhans und
wurde wahrscheinlich zu einem wichtigen höfischen Berater. Die Position als Berater war typisch
für ein Staatswesen, wo die Herrscher wichtige Verwaltungsposten mit Nicht-Mongolen besetzt
hatten. Seine genaue Funktion ist nicht nachweisbar, da er in Urkunden der Mongolen nicht erwähnt
wird. Laut Eigendefinition dürfte er aber Statthalter einer Provinz gewesen sein und bereist im
Auftrag des Großkhans verschiedene Provinzen des Reiches, um diesem Informationen zu geben.
Sein Werk ist durch eine Fülle von Eindrücken gekennzeichnet und er stand dem mongolischen Hof
näher als der chinesischen Bevölkerung. Man nimmt an, dass er wohl Mongolisch, aber nicht
Chinesisch sprach. Man kann feststellen, dass er die mongolische Sicht auf China übernimmt und es
gibt Indizien, dass er niemals in China gewesen sein könnte. Es ist bemerkenswert, dass er den Tee
mit keinem einzigen Wort erwähnt, auch nicht die Chinesische Mauer oder die chinesische Schrift
und die gebundenen Füße der Frauen. Somit fließen wesentliche Elemente der chinesischen Kultur
nicht in seinen Reisebericht ein.
Diese Nicht-Erwähnungen von kulturellen Erscheinungen, führten in der Forschung oftmals zu der
Frage, ob Marco Polo überhaupt in China gewesen sei. Es gibt auch Annahmen, dass Marco Polo
seine Reisebeobachtungen lediglich aus anderen Führern entnommen habe.
Herbert Franke: intensive Beschäftigung mit den Nicht-Erwähnungen → Marco Polo benützte vor
allem Kaufführer aus der persischen und arabischen Kultur? (aber es gibt keine erhaltenen Führer
aus der Zeit vor Marco Polo)
Frances Wood: Did Marco Polo go to China? (1995) / deutsche Ausgabe: Marco Polo kam nicht bis
China (1996) → weist auf die Nicht-Erwähnungen hin; Marco Polo kann in chinesischen Quellen
nicht gefunden werden; hohe Funktionen können also auf jeden Fall nicht angenommen werden;
Marco Polo verwendet viele chinesische Namen in persischer Form in seinem Buch; gibt
Übereinstimmungen zwischen arabischen / persischen und der Werke Marco Polos (die persischen
Berichte erschienen aber nach Marco Polo, z.B. Ibn Battuta, 1335 → gab es vielleicht eine
gemeinsame Quelle, aus der beiden schöpften?) → THESE: Marco Polo war nur bis zum
Schwarzen Meer gekommen und sammelte dort die Informationen über China
-24-
Dietmar Henze: Enzyklopädie der Entdecker und Forscher der Erde. Bd. 4, Graz 2000, S. 377
über Marco Polo: ganze lange vorgegebene Reise ist ein blankes Fabelstück – kolossalster
Schwindel der Entdeckungsgeschichte
Ugo Tucci (1997): bespricht Arbeit von Frances Wood → weist darauf hin, dass das Buch MP keine
systematische Enzyklopädie sein wollte, sondern er nur aus 1000en Eindrücken wiedergab, was er
selbst berichten wollte; → verweist auf die unzähligen neuartigen und richtigen Informationen, die
er gibt; das Buch ist zu komplex und inhaltsreich, weshalb man ihm Auslassungen nicht vorwerfen
könne...
Jean Pierre Voiret: weist darauf hin, dass die großen Zentral- und Ostasienkenner bis zum 20.
Jahrhunderts nicht an der Echtheit der Reiseerfahrungen gezweifelt hätten... → aufgrund der
ausführlichen und detaillierten Chinabeschreibung (Straßenbau, Postwesen, Kalender, Feuerwehr,
sprachliche Verhältnisse in den Provinzen, Sitten etc.): woher hätte Marco Polo all das wissen
sollen? (z.B. das Ausstopfen bestimmter Affen auf Sumatra, die man Touristen als Zwerge verkauft)
Stephen Haw: Marco Polo´s China (2006)
bezweifelt, dass dieser Bericht erfunden sein könnte, ohne dass ihm dabei schwere und schwerste
Fehler unterlaufen seien
Hans Ulrich Vogel: Marco Polo was in China. Leiden / Boston 2013
→ gibt neue Beweise über Währungen, Salzsteuer, Salzwesen und des Steuerwesens
arbeitete mit vielen chinesischen Quellen, aber auch mit mittelalterlichen Marco Polo Texten
verschiedener europäischer Sprachen; → Informationen über Geldwesen und Wirtschaft stimmen
sehr genau mit der Realität aus den Quellen überein (die damals nicht öffentlich waren und sonst
nicht erwähnt wurden – z.B. Beschreibung des Papiergeldes);
Die Schilderung der Reise in die südlichen Grenzgebiete des chinesischen Reiches sei sehr stimmig
und informativ und müsse selbst unternommen worden sein. Vogel lobt die überraschende Präzision
der Beschreibungen, die durch Informationen anderer nicht erreicht werden kann. Er schließt
daraus, dass Marco Polo über Insiderkenntnisse verfügt haben muss und möglicherweise in seiner
Funktion am Hof sogar mit der Steuer beschäftigt gewesen war.
Bei der Rückreise über den Seeweg wird der Kompass nicht erwähnt, die Sterne für die Navigation
hingegen aber schon (Polarstern und Großen Bär). Marco Polo erwähnt, dass in Sumatra weder der
Polarstern, noch der Große Bär zu sehen gewesen sein, auf der Südspitze Indiens aber wiederum
schon (entspricht der Wahrheit, weil Sumatra am Äquator liegt).
Bestätigung der Echtheit des Reiseberichtes des Marco Polo
Petrus von Abano / Pietro d´Abano (ca. 1257-1316) war ein Zeitgenosse Marco Polos und als
Arzt in Padua tätig. Er beschäftigte sich auch mit Philosophie und besuchte Marco Polo in Venedig
und befragte ihn zu seinen Erfahrungen in Asien. Er schrieb ein Werk über diese Gespräche.
Marcus Venetus erzählte ihm von einem „sackförmigen, großen, schwach leuchtenden Stern“, den
man nur südlich des Äquators sehen könne. In seinem Buch gibt es auch eine Illustration dazu, bei
der der Stern einen langen Schweif gehabt haben soll. Man geht davon aus, dass es die
Magellanschen Wolken waren, die man nur südlich des Äquators sehen kann.
Marco Polo kam offenbar nicht bis nach Japan, obwohl es ein Japan-Kapitel in seinem Bericht gibt.
In diesem finden sich aber viele Fehler und Marco Polo behauptet auch nicht, selbst dort gewesen
zu sein. Trotzdem ist Marco Polo der einzige, der von den japanischen Inseln überhaupt berichtet.
1291 verlassen die Polos den mongolischen Hof, was auch in einer chinesischen Quelle vermerkt
wird, da die Polos eine chinesische Prinzessin zwecks Eheschließung mit dem Schiff zu einem
persischen Herrscher bringen sollten. Marco Polo war aber nicht der Leiter dieser Mission, sondern
nahm nur an der Reise teil. Der Bräutigam war bei der Ankunft der Prinzessin allerdings schon
verstorben. Dokumentiert ist aber die Übergabe der Prinzessin an den Sohn des Bräutigams.
-25-
Nach der Übergabe der Prinzessin im Iran erfolgt die Rückkehr über Kleinasien nach Venedig, wo
sie schließlich 1295 ankommen.
Entstehung des Berichtes
Bei der Seeschlacht von Curzola zwischen Venedig und Genua vor der dalmatinischen Küste
(8.9.1298) wird Marco Polo gefangen genommen. Er gelangt nach Genua und bleibt dort zumindest
einen Winter lang als Gefangener. Dort entsteht der Bericht über die Reise.
Rustichello da Pisa war ein Mitgefangener und arbeitete mit Marco Polo an dem Buch. Rustichello
war aber schon viel länger ein Gefangener der Genoveser, (seit 1284: Battaglia della Meloria,
Seeschlacht zwischen Pisa und Genua) und soll während seiner langen Gefangenschaft einiges auf
Auftrag Marco Polos aufgeschrieben haben (siehe moodle).
retraire: mit Worten darlegen, erzählen, erklären, schildern... (altfranzösisch, Rustichello zeichnet
die Geschichte MP 1298 auf)
Der Reisebericht des Marco Polo ist somit kein selbst verfasster und aufgezeichneter Bericht und
Rustichello griff auch in die Gestalt des Textes ein. Rustichello hatte bereits einen Ritterroman in
altfranzösischer Sprache verfasst, bevor er gefangen genommen wurde (Meliadus), in dem er eine
Vorliebe für abenteuerliche Stoffe zeigte. Als Autor war er mit dem Wortschatz und der Stilistik des
höfischen Romans vertraut. Dadurch hebt sich das Werk von den nüchternen Reiseberichten ab, die
sonst verfasst wurden. Möglicherweise war das Buch auch deswegen so erfolgreich, weil es
literarisch interessanter gestaltet war. Über die Zusammenarbeit Rustichellos und Marco Polos gibt
es nur Spekulationen. Dass er seine Hilfe in Anspruch genommen habe, gilt aber als gesichert.
Die Sprachform des Berichts ist frankoitalienisch (francese die Lombardia), was eine
Literatursprache im 13. Jahrhundert war. Frankoitalienisch ist eine Form des Französischen, die mit
Italianismen durchsetzt war. Es gibt eine Reihe von Romanen und epischen Werken im 13.
Jahrhundert im Nordwesten Italiens, die in dieser Sprache verfasst wurden. Es gilt als
unwahrscheinlich, dass der Reisebericht ursprünglich im Dialekt von Venedig, also Marco Polos
eigener Sprache, verfasst worden war.
Gab es Notizen bei / vor der Niederschrift? Kann sich Marco Polo alles so gut gemerkt haben
(Namen, Entfernungen, Einwohner, Produkte...)? Aber: nimmt man als Kämpfer einer Seeschlacht
seine Notizen mit? Ließ er sich diese möglicherweise nachschicken?
Es gibt einige chronologische Fehler im Buch und eine kleine Anzahl von falschen Angaben (v.a.
topographischer Natur). Aber bis heute konnten keine Aufzeichnungen gefunden werden und es gibt
auch keine Hinweise darauf.
Rustichellos Anteile am Text sind zweifellos die Entscheidung für das Frankoitalienische (schon
Meliadus war in dieser Sprachform geschrieben), die Wahl für die Prosaform (der Vers galt damals
bereits als Merkmal für etwas Fiktives), dass als Vorbild des höfischen Lebens in der Mongolei das
Ideal des höfischen Lebens aus dem höfischen Roman entnommen wurde (z.B. Empfang am Hof
des Großkhans, Ansprache der Machthabers, Schlachtenszenen nach altfranz. Vorbild), und
teilweise wörtliche Übereinstimmungen zwischen dem Meliadus und dem Bericht des Marco Polos.
Der Bericht ist in die 1. und 2. Reise, den Aufenthalt und die Rückkehr nach Venedig gegliedert.
Die Gliederung entspricht somit dem doppelten Kursus des Artusromans (Ausfahrt, Krise, 2.
Ausfahrt mit Aventiure, Lösung). Das Buch ist somit an den Grundtyp des höfischen Romans
angelehnt (1. Reise betrifft aber nur Vater und Onkel). Manche Passagen dürften auch von
Rustichello eingefügt worden sein, um das Buch spannender zu machen. Eine Endrevision des
Buches dürfte nicht durchgeführt worden sein, da mehrere Nachträge dazugestellt worden sind, die
aber nicht eingearbeitet wurden. Weiters gibt es auch einen Wechsel in der Erzählperspektive und
das Buch bricht sehr plötzlich ab.
-26-
9. Einheit am 12.5.15
Marco Polo
Abrupter Abbruch des Buches. Ablauf ist nicht nicht leicht in eine Grobgliederung zu bringen.
Philippe Ménard schlug Dreiteilung vor:




Prolog: Kapitel 1-18, Schilderung der ersten und zweiten Reise der Brüder
1. Teil: „Reise“ nach China, Kapitel 19-74
2. Teil: Der Großkhan und seine Taten, Kapitel 75-156
3. Teil: „Reisen“ im Fernen Osten und „Rückkehr“ nach Europa, Kapitel 157-234
Der Reisebericht des Marco Polo hat keine Itinerarstruktur, diese kommt nur im Prolog vor. Der
Hauptteil des Buches besteht aus geografisch-historiographischen Schilderungen. Die Reihenfolge
entspricht im weitesten Sinn dem Hinweg über Zentralasien und dem Rückweg auf See. Andere
Gebiete wie Afrika,… kommen auch vor.
Marco Polo will eine Beschreibung der unbekannten Teile der Welt geben.
Verschiedene Namen des Reiseberichtes werden angegeben:
•
•
„Divisament dou Monde“ (nur eine Handschrift; diviser=schildern); frankoitalienisch
Il Milione (Marco Polo wurde Il Milione genannt → Übertragung auf das Buch; Milione
wurde in der Toskana mit „Aufschneiden, Übertreiben“ verbunden; oder von „Emilione“
(Beiname der Fam. Polo))
Zeugnis für die Zweifel der Zeitgenossen über seinen Bericht
Iacopo d’Aqcui: Chronicon imaginis mundi (1328-1334)
Er berichtet darin, dass die Freunde Marco Polo am Totenbett bedrängt haben sollen, alles, was
nicht stimme, aus seinem Buch zu tilgen. Marco Polo ist sich keiner Schuld bewusst. Er meint, er
hat nur einen Bruchteil von dem aufgeschrieben, was er erlebt hat.
Auch bei Marco Polo spielt die Betonung der Echtheit eine wichtige Rolle. Im Prolog gibt es viele
Wahrheitsbeteuerungen. Dabei wird Marco Polo in der dritten Person erwähnt. Einiges hat er nicht
gesehen, aber von vertrauenswürdigen Leuten erfahren. Die Trennung von Beobachtungswissen und
erzähltesm Wissen ist sehr klar.
Mögliche Überforderung des Publikums: Überschreitung des geografischen Wissens, Integration
eines Europäers in eine ganz unbekannte Kultur. Der Bericht war seiner Zeit weit voraus.
Aurel Stein (Asienforscher) schreibt zusammenfassend: der Bericht ist eine tolle Vorwegnahme
eines neuzeitlichen modernen Berichtes.
Überlieferung des Reiseberichtes
Laut Reichert handelt es sich um ein Lehrstück für die verworrene Überlieferung eines
Reiseberichtes, da die Überlieferungssituation sehr kompliziert ist.
Warum so schwierig? Die genauen Daten zur Überlieferungssituation muss man nicht zur Prüfung
können, allerdings sollte man wissen, dass die deutschen Überlieferungen über mindestens 3 Ecken
entstanden sind und sich somit nicht nur auf das Original beziehen und deswegen oft auch viel
anderes dabei ist. Wichtig zu wissen ist, dass das Original im Frankoitalienischen steht und von
Rustichello da Pisa literarisch verfasst wurde.
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•
•
•
•
•
Ca. 150 Marco Polo Handschriften aus dem Mittelalter, diese sind verschiedenen
Rezensionen zuzuordnen, die sich sehr unterscheiden
Eine kritische Rezension, die alles umfasst ist wahrscheinlich nicht möglich
Bedeutendster Marco Polo Forscher: Luigi Foscolo Benedetto. Es gibt von seinem Buch nur
600 Ausgaben (in Ö nur in der Nationalbibliothek). Er gibt die Fassung F wieder. Davon
gibt es eine dt. Übersetzung von Guignard (mit Einschüben aus der Fassung Z).
BnF ms. fr. 1116: Handschrift ist bereits 1316 entstanden. Viele Fehler enthalten, trotzdem
steht sie dem Original näher. Luigi Benedetto wollte die Fehler etwas ausbessern. Fassung F
hat einige Zusatzkapitel.
Die frankoitalienische und französische Fassungen sind am Besten.
Überblick einiger wichtige Fassungen
Handschrift Z „Zeladafassung“:
Lat. Übersetzung, sehr früh, nach dem Kardinal Zelada benannt. Enthält einige Kapitel, die in der
frankoitaliensichen Fassung nicht enthalten sind, die aber aus erster Hand stammen. Hat aber keine
Wirkung gehabt und ist ins Abseits geraten. Hatte nur Auswirkungen auf Ramusio, der ein Sammler
von Reiseberichten aus dem 16. Jh. war, die er in einem dreibändigen Werk herausgegeben hat.
Darin ist auch der Reisebericht des Marco Polo enthalten.
Fassung FG „Gregoirefassung“
Dabei handelt es sich um eine französische Fassung. Sie stellt den aktuellen Stand der Marco PoloForschung dar. Ist enthalten in einer Ausgaben von Philippe Ménard. Die altfranzösische Version ist
sehr elegant und makellos. Man weiß, wie die Übersetzung zustande gekommen ist. Das Buch
wurde direkt von Marco Polo im hohen franz. Adel verbreitet.
Toskanische Fassung: (F2)
Aus der 1. Hälfte des 14. Jh. Hat große Verbreitung in der Toskana, vor allem bei Kaufleuten,
gefunden. In dieser Fassung findet man zum ersten Mal die Bezeichnung Milione.
Die venezianische Übersetzung ist nur in einigen wenigen Handschriften erhalten.
Fassung P:
Dabei handelt es sich um eine sehr wichtige Fassung eines Dominikanermönchs aus Bologna, der
vermutlich Kontakt zu Marco Polo hatte. Pipino hat das Buch sehr bald ins Lateinische übersetzt.
Diese Version wurde von den ganzen Gelehrten, Gebildeten und Klerikern gelesen. Es handelt sich
um eine kürzende, straffende Version mit teilweise abwertenden Kommentaren über die anderen
Kulturen, mit einem klaren klerikalen Einschlag. Ist in 59 Handschriften überliefert und somit die
am meisten verbreitete Fassung. Sie war auch die Ausgangsfassung von verschiedenen
volkssprachlichen Übersetzungen und ist früh gedruckt worden. Bis heute gibt es keine kritische
Ausgabe dieser Fassung.
Nicht nur Marco Polo, sondern auch sein Vater und sein Onkel haben wahrscheinlich verschiedene
Fragen beantwortet. Dadurch sind verschiedene Versionen entstanden.
Die Übersetzer haben sich bemüht, das Verständnis der fremden Welt zu erleichtern. Die
lateinischen Fassungen waren die, die vom Klerus und von den Gelehrten in ganz Europa gelesen
worden sind. Auch Kolumbus hatte ein Exemplar der Pipinofassung.
Die altfranz. Version war für höchst anspruchsvolle Leser gedacht.
Das Buch konnte unter ganz verschiedenen Aspekten gelesen werden. (Weltkunde, Geografisches
Handbuch, Roman, …). Diese spiegeln sich im heutigen Zugang wider.
Die mitteldeutsche Fassung wurde nach der Admonter Handschrift erstellt.
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Die deutschsprachigen Marco Polo Übersetzungen aus dem Mittelalter
Deutsche Marco Polo Übersetzungen sind sehr wenig vertreten, im Vergleich zu den anderen.
Warum ist dem so?
• Laienpublikum war besonders konservativ
• Ablehnung gegen das neue und Fremde (glaubt Hellmuth nicht)
• Eher: Konkurrenz von Jehan de Mandeville (Reisebuch); ist selbst nicht gereist, hat
zusammengefasst. Gewaltiger Erfolg, viel spektakulärer als der Bericht von Marco Polo
• Übersetzungen waren nicht gut, da schon die Vorlagen dazu nicht gut gewesen waren
Die lateinischen Übersetzungen haben im deutschsprachigen Raum allerdings großen Anklang
gefunden.
Mitteldeutsche Übersetzung:
Nur in Admont vorhanden. Ist zweispaltig geschrieben. Ist eine Abschrift der Übersetzung. Sprache
ist Ost-mitteldeutsch (Obersächsisch, Thüringisch). Diese Handschrift enthält viele Fehler. Die
Abschrift ist ca. am Beginn der 2. Hälfte des 14. Jh. entstanden. Die Übersetzung selbst dürfte
schon früher entstanden sein (1. Hälfte des 14. Jh.)
Auffällig sind eine starke Verballhornung von Eigennamen, viele Missverständnisse (schon lat.
Vorlage LA muss sehr sachorientiert gewesen sein), sowie Kürzungen und Faktenorientiertheit. Die
narrativen Partien sind fast weitgehend verschwunden, wodurch auch der Sinnzusammenhang etwas
verloren ging.
10. Einheit am 19.5.
Mitteldeutsche Übersetzung vs. frankoitalienische Fassung
Kulturelle Phänomene waren wichtiger als rein geographische Fakten. In diesem Bereich zeigen
sich auch die Grenzen des Verständnisses von Marco Polo in Bezug auf die Kulturen. Marco Polo
war ein Mensch des europäischen Mittelalters und ist es auch immer geblieben.
Er zeigt das Überlegenheitsgefühl eines europäischen Christen des 13. Jhs. Nur manchmal wird das
Gefühl durch eine gewisse Gleichmütigkeit gemildert.
Götterwelt der Chinesen und Japaner
Text 3a: Ortsangaben sind wichtig. Catai ist das nördliche China, Mangi das südliche China (südlich
des Gelben Flusses). Die erwähnte Insel ist Japan. Marco Polo ist dort aber nie gewesen!
Text 3b: In der mitteldeutschen Übersetzung findet man diesen Text wieder, jedoch stark gekürzt
und einige Details sind weggelassen worden. Es gib viele Götzen in vielerlei Formen und Gestalten.
Einigen von ihnen sind so wie Rinder, andere wie Böcke, einige wie Schweine, Hunde oder Stiere.
Manche haben 2, 3, 4 und manche sogar 10 Hände. Jener Götze, der viele Häupter und Hände hat,
der ist der mächtigste und tugendsamste. Und wie die Leute gefragt werden, warum ihre Götter so
vielerlei Hände und Häupter hätten, so haben sie einen falschen Beweis und sagen „wir wollen nur
dem Brauch unserer Väter befolgen“.
Unterschiede der Texte 3a/3b
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• Mitteldeutsche Fassung ist kürzer. In der frankoitalienischen ist auch von den Göttern Nordund Südchinas, als auch von den japanischen Göttern die Rede.
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Bei Marco Polo in der frankoitalienischen Fassung: Götterbilder mit Tierköpfen
(theriokephal); in der mitteldeutschen Fassung: tiergestaltige Gottheiten (theriomorph)
Frankoitalienische Fassung: Götterbilder haben auch noch 2 Köpfe auf den Schultern
Mitteldeutsche Fassung: weitere Köpfe fehlen, außerdem fehlt auch der Hinweise auf die
Unbeschreiblichkeit der japanischen Götter
Frankoitalienische Fassung: Vorfahren haben die Götter vererbt; in der mitteldeutschen
Fassung: gibt einen wertenden Zusatz bezüglich eines falschen Arguments für die Form des
religiösen Kultes
Weder in der frankoitalienischen, noch in der mitteldeutschen Fassung wird klar, um welche
Religion es sich handelt. Es wird keine bestimmte Religion mit der Beschreibung
verbunden.
Es werden nur Äußerlichkeiten genannt (Bilder, Opferriten), aber von den Formen des
Glaubens wird nichts gesagt.
Im Bereich von Asien gibt es auch immer wieder Vermischungen von verschiedenen Religionen.
Diese konnte Marco Polo offenbar nicht auseinanderhalten. Er hatte auch mangelhafte Kenntnisse
in Bezug auf Religionen.
Buddhalegende
Buddhismus: Marco Polo hat Buddha aufgrund seiner christlichen Tugenden besonders gewürdigt.
Dieser Königssohn (Buddha) sei 84 Mal gestorben und wiedergeboren und zum Schluss als Gott
wiedergeboren worden.
Diese Darstellung fehlt in der mitteldeutschen Fassung vollständig. Die Beschreibung der Schätze
Ceylons sind jedoch in beiden Fassungen vorhanden.
Barlaam und Josaphat
Ist ein vielbearbeiteter Stoff und eigentlich handelt es sich dabei um die Buddhalegende in
verchristlichter Form. Prinz Josaphat wird fern aller Leiden erzogen. Sein Vater konnte jedoch nicht
verhindern, dass Josaphat mit Alter, Krankheit und Tod in Berührung kommt. Der Einsiedler
Barlaam weist Josaphat auf die Werte des Christentums hin.
Josaphat konvertiert, wird Einsiedler und verzichtet auf die Nachfolge als König. (zu finden in:
Rudolf v. Ems ca. 1220 / Vinzenz v. Beauvais / „Legenda Aurea“ von Jacobus de Voragine (War
Erzbischof von Genua, gestorben 1298; in den 60er Jahren hat er die bedeutendeste
Legendensammlung verfasst)
Diese Erzählung war sehr verbreitet und auch im 16. Jh. wurden die beiden noch als christliche
Heilige verehrt.
Für Marco Polo hat es nur 3 Religionen in Asien gegeben:
Nestorianer: christliche Richtung, die auf einen Theologen namens Nestorius zurückgeht, dessen
Lehre am Konzil von Ephesos abgelehnt wurde, und die eine strenge 2-Naturen-Lehre ist; seine
Anhänger wanderten in das Sassanidenreich und haben dort den Glauben verbreitet; Ende 13. und
Beginn des 14. Jh. war die Blütezeit der Verbreitung; später wurde sie fast völlig zerschlagen, heute
gibt es noch kleine Reste
Muslime: werden bei Marco Polo nur in Bezug auf die Konfrontationen mit den Christen erwähnt
alle anderen: z.B. Verehrer von Götzen; Marco Polo hatte Schwierigkeiten, die anderen Religionen
zu erfassen
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Von manchen Religionen wusste man schon in Europa:
Brahmanen: Hinduismus, kommen seit dem Alexanderzug immer wieder in Texten vor (Solinus
nennt sie Gymnosophisten)
Florian Kragl: Die Weisheit des Fremden. Bern 2005
Im Brief des Priesters Johannes und in der Alexanderdichtung sind diese Gymnosophisten keine
bestimmte Klasse im Hinduismus, sondern sie ein orientalisches Fabelvolk.
Die Brahmanen sind im Mittelalter zu einem Sammelbecken vieler Fabeln geworden. Im
mitteldeutschen sind die Brahmanen Bewohner einer bestimmten Provinz Lar (Gujarat).
Text 5:
„Von den Götzenanbetern in Indien, die alle Sünden vermeiden und von der unglaublichen Härte
ihres Lebens und anderer Gewohnheiten, die sie befolgen“:
Wenn man vom Grab des hl. Thomas weiter zieht, kommt man zu einer großen Provinz, die sich
gegen Westen erstreckt und Abrasanini heißt. Die, die dort leben, die halten die Wahrheit streng ein,
bei allem, was sie sagen, mehr als alle anderen Menschen und sie hassen die Lügen besonders.
Auch sind sie sehr keusch, sie berühren nie eine andere Frau, außer ihrer eigenen. Sie trinken auch
wenig und essen auch wenig und sie kasteien ihren Körper. Sie essen weder Fleisch, noch trinken
sie Wein und sie töten nie ein Tier.
Sie sind aber Götzenanbeter und sie beten ein Rind an. Sie achten genau auf das Zwitschern der
Vögel und die Gestirne. Sie erledigen nichts Bedeutendes und auch keinen wichtigen Kauf, außer
nach dem entsprechenden Stand der Sterne. Sie sind weise und vernünftige Leute, außer der bösen
Sitten, von denen vorher die Rede war. Sie essen auch sehr gesittet und ordentlich. Sie haben auch
viele Mönche, die ihre religiösen Gesetze einhalten und den Göttern dienen und ihre Lebensform
den anderen beibringen.
Sie leben meist 200 Jahre lang. Das kommt vom gemäßigten und geregelten Leben, das sie haben.
Und sie essen und trinken auch nie, außer wenn es unbedingt notwendig ist. Ihre Mönche halten ein
strenges Leben aus Liebe zu ihren Göttern. Sie gehen zu allen Zeiten total nackt und sie sagen, dass
sie keine Sünde damit verbinden. Sie tragen ein gegossenes Rind auf ihrem Haupt, das sie anbeten.
Mit einer Salbe, die man aus Rindermark herstellt, salben sie sich ganz ein. Und sie essen ihre
Speisen, nur von trockenen Blättern der Paradiesäpfel (Granatapfel/Bananenstaude). Sie sagen: alles
was grün ist, hat eine Seele. Und daher töten sie auch keine Tiere. Gegen ihre Gesetze verstoßen sie
nie. Sie schlafen auch nur auf der bloßen Erde.
Unterschiede der frankoitalienischen und mitteldeutschen Fassung
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Gewaltiger Unterschied im Umfang des Kapitels (anfangs war es wesentlich länger).
Mitteldeutsche Fassung: ist radikal gekürzt worden; diese Kürzung war wahrscheinlich
schon in der lateinischen Vorlage vorhanden. Es gibt kaum Neuerungen (außer: bei Marco
Polo in der frankoitalienischen Fassung ist die Salbe aus Rinderdung, in der mitteldeutschen
Fassung besteht die Salbe hingegen aus Rindermark
Bewohner von Lar haben ihre Dinge nach den Gestirnen ausgerichtet: kommt bei Marco
Polo in der ursprünglichen Fassung nicht vor, dafür gibt es andere Sachen, die die Bewohner
befolgen
Mitteldeutsche Fassung ist stark gekürzt: nicht nur faktisches ist weg, auch literarische
Verarmung trat ein, alle erzählenden Passagen wurden eliminiert.
Frankoitalienische Fassung: Schatten als entscheidendes Kriterium für das Abhalten von
Handel
Tarantelomen: wenn sich beim Feilschen eine Tarantel nähert, stellt der Verkäufer sofort die
Herkunft fest. Wenn sie nicht passt, dann soll er den Handel abbrechen
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Niesomen: wenn man einen Menschen niesen hört, und dies als schlechtes Omen deutet,
bleibt man sofort stehen und rührt sich nicht mehr
Schwalbenomen: wenn einem eine Schwalbe begegnet, darf sie nur aus der richtigen
Richtung kommen, sonst muss man umkehren
Überlieferung der mitteldeutschen Fassung
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in einer Sammelhandschrift erhalten (nur eine Handschrift in der Admonter Handschrift).
Buch über Obstbäume
Wahrsagebuch
Alle 3 sind deutsch!!
Text 6:
Hier beginnt die heidnische Chronik, die eine Chronik über die Länder der Heiden ist, und die von
der Vielgestaltigkeit vom Tun und Handeln, den Sitten und der Art und Weise vieler Gebiete, die
dann beschrieben werden, handelt.
Marco Polo wird mit guten Attributen versehen, als ein Meerfahrer und ein Landschauer. Sein
Reisebericht wurde als völkerkundliches Sachbuch angesehen, mit Neuem Sachwissen in
traditioneller Form (Völker- und Naturkunde). In dieser Form tritt Marco Polo aber in ein
Konkurrenzverhältnis zu bereits bestehendes Texten:
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„Lucidarius“: Text in Fragen und Antworten, der einem Interessierten alles Wissenswerte
über die Welt und ihre Beschaffenheit vermitteln sollte
Konrad von Megenberg: „Buch der Natur“, ca. 1350
Thomas von Cantimpré: Enzyklopädie über die Natur, war eine Vorlage für Konrad von
Megenberg
Durch die Reduktion des Narrativen, war der mitteldeutsche Text für die Leser viel weniger
attraktiv geworden, weil weniger Spannung und Handlung enthalten waren. Die primär an den
Fakten Interessierten haben den Marco Polo wahrscheinlich sowieso eher auf Latein gelesen
(Pipinofassung).
11. Einheit am 2.6.
Oberdeutsche Übersetzung des Marco Polo = Inkunabelfassung
Inkunabeln waren sehr teuer!
Ist in zwei Drucken überliefert:
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1477 (sehr früh!), gedruckt von Fritz Creußner in Nürnberg (ist auch in der ÖNB
vorhanden!); Druck hängt von einer toskanischen Fassung ab, der Übersetzer ist nicht
bekannt
1481 Anton Sorg in Augsburg (ist in einigen Exemplaren erhalten geblieben); ist
wahrscheinlich nur ein Abdruck der Nürnberger Fassung, bis auf ein paar Änderungen
Beide Drucke sind online verfügbar! (Münchener Digitalisierungszentrum)
Text 7:
Beschreibung der chinesischen Hauptstadt
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Text 8a: Schilderung der Eroberung der Stadt Bagdad
Es werden keine Satzzeichen gesetzt und die Orthographie ist komisch.
Inhalt ist die Eroberung Bagdads durch die Mongolen (1258). Marco Polo hat die Geschichte
erfahren (war ja vor seiner Zeit!) und nicht selbst erlebt.
Bagdad soll die schönste Stadt des Landes gewesen sein. Darin wohnt der Mohrenpapst (Kalif) =
Papst der dunklen Menschen. Das war al-Mustacsim (1242-1258), letzte Kalif der Abassiden, auch
das Kalifat war mit ihm am Ende. Ist bei der Eroberung getötet worden.
Die Eroberung ist ein historisches Faktum, hat sich jedoch sicher nicht so zugetragen, wie es
geschildert wurde. 1255 ist falsch angegeben, eigentlich war die Eroberung im Jahre 1258.
Dabei wurden die Bibliotheken und wichtige Sammlungen vernichtet. Der Bruder Hülägü des
mongolischen Herrschers Elaw hat die Stadt erobert. Das hisotrische Geschehen wurde auf eine
Anekdote reduziert. Der Kalif ist von den Mongolen in Wirklichkeit nicht auf die dargestellte Weise
getötet worden! Der Kalif wurde wahrscheinlich in einen Teppich eingewickelt und von Pferden
zertrampelt.
Text 8b: Eroberung von Baudac
Anekdote: Übermäßige Habgier (im christlichen Sinne gesehen, avaritia = eine der Hauptsünden)
des Kalifen (von der Sündhaftigkeit war im Original noch keine Spur!) ist ein wichtiges Motiv. Der
Kalif stirbt angeblich an seinem Gold. Das Schicksal des Kalifen erinnert somit an die Geschichte
von König Midas.
Die Geschichte von König Midas wird schon bei Ovid geschildert. Unter Midas Berührung soll
alles zu Gold geworden sein, sogar das Essen. Midas nimmt daraufhin seinen Wunsch wieder
zurück.
Bei Alexander: giricheit (im Mittelalter ein Beispiel für einen Menschen, der nie genug haben kann)
→ kommt auch in den Alexanderdichtungen vor
Die Sündhaftigkeit in der oberdeutschen Fassung zeigt die Verchristlichung des Textes. Ist aber
gleichzeitig auch kirchenkritisch. Der Kalif wird zum negativen Beispiel für geistliche
Würdenträger. Der Kalif wird als Papst der Muslime bezeichnet, auch als deren oberster Geistlicher.
Der Kalif wird immer wieder als der Beherrscher der Gläubigen bezeichnet (auch in den Märchen
aus 1001 Nacht). Amir al mu`minin (Beherrscher der Gläubigen) → Kalif als Oberhaupt der
gesamten islamischen Welt.
Geistliche sollen keinen großen Reichtum besitzen und der Kalif verstößt somit gegen die
christlichen Gebote. Es ist nicht möglich zu eruieren, wann die Verchristlichung und explizite
Kirchenkritik in die Marco Polo-Texte eingeflossen ist.
Viele verschiedene Veränderungen in den oberdeutschen Fassungen:
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Verchristlichung
Abbildung 9: Marco Polo wird als edler Ritter dargestellt und mit einem Schriftzug
beschrieben, der darauf hinweist, dass er als Landfahrer, die großen Wunder der Welt
gesehen hat. Dieser Schriftzug zeigt die Tendenz hin zum Sensationellen und trägt etwas zu
dick auf.
Text 10: Beginn des Buches
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Die großen und wunderbaren Dinge werden beschrieben
Ist eine Erweiterung der toskanischen Vorlage
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3. Person spricht nicht selber, wechselt im Verlaufe des Buches immer wieder
Italienische Fassung: Missere (=mein Herr) Marco Polo; oberdeutsche Fassung: Ritter
Marco Polo
Wunderbare Dinge, die er fand vs. große Wunder (außerordentlich)
Buch wendet sich an Fürsten, Freie, Grafen, Ritter und alle, die den Willen haben, die
großen Wunder der Welt verstehen zu wollen. Die Fassung ist für Leser konzipiert und nicht
mehr zum Vortragen. Die frankoitalienische Fassung wurde noch vorgelesen.
In der oberdeutschen Fassung wird sehr dick aufgetragen, große Wunder werden mehrmals
erwähnt
Die oberdeutsche Fassung wollte kein wissenschaftliches Sachbuch sein (die mitteldeutsche
Fassung hingegen wollte schon ein Fachbuch sein) und sollte eher ein das Erstaunen
hervorrufender Bericht sein. Das Reisemotiv der Brüder Polo wurde deutlich verändert und
es ist nicht mehr von einer Handelsreise die Rede, sondern die Reise dient als Mittel, um die
Wunder der Welt mit den eigenen Augen zu sehen.
Marco Polo sollte in die ritterliche Erzählwelt des 15. Jahrhunderts eingebunden werden
Besonderheiten der oberdeutschen Marco Polo-Fassung
Marco Polo wird somit in der oberdeutschen Fassung zum spannenden Tatsachenberichtes eines
adeligen Reisenden und steht in Konkurrenz zur zeitgenössischen Romanliteratur, aber auch zur
Reiseliteratur von Mandeville.
Einbeziehung in die Erzählliteratur des 15. Jhs. lässt sich auch buchgeschichtlich sehr deutlich
machen: Der Druck von 1477 war ein Einzeldruck, der Druck von Sorg hingegen war ein Buch, in
dem die Marco Polo-Erzählung nur den 2. Teil einnahm. Der 1. Teil dieses Buches war ein Roman
von Johann von Würzburg „Wilhelm von Österreich“ (nicht in der ursprünglichen Reimfassung,
sondern in einer Prosafassung). Somit wurde der Marco Polo-Text gemeinsam mit einem Minneund Aventure Roman, einer fiktiven Vorgeschichte der Herzöge von Österreich (Bittfahrt nach
Ephesos, trifft auf Heidenkönig, bitten um einen Nachfolger; Wunsch geht in Erfüllung, beide
bekommen ein Kind; beide heiraten; Vater nicht einverstanden….) kombiniert, dessen Handlung
zum Teil im Orient spielt. Marco Polo folgt auf den Roman, der im vorderen Orient spielt. Es ist
naheliegende, dass der Drucker Sorg den Reisebericht des Marco Polos als Fortsetzung zu dem
Roman sah.
Im oberdeutschen Marco Polo gibt es massive Kürzungen und somit einen großen Verlust des
erzählerischen Reizes. Auf diese Weise konnte der Text nicht mit dem Reisebericht von Mandeville
konkurrieren, der viel eindrucksvoller zu lesen war. Möglicherweise ist deswegen nach 1481 die
oberdeutsche Übersetzung nicht mehr gedruckt worden.
Erst im 16. Jh. gibt es neue Marco Polo-Drucke, die aus der lat. Pepinofassung erstellt werden.
Diese Übersetzungen haben keine nennenswerte Wirkung erlangt, im Gegensatz zur Pepinofassung.
Kolumbus
Kannte Marco Polo-Text sehr gut. Die lat. Übersetzung ist seit den 1430er Jahren in der Bibliothek
des Königs von Portugal vorhanden. Viele sind sich einig, dass der Reisebericht großen Einfluss auf
die erste Seereise hatte. Columbus hat die wichtigen Handbücher gekannt (Mandeville und Marco
Polo). Eine lat. Marco Polo-Ausgabe ist in den Niederlanden in der Bibliothek seines Sohnes. Sie
weist 366 Randnotizen auf, die nicht nur von Kolumbus, sondern auch von 2 anderen Schreibern
stammen. Diese Notizen finden sich vor allem zu den Edelsteinen, Gewürzen und Edelmetallen. Mit
diesen Beweisen zu den Schätzen wollte Columbus seinen Auftraggeber motivieren, um ihm eine
Flotte zusammenzustellen. Diskussion: hat Kolumbus diese Eintragungen schon vor seiner ersten
Reise getätigt?
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Sekundärliteratur zu Marco Polo:
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Hendry Yule und Henri Cordier (viele Anmerkungen und alte Abbildungen)
Paul Pelliot: Notes on Marco Polo, 3 Bde., Paris 1959-1963.
Leonardo Olschki: Storia letteraria delle scoperte geografiche, Florenz 1937.
Leonardo Olschki: L’Asia di M.P. 1958
John Larner: Marco Polo and the discovery of the world. New Haven 1999.
Philippe Ménard: Marco Polo. Die Geschichte einer legendären Reise. Darmstadt 2009.
Stephen G. Haw: Marco Polos China. New York 2009.
Viele der Berichte sind, trotz der Behauptung am Anfang, dass alles wahr ist, teilweise irrtümlich.
Diese Irrtümer können auf mangelnde Sprachkenntnissen, Vorurteile aus tradiertem Wissen, ein
irreführendes Vorwissen (war sehr unterschiedlich, Pordenone war einfacher Mönch, Rubruk war
sehr gebildet, Kaufleute hatte ganz andere Interessen) zurückzuführen sein.
Gemeinsamer Nenner aller Fassungen: christlich europäische Mentalität des Spätmittelalters wird
als Ausgangspunkt für die Beurteilung der Welt nach europäischen Maßstäben genommen.
Dabei handelt es sich um einen langfristigen Verstehensprozess, bei dem das eigene Vorwissen
langsam falsifiziert wurde. z.B.: Wunderkreaturen gibt es nicht.
Dieser Prozess ist aber sehr begrenzt, da die Kontakte mit Zentralasien schon abgebrochen waren,
bevor der Diskurs überhaupt in Gang gekommen war (während der Ming-Dynastie konnte wenig
Handel getrieben werden). Nicht nur die politische Isolation der Ming-Dynastie, sondern auch die
Pestepidemie (die sich von Asien nach Europa ausbreitete), trugen zu einem Stillstand der
Beziehungen bei. Im 14. Jh. gab es so gut wie keine Kontakte mehr nach Asien.
Die Berichte die bis dorthin geschrieben worden sind, sind aber nie mehr wirklich in Vergessenheit
geraten.
12. Einheit am 9.6.
Reisebuch des Hans Schiltberger (1380)
Schiltberger war 33 Jahre in Asien, also länger als Marco Polo. Im Gegensatz zu Marco Polo, der in
angesehener und nicht unbedeutender Stellung am Hof des Großkhans (deswegen gute Infoquellen)
wirkte, lebte Hans Schiltberger aber als Kriegsgefangener in West- und Zentralasien. Deswegen war
er auf Informationen einfacher Leute angewiesen. Er war unfreiwillig so lange in Asien.
Über sein Leben ist nur wenig bekannt, vor allem das, was er selbst in seinem Reisebuch erwähnt,
beziehungsweise was sich daraus erschließen lässt.
Er wurde 1380 geboren und stammte aus einem der ältesten Adelsgeschlechter in Bayern aus dem
Ort Schiltberg bei Aichach (20km nordöstlich von Augsburg). Die Familiengeschichte lässt sich auf
das Jahr 1190 zurückdatieren, wo Berchtoldus Marescalcus de Schiltberg als Marschall am Hof der
Bayrischen Herzöge erwähnt wird. Im Spätmittelalter übersiedelten die Schiltbergs als Bürger nach
München und im 19. Jh. starb der letzte Angehörige der Dynastie.
Die Reise
1394 verließ Hans Schiltberger seine bayrische Heimat – er war damals laut Eigendefinition 14
Jahre alt – als Knappe eines bayrischen Ritters (Linhart Reichharttinger) bei einem Kreuzzug, zu
dem König Sigismund von Ungarn als Beistand und Hilfe gegen die Türken aufgerufen hatte.
Text 1: Schiltberger nennt sich selbst und seine Herkunft (autobiographische Hinweise)
gerenne, n.: hat mit Ritterdienst zu tun → gerenneseyß: in der Funktion als Knappe
-35-
Text 2:
25.9.1396: Schlacht in Nikopolis (heute in Bulgarien an der unteren Donau): dort gibt es eine
Niederlage der europäischen Ritter gegen die Osmanen. Die Serben kämpften auf der Seite der
Türken und fügten den (mittel-)europäischen Rittern rund um den König Sigismund von Ungarn
ebenfalls eine Niederlage zu.
Die Schlacht wird von Schiltberg beschrieben. Vor allem aber, dass er versuchte seinen Herrn zu
retten, dies aber nicht vermochte, da Linhart von seinem Pferd geschossen wird. Schiltberg kann ihn
zwar aus dem Kampfgetümmel holen, sein Herr erliegt aber dennoch den schweren Verletzungen.
fußgengell: Fußsoldaten
Syrifey: Serbien
despot: byzantinische Bezeichnung für die Herrscher von Serbien
banier/panir: das Banner (Fahnenbanner einzelner Gruppen)
galein/galie: ein bestimmtes Schiff (Ruderschiff)
Der König von Ungarn gelangte dann auf der Donau nach Konstantinopel. Auf diese Weise fliehen
auch viele Ritter, Knappen und Knechte. Bei dieser Massenflucht konnten aber nicht mehr alle auf
die Schiffe kommen und viele ertranken bei dem Versuch die Schiffe zu entern. Andere stürzten sich
auch die steilen Uferhänge in die Donau hinunter und starben auf diese Weise. Die meisten waren
aber schon in den Gefechten (so auch der Linhartinger) ums Leben gekommen. Wer nicht fliehen
konnte und überlebte, wurde aber auch gefangen genommen – dieses Schicksal ereilte auch Hans
Schiltberger.
maynst: meist
Eine persönliche Involvierung ins Kampfgeschehen wird von Schiltberger nicht geschildert,
sondern bei ihm geht es hauptsächlich um den (gescheiterten) Rettungsversuch des Herren und den
allgemeinen Untergang des Heeres und die Fluchtversuche der vielen anderen Kämpfer. Seine
eigene Gefangennahme wird unkommentiert erwähnt und lapidar als Teil eines Kollektivschicksals
beschrieben. Schiltberger wurde in der Schlacht zwar mehrfach verletzt, das wird aber erst viel
später erwähnt. Sein Bericht zeigt wenig subjektive Involvierung, sonder er scheint um einen
objektiven Bericht bemüht zu sein.
Text 3:
Weyasit: Bayazid/Bayezid I: osmanischer Sultan
behabt: behalten, behaupten → Sieg im Kampf errungen hat
stadt: Stelle
zeuch: das gerüstete Heer und alle Rüstungen
zeheren: weinen (schwaches Verb)
ungerochen lassen: ungerächt lassen
pot: befahl
man: Plural für Männer
ersah: erblickte
Die Gefangenen werden dem osmanischen König vorgeführt, damit er sich an ihnen für die eigenen
Verluste rächen könnte. Unter diesen Gefangenen war auch der Hans Schiltberger. Die Gefangenen
sollten von seinen Kämpfern getötet werden, aber der Sohn des Königs sah den Hans Schiltberger
und befahl, ihn auf Grund seiner Jugend am Leben zu lassen, da niemand unter 20 Jahren getötet
werden sollte. Schiltberger war zum damaligen Zeitpunkt erst 16 Jahre alt und wurde zu den
anderen Jugendlichen gebracht. An dieser Stelle werden beiläufig seine schweren Verletzungen
erwähnt (hart gewundt), und er schildert, dass er dem türkischen Hof übergeben wird.
-36-
Text 4:
Schiltberger diente mehrere Jahre als Vorläufer des Sultans (6 Jahre), wurde später Reiter (7 Jahre)
und diente dem Sultan nach eigener Angabe somit 13 Jahre. Die Angabe der Dauer kann aber nicht
stimmen, weil er im September 1396 gefangengenommen wurde, und 1402 der Sultan Bayazid von
Timur Leng besiegt wurde, in dessen Gefangenschaft Schiltberger folglich geriet. Schiltberger kann
insgesamt also nur 6 Jahre beim osmanischen König gedient haben.
Die Fehler sind möglicherweise darauf zurückzuführen, dass Schiltberger keine Notizen gehabt
haben kann und während der Schlachten sicherlich keine Möglichkeit zu Aufzeichnungen gehabt
hatte. Es ist heute schwierig zu rekonstruieren, wie seine Aufzeichnungen zustande kamen: was er
tatsächlich selbst erlebte und was er erzählt bekam.
Er schildert aber aus eigener Anschauung aus vielen Gegenden Kleinasiens und Zentralasiens,
berichtet dabei aber aus Gebieten, die damals nicht völlig unbekannt waren. Offenbar begleitete
Schiltberger den Sultan auf verschiedenen Kriegszügen in Kleinasien.
28.7.1402: Schlacht bei Ankara
Bayazit wird von Timur Leng besiegt. Timur Leng war ein mongolischer Heerführer, auch Timur
der Hinkende genannt, der seit 1379 große Teile der islamischen Welt überfallen hatte. Bei der
Schlacht von Ankara schlugen die Mongolen die Türken. Schiltberger war von da an ein
Gefangener Timurs, der allerdings schon 1405 in Samarkand starb.
Nach Timurs Tod 1405 blieb Schiltberger bei dem Sohn Timurs, Šah Ruh, in Gefangenschaft und
wurde anschließend noch an weitere Familienmitglieder weitergereicht. Diese waren Miran Šah,
Abu Bakr und Čegre. Letzten Endes gelangte Schiltberger in die Küstenregion des Schwarzen
Meeres, wo er in einer Gruppe mit anderen Christen in Gefangenschaft war und darauf hoffte ein
Schiff zu finden, das ihn nach Konstantinopel bringen könnte. Aber kein Schiff nahm ihn und seine
Mitgefangenen auf.
Text 5:
stadt = Batum
Kogge: sehr schweres, großes Handelsschiff (in diesem Fall offensichtlich christlicher Provenienz)
Schiltberger schildert die Kontaktaufnahme mit dem Schiff, das sie vom Gebirge aus sahen, weil es
8 Meilen vor Ufer vor Anker ging. Auf diesem Schiff gelang ihnen schließlich die Flucht.
Schiltberger und seine Mitgefangenen ritten die Küste entlang (waren offenbar nicht streng
bewacht) und fanden in Ufernähe ein Schiff vor Anker. In der Nacht gaben sie Feuerzeichen, um auf
sich aufmerksam zu machen. Die Besatzung der Kogge bemerkt sie und startet eine Suche nach
ihnen im Gebirge. Sie versicherten sich, dass es sich bei den Hilfesuchenden um Christen handelte
(Vater unser und Glaubensbekenntnis müssen gebetet werden), erkannten diese schließlich als
Christen, und können sie aber nicht sofort auf ihr Schiff mitnehmen, weil zuerst der Kapitän
zustimmen muss. Nach der Genehmigung durch den Kapitän kehren sie wieder zurück und nehmen
die Gefangenen dann schließlich mit auf ihr Schiff.
Text 6:
Das Schiff, auf dem die Gefangenen fliehen, wird von türkischen Seeräubern angegriffen und es
kommt zu einem Seesturm, der sie über 800 Meilen zurück treibt. Deswegen brauchen sie 3 Monate
um das Schwarze Meer zu überqueren. Während der langen Überfahrt leiden sie auch an
Lebensmittelknappheit und ernähren sich deswegen auch von Schnecken und Meeresspinnen, die
sie an einer felsigen Insel einsammeln und die sie 4 Tage lang essen konnten. Sie gelangten
schließlich nach Konstantinopel, wo sie vorübergehend bleiben. Die Kogge fährt nach der Abgabe
der Geretteten in Konstantinopel zurück nach Italien. Die Gefangenen mussten in Konstantinopel
erklären, wie sie in Gefangenschaft gelangt wären. Ihre Zeit in der muslimischen Welt wird als
haydenschafft bezeichnet, aus der sie nun wieder herauskommen wollen.
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Der Kaiser von Byzanz befragt die Gruppe der Flüchtlinge und sichert ihnen Hilfe zu. Sie werden
mit einem Schiff an die Donau gebracht, von wo aus Schiltberger weiter über Land nach Freising
reist (Ukraine, Polen, Bayern).
vürder: weiter nach vorne, vorwärts, voran
Text 7:
Hierbei geht es um einen schlichten Dank an Gott für die Rettung aus der Heidenschaft.
Schiltberger war 32 Jahre in Gefangenschaft. Er verliert kein Wort über seine Gefühle bei der
Rückkehr und über die genauen Umstände der Rückkehr nach Bayern. Auch über sein Leben zu
Hause wird nichts mehr berichtet. Über sein weiteres Leben lassen sich einige Informationen in den
Chroniken des Johannes Aventius finden.
Chroniken des Johannes Aventinus (gest. 1534)
Johannes Aventius schrieb einige wichtige bayrische Geschichtswerke:
Annales ducum Boiariae (erst 1554 gedruckt): das waren Annalen der bayrischen Erzherzöge
Aus diesen geht heraus, dass Hans Schiltberger offenbar Kämmerer (cubicularius/kemerling) des
Erzherzogs Albrechts III. (1438-1460) war. Johannes Aventius schreibt, dass Schiltberger am Hofe
der Türken erzogen worden war und nach einem Sieg über den König der Perser folgte er den
Waffen des Sieges und gelangte nach dem Tode des persischen Herrschers zurück nach Bayern.
Albrecht III. war sehr literaturinteressiert und sein Hof war ein wichtiges Zentrum für das
literarische Leben. Möglicherweise förderte er die Niederschrift der Erlebnisse des Schiltbergers.
Das Reisebuch des Schiltbergers dürfte zu seiner Zeit große Resonanz gefunden haben. Es sind 9
Handschriften erhalten (darunter 8 vollständige) und der Reisebericht wurde auch als
Inkunabeldruck bis ins 16. Jahrhundert aufgelegt. 7 Handschriften stammen aus dem 15.
Jahrhundert. Eine davon, aus München, dient für die Auflage einer Edition.
Die älteste Handschrift aus 1443 (noch aus der Regierungszeit Albrechts), befindet sich in der
Universitätsbibliothek in Heidelberg und ist im Internet zugänglich. 2
Text 9 und 13:
im 15. und 16. Jahrhundert erschien das Buch auch in Drucken (auch in Wien)
1478: Erstdruck war mit 15 Holzschnitten geschmückt (Inkunabeldruck) → 1969 auch als
Faksimile-Ausgabe nachgedruckt worden;
Ursache für die breite Resonanz auf das Reisebuch des Schiltbergers
Die literarische Qualität des Reiseberichts wird es eher nicht gewesen sein, da die einfache Sprache
einer sehr mündlichen Erzählweise entspricht. Aber die Aktualität dürfte die Zeitgenossen brennend
interessiert haben, da die Türken immer weiter vorrückten, auch Konstantinopel tatsächlich in
türkische Hände fiel, und man deshalb Informationen aus erster Hand über die Türken und
Mongolen wollte und brauchte. Der Aufstieg und die Expansion des osmanischen Reiches kannte
Schiltberger aus erster Hand, Er erlebte auch das letzte Aufflackern der Macht des mongolischen
Reiches und die Schwäche und den Niedergang des byzantinischen Kaisertums. Sein Reisebericht
wurde deswegen von vielen nachfolgenden Generationen auf Grund der darin enthaltenen
objektiven Informationen besonders geschätzt.
-382 Handschriftencensus: gibt zu jedem Text die Informationen über die bis heute bekannten Handschriften; gibt
eine genaue Auskunft über diese und weitere Editionen, die darauf basieren;
13. Einheit am 16.6.
Persönliche Erfahrungen sind bei Schiltberger nur in wenigen Abschnitten enthalten, v.a. bei der
Schilderung des Kriegszuges gegen die Osmanen, der Gefangennahme, seiner Flucht und der
Rückkehr nach Bayern. → Kap. 1, 2, 3, 30 (nur in der Münchner Handschrift in der Mitte des
Buches, sonst am Ende des Buches) und Kapitel 67
Die Schilderung der persönlichen Erlebnisse bildet somit den Rahmen des Buches, spielt aber sonst
keine besonders große Rolle.
Aufbau des Reiseberichts des Schiltbergers
Kap. 1, 2, 3: „Prolog“
Kap. 4-29: 1. Teil „Chronikalischer Teil“: Bayezid, Timur, Timurs Nachfolger (Bulgarien,
Griechenland, Türkei, Armenien, Mesopotamien, Iran, Ägypten) → Schiltberger fungiert als
objektiver Berichterstatter
Kap. 30: „Flucht“ [kommt nur in Münchner Handschrift vor]
Kap. 31-66: 2. Teil „Länder- und Sittenbeschreibung“ → beinhaltet Informationen aus zweiter
Hand und keine eigenen Erkenntnisse. Solche Beschreibungen kommen auch in Pilgerberichten
schon öfter vor.
Kap. 67: „Heimreise nach Bayern“
Hans-Jochen Schiewer: in: Daphnis 21 (1992) → Absenz des Schiltbergers in der Schilderung der
Kriege wird damit erklärt, dass Schiltberger seine Rolle als nicht standesgemäß empfunden habe, da
er in der heydenschafft nur ein unbedeutender Kriegsgefangener, aber in seiner Heimat ein Adliger
war.
Auffallend ist auch die nüchterne und kommentarlose Darstellung der Grausamkeiten Bayezids und
Timurs, die beispielsweise Schädel zu gewaltigen Pyramiden aufschlichten ließen. Eine selektive
Selbstdarstellung des Erzählers ist in dieser Zeit aber nicht unüblich und selten gibt es wirklich
autobiographische Darstellungen der Beobachter. Schiltberger ist sich seiner Grenzen der
Erinnerung und dem begrenzten Zugang zu Informationen bewusst (vgl. Text 8). Auf den Irrtum
bez. der Dauer seiner Gefangenschaft bei den jeweiligen Kriegsherren wurde bereits hingewiesen.
Man kann also davon ausgehen, dass er also ziemlich sicher nicht über Aufzeichnungen aus seiner
Zeit in der heydenschafft verfügte.
Entstehung des Berichtes
Schiltberger gibt in dem Buch keine expliziten Hinweise auf die Art und Umstände der Entstehung
des Berichtes. Möglicherweise war der bayrische Herzog der Auftraggeber, aber eine Widmung an
den Herzog ist in keiner einzigen Handschrift enthalten. Auch der genaue Zeitpunkt der
Aufzeichnung ist nicht vermerkt, nur das Datum des Erscheinens (älteste Handschrift: 1443,
Heidelberger Handschrift). Seine Rückkehr war 1427, also muss der Zeitraum der Entstehung
irgendwann zwischen 1427-1443 gewesen sein.
Der Reisebericht wurde in deutscher Sprache aufgezeichnet. Ob Schiltberger nur diktiert oder selbst
geschrieben hat, kann nicht mehr eruiert werden. Es gibt nur deutschsprachige Überlieferungen des
Schiltbergers und die Sprache der Überlieferungen ist der mündlichen Sprache nahestehend.
[Anm.: Pilgerberichte wurden zunächst immer auf Latein verfasst und dann ins Deutsche übersetzt!]
Richard Hennig: Terrae incognitae (4 Bd.): → schreibt im dritten Band: Schiltbergers Darstellung
sei treuherzig und sympathisch, aber auch merklich ungelenk; das Buch sei vor allem unbeschwert
von aller Gelehrsamkeit;
-39-
Die Aussage Hennigs ist aber nur teilweise zutreffend, da sich im ersten chronologischen Teil des
Buches auch Berichte finden, die sich als Wiedergabe dessen auffassen lassen, was man sich in den
Truppen, denen Schiltberger angehörte, über bestimmte historische Ereignisse erzählt hatte
(Beschreibung der Eroberung und Zerstörung der Stadt Bagdad durch Timur, 1401). Die Zerstörung
Bagdads 1401 war die zweite und vollständige Zerstörung der Stadt nach 1258 durch die Mongolen.
Schiltberger verfügte also auch über Wissen aus zweiter Hand.
Timur Leng wird bei Schiltberger v.a. als „Tämerlin“ bzw. „Themurlin“ bezeichnet (vgl. Text 10,
Inkunabelfassung, Augsburg 1476)
Text 9: Die Eroberung Bagdads und der Burg
Enthalten ist die Schilderung zweier Ereignisse in einem Kapitel: Eroberung Babylons 1401 durch
Themurlin und die Einnahme einer Burg mit einem großen Schatz
Timur besiegte den damaligen Herrscher über Bagdad, Ahmad b. Oweis, der ein mongolischer
Herrscher über den Iran war und der Dynastie der Ilkhan angehörte. Die Zahlenangaben über die
Kämpfer und Opfer sind wahrscheinlich viel zu hoch gegriffen. Richtig ist aber, dass Timur in der
Stadt eine Besatzung zurück ließ, selbst aber wegging und vor der Stadt lagerte.
„schlug sich dafür“: schlug seine Zelte vor der Stadt auf und belagerte die Stadt;
Timur ließ die Stadtmauern niederreißen und die Stadt niederbrennen und umackern. Bagdad wurde
dem Erdboden gleichgemacht und im Stadtgebiet wurde Gerste gesät, wo zuvor Häuser gestanden
waren. Man sollte nicht mehr sagen können, ob an der Stelle jemals Häuser gestanden hätten.
Timur zieht weiter zu einer Festung, die auf einer Insel im einem Gewässer war. Dort wurde der
Schatz des Herrschers von Bagdad deponiert. Timur konnte die Festung aufgrund des Wassers
zunächst nicht erobern, grub dann das Wasser ab und fand im Wasser drei Truhen mit Gold und
Silber. Er gelangte schließlich doch zur Festung, wo 15 Besatzungssoldaten, die die Festung
bewachten, von ihm gehenkt wurden. Timur fand in der Festung dann noch weitere Truhen mit
Schätzen. Nach diesem erfolgreichen Kriegszug eroberte 3 weitere Städte, wollte aber, weil der
Sommer anbrach nicht weiter in Mesopotamien bleiben, und zog weiter.
Die Schilderung von Schiltberger ist sehr eindrucksvoll und enthält auch viele pittoreske
Einzelheiten. Militärisch wird nur die Dauer der Belagerung angegeben (1 Monat) und wie die
Stadtmauer überwunden und gestört wurde (durch Gräben). Auch die Zerstörung durch Feuer und
das Errichten von Äckern anstelle der Stadt wird erzählt. Die kurze Schilderung der Einnahme der
Festung und die Gewinnung der Schätze trägt märchenhafte Züge und lässt aus sich Sagen
entwickeln. Schiltberger hebt das Gelübde Timurs, Bagdad vollständig zu zerstören, hervor.
Die Schilderung Schiltbergers kann aber kein Augenzeugenbericht sein, weil er erst 1402 zu Timur
gelangte. Von wem die Information stammt, wird aber überhaupt nicht thematisiert. Auch enthält
sich Schiltberger jeden Kommentars.
Schiltberger gibt in seinem Buch weitere Berichte über historische Ereignisse, die sich vor seiner
Zeit bei einem bestimmten Herrscher zugetragen haben. Wahrscheinlich hat er diese in Form von
mündlichen Berichte im Gefolge eines Herrschers erfahren.
Im zweiten Teil des Buches des Schiltbergers finden sich aber schon Ansätze von Gelehrsamkeit
und Anleihen beim meistgelesenen und meistgeschätzten Reiseberichtautor der damaligen Zeit:
Jean Mandeville (auch John oder Jehan Mandeville), dessen Reisebericht 1356/57 entstand und der
auch mehrfach ins Deutsche übersetzt wurde und allgemein sehr bekannt war.
Aleya Khattab: „Das Ägyptenbild in den deutschsprachigen Reisebeschreibungen der Zeit von
1285-1500“ (1982)
-40-
Mandeville war für Schiltberger offensichtlich eine Quelle für verschiedene Beschreibungen, aber
auch die Einleitung seines Buches ist offenbar an Mandeville angelehnt (Beginn mit
Personalpronomen in erster Person).
Textvergleiche Schiltberger und Mandeville
Text 10a: Unterscheidung des echten und gefälschten Balsams bei Schiltberger
Die Stadt Kairo wird „Misser“ genannt. Misr ist eine alte ägyptische Bezeichnung für Siedlungen
an der Stelle von Kairo, bevor Kairo gegründet wurde. Es wird auch Cair erwähnt. So wird die
Stadt von den Christen genannt. Die Gelehrtenbezeichnung von Kairo war damals Misr al-Qahira,
wodruch auf den Planeten Mars hingewiesen wird.
Bei Schiltberger wird ein Balsamgarten erwähnt, der wahrscheinlich im Norden von Kairo stand. In
diesem Garten gedeiht ein Balsam, der ebenfalls auch in Indien wächst,
niender(t): nirgendwo
„König Soltan“ → zweifache Bezeichnung für Herrscher
Der Sultan nimmt viele Steuern durch den Balsam ein. Die Kultivierung wird nicht beschrieben,
sondern dass die Heiden den Balsam manchmal vermischen und fälschen, bzw. verunreinigen, um
ihren Profit zu maximieren. Echter Balsam ist transparent, durchsichtig mit einem gelblichen Stich
und hat einen starken Geruch, wohingegen ein dicker und roter Balsam unecht ist. Mehrere
Möglichkeiten werden genannt, wie man überprüfen kann, ob man echten Balsam bekommen habe
(Tropfen in die Hand und in die Sonne halten – echter Balsam erhitzt die Sonne sehr stark und die
Hand glüht; Tropfen Balsam auf ein Messer und dann ins Feuer halten – wenn der Balsam brennt,
ist er ebenfalls echt; Balsam in Ziegenmilch schütten und umrühren – bei echtem Balsam gerinnt
die Milch sofort). Diese Methoden zur Unterscheidung echten und falschen Balsams sind auch bei
Mandeville zu finden. (→ Übersetzung ins südtirolerische Deutsch des 14. Jh. von Michel Velser;
vgl. Text 10b)
Text 10b: Beschreibung des echten und unechten Balsams bei Mandeville
Bei Mandeville gibt es Anspielungen auf den Alexanderroman und die Alexanderdichtung.
Alexander spricht in Indien mit einem Baum Orakel, wo es einen Baum der Sonne und einen Baum
des Mondes gibt. Es handelt sich hierbei wahrscheinlich um eine sehr frühe indische Kultur, noch
vor der Eisenzeit. Bei diesem Baumorakel wird Alexander sein bevorstehendes Ende prophezeit, un
dass er seine Heimat Makedonien und seine Mutter Olympia nicht mehr sehen werde. Genauere
Auskünfte, z.B. über seinen Giftmörder, werden ihm nicht mitgeteilt.
Parallelen in den Texten von Schiltberger zu Mandeville sind eindeutig zu sehen: die Beschreibung
des echten und unechten Balsams erfolgt mit den gleichen Attributen. Ebenso werden genau die
gleichen 3 Methoden beschrieben, um die Echtheit von Balsam zu prüfen.
nüntz: nichts
letschen: letzten
Text 11a: Beschreibung des Katharinenklosters auf dem Sinai bei Schiltberger
Das Katharinenkloster liegt auf dem Berg und die Mönche sind aus Griechenland.
gen als die ainsideln: leben wie Einsiedler → fasten, kein Fleisch, kein Wein...
prynnende ampell: viele brennende Ampeln = Ölleuchten
paumöl: Olivenöl → gibt genug davon zum Essen und zum Verbrennen für die Beleuchtung
-41-
Es sind viele Vögel da, die jeweils einen Zweig eines Olivenbaums mitbringen, wodurch die
Mönche genug Oliven zum Essen und Herstellen von Öl erhalten. Es ist ein Wunder Gottes, dass
die Vögel die reifen Oliven in großen Mengen in das Kloster bringen, und somit genug Essen und
Öl zum Verbrennen vorhanden ist.
Text 11b: Beschreibung des Katharinenklosters bei Mandeville
Die Mönche leben einfach und ärmlich, fasten und leben in großer Buße. Bei Mandeville werden
die brennenden Ampeln ebenfalls beschrieben, sowie auch das reichliche Vorhandensein des Öls.
Mandeville erwähnt ebenfalls das Wunder, dass die Vögel die reifen Oliven in Zweigen
heranbringen – die Vögel werden bei ihm jedoch einzeln erwähnt: Krähen, Raben und Elstern und
weitere. Auch Mandeville schreibt, dass die Mönche dank dieses Wunders genug zu essen und
genug Öl zum Verbrennen hätten.
lazent > lant: lassen
Schiltberger ist also nicht so unbekümmert und ungelehrt wie Hennig annimmt, sonst hätte er den
Mandeville nicht so wörtlich übernehmen können.
14. Einheit am 23.6.
Prüfung: 1 Stunde Zeit; 3 Fragen zu jeweils einem Text/Autor/Thema; keine detaillierten
Spezialfragen; es wird keine Textstelle zum Interpretieren und Bearbeiten geben;
nächster Termin wahrscheinlich im Oktober; man kann die Prüfung auch mündlich in jeder
Sprechstunde ablegen und man muss sich dafür nicht extra anmelden;
Mandeville als Quelle für das Reisebuch des Schiltbergers
Das Reisebuch des Schiltbergers enthält Textpassagen, die zweifellos auf eine MandevilleÜbersetzung zurückgehen. Schiltberger war nach seiner Rückkehr am Hof des Herzogs Albrechts
III. tätig (dieser war mit Agnes Bernauer verheiratet und versammelte bedeutende Literaten an
seinem Hof). Eine Widmung von Schiltberger an den Herzog Albrecht ist allerdings in keiner
Handschrift erhalten. Schiltberger versuchte den Informationsgehalt seines Berichtes zu vergrößern
und griff deswegen wahrscheinlich auf Mandeville zurück, den er aber nicht einfach plagiierte. Das
Berichtete wird aber kaum je mit Kommentaren versehen.
Berichte über unwahrscheinliche Begebenheiten
Text 12:
Schiltberger hielt noch vieles für wahr und möglich, was nicht wahr sein kann. Er äußert keinen
Zweifel am Vorkommen von Einhörnern und beschreibt die Landschaft, in der auch Einhörner
vorkommen.
Text 13: Schilderung des Kampfes zweier Schlangenheere (vgl. Inkunabeldruck, 1476)
In der Nähe der Stadt Samsun (Schwarzes Meer) kämpfen zwei Schlangenheere gegeneinander.
Nach dem Kampf liegen tausende Schlangen tot auf dem Schlachtfeld und die Meerschlangen
wurden von den Waldschlangen besiegt. Die Illustration des Drucks zeigt ein seltsames Tier, von
dem im Text aber nie die Rede ist. Schiltberger behauptet nicht, dass er den Kampf selbst gesehen
habe, gibt aber auch keine Informationen darüber, wie er zu der Information gekommen sei. Im
Kaukasus und in Indien gibt es bis zum 19. Jahrhundert Sagen mit solchem Inhalt.
-42-
Text 14: Sperberburg
Leopold Hellmuth: Hans Schiltbergers Besuch bei der Sperberburg. In: Keller/Kragl: Mythos-SageErzählung. Gedenkschrift für Alfred Ebenbauer. Göttingen 2009. S. 129-144
Die Geschichte von der Sperberburg ist genau lokalisierbar. Die Sperberburg wird bei der Stadt
Giresun am Schwarzen Meer angesiedelt. In der Sperberburg wohnt eine Jungfrau, die von jungen
Männern aufgesucht wird, damit sie ihnen Wünsche erfüllen kann. Nach einem märchenhaften
Einleitungsteil, der zeitlos scheint folgt die Beschreibung der Aufnahme in die Sperberburg, für die
man 3 Tage und Nächte warten muss, um Einlass zu bekommen und dann vor der Jungfrau einen
Wunsch zu äußern. In der Geschichte versuchen 3 Männer der Jungfrau einen Wunsch abzuringen.
Ein armer Geselle äußert einen ehrhaften und vernünftigen Wunsch, der ihm erfüllt wird. Ein
Königssohn aus Armenien will die Jungfrau zur Ehefrau nehmen. Dieser Wunsch wird aber
abgelehnt, weil er hochmütig ist. Der letzte Herr ist ein Angehöriger des Johanniterordens, der
ebenfalls einen unehrenhaften Wunsch äußert. Der Kandidat, der in Ehren hingekommen ist, wurde
nicht verflucht, die beiden anderen Kandidaten aber schon.
Die Erzählung über die Sperberburg findet sich schon bei Mandeville, aber auch bei Jean d´Arras in
seiner Erzählung Melusine.
Der Hauptunterschied zum Mandeville besteht im dritten Teil der Erzählung von Schiltberger, wo er
sich selbst individuell (resp. einer seiner Gefährten) an der Sperberburg erprobt. Schiltberger betont,
dass er nicht alleine, sondern mit seinen Gesellen bei der Sperberburg war. Er selbst hat die Burg
aber nie gesehen. Schiltberger erwähnt auch einen ortskundigen Führer, den er bezahlt hatte, um ihn
und seine Gefährten zur Burg zu geleiten.
Schiltberger gibt Gründe für das Scheitern der Mission an:
Warnung vor Konsequenzen des Einschlafens missachtet; Unzugänglichkeit der Burg unterschätzt;
Verbot der griechischen Priester, sich mit Teufelswerk einzulassen missachtet;
Schiltberger gibt aber zu, dass er die Burg nicht gesehen habe und er gibt auch zu, dass einer seiner
Gesellen sich erproben wollte und die Mission letztlich scheiterte, weshalb das Rätsel der
Sperberburg nicht gelöst werden konnte. Einen Zweifel an dieser märchenhaften Burg gibt es bei
Schiltberger aber nicht.
Jean Mandeville (auch John/Jehan/Hans de Mandeville)
Das Reisebuch des Jean Mandeville wurde von vielen späteren Reisenden benutzt und ist somit eine
oft genommene Quelle für weitere Reiseberichte. Aber auch Mandeville selbst benutzte schon viele
ältere Reiseberichte und zeigt keine eigenen authentischen Reiseberichte. Der Text hat somit eine
Schlüsselstellung in Hinblick auf die Quellenlage im Mittelalter und Rezeption der Reiseberichte,
da er sehr verbreitet war und noch immer über 300 Handschriften in mehreren europäischen
Sprachen von Irland bis Dänemark, von Spanien bis Tschechien, von Italien bis Holland, existieren.
Alleine 90 deutsche Handschriften sind noch erhalten, sowie zahlreiche Nachdrucke.
Wer Jean Mandeville war, ist bis heute völlig unbekannt und über die Autorschaft gibt es lediglich
Vermutungen, aber keine Beweise.
Zu Beginn des Buches gibt es einige autobiographische Angaben, bei denen sich Mandeville als
Engländer (aus St. Albans, nördlich von London) vorstellt und von sich behauptet, ein Ritter zu
sein. Er stilisiert sich von Anfang an als Weltreisender.
Text 4:
Übersetzung von Michel Velser (war aus Südtirol, Sprache ist somit das Südbairische des
ausgehenden 14. Jh.)
-43-
29. 9. 1322: Abfahrt des Reisenden
Mandeville beschreibt genau, durch welche Länder (Persien, Syrien, Arabien, Libyen, Äthiopien,
Amazonien, Indien und viele weitere Orte) er gekommen ist. Das häufigste Attribut in seinem
Sprachgebrauch ist „wunderlich“. Er beschreibt die Völker, die Religionen, die Sitten und das
Verhalten und will jenen Menschen Informationen geben, die selbst reisen wollen und v.a.
Informationen für die Pilgerfahrt ins Heilige Land brauchen. Er behauptet, dass er die Pilgerfahrt
selbst gemacht habe. Das Buch wird auf Französisch geschrieben, damit es jeder leicht verstehen
könne (im Gegensatz zu Latein). Jene, die so eine Reise auch schon unternommen haben, sollten
den Wahrheitsgehalt seiner Erzählung bestätigen und zeigen, dass er sich in keinen Punkten irrte.
An anderen Stellen gibt es noch weitere Informationen zu seinem Leben (z.B. diente er dem Sultan
in Kairo).
Text 5:
Leben beim Sultan in Kairo
Die Zitadelle von Kairo wird beschrieben und auch die Besatzung der Burg. Mandeville gibt immer
wieder Wahrheitsbeteuerungen, die er auf sein Wissen als Kommandant über die Infanterie
zurückführt. Zum Lohn für seine Dienste sollte er auch die Tochter des Sultans zur Frau bekommen,
hätte dafür aber ein Moslem werden sollen, was er nicht wollte – trotz eines großen Erbes und der
Übernahme der Herrschaft in Kairo.
Text 6:
Aufenthalt in China beim Großkhan
Mandeville schreibt, dass er 15 Monate für den Kaiser von China gegen einen König aus Südchina
kämpfte.
Text 7:
Mandeville beschreibt noch einmal, wann er losgefahren war und was er alles besucht hatte. Er war
von 1322-1357 unterwegs. An dieser Stelle gibt es auch einen Kommentar des Übersetzers Michel
Velser, der den lateinischen Begriff podagra nicht kennt, und ihn somit auch nicht übersetzen kann.
Überlieferung des Mandeville
frühe Handschriften:
1390: Buch soll in Lüttich/Liège (Belgien) entstanden sein. Auf eine Entstehung in England gibt es
keinerlei Hinweise. Der Autor ist unbekannt, aber es gibt Hinweise auf Jean de Bourgogne dit à la
Bart.
Jean de Bourgogne und Mandeville sollen sich gekannt haben und sich am Hof des Sultans von
Ägypten getroffen haben.
Mandevilles Grab soll ursprünglich in einem Kloster in Lüttich gewesen sein. Von diesem Grab
existiert aber nur noch eine Abschrift mit dem Vermerk auf den Todestag am 7.2.1372. Im 16.
Jahrhundert wird aber auch in St. Albans ein Grab von Mandeville dokumentiert. In beiden Orten
werden Reliquien werden ausgestellt. Mandeville wird in der Schedelschen Weltchronik als größter
Reisender überhaupt dargestellt, der aber im 18. Jahrhundert in Vergessenheit gerät. Ab 1830 wird
Mandeville nicht mehr als größter Reisender aller Zeiten gesehen, sondern man beginnt an seiner
Identität zu zweifeln.
In einer Handschrift aus dem 15. Jh. wird das Leben des Autors noch abgerundet
-44-
Text 8:
1372 verstarb der edle Ritter Jean de Mandeville, mit dem Beinamen „der mit dem Bart“. Dieser
reiste sehr viel und was er mit den eigenen Augen gesehen hat, sammelte er in einem Buch zur
Kenntnis der Nachwelt.
Jean de Bourgogne habe angeblich auf dem Totenbett gestanden, selbst Jean Mandeville gewesen zu
sein (so vermerkt es die Lütticher Chronik). Über diese Frage gibt es aber viele Widersprüche, die
sich nicht lösen lassen. Manchmal wird Jean de Bourgogne auch als Freund gesehen, der
Mandeville in Ägypten traf und ihn dazu anregte, seine Erlebnisse aufzuschreiben. Es stellt sich
auch die Frage, ob Mandeville als Person überhaupt nur eine Fiktion ist?
Unklar ist auch der Wohnort in Lüttich. War dieser das Wohnhaus von Jean de Bourgogne oder das
Wohnhaus Mandevilles? In der Literatur finden sich immer wieder Gleichsetzungen dieser beiden
Personen. Mandeville soll aus England geflohen sein, weil er einen Totschlag verübte und Angst vor
Rache hatte, wohingegen Jean de Bourgogne ein Arzt in Lüttich gewesen sein soll. Da es in der
ältesten Handschrift nicht nur den Reisebericht, sondern auch ein Traktat über die Pest gibt, stellt
sich die Frage, ob der Autor nun doch ein Mediziner gewesen sein musste.
Forschungen zur Person des Mandeville
Michael C. Seymour wollte den Autor des Reisebuches von seinen Quellen her eruieren und schrieb
1993 eine Monographie über Mandeville. Er vermutet, dass Mandeville ein französischer
Geistlicher war, der in Nordfrankreich eine große Klosterbibliothek zur Verfügung gehabt habe und
möglicherweise ein Benediktinermönch gewesen war. Seymour glaubt, dass der Autor Jean le
Long/Jean d´Ypres war. Dieser lebte und wirkte im Kloster Saint Bertin in St. Omer und war dort
seit 1340. Er studierte in Paris, übersetzte Odorico, Wilhelm von Boldensele und weitere Autoren
von Reiseberichten ins Französische und war somit mit Reiseberichten vertraut. Zu Odorico und
Wilhelm von Boldensele lässt sich sagen, dass diese beiden Texte auch die Hauptquellen für den
Mandeville gewesen sein mussten. Jean le Long/Jean d´Ypres war Bibliothekar im Kloster von St.
Omer und später auch dessen Abt. Sein Todesjahr ist 1383 datiert. Die Arbeit an seinen
Übersetzungen war 1351 beendet und Seymour vermutet, dass er ab 1356 das Mandeville-Buch
verfasst haben könnte. Da das Kloster allerdings während der französischen Revolution zerstört
wurde, sind nur noch Teile der ehemaligen Handschriften erhalten.
Aufbau des Mandeville
Reisebericht des Mandeville ist in zwei Teile unterscheidbar:
1. Teil: Pilgerbericht (Wege nach Jerusalem und Beschreibung des Landes)
2. Teil: Fernreiseteil und Entdeckungsbericht bis nach Ostasien und Ostafrika
Der Autor Mandeville thematisiert immer wieder das Phantastische und Unglaubwürdige und
täuscht eine Neugier auf fremde Völker und Länder vor.
Text 10:
Schilderung der Kugelgestalt der Erde
Mandeville versichert, dass man rund um die Erde fahren könne und dann wieder zurück nach
Hause komme. Er spricht auch von den Antipoden zwischen der Nord- und Südhalbkugel, auch
zwischen Westen und Osten.
Im Mittelalter wurde die Kugelgestalt der Erde immer wieder thematisiert (beispielsweise auch bei
Berthold von Regensburg, Mainauer Naturlehre). Das ist ein Beweis dafür, dass das Mittelalter
nicht so dunkel und finster war, wie man später behauptete. Mandeville gibt seine Quellen
jedenfalls nicht an, diese können aber dennoch eindeutig nachgewiesen werden. Für den ersten Teil
ist dies der Reisebericht Wilhelm von Boldenseles (1333 im Heiligen Land) und für den zweiten
Teil der Fernreisebericht Odoricos.
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Fassungen und Übersetzungen des Mandeville
Es gibt verschiedene Fassungen des Mandeville:
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kontinentale Fassung
insulane Fassung
Lütticher Fassung
Eine wichtige Übersetzung ins Deutsche ist jene von Michel Velser. Dieser stammte aus Südtirol,
Völs am Schlern, und seine Übersetzung ist die beste Ausgabe auf Deutsch, die von Mandeville
erhalten ist. Velser war Verwalter einer Burg und lernte Französisch. Er übersetzte ins
südtirolerische Bairisch, wahrscheinlich im späten 14. Jahrhundert. Es gibt immer wieder Einschübe
in der Übersetzung, die über seine Person und seinen Gesundheitszustand Auskunft geben, so
beschreibt er seine Gicht und einen erlittenen Schlaganfall). Auch Hinweise auf die Entstehungszeit
dieser Übersetzung lassen sich finden. Velser verweist z.B. auf einen Besuch eines Herzogs aus
Lancaster unddie Übergabe eines Tieres an den Herzog von Mailand, wodurch sich die
Entstehungszeit auf die Jahre 1393-99 begrenzen lässt.
Eine weitere Übersetzung stammt von Otto von Diemeringen, der an der Kathedrale von Metz
wirkte. Dieser nennt sich selbst in den Handschriften „Domherr zu Metz“ und das ist auch in
einigen Protokollen dieser Zeit nachweisbar. Über ihn ist das Sterbedatum bekannt (1398) und
studierte wahrscheinlich in Paris und hatte von dort eine Ausgabe des Mandeville. Von dieser
Übersetzung gibt es bis heute nur einen Inkunabel-Druck und leider keine so gute Ausgabe, wie von
der Velser-Übersetzung.
Velser arbeitete genauer am Original, während Diemeringen mehr veränderte (er machte 5 Teile).
Inhaltlich wertete Otto von Diemeringen die christliche Religion sehr auf und die anderen dadurch
ab. Das lässt sich im Original und der Übersetzung von Michel Velser so nicht finden.
Wichtige Dateien befinden sich auf moodle und werden aus rechtlichen Gründen nicht mit diesem
Skriptum hochgeladen. Wer sie für die Prüfung braucht, kann mir eine Mail schreiben:
[email protected]
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Literaturverzeichnis
Ausschnitte aus dem Reisebericht des Marignola
Ausschnitte aus dem Reisebericht des Odorico
Ausschnitte aus dem Reisebericht des Marco Polo
Ausschnitte aus dem Reisebericht des Schiltbergers
Ausschnitte aus dem Reisebericht des Mandeville
→ die Ausschnitte aus den Reiseberichten sind für die Vorbereitung zur Prüfung zu lesen.
3 Prüfungsfragen beim 1. Termin:
1) Die „Ystoria Mongolorum“ des Johannes Plano de Carpini.
2) Die deutschen Übersetzungen des Marco Polo im Spätmittelalter.
3) Subjektives und objektives im Reisebericht des Hans Schiltberger.
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