ÄdL REISEBERICHTE – ZUSAMMENFASSUNG VERSCHIEDENER MITSCHRIFTEN Di, 9.45-11.15, HS34, Hellmuth SS 2015 1. Einheit am 3.3. Inhalt der Vorlesung: Fernreiseberichte aus dem Mittelalter: erste Berichte über bis dahin unbekannte Gebiete Bilderberichte kommen bei ihm nicht vor Unterlagen werden auf moodle zu finden sein (Bibliographie und Textbeispiele) Marco Polo etc. in der Sprache des 14./15. Jh. im Original schriftliche Prüfung am 30.6.: 3 allgemeine Fragen zum Stoff (zu Texten und Autoren das Wesentliche sagen können, die Bedeutung der Texte kennen) – weitere Termine im Herbst, bzw. mündlich in den Sprechstunden (einfach hingehen, ab Juli) gibt teilweise noch keine kritischen Ausgaben zu den einzelnen Texten... Edition sind oftmals erst in Vorbereitung Reiseliteratur wurde erst im späten 20. Jh. Forschungsgebiet der Mediävistik kommt bis dahin nur sporadisch und ausschnitthaft in Lesebüchern und Sammelbänden vor THEORIEN zur REISELITERATUR (inkl. Bibliographie): 1990: Forschungsbericht über deutschsprachige Literatur aller Jahrhunderte erschienen → Peter J. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als Vorstudie einer Gattungsgeschichte. Tübingen 1990 ist sehr umfangreich (740 Seiten insgesamt, aber nur 40 Seiten für mittelalterliche Reiseberichte) Bibliographie der deutschen Reiseberichte des Mittelalters: Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie. Hg. von Werner Paravicini. Teil 1: Deutsche Reiseberichte. Bearbeitet von Christian Halm. Frankfurt a M. 1994, (2. Aufl. 2001) unbedingt 2. Auflage verwenden, weil die erste sehr fehlerhaft ist zweiter und dritter Teil: französische und niederländische Reiseberichte Fast alle Untersuchungen zur ma. Reiseliteratur stammen aus den letzten Jahrzehnten. Warum wurde die Reiseliteratur so lange vernachlässigt? Sie sind die allerältesten Texte der europäischen Literatur (Odyssee von Homer) und waren für klassische Philologen interessant. Zum Beispiel auch der „Periplus“ von Skylax (Schiffsreise, die nur in Fragmenten erhalten ist, 6. Jh. v. Chr.). Ein weiterer wichtiger alter Bericht ist von Pytheas von Massilia, der bis in den Norden Europas kam (an Spanien und GB vorbeigesegelt bis in die Nordsee und wahrscheinlich in den Nordatlantik) – auch hier sind nur Fragmente erhalten. In der deutschen Literatur sind Reiseberichte mit literarischen Ansprüchen erst sehr spät zu finden (z.B. bei Goethe die Italienreise). Bis ins 18. Jh. sollten also authentische Informationen gegeben werden, die durch eigene Anschauungen angereichert werden. Ästhetische Ansprüche waren nicht so wichtig. Der Fokus lag auf dem Inhalt. Wahrscheinlich beachtete deswegen die Literaturwissenschaft die Reiseberichte für eine sehr lange Zeit gar nicht. -1- 1) Erweiterung des Literaturbegriffs Reiseberichte veränderten den Literaturbegriff der Germanistik im späten 20. Jahrhundert, ausgehend auch von der 1968er Bewegung. Friedrich Sengle: Literarische Formenlehre. Vorschläge zu ihrer Reform. 1967 → Sengle weist darauf hin, dass über die konventionalisierte Gattungstrias (Epik, Lyrik, Dramatik) auch noch die Zweckformen der Literatur zu berücksichtigen seien (Tagebücher, Reiseberichte...). Dadurch steigt auch das Interesse an den vor- und nachklassischen Perioden (Stauffische und Weimarer Klassik waren lange im Zentrum der Forschung) Dichtung des späten 13. und 14. und 15. Jahrhunderts galt bis dahin lediglich als Epigonentum der Stauffischen Klassik. Es werden nun auch Kleinformen des Erzählens berücksichtigt. (Ehrendichtung, didaktische Literatur...). Auch die Fachprosaforschung (mittelalterliche Fachliteratur) nimmt dabei ihren Ausgang. Wird zu einem wichtigen Forschungbereich der Mediävistik und wird von Gerhard Eis (Heidelberg) begründet. Gerhard Eis: Mittelalterliche Fachliteratur. 1962 Die Fachliteratur wird auch Artesliteratur genannt und oft synonym verwendet – in diesen Bereich fallen auch die Reiseberichte. Der Begriff ist auf die artes liberales (Trivium und Quadrivium), die artes mechanicae und die artes prohibitae zurückzuführen. Die artes liberales wurden von jenen gelernt, die es sich leisten konnten. Das Trivium war Grammatik, Rhetorik und Dialektik. Im Quadrivium Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Die artes mechanicae betrafen die „nützlichen Tätigkeiten“ wie Seefahrt, Erdkunde, Landwirtschaft, Handel etc. - die Reiseberichte sind eng damit verbunden, weil sie Informationen über Seewege und Handelswege geben. Die artes prohibitae waren die verbotenen Künste, vor allem die Magie und die Zauberkünste. Gibt viele Bücher, die sich mit verbotenen Künsten auseinandersetzen und sind zu hunderten überliefert (z.B. zur Tierheilkunde etc.). Die Reiseberichte des Mittelalters geben auch Rückschlüsse auf die damaligen Lebensverhältnisse, Erkenntnisstand und Bildungsmöglichkeiten. Geben auch Aufschlüsse über die Denkweise der Autoren und Rezipienten. Das Forschungsfeld der Reiseberichte bietet somit die Möglichkeit für interdisziplinäre Forschungsansätze. 2) Anstöße durch andere Geisteswissenschaften Neuorientierung der Geschichtswissenschaft in Frankreich in der Zwischenkriegszeit: Nouvelle histoire = Ecole des „Annales“, liefert einen Anstoß zur Beschäftigung mit diesen Texten. Die Annales waren eine Zeitschrift, die mehrmals ihren Namen wechselte. Zunächst von 1929-39 widmeten sich die Annales der Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Diese Geschichtswissenschaft ging stark von Marxistischen Prämissen aus. Begründer der nouvelle histoire waren Lucien Febvre, Marc Bloch, Fernand Braudel, Georges Duby (war ein Mittelalterforscher), Jacques Le Goff und Emmanuel Le Roy Ladurie (Buch über Pyrenäendorf im Spätmittelalter, beschreibt Inquisition) → das Interesse an der Erforschung von sozialen und ökonomischen Strukturen, sowie der Alltagsgeschichte war dadurch geweckt. Immer mehr werden auch Briefe, Tagebücher, Autobiographien und auch die Reiseliteratur zum Forschungsgegenstand, weil sie genau zu diesen Fragen Auskünfte geben. Der geistige Horizont der Autoren der Reiseberichte spielt eine wichtige Rolle: welche Voraussetzungen bringen Mönche und Kaufleute mit, die Indien und Asien bereisen und wahrnehmen? Welche Vorurteile werden formuliert? Wie gehen die Menschen im Mittelalter mit dem Fremden um? -2- Es gibt auch wahrnehmungspsychologische Untersuchungen zu den Reiseberichten. z.B. von Michel Mollat: Les explorateurs du XIIIe au XVIe siècle. Paris 1984 Die Erforschung der Reiseberichte ist also nicht nur für die Literaturwissenschaft interessant, sondern auch in anderen Disziplinen Forschungsgegenstand. 3) Die Krise des Reisens durch den Massentourismus Bis ins 18. Jahrhundert gab es immer konkrete Anlässe für Reisen: Geschäftsreisen, Bildungsreisen, diplomatische Reisen, Wallfahrten – Reisen als Abenteuer war bis ins 18. Jahrhundert völlig unbekannt. Reisen als Freizeitgestaltung ist auch heute noch für einen Großteil der Menschen völlig unmöglich. Reisen war in alter Zeit auch nicht erfreulich und angenehm, sondern sehr strapaziös. Auch die Verbannung von der Heimat zeigt, wie negativ das Herumirren gesehen wurde. mhd. elend, germ. alja-landja: in der Fremde sein (Schwierigkeiten und Gefahren sind zu erdulden, die man zuhause nicht auf sich nehmen müsste) → „Fernweh“ ist somit eine romantische Kategorie Marco Polo und den anderen werden erst nachträglich die Motive des Fernwehs unterstellt – auch die Neugier dürfte kein Antrieb gewesen sein. Vielmehr sind pragmatische Gründe (Handel) zu suchen. Die Suche nach dem Glück in der Ferne ist ein viel späteres Motiv. In vielen Berichten wird das Christentum mit der Moral der Einwohner einer fernen Gegend verglichen und schneidet dabei nicht immer gut ab. Dies hat aber auch didaktische Gründe, damit die Christen zuhause, sich noch mehr Mühe gäben, moralischer zu handeln. Im Mittelalter ging man nicht davon aus, dass es schon auf der Erde einen Ort gäbe, auf dem man sein Glück finden könnte. Erst mit der Entdeckung der Südseeinseln im 18. Jh. taucht der Gedanke eines irdischen Paradieses auf. Diese Suche nach dem irdischen Paradies manifestiert sich v.a. im heutigen Massentourismus. Hans Magnus Enzensberger: Eine Theorie des Tourismus. 1964 darin: Die Verwirklichung des romantischen Traumes eines irdischen Paradieses wird durch den Tourismus eigentlich zerstört: „Der Tourismus vernichtet all das, was er zu leben vorkommt.“ Berichte über Reisen sind heute nicht mehr so interessant, weil jeder Durchschnittstourist entlegene Gebiete bereisen kann. Die Informationsfunktion des Reiseberichtes ist heute auf andere Medien übergegangen (Fernsehreportage, Lichtbildervorträge, etc.). Die literarische Darstellung weicht der bildlichen Darstellung. Nach wie vor ist Reiseliteratur aber ein wichtiger Bereich des Buchmarktes (Reiseführer und Bildbände). Reiseführer werden aber immer mehr auf Spezialbedürfnisse zugeschnitten. Bildbände enthalten immer weniger Text, dafür sehr ästhetisch ansprechende Bilder. In manchen Rundfunksendungen und Feuilletons gibt es noch Reiseessays – die Subjektivität der Reisenden und ihre Impressionen stehen dabei im Vordergrund. (z.B.: Christoph Ransmayer: Atlas eines ängstlichen Mannes. → Sammlung von Reiseskizzen aus heutiger Zeit.) England: Reisebericht hat nach wie vor eine starke Präsenz (British Empire, Forschungstätigkeit auch in ehemaligen Kolonien) Der Reisebericht als literarische Gattung ist wahrscheinlich schon eher an einem Endpunkt angekommen, wegen der Universalisierung des Reisens und der Verlagerung der Informationsfunktion in bildliche Darstellung (Filme, Internet...). -3- Möglicherweise führt die Krise des Tourismus auch zu einem verstärkten Interesse an konventionellen Reiseberichten der Vergangenheit. Dies führte zu einer Fülle an Neubearbeitungen und Neuausgaben alter Texte (in allen Preislagen und für jedes Publikum). Viele dieser Ausgaben sind aber bearbeitet, gekürzt, durch Übersetzung verfälscht und somit für die wissenschaftliche Arbeit nicht geeignet. Alte Reiseberichte berichten uns von einer Welt, die heute nicht mehr erreichbar ist. Sie sind Gegenstände historischen Interesses, weil sie Auskunft über das europäische Welt- und Selbstverständnis vom Mittelalter bis in die Gegenwart geben. Sie können somit Teil einer historischen Anthropologie sein. Norbert Ohler: Reisen im Mittelalter. 1986 (4. Aufl, 2004) Folker Reichert: Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter. 2001 (gutes allgemeines Buch zum Reisen im Mittelalter) Die Editionslage zu den mittelalterlichen Reiseberichten ist unterschiedlich (sehr gute Marco Polo Ausgabe, v.a. altfranzösisch). Eine kritische Mandeville-Ausgabe fehlt aber noch. Hier gibt es nur einzelne Handschriften und teilweise Inkunabeldrucke. Es gab damals Fassungen für ein jeweils unterschiedliches Zielpublikum: Kaufleute, Gelehrte, Adelige... Die jeweiligen Textfassungen waren unterschiedlich bearbeitet. Damit sind philologische und interpretatorische Probleme verbunden. Es gibt noch weitere Texte des Mittelalters, denen eine Reise zu Grunde liegt, die in dieser Vorlesung aber nicht behandelt werden: Allegorische Reisen im Mittelalter: Christine de Pisan: Reise über das lange Studium Imaginäre Reisen (Jenseitsreisen): Divina commedia etc. Traumallegorien in Form einer Reise Reisethematik in den großen Romanen: Spielmannsepik (die Reisen und Abenteuer des Spielmannes) aber auch im Parzifal (Orientreise in der höfischen Literatur) 2. Einheit am 10.3. Jakob von Vitry (gest. 1246 in Rom): lebte als Bischof im Heiligen Land und verfasste eine Geschichte der Kreuzzüge (historia orientalis). Er schrieb Reiseberichte in Briefform aus seiner Zeit in Syrien und verfasste auch beispielhafte Erzählungen aus dem Orient, die auf diese Weise nach Europa gekommen sind. Es gibt grundsätzlich viele Briefe von Kreuzfahrern, welche in diesen Auskunft über die Verhältnisse im Orient, Rom, Sizilien etc. geben. Viele dieser Briefe enthalten persönliche Bewertungen und Beobachtungen. Für eine Gliederung der Reiseliteratur, scheint es am Sinnvollsten, sich an dem Zweck der Reise zu orientieren. Diese Gliederung wird bei Jean Richard entworfen. Jean Richard: Les récits de voyages et de pèlerinages. Turnhout 1981. (Typologie des sources du Moyen-àge occidental. Bd. 38) -4- Jean Richard unterteilt die Reiseliteratur in 7 Gruppen: 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) Pilgerführer Pilgerberichte Kreuzzugsschilderungen Berichte von Botschaftern und Missionaren Führer für Kaufleute Berichte von Forschern und Abenteurern Imaginäre Reisen Diese Einteilung ist auch für die deutschsprachige Literatur akzeptabel. Im Mittelpunkt der Lehrveranstaltung stehen Berichte von Botschaftern und Missionaren und Berichte von Forschern und Abenteurern. Die Grenzen sind aber manchmal fließend. Wolfgang Achnitz: Deutsches Literaturlexikon. Das Mittelalter. Reiseberichte und Geschichtsdichtung (Band 3). Berlin 2012 → bringt Reihenfolge in die Texte, viele sind allerdings anonym darin ist auch ein Essay zur Reiseliteratur enthalten 1) Pilgerführer: Diese hängen auch eng mit der Heiligenliteratur zusammen. Die meisten Pilgerfahrten des Mittelalters gingen in die Nähe (blieben also im eigenen Land), es gab aber auch Fahrten in entlegenere Gebiete (peregrinationes maiores), v.a. nach Santiago, Rom und Jerusalem. Wichtige Pilgerführer aus dem Mittelalter: Santiago de Compostela: Liber Sancti Jacobi (Titel erst aus dem 19. Jahrhundert, Buch schon im 12. Jh. entstanden) → War der wichtigste Pilgerführer für das westliche Europa zum Grab des Hl. Jakobus. Klaus Herbers: Der Jakobsweg mit einem mittelalterlichen Pilgerführer. → beschreibt Wegverlauf, Unterkünfte, Länge der Etappen, die Heiligtümer von unterwegs Rom: Pilgern zu den Gräbern von Paulus und Petrus in der Peterskirche Itineraria Romana CCSL (große Sammlung von Texten des Mittelalters); Band 175 und 176: Pilgerführer nach Rom aus dem Mittelalter Jerusalem: besonders großes Interesse bestand aber an Pilgerführern ins Heilige Land: Wegkenntnis aufgrund der großen Entfernung war besonders notwendig und wichtig Herbert Donner: Pilgerfahrt ins Heilige Land. Itinerarium Burdigalense (333/334) → Wegbeschreibung von Bordeaux bis ins Heilige Land Der Verfasser ist anonym, hat aber seine Reise im Frühling 333 begonnen und im Frühling 334 beendet. Jerusalem war damals auch ein Teil des Römischen Reiches, genauso wie Bordeaux. Das Itinerarium Burdigalense ist ein sehr trockener Reiseführer, streckenweise erfolgt eine reine Aufzählung der Orte und Poststationen (zum Pferdewechseln). Trotzdem handelt es sich dabei um ein wichtiges Dokument, auch um das entstehende Christentum im Römischen Reich und Heiligen Land zu erforschen. Dank dieses Pilgerberichts weiß man, dass das Reliquienwesen damals noch nicht stark ausgeprägt war. -5- Der Itinerartypus beschreibt den Reiseweg eher weniger über persönliche Erfahrungen. Diese Form ist sehr häufig. Dennoch sind viele Pilgerführer eher eine Beschreibung des Landes in Form einer descriptio terrae. Vor allem ab dem 11. Jh. ist ein starker Zuwachs an Pilgerführern ins Heilige Land zu verzeichnen. In diesen wird der Hinweg selbst nicht mehr beschrieben, sondern vor allem das Heilige Land. Matthaeus Paris: stammte aus London und war ein Dominikanermönch, sowie ein bedeutender Historiker des 13. Jh. (verfasste eine Chronik der englischen Geschichte). Sein Itinerarium beinhaltet seine Reise von London bis Jerusalem. Burchhardus de Monte Sion: stammte aus Magdeburg und reiste 1283 ins Heilige Land (war schon das Ende der Kreuzzugszeit); Bei seinem Bericht handelt es sich um eine sehr beliebte descriptio terrae sanctae, die in über 90 Abschriften erhalten ist und für die Zeitgenossen ein sehr wichtiges Informationsmaterial für ihre Pilgerreisen war. Burchhardus war selbst im Heiligen Land und ließ seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse miteinfließen. Sein Bericht ist eine Mischung aus Pilgerbericht und Reiseführer. Vertrieb der Pilgerführer im Mittelalter: Diese waren vor allem in Venedig vor der Einschiffung verfügbar, ist aber nicht mit Sicherheit beweisbar. Man kann aber von einem großen Verschleiß der Bücher durch die Reisestrapazen ausgehen. Ab dem frühen 14. Jahrhundert dominieren Reisebeschreibungen, da die Zeit der Pilgerführer und Kreuzfahrten schon abgeklungen ist. Die Pilgerführer und Pilgerberichte standen sich sehr nahe und es ist schwierig, diese beiden voneinander abzugrenzen. 2) Pilgerberichte: Bei den Pilgerberichten steht das eigene Ich nicht so im Mittelpunkt, allerdings konnte es als besonders frommes Ich thematisiert werden. Hieronymus: Epitaphium Sanctae Paulae (404): Hat die Pilgerreise der Heiligen Paula ins Heilige Land gemeinsam mit ihrer Tochter zum Inhalt. Wurde immerhin von Hieronymus verfasst und die Pilgerreise ist ein Teil der Heiligenvita der Heiligen Paula. Jean de Joinville: Vie de Saint Louis Die Pilgerberichte sind häufig Teile von Heiligenviten (z.B. des Königs Ludwigs und des VI. Kreuzzugs in der Mitte des 13. Jahrhunderts). Der Verlauf des Kreuzzuges wird nicht so sehr beschrieben, eher die Frömmigkeit des Königs Ludwigs. Auch in der keltischen Tradition gibt es viele Reisebeschreibungen und -berichte. Oft sind es Eremiten, die in der Ferne leben und ihren Bericht verfassen: z.B. die St. Brandan-Legende aus dem 10. Jahrhundert, eine abenteuerliche Geschichte, die auf Latein verfasst wurde und in Deutschland erschien. Die Motive der Pilgerfahrt werden meistens am Anfang der Pilgerberichte genannt. Diese sind meist, dass der Pilger den Spuren Christi folgen möchte und die Orte der Propheten kennenlernen will, wo ihnen ihre Wunderzeichen offenbart wurden. -6- Wichtige Pilgerberichte: Wilbrand von Oldenburg: ist ein lateinischer Pilgerbericht aus dem 13. Jahrhundert. Wilbrand starb 1234 und war Bischof in Oldenburg. In seinem Pilgerbericht berichtet er für jene, die das Heilige Land nicht besuchen können und es nur über zweite Hand erfahren können. Dietmar von Merseburg (13. Jahrhundert): Seine Darstellung der Pilgerreise sollte den Lesern Freude verschaffen Burchhard de Monte Sion: Er fordert den Leser auf, auch selbst das Heilige Land zu besuchen. Wer das nicht kann, soll zumindest von seinen Erkenntnissen und Erfahrungen profitieren und diese lesen. Felix Fabri (reiste 1480 und 1483 nach Jerusalem): Er war ein Dominikaner und wurde von seinen Brüdern in Ulm gebeten, für sie alles möglichst genau aufzuschreiben. So schrieb er für seine Mitbrüder einen sehr detaillierten Pilgerbericht, der in 3 verschiedenen Ausgaben erschien: als lateinischer Bericht für Mitbrüder, als Kurzfassung in deutscher Sprache und schließlich noch in einer weiteren, nochmals gekürzten, Fassung. Einfließen des Biographischen in Pilgerberichten: In der ältesten Reiseliteratur war das Autobiographische noch gar nicht enthalten. Langsam findet es aber auch in der Pilgerberichten Einzug. Saewulf (12. Jh.): Pilgerreise von England ins Heilige Land. Es handelt sich um einen lat. Bericht. Grundsätzlich ist die Darstellung sehr unpersönlich, aber er lässt seine eigenen Erfahrungen einfließen und erzählt, wie er mehrmals Schiffbruch erlitten hätte und sich gerade noch retten konnte. In diesem Zusammenhang beschreibt Saewulf sogar seine eigenen Empfindungen bei diesen Ereignissen. Gegen Ende 13. Jh. gehen die Kreuzzüge zu Ende (1291: Fall Akkons). Ab 1330 nimmt die Zahl der Pilgerberichte rapide zu und Pilgerreisen waren sogar über Venedig buchbar. Es gab zu diesem Zweck sogar Pilgerführer und man konnte bei den Banken einzahlen, um die Kosten dafür abzudecken. Im Spätmittelalter entstehen auch deutschsprachige Pilgerberichte in beträchtlicher Zahl (vgl. Literaturliste). Auch das persönliche Element wird immer mehr hervorgehoben, da es sich schließlich sich um die eigene Pilgerreise und somit die Entfaltung der eigenen Religiösität handelt. In den Pilgerberichten wird das individuelle Element hervorgehoben. 3) Kreuzzugsschilderungen: Dabei handelt es sich um Berichte über Kämpfe und die Teilnahme an Kämpfen, auch Itinerarium peregrinorum genannt. Im Wesentlichen sind diese Kreuzzugsschilderungen Beschreibungen eines Zuges ins Heilige Land aus der Sicht eines Pilgers und Kreuzfahrers. Die Texte stammen v.a. aus dem 13. Jh, weil nach dem Fall von Lakon (1291) keine Kreuzzüge mehr stattfanden. Bei den Kreuzzügen wurden wesentliche Stätten des Heiligen Landes besucht, aber auch die Christen des Heiligen Landes wurden militärisch unterstützt. Hierosolymita: hierbei handelt es sich um lateinische Texte, die Jerusalem beschreiben. Der Kreuzzuge wird bei Hierosolymita als Pilgerfahrt verstanden. 1065: Zug des Gunter von Bamberg: Gunter reiste mit vielen Erzbischöfen und einem großen Gefolge ins Heilige Land. Bei diesem Kreuzzug wird das Ezzolied gesungen. Dabei handelt es sich um das erste Lied in deutscher Sprache. Inhaltlich werden die Wunder Christi besungen. Das Ezzolied stammt aus der Zeit vor den eigentlichen Kreuzzügen. Eine Verbindung von Pilgerfahrt und Kampf findet sich aber auch in Berichten von Reisenden aus anderen europäischen Regionen (z.B. auf der Iberischen Halbinsel). -7- Auch in den historischen Chroniken gibt es immer wieder Darstellungen der Kreuzzüge. In diesem Falle ist es häufig schwierig, historische Berichte vom Pilgerbericht zu unterscheiden. Dazu kommt, dass nicht alle Pilger auch an den Kämpfen teilnehmen wollten und viele von ihnen in friedlicher Absicht reisten (z.B. der große Sachsenherzog Heinrich der Löwe). Arno von Lübeck: chronica slavorum (Pilgerreise von Heinrich dem Löwen wird beschrieben) Die Kreuzzugsschilderungen entsprechen oft dem streng chronologischen Erzählen eines Itinerars. In den Volkssprachen wurde bis zum 12. Jahrhundert kaum über Kreuzzüge berichtet, auch nicht in der altfranzösischen Literatur. Es gibt keine Erzählungen, die Kreuzzüge zum Inhalt haben. Nur in den altfranzösischen chanson de gestes werden Kreuzzüge in Form von einer alten Dichtung aus einer vergangenen Zeit behandelt. 4) Berichte von Botschaftern und Missionaren In diesen Bereich fallen Berichte von gebildeten Diplomaten, die im Auftrag von Päpsten und Königen in ferne Länder reisten und über diese Reisen ihre Berichte abgeben mussten. Manchmal gab es schon im Vorhinein Fragenkataloge, die beantwortet werden mussten. Diese Reisen dienten also auch der Information über andere Völker und eventueller Feinde. Die Botschafter sorgten auch dafür, dass es einen Austausch zwischen verschiedenen Herrschern geben konnte. Ein Beispiel dafür ist die Begegnung der fränkischen Delegation mit dem Kalifen Harun Al Raschid von Bagdad. Die Botschafter bekamen einen Elefanten als Gastgeschenk und reisten mit diesem zurück in ihre Heimat. Leider ertrank der Elefant aber im Rhein, wie im Bericht vermerkt wird. Man sieht daran, dass nicht jede Begegnung feindlicher Natur war. Botschafterberichte aus der Zeit der Kreuzzüge: Wilhelm von Tyrus: Er war Bischof und Kanzler des Heiligen Landes und ab 1175 auch der Erzbischof von Tyrus. Er verfasste die bedeutendste lateinische Chronik der Kreuzzugszeit und verfügte über alle möglichen Informationen (auch über die der Botschafter, die nach Kairo und an andere arabische Höfe gesandt waren), die er in die Chronik einarbeitete. Aus dem Frühmittelalter gibt es aber kaum Berichte über Kontakte mit arabischen und zentralasiatischen Völkern in Kontakt mit europäischen Völkern. Diese finden sich erst ab dem 13. Jahrhundert. Mit dem Auftauchen der Mongolen, gibt es viele Beschreibungen über die Kontakte zwischen Europäern und Zentral- und Fernasien. Die Bedrohung durch die Mongolen war damals die Lebensrealität der Menschen, da dieses Volk bis Korneuburg vordrang. 3. Einheit vom 16. 3 2015 Eroberungszüge der Mongolen: Im Jahr 1206 beginnt mit Dschingis Khan (Činggis-Khan) der Aufstieg der Mongolen, indem er verschiedene mongolische Stämme unterwarf und einte. Im Jahr 1227 verstarb Dschingis Khan. Sein Nachfolger wird Ögedei, dessen Hauptstadt sich bereits in Karakorum befand. 1241 sind die Mongolen schon bis ins östliche Mittelmeer vorgestoßen. In der Schlacht von Liegnitz (Schlesien; 60 km westlich von Breslau), am 9. 4. 1241, gelang es den Mongolen ein polnisch-schlesischdeutsches Heer unter Heinrich II. von Schlesien zu schlagen. Die Ritter in ihren schweren Rüstungen waren dem mongolischen Heer absolut unterlegen. Am 11. 4. 1242 fiel der ungarische König Bela IV. in der Schlacht bei Mohi, ebenfalls gegen die Mongolen. Im Zuge dessen stießen die Mongolen bis nach Korneuburg vor. Am 11. 12. 1241 verstarb allerdings plötzlich Ögedei. -8- Batu Khan, der Feldherr des Westfeldzugs, brach den Feldzug darauf ab und zog mit seinem Heer zurück in den Osten. Die Mongolen verfolgten eine grausame Kriegstaktik, indem sie Dörfer angriffen und darauf warteten, dass die Bewohner in die Felder fliehen, um sie dort ungeschützt zu überfallen. Große Teile des Ostens Europas gehörten ab der Mitte des 12. Jahrhunderts zum Reich der Goldenen Horde. Güyük (1246-48) und Mönke (1251-59) waren weitere wichtige Großkhane. Später gab es keine Khane mehr, die das gesamte Großreich beherrschten. Folker E. Reichert: Begegnungen mit China. 1992. Die Mongolen waren in den Quellen bereits vor ihrem Sturm auf Europa bekannt. In den europäischen Quellen werden sie fast immer als Tartari bezeichnet vor. Die Bezeichnung kommt wahrscheinlich von einem ehemals kleinen Stamm. Das r in Tartari hängt wahrscheinlich mit dem Tartarus, der Hölle, zusammen. Es handelt sich daher um eine Assoziation mit der Unterwelt, also ein Volk, dass den Tiefen der Hölle entkommen ist. Im Mittelhochdeutschen fehlt interessanterweise das r. Berichte über das Mongolenreich Die Alexander-Literatur hat viel zum geographischen Wissen der Welt beigetragen. Sonst gab es nur eine ferne Kenntnis von China. Erst der Mongolenzug brachte eine Wende herbei. Nach dem Rückzug der Mongolen sah man in ihnen potenzielle Verbündete gegen den Islam. Bereits im 12. Jahrhundert sind Boten nach Europa gekommen, die von einem Priester Johannes sprechen, welcher weit im Osten sein Reich hat und bereit ist, gegen den Islam zu Felde zu ziehen. Von Ungarn aus sind bereits in den 20er des 12. Jahrhunderts Dominikaner in den Osten gereist. Ein Mönch namens Julianus ist hier zu nennen und konnte auch schon etwas über den Mongolenfeldzug in Erfahrung bringen. Ein weiterer Gesandter war ein flämischer Ritter namens Balduin von Hennegau. Diese Gesandtschaft war weitgehend erfolglos. 1245 gab es eine weitere Delegation im Auftrag Papst Innozenz IV. Die Leitung übernahm der Franziskaner Johannes de Plano Carpini (*ca. 1180/85; †1252), einer der engsten Gefolgsmänner des Franz von Assisi. Als er zu den Mongolen aufbrach, muss er mindestens 60 Jahre alt gewesen sein, wurde vom Papst aber als besonders würdig empfunden. Er war nicht der erste Europäer, welcher in das mongolische Reich kam. Er war aber der Erste, der einen ansprechenden Bericht verfasste. Einer der wichtigsten Begleiter war Benedikt von Polen. Er war in erster Linie Dolmetscher und verfasste ebenfalls einen kurzen Bericht. Im April 1246 ist Johannes de Plano Carpini beim Fürsten Batu an der Wolga angelangt. Der Fürst sah sich aber nicht zuständig und verwies auf den Großkhan in Karakorum, um ihn die Ausdehnung des Reiches aufzuzeigen. Deshalb reiste er weiter, erreichte Karakorum aber nie direkt, sondern nur den Aufenthaltsort in der Nähe der Hauptstadt. Johannes verblieb drei Monate am Hof des Khans, der sich den Brief des Papstes übersetzten ließ. Der Brief des Papstes und die Antwort des Khans sind erhalten geblieben. Karl Ernst Lupprian: Die Beziehungen der Päpste zu islamischen und mongolischen Herrschern im 13. Jahrhundert anhand ihres Briefwechsels. Cittá del Vaticano 1981, Nr. 21, 13. 3. 1245. und Nr. 32 11. 11. 1246 Inhaltlich zielt der Brief darauf ab, dass der Großkhan seine „mordgierigen Hände“ nicht weiter nach Westen ausstrecken soll. Ansonsten müsse er mit der Strafe Gottes rechnen. Wie der Khan den Brief verstanden hat, weiß man nicht. Der Brief wurde, wie alle Briefe, als Unterwerfungsgeste interpretiert, dementsprechend wurde auch die Antwort formuliert, die in persischer Sprache formuliert ist. -9- Interessant sind auch Formulierungen, die eine theologische Diskussion betreffen, denn woher sollen die Christen wissen, wer im Auge Gottes würdig ist? Diplomatisch ist die Gesandtschaft gescheitert, der Bericht des Johannes de Plano Carpini ist kulturhistorisch aber von äußerster Wichtigkeit und wurde ebenso ins Deutsche und Italienische übersetzt: Bericht des Johannes de Plano Carpini Johannes de Plano Carpini: Ystoria Mongolorum. In: Anastsius von den Wyngaert OMF (Ed.): Sinica Franciscana I. 1929, S. 3-130 Enrico Menestó 1989 übers. ins Italienische Friedrich Risch 1930 übers. ins Deutsche Felicitas Schmieder übers. ins Deutsche 1997 Dieser Bericht ist der erste, der auf eigenen Beobachtungen im Reich der Mongolen basiert. In der Einleitung wird klar, dass der Besuch am Hof des Großkhans nicht nur diplomatischer Natur war, sondern man wollte die Mongolen besser kennenlernen, um auf künftige Auseinandersetzungen besser vorbereitet zu sein. Am Ende zieht Johannes ein desillusionierendes Resümee, da eine freiwillige Unterwerfung der Mongolen undenkbar ist, die Christen müssen die Mongolen im Kampf besiegen. Auch der Auftrag des Papstes wird noch einmal betont. Im ersten Kapitel des Berichts wird der Lebensraum der Mongolen (1) behandelt. Es folgt eine ethnographische Studie über die Menschen (2) (Ehe, Kleidung, Besitz ...), die religiösen Vorstellungen (3), gute und schlechte Sitten der Mongolen (4), den Beginn der Herrschaft der Tataren (5) (historisches Kapitel), die Kriegsführung (6), die Art wie die Mongolen mit anderen Völkern Frieden schließen und unterworfene Völker behandeln (7), Möglichkeiten der mongolischen Kriegsführung entgegen zu treten (8) und als neuntes und letztes Kapitel folgt der eigentliche Reisebericht (9). Im letzten Kapitel finden sich bereits Beschreibungen von Europäern, welche dem Großkhan gedient haben. Die Gliederung des Berichts geht aller Wahrscheinlichkeit nach auf einen Fragenkatalog des Papstes zurück. Wenige Monate nach der Entsendung des Johannes de Plano Carpini hat der Papst einem russischen Augenzeugen einen ähnlichen Katalog vorgelegt. Die Fragen stammten größtenteils aus der antiken Ethnographie. Johannes de Plano Carpini hat die Fragen aufs Notwendigste beantwortet und auch erweitert. Der Bericht wurde bald danach in die großen Enzyklopädien und Nachschlagewerke aufgenommen. Salimbene von Parma berichtet, dass Johannes schon auf dem Rückweg überall über seine Erlebnisse berichten musste. Johannes bestätigt selbst, dass sein noch unfertiger Bericht bereits auf der Rückreise mehrmals abgeschrieben wurde. Johannes war deutlich bewusst, dass sein Bericht aufgrund seiner Neuartigkeit schwer zu glauben sein musste. Er schilderte den tatsächlichen Reiseverlauf und erwähnte immer wieder Christen, welche er auf seiner Reise getroffen hatte. Damit wollte er beglaubigen, dass er tatsächlich an den Orten gewesen ist. So findet sich auch die Bitte, dass er von den Lesern nicht als Lügner dargestellt wird. Ganz offensichtlich hat es ihn derartig beunruhigt, dass er so viel Neues in Erwägung brachte, welches sich nicht bei den antiken Autoren findet. Außerdem fand er vieles nicht, was von jenen Autoren als gesichertes Wissen galt (wie z.B. Wundermenschen etc.). Deshalb befürchtete er zusätzlich, für einen Lügner gehalten zu werden. Dies ist aber bei den meisten Fernreiseberichten der Fall, weil man nie auf einen antiken Autor, als Autorität, verweisen konnte. Johannes war keineswegs der einzige Europäer, der sich Mitte des 13. Jahrhunderts ins Mongolenreich bewegte. So gab es auch zahlreiche Russen und Ungarn, die sich im Mongolenreich aufhielten, teilweise handelte es sich dabei um Gefangene, die aber aufgrund ihrer technischen Fähigkeiten als Experten am Hof es Khans dienten. Von diesen Menschen fehlen allerdings eigene Aufzeichnungen. -10- Die diplomatischen Reisen hingegen wurden zumeist von Franziskanern und Dominikanern geleitet. Die vielen Reisen waren auch mit der Hoffnung verbunden, ein Bündnis mit den Mongolen gegen den Islam einzugehen. Diese Hoffnung wurde aber enttäuscht. Es gab aber immer wieder Gerüchte, dass sie dieser oder jener mongolischer Fürst zum Christentum bekehrte, wodurch diese Hoffnungen immer wieder genährt wurden. Unter den großen Reisenden des 13. Jahrhunderts ist auch der Dominikaner Andreas von Longjumeau, der im Auftrag des französischen Königs eine Reise zu den Mongolen unternahm und bis in die Hauptstadt Karakorum vordrang. Dabei handelt es sich aber um nichts anderes als einen Unterwerfungsbefehl an die Mongolen, welcher ähnlich scharf beantwortet wurde. Damals war der mongolische Großkhan Mönke verstorben, die Antwort stammte so von seiner Witwe. Der Bericht des Andreas ist uns nur in der Chronik des Matthaeus Parisiensis und der Chronik des Vincentius Bellovacensis (Speculum quadruplex) überliefert. In dieser Enzyklopädie ist der Reisebericht des Johannes aufgenommen, wodurch er auch Bekanntheit erlangte. Diese Enzyklopädie stammt von Vinzenz von Beauvais (auch: Vincentius von Bellovacensis), die den Titel Speculum Quadruplex trägt und ein Spiegel der Welt sein soll. Es gliedert sich in 4 Teile: • Speculum naturale • Speculum historiale • Speculum doctrinale • Speculum morale Der Inhalt des gewaltigen Werkes entspricht ca. 16 Bänden im Normalformat. Interessant ist vor allem das Speculum historiale. Vinzenz ist 1264 gestorben, die letzte Aufnahme von Material wurde 1253 abgeschlossen. Johannes’ Werk wurde noch aufgenommen, Wilhelm von Rubruks aber nicht mehr und war deswegen nicht so verbreitet. 4. Einheit am 24.3. Die Reise Wilhelm von Rubruks zu den Mongolen Wilhelm von Rubruk war französischer Mönch (1253 mit Empfehlungsschreiben von König Ludwig zu den Mongolen aufgebrochen, Inhalt des Schreibens ist nicht erhalten), seine Muttersprache war Flämisch, aber er war auch mit dem Französischen vertraut, er nahm Mongolischunterricht bei einer Frau des Khans, jedoch reichte seine Kenntnis danach nicht besonders weit. Wilhelm hatte halbdiplomatischen Status, der Zweck der Reise war die christlichen Gefangenen der Mongolen zu betreuen und Mongolen zu bekehren. Wilhelm sollte seine Erlebnisse für den König aufzeichnen, keine der beiden Aufgaben ist jedoch gelungen (nur 6 Taufen, kein Kontakt zu Gefangenen), dies ist wahrscheinlich auf den Dolmetscher zurückzuführen, der laut Wilhelm meist betrunken war. Kurz vor Wilhelms Abreise nach 2 Jahren bei den Mongolen wurde noch ein religiöses Gespräch geführt, welches vom Anführer der Mongolen angesetzt war (Buddhisten gegen Christen). Wilhelm ging auf viele Punkte der Buddhisten nicht ein und führte das Gespräch an die Grenzen zwischen Christentum und Buddhismus. Wilhelms Bericht an den König zeigt seine Enttäuschung, er räumt ein, dass der Papst einen Bischof schicken könnte/sollte, jeder andere Versuch wäre ebenso zwecklos. Von diesem Text sind nur 5 Handschriften erhalten. Die Härte der Reise wird in dem Text betont – es wird von Gefahren durch geflüchtete Sklaven berichtet, die nachts rauben und morden. Der mongolische Führer droht, die Gruppe zu verlassen, sollte diese nicht besser mit der Kälte zurechtkommen. Die Männer leiden Hunger und Durst, bekommen nur abends eine richtige Mahlzeit, ihnen werden beim Pferdewechsel die schlechtesten Pferde zugeteilt. -11- Die Mongolen sehen es als selbstverständlich an, dass die Gruppe ihnen gewisse Gefallen tut und Dinge schenkt, sie empfinden dann aber keine Dankbarkeit für diese Gefälligkeiten. Zur Überlieferung und Bedeutung des Berichtes des Wilhelm von Rubruk Es sind heute nur noch 5 Handschriften des Reiseberichtes von Wilhelm von Rubruk erhalten, 4 davon befinden sich in England. Warum war dieser Reisebericht so wenig verbreitet? Man vermutet, aufgrund des Erfolges des Berichts von Johannes de Plano Carpini. Außerdem wurde der Bericht des Wilhelm nicht in eine Enzyklopädie eingearbeitet, sondern er ist ein Itinerarium („iter“ = Weg). Es handelt sich dabei um eine Wegbeschreibung des Reiseverlaufs in chronologischer Reihenfolge aus der Ich-Perspektive, es hat Briefcharakter. Das Werk gliedert sich in 38 Kapitel und einen Epilog, dabei erzählt Wilhelm dem König, was ihm auf seiner Reise so zugestoßen ist. Man findet darin auch eine Fülle von persönlichen Beobachtungen und Bemerkungen (im Gegensatz zu Johannes’ Bericht)! Wilhelm von Rubruks Reise dauerte von 1253 bis 1255, er hat dabei ca. 16.000 km zurückgelegt. Es gibt von seinem Werk einige Übersetzungen: Friedrich Risch: Wilhelm Rubruk: Reise zu den Mongolen 1253 – 1255. Übersetzung von Friedrich Risch, Leipzig 1934. Peter Jackson: The mission of Friar Wilhelm of Rubruk: His journey to the court of the Great Kahn Möngke 1253 – 1255. Transl. By Peter Jackson. London 1990. Eine französische Übersetzung stammt von Cl., R. Kappler. Wilhelm war bereit, bisher Unbekanntes zur Kenntnis zu nehmen und hatte ein außerordentliches Beobachtungstalent. Man kann ihn als Vorläufer der so genannten „teilnehmenden Beobachtung“ (ein Prinzip der Sozialwissenschaften) bezeichnen. Seine gewonnen Informationen versuchte er in das Asien-Wissen einzuordnen. Isidor von Sevilla, ein westgotischer Bischof vor dem Einfall der Mongolen, hatte nämlich bereits eine Enzyklopädie des antiken Wissens verfasst, darunter auch Informationen über Westasien. Wilhelm kannte dieses Buch und versuchte, die neuen Erkenntnisse daran anzuknüpfen. Er versuchte, ein genaues Bild der geographischen Gegebenheiten zu zeichnen und scheute sich auch nicht, Fakten des antiken Wissens zu widerlegen. Er erkannte als erster, dass das Kaspische Meer nicht mit dem nördlichen Meer in Verbindung steht, wie beispielsweise die Enzyklopädie Sevillas behauptet. Er erkundigte sich auch nach den Monstern und Fabelmenschen, von denen Isidor und Solinus, der im 3. Jh. n. Chr. einen Auszug aus dem Werk des Plinius gemacht hat, berichten. Die Mongolen erzählten, dass sie noch nie solche Wesen gesehen hatten und sehr verblüfft waren, ob das den stimmt, dass man das erzählte. Das Werk erbrachte auch kulturelle Errungenschaften, zum Beispiel eine Darstellung der chinesischen Schrift, die man vorher nicht kannte. Wilhelm beschreibt auch den Buddhismus und versuchte den Schamanismus zu beschreiben, allerdings mit christlichen Termini. Auch naturhistorisch ist das Werk Rubruks von außerordentlicher Bedeutung. Seit den Reisen in den 40er und 50er Jahren des 13. Jh. riss der Kontakt zu den Asiaten nie wieder ab und brachte eine Erweiterung des Horizonts des Abendlandes mit einem Durchbruch an Wissen mit sich. Die lateinischen Reiseberichte des Johannes und Wilhelm wurden im Mittelalter jedoch nicht ins Mittelhochdeutsche übersetzt und existierten nur in Latein. Der Text des Johannes wurde in eine bedeutende Enzyklopädie aufgenommen und erfuhr eine rege Verbreitung (Speculum Quadruplex). Aufgrund der Sterbedaten des Verfassers, konnte der Reisebericht von Wilhelm nicht mehr in die Enzyklopädie aufgenommen werden. -12- 5. Einheit am 14.4. Odorico von Pordenone Odorico von Pordenone (auch: Odoricus de Portu Naonis) stammte aus der Stadt Pordenone, die zu seiner Zeit unter habsburgischer Herrschaft stand. Von der lateinischen Fassung in der Sinica Franciscana, gibt es auch eine deutsche Übersetzung: Die Reise des seligen Odorich von Pordenone nach Indien und China 1314/18 – 1330, Übersetzung eingel. u. erl. Von Folker Reichert. Heidelberg 1987. Weitere Informationen finden sich hier: Folker Reichert: Asien und Europa im Mittelalter. Göttingen 2015 Odorico wurde selig gesprochen, derzeit läuft sogar ein Heiligsprechungsprozess. Wir wissen heute nicht genau, wann er geboren ist. Er war entweder verhältnismäßig jung oder schon fortgeschrittenen Alters bei seiner Reise. Er hat einige Zeit als Einsiedler gelebt und ist dann dem Franziskanerorden beigetreten. 1317 soll er noch in der Heimat gewesen sein. Er ist nicht als Diplomat gereist, sondern als ganz einfacher Franziskanermönch. Er war nicht allein unterwegs, spricht aber in seinem Werk nie von seinen Begleitern. Sein Ziel war es, nach Indien zu reisen, um es zu missionieren. Er reiste nach Bombay. Dort gab es gerade zu dieser Zeit Christenverfolgungen, wo schon vor der Ankunft Odoricos viele Franziskaner umgekommen waren. Odorico hat beschlossen, die Gebeine der Verstorbenen mitzunehmen und dann in China zu bestatten. Es gibt dort heute noch Gräber! Von Indien weg reiste er nach China in die Hauptstadt Khanbalik (Peking). Dort hat es seit 1308 bereits eine Franziskanergemeinschaft gegeben. Die Franziskaner waren am Hof des Großkahns sehr angesehen. Es ist nicht bekannt, inwieweit sich Odorico an den Missionen des dortigen Franziskanerordens beteiligt hat. Er ist von Khanbalik 1329 wieder abgereist und kam 1330 wieder in seiner norditalienischen Heimat an. Im Mai 1330 war er in Padua und traf seinen Mitbruder Wilhelm von Solagna. Diesem hat er seine Erinnerungen diktiert (im Gegensatz zu Wilhelm und Johannes, die ihre Berichte selbst verfasst haben). Der Bericht Odoricos war in einem sehr anspruchslosen und einfachen Latein verfasst. Erst später in Frankreich wurde Odoricos Bericht anspruchsvoller gestaltet. Von Padua hat sich Odorico dann auf den Weg nach Avignon zu Papst Johannes XXII gemacht, um sich die Erlaubnis für eine zweite Reise nach China zu holen. Er ist aber schwer erkrankt und darauf verstorben. Sein Grab ist heute noch erhalten. Odorico ist auf seinem prachtvollen Marmorsarkophag als Mönch in einer Kutte abgebildet, der zu den Völkern Asiens spricht/predigt. Verschiedene Seiten des Sarkophags zeigen verschiedene Bilder. Odorico berichtete seinen Brüdern von seiner Zeit in Asien, seine Aussagen wurden von Übersetzern und Redakteuren stark verändert. Beim Begräbnis soll es einen gewaltigen Tumult gegeben haben: Odorico galt nämlich damals schon als heilig und jeder wollte ein Stück seiner Kleidung als Andenken haben. Es gibt auch Berichte darüber und Sammlungen über Wunder, die an seinem Grab geschehen sein sollen. 1755 hat Papst Benedikt XIV Odorico selig gesprochen. Odorico beschreibt Eigentümlichkeiten der asiatischen Länder welche vorher in der europäischen Literatur noch nicht erwähnt waren und nur durch tatsächliche Erfahrungen bekannt geworden sein konnten (z.B. Fischfang mit Vogel, die Lotusfüße der Damen, die Pflanzenwelt und Geografie), daher sind die Anschuldigungen des Schwindels, die gefallen sind, nichtig. Dietmar Henze: Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde III (1993), S. 733 ff: Beitrag über Odorico, Dietmar stellt die Einheitlichkeit seiner Berichte infrage -13- Odoricos Beschreibungen sind weitestgehend zuverlässig, das meiste ist stimmig, es lassen sich aber Einschübe biblischer Art und auch Fabeln und Wundergeschichten finden. Odorico glaubte den Erzählungen solcher denen er vertraute, da die asiatische Welt so verwunderlich war, dass er die Linie zwischen Wahrheit und Lüge wohl nicht mehr erkannte, aber auch diese sind von großem Interesse für Forscher, sein Reisebericht wurde 2 Mal ins Französische und mehrmals ins Italienische übersetzt. Überlieferung und Zweifel am Bericht des Odoricos Die Überlieferung des Reiseberichtes ist noch nicht vollständig erforscht. An einer kritischen Ausgabe wird derzeit gearbeitet. Die meisten Handschriften überliefern den Text, den Odorico seinem Mitbruder diktiert hat. Es gibt auch eine deutsche Übersetzung aus dem 14. Jh. von Konrad Steckel. Im Jahr 1340 hat Heinrich von Glatz den lateinischen Text Solagnas in Prag überarbeitet und in ein strengeres Latein gebracht. Er hat aber auch einige Kapitel über die Tumulte und die Wunder an Odoricos Grab angefügt. Auch im so genannten Memoriale Toscano, einer italienischen Übersetzung des Textes, stehen einige Geschichten, die man bei der Fassung von Solagna nicht findet. Es gibt auch Aufzeichnungen von Gesprächen zwischen Franziskanermönchen und Odorico, bei denen er Fragen beantwortet. Es sind spontane und unmittelbare Aufzeichnungen. Im 18. und 19. Jh. hat man Odorico weitgehend als Lügner angesehen, man behauptete, er hätte seine Reisen gar nicht unternommen, sondern seine Quellen von woanders haben, wie zum Beispiel von Marco Polo. Es gibt aber in Odoricos Bericht viele kleine Geschichten, die bei Marco Polo nicht vorkommen, z.B. Erzählungen über den Fischfang, der vollkommen richtig beschrieben wird, oder die Verkrüppelung der Füße chinesischer Mädchen. 3 Jahrzehnte nach dem Tod Odoricos wurde sein Bericht in Wien ins Frühneuhochdeutsche übersetzt, nämlich von Konrad Steckel. Diese Übersetzung war nicht sehr erfolgreich, es sind bis heute nur vier Handschriften und ein Fragment bekannt. Eine Handschrift befindet sich in Klosterneuburg, zwei in München und eine Handschrift war im Besitz der Fürstenberger Bibliothek Donaueschingen, die sich heute in Karlsruhe befindet. • Die Klosterneuburger Handschrift: enthält neben Odoricos Bericht auch Teile von John Mandeville und ein kurzes Pilgerbüchlein. Ist eine sehr schöne Handschrift mit Abbildungen von Odorico. Heute teilweise im Internet einsehbar. Um 1425 entstanden. • Die ältere Münchener Handschrift: stammt aus Niederösterreich und ist stark auf religiöshistorische Bereiche ausgelegt. Es handelt sich um eine Reimchronik mit Anweisungen für Glaubensgespräche mit Juden. Erst am Ende befindet sich Odoricos Bericht. • Die Donaueschinger/Karlsruher Handschrift: ist in schwäbischem Dialekt geschrieben und enthält eine Weltgeschichte und die Goldene Bulle auf Deutsch. Odoricos Bericht wird in die Weltgeschichte eingeordnet. Ist 1466 geschrieben worden. • Die jüngere Münchener Handschrift: ist etwa um 1490 geschrieben worden und dürfte in Augsburg entstanden sein. Sie enthält eine deutsche Übersetzung des Reiseberichtes von Marco Polo und auch Berichte von Brandan (ein Reisebericht über eine Meerfahrt), den Bericht von Mandeville, dann Steckels Übersetzung von Odoricos Reisebericht und abschließend den Bericht von Hans Schiltbergers Gefangenschaft. Wie schon erwähnt, gibt es noch keine kritische Ausgabe. Auch Steckel hat mit sehr einfacher Sprache gearbeitet. Odorico hat Toposwissen besessen, das heißt, er wusste Sachen, die er von seiner eigenen Kultur und Ausbildung erworben hatte und als selbstverständlich angesehen werden bzw. sehr prägnant sind. -14- Annalia Marchisio: Il volgarizzamento tedesco della „Relatio“ di Odorico da Pordenone e il suo modello latino. In: Filologia mediolatina 18 (2011), S. 305-358. Odoricos Vorlage (seine Aufzeichnungen?) ist nicht mehr vorhanden und wird wahrscheinlich nicht mehr auftauchen. Odorico war kein gelehrter Mönch, hat zwischen Erfahrungswissen (was er selbst auf Reise erlebt) und Toposwissen (aus der Antike überliefert und in Europa verbreitet) unterschieden, in seinen Berichten findet sich keinerlei Überlegenheitsgefühl gegenüber den anderen Völkern. Er hat einiges weggelassen – zeigt christliche Bescheidenheit von Odorico Meistens ist die Fortbewegungsart nicht genau genannt, bis auf die Erwähnung der Schifffahrt. In seinem Bericht gibt es vergleichsweise wenig Info über die Missionierung asiatischer Völkern. In einer anderer Schrift ist die Rede von 20.000 Missionierungen, wobei dies wahrscheinlich nur Schätzung sind und als ‚wirklich viele‘ gedeutet werden kann. Eine Beschreibung der Teufelsaustreibung bei den Mongolen ist im Bericht vorhanden. Konrad Steckel Über Steckel ist wenig bekannt da dies seine einzige Nennung ist, nur dass Nähe zum Franziskanerorden vorhanden gewesen sein muss und er ein gutes Verständnis von Latein gehabt haben musste. Sein Werk fand keine große Verbreitung (nur 5 Handschriften bekannt). Textausschnitte1 des Reiseberichtes von Odorico in der Übersetzung Steckels Konrad Steckel muss eine Vorlage für seine Übersetzung gehabt haben. Er hat sehr präzise auf Deutsch übersetzt, wenig ausgelassen und hat den Text öfters erweitert (Selbstnennung, Erklärung, Erzählung). Steckel hat jedoch manches missverstanden. Text 1 (sinngemäße Übersetzung): Da hat dieses Büchlein Konrad Steckel von Tegernsee (liegt in Oberbayern) höchstpersönlich in der Stadt Wien in schlechtem, ungereimten und ungeziertem Deutsch vorgefunden. ... Odoricos Bericht beginnt mit dem Schwur, alles selbst gesehen bzw. von vertrauenswürdigen Personen gehört zu haben. Text 2: Ich, Bruder Ulrich von Friaul, der in der Gegend von Pordenone zur Welt kam, ... habe bei Gott und beim Gehorsam geschworen, dass ich alles deutlich mit meinen Augen gesehen habe oder gehört von ehrbaren Leuten. ... Auch habe ich manche Dinge weggelassen, die ich mit Sicherheit wusste, die aber denen, die sie nicht mit eigenen Augen gesehen haben, zu unglaublich erscheinen würden. Odoricos Reise war, wie schon erwähnt, eine Missionsreise zur Vermehrung des christlichen Glaubens. Im Bericht wird aber nicht klar, auf welche Art und Weise er gereist ist. Nur Floskeln wie „von derselben Stadt kam ich...“ deuteten auf räumliche Entfernungen hin. Nur manchmal wurden Seewege erwähnt. Die Missionsreise dauerte insgesamt 12 Jahre und Odorico soll dabei 20.000 Menschen zum christlichen Glauben bekehrt haben, was sehr unglaubhaft ist. Text 3: Es wird von einem Exorzismus bei den Mongolen berichtet. Odorico bezieht sich auf das nördliche China. Dort treiben die Franziskaner mit Leichtigkeit aus den Besessenen die bösen Geister, wie einen Hund aus einer Küche. Oft bringt man die Besessenen aus der Ferne zu den Brüdern, gefesselt und jämmerlich. Sind sie dort, sind die bösen Geister meist gehorsam und fahren aus. Die Befreiten werden getauft und die Götzen werden ins Feuer geworfen. Die Tartaren schauen zu und beobachten, wie man ihre Abgötter verbrennt. Und wenn sie die Brüder das erste Mal ins -151 Die Textausschnitte befinden sich auf moodle. Feuer werfen, springen die Götzen oft wieder heraus. Besprüht man sie aber vorher mit Weihwasser, verbrennen sie ruhig und die Geister fahren aus. Wenn die bösen Geister ausfahren in die Lüfte schreien sie und rufen: Sieh, sieh, ich bin vertrieben aus meiner Herberge und Wohnung! ... Hintergrundinformationen zu den Glaubensriten der Chinesen werden aber nicht genannt. Text 4: Odorico berichtet vom Kloster Quanzhou. In jener großen Stadt gibt es viele Klöster und heidnische Mönche und ihrem Glauben entsprechend geistliche Menschen, aber sie sind alle Götzendiener. Ich selbst habe ein solches Kloster von innen gesehen. Da drinnen waren 3000 geistliche Heiden, die hatten 11.000 Götzen. Der kleinste von diesen Götzen war so groß, wie wir in Friaul einen Heiligen Christophorus malen! (also sehr groß!) Und während sie den Göttern Opfer gebracht haben, kam ich und sah es. Sie setzten den Göttern heiße Speisen vor, dass der Dampf und Dunst den Göttern in die Augen stieg. Das sollte die Speise der Götter sein. Den Rest der Speisen aßen sie selbst, die sich dadurch rächten, dass sie schon kalt waren. Bei diesem Besuch, der keineswegs feindlich ablief, hatte Odorico viel Zeit, die Opferriten zu beobachten. Die folgende Schilderung über die Begegnung mit dem chinesischen Kaiser soll erst später eingefügt worden sein. Die Franziskaner hatten Pflichten gegenüber dem Kaiser, sie mussten ihm huldigen. Text 5: Als ich, Bruder Ulrich, in Khanbalik war, kam der Kaiser einst daher. Das machte man allgemein bekannt. Seine geistlichen Leute mussten zu ihm gehen und ihn empfangen und auch unsere Brüder. Also gingen wir ihm zwei Tage weit entgegen. Als wir so weit entgegengegangen sind, dass wir ihn sahen, hoben wir unser Kreuz empor. Ich habe das Behältnis mit Weihrauch getragen. Wir sangen mit lauter Stimme: „Veni, creator spiritus“. Das hörte der Kaiser und befahl, dass wir zu ihm kommen sollten, wir hatten es nicht gewagt, sich ihm zu nähern. Als wir hinkamen, nahm er seinen prächtigen Hut ab und verbeugte sich in Demut vor dem Kreuz und ich räucherte ihn ein. Das nahm er freundlich auf. So ist es bei uns Gewohnheit nach dem alten Sprichwort, das besagt: „Du sollst vor deinem Herren nicht mit leeren Händen erscheinen“, das der, der zum Herren will, etwas mitbringen soll. So hatten wir arme Franziskaner nach der Sitte armer Leute einige Apfel mitgebracht. Die reichten wir ihm in einer schönen Schüssel. Dieselben schnitt man ihm in Stücke. Da nahm er ein Stück und aß es. Danach segnete ihn unser Bischof. (= der erste Bischof von Ostasien, Johannes de Montecorvino) Da entließ er uns und gab uns den Auftrag, ins Kloster zu eilen, damit wir nicht zu Schaden kämen durch seine Begleiter. Da gingen wir und kamen zu Edelleuten, denen gaben wir auch Apfel. Die nahmen sie gerne an. Dann begaben wir uns wieder zurück in unser Kloster. Während Indien als Labyrinth beschrieben wird, wird China als geordnete und freundliche Welt dargestellt. Die indischen Riten stehen in großem Gegensatz zu den alltäglichen Gebräuchen der Europäer, zum Beispiel der Kannibalismus. Odorico tadelt den Kannibalismus, zögert aber nicht, deren Rechtfertigung dazu aufzuschreiben: „Wenn wir sie (die Toten) nicht essen, werden sie von den Würmern verzehrt, das würde ihrer Seele schaden.“ Odorico schreibt beispielsweise auch einen Bericht über einen Witwenselbstmord in Indien: Wenn ein Mann stirbt, dann verbrennt man ihn. Hat er aber eine Frau, verbrennt man die Frau mit. Hat sie aber Kinder, dann kann sie am Leben bleiben. Am Leben zu bleiben schadet aber ihrem Ansehen. Im Werk von Henry Yule, Cathay (= Nordchina) and the way Fither (dorthin), aus dem Jahre 1866, ist auch einen Bericht von Odorico enthalten. Yule hat diesen schon wissenschaftlich analysiert. Die 2. Auflage aus 1913 stammt von H. Cordier. Eine besondere Bedeutung in den Berichten Odoricos haben die Landesprodukte und die der einzelnen Städte, er führte sie sogar mit Preis an. Die Natur wird immer unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit beschrieben. -16- 6. Einheit am 21.4. Die Vergleiche mit der Heimat Odoricos sagen mehr über den Beobachter als über den Gegenstand aus. Text 6: handelt von der Pfeffergewinnung an der Küste In derselben Gegend gibt es viel Pfeffer und der gedeiht folgendermaßen. Die Bäumlein oder die Reben werden gepflanzt, die wachsen wie die Weinreben in Friaul, und tragen auch solche Früchte. Sie bringen so viele Früchte hervor, dass die Reben fast zusammenbrechen. Wenn die Pfefferfrüchte reif sind, so sind sie grün und werden abgelesen wie der Wein. Danach dörrt man sie in der Sonne und behält sie. Im selben Wald sind viele fließende Gewässer da befinden sich viele Schlangen und Tiere, die Krokodile heißen. Bei der Pfeffergewinnung gibt es viele gefährliche Tiere, die man zuerst vertreiben muss. Wie man sieht, werden bei solchen Texten oft Vergleiche mit der norditalienischen Heimat herangezogen. Zum Beispiel die langen, dünnen Bärte der Chinesen werden mit den Tasthaaren der Katzen verglichen. Die zahmen Elefanten in Indien vergleicht Odorico mit den gehorsamen Ochsen. Oft zieht er Größenvergleiche der Städte mit bekannten heimischen Städten heran. Es finden sich bei Odorico viele Geschichten, die sehr unglaubwürdig erscheinen, aber einen anderen, plausiblen Hintergrund haben. Eine solche Geschichte handelt von einem See, der von den Tränen Adams und Evas gefüllt werden soll. Die Begründung ist eine unterirdische Quelle, die den See speist. Text 7: Es gibt dort eine Insel, die heißt Sistami. Sie ist wohl 200 Meilen groß. Dort gibt es viele Schlangen und Nattern und anderes Gewürm, das sehr groß ist, und Elefanten. Auf dieser Insel gibt es ein hohes Gebirge. Man sagt, dort habe Adam seinen Sohn Abel 300 Jahre lang beklagt. In der Mitte dieses Berges ist ein See, nicht sehr groß, doch beinhaltet er viel Wasser. Man sagt, dieser See entstand aus den Tränen Adams und Evas, die um ihren Sohn geweint haben, aber das ist unglaubwürdig. (denn es gibt eine unterirdische Quelle). Odorico schreibt von einer Geschichte, die ihm erzählt wurde, die er aber nicht ganz glauben konnte. Er schreibt von einer Pflanze in der ein kleines Tier heranwächst. Odorico distanziert sich ausdrücklich von dieser Erzählung, jedoch zieht er einen Vergleich zu Bäumen, in denen Vögel „wachsen“. Ein Beispiel für so eine Missinterpretation ist die Barnikelgans – es wurde Treibholz mit Muscheln darauf gefunden, es wurde geglaubt dass die Gans in diesen heranwächst. Weiters gab es Erzählungen von einem Fluss, der aus den Tränen von Adam und Eva entstanden sein soll, von einem Paradies das auf Erden ist aber nicht betretbar ist, und von einem Menschen der einen großen Fuß hat und sich selbst damit Schatten bietet. Text 8: Odorico erzählt kommentarlos die Geschichte „Der Alte vom Berge“, die wahrscheinlich als wahr akzeptiert wurde. Sie handelt von einem schönen und reichen Land, das von einem Alten beherrscht wird, dessen Reich von Mauern umgeben ist. In dem Land werden schöne Jungfrauen erzogen, Rösser gezüchtet und alles Genüssliche auf der Welt befindet sich darin – unter der Erde laufen Leitungen mit Wein, Honig und Milch. Nur vom Alten Angewiesene dürfen im Tal ein und aus gehen. Odorico nennt das Land ein Paradies (in der Hochkultur des Iran waren bewässerte Gärten üblich). Wenn ein Junge verspricht, stark zu werden, darf er in dem Tal leben. Wenn der Alte einen Feind loswerden möchte, lässt er einen Jüngling betäuben und außerhalb des Paradieses aussetzen. Dieser wird dann zu ihm geführt und ihm wird aufgetragen, die Person zu töten, damit er wieder in das Paradies eintreten darf. So war der Alte immer sicher, bis die Mongolen kamen – da ließ er seine Mörder hinaus, viele Mongolen starben und das machte sie sehr zornig, die Mongolen belagerten das Paradies, eroberten es und töteten den Alten, die Burg und die Stadt wurden verwüstet. Diese Geschichte ist im Mittelalter weit verbreitet, sie wurde schon vor Odorico erwähnt und hat einen historischen Hintergrund. -17- šayḫ al găbal –> se nex de monte –> le viel de la montagne –> Der Alte vom Berge (Namensherkunft) Die Geschichte hat sich seit dem 12. Jh. unglaublich weit verbreitet. Bei dieser Geschichte jedoch hatte Odorico keinerlei Bedenken bezüglich der Glaubwürdigkeit. Da kam ich in ein Land, das hieß Imlestore, das ist schön und reich. Dort hat der Alte von den Bergen seinen Sitz. Zwischen zwei Bergen ist ein schönes Tal, in diesem Tal sind die herrlichsten Quellen und alles, was Freude macht. Und drinnen zieht er schöne Frauen groß und die schönsten Pferde und alles, was Freude macht. Er hat Einrichtungen (unterirdische Leitungen), in denen Wein, Honig, Milch und Wasser fließen. (? ein Paradiesgarten!) Dort sind bewährte Dienstleute, die die Erlaubnis haben aus und ein zu gehen. Der Alte nennt dieses Tal ein Paradies. Wenn der Alte von den Bergen einen Jungen sieht, der verspricht, kräftig und groß zu werden, nimmt er ihn mit ins Paradies, dort kann er ein unbeschwertes Leben führen. Und wenn der Alte mit einem Fürsten in Streit gerät, dann gibt er solchen Jungen Qualm zu trinken (Betäubung!). Man trägt sie dann außerhalb des Gartens und wenn sie dort erwachen, toben sie und wollen wieder ins Paradies. Man bringt sie dann zum Alten. Sie verlangen, dass sie wieder zurück dürfen. Der Alte befiehlt ihnen, den Fürsten zu Tode zu bringen. Wenn sie das schaffen, dürfen sie wieder in das Paradies. Durch dieses starke Verlangen geleitet führen sie den Auftrag aus. Auf diese Weise hat der Alte von den Bergen viele Könige und Fürsten töten lassen. Alle Könige fürchteten ihn und zahlten Tribut, um sicher zu sein. Als aber die Mongolen diese Gebiete bezwangen, kamen sie auch in sein Land. Der Alte schickte die Jungen aus und diese ermordeten viele Mongolen. Diese wurden sehr zornig und belagerten seine Stadt, bis es ihnen gelang, sie einzunehmen. Das Paradies wurde zerstört und der Alte und seine Leute wurden auf schreckliche Weise getötet. Und die Burg und die Siedlungen wurden verwüstet. Die Geschichte besteht aus 3 Teilen: • • • Beschreibung des Paradieses und der Taten Die Aussage, dass der Alte das lange Zeit gemacht hat Der historische Teil: Zerstörung durch die Mongolen um 1256 Diese Geschichte findet man 30 Jahre vorher auch bei Marco Polo, aber ein bisschen anders: Er nannte es Muleete, das „Land der Ungläubigen“ (aus mulhid = arab. Ungläubiger). Bei Odorico gibt der Alte den Meuchelmördern Rauch zu trinken (Tabak/Haschisch zu rauchen), bei Marco Polo bekommen sie einen Trank, der sie betäubt. Es ist nicht sicher, ob Odorico sich an die Version Marco Polos anlehnt oder nicht. Probleme gibt es bei der Bezeichnung „Alter von den Bergen“. Im Lateinischen heißt er „senex de monte“, also „Alter vom Berg“. Sicher ist: Odorico hat die Geschichte aber nicht im Iran gehört. Der historische Hintergrund: Der Perser Hasan e Sabbah kam in den Iran und kaufte eine Burg und soll dort Meuchelmörder ausgeschickt haben. Er gründete eine Sekte. Auch Mordanschläge auf christliche Fürsten hat er befohlen, deshalb fürchteten ihn viele. Die Mörder waren dabei immer verkleidet. In Syrien hat die Sekte dann einen Namen bekommen: „Assassinen“. Das englische Wort „to assassinate“ leitet sich davon ab. Es wurde aus „hasisiyun“ gebildet, was bedeutet: Leute, die Haschisch konsumiert hatten. Diese Bezeichnung war immer negativ konnotiert. Der Bericht Odoricos weist die Struktur eines Itinerariums auf, eine genaue Beschreibung des Weges. Je entfernter ein Gebiet von Europa ist, desto genauer wird es beschrieben. (Eine Lektüreempfehlung dazu: Reinhold Jandesek: Das Fremde China; geht sehr quantifizierend vor: Was sind die Vorlieben Odoricos: Einrichtungen, Gemeinwesen, Organisation... Odorico hob auch die Ähnlichkeiten mit der Heimat deutlich hervor, nicht nur die Unterschiede!). Der Bericht ist keine dogmatisch-christliche Dokumentation. -18- 7. Einheit am 28.4. Der Alte vom Berge (→ eine Art Märchen eines mächtigen Mannes, der einen Paradiesgarten anlegt, um junge Menschen zu täuschen; werden mit einem Rauschtrank entfernt und leben in Sehnsucht nach dem wunderbaren Leben) Das Ende dieser Geschichte liefert historische Information über ein konkretes politisches Ereignis (Eroberung des Vorderen Orients durch die Mongolen). Die Burg und das Land wird von den Mongolen eingenommen und der alte Mann wird umgebracht. Diese Erzählung ist in vielen Sprachen verbreitet worden und war im Mittelalter sehr bekannt. Ursprünglich stammt sie wahrscheinlich aus Syrien. Wer war der Alte vom Berge? Wer waren die Meuchelmörder, die in ermorden sollten? Wahrscheinlich handelt es sich bei den Meuchelmördern um eine israelitische Sekte: die Ismailiya, eine Abspaltung der Šica (Nachfolger des Propheten, auch Vorläufer der Shiiten) Infos zu dieser Sekte: Ismail ist der rechtmäßige Imam laut den Ismailiya. Die Anhänger traten erst im 10. Jahrhundert in Tunesien an die Öffentlichkeit. 1078 kam es zu einer weiteren Abspaltung und von den östlichen Ismailiten wurde Nizar als rechtlicher Nachfolger gesehen (Anhänger waren die Nizariya). Ein wichtiger Unterstützer dieser Richtung war Hasan-i Sabbah (nahm im Nordiran eine Reihe von Burgen ein, war der Sitz der neuen abgespaltenen Sekte der Nizariya → Feinde wurden konsequent durch Meuchelmörder erdolcht). → werden in Syrien als Sekte der Assassinen benannt (Wort für „Mord“ noch in vielen romanischen Sprachen und auch im Englischen) → verübten Anschläge auf Kreuzfahrer, den Kalifen von Kairo, etc. → waren berühmt-berüchtigt (in Europa und im Vorderen Orient) Der Name der Assassinen wird auch mit Haschisch in Verbindung gebracht (hašiš = getrocknetes Gras, auch Cannabis; hašašiyin sind Leute, die Haschisch konsumieren) → war aber möglicherweise auch ein Schimpfwort, für Menschen, die nicht ganz bei sich waren... Jans (der Jansen) Enikel: Enikel war ein Wiener Patrizier, der mit dem Abt des Schottenklosters befreundet war, von dem er Schriften bekam. Jans Enikel schrieb für seine Mitbürger eine Weltchronik, in der auch die Geschichte „Der Alte vom Berge“ vorkommt (wahrscheinlich 80er Jahre des 13. Jahrhunderts). Somit war die Geschichte in Europa noch vor Odorico de Pordenone und Marco Polo überliefert. Wahrscheinlich stammten die Informationen zu dieser Geschichte von Kreuzfahrern und Pilgern, die im Schottenkloster Station machten. Enikel nimmt auch gleich eine Umdeutung der Geschichte auf europäische Ereignisse vor: Der Alte vom Berge war bei Enikel der Kaiser Friedrich II. (der letzte Stauffer-König), welcher kleine Kinder zu Meuchelmördern herangezogen haben soll, um Feinde zu ermorden. In anderen Varianten werden aber auch andere europäische Herrscher bezichtigt, mit Syrern zu kooperieren, um ihre Feinde ermorden zu lassen. Bernard Lewis: The Assassins – a radical sect in Islam. 1967 (2001 in „Die andere Bibliothek“ auch in deutscher Übersetzung erschienen) Reinhold Jandesek: Das fremde China. Berichte europäischer Reisender des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Pfaffenweiler 1992 → gibt darin auch viele Grafiken über Schwerpunkte der Berichte. Odorico schrieb über China und Fernost am Gründlichsten. -19- Odorico interessierte sich vor allem für die Religionen und religiösen Sitten, sowie die politischen Gegebenheiten. Ihm fallen beim Vergleichen eher die Ähnlichkeiten und nicht die Unterschiede der Lebenseinstellungen auf. Oft wird auch die Überlegenheit der chinesischen Kultur gegenüber der europäischen herausgestrichen. Die Grundhaltung Odoricos ist zwar christlich, aber nicht dogmatisch. Sein Bericht ist von bemerkenswerter Klarheit und Unmittelbarkeit und die Beobachtungen Odoricos erwiesen sich in vielen Fällen als richtig. Es gibt noch viele weitere Berichte von Diplomaten und Missionaren. Sehr oft sind diese Berichte auch in Briefform gestaltet. Johannes de (von) Marignola / Giovanni dei Marignolli Johannes de Marignola war ein Franziskanermönch und entstammte einer florentinischen Familie. Er war bereits in jungen Jahren Mönch und später auch Lektor in Bologna (wahrscheinlich für Kirchenrecht). 1338: wurde vom Papst Benedikt XII. beauftragt, eine päpstliche Delegation nach China zu leiten und die Christen in China zu betreuen. Für diese Mission wurden 32 Personen nach China gesandt und Johannes war der Leiter dieser Mission. Die Reise dauerte 15 Jahre und man fuhr von Genua über Konstantinopel ans Schwarze Meer, dann auf dem Land weiter über die Seidenstraße. 19. August 1342: Ankunft in China beim Großkhan, wo Johannes Geschenke überreichte und ehrenvoll begrüßt und behandelt wurde. Text 1: beschreibt die Ankunft, bei der Johannes mit einem schönen Kreuz und schön gekleidet vor den Großkhan tritt, der in einem großartigen Palast residierte. Bei der Begrüßung singen die Mönche ein Credo. Johannes blieb 3-4 Jahre in China. Text 2: Johannes will mit seiner Delegation viele Menschen zum Christentum bekehrt haben. Auf dem Rückweg reiste er über Südindien an den Persischen Golf. Der weitere Rückweg ist unklar. Johannes wurde später zu einem Bischof ernannt (in Bisignano in Calabrien), es ist aber unbekannt, ob ein anderes Mitglied der Delegation in China zurückblieb. Der neue Papst war zu diesem Zeitpunkt schon Innozenz VI. Letzten Endes wurde Johannes aber von Karl IV. nach Prag geholt und wurde sein Historiograph und schrieb in dieser Funktion auch die Böhmische Chronik. Er starb wahrscheinlich 1358/59 (Urkunde vom März 1359 verkündet, das man in Bisignano einen neuen Bischof bräuchte). Johannes de Marignola: Cronica Boemorum ed. J. Emler in: Fontes rerum Bohemicarum 3, Prag 1882, S. 492-604 Die Reiseerfahrungen des Johannes sind in lateinischer Fassung auch bei den Franziskanern erhalten: Sinica Franciscana 1, S. 524-560 (enthält nur die Passagen der Reise nach Ostasien) Aufsatz über Johannes de Marignola: Xenia von Ertzdorff: Et transivi per principaliores mundi provincias. In: Wolfram-Studien XIII (1994), S. 142-173 Die Böhmische Chronik des Johannes wird von Gelehrten der damaligen Zeit als misslungene Arbeit gesehen. Die Einteilung in 3 Abschnitte orientiert sich an Kosmas von Prag (1054-1125) und ist weitgehend einfach abgeschrieben, aber kein eigener Beitrag zur Landesgeschichte. Johannes Ziel war eher, eine Weltgeschichte zu schafften. 1. Teil: bis zur Sintflut 2. Teil: Geschichte der Menschheit nach der Sintflut (weltliche Herrschaften) 3. Teil: Geschichte der Menschheit nach der Sintflut (geistliche Herrschaften) -20- Die Berichte über die Asienreise des Johannes werden unzusammenhängend und assoziativ an Themen der biblischen Geschichte angehängt. Es entstehen unsystematische Exkurse (v.a. bei der Frühgeschichte des Menschen in der Bibel in Zusammenhang mit dem Leben im Paradies). Die Frage nach der Bekleidung der Menschen im Paradies wird z.B. mit eigenen Erlebnissen der Reise bearbeitet. Nach Ansicht des Johannes sollten die eigenen Betrachtungen verifizierend sein, weil in Asien noch alles so war, wie es am Anfang geschaffen war und man deswegen Rückschlüsse auf die Genesis erhalte. Johannes war bewusst, dass diese Exkurse nicht allen Lesern gefallen würden und schrieb, dass man sie mit einem Messer rasch entfernen könne... Der größte Teil des Reiseberichts ist im 1. Teil der Chronik zu finden. Das Paradies ist für Johannes auch Indien und Ceylon (zumindest ist es die Umgebung des Paradieses, die er kennenlernte, weswegen er sich das Paradies nun mühelos vorstellen könnte). Text 3: Schließlich gelangten wir mit dem Schiff nach Ceylon, einem ruhmreichen Berg gegenüber des Paradieses gelegen. Die Einwohner sagten: es seien nur noch 40 italienische Meilen zum Paradies. Man kann sogar das Rauschen der Wasser die aus dem Paradies entspringen, noch hören. Johannes legte sich selbst den Titel als päpstlicher Legat bis in die Nähe des Paradieses zu. In seinen Exkursen gibt er eine ausführliche Beschreibung der Gewässer, die aus dem Paradies entspringen und die wichtigen Ströme dieser Erde sind: Gyon (umfließt Äthiopien und fließt als Nil weiter durch Ägypten ins Mittelmeer) Physon (Kombination aus Ganges und Yang-Tse-Kiang – nicht geografisch nachvollziehbar) Euphrat Tigris (diese beiden Flüsse besuchte er selbst, die Beschreibung stimmt demnach ungefähr) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schilderung der Flüsse wirklich sehr konfus und seltsam ist. Richard Hennig: Terrae incognitae. Hennig forschte in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts über unbekannte Gebiete der Erde und ihre allmähliche Entdeckungen und gibt viele Textbeispiele. Durch die neuere Forschung häufig schon überholt. Hennig schreibt über Johannes, dass dieser konfuse Vorstellungen gehabt habe, und erwähnt seine lebhafte und kritiklose Phantasie. Text 4: Johannes dürfte auch über ein übertriebenes Selbstbewusstsein verfügt haben und stellt sich über Alexander den Großen, als er in Indien war. Auch deswegen, also nicht nur wegen seiner konfusen Vorstellungen über die Welt und das Paradies und den Glauben, brachte er die Kritiker gegen sich auf. Seine Beschreibungen sind christliche Interpretationen des Gesehenen und Erlebten. Ein Beispiel dafür ist ein Volksfest, das Johannes in China erlebt. Wahrscheinlich in Hanshou erlebte Johannes ein Volksfest mit (wahrscheinlich wurde am 2.2.1346 chinesisches Neujahr gefeiert) und dort sah er das Standbild einer Jungfrau, und glaubte, dass das Fest für die Jungfrau Maria gefeiert wurde. Es war aber das traditionelle Laternenfest zum Neujahr und die Statue war nicht Maria, sondern die Göttin der Barmherzigkeit im buddhistischen Glauben. Die Reiseerfahrungen des Johannes werden in rationale Zusammenhänge gestellt und Bibelstellen sind nicht nur der Ausgangspunkt und Anlass für eigene Reiseerfahrungen, sondern die Reiseerfahrungen dienen bei ihm zur Interpretation der Bibel. Ein weiteres Beispiel dafür ist, dass er sich gegen die Annahme wendet, dass sich Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies mit Fellen bekleidet hätten. Er beweist dies mit den Bewohnern der Gebiete in Ceylon, die sich immer noch in Gewändern aus pflanzlichen Fasern kleiden und er bringt auch Kleidungsstück nach Florenz mit. Johannes schwankt somit zwischen rationaler Nüchternheit und phantasievollen Vorstellungen. -21- Text 5: Wilhelm von Rubruk erkundigt sich nach den Fabelwesen am Mongolenhof, die nie jemand selbst gesehen hätte. Wilhelm bezweifelt die Richtigkeit der Annahme. Text 6: Johannes tritt entschieden gegen die Annahme der Existenz von Fabelwesen auf. Auch Augustinus lehnte Fabelwesen ab. Johannes unterscheidet zwischen Fabelwesen und Missgeburten (diese hat er sowohl in Italien, als auch Böhmen gesehen – diese seien aber Einzelfälle und keine Beweise für die Existenz von Fabelwesens). Er beteuert, trotz ständiger Suche auf seiner Reise, keine Fabelwesen gefunden zu haben. Johannes beschreibt in seinem Bericht auch immer wieder die mirabilia mundi = alles Erstaunliche, das sich in der Welt befindet (war im Mittelalter eine eigene Textsorte). Text 7: Existenz der Skiapoden Handelt davon, dass alle Inder nackt herumgehen und deswegen einen Schirm mit sich in der Hand tragen (dieser heißt chattir). Sie spannen ihn gegen Sonne und Regen auf und dieser Schirm wird von Dichtern zum „Fuß“ umgestaltet – wodurch der Irrglaube um die Skiapoden entstanden sein muss. Skiapoden: skia, gr. = Schatten; Skiapoden waren sog. Schattenfüßler und sind ein Volk der Fabelmenschen, das seit der Antike in Indien vermutet wird. Sie spenden sich bei Hitze mit ihrem großen Fuß selbst Schatten. Johannes widerlegt die Annahme, dass diese Menschen in Indien existierten. Ihre Füße seien in Wahrheit nur die Schirme. Als weiteren Wahrheitsbeweis bringt er einen Schirm nach Florenz mit. Text 8: Existenz von Riesen Johannes berichtet, dass er in Indien einem Riesen begegnet sei, dem er mit dem Kopf gerade bis zum Gürtel reichte. Dieser Riese war von fürchterlich hässlicher Gestalt, stank und war ein Waldmensch. Die Riesen in Indien sind nackt und behaart und lassen sich bei Menschen normalerweise nicht finden. Sie verstecken sich vor den Menschen und sammeln und bauen Pflanzen an, mit denen sie auch Handel treiben. Zu diesem Zwecke legen sie Produkte auf die Wege, verbergen sich wieder im Wald und nehmen dann das hinterlegte Geld der Käufer entgegen. Johannes beschreibt somit eine Form des Silent Trade. Riesenhafte Waldmenschen werden von Fabelwesen der antiken Tradition unterschieden. Die indischen riesenhaften Waldmenschen leben zwar ausserhalb der menschlichen Gemeinschaft und vermeiden Kontakt zu dieser, sie sind hässlich und stinken, üben aber menschliche Tätigkeiten aus (säen, sammeln, tauschen...). Die Bibel bleibt für Johannes die absolute Autorität und in Zweifelsfällen wird die Aussage der Bibel über die eigenen Erfahrungen gestellt. Ein Beispiel dafür ist die Besichtigung des Hauses Adams auf Ceylon: Johannes besichtigte das Haus Adams, weil dort die Sintflut nicht hingekommen sei, aber er zweifelt dies an, weil es gegen die Aussage der Bibel sei (wo ja alles Menschliche, bis auf die Arche, zerstört worden sei). Bei ihm stehen überliefertes Wissen und empirische Erkenntnis nicht gegeneinander, sondern wären miteinander zu verbinden und kompatibel. Johannes war einer der letzten namentlich bekannten Missionare in China während des Mittelalters. Im späteren 14. Jahrhundert flauten die Kontakte zwischen Europa und Fernost wieder ab, wovon nicht nur die Missionierungen betroffen waren, sondern auch die Handelsbeziehungen. Möglicherweise spielte die Pest dabei eine Rolle, die sich über Asien nach Europa ausbreitete. Johannes war der letzte nachgewiesene Missionar in China. Er erlebte den Wechsel von der mongolischen Herrschaft zur Mingdynastie 1386 mit und wurde vom Mingkaiser noch persönlich verabschiedet (= aufgefordert, das Land zu verlassen). Die Mingdynastie war sehr nationalistisch und lehnte alles Fremde ab. -22- Die franziskanische Chinamission des Mittelalters geht damit auch zu Ende und es ist nicht bekannt, ob die Franziskaner die Kirchen in China überhaupt jemals erreichten. Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts starteten die Jesuiten eine neue Phase der Chinamission, worüber es aber nur sehr wenige erhaltene Aufzeichnungen gibt. 8. Einheit am 5.5. 5) Führer für Kaufleute Im China der Yuang-Dynastie gab es ein enges Verhältnis zwischen Missionaren und Kaufleuten, da diese in der Fremde wohl aufeinander angewiesen waren. Die Kaufleute stifteten Grundstücke für Kirchenbauten in China und die Geistlichen fungierten als Notare bei Geschäftsabschlüssen. Es gibt keinen einzigen Bericht über eine reine Kaufmannsreise nach Ostasien. Wahrscheinlich auch deswegen, weil über Geschäfte natürlich weniger gesprochen, und schon gar nicht geschrieben, wurde und man das Handelsgeheimnis wahren wollte. Die Geschäfte mit Ostasien waren risikoreich, da der Besitz beim Versterben innerhalb der Mongolei wieder an den Khan zurückfiel. Gleichzeitig es gab aber auch die Möglichkeit zu beträchtlichen Gewinnen, was viele Kaufleute zu solchen Geschäften verlockte. 1291 unternahmen die Brüder Vivaldi aus Genua den ersten Versuch Indien auf dem westlichen Seeweg zu erreichen. Der Versuch wurde allerdings verheimlicht, um Konkurrenten auf falsche Fährten zu locken, weshalb man nur sehr wenig über diese Reise weiß. Es gibt einige Handbücher für Kaufleute als Reiseführer, aber nur wenige sind erhalten und sie waren damals auch gering verbreitet. Francesco Balducci Pegolotti Der berühmteste Handelsführer war in florentinischer Sprache verfasst und sehr praktisch ausgerichtet. Er stammte von Francesco Balducci Pegolotti: prattica della mercatura (Handelspraxis) aus dem Jahre 1340. Pegolotti behandelt die Produkte und Währungen der einzelnen Länder, gibt auch Informationen über die Handelsformen und Handelsorte (vom Mittelmeerraum bis China), die Entfernungen zwischen Etappen werden angegeben, ebenso eine Menge praktischer Hinweise (empfiehlt einen Dolmetscher, schreibt aber zusätzlich ein mehrsprachiges Glossar). Dieser Führer für Kaufleute ist nur in einer einzigen Abschrift erhalten, welche sich bis heute in Florenz befindet. Der Führer war also kein Buch für den allgemeinen Gebrauch und sollte die größere Öffentlichkeit nicht erreichen. Wahrscheinlich war er maßgeblich für spätere ähnliche Handelsbücher. Eine Übersetzung ins Deutsche ist nicht überliefert. Das war aber auch nicht notwendig, weil der Asienhandel ausschließlich in italienischer Hand war und die Produkte anschließend über die Alpen nach Norden transportiert wurden. In Norddeutschland entstanden ebenfalls vereinzelte Handelstexte, z.B. im 15. Jahrhundert in Hamburg. Dabei handelt es sich um ein Seebuch in mittelniederdeutscher Sprache, in dem nordeuropäische Küsten und Seewege von der Ostsee bis Gibraltar beschrieben wurden. Dieses Buch wurde, im Gegensatz zu Pegolotti, oft abgeschrieben und war weit verbreitet. -23- 6) Berichte von Forschern und Abenteurern Marco Polo Marco Polo (1254-1324) entstammte einer venezianischen Handelsfamilie. Sein Vater Nicolò und sein Onkel Maffeo unternahmen bereits vor der Geburt Marcos Reisen an die Krim. Kurz nach der Geburt Marcos gab es eine große Ostasienreise der beiden (1255-69), bei der sie bis zum Großkhan der Mongolen gelangten. Sie kehrten 1269 mit großem Gewinn nach Venedig zurück und brachten auch einen Brief des Großkhans an den Papst mit, in dem der Khan um die Entsendung von 100 christlichen Gelehrten an seinen Hof bittet. 1271 wird Gregor der X. als neuer Papst gewählt. Er gibt nur 2 Dominikanermönche nach Ostasien mit, z.B. Wilhelm von Thyrus. Diese bleiben aber in Kleinasien und kehren ins Heilige Land zurück. Die große gemeinsame Reise von Marco mit seinem Vater und Onkel von 1271-1295 findet also ohne den erwarteten geistlichen Beistand statt. Die Reiseroute unterschied sich bei der Hin- und Rückreise. Die Hinreise wurde auf den Karawanenwegen der Seidenstraße gemacht, während die Rückreise auf dem Seeweg stattfand und einen längeren Aufenthalt in Sri Lanka mit sich brachte. Die Reiseroute kann auf moodle nachgelesen werden. 1. Teil der Reise. 1271: Aufbruch aus dem Heiligen Land 1275: Ankunft beim Großkhan Nicolò und Maffeo trieben Handel, der junge Marco Polo trat aber in den Dienst des Großkhans und wurde wahrscheinlich zu einem wichtigen höfischen Berater. Die Position als Berater war typisch für ein Staatswesen, wo die Herrscher wichtige Verwaltungsposten mit Nicht-Mongolen besetzt hatten. Seine genaue Funktion ist nicht nachweisbar, da er in Urkunden der Mongolen nicht erwähnt wird. Laut Eigendefinition dürfte er aber Statthalter einer Provinz gewesen sein und bereist im Auftrag des Großkhans verschiedene Provinzen des Reiches, um diesem Informationen zu geben. Sein Werk ist durch eine Fülle von Eindrücken gekennzeichnet und er stand dem mongolischen Hof näher als der chinesischen Bevölkerung. Man nimmt an, dass er wohl Mongolisch, aber nicht Chinesisch sprach. Man kann feststellen, dass er die mongolische Sicht auf China übernimmt und es gibt Indizien, dass er niemals in China gewesen sein könnte. Es ist bemerkenswert, dass er den Tee mit keinem einzigen Wort erwähnt, auch nicht die Chinesische Mauer oder die chinesische Schrift und die gebundenen Füße der Frauen. Somit fließen wesentliche Elemente der chinesischen Kultur nicht in seinen Reisebericht ein. Diese Nicht-Erwähnungen von kulturellen Erscheinungen, führten in der Forschung oftmals zu der Frage, ob Marco Polo überhaupt in China gewesen sei. Es gibt auch Annahmen, dass Marco Polo seine Reisebeobachtungen lediglich aus anderen Führern entnommen habe. Herbert Franke: intensive Beschäftigung mit den Nicht-Erwähnungen → Marco Polo benützte vor allem Kaufführer aus der persischen und arabischen Kultur? (aber es gibt keine erhaltenen Führer aus der Zeit vor Marco Polo) Frances Wood: Did Marco Polo go to China? (1995) / deutsche Ausgabe: Marco Polo kam nicht bis China (1996) → weist auf die Nicht-Erwähnungen hin; Marco Polo kann in chinesischen Quellen nicht gefunden werden; hohe Funktionen können also auf jeden Fall nicht angenommen werden; Marco Polo verwendet viele chinesische Namen in persischer Form in seinem Buch; gibt Übereinstimmungen zwischen arabischen / persischen und der Werke Marco Polos (die persischen Berichte erschienen aber nach Marco Polo, z.B. Ibn Battuta, 1335 → gab es vielleicht eine gemeinsame Quelle, aus der beiden schöpften?) → THESE: Marco Polo war nur bis zum Schwarzen Meer gekommen und sammelte dort die Informationen über China -24- Dietmar Henze: Enzyklopädie der Entdecker und Forscher der Erde. Bd. 4, Graz 2000, S. 377 über Marco Polo: ganze lange vorgegebene Reise ist ein blankes Fabelstück – kolossalster Schwindel der Entdeckungsgeschichte Ugo Tucci (1997): bespricht Arbeit von Frances Wood → weist darauf hin, dass das Buch MP keine systematische Enzyklopädie sein wollte, sondern er nur aus 1000en Eindrücken wiedergab, was er selbst berichten wollte; → verweist auf die unzähligen neuartigen und richtigen Informationen, die er gibt; das Buch ist zu komplex und inhaltsreich, weshalb man ihm Auslassungen nicht vorwerfen könne... Jean Pierre Voiret: weist darauf hin, dass die großen Zentral- und Ostasienkenner bis zum 20. Jahrhunderts nicht an der Echtheit der Reiseerfahrungen gezweifelt hätten... → aufgrund der ausführlichen und detaillierten Chinabeschreibung (Straßenbau, Postwesen, Kalender, Feuerwehr, sprachliche Verhältnisse in den Provinzen, Sitten etc.): woher hätte Marco Polo all das wissen sollen? (z.B. das Ausstopfen bestimmter Affen auf Sumatra, die man Touristen als Zwerge verkauft) Stephen Haw: Marco Polo´s China (2006) bezweifelt, dass dieser Bericht erfunden sein könnte, ohne dass ihm dabei schwere und schwerste Fehler unterlaufen seien Hans Ulrich Vogel: Marco Polo was in China. Leiden / Boston 2013 → gibt neue Beweise über Währungen, Salzsteuer, Salzwesen und des Steuerwesens arbeitete mit vielen chinesischen Quellen, aber auch mit mittelalterlichen Marco Polo Texten verschiedener europäischer Sprachen; → Informationen über Geldwesen und Wirtschaft stimmen sehr genau mit der Realität aus den Quellen überein (die damals nicht öffentlich waren und sonst nicht erwähnt wurden – z.B. Beschreibung des Papiergeldes); Die Schilderung der Reise in die südlichen Grenzgebiete des chinesischen Reiches sei sehr stimmig und informativ und müsse selbst unternommen worden sein. Vogel lobt die überraschende Präzision der Beschreibungen, die durch Informationen anderer nicht erreicht werden kann. Er schließt daraus, dass Marco Polo über Insiderkenntnisse verfügt haben muss und möglicherweise in seiner Funktion am Hof sogar mit der Steuer beschäftigt gewesen war. Bei der Rückreise über den Seeweg wird der Kompass nicht erwähnt, die Sterne für die Navigation hingegen aber schon (Polarstern und Großen Bär). Marco Polo erwähnt, dass in Sumatra weder der Polarstern, noch der Große Bär zu sehen gewesen sein, auf der Südspitze Indiens aber wiederum schon (entspricht der Wahrheit, weil Sumatra am Äquator liegt). Bestätigung der Echtheit des Reiseberichtes des Marco Polo Petrus von Abano / Pietro d´Abano (ca. 1257-1316) war ein Zeitgenosse Marco Polos und als Arzt in Padua tätig. Er beschäftigte sich auch mit Philosophie und besuchte Marco Polo in Venedig und befragte ihn zu seinen Erfahrungen in Asien. Er schrieb ein Werk über diese Gespräche. Marcus Venetus erzählte ihm von einem „sackförmigen, großen, schwach leuchtenden Stern“, den man nur südlich des Äquators sehen könne. In seinem Buch gibt es auch eine Illustration dazu, bei der der Stern einen langen Schweif gehabt haben soll. Man geht davon aus, dass es die Magellanschen Wolken waren, die man nur südlich des Äquators sehen kann. Marco Polo kam offenbar nicht bis nach Japan, obwohl es ein Japan-Kapitel in seinem Bericht gibt. In diesem finden sich aber viele Fehler und Marco Polo behauptet auch nicht, selbst dort gewesen zu sein. Trotzdem ist Marco Polo der einzige, der von den japanischen Inseln überhaupt berichtet. 1291 verlassen die Polos den mongolischen Hof, was auch in einer chinesischen Quelle vermerkt wird, da die Polos eine chinesische Prinzessin zwecks Eheschließung mit dem Schiff zu einem persischen Herrscher bringen sollten. Marco Polo war aber nicht der Leiter dieser Mission, sondern nahm nur an der Reise teil. Der Bräutigam war bei der Ankunft der Prinzessin allerdings schon verstorben. Dokumentiert ist aber die Übergabe der Prinzessin an den Sohn des Bräutigams. -25- Nach der Übergabe der Prinzessin im Iran erfolgt die Rückkehr über Kleinasien nach Venedig, wo sie schließlich 1295 ankommen. Entstehung des Berichtes Bei der Seeschlacht von Curzola zwischen Venedig und Genua vor der dalmatinischen Küste (8.9.1298) wird Marco Polo gefangen genommen. Er gelangt nach Genua und bleibt dort zumindest einen Winter lang als Gefangener. Dort entsteht der Bericht über die Reise. Rustichello da Pisa war ein Mitgefangener und arbeitete mit Marco Polo an dem Buch. Rustichello war aber schon viel länger ein Gefangener der Genoveser, (seit 1284: Battaglia della Meloria, Seeschlacht zwischen Pisa und Genua) und soll während seiner langen Gefangenschaft einiges auf Auftrag Marco Polos aufgeschrieben haben (siehe moodle). retraire: mit Worten darlegen, erzählen, erklären, schildern... (altfranzösisch, Rustichello zeichnet die Geschichte MP 1298 auf) Der Reisebericht des Marco Polo ist somit kein selbst verfasster und aufgezeichneter Bericht und Rustichello griff auch in die Gestalt des Textes ein. Rustichello hatte bereits einen Ritterroman in altfranzösischer Sprache verfasst, bevor er gefangen genommen wurde (Meliadus), in dem er eine Vorliebe für abenteuerliche Stoffe zeigte. Als Autor war er mit dem Wortschatz und der Stilistik des höfischen Romans vertraut. Dadurch hebt sich das Werk von den nüchternen Reiseberichten ab, die sonst verfasst wurden. Möglicherweise war das Buch auch deswegen so erfolgreich, weil es literarisch interessanter gestaltet war. Über die Zusammenarbeit Rustichellos und Marco Polos gibt es nur Spekulationen. Dass er seine Hilfe in Anspruch genommen habe, gilt aber als gesichert. Die Sprachform des Berichts ist frankoitalienisch (francese die Lombardia), was eine Literatursprache im 13. Jahrhundert war. Frankoitalienisch ist eine Form des Französischen, die mit Italianismen durchsetzt war. Es gibt eine Reihe von Romanen und epischen Werken im 13. Jahrhundert im Nordwesten Italiens, die in dieser Sprache verfasst wurden. Es gilt als unwahrscheinlich, dass der Reisebericht ursprünglich im Dialekt von Venedig, also Marco Polos eigener Sprache, verfasst worden war. Gab es Notizen bei / vor der Niederschrift? Kann sich Marco Polo alles so gut gemerkt haben (Namen, Entfernungen, Einwohner, Produkte...)? Aber: nimmt man als Kämpfer einer Seeschlacht seine Notizen mit? Ließ er sich diese möglicherweise nachschicken? Es gibt einige chronologische Fehler im Buch und eine kleine Anzahl von falschen Angaben (v.a. topographischer Natur). Aber bis heute konnten keine Aufzeichnungen gefunden werden und es gibt auch keine Hinweise darauf. Rustichellos Anteile am Text sind zweifellos die Entscheidung für das Frankoitalienische (schon Meliadus war in dieser Sprachform geschrieben), die Wahl für die Prosaform (der Vers galt damals bereits als Merkmal für etwas Fiktives), dass als Vorbild des höfischen Lebens in der Mongolei das Ideal des höfischen Lebens aus dem höfischen Roman entnommen wurde (z.B. Empfang am Hof des Großkhans, Ansprache der Machthabers, Schlachtenszenen nach altfranz. Vorbild), und teilweise wörtliche Übereinstimmungen zwischen dem Meliadus und dem Bericht des Marco Polos. Der Bericht ist in die 1. und 2. Reise, den Aufenthalt und die Rückkehr nach Venedig gegliedert. Die Gliederung entspricht somit dem doppelten Kursus des Artusromans (Ausfahrt, Krise, 2. Ausfahrt mit Aventiure, Lösung). Das Buch ist somit an den Grundtyp des höfischen Romans angelehnt (1. Reise betrifft aber nur Vater und Onkel). Manche Passagen dürften auch von Rustichello eingefügt worden sein, um das Buch spannender zu machen. Eine Endrevision des Buches dürfte nicht durchgeführt worden sein, da mehrere Nachträge dazugestellt worden sind, die aber nicht eingearbeitet wurden. Weiters gibt es auch einen Wechsel in der Erzählperspektive und das Buch bricht sehr plötzlich ab. -26- 9. Einheit am 12.5.15 Marco Polo Abrupter Abbruch des Buches. Ablauf ist nicht nicht leicht in eine Grobgliederung zu bringen. Philippe Ménard schlug Dreiteilung vor: Prolog: Kapitel 1-18, Schilderung der ersten und zweiten Reise der Brüder 1. Teil: „Reise“ nach China, Kapitel 19-74 2. Teil: Der Großkhan und seine Taten, Kapitel 75-156 3. Teil: „Reisen“ im Fernen Osten und „Rückkehr“ nach Europa, Kapitel 157-234 Der Reisebericht des Marco Polo hat keine Itinerarstruktur, diese kommt nur im Prolog vor. Der Hauptteil des Buches besteht aus geografisch-historiographischen Schilderungen. Die Reihenfolge entspricht im weitesten Sinn dem Hinweg über Zentralasien und dem Rückweg auf See. Andere Gebiete wie Afrika,… kommen auch vor. Marco Polo will eine Beschreibung der unbekannten Teile der Welt geben. Verschiedene Namen des Reiseberichtes werden angegeben: • • „Divisament dou Monde“ (nur eine Handschrift; diviser=schildern); frankoitalienisch Il Milione (Marco Polo wurde Il Milione genannt → Übertragung auf das Buch; Milione wurde in der Toskana mit „Aufschneiden, Übertreiben“ verbunden; oder von „Emilione“ (Beiname der Fam. Polo)) Zeugnis für die Zweifel der Zeitgenossen über seinen Bericht Iacopo d’Aqcui: Chronicon imaginis mundi (1328-1334) Er berichtet darin, dass die Freunde Marco Polo am Totenbett bedrängt haben sollen, alles, was nicht stimme, aus seinem Buch zu tilgen. Marco Polo ist sich keiner Schuld bewusst. Er meint, er hat nur einen Bruchteil von dem aufgeschrieben, was er erlebt hat. Auch bei Marco Polo spielt die Betonung der Echtheit eine wichtige Rolle. Im Prolog gibt es viele Wahrheitsbeteuerungen. Dabei wird Marco Polo in der dritten Person erwähnt. Einiges hat er nicht gesehen, aber von vertrauenswürdigen Leuten erfahren. Die Trennung von Beobachtungswissen und erzähltesm Wissen ist sehr klar. Mögliche Überforderung des Publikums: Überschreitung des geografischen Wissens, Integration eines Europäers in eine ganz unbekannte Kultur. Der Bericht war seiner Zeit weit voraus. Aurel Stein (Asienforscher) schreibt zusammenfassend: der Bericht ist eine tolle Vorwegnahme eines neuzeitlichen modernen Berichtes. Überlieferung des Reiseberichtes Laut Reichert handelt es sich um ein Lehrstück für die verworrene Überlieferung eines Reiseberichtes, da die Überlieferungssituation sehr kompliziert ist. Warum so schwierig? Die genauen Daten zur Überlieferungssituation muss man nicht zur Prüfung können, allerdings sollte man wissen, dass die deutschen Überlieferungen über mindestens 3 Ecken entstanden sind und sich somit nicht nur auf das Original beziehen und deswegen oft auch viel anderes dabei ist. Wichtig zu wissen ist, dass das Original im Frankoitalienischen steht und von Rustichello da Pisa literarisch verfasst wurde. -27- • • • • • Ca. 150 Marco Polo Handschriften aus dem Mittelalter, diese sind verschiedenen Rezensionen zuzuordnen, die sich sehr unterscheiden Eine kritische Rezension, die alles umfasst ist wahrscheinlich nicht möglich Bedeutendster Marco Polo Forscher: Luigi Foscolo Benedetto. Es gibt von seinem Buch nur 600 Ausgaben (in Ö nur in der Nationalbibliothek). Er gibt die Fassung F wieder. Davon gibt es eine dt. Übersetzung von Guignard (mit Einschüben aus der Fassung Z). BnF ms. fr. 1116: Handschrift ist bereits 1316 entstanden. Viele Fehler enthalten, trotzdem steht sie dem Original näher. Luigi Benedetto wollte die Fehler etwas ausbessern. Fassung F hat einige Zusatzkapitel. Die frankoitalienische und französische Fassungen sind am Besten. Überblick einiger wichtige Fassungen Handschrift Z „Zeladafassung“: Lat. Übersetzung, sehr früh, nach dem Kardinal Zelada benannt. Enthält einige Kapitel, die in der frankoitaliensichen Fassung nicht enthalten sind, die aber aus erster Hand stammen. Hat aber keine Wirkung gehabt und ist ins Abseits geraten. Hatte nur Auswirkungen auf Ramusio, der ein Sammler von Reiseberichten aus dem 16. Jh. war, die er in einem dreibändigen Werk herausgegeben hat. Darin ist auch der Reisebericht des Marco Polo enthalten. Fassung FG „Gregoirefassung“ Dabei handelt es sich um eine französische Fassung. Sie stellt den aktuellen Stand der Marco PoloForschung dar. Ist enthalten in einer Ausgaben von Philippe Ménard. Die altfranzösische Version ist sehr elegant und makellos. Man weiß, wie die Übersetzung zustande gekommen ist. Das Buch wurde direkt von Marco Polo im hohen franz. Adel verbreitet. Toskanische Fassung: (F2) Aus der 1. Hälfte des 14. Jh. Hat große Verbreitung in der Toskana, vor allem bei Kaufleuten, gefunden. In dieser Fassung findet man zum ersten Mal die Bezeichnung Milione. Die venezianische Übersetzung ist nur in einigen wenigen Handschriften erhalten. Fassung P: Dabei handelt es sich um eine sehr wichtige Fassung eines Dominikanermönchs aus Bologna, der vermutlich Kontakt zu Marco Polo hatte. Pipino hat das Buch sehr bald ins Lateinische übersetzt. Diese Version wurde von den ganzen Gelehrten, Gebildeten und Klerikern gelesen. Es handelt sich um eine kürzende, straffende Version mit teilweise abwertenden Kommentaren über die anderen Kulturen, mit einem klaren klerikalen Einschlag. Ist in 59 Handschriften überliefert und somit die am meisten verbreitete Fassung. Sie war auch die Ausgangsfassung von verschiedenen volkssprachlichen Übersetzungen und ist früh gedruckt worden. Bis heute gibt es keine kritische Ausgabe dieser Fassung. Nicht nur Marco Polo, sondern auch sein Vater und sein Onkel haben wahrscheinlich verschiedene Fragen beantwortet. Dadurch sind verschiedene Versionen entstanden. Die Übersetzer haben sich bemüht, das Verständnis der fremden Welt zu erleichtern. Die lateinischen Fassungen waren die, die vom Klerus und von den Gelehrten in ganz Europa gelesen worden sind. Auch Kolumbus hatte ein Exemplar der Pipinofassung. Die altfranz. Version war für höchst anspruchsvolle Leser gedacht. Das Buch konnte unter ganz verschiedenen Aspekten gelesen werden. (Weltkunde, Geografisches Handbuch, Roman, …). Diese spiegeln sich im heutigen Zugang wider. Die mitteldeutsche Fassung wurde nach der Admonter Handschrift erstellt. -28- Die deutschsprachigen Marco Polo Übersetzungen aus dem Mittelalter Deutsche Marco Polo Übersetzungen sind sehr wenig vertreten, im Vergleich zu den anderen. Warum ist dem so? • Laienpublikum war besonders konservativ • Ablehnung gegen das neue und Fremde (glaubt Hellmuth nicht) • Eher: Konkurrenz von Jehan de Mandeville (Reisebuch); ist selbst nicht gereist, hat zusammengefasst. Gewaltiger Erfolg, viel spektakulärer als der Bericht von Marco Polo • Übersetzungen waren nicht gut, da schon die Vorlagen dazu nicht gut gewesen waren Die lateinischen Übersetzungen haben im deutschsprachigen Raum allerdings großen Anklang gefunden. Mitteldeutsche Übersetzung: Nur in Admont vorhanden. Ist zweispaltig geschrieben. Ist eine Abschrift der Übersetzung. Sprache ist Ost-mitteldeutsch (Obersächsisch, Thüringisch). Diese Handschrift enthält viele Fehler. Die Abschrift ist ca. am Beginn der 2. Hälfte des 14. Jh. entstanden. Die Übersetzung selbst dürfte schon früher entstanden sein (1. Hälfte des 14. Jh.) Auffällig sind eine starke Verballhornung von Eigennamen, viele Missverständnisse (schon lat. Vorlage LA muss sehr sachorientiert gewesen sein), sowie Kürzungen und Faktenorientiertheit. Die narrativen Partien sind fast weitgehend verschwunden, wodurch auch der Sinnzusammenhang etwas verloren ging. 10. Einheit am 19.5. Mitteldeutsche Übersetzung vs. frankoitalienische Fassung Kulturelle Phänomene waren wichtiger als rein geographische Fakten. In diesem Bereich zeigen sich auch die Grenzen des Verständnisses von Marco Polo in Bezug auf die Kulturen. Marco Polo war ein Mensch des europäischen Mittelalters und ist es auch immer geblieben. Er zeigt das Überlegenheitsgefühl eines europäischen Christen des 13. Jhs. Nur manchmal wird das Gefühl durch eine gewisse Gleichmütigkeit gemildert. Götterwelt der Chinesen und Japaner Text 3a: Ortsangaben sind wichtig. Catai ist das nördliche China, Mangi das südliche China (südlich des Gelben Flusses). Die erwähnte Insel ist Japan. Marco Polo ist dort aber nie gewesen! Text 3b: In der mitteldeutschen Übersetzung findet man diesen Text wieder, jedoch stark gekürzt und einige Details sind weggelassen worden. Es gib viele Götzen in vielerlei Formen und Gestalten. Einigen von ihnen sind so wie Rinder, andere wie Böcke, einige wie Schweine, Hunde oder Stiere. Manche haben 2, 3, 4 und manche sogar 10 Hände. Jener Götze, der viele Häupter und Hände hat, der ist der mächtigste und tugendsamste. Und wie die Leute gefragt werden, warum ihre Götter so vielerlei Hände und Häupter hätten, so haben sie einen falschen Beweis und sagen „wir wollen nur dem Brauch unserer Väter befolgen“. Unterschiede der Texte 3a/3b • • Mitteldeutsche Fassung ist kürzer. In der frankoitalienischen ist auch von den Göttern Nordund Südchinas, als auch von den japanischen Göttern die Rede. -29- • • • • • Bei Marco Polo in der frankoitalienischen Fassung: Götterbilder mit Tierköpfen (theriokephal); in der mitteldeutschen Fassung: tiergestaltige Gottheiten (theriomorph) Frankoitalienische Fassung: Götterbilder haben auch noch 2 Köpfe auf den Schultern Mitteldeutsche Fassung: weitere Köpfe fehlen, außerdem fehlt auch der Hinweise auf die Unbeschreiblichkeit der japanischen Götter Frankoitalienische Fassung: Vorfahren haben die Götter vererbt; in der mitteldeutschen Fassung: gibt einen wertenden Zusatz bezüglich eines falschen Arguments für die Form des religiösen Kultes Weder in der frankoitalienischen, noch in der mitteldeutschen Fassung wird klar, um welche Religion es sich handelt. Es wird keine bestimmte Religion mit der Beschreibung verbunden. Es werden nur Äußerlichkeiten genannt (Bilder, Opferriten), aber von den Formen des Glaubens wird nichts gesagt. Im Bereich von Asien gibt es auch immer wieder Vermischungen von verschiedenen Religionen. Diese konnte Marco Polo offenbar nicht auseinanderhalten. Er hatte auch mangelhafte Kenntnisse in Bezug auf Religionen. Buddhalegende Buddhismus: Marco Polo hat Buddha aufgrund seiner christlichen Tugenden besonders gewürdigt. Dieser Königssohn (Buddha) sei 84 Mal gestorben und wiedergeboren und zum Schluss als Gott wiedergeboren worden. Diese Darstellung fehlt in der mitteldeutschen Fassung vollständig. Die Beschreibung der Schätze Ceylons sind jedoch in beiden Fassungen vorhanden. Barlaam und Josaphat Ist ein vielbearbeiteter Stoff und eigentlich handelt es sich dabei um die Buddhalegende in verchristlichter Form. Prinz Josaphat wird fern aller Leiden erzogen. Sein Vater konnte jedoch nicht verhindern, dass Josaphat mit Alter, Krankheit und Tod in Berührung kommt. Der Einsiedler Barlaam weist Josaphat auf die Werte des Christentums hin. Josaphat konvertiert, wird Einsiedler und verzichtet auf die Nachfolge als König. (zu finden in: Rudolf v. Ems ca. 1220 / Vinzenz v. Beauvais / „Legenda Aurea“ von Jacobus de Voragine (War Erzbischof von Genua, gestorben 1298; in den 60er Jahren hat er die bedeutendeste Legendensammlung verfasst) Diese Erzählung war sehr verbreitet und auch im 16. Jh. wurden die beiden noch als christliche Heilige verehrt. Für Marco Polo hat es nur 3 Religionen in Asien gegeben: Nestorianer: christliche Richtung, die auf einen Theologen namens Nestorius zurückgeht, dessen Lehre am Konzil von Ephesos abgelehnt wurde, und die eine strenge 2-Naturen-Lehre ist; seine Anhänger wanderten in das Sassanidenreich und haben dort den Glauben verbreitet; Ende 13. und Beginn des 14. Jh. war die Blütezeit der Verbreitung; später wurde sie fast völlig zerschlagen, heute gibt es noch kleine Reste Muslime: werden bei Marco Polo nur in Bezug auf die Konfrontationen mit den Christen erwähnt alle anderen: z.B. Verehrer von Götzen; Marco Polo hatte Schwierigkeiten, die anderen Religionen zu erfassen -30- Von manchen Religionen wusste man schon in Europa: Brahmanen: Hinduismus, kommen seit dem Alexanderzug immer wieder in Texten vor (Solinus nennt sie Gymnosophisten) Florian Kragl: Die Weisheit des Fremden. Bern 2005 Im Brief des Priesters Johannes und in der Alexanderdichtung sind diese Gymnosophisten keine bestimmte Klasse im Hinduismus, sondern sie ein orientalisches Fabelvolk. Die Brahmanen sind im Mittelalter zu einem Sammelbecken vieler Fabeln geworden. Im mitteldeutschen sind die Brahmanen Bewohner einer bestimmten Provinz Lar (Gujarat). Text 5: „Von den Götzenanbetern in Indien, die alle Sünden vermeiden und von der unglaublichen Härte ihres Lebens und anderer Gewohnheiten, die sie befolgen“: Wenn man vom Grab des hl. Thomas weiter zieht, kommt man zu einer großen Provinz, die sich gegen Westen erstreckt und Abrasanini heißt. Die, die dort leben, die halten die Wahrheit streng ein, bei allem, was sie sagen, mehr als alle anderen Menschen und sie hassen die Lügen besonders. Auch sind sie sehr keusch, sie berühren nie eine andere Frau, außer ihrer eigenen. Sie trinken auch wenig und essen auch wenig und sie kasteien ihren Körper. Sie essen weder Fleisch, noch trinken sie Wein und sie töten nie ein Tier. Sie sind aber Götzenanbeter und sie beten ein Rind an. Sie achten genau auf das Zwitschern der Vögel und die Gestirne. Sie erledigen nichts Bedeutendes und auch keinen wichtigen Kauf, außer nach dem entsprechenden Stand der Sterne. Sie sind weise und vernünftige Leute, außer der bösen Sitten, von denen vorher die Rede war. Sie essen auch sehr gesittet und ordentlich. Sie haben auch viele Mönche, die ihre religiösen Gesetze einhalten und den Göttern dienen und ihre Lebensform den anderen beibringen. Sie leben meist 200 Jahre lang. Das kommt vom gemäßigten und geregelten Leben, das sie haben. Und sie essen und trinken auch nie, außer wenn es unbedingt notwendig ist. Ihre Mönche halten ein strenges Leben aus Liebe zu ihren Göttern. Sie gehen zu allen Zeiten total nackt und sie sagen, dass sie keine Sünde damit verbinden. Sie tragen ein gegossenes Rind auf ihrem Haupt, das sie anbeten. Mit einer Salbe, die man aus Rindermark herstellt, salben sie sich ganz ein. Und sie essen ihre Speisen, nur von trockenen Blättern der Paradiesäpfel (Granatapfel/Bananenstaude). Sie sagen: alles was grün ist, hat eine Seele. Und daher töten sie auch keine Tiere. Gegen ihre Gesetze verstoßen sie nie. Sie schlafen auch nur auf der bloßen Erde. Unterschiede der frankoitalienischen und mitteldeutschen Fassung • • • • • Gewaltiger Unterschied im Umfang des Kapitels (anfangs war es wesentlich länger). Mitteldeutsche Fassung: ist radikal gekürzt worden; diese Kürzung war wahrscheinlich schon in der lateinischen Vorlage vorhanden. Es gibt kaum Neuerungen (außer: bei Marco Polo in der frankoitalienischen Fassung ist die Salbe aus Rinderdung, in der mitteldeutschen Fassung besteht die Salbe hingegen aus Rindermark Bewohner von Lar haben ihre Dinge nach den Gestirnen ausgerichtet: kommt bei Marco Polo in der ursprünglichen Fassung nicht vor, dafür gibt es andere Sachen, die die Bewohner befolgen Mitteldeutsche Fassung ist stark gekürzt: nicht nur faktisches ist weg, auch literarische Verarmung trat ein, alle erzählenden Passagen wurden eliminiert. Frankoitalienische Fassung: Schatten als entscheidendes Kriterium für das Abhalten von Handel Tarantelomen: wenn sich beim Feilschen eine Tarantel nähert, stellt der Verkäufer sofort die Herkunft fest. Wenn sie nicht passt, dann soll er den Handel abbrechen -31- • • Niesomen: wenn man einen Menschen niesen hört, und dies als schlechtes Omen deutet, bleibt man sofort stehen und rührt sich nicht mehr Schwalbenomen: wenn einem eine Schwalbe begegnet, darf sie nur aus der richtigen Richtung kommen, sonst muss man umkehren Überlieferung der mitteldeutschen Fassung • • • • in einer Sammelhandschrift erhalten (nur eine Handschrift in der Admonter Handschrift). Buch über Obstbäume Wahrsagebuch Alle 3 sind deutsch!! Text 6: Hier beginnt die heidnische Chronik, die eine Chronik über die Länder der Heiden ist, und die von der Vielgestaltigkeit vom Tun und Handeln, den Sitten und der Art und Weise vieler Gebiete, die dann beschrieben werden, handelt. Marco Polo wird mit guten Attributen versehen, als ein Meerfahrer und ein Landschauer. Sein Reisebericht wurde als völkerkundliches Sachbuch angesehen, mit Neuem Sachwissen in traditioneller Form (Völker- und Naturkunde). In dieser Form tritt Marco Polo aber in ein Konkurrenzverhältnis zu bereits bestehendes Texten: • • • „Lucidarius“: Text in Fragen und Antworten, der einem Interessierten alles Wissenswerte über die Welt und ihre Beschaffenheit vermitteln sollte Konrad von Megenberg: „Buch der Natur“, ca. 1350 Thomas von Cantimpré: Enzyklopädie über die Natur, war eine Vorlage für Konrad von Megenberg Durch die Reduktion des Narrativen, war der mitteldeutsche Text für die Leser viel weniger attraktiv geworden, weil weniger Spannung und Handlung enthalten waren. Die primär an den Fakten Interessierten haben den Marco Polo wahrscheinlich sowieso eher auf Latein gelesen (Pipinofassung). 11. Einheit am 2.6. Oberdeutsche Übersetzung des Marco Polo = Inkunabelfassung Inkunabeln waren sehr teuer! Ist in zwei Drucken überliefert: • • 1477 (sehr früh!), gedruckt von Fritz Creußner in Nürnberg (ist auch in der ÖNB vorhanden!); Druck hängt von einer toskanischen Fassung ab, der Übersetzer ist nicht bekannt 1481 Anton Sorg in Augsburg (ist in einigen Exemplaren erhalten geblieben); ist wahrscheinlich nur ein Abdruck der Nürnberger Fassung, bis auf ein paar Änderungen Beide Drucke sind online verfügbar! (Münchener Digitalisierungszentrum) Text 7: Beschreibung der chinesischen Hauptstadt -32- Text 8a: Schilderung der Eroberung der Stadt Bagdad Es werden keine Satzzeichen gesetzt und die Orthographie ist komisch. Inhalt ist die Eroberung Bagdads durch die Mongolen (1258). Marco Polo hat die Geschichte erfahren (war ja vor seiner Zeit!) und nicht selbst erlebt. Bagdad soll die schönste Stadt des Landes gewesen sein. Darin wohnt der Mohrenpapst (Kalif) = Papst der dunklen Menschen. Das war al-Mustacsim (1242-1258), letzte Kalif der Abassiden, auch das Kalifat war mit ihm am Ende. Ist bei der Eroberung getötet worden. Die Eroberung ist ein historisches Faktum, hat sich jedoch sicher nicht so zugetragen, wie es geschildert wurde. 1255 ist falsch angegeben, eigentlich war die Eroberung im Jahre 1258. Dabei wurden die Bibliotheken und wichtige Sammlungen vernichtet. Der Bruder Hülägü des mongolischen Herrschers Elaw hat die Stadt erobert. Das hisotrische Geschehen wurde auf eine Anekdote reduziert. Der Kalif ist von den Mongolen in Wirklichkeit nicht auf die dargestellte Weise getötet worden! Der Kalif wurde wahrscheinlich in einen Teppich eingewickelt und von Pferden zertrampelt. Text 8b: Eroberung von Baudac Anekdote: Übermäßige Habgier (im christlichen Sinne gesehen, avaritia = eine der Hauptsünden) des Kalifen (von der Sündhaftigkeit war im Original noch keine Spur!) ist ein wichtiges Motiv. Der Kalif stirbt angeblich an seinem Gold. Das Schicksal des Kalifen erinnert somit an die Geschichte von König Midas. Die Geschichte von König Midas wird schon bei Ovid geschildert. Unter Midas Berührung soll alles zu Gold geworden sein, sogar das Essen. Midas nimmt daraufhin seinen Wunsch wieder zurück. Bei Alexander: giricheit (im Mittelalter ein Beispiel für einen Menschen, der nie genug haben kann) → kommt auch in den Alexanderdichtungen vor Die Sündhaftigkeit in der oberdeutschen Fassung zeigt die Verchristlichung des Textes. Ist aber gleichzeitig auch kirchenkritisch. Der Kalif wird zum negativen Beispiel für geistliche Würdenträger. Der Kalif wird als Papst der Muslime bezeichnet, auch als deren oberster Geistlicher. Der Kalif wird immer wieder als der Beherrscher der Gläubigen bezeichnet (auch in den Märchen aus 1001 Nacht). Amir al mu`minin (Beherrscher der Gläubigen) → Kalif als Oberhaupt der gesamten islamischen Welt. Geistliche sollen keinen großen Reichtum besitzen und der Kalif verstößt somit gegen die christlichen Gebote. Es ist nicht möglich zu eruieren, wann die Verchristlichung und explizite Kirchenkritik in die Marco Polo-Texte eingeflossen ist. Viele verschiedene Veränderungen in den oberdeutschen Fassungen: • • Verchristlichung Abbildung 9: Marco Polo wird als edler Ritter dargestellt und mit einem Schriftzug beschrieben, der darauf hinweist, dass er als Landfahrer, die großen Wunder der Welt gesehen hat. Dieser Schriftzug zeigt die Tendenz hin zum Sensationellen und trägt etwas zu dick auf. Text 10: Beginn des Buches • • Die großen und wunderbaren Dinge werden beschrieben Ist eine Erweiterung der toskanischen Vorlage -33- • • • • • • • 3. Person spricht nicht selber, wechselt im Verlaufe des Buches immer wieder Italienische Fassung: Missere (=mein Herr) Marco Polo; oberdeutsche Fassung: Ritter Marco Polo Wunderbare Dinge, die er fand vs. große Wunder (außerordentlich) Buch wendet sich an Fürsten, Freie, Grafen, Ritter und alle, die den Willen haben, die großen Wunder der Welt verstehen zu wollen. Die Fassung ist für Leser konzipiert und nicht mehr zum Vortragen. Die frankoitalienische Fassung wurde noch vorgelesen. In der oberdeutschen Fassung wird sehr dick aufgetragen, große Wunder werden mehrmals erwähnt Die oberdeutsche Fassung wollte kein wissenschaftliches Sachbuch sein (die mitteldeutsche Fassung hingegen wollte schon ein Fachbuch sein) und sollte eher ein das Erstaunen hervorrufender Bericht sein. Das Reisemotiv der Brüder Polo wurde deutlich verändert und es ist nicht mehr von einer Handelsreise die Rede, sondern die Reise dient als Mittel, um die Wunder der Welt mit den eigenen Augen zu sehen. Marco Polo sollte in die ritterliche Erzählwelt des 15. Jahrhunderts eingebunden werden Besonderheiten der oberdeutschen Marco Polo-Fassung Marco Polo wird somit in der oberdeutschen Fassung zum spannenden Tatsachenberichtes eines adeligen Reisenden und steht in Konkurrenz zur zeitgenössischen Romanliteratur, aber auch zur Reiseliteratur von Mandeville. Einbeziehung in die Erzählliteratur des 15. Jhs. lässt sich auch buchgeschichtlich sehr deutlich machen: Der Druck von 1477 war ein Einzeldruck, der Druck von Sorg hingegen war ein Buch, in dem die Marco Polo-Erzählung nur den 2. Teil einnahm. Der 1. Teil dieses Buches war ein Roman von Johann von Würzburg „Wilhelm von Österreich“ (nicht in der ursprünglichen Reimfassung, sondern in einer Prosafassung). Somit wurde der Marco Polo-Text gemeinsam mit einem Minneund Aventure Roman, einer fiktiven Vorgeschichte der Herzöge von Österreich (Bittfahrt nach Ephesos, trifft auf Heidenkönig, bitten um einen Nachfolger; Wunsch geht in Erfüllung, beide bekommen ein Kind; beide heiraten; Vater nicht einverstanden….) kombiniert, dessen Handlung zum Teil im Orient spielt. Marco Polo folgt auf den Roman, der im vorderen Orient spielt. Es ist naheliegende, dass der Drucker Sorg den Reisebericht des Marco Polos als Fortsetzung zu dem Roman sah. Im oberdeutschen Marco Polo gibt es massive Kürzungen und somit einen großen Verlust des erzählerischen Reizes. Auf diese Weise konnte der Text nicht mit dem Reisebericht von Mandeville konkurrieren, der viel eindrucksvoller zu lesen war. Möglicherweise ist deswegen nach 1481 die oberdeutsche Übersetzung nicht mehr gedruckt worden. Erst im 16. Jh. gibt es neue Marco Polo-Drucke, die aus der lat. Pepinofassung erstellt werden. Diese Übersetzungen haben keine nennenswerte Wirkung erlangt, im Gegensatz zur Pepinofassung. Kolumbus Kannte Marco Polo-Text sehr gut. Die lat. Übersetzung ist seit den 1430er Jahren in der Bibliothek des Königs von Portugal vorhanden. Viele sind sich einig, dass der Reisebericht großen Einfluss auf die erste Seereise hatte. Columbus hat die wichtigen Handbücher gekannt (Mandeville und Marco Polo). Eine lat. Marco Polo-Ausgabe ist in den Niederlanden in der Bibliothek seines Sohnes. Sie weist 366 Randnotizen auf, die nicht nur von Kolumbus, sondern auch von 2 anderen Schreibern stammen. Diese Notizen finden sich vor allem zu den Edelsteinen, Gewürzen und Edelmetallen. Mit diesen Beweisen zu den Schätzen wollte Columbus seinen Auftraggeber motivieren, um ihm eine Flotte zusammenzustellen. Diskussion: hat Kolumbus diese Eintragungen schon vor seiner ersten Reise getätigt? -34- Sekundärliteratur zu Marco Polo: • • • • • • • Hendry Yule und Henri Cordier (viele Anmerkungen und alte Abbildungen) Paul Pelliot: Notes on Marco Polo, 3 Bde., Paris 1959-1963. Leonardo Olschki: Storia letteraria delle scoperte geografiche, Florenz 1937. Leonardo Olschki: L’Asia di M.P. 1958 John Larner: Marco Polo and the discovery of the world. New Haven 1999. Philippe Ménard: Marco Polo. Die Geschichte einer legendären Reise. Darmstadt 2009. Stephen G. Haw: Marco Polos China. New York 2009. Viele der Berichte sind, trotz der Behauptung am Anfang, dass alles wahr ist, teilweise irrtümlich. Diese Irrtümer können auf mangelnde Sprachkenntnissen, Vorurteile aus tradiertem Wissen, ein irreführendes Vorwissen (war sehr unterschiedlich, Pordenone war einfacher Mönch, Rubruk war sehr gebildet, Kaufleute hatte ganz andere Interessen) zurückzuführen sein. Gemeinsamer Nenner aller Fassungen: christlich europäische Mentalität des Spätmittelalters wird als Ausgangspunkt für die Beurteilung der Welt nach europäischen Maßstäben genommen. Dabei handelt es sich um einen langfristigen Verstehensprozess, bei dem das eigene Vorwissen langsam falsifiziert wurde. z.B.: Wunderkreaturen gibt es nicht. Dieser Prozess ist aber sehr begrenzt, da die Kontakte mit Zentralasien schon abgebrochen waren, bevor der Diskurs überhaupt in Gang gekommen war (während der Ming-Dynastie konnte wenig Handel getrieben werden). Nicht nur die politische Isolation der Ming-Dynastie, sondern auch die Pestepidemie (die sich von Asien nach Europa ausbreitete), trugen zu einem Stillstand der Beziehungen bei. Im 14. Jh. gab es so gut wie keine Kontakte mehr nach Asien. Die Berichte die bis dorthin geschrieben worden sind, sind aber nie mehr wirklich in Vergessenheit geraten. 12. Einheit am 9.6. Reisebuch des Hans Schiltberger (1380) Schiltberger war 33 Jahre in Asien, also länger als Marco Polo. Im Gegensatz zu Marco Polo, der in angesehener und nicht unbedeutender Stellung am Hof des Großkhans (deswegen gute Infoquellen) wirkte, lebte Hans Schiltberger aber als Kriegsgefangener in West- und Zentralasien. Deswegen war er auf Informationen einfacher Leute angewiesen. Er war unfreiwillig so lange in Asien. Über sein Leben ist nur wenig bekannt, vor allem das, was er selbst in seinem Reisebuch erwähnt, beziehungsweise was sich daraus erschließen lässt. Er wurde 1380 geboren und stammte aus einem der ältesten Adelsgeschlechter in Bayern aus dem Ort Schiltberg bei Aichach (20km nordöstlich von Augsburg). Die Familiengeschichte lässt sich auf das Jahr 1190 zurückdatieren, wo Berchtoldus Marescalcus de Schiltberg als Marschall am Hof der Bayrischen Herzöge erwähnt wird. Im Spätmittelalter übersiedelten die Schiltbergs als Bürger nach München und im 19. Jh. starb der letzte Angehörige der Dynastie. Die Reise 1394 verließ Hans Schiltberger seine bayrische Heimat – er war damals laut Eigendefinition 14 Jahre alt – als Knappe eines bayrischen Ritters (Linhart Reichharttinger) bei einem Kreuzzug, zu dem König Sigismund von Ungarn als Beistand und Hilfe gegen die Türken aufgerufen hatte. Text 1: Schiltberger nennt sich selbst und seine Herkunft (autobiographische Hinweise) gerenne, n.: hat mit Ritterdienst zu tun → gerenneseyß: in der Funktion als Knappe -35- Text 2: 25.9.1396: Schlacht in Nikopolis (heute in Bulgarien an der unteren Donau): dort gibt es eine Niederlage der europäischen Ritter gegen die Osmanen. Die Serben kämpften auf der Seite der Türken und fügten den (mittel-)europäischen Rittern rund um den König Sigismund von Ungarn ebenfalls eine Niederlage zu. Die Schlacht wird von Schiltberg beschrieben. Vor allem aber, dass er versuchte seinen Herrn zu retten, dies aber nicht vermochte, da Linhart von seinem Pferd geschossen wird. Schiltberg kann ihn zwar aus dem Kampfgetümmel holen, sein Herr erliegt aber dennoch den schweren Verletzungen. fußgengell: Fußsoldaten Syrifey: Serbien despot: byzantinische Bezeichnung für die Herrscher von Serbien banier/panir: das Banner (Fahnenbanner einzelner Gruppen) galein/galie: ein bestimmtes Schiff (Ruderschiff) Der König von Ungarn gelangte dann auf der Donau nach Konstantinopel. Auf diese Weise fliehen auch viele Ritter, Knappen und Knechte. Bei dieser Massenflucht konnten aber nicht mehr alle auf die Schiffe kommen und viele ertranken bei dem Versuch die Schiffe zu entern. Andere stürzten sich auch die steilen Uferhänge in die Donau hinunter und starben auf diese Weise. Die meisten waren aber schon in den Gefechten (so auch der Linhartinger) ums Leben gekommen. Wer nicht fliehen konnte und überlebte, wurde aber auch gefangen genommen – dieses Schicksal ereilte auch Hans Schiltberger. maynst: meist Eine persönliche Involvierung ins Kampfgeschehen wird von Schiltberger nicht geschildert, sondern bei ihm geht es hauptsächlich um den (gescheiterten) Rettungsversuch des Herren und den allgemeinen Untergang des Heeres und die Fluchtversuche der vielen anderen Kämpfer. Seine eigene Gefangennahme wird unkommentiert erwähnt und lapidar als Teil eines Kollektivschicksals beschrieben. Schiltberger wurde in der Schlacht zwar mehrfach verletzt, das wird aber erst viel später erwähnt. Sein Bericht zeigt wenig subjektive Involvierung, sonder er scheint um einen objektiven Bericht bemüht zu sein. Text 3: Weyasit: Bayazid/Bayezid I: osmanischer Sultan behabt: behalten, behaupten → Sieg im Kampf errungen hat stadt: Stelle zeuch: das gerüstete Heer und alle Rüstungen zeheren: weinen (schwaches Verb) ungerochen lassen: ungerächt lassen pot: befahl man: Plural für Männer ersah: erblickte Die Gefangenen werden dem osmanischen König vorgeführt, damit er sich an ihnen für die eigenen Verluste rächen könnte. Unter diesen Gefangenen war auch der Hans Schiltberger. Die Gefangenen sollten von seinen Kämpfern getötet werden, aber der Sohn des Königs sah den Hans Schiltberger und befahl, ihn auf Grund seiner Jugend am Leben zu lassen, da niemand unter 20 Jahren getötet werden sollte. Schiltberger war zum damaligen Zeitpunkt erst 16 Jahre alt und wurde zu den anderen Jugendlichen gebracht. An dieser Stelle werden beiläufig seine schweren Verletzungen erwähnt (hart gewundt), und er schildert, dass er dem türkischen Hof übergeben wird. -36- Text 4: Schiltberger diente mehrere Jahre als Vorläufer des Sultans (6 Jahre), wurde später Reiter (7 Jahre) und diente dem Sultan nach eigener Angabe somit 13 Jahre. Die Angabe der Dauer kann aber nicht stimmen, weil er im September 1396 gefangengenommen wurde, und 1402 der Sultan Bayazid von Timur Leng besiegt wurde, in dessen Gefangenschaft Schiltberger folglich geriet. Schiltberger kann insgesamt also nur 6 Jahre beim osmanischen König gedient haben. Die Fehler sind möglicherweise darauf zurückzuführen, dass Schiltberger keine Notizen gehabt haben kann und während der Schlachten sicherlich keine Möglichkeit zu Aufzeichnungen gehabt hatte. Es ist heute schwierig zu rekonstruieren, wie seine Aufzeichnungen zustande kamen: was er tatsächlich selbst erlebte und was er erzählt bekam. Er schildert aber aus eigener Anschauung aus vielen Gegenden Kleinasiens und Zentralasiens, berichtet dabei aber aus Gebieten, die damals nicht völlig unbekannt waren. Offenbar begleitete Schiltberger den Sultan auf verschiedenen Kriegszügen in Kleinasien. 28.7.1402: Schlacht bei Ankara Bayazit wird von Timur Leng besiegt. Timur Leng war ein mongolischer Heerführer, auch Timur der Hinkende genannt, der seit 1379 große Teile der islamischen Welt überfallen hatte. Bei der Schlacht von Ankara schlugen die Mongolen die Türken. Schiltberger war von da an ein Gefangener Timurs, der allerdings schon 1405 in Samarkand starb. Nach Timurs Tod 1405 blieb Schiltberger bei dem Sohn Timurs, Šah Ruh, in Gefangenschaft und wurde anschließend noch an weitere Familienmitglieder weitergereicht. Diese waren Miran Šah, Abu Bakr und Čegre. Letzten Endes gelangte Schiltberger in die Küstenregion des Schwarzen Meeres, wo er in einer Gruppe mit anderen Christen in Gefangenschaft war und darauf hoffte ein Schiff zu finden, das ihn nach Konstantinopel bringen könnte. Aber kein Schiff nahm ihn und seine Mitgefangenen auf. Text 5: stadt = Batum Kogge: sehr schweres, großes Handelsschiff (in diesem Fall offensichtlich christlicher Provenienz) Schiltberger schildert die Kontaktaufnahme mit dem Schiff, das sie vom Gebirge aus sahen, weil es 8 Meilen vor Ufer vor Anker ging. Auf diesem Schiff gelang ihnen schließlich die Flucht. Schiltberger und seine Mitgefangenen ritten die Küste entlang (waren offenbar nicht streng bewacht) und fanden in Ufernähe ein Schiff vor Anker. In der Nacht gaben sie Feuerzeichen, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Besatzung der Kogge bemerkt sie und startet eine Suche nach ihnen im Gebirge. Sie versicherten sich, dass es sich bei den Hilfesuchenden um Christen handelte (Vater unser und Glaubensbekenntnis müssen gebetet werden), erkannten diese schließlich als Christen, und können sie aber nicht sofort auf ihr Schiff mitnehmen, weil zuerst der Kapitän zustimmen muss. Nach der Genehmigung durch den Kapitän kehren sie wieder zurück und nehmen die Gefangenen dann schließlich mit auf ihr Schiff. Text 6: Das Schiff, auf dem die Gefangenen fliehen, wird von türkischen Seeräubern angegriffen und es kommt zu einem Seesturm, der sie über 800 Meilen zurück treibt. Deswegen brauchen sie 3 Monate um das Schwarze Meer zu überqueren. Während der langen Überfahrt leiden sie auch an Lebensmittelknappheit und ernähren sich deswegen auch von Schnecken und Meeresspinnen, die sie an einer felsigen Insel einsammeln und die sie 4 Tage lang essen konnten. Sie gelangten schließlich nach Konstantinopel, wo sie vorübergehend bleiben. Die Kogge fährt nach der Abgabe der Geretteten in Konstantinopel zurück nach Italien. Die Gefangenen mussten in Konstantinopel erklären, wie sie in Gefangenschaft gelangt wären. Ihre Zeit in der muslimischen Welt wird als haydenschafft bezeichnet, aus der sie nun wieder herauskommen wollen. -37- Der Kaiser von Byzanz befragt die Gruppe der Flüchtlinge und sichert ihnen Hilfe zu. Sie werden mit einem Schiff an die Donau gebracht, von wo aus Schiltberger weiter über Land nach Freising reist (Ukraine, Polen, Bayern). vürder: weiter nach vorne, vorwärts, voran Text 7: Hierbei geht es um einen schlichten Dank an Gott für die Rettung aus der Heidenschaft. Schiltberger war 32 Jahre in Gefangenschaft. Er verliert kein Wort über seine Gefühle bei der Rückkehr und über die genauen Umstände der Rückkehr nach Bayern. Auch über sein Leben zu Hause wird nichts mehr berichtet. Über sein weiteres Leben lassen sich einige Informationen in den Chroniken des Johannes Aventius finden. Chroniken des Johannes Aventinus (gest. 1534) Johannes Aventius schrieb einige wichtige bayrische Geschichtswerke: Annales ducum Boiariae (erst 1554 gedruckt): das waren Annalen der bayrischen Erzherzöge Aus diesen geht heraus, dass Hans Schiltberger offenbar Kämmerer (cubicularius/kemerling) des Erzherzogs Albrechts III. (1438-1460) war. Johannes Aventius schreibt, dass Schiltberger am Hofe der Türken erzogen worden war und nach einem Sieg über den König der Perser folgte er den Waffen des Sieges und gelangte nach dem Tode des persischen Herrschers zurück nach Bayern. Albrecht III. war sehr literaturinteressiert und sein Hof war ein wichtiges Zentrum für das literarische Leben. Möglicherweise förderte er die Niederschrift der Erlebnisse des Schiltbergers. Das Reisebuch des Schiltbergers dürfte zu seiner Zeit große Resonanz gefunden haben. Es sind 9 Handschriften erhalten (darunter 8 vollständige) und der Reisebericht wurde auch als Inkunabeldruck bis ins 16. Jahrhundert aufgelegt. 7 Handschriften stammen aus dem 15. Jahrhundert. Eine davon, aus München, dient für die Auflage einer Edition. Die älteste Handschrift aus 1443 (noch aus der Regierungszeit Albrechts), befindet sich in der Universitätsbibliothek in Heidelberg und ist im Internet zugänglich. 2 Text 9 und 13: im 15. und 16. Jahrhundert erschien das Buch auch in Drucken (auch in Wien) 1478: Erstdruck war mit 15 Holzschnitten geschmückt (Inkunabeldruck) → 1969 auch als Faksimile-Ausgabe nachgedruckt worden; Ursache für die breite Resonanz auf das Reisebuch des Schiltbergers Die literarische Qualität des Reiseberichts wird es eher nicht gewesen sein, da die einfache Sprache einer sehr mündlichen Erzählweise entspricht. Aber die Aktualität dürfte die Zeitgenossen brennend interessiert haben, da die Türken immer weiter vorrückten, auch Konstantinopel tatsächlich in türkische Hände fiel, und man deshalb Informationen aus erster Hand über die Türken und Mongolen wollte und brauchte. Der Aufstieg und die Expansion des osmanischen Reiches kannte Schiltberger aus erster Hand, Er erlebte auch das letzte Aufflackern der Macht des mongolischen Reiches und die Schwäche und den Niedergang des byzantinischen Kaisertums. Sein Reisebericht wurde deswegen von vielen nachfolgenden Generationen auf Grund der darin enthaltenen objektiven Informationen besonders geschätzt. -382 Handschriftencensus: gibt zu jedem Text die Informationen über die bis heute bekannten Handschriften; gibt eine genaue Auskunft über diese und weitere Editionen, die darauf basieren; 13. Einheit am 16.6. Persönliche Erfahrungen sind bei Schiltberger nur in wenigen Abschnitten enthalten, v.a. bei der Schilderung des Kriegszuges gegen die Osmanen, der Gefangennahme, seiner Flucht und der Rückkehr nach Bayern. → Kap. 1, 2, 3, 30 (nur in der Münchner Handschrift in der Mitte des Buches, sonst am Ende des Buches) und Kapitel 67 Die Schilderung der persönlichen Erlebnisse bildet somit den Rahmen des Buches, spielt aber sonst keine besonders große Rolle. Aufbau des Reiseberichts des Schiltbergers Kap. 1, 2, 3: „Prolog“ Kap. 4-29: 1. Teil „Chronikalischer Teil“: Bayezid, Timur, Timurs Nachfolger (Bulgarien, Griechenland, Türkei, Armenien, Mesopotamien, Iran, Ägypten) → Schiltberger fungiert als objektiver Berichterstatter Kap. 30: „Flucht“ [kommt nur in Münchner Handschrift vor] Kap. 31-66: 2. Teil „Länder- und Sittenbeschreibung“ → beinhaltet Informationen aus zweiter Hand und keine eigenen Erkenntnisse. Solche Beschreibungen kommen auch in Pilgerberichten schon öfter vor. Kap. 67: „Heimreise nach Bayern“ Hans-Jochen Schiewer: in: Daphnis 21 (1992) → Absenz des Schiltbergers in der Schilderung der Kriege wird damit erklärt, dass Schiltberger seine Rolle als nicht standesgemäß empfunden habe, da er in der heydenschafft nur ein unbedeutender Kriegsgefangener, aber in seiner Heimat ein Adliger war. Auffallend ist auch die nüchterne und kommentarlose Darstellung der Grausamkeiten Bayezids und Timurs, die beispielsweise Schädel zu gewaltigen Pyramiden aufschlichten ließen. Eine selektive Selbstdarstellung des Erzählers ist in dieser Zeit aber nicht unüblich und selten gibt es wirklich autobiographische Darstellungen der Beobachter. Schiltberger ist sich seiner Grenzen der Erinnerung und dem begrenzten Zugang zu Informationen bewusst (vgl. Text 8). Auf den Irrtum bez. der Dauer seiner Gefangenschaft bei den jeweiligen Kriegsherren wurde bereits hingewiesen. Man kann also davon ausgehen, dass er also ziemlich sicher nicht über Aufzeichnungen aus seiner Zeit in der heydenschafft verfügte. Entstehung des Berichtes Schiltberger gibt in dem Buch keine expliziten Hinweise auf die Art und Umstände der Entstehung des Berichtes. Möglicherweise war der bayrische Herzog der Auftraggeber, aber eine Widmung an den Herzog ist in keiner einzigen Handschrift enthalten. Auch der genaue Zeitpunkt der Aufzeichnung ist nicht vermerkt, nur das Datum des Erscheinens (älteste Handschrift: 1443, Heidelberger Handschrift). Seine Rückkehr war 1427, also muss der Zeitraum der Entstehung irgendwann zwischen 1427-1443 gewesen sein. Der Reisebericht wurde in deutscher Sprache aufgezeichnet. Ob Schiltberger nur diktiert oder selbst geschrieben hat, kann nicht mehr eruiert werden. Es gibt nur deutschsprachige Überlieferungen des Schiltbergers und die Sprache der Überlieferungen ist der mündlichen Sprache nahestehend. [Anm.: Pilgerberichte wurden zunächst immer auf Latein verfasst und dann ins Deutsche übersetzt!] Richard Hennig: Terrae incognitae (4 Bd.): → schreibt im dritten Band: Schiltbergers Darstellung sei treuherzig und sympathisch, aber auch merklich ungelenk; das Buch sei vor allem unbeschwert von aller Gelehrsamkeit; -39- Die Aussage Hennigs ist aber nur teilweise zutreffend, da sich im ersten chronologischen Teil des Buches auch Berichte finden, die sich als Wiedergabe dessen auffassen lassen, was man sich in den Truppen, denen Schiltberger angehörte, über bestimmte historische Ereignisse erzählt hatte (Beschreibung der Eroberung und Zerstörung der Stadt Bagdad durch Timur, 1401). Die Zerstörung Bagdads 1401 war die zweite und vollständige Zerstörung der Stadt nach 1258 durch die Mongolen. Schiltberger verfügte also auch über Wissen aus zweiter Hand. Timur Leng wird bei Schiltberger v.a. als „Tämerlin“ bzw. „Themurlin“ bezeichnet (vgl. Text 10, Inkunabelfassung, Augsburg 1476) Text 9: Die Eroberung Bagdads und der Burg Enthalten ist die Schilderung zweier Ereignisse in einem Kapitel: Eroberung Babylons 1401 durch Themurlin und die Einnahme einer Burg mit einem großen Schatz Timur besiegte den damaligen Herrscher über Bagdad, Ahmad b. Oweis, der ein mongolischer Herrscher über den Iran war und der Dynastie der Ilkhan angehörte. Die Zahlenangaben über die Kämpfer und Opfer sind wahrscheinlich viel zu hoch gegriffen. Richtig ist aber, dass Timur in der Stadt eine Besatzung zurück ließ, selbst aber wegging und vor der Stadt lagerte. „schlug sich dafür“: schlug seine Zelte vor der Stadt auf und belagerte die Stadt; Timur ließ die Stadtmauern niederreißen und die Stadt niederbrennen und umackern. Bagdad wurde dem Erdboden gleichgemacht und im Stadtgebiet wurde Gerste gesät, wo zuvor Häuser gestanden waren. Man sollte nicht mehr sagen können, ob an der Stelle jemals Häuser gestanden hätten. Timur zieht weiter zu einer Festung, die auf einer Insel im einem Gewässer war. Dort wurde der Schatz des Herrschers von Bagdad deponiert. Timur konnte die Festung aufgrund des Wassers zunächst nicht erobern, grub dann das Wasser ab und fand im Wasser drei Truhen mit Gold und Silber. Er gelangte schließlich doch zur Festung, wo 15 Besatzungssoldaten, die die Festung bewachten, von ihm gehenkt wurden. Timur fand in der Festung dann noch weitere Truhen mit Schätzen. Nach diesem erfolgreichen Kriegszug eroberte 3 weitere Städte, wollte aber, weil der Sommer anbrach nicht weiter in Mesopotamien bleiben, und zog weiter. Die Schilderung von Schiltberger ist sehr eindrucksvoll und enthält auch viele pittoreske Einzelheiten. Militärisch wird nur die Dauer der Belagerung angegeben (1 Monat) und wie die Stadtmauer überwunden und gestört wurde (durch Gräben). Auch die Zerstörung durch Feuer und das Errichten von Äckern anstelle der Stadt wird erzählt. Die kurze Schilderung der Einnahme der Festung und die Gewinnung der Schätze trägt märchenhafte Züge und lässt aus sich Sagen entwickeln. Schiltberger hebt das Gelübde Timurs, Bagdad vollständig zu zerstören, hervor. Die Schilderung Schiltbergers kann aber kein Augenzeugenbericht sein, weil er erst 1402 zu Timur gelangte. Von wem die Information stammt, wird aber überhaupt nicht thematisiert. Auch enthält sich Schiltberger jeden Kommentars. Schiltberger gibt in seinem Buch weitere Berichte über historische Ereignisse, die sich vor seiner Zeit bei einem bestimmten Herrscher zugetragen haben. Wahrscheinlich hat er diese in Form von mündlichen Berichte im Gefolge eines Herrschers erfahren. Im zweiten Teil des Buches des Schiltbergers finden sich aber schon Ansätze von Gelehrsamkeit und Anleihen beim meistgelesenen und meistgeschätzten Reiseberichtautor der damaligen Zeit: Jean Mandeville (auch John oder Jehan Mandeville), dessen Reisebericht 1356/57 entstand und der auch mehrfach ins Deutsche übersetzt wurde und allgemein sehr bekannt war. Aleya Khattab: „Das Ägyptenbild in den deutschsprachigen Reisebeschreibungen der Zeit von 1285-1500“ (1982) -40- Mandeville war für Schiltberger offensichtlich eine Quelle für verschiedene Beschreibungen, aber auch die Einleitung seines Buches ist offenbar an Mandeville angelehnt (Beginn mit Personalpronomen in erster Person). Textvergleiche Schiltberger und Mandeville Text 10a: Unterscheidung des echten und gefälschten Balsams bei Schiltberger Die Stadt Kairo wird „Misser“ genannt. Misr ist eine alte ägyptische Bezeichnung für Siedlungen an der Stelle von Kairo, bevor Kairo gegründet wurde. Es wird auch Cair erwähnt. So wird die Stadt von den Christen genannt. Die Gelehrtenbezeichnung von Kairo war damals Misr al-Qahira, wodruch auf den Planeten Mars hingewiesen wird. Bei Schiltberger wird ein Balsamgarten erwähnt, der wahrscheinlich im Norden von Kairo stand. In diesem Garten gedeiht ein Balsam, der ebenfalls auch in Indien wächst, niender(t): nirgendwo „König Soltan“ → zweifache Bezeichnung für Herrscher Der Sultan nimmt viele Steuern durch den Balsam ein. Die Kultivierung wird nicht beschrieben, sondern dass die Heiden den Balsam manchmal vermischen und fälschen, bzw. verunreinigen, um ihren Profit zu maximieren. Echter Balsam ist transparent, durchsichtig mit einem gelblichen Stich und hat einen starken Geruch, wohingegen ein dicker und roter Balsam unecht ist. Mehrere Möglichkeiten werden genannt, wie man überprüfen kann, ob man echten Balsam bekommen habe (Tropfen in die Hand und in die Sonne halten – echter Balsam erhitzt die Sonne sehr stark und die Hand glüht; Tropfen Balsam auf ein Messer und dann ins Feuer halten – wenn der Balsam brennt, ist er ebenfalls echt; Balsam in Ziegenmilch schütten und umrühren – bei echtem Balsam gerinnt die Milch sofort). Diese Methoden zur Unterscheidung echten und falschen Balsams sind auch bei Mandeville zu finden. (→ Übersetzung ins südtirolerische Deutsch des 14. Jh. von Michel Velser; vgl. Text 10b) Text 10b: Beschreibung des echten und unechten Balsams bei Mandeville Bei Mandeville gibt es Anspielungen auf den Alexanderroman und die Alexanderdichtung. Alexander spricht in Indien mit einem Baum Orakel, wo es einen Baum der Sonne und einen Baum des Mondes gibt. Es handelt sich hierbei wahrscheinlich um eine sehr frühe indische Kultur, noch vor der Eisenzeit. Bei diesem Baumorakel wird Alexander sein bevorstehendes Ende prophezeit, un dass er seine Heimat Makedonien und seine Mutter Olympia nicht mehr sehen werde. Genauere Auskünfte, z.B. über seinen Giftmörder, werden ihm nicht mitgeteilt. Parallelen in den Texten von Schiltberger zu Mandeville sind eindeutig zu sehen: die Beschreibung des echten und unechten Balsams erfolgt mit den gleichen Attributen. Ebenso werden genau die gleichen 3 Methoden beschrieben, um die Echtheit von Balsam zu prüfen. nüntz: nichts letschen: letzten Text 11a: Beschreibung des Katharinenklosters auf dem Sinai bei Schiltberger Das Katharinenkloster liegt auf dem Berg und die Mönche sind aus Griechenland. gen als die ainsideln: leben wie Einsiedler → fasten, kein Fleisch, kein Wein... prynnende ampell: viele brennende Ampeln = Ölleuchten paumöl: Olivenöl → gibt genug davon zum Essen und zum Verbrennen für die Beleuchtung -41- Es sind viele Vögel da, die jeweils einen Zweig eines Olivenbaums mitbringen, wodurch die Mönche genug Oliven zum Essen und Herstellen von Öl erhalten. Es ist ein Wunder Gottes, dass die Vögel die reifen Oliven in großen Mengen in das Kloster bringen, und somit genug Essen und Öl zum Verbrennen vorhanden ist. Text 11b: Beschreibung des Katharinenklosters bei Mandeville Die Mönche leben einfach und ärmlich, fasten und leben in großer Buße. Bei Mandeville werden die brennenden Ampeln ebenfalls beschrieben, sowie auch das reichliche Vorhandensein des Öls. Mandeville erwähnt ebenfalls das Wunder, dass die Vögel die reifen Oliven in Zweigen heranbringen – die Vögel werden bei ihm jedoch einzeln erwähnt: Krähen, Raben und Elstern und weitere. Auch Mandeville schreibt, dass die Mönche dank dieses Wunders genug zu essen und genug Öl zum Verbrennen hätten. lazent > lant: lassen Schiltberger ist also nicht so unbekümmert und ungelehrt wie Hennig annimmt, sonst hätte er den Mandeville nicht so wörtlich übernehmen können. 14. Einheit am 23.6. Prüfung: 1 Stunde Zeit; 3 Fragen zu jeweils einem Text/Autor/Thema; keine detaillierten Spezialfragen; es wird keine Textstelle zum Interpretieren und Bearbeiten geben; nächster Termin wahrscheinlich im Oktober; man kann die Prüfung auch mündlich in jeder Sprechstunde ablegen und man muss sich dafür nicht extra anmelden; Mandeville als Quelle für das Reisebuch des Schiltbergers Das Reisebuch des Schiltbergers enthält Textpassagen, die zweifellos auf eine MandevilleÜbersetzung zurückgehen. Schiltberger war nach seiner Rückkehr am Hof des Herzogs Albrechts III. tätig (dieser war mit Agnes Bernauer verheiratet und versammelte bedeutende Literaten an seinem Hof). Eine Widmung von Schiltberger an den Herzog Albrecht ist allerdings in keiner Handschrift erhalten. Schiltberger versuchte den Informationsgehalt seines Berichtes zu vergrößern und griff deswegen wahrscheinlich auf Mandeville zurück, den er aber nicht einfach plagiierte. Das Berichtete wird aber kaum je mit Kommentaren versehen. Berichte über unwahrscheinliche Begebenheiten Text 12: Schiltberger hielt noch vieles für wahr und möglich, was nicht wahr sein kann. Er äußert keinen Zweifel am Vorkommen von Einhörnern und beschreibt die Landschaft, in der auch Einhörner vorkommen. Text 13: Schilderung des Kampfes zweier Schlangenheere (vgl. Inkunabeldruck, 1476) In der Nähe der Stadt Samsun (Schwarzes Meer) kämpfen zwei Schlangenheere gegeneinander. Nach dem Kampf liegen tausende Schlangen tot auf dem Schlachtfeld und die Meerschlangen wurden von den Waldschlangen besiegt. Die Illustration des Drucks zeigt ein seltsames Tier, von dem im Text aber nie die Rede ist. Schiltberger behauptet nicht, dass er den Kampf selbst gesehen habe, gibt aber auch keine Informationen darüber, wie er zu der Information gekommen sei. Im Kaukasus und in Indien gibt es bis zum 19. Jahrhundert Sagen mit solchem Inhalt. -42- Text 14: Sperberburg Leopold Hellmuth: Hans Schiltbergers Besuch bei der Sperberburg. In: Keller/Kragl: Mythos-SageErzählung. Gedenkschrift für Alfred Ebenbauer. Göttingen 2009. S. 129-144 Die Geschichte von der Sperberburg ist genau lokalisierbar. Die Sperberburg wird bei der Stadt Giresun am Schwarzen Meer angesiedelt. In der Sperberburg wohnt eine Jungfrau, die von jungen Männern aufgesucht wird, damit sie ihnen Wünsche erfüllen kann. Nach einem märchenhaften Einleitungsteil, der zeitlos scheint folgt die Beschreibung der Aufnahme in die Sperberburg, für die man 3 Tage und Nächte warten muss, um Einlass zu bekommen und dann vor der Jungfrau einen Wunsch zu äußern. In der Geschichte versuchen 3 Männer der Jungfrau einen Wunsch abzuringen. Ein armer Geselle äußert einen ehrhaften und vernünftigen Wunsch, der ihm erfüllt wird. Ein Königssohn aus Armenien will die Jungfrau zur Ehefrau nehmen. Dieser Wunsch wird aber abgelehnt, weil er hochmütig ist. Der letzte Herr ist ein Angehöriger des Johanniterordens, der ebenfalls einen unehrenhaften Wunsch äußert. Der Kandidat, der in Ehren hingekommen ist, wurde nicht verflucht, die beiden anderen Kandidaten aber schon. Die Erzählung über die Sperberburg findet sich schon bei Mandeville, aber auch bei Jean d´Arras in seiner Erzählung Melusine. Der Hauptunterschied zum Mandeville besteht im dritten Teil der Erzählung von Schiltberger, wo er sich selbst individuell (resp. einer seiner Gefährten) an der Sperberburg erprobt. Schiltberger betont, dass er nicht alleine, sondern mit seinen Gesellen bei der Sperberburg war. Er selbst hat die Burg aber nie gesehen. Schiltberger erwähnt auch einen ortskundigen Führer, den er bezahlt hatte, um ihn und seine Gefährten zur Burg zu geleiten. Schiltberger gibt Gründe für das Scheitern der Mission an: Warnung vor Konsequenzen des Einschlafens missachtet; Unzugänglichkeit der Burg unterschätzt; Verbot der griechischen Priester, sich mit Teufelswerk einzulassen missachtet; Schiltberger gibt aber zu, dass er die Burg nicht gesehen habe und er gibt auch zu, dass einer seiner Gesellen sich erproben wollte und die Mission letztlich scheiterte, weshalb das Rätsel der Sperberburg nicht gelöst werden konnte. Einen Zweifel an dieser märchenhaften Burg gibt es bei Schiltberger aber nicht. Jean Mandeville (auch John/Jehan/Hans de Mandeville) Das Reisebuch des Jean Mandeville wurde von vielen späteren Reisenden benutzt und ist somit eine oft genommene Quelle für weitere Reiseberichte. Aber auch Mandeville selbst benutzte schon viele ältere Reiseberichte und zeigt keine eigenen authentischen Reiseberichte. Der Text hat somit eine Schlüsselstellung in Hinblick auf die Quellenlage im Mittelalter und Rezeption der Reiseberichte, da er sehr verbreitet war und noch immer über 300 Handschriften in mehreren europäischen Sprachen von Irland bis Dänemark, von Spanien bis Tschechien, von Italien bis Holland, existieren. Alleine 90 deutsche Handschriften sind noch erhalten, sowie zahlreiche Nachdrucke. Wer Jean Mandeville war, ist bis heute völlig unbekannt und über die Autorschaft gibt es lediglich Vermutungen, aber keine Beweise. Zu Beginn des Buches gibt es einige autobiographische Angaben, bei denen sich Mandeville als Engländer (aus St. Albans, nördlich von London) vorstellt und von sich behauptet, ein Ritter zu sein. Er stilisiert sich von Anfang an als Weltreisender. Text 4: Übersetzung von Michel Velser (war aus Südtirol, Sprache ist somit das Südbairische des ausgehenden 14. Jh.) -43- 29. 9. 1322: Abfahrt des Reisenden Mandeville beschreibt genau, durch welche Länder (Persien, Syrien, Arabien, Libyen, Äthiopien, Amazonien, Indien und viele weitere Orte) er gekommen ist. Das häufigste Attribut in seinem Sprachgebrauch ist „wunderlich“. Er beschreibt die Völker, die Religionen, die Sitten und das Verhalten und will jenen Menschen Informationen geben, die selbst reisen wollen und v.a. Informationen für die Pilgerfahrt ins Heilige Land brauchen. Er behauptet, dass er die Pilgerfahrt selbst gemacht habe. Das Buch wird auf Französisch geschrieben, damit es jeder leicht verstehen könne (im Gegensatz zu Latein). Jene, die so eine Reise auch schon unternommen haben, sollten den Wahrheitsgehalt seiner Erzählung bestätigen und zeigen, dass er sich in keinen Punkten irrte. An anderen Stellen gibt es noch weitere Informationen zu seinem Leben (z.B. diente er dem Sultan in Kairo). Text 5: Leben beim Sultan in Kairo Die Zitadelle von Kairo wird beschrieben und auch die Besatzung der Burg. Mandeville gibt immer wieder Wahrheitsbeteuerungen, die er auf sein Wissen als Kommandant über die Infanterie zurückführt. Zum Lohn für seine Dienste sollte er auch die Tochter des Sultans zur Frau bekommen, hätte dafür aber ein Moslem werden sollen, was er nicht wollte – trotz eines großen Erbes und der Übernahme der Herrschaft in Kairo. Text 6: Aufenthalt in China beim Großkhan Mandeville schreibt, dass er 15 Monate für den Kaiser von China gegen einen König aus Südchina kämpfte. Text 7: Mandeville beschreibt noch einmal, wann er losgefahren war und was er alles besucht hatte. Er war von 1322-1357 unterwegs. An dieser Stelle gibt es auch einen Kommentar des Übersetzers Michel Velser, der den lateinischen Begriff podagra nicht kennt, und ihn somit auch nicht übersetzen kann. Überlieferung des Mandeville frühe Handschriften: 1390: Buch soll in Lüttich/Liège (Belgien) entstanden sein. Auf eine Entstehung in England gibt es keinerlei Hinweise. Der Autor ist unbekannt, aber es gibt Hinweise auf Jean de Bourgogne dit à la Bart. Jean de Bourgogne und Mandeville sollen sich gekannt haben und sich am Hof des Sultans von Ägypten getroffen haben. Mandevilles Grab soll ursprünglich in einem Kloster in Lüttich gewesen sein. Von diesem Grab existiert aber nur noch eine Abschrift mit dem Vermerk auf den Todestag am 7.2.1372. Im 16. Jahrhundert wird aber auch in St. Albans ein Grab von Mandeville dokumentiert. In beiden Orten werden Reliquien werden ausgestellt. Mandeville wird in der Schedelschen Weltchronik als größter Reisender überhaupt dargestellt, der aber im 18. Jahrhundert in Vergessenheit gerät. Ab 1830 wird Mandeville nicht mehr als größter Reisender aller Zeiten gesehen, sondern man beginnt an seiner Identität zu zweifeln. In einer Handschrift aus dem 15. Jh. wird das Leben des Autors noch abgerundet -44- Text 8: 1372 verstarb der edle Ritter Jean de Mandeville, mit dem Beinamen „der mit dem Bart“. Dieser reiste sehr viel und was er mit den eigenen Augen gesehen hat, sammelte er in einem Buch zur Kenntnis der Nachwelt. Jean de Bourgogne habe angeblich auf dem Totenbett gestanden, selbst Jean Mandeville gewesen zu sein (so vermerkt es die Lütticher Chronik). Über diese Frage gibt es aber viele Widersprüche, die sich nicht lösen lassen. Manchmal wird Jean de Bourgogne auch als Freund gesehen, der Mandeville in Ägypten traf und ihn dazu anregte, seine Erlebnisse aufzuschreiben. Es stellt sich auch die Frage, ob Mandeville als Person überhaupt nur eine Fiktion ist? Unklar ist auch der Wohnort in Lüttich. War dieser das Wohnhaus von Jean de Bourgogne oder das Wohnhaus Mandevilles? In der Literatur finden sich immer wieder Gleichsetzungen dieser beiden Personen. Mandeville soll aus England geflohen sein, weil er einen Totschlag verübte und Angst vor Rache hatte, wohingegen Jean de Bourgogne ein Arzt in Lüttich gewesen sein soll. Da es in der ältesten Handschrift nicht nur den Reisebericht, sondern auch ein Traktat über die Pest gibt, stellt sich die Frage, ob der Autor nun doch ein Mediziner gewesen sein musste. Forschungen zur Person des Mandeville Michael C. Seymour wollte den Autor des Reisebuches von seinen Quellen her eruieren und schrieb 1993 eine Monographie über Mandeville. Er vermutet, dass Mandeville ein französischer Geistlicher war, der in Nordfrankreich eine große Klosterbibliothek zur Verfügung gehabt habe und möglicherweise ein Benediktinermönch gewesen war. Seymour glaubt, dass der Autor Jean le Long/Jean d´Ypres war. Dieser lebte und wirkte im Kloster Saint Bertin in St. Omer und war dort seit 1340. Er studierte in Paris, übersetzte Odorico, Wilhelm von Boldensele und weitere Autoren von Reiseberichten ins Französische und war somit mit Reiseberichten vertraut. Zu Odorico und Wilhelm von Boldensele lässt sich sagen, dass diese beiden Texte auch die Hauptquellen für den Mandeville gewesen sein mussten. Jean le Long/Jean d´Ypres war Bibliothekar im Kloster von St. Omer und später auch dessen Abt. Sein Todesjahr ist 1383 datiert. Die Arbeit an seinen Übersetzungen war 1351 beendet und Seymour vermutet, dass er ab 1356 das Mandeville-Buch verfasst haben könnte. Da das Kloster allerdings während der französischen Revolution zerstört wurde, sind nur noch Teile der ehemaligen Handschriften erhalten. Aufbau des Mandeville Reisebericht des Mandeville ist in zwei Teile unterscheidbar: 1. Teil: Pilgerbericht (Wege nach Jerusalem und Beschreibung des Landes) 2. Teil: Fernreiseteil und Entdeckungsbericht bis nach Ostasien und Ostafrika Der Autor Mandeville thematisiert immer wieder das Phantastische und Unglaubwürdige und täuscht eine Neugier auf fremde Völker und Länder vor. Text 10: Schilderung der Kugelgestalt der Erde Mandeville versichert, dass man rund um die Erde fahren könne und dann wieder zurück nach Hause komme. Er spricht auch von den Antipoden zwischen der Nord- und Südhalbkugel, auch zwischen Westen und Osten. Im Mittelalter wurde die Kugelgestalt der Erde immer wieder thematisiert (beispielsweise auch bei Berthold von Regensburg, Mainauer Naturlehre). Das ist ein Beweis dafür, dass das Mittelalter nicht so dunkel und finster war, wie man später behauptete. Mandeville gibt seine Quellen jedenfalls nicht an, diese können aber dennoch eindeutig nachgewiesen werden. Für den ersten Teil ist dies der Reisebericht Wilhelm von Boldenseles (1333 im Heiligen Land) und für den zweiten Teil der Fernreisebericht Odoricos. -45- Fassungen und Übersetzungen des Mandeville Es gibt verschiedene Fassungen des Mandeville: • • • kontinentale Fassung insulane Fassung Lütticher Fassung Eine wichtige Übersetzung ins Deutsche ist jene von Michel Velser. Dieser stammte aus Südtirol, Völs am Schlern, und seine Übersetzung ist die beste Ausgabe auf Deutsch, die von Mandeville erhalten ist. Velser war Verwalter einer Burg und lernte Französisch. Er übersetzte ins südtirolerische Bairisch, wahrscheinlich im späten 14. Jahrhundert. Es gibt immer wieder Einschübe in der Übersetzung, die über seine Person und seinen Gesundheitszustand Auskunft geben, so beschreibt er seine Gicht und einen erlittenen Schlaganfall). Auch Hinweise auf die Entstehungszeit dieser Übersetzung lassen sich finden. Velser verweist z.B. auf einen Besuch eines Herzogs aus Lancaster unddie Übergabe eines Tieres an den Herzog von Mailand, wodurch sich die Entstehungszeit auf die Jahre 1393-99 begrenzen lässt. Eine weitere Übersetzung stammt von Otto von Diemeringen, der an der Kathedrale von Metz wirkte. Dieser nennt sich selbst in den Handschriften „Domherr zu Metz“ und das ist auch in einigen Protokollen dieser Zeit nachweisbar. Über ihn ist das Sterbedatum bekannt (1398) und studierte wahrscheinlich in Paris und hatte von dort eine Ausgabe des Mandeville. Von dieser Übersetzung gibt es bis heute nur einen Inkunabel-Druck und leider keine so gute Ausgabe, wie von der Velser-Übersetzung. Velser arbeitete genauer am Original, während Diemeringen mehr veränderte (er machte 5 Teile). Inhaltlich wertete Otto von Diemeringen die christliche Religion sehr auf und die anderen dadurch ab. Das lässt sich im Original und der Übersetzung von Michel Velser so nicht finden. Wichtige Dateien befinden sich auf moodle und werden aus rechtlichen Gründen nicht mit diesem Skriptum hochgeladen. Wer sie für die Prüfung braucht, kann mir eine Mail schreiben: [email protected] • • • • • • Literaturverzeichnis Ausschnitte aus dem Reisebericht des Marignola Ausschnitte aus dem Reisebericht des Odorico Ausschnitte aus dem Reisebericht des Marco Polo Ausschnitte aus dem Reisebericht des Schiltbergers Ausschnitte aus dem Reisebericht des Mandeville → die Ausschnitte aus den Reiseberichten sind für die Vorbereitung zur Prüfung zu lesen. 3 Prüfungsfragen beim 1. Termin: 1) Die „Ystoria Mongolorum“ des Johannes Plano de Carpini. 2) Die deutschen Übersetzungen des Marco Polo im Spätmittelalter. 3) Subjektives und objektives im Reisebericht des Hans Schiltberger. -46-
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