Ich bin keine grosse Nummer - RMV Cham

Samstag, 2. April 2016 / Nr. 76
Sport
Neue Zuger Zeitung
24
«Ich bin keine grosse Nummer»
RAD Der Chamer Grégory
Rast (36) steht im Spätherbst
seiner Profikarriere. Im Interview erzählt er, wie er sich
seine Zukunft vorstellt – und
wann er in Interviews lügt.
aber auch vorstellen, beim Verband im
Nachwuchsbereich zu helfen. Ich habe
deshalb den Grundleiterkurs 1 von Jugend + Sport gemacht. Es würde mich
auch reizen, ein Velogeschäft zu führen –
allerdings kann ich nicht mechen (lacht).
Dabei sind Sie ja ein Handwerker als
gelernter Spengler. Wie kam es dazu?
Rast: Ich war nicht gerade ein Musterschüler und wusste nicht, was ich tun
sollte. Ein Freund fand, ich sollte doch
mal bei seinem Vater fragen, der eine
Spenglerbude hätte. So schrieb ich meine
erste und bisher einzige Bewerbung an
Paul Gisler und wurde als Lehrling genommen. Paul war sehr grosszügig und
hatte immer Verständnis für den Sport.
Wir haben heute noch Kontakt.
INTERVIEW RAPHAEL BIERMAYR
[email protected]
Am heutigen frühlingshaften Tag startet die 100. Flandern-Rundfahrt. Im
radsportverrückten Belgien werden eine
Million Zuschauer an diesem KopfsteinKlassiker erwartet. Fabian Cancellara
strebt seinen vierten Sieg an. Dazu verhelfen soll ihm sein Team Trek-Segafredo, dem auch Grégory Rast angehört.
Gut zwei Wochen zuvor an einem
Regentag in Cham: Rast erscheint verspätet zum Gespräch. Dafür hat er einen
triftigen Grund. Cancellara hat an diesem Nachmittag das abschliessende
Zeitfahren der Rundfahrt Tirreno–Adriatico gewonnen, das wollte sich Rast zu
Hause vor dem Fernseher nicht entgehen lassen. Der 36-Jährige spricht anschliessend in einem Café über sich,
seine Karriere und seine Ehe, ganz wie
man ihn kennt: offen, direkt und einfach.
Das macht ihn für die Journalisten zu
einem beliebten Interviewpartner und
für die Fans und die Hobbyradfahrer zu
einem nahbaren Idol.
Ist es eine Option für Sie, später in
Ihren Lehrberuf zurückzukehren?
Rast: Peti Gisler, der das Geschäft von
seinem Vater übernahm, sagte, dass ich
problemlos zu ihm spenglern gehen könne. Ich wehre mich nicht gegen diese
Möglichkeit, allerdings würde ich wieder
bei null anfangen. Darüber hinaus fällt
es mir schwer, Neues zu lernen, das habe
«Für die Prüfung zum
J + S-Grundleiter 1
habe ich zwei Abende
so hart gebüffelt,
dass ich nicht mehr
schlafen konnte.»
Grégory Rast, wie haben Sie sich in
den 15 Jahren als Profi verändert?
Grégory Rast: Ich bin viel relaxter als am
Anfang. Zum Beispiel nehme ich mir mehr
Zeit für die Regeneration. Bei gutem
Wetter wie gestern hätte ich früher noch
ein kurzes Training gemacht, obwohl ich
ein hartes Rennen in den Beinen habe.
Jetzt habe ich stattdessen gewaschen und
ferngesehen.
ich beim J + S-Leiterkurs gemerkt. Ich bin
15 Jahre lang nur Velo gefahren, in diesem
Bereich weiss ich Bescheid. Aber für die
Prüfung zum Grundleiter 1 habe ich zwei
Abende so hart gebüffelt, dass ich nicht
mehr schlafen konnte. Das war eine
krasse Situation – meine Frau hätte das
wahrscheinlich in zwei Minuten gelernt.
Und, haben Sie bestanden?
Rast: Ja. Die Prüfung war auch sehr leicht.
Aber es war mein Ehrgeiz, nicht zu den
Verlierern zu gehören.
«Bei mir geht es nicht
um Millionen und
Prämien. Ich habe
einen Fixlohn und
sonst gar nichts.»
Woran denken Sie eigentlich während
des Trainings im Sattel?
Rast: Wenn wir mehrere sind, tauschen
wir uns über unsere Rennerlebnisse oder
Sonstiges aus. Wenn du allein bist, schaust
du auf den Computer und erfüllst die
Vorgaben der Coaches.
Der Auftakt zur Tour de Suisse ist
dieses Jahr in Baar. 2017 wird er in
Ihrem Wohnort Cham sein. Wird das
gleichzeitig der Start zu Ihrer letzten
Saison sein?
Rast: Von meiner Seite her nicht. Ich
will aus heutiger Sicht noch mindestens
zwei Jahre fahren. Wir nehmen nächstens Verhandlungen auf und schauen,
ob wir uns finden. Wenn nicht, muss
ich mich halt nach einem anderen Team
umschauen.
Haben Sie sich in Ihrer Karriere schon
mal verpokert?
Rast: Nein, nie.
Weil Sie nachgaben oder das Team?
Rast: Es wurde nur einmal knapp, als ich
von Phonak zu Astana wechselte (2007,
Anm. d. Red.). Vielleicht hatte Andi Rihs
(der ehemalige Phonax-Besitzer) das im
Hintergrund eingefädelt, ich weiss es nicht
genau. Über alles gesehen habe ich ja
selten das Team gewechselt. Deshalb
brauche ich auch keinen Manager mehr –
die 6 Prozent Provision konnte ich mir
sparen.
Also sind die Verhandlungswege kurz
im Radsport?
Rast: Bei mir schon, ich bin keine grosse
Nummer. Wenn es um Millionen und
Punkteprämien ginge, wäre ich vielleicht
froh um einen Manager. Aber ich habe
einen Fixlohn und sonst gar nichts.
Fabian Cancellara hört Ende Saison
auf. Was sagen Sie als sein Helfer
dazu?
Rast: Es ist schade, weil er im Moment
fährt wie der Teufel! Doch ich verstehe
seinen Entscheid, er hat alles gewonnen,
was es auf seinem Niveau zu gewinnen
gibt. Für mich ändert sich nicht viel. Es
Grégory Rast (Mitte März in Cham) will kein Promi
sein – er schätzt das Unerkanntbleiben.
Bild Stefan Kaiser
wird ein neuer Leader kommen, dem ich
helfen werde.
Haben Sie bislang alles erreicht, was
Sie wollten?
Rast: Als U-23-Fahrer gehörte ich zur
Weltspitze. Da hatte ich schon die Hoffnung, mal ein ganz Grosser zu werden.
Aber nach drei, vier Jahren bei Phonak
merkte ich, wo ich wirklich stehe bei den
Profis. So gesehen ist es nicht schlecht
für mich gelaufen, ich bin zufrieden.
Nachdem Sie eine Etappe an der Tour
de Suisse 2013 gewonnen hatten,
applaudierten Ihnen die Leute an der
Pressekonferenz. Wie haben Sie das
erlebt?
Rast: Es war meine zehnte Tour de
Suisse, und ich kannte die meisten Journalisten. Da freuten sie sich natürlich für
mich. Aber es bedeutete mir schon etwas,
klar. Auch die vielen Reaktionen von
Freunden und Bekannten freuten mich.
Da dachte ich mir, dass ich eigentlich
auch häufiger gewinnen könnte ...
Sie spielten Fussball im SC Cham.
Hätten Sie auch Fussballprofi werden
können?
Rast: Definitiv nicht! Wir haben uns im
Kollegenkreis oft lustig darüber gemacht,
dass ich im Training sehr gut war, im
Match aber gar nicht. Ich war linker Verteidiger und schoss mal zwei Eigentore
in einem Spiel – darüber lachen wir heute noch.
Sie bewohnen mit Ihrer Frau eine
Wohnung in Ihrem Elternhaus. Wollten Sie nie ausziehen?
Rast: Ich war mit einem Freund für zwei
Jahre in einer WG, auch in Cham. Aber
nachdem meine Grossmutter gestorben
war, stand ihre Wohnung in unserem Haus
leer. Da lag es für mich auf der Hand
zurückzugehen. Dort habe ich meine
Ruhe, Platz für meine Velos und immer
Zugriff auf eine Waschmaschine. Als Velofahrer ist das sehr wichtig. Und zum
Glück hatte meine Frau nichts dagegen,
im gleichen Haus wie meine Eltern zu
wohnen.
Ist genug Platz vorhanden für Kinder?
Rast: Kinder sind im Moment kein Thema.
Ich bin sowieso der Meinung, dass man
sie nicht planen sollte – wenn es passt,
dann passt es.
Sie sehen viel von Europa. Wollten
Sie nie mal ganz woanders wohnen?
Rast: Nein. Ich bin in Cham geboren
und spiele jetzt mit dem Gedanken,
Chamer Bürger zu werden. Sehen Sie,
«Kinder sind im
Moment kein Thema.
Ich bin der Meinung,
dass man sie nicht
planen sollte.»
ich bin 220 Tage im Jahr nicht zu Hause wegen Trainingslagern, Rennen und
Ferien. Die Rückkehr nach Hause ist
deshalb immer besonders schön für
mich. Darüber hinaus wohnen viele
meiner Freunde in Cham oder sind
dahin zurückgekehrt. Mir ist der Kontakt
zu ihnen sehr wichtig.
Würden Sie einem Jugendlichen raten,
Radprofi zu werden?
Rast: Ich weiss nicht, ob die heutigen
Jungen noch bereit sind, diese Opfer zu
bringen. Raten würde ich es aber jedem,
es ist ein toller Job, man kommt auf der
ganzen Welt herum und macht sein
eigenes Ding. Aber ich habe festgestellt,
dass die Popularität abgenommen hat im
Vergleich zu meiner Anfangszeit.
Auch Fernsehübertragungen verlieren
Zuschauer.
Rast: Das stimmt, aber nicht extrem viel.
Die einmaligen Bilder sind immer noch
eine super Plattform, um Touristen für
sein Land oder seine Gegend zu gewinnen. Darüber hinaus bewährt sich das
neue Konzept mit den Hubs an der Tour
de Suisse (mehrtägiger Auftakt an einem
Ort) meines Erachtens sehr gut. Das begeistert die Leute spürbar.
Was bedeutet es Ihnen, dass der Hub
im Jahr 2017 in Cham ist?
Rast: Viel natürlich – auch wenn es sehr
lang gedauert hat. Martin Elmiger und
ich haben schon oft darüber gesprochen,
dass es fast am Ende unserer Karriere
doch noch so weit gekommen ist. Dort
zu gewinnen, wird schwierig, vielleicht
kann Martin etwas im Prolog reissen. Aber
wir sind halt schon langsam alt (grinst).
Wie äussert sich das?
Rast: Wir beide sagten uns nach dem
vergangenen Jahr, dass wir nie wieder an
der Tour de France starten würden. In
der ersten Woche war es brutal hart im
Feld – das brauchten wir nicht mehr. Aber
dieses Jahr kommt sie nach Bern, da ist
der Reiz natürlich wieder da.
Was wollen Sie nach der Sportkarriere machen?
Rast: Die Aufgabe des sportlichen Leiters
in einem Team reizt mich, ich könnte mir
Manchmal trifft man Sie bei Anlässen
an, wo Sie ungehemmt bis in die
Morgenstunden feiern. Wie verträgt
sich das mit Ihrer Aussendarstellung
als Profisportler?
Rast: Man kann diesbezüglich in Interviews
nicht immer die Wahrheit sagen. Aber es
ist ja nicht so, dass ich kurz vor oder während einer grossen Rundfahrt lang in den
Ausgang gehe. Man muss das timen können. Für mich ist es wie erwähnt sehr
wichtig, meine Freunde sehen zu können,
das geht oft am einfachsten im Ausgang.
Andere Profis leben wie Klosterfrauen, das
wäre nichts für mich. Ich will auch ein
Leben neben dem Velofahren haben.
Haben Sie als bekannter Sportler
Privilegien?
Rast: Nein. In der Schweiz ist Canci der
Velosuperstar, was grundsätzlich in Ordnung ist. Aber dahinter ist so gut wie kein
Platz mehr. Nehmen Sie Michael Albasini:
Der hat extrem viel erreicht und ist trotzdem fast unbekannt, das ist schade. Ich
hingegen will kein Promi sein – weder ein
A- noch ein B-, noch ein Cervelat-Promi.
Grégory Rast
Geboren:
17. Januar 1980
Wohnort:
Cham
Grösse/Gewicht:
186 cm/82 kg
Ausbildung:
Gelernter Spengler
Zivilstand:
Verheiratet
Hobbys:
Eishockeyfan
Stammverein:
RMV Cham-Hagendorn
Team:
Trek-Segafredo
Erfolge:
Schweizer Meister 2004 und
2006, Gewinner der
Luxemburg-Tour 2007,
Vierter bei Paris–Roubaix
2011, Achter am
Olympischen Strassenrennen
2012, Gewinn der 6. Etappe
der Tour de Suisse 2013
www...
Grégory Rast und Fabian Cancellara in einem
Werbevideo unter www.zugerzeitung.ch/video