Flüchtlinge: Grenzenloser Leichtsinn - ottendorf

Flüchtlinge: Grenzenloser Leichtsinn
07.06.2015 | 10:30 | von Roger Köppel (Die Presse)
Unter Eindruck der Flüchtlingsströme fordern Politiker eine weitere Öffnung der europäischen
Grenzen. Das Gegenteil ist richtig. Die Migrationsströme schwellen an. Afrika hat über eine Milliarde
Einwohner, in Europa leben 733 Millionen Menschen. Der demografische Überdruck im Süden bricht
sich gegen den wohlhabenden Norden Bahn. Im Jahr 2050, schätzt die UNO, werden zwei Milliarden
überwiegend junge Afrikaner rund 691 Millionen alternden Europäern gegenüberstehen. Die
Antwort unserer Politiker und Meinungsmacher lautet, dass wir immer noch mehr illegale
Wirtschaftsmigranten, die irrigerweise Flüchtlinge genannt werden, aufnehmen sollen. Das
freundliche Angebot wird die Nachfrage verstärken. Die europäische Südgrenze ist offen wie ein
Scheunentor. Die Festung Europa gibt es nicht. Im vergangenen Jahr landeten 220.000 illegale
Migranten an der italienischen Küste an. In diesem Jahr rechnet allein Deutschland mit einer
Verdoppelung der Asylgesuche auf 500.000. Niemand fühlt sich verantwortlich für den
verfassungsmäßig verankerten Schutz der europäischen Außengrenzen. Die Italiener wissen, dass die
illegalen Migranten lieber in den reichen Norden ziehen und stecken sie in Züge, ohne sie zu
registrieren. „Die Flüchtlinge verschwinden eben“, erklärte uns kürzlich ein Römer Diplomat
charmant und gestenreich. Im Grunde ist es allen klar, aber niemand traut sich, es zu sagen: Was sich
hier abspielt, ist ein großräumig angelegter Missbrauch unseres Asylrechts durch illegale
Wirtschaftsflüchtlinge. Es ist ein behördlich geduldeter Rechtsbruch in großem Stil. Das Dubliner
Flüchtlingsabkommen funktioniert nicht. In einem Europa der offenen Grenzen haben die
überlasteten Italiener keinen Anreiz, die bürokratischen Vorgaben aus Brüssel umzusetzen. Ohnehin
ist es eine Illusion, bei Zehntausenden, ja Hunderttausenden von hereinströmenden Migranten
ordentliche Asylverfahren einzuleiten. Wer seine Papiere wegwirft, darf kaum mehr zurückgewiesen
werden. Die illegalen Wirtschaftsmigranten würden nicht kommen, wenn sie nicht wüssten, dass und
wie sie bleiben können. Im Grunde sind die tragischen Bilder und Berichte über kenternde
Schlepperboote und Ertrinkende irreführend. Der Großteil der illegalen Immigranten schafft den
teuren Weg über das Mittelmeer. Für sie lohnt sich die Investition, aus den Elendszonen Afrikas und
Arabiens ins Wohlstandsparadies Europa auszubrechen. Die Fernsehnachrichten sprechen von
Kriegsflüchtlingen aus Syrien und schwangeren Frauen, aber die Bilder zeigen meistens junge
gesunde Schwarzafrikaner auf der Reise in den Norden. Vielleicht sind vereinzelt tatsächlich echte
Flüchtlinge nach Genfer Konvention dabei. Der Umstand allerdings, dass die illegalen MittelmeerMigranten Tausende von Franken zahlen und beschwerlich lange Wege auf sich nehmen, lässt ahnen,
dass es hier kaum mehr um die Rettung vor unmittelbarer Verfolgung, sondern um die Flucht aus
allgemeinem Elend geht. Was heißt eigentlich Asyl? Die Migrationsmotive sind nachvollziehbar, aber
es gibt Rechtsordnungen und Asylgesetze. Die Bundesrepublik zum Beispiel kennt den Rechtstitel des
Asyls ähnlich wie die Schweiz ausschließlich für an Leib und Leben Bedrohte, für politisch Verfolgte.
Bürgerkriegsflüchtlinge, Armutsmigranten und Menschen ohne Perspektiven haben keinen Anspruch.
Im Grunde wäre es gar nicht so kompliziert: Wer am Asylrecht festhalten will, muss seinen
Missbrauch entschlossen bekämpfen. Wie Verstöße gegen die Steuergesetze oder die
Verkehrsregeln. Asylberechtigte dürfen aufgenommen, illegale Zuwanderer müssen sofort
abgewiesen werden. Heute ist in vielen Ländern das Gegenteil der Fall. Die Vollzugsprobleme sind
akut. Nur ein absurdes Beispiel unter vielen: Die am schnellsten wachsende Asylwerbergruppe in der
Schweiz sind nicht die Syrer, sondern die Kosovaren. Dabei steht die Schweizer Armee seit 1.7.2015
DiePresse.com http://diepresse.com/home/panorama/welt/4748669/print.do 2/3 Jahren im Kosovo
zusammen mit der Bundeswehr. Das moderne europäische Asyl-recht ist ein Produkt des
vergangenen Jahrhunderts. Es wurde nach den fürchterlichen Menschenrechtsverletzungen der
Deutschen, der Russen und der Türken in zwei Weltkriegen eingerichtet. Die Idee dahinter war,
direkt aufgrund ihrer Ethnie, ihres Glaubens oder ihrer politischen Einstellung massiv bedrohten
Menschen einen überstaatlichen Schutz zu garantieren. Das klassische Asylrecht zielte darauf ab,
einzelne konkret Verfolgte in Sicherheit zu bringen. Es wurde nicht zur Ermöglichung von
Völkerwanderungen oder zur Minderung demografischen Überdrucks in den dichtestbesiedelten
Gebieten Afrikas gebaut. Die Frage lautet deshalb: Wie können wir an unserer durch schmerzliche
Erfahrungen im vergangenen Jahrhundert geprägten Asyltradition festhalten und trotzdem den
elends- und demografiegetriebenen Migrationsströmen Herr werden? Es bringt nichts, über
weltfremde Ideale zu schwadronieren. Wer die bedingungslose Aufnahme aller „Verdammten dieser
Erde“ (Heribert Prantl) fordert, soll zuerst bei sich selbst anfangen und Flüchtlinge bei sich zu Hause
aufnehmen. Gesetzesänderungen, die auf eine Ausweitung des Asylrechts auf alle irgendwie
Unglücklichen und Elenden abzielen, wären in demokratischen Abstimmungen zu Recht chancenlos,
da weltfremd. Solidarität kann nur funktionieren, wenn sie sich klare Grenzen setzt. Umgekehrt
verspielt eine Asylpolitik den moralischen Rückhalt bei einer Bevölkerungsmehrheit, wenn sie im
Verdacht steht, herzlos und zynisch sein, wenn sie also einseitig auf Verhinderung setzt, ohne eine
glaubhafte Perspektive zu liefern, wie sie denn den humanitären Kern des Asylgedankens zu
verwirklichen gedenkt. Wie also kann man den Asylberechtigten helfen und die illegalen Flüchtlinge
in die Schranken weisen? Es geht darum, den wirklich Verfolgten Schutz zu bieten. Bei großen
Kriegen und Krisenlagen kann die Zahl der schutzbedürftigen Menschen schnell erhebliche
Dimensionen annehmen. Allerdings produziert nicht jeder Krieg automatisch Massen von Leuten, die
an Leib und Leben bedroht sind. In Syrien gibt es heute etwa nach wie vor sichere Gebiete. Auch sind
unseren Korrespondenten Syrer bekannt, die im sicheren Drittstaat Türkei aufgenommen wurden,
aber trotzdem regelmäßig nach Syrien zurückkehren. Asyl bedeutet Schutz und Rettung. Asyl ist kein
Freibrief für Migration in ein beliebiges Land. Wir müssen die Asylbewerber nicht aus weit
entfernten, kulturell entlegenen Krisenregionen nach Europa holen. Wir sollten stattdessen die
humanitären Strukturen wenn nötig und sinnvoll in den Krisenregionen selbst ausbauen. Es braucht
keine Flüchtlingstrecks über Tausende von Kilometern nach Nordafrika. Viel wirksamer sind mobile
Lager im Umfeld der Kriegsgebiete, damit sich die Verfolgten schnell und nachhaltig in Sicherheit
bringen können. Darauf sollte der Westen seine finanziellen und humanitären Anstrengungen
konzentrieren. Allerdings: Die Verantwortung liegt nicht automatisch immer bei Europa. Im
Gegenteil. Gerade die arabischen Golfstaaten und die steinreichen Saudis unternehmen viel zu
wenig, um ihren muslimischen Glaubensbrüdern aus Syrien zu helfen. Man muss sich von der
neokolonialistischen Vorstellung verabschieden, dass der Westen für alle Probleme dieser Welt
zuständig sei. Es braucht manchmal auch die Kraft, die anderen sich selbst zu überlassen, damit sie
ihre Probleme selbst lösen. Wenn der Schutz der Verfolgten vor Ort sichergestellt ist, sind die echten
Asylwerber versorgt. Es bleibt den westlichen Ländern freigestellt, Kontingente für besonders
Schutzbedürftige zu schaffen, die man zu sich nehmen will. Man sollte hier allerdings darauf achten,
dass die Hierhergeholten nach Beendigung der Krise wieder nach Hause zurückgehen. Das entlastet
zum einen die Sozialkassen und verhindert zum anderen einen Brain Drain in den ohnehin
betroffenen Gebieten. Der linksliberale britische Migrationsforscher Paul Collier bezeichnet das
asylpolitische „Ausbluten“ armer Länder durch den Westen als moralischen Skandal. Asyl ist zu
gewähren – aber vor Ort. In den allermeisten Fällen ist dies bereits heute der Fall. Die UNO spricht
von weltweit insgesamt über 230 Millionen Flüchtlingen. Nicht einmal zehn Prozent davon gelten als
echte Asylberechtigte nach Genfer Konvention. Der überwiegende Teil sind Illegale, die aus
wirtschaftlichen Gründen ihr Land verlassen. Wir können und dürfen sie nicht 1.7.2015
DiePresse.com http://diepresse.com/home/panorama/welt/4748669/print.do 3/3 aufnehmen. Es ist
der Auftrag jedes Staates, seine Grenzen gegen illegale Einwanderung zu sichern. Wer gesetzeswidrig
in ein Haus einbricht, wird verfolgt und bestraft. Wer gesetzeswidrig in ein Land eindringt, wird mit
Sozialleistungen belohnt. Das ist falsch. Illegale Migration darf sich nicht lohnen. Sonst kommen
immer mehr Illegale über das Mittelmeer – mit immer mehr Toten. Päpstliche Forderungen nach
einer totalen Öffnung der Grenzen sind verantwortungslos. Vergiftetes Klima. Selbstverständlich
bleibt es dem Vatikan unbenommen, illegale Flüchtlinge bei sich in Rom aufzunehmen. Private
Caritas ist ehrenvoll. Staatlich verordnete oder gar aufgezwungene Caritas auf Kosten der
Steuerzahler allerdings vergiftet das politische Klima. Es ist möglich, die Asyltradition zu wahren und
gleichzeitig die illegale Migration zu bekämpfen. Es ist freilich kein Skandal, sondern ein Gebot der
Ethik und damit der Lebenswirklichkeit, die illegalen Kanäle in den Westen abzusperren. Nichts
entbindet uns von der rechtlichen und moralischen Pflicht, unsere Territorien gegen illegale
Einwanderer abzusichern. Sie sind eine Bedrohung für die Sicherheit und den Wohlstand unserer
Staaten. Europa muss seine Grenzen endlich schützen. Indem wir das Mittelmeer gegen die illegale
Zuwanderung abriegeln, retten wir Leben.
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