Es ist gut, dass bei uns offen kommuniziert wird.

Foto: Herbert Vogt
„Es ist gut, dass bei uns offen
kommuniziert wird.“
Ein Team blickt auf sich und sein Leitungs-Duo
Was denkt eigentlich ein Team „von unten“ im Hinblick auf die Rollen,
Hierarchie und Aufgabenteilung im Zusammenspiel mit der Leitung und
Stellvertretung? Herbert Vogt sprach mit sechs Erzieherinnen des Kinderhauses Borngarten in Dreieich.
Wozu brauchen Sie eigentlich eine
Leitung?
Wenn aber die Leitung im Haus ist,
was ist dann die Stellvertretung für
Sie?
Pia: In erster Linie, denke ich, ist sie
unsere Vertreterin gegenüber dem
Träger und für die Kommunikation
nach außen zuständig.
Vanessa: Bei manchen Eltern redet
man gegen Wände, da ist es wichtig,
Rückenstärkung von der Leitung zu
haben. Es gibt Eltern die brauchen
diese Autorität.
Angelika: Sie sorgt für die Organisation
und Verwaltung der Einrichtung, vor
allem aber auch für die Entwicklung
des Teams und die Stärkung der einzelnen Teammitglieder, z. B. in Mitarbeitergesprächen.
Wozu brauchen Sie eine stellvertretende Leitung?
Melanie: Sie vertritt die Leitung, wenn
diese außer Haus ist. Sie hat dann
dieselben Aufgaben im Haus, sowohl
gegenüber Eltern, als auch gegenüber
der Stadt.
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Vanessa: Dann ist sie meine Kollegin.
Ich kann aber nicht einfach davon
absehen, dass sie anderenfalls in Leitungsfunktion ist. Das ist manchmal
schwierig zu trennen.
Angelika: Ganz wichtig ist es allerdings
für die Stellvertretung, die Dinge
nicht einfach gleich an die Leitung
weiterzugeben. Sie ist kein Spion. Sie
muss sich gut überlegen, was sie weitergibt. Hierbei ist Feingefühl gefragt.
Pia: Sie soll eher zu mir loyal sein und
nicht mit ihrem Wissen über mich zur
Leitung gehen.
Angelika: Ich war jahrelang stellvertre-
tende Leiterin und habe diese Sandwich-Position selbst erlebt. Es ist gut,
als stellvertretende Leiterin etwas näher als die Leitung am Team zu sein
und mehr in der Pädagogik zu stecken.
Da ist mehr gemeinsame Erfahrung,
über die man sich verständigen kann,
man erlebt die Kinder intensiver. Dadurch hat die Stellvertretung die Möglichkeit, Unstimmigkeiten und Situationen aus dem Alltag gemeinsam mit
der Leitung zu besprechen
Larissa: Ja, und dadurch ist mehr Vertrauen da, auch wenn die stellvertretende Leitung vielleicht auch mit
dem Leitungsohr zuhört. Dann kann
man auch in strittigen Fragen direkt
miteinander sprechen.
Und wenn es um Wissen geht, das
die Leitung für die Erfüllung ihrer
Aufgaben braucht?
Pia: Dann soll sie das zuerst mit mir
oder im Team besprechen. Sonst hätte
ich das Gefühl, sie würde etwas hinter
meinem Rücken tun, und das würde
unser Vertrauensverhältnis beeinträchtigen.
Wenn die stellvertretende Leitung
bei Abwesenheit der Leitung Entscheidungen trifft, die Ihnen nicht
gefallen …
Teresa: Ich denke, wenn die stellvertretende Leitung nicht in der Lage ist,
Entscheidungen zu treffen, dann arbeitet sie in der falschen Position. Natürlich sollte sie uns einbeziehen und
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Foto: Herbert Vogt
WERKSTATT
Mit dem Zusammenspiel von Leitung, Stellvertretung und Team zufrieden: Teresa Jost, Larissa Ekert, Pia Winter-Praß, Angelika Habetz-Klötzing, Vanessa Hohnheiser und Melanie Obach (v. l. n. r.)
Rücksprache halten, wenn es möglich
ist, aber das gilt für Leitung und Stellvertretung gleichermaßen.
Wie betrachten Sie die Verteilung
von Macht und Befugnissen bei Ihnen? Sind Sie manchmal auch froh,
nicht selbst entscheiden zu müssen?
Melanie: Ich denke, sie ist da in einer
schwierigen Position. Aber es liegt
auch an uns, dafür zu sorgen, dass sie
sich in ihrer Position wohl fühlt, und
sie zu unterstützen, indem wir ihr
vertrauen und sie stärken. Wir sollten
uns auch als Gesprächspartnerinnen
jederzeit zur Verfügung stellen.
Wenn beide außer Haus sind, werden Aufgaben an Sie übertragen.
Was heißt das für Sie?
Pia: Dann werden die Aufgaben auf
uns alle verteilt.
Vanessa: Wir entscheiden dann keine
grundlegenden Dinge, sondern mehr
organisatorische
Angelegenheiten.
Alles andere kann warten. Davon abgesehen haben wir sowieso bestimmte organisatorische Zuständigkeiten,
die immer gelten.
Angelika: Wenn wir dann Hilfe brau-
chen, haben wir auch die Möglichkeit, uns beim Träger Unterstützung
zu holen.
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Angelika: Seit ich „nur“ Erzieherin bin,
bin ich schon froh, nicht mehr alles
selbst entscheiden und mich nicht
mehr um so vieles kümmern zu müssen.
Melanie: Ich finde dies gerade auch im
Vergleich zu anderen Einrichtungen,
die ich kenne, ganz gut gestaltet. Wir
treffen viele Absprachen, die Leitung
bezieht uns weitgehend ein. Sie muss
vieles allein entscheiden und vertreten, aber sie gibt vieles auch ins Team
zur Beratung und Entscheidung. Sie
setzt ihre Machtposition partizipatorisch ein. Das finde ich angenehm.
Teresa: Es ist eine wichtige Voraussetzung für Teamarbeit, dass die Verteilung von Macht und Befugnissen für
alle Beteiligten klar ist. Somit kann
ich „Macht“ als positiv ansehen,
denn Leitung und Stellvertretung tragen die damit verbundene Verantwortung. Es ist für alle ein gutes Gefühl,
wenn dies offen kommuniziert wird.
Larissa: In manchen Situationen bin
schon froh, dass ich keine Entscheidung treffen muss. Wenn es z. B. um
Kindeswohlgefährdung geht, da bin
ich froh, dass sie sich auskennt und
meine Fragen beantworten kann.
Vanessa: Ich möchte noch die Eltern ins Spiel bringen. Mir fällt auf,
dass die Eltern mit der Position der
stellvertretenden Leiterin nicht viel
anfangen können. Sie fragen nicht
selbstverständlich nach ihr, wenn die
Leiterin nicht im Haus ist.
Teresa: Wir müssen die Eltern dann
extra darauf hinweisen. Dann wird
ihnen das erst bewusst.
Vanessa: Für die Kinder ist die Begrifflichkeit „Leitung“ und „stellvertretende Leitung“ nicht so klar. Die Leitung
hat eine eigenes Büro und ist für die
Kinder optisch sichtbar. Aber wo sitzt
die Stellvertreterin? Sie verbinden die
Stellvertreterin nicht so sehr mit dem
Begriff „Chefin“.
Angelika: Mich haben sie einmal die
„zweite Bössin“ genannt.
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