Paternoster Erster Arbeitstag Im Amtsgebäude gibt es einen Paternoster-Aufzug. Sinnbild des ewigen Auf und Ab. Alles fließt. Steiler Aufstieg, jäher Fall. Himmel und Hölle, Yin und Yang, Lolek und Bolek. Am ersten Arbeitstag schon den Titel für meinen großen Büro-Roman gefunden: »Paternoster«. So entsteht Literatur, die nach vorne losgeht! Dritter Tag Kollege Sonnberger bringt sich immer Buletten mit, die er in der Mittagspause heimlich im Büro verzehrt. Sagt, er hätte zu tun. Ich brauche mich nicht zu verstecken. In der Kantine Eisbein gegessen. Hat etwas Ehrliches. Etwas Archaisches. Werde jetzt immer Eisbein essen. Hemingway geht zum Stierkampf, ich esse Eisbein. Achter Tag Nach reiflicher Überlegung zum ersten Mal mit dem Paternoster gefahren. Darin eine Tafel: »Weiterfahrt durch Boden oder Keller ist ungefährlich.« Kenne niemanden, der behauptet, er sei in einem Paternoster schon mal unten oder oben herumgefahren. Das heißt: Es gibt keine Überlebenden! 18. Tag Noch vor Arbeitsbeginn zur Stärkung der Willenskraft Paternoster gefahren. Im Erdgeschoss ausgestiegen, Aktentasche unauffällig drin stehengelassen. Kabine kam aus dem Keller, Aktentasche stand unversehrt, so wie ich sie zum letzten Mal gesehen hatte. Aktentasche müsste man sein. Neuer Romantitel: »Versuch über den Paternoster.« Am Eisbeinknochen einen Zahn ausgebissen. 1 20. Tag Vormittags Fingerspitze in Schreibtisch-Schublade geklemmt. Vor Schmerz zum Paternoster gehumpelt. Dann doch Treppen gestiegen. Treppensteigen hat etwas Ehrliches. Etwas Archaisches. Mittags Spinat mit Ei. 34. Tag Habe Sonnberger versprochen, dass er in meinem Roman vorkommt, wenn er mir hilft, den großen Gummibaum aus dem Büro zum Paternoster zu tragen. Gummibaum durch den Keller fahren lassen. Er zitterte etwas, als er wieder hochkam, und ein welkes Blatt war abgefallen! 37. Tag Habe Sonnberger versprochen, ihm ein ganzes Kapitel zu widmen, wenn er das Meerschweinchen seines Sohnes mitbringt. 38. Tag Sonnberger hat Meerschweinchen mitgebracht. Meerschweinchen in den Paternoster gesetzt und durch den Keller fahren lassen. Kabine kam wieder hoch, leer. Sonnberger zwei Euro gegeben. Neuer Romantitel: »Paternoster oder: Wem die Stunde schlägt.« 39. Tag Am Vormittag kleiner Streit mit dem Kollegen Sonnberger. Er nimmt mir die Sache mit dem Meerschweinchen immer noch übel. Am Nachmittag wieder Versöhnung. Habe Sonnberger versprochen, meinen Büro-Roman »Sonnberger« zu nennen, wenn er einmal mit dem Paternoster durch den Keller fährt. Hat sich Bedenkzeit ausgebeten. 2 42. Tag Ohne Sonnberger ist das Büroleben nicht mehr zu ertragen. Ich spüre, dass meine Studien an einem Wendepunkt angelangt sind. Mittags Hühnerbrühe. Ob ich es selbst wage? - Bricht hier ab. 3
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