Atmosphärisches In-Line-Plasma in der Medizintechnik

■ OBERFLÄCHENTECHNIK
Mehrkomponenten-Bauteile. Bei der Fertigung komplexer Bauteile werden immer häufiger unterschiedlichste Materialien kombiniert. Metalle, Glas und Keramik müssen
Plasmadüse
beim Aktivieren
eines medizinischen Bauteils
(Foto: Gira) (Foto: Gi-
haltbare und dichte Verbindungen mit dem
Kunststoff eingehen. Damit die verschiedenen Materialien und Teile mit höchster Präzi-
ra)
sion aneinander haften, werden sie mit einem Plasma vorbehandelt.
Atmosphärisches
In-Line-Plasma in der
Medizintechnik
JOACHIM SCHÜSSLER
CHRISTIAN BUSKE
ie Fertigung im Mehrkomponenten-Spritzgießverfahren ermöglicht die Kombination verschiedenster Materialien miteinander in
einem System. Durch Hart-Weich-Verbunde können beispielsweise Gehäuseteile mit einer Dichtung versehen, dekorative Folien mit einem Trägermaterial
hinterspritzt oder Hybridbauteile (Metall-Kunststoff-Verbunde) hergestellt
werden. Ziel ist es, so viele Einzelteile wie
möglich in ein- und demselben Zyklus
zu verbinden. So können die Zahl der
Montageschritte reduziert und die Prozesssicherheit erhöht werden. Damit die
verschiedenen Materialien und Teile mit
höchster Präzision aneinander haften,
werden sie mit einem Plasma vorbehandelt (Bild 1).
D
KU103635
Metalloberfläche
Fertigung mit
Plasmabehandlung
Das Mehrkomponenten-Spritzgießen,
kombiniert mit der AtmosphärendruckPlasmatechnik des Anlagenentwicklers
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© Kunststoffe
Bild 1. Bei der Feinreinigung von Einlegeteilen vor dem Umspritzen
entfernt Openair-Plasma alle organischen Kontaminationen wie Fette und
Öle sowie an der Grenzschicht anhaftendes Wasser (Quelle: Plasmatreat)
© Carl Hanser Verlag, München
Kunststoffe 8/2006
OBERFLÄCHENTECHNIK ■
Plasmatreat, Steinhagen, schafft nicht nur
neue Verbundmöglichkeiten, sondern erhöht auch deutlich das erzielbare Haftungsniveau.
Das Plasma übernimmt die Aufgabe,
einzelne Komponenten der Bauteile inline so zu reinigen und zu aktivieren, dass
nicht nur ein sicherer Verbund gewährleistet wird, sondern auch die sonst erforderlichen Montageschritte entfallen.
Zieltechnologien für eine Plasmabehandlung sind weiterhin 2K-Spritzgießverfahren sowie vor- und nachgeschaltete Prozesse. Durch die Vorbehandlung
mit Plasma können nicht nur sonst inkompatible Materialien verbunden werden, auch die Prozesssicherheit wird optimiert und die Qualität erhöht.
Es können stoffschlüssige Verbunde
von bisher nur mäßig bzw. nicht haftenden Kombinationen erreicht werden. Der
Einfluss bestimmter Verarbeitungsparameter auf die Haftung sinkt und auch
Bild 3. Die Bauteile werden im Reinraum unter
hohen Sicherheitsvorkehrungen geprüft (Foto: Gira)
Bild 4. Hohe Anforderungen in der Medizintechnik: Das gesamte Luftvolumen wird im Reinraum
80 mal pro Stunde komplett ausgetauscht (Foto: Gira)
Standardwerkstoffe können besser miteinander verbunden werden.
Im vorgestellten Verfahren wird ein
Atmosphärendruckplasma durch spezielle Plasmadüsen an die Materialoberfläche herangebracht. In dem von Plasmatreat entwickelten und patentierten
Verfahren „Openair-Plasma“, werden die
Düsen mit Luft oder auch mit einem
Prozessgas sowie mit Hochspannung betrieben. Das austretende Plasma steht je
nach Düsengeometrie in einem Arbeitsbereich bis 50 mm Wirkbreite oder
40 mm Behandlungsabstand zur Verfügung.
Der austretende Plasmastrahl ist
elektrisch neutral, wodurch sich die Anwendung stark erweitert und vereinfacht. Die Temperatur des austretenden
Plasmas beträgt, abhängig von der eingekoppelten Leistung und der Bauform
der Plasmaquelle, bis zu 300 °C. Dies
ermöglicht sehr hohe Bearbeitungsgeschwindigkeiten mit optimalen Effekten (Bild 2).
Einsatz in der Medizintechnik
In den letzten Jahren haben sich eine Vielzahl dieser Openair-Plasma-Anwendungen in der Medizintechnik eröffnet:
Während einer Herzoperation übernimmt die Herz-Lungen-Maschine kurzzeitig die Funktion dieser lebenswichtigen Organe. Die Sauerstoffanreicherung
des Bluts erfolgt über Membranen, deren
Qualität über Leben und Tod entscheidet.
Der Einsatz von Openair-Plasma ermöglicht seit mehreren Jahren die sichere Herstellung und perfekte Einbettung solcher
Membranen.
Keimfreies Arbeiten ist in der Medizin
höchster Standard (Bild 3). Medikamente
und Instrumente müssen absolut keimfrei
in höchster Qualität verpackt sein. Wird
das Plasma in der richtigen Intensität auf
das Verpackungsmaterial appliziert, werden Keime abgetötet, ohne dass dabei das
Ausgangsmaterial verändert wird.
Bei der Beschichtung von Implantaten
mit Verschleißschutzschichten oder mit V
© Kunststoffe
Bild 2. Grundlagen des Plasmaprozesses: Plasma als vierter Aggregatzustand
(Quelle: Plasmatreat)
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biokompatiblen Coatings, die ein einfaches Anwachsen mit Geweben ermöglichen, haben sich plasmapolymere Schichten bereits bewährt. Plasmatreat beschreitet als Vorreiter diesen Weg mit atmosphärischen Beschichtungslösungen.
Das Vorbehandeln vor dem Verkleben
und Anspritzen von Schläuchen und
Kanülen ist eine weitere Applikation der
Plasmabehandlung in der Medizin, ebenso wie die Verbesserung der
Verbundhaftung von TPUMembranen für Injektionsverschlüsse.
Ein weiteres von Plasmatreat entwickeltes Verfahren
namens PlasmaPlus dient der
Beschichtung von Kunststoffen im Atmosphärenplasma
mit funktionellen und glasartigen Schichten. Es verändert
das Permeationsverhalten von
Kunststoffen und erhöht so
die Haltbarkeit von Medikamentverpackungen.
sind nach den medizinischen Richtlinien
nicht zulässig.
Fertigung im Reinraum
Der Reinraum bei Gira erfüllt die Anforderungen der Klasse 10.000. Das gesamte Luftvolumen wird 80mal pro
Stunde ausgetauscht (Bild 4). Zusätzliche Filter und Laminatflow-Module
nung auf > 72 mN/m. Die integrierte
Überwachung stellt sicher, dass dieser
Prozessschritt korrekt und ohne Fehler
abläuft.
Als weltweit einziger Hersteller ist Gira durch die Anwendung des OpenairPlasmaverfahrens heute in der Lage, diese hybriden Bauteile nicht aus mehreren
Teilen, sondern als ein einziges Bauteil in
der Spritzgießmaschine zu fertigen. ■
Bild 5. Paarweise
werden die fertigen
Bauteile mit dem
umspritzten Metallinsert der Kavität
entnommen (Foto: Gira)
Praxisbeispiel
Das für seine Haus- und Schaltertechnik
bekannte Unternehmen Gira, Radevormwald, hat seinen Geschäftsbereich
Kunststofftechnik bereits vor einigen Jahren auf den Bereich Medizintechnik
erweitert. Mit der firmeneigenen Konstruktion der Kunststoffteile, Systemprodukte und Werkzeuge sowie der Einrichtung eines medizintechnischen Reinraums nach ISO-Klasse 7 bietet der Hersteller jegliche Qualifikation für diesen
Hochleistungsbereich. Das Unternehmen
nutzt heute die kombinierte SpritzgussOpenair-Plasmatechnologie, um komplizierte Fittings für den Einsatz an Oxigenatoren kostengünstig und prozesssicher
zu fertigen.
Der Oxigenator, an den das Bauteil adaptiert wird, ist einer der wichtigsten Bestandteile der Herz-Lungen-Maschine.
Innerhalb des Fittings befindet sich ein
Metallinsert, welches während einer Operation ständig die Bluttemperatur misst.
Das Metallinsert wird als Einlegeteil in das
Werkzeug gebracht und mit Polycarbonat umspritzt, damit wird eine externe
Montage vermieden. Die Verbindung
zwischen Metall und Polycarbonat muss
absolut dicht sein. Umfangreiche Tests
haben ergeben, dass die Vorbehandlung
mit Atmosphärendruckplasma hier das
einzige Verfahren ist, mit dem diese Anforderung erfüllt wird. Der Einsatz haftungsmodifizierter Compounds oder einer zusätzlichen Haftvermittlerschicht
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über dem Handling und dem Werkzeugbereich der von außen angebundenen Spritzgießmaschine garantieren eine gleich bleibende Luftqualität während
der Fertigung.
Insbesondere bei den hohen Reinraum-Anforderungen ist es von Vorteil,
dass die Openair-Plasmadüsen in die Produktionslinien integriert werden können.
So sind keine zusätzlichen Anlagenkomponenten notwendig.
Für die Fertigung des an den Oxigenator anzuschließenden Bauteils werden die
Metallteile in einem Wendelförderer vereinzelt und mittels eines Handlingsystems
von der Abholposition aufgenommen
und in der Plasmabehandlungsstation abgelegt. Der getaktete Plasmastrahl (ca. 2 s)
aktiviert und reinigt die rotierenden
Werkstücke vollflächig, bevor die Inserts
mit dem Handling in das Werkzeug eingelegt und gleichzeitig die fertigen Bauteile aus der Kavität entnommen werden
(Bild 5). Das Plasma wird hier als vollständige In-Line-Lösung zur Reinigung
und Aktivierung der Oberfläche genutzt.
Das Einlegeteil wird weder in seiner
Oberflächenstruktur noch in den technologischen Eigenschaften verändert.
Das Atmosphärenplasma arbeitet
direkt an der Oberfläche und sorgt für
die Benetzung der Schmelze mit der
Metalloberfläche. Die organischen Verschmutzungen werden aboxidiert. Dadurch erhöht sich die Oberflächenspan-
DIE AUTOREN
JOACHIM SCHÜSSLER, geb. 1969, ist bei der
Plasmatreat GmbH Key Account Manager für den Bereich Spritzgießen und hat die Plasma-Anwendung in
der Medizintechnik aufgebaut. Als Niederlassungsleiter von Plasmatreat Süd, Birkenfeld, ist er verantwortlich für die Geschäftsbereiche Vertrieb und Anwendungstechnik; [email protected]
DIPL.-ING. CHRISTIAN BUSKE, geb. 1963, ist als
Geschäftsführender Gesellschafter der Plasmatreat
GmbH, Steinhagen, für die Entwicklung, Patentierung
und internationale Expansion der Openair-Plasmatechnik verantwortlich;
[email protected]
SUMMARY KUNSTSTOFFE INTERNATIONAL
Atmospheric In-line
Plasma in Medical
Technology
SANDWICH MOULDED COMPONENTS. Ever more
frequently in the production of complex components the most varied materials are combined.
Metals, glass and ceramics must form durable
and impermeable bonds with the plastic. In order that the different materials and parts adhere
to one another with maximum precision they are
pretreated with a plasma.
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© Carl Hanser Verlag, München
Kunststoffe 8/2006