Economic Research e Economic Insight 12. Februar 2016 EZB: Vorsicht, wenn die Falken gurren Auf ihrer Sitzung am 10. März wird die EZB ihren geldpolitischen Kurs überprüfen. Bis dahin werden die Märkte jede Äußerung von Ratsmitgliedern aufmerksam verfolgen. Interessant wird es, wenn nicht nur die Tauben, sondern auch die Falken im Rat plötzlich sanfte Töne senden, denn umso wahrscheinlicher wird ein großes Maßnahmenpaket. Wir geben einen Überblick über Falken und Tauben im EZB-Rat und zeigen, was sich daraus lernen lässt. Im Schnitt gilt, dass die Tauben im Rat durch die Rotation der Stimmrechte etwas mehr an Einfluss verlieren als die Falken, aber immer noch über eine solide Mehrheit verfügen. Daten entscheidend, nicht die Gesinnung Als geldpolitische Taube bezeichnen wir solche Ratsmitglieder, die sich häufig für eine konjunkturstützende Geldpolitik, also expansive Maßnahmen ausgesprochen haben. Ein geldpolitischer Falke warnt dagegen davor, das geldpolitische Mandat zu überspannen (Tabelle und Kasten S.3 für eine detailliertere Erläuterung). Die Haltung der Ratsmitglieder beeinflusst, welche Maßnahmen die EZB grundsätzlich ergreift: Wenn eine Mehrheit im Rat die Einschätzung von Bundesbankpräsident Weidmann teilen würde, hätte es vermutlich keine Staatsanleihenkäufe der Notenbank gegeben. Wann die EZB allerdings von solchen grundsätzlichen Überlegungen abgesehen ganz konkret die Geldpolitik lockert oder verschärft, hängt vorderhand von der Entwicklung der Daten ab. Denn je nachdem, wie diese sich ändern, kommt Bewegung in die Gruppen. So hatten die Notenbank-Experten kurz vor Bekanntgabe des QE-Programms im Januar 2015 ihre Wachstumsprojektionen insgesamt um knapp 1 Prozentpunkt und die Inflationsprojektionen um ½ Prozentpunkt gesenkt. Nicht zuletzt deswegen dürfte sich auf der Ratssitzung im 1 Januar eine große Mehrheit für QE ausgesprochen haben. Im Dezember 2015 revidierten die Notenbank-Experten ihre Projektionen dagegen kaum nach unten, so dass das Lager der Falken Zulauf erhielt und das Maßnahmenpaket deutlich hinter den Markterwartungen zurückblieb. Wie laut gurren die Falken? Bei der Analyse der EZB-Politik ist deswegen weniger interessant, wo die einzelnen Ratsmitglieder in der Regel stehen, sondern insbesondere wie stark sie zu erkennen geben, dass sie ihre übliche Position verlassen wollen. Im Vorfeld der mit Spannung erwarteten Sitzung am 10. März dürfte vor allen Dingen spannend sein, wie offen sich die Falken zu der Möglichkeit weiterer Maßnahmen äußern. Denn je aufgeschlossener sich sogar die Falken TABELLE 1: EZB-Rat – Mehr Tauben als Falken Anzahl der Tauben und Falken im EZB-Rat Falke Falke (tendenziell) Lautenschläger Mersch Weidmann (DE) Knot (NL) Hansson (EE) Rimsevics (LV) neutral Taube (tendenziell) Constancio (Vizepräsident) Coeure Vasiliauskas (LT) Reinesch (LU) Jazbec (SI) Makuch (SK) Liikanen (FI) Villeroy de Galhau (FR) Lane (IE) Bonnici (MT) Nowotny (AT) Taube Draghi (Präsident) Praet Linde (ES) Visco (IT) Smets (BE) Stournaras (GR) Georghadji (CY) Costa (PT) Quelle: Commerzbank Research 1 Laut Agenturberichten war für die Bildung einer Mehrheit wichtig, dass Yves Mersch kurz vor der Sitzung seine kritische Haltung aufgab. Sabine Lautenschläger, Jens Weidmann, Klaas Knot und Ardo Hansson empfahlen lediglich, mit dem Beginn von QE noch etwas zu warten. Vgl. „How Draghi got divided ECB to say ‚yes‘ to money-printing, Reuters, 26.1.2015. Bitte beachten Sie die rechtlichen Hinweise auf den Seiten 4 und 5. research.commerzbank.com / Bloomberg: CBKR / Research APP verfügbar Autor: Dr. Michael Schubert +49 69 136 23700 [email protected] Chefvolkswirt: Dr. Jörg Krämer +49 69 136 23650 [email protected] Economic Research | Economic Insight für weitere Schritte zeigen, desto größer dürfte das Maßnahmenpaket ausfallen. Aber auch die Äußerungen der gewöhnlich „neutralen“ Ratsmitglieder könnten aufschlussreich sein. Lassen sie eine Tendenz zu dem einen oder andere Lager erkennen? Bisher fielen die Äußerungen nicht sonderlich aus dem Rahmen. Aus beiden Lagern waren eher gemäßigte Töne zu vernehmen. So ließen beispielsweise die Tauben Coeure und Villeroy de Galhau zwar keinen Zweifel an ihrer Bereitschaft zu weiteren Schritten, betonten aber auch, dass die Entscheidungen allein von der Datenentwicklung abhingen und dass die EZB nicht auf kurzfristige Entwicklungen reagieren werde. Und der Falke Yves Mersch warnte die Märkte vor übertriebenen Erwartungen. Alle Optionen würden auf dem Tisch liegen, aber nichts sei entschieden. Die vielleicht auffälligste Änderung zu Ende 2015 ist, dass die Falken im Vorfeld der Ratssitzung im Dezember explizit betonten, dass sie gegen weitere Maßnahmen sind. Solche Aussagen waren zuletzt nicht zu vernehmen. Rotation schwächt Tauben, aber Mehrheit bleibt solide Verschieben könnten sich die Mehrheitsverhältnisse auch durch die seit Anfang 2015 geltende Rotation der Stimmrechte im EZB-Rat. Denn mit dem Beitritt Litauens Anfang 2015 sind mehr als 18 nationale Zentralbanken im EZB-Rat vertreten, und für diesen Fall war 2008 beschlossen worden, dass nicht mehr alle Notenbanken bei jeder Sitzung abstimmen dürfen. Während die sechs Mitglieder des EZB-Direktoriums ihr Stimmrecht stets behalten, werden die Präsidenten der nationalen Notenbanken in zwei Gruppen unterteilt. Die (gemessen an der Wirtschaftskraft) fünf größten Länder (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande) erhalten vier Stimmrechte, so dass jeweils ein Land einen Monat lang nicht mitstimmen darf. Die Gruppe der anderen 14 Länder hat 11 Stimmrechte, immer drei ihrer Mitglieder müssen also drei Monate 2 hintereinander aussetzen. Da für 2016 und 2017 bekannt ist, welches Ratsmitglied in welchem Monat sein Stimmrecht nicht ausüben darf, lässt sich recht genau beschreiben, wie sich die Mehrheitsverhältnisse im Rat von Monat zu Monat verändern: Wir zählen 14 Tauben und 6 Falken im EZB-Rat (genaue Übersicht siehe Tabelle auf Seite 1). Aus 14 Tauben und 6 Falken errechnet sich ein Vorsprung der Tauben von 8 Stimmen – falls wie bisher nicht rotiert würde. Bei Rotation schwankt der Vorsprung allerdings in jedem Monat (Grafik 1). Die gute Nachricht für die Tauben ist, dass sie 2016 und 2017 bei den Ratssitzungen stets in der Mehrheit bleiben. Die schlechte ist, dass ihre Mehrheit bei 9 von den 15 Ratssitzungen bis Ende 2017 kleiner ist als ohne Rotation. Besonders deutlich schmilzt der Vorsprung auf der übernächsten Sitzung im April, wenn die Präsidenten der Notenbanken Spaniens, Irlands, Griechenlands und Zyperns keine Stimme haben. Im Juli sieht es dagegen für die Falken schlechter aus, da in diesem Monat die Präsidenten der Notenbanken der Niederlande und Lettlands keine Stimme haben werden. Grafik 2: EZB-Tauben behalten Vorsprung Anzahl der stimmberechtigten Tauben und Falken auf den jeweiligen geldpolitischen Ratssitzungen 2016 auf Basis der Einschätzung der Commerzbank 16 14 12 10 8 6 4 2 0 März April 2016 Juni Juli Sept. Okt. Falken Dez. Jan März April 2017 Juni Juli Sept. Okt. Dez. Tauben Quelle: EZB, Commerzbank Research 2 Der Rhythmus bei den kleineren Ländern ändert sich mit jedem neuen Mitgliedsland. Ab 22 Mitgliedsländern wird die zweite Gruppe nochmals unterteilt. Die den größten fünf Ländern folgende Hälfte aller Mitgliedsstaaten erhält acht Stimmrechte, die restlichen (kleinsten) Länder drei. 2 12. Februar 2016 Kasten: Falken und Tauben Letztendlich handelt es sich bei der Zuordnung der EZB-Ratsmitglieder zum Tauben- bzw. Falken-Lager um eine subjektive Einschätzung auf Basis bisheriger Äußerungen der Geldpolitiker. Sie unterscheidet sich allerdings zumindest nicht groß von den Ergebnissen 3 gelegentlicher Umfragen zum Thema. Die Falken: Sabine Lautenschläger, Jens Weidmann und Ardo Hansson haben sich so häufig kritisch zu verschiedenen Maßnahmen der EZB geäußert, dass sie eindeutig dem Lager der Falken zuzuordnen sind. Klaas Knot und Ilmars Rimsevics äußerten sich zwar nicht so häufig, übten aber regelmäßig Kritik an verschiedenen Maßnahmen der EZB und verwiesen auf negative Nebeneffekte der expansiven Geldpolitik. Beide signalisierten, dass sie den im Dezember beschlossenen Maßnahmen nicht vollständig zugestimmt haben. Schwierig ist die Zuordnung bei Yves Mersch, nicht zuletzt weil er sich nicht so häufig zur Geldpolitik äußert. Er ist bei der EZB unter anderem für die Bereiche Banknoten, Marktinfrastruktur und Zahlungsverkehr sowie Risikomanagement zuständig. Mersch hat allerdings immer wieder versucht, zu hohe Erwartungen an weitere expansive Maßnahmen zu dämpfen, so auch vor kurzem: „Manchmal denke ich, die Finanzmarktteilnehmer müssen ihre Englischkenntnisse aufpolieren um zu verstehen, dass wir mit Blick auf März noch nichts entschieden haben“, erklärte Mersch Anfang Februar. „Nicht unsere Kommunikation ist mangelhaft, sondern die Hype, die durch Leute mit persönlichen Interessen entsteht“, betonte er. Die Tauben: EZB-Chefvolkswirt Praet hat vor kurzem selber ein Kriterium für die 4 Unterscheidung zwischen Falken und Tauben formuliert : „Kritiker der Maßnahmen im Rat … sagen, wegen des speziellen Charakters einer Währungsunion sollten Anleihekäufe nur genutzt werden, wenn wir in einer Deflation sind. Hierüber kann man ausführlich diskutieren. Die große Mehrheit des Rates und ich selbst sind der Meinung: Wenn man nur im Extremfall einer Deflation handelt, ist es zu spät. Dies ließe sich nur noch sehr schwer korrigieren und nur mit einem noch viel größeren Einsatz.“ Ähnlich wie Praet äußerten sich EZB-Präsident Draghi, die Direktoriumsmitglieder Constancio und Coeure sowie die Ratsmitglieder Linde und Visco. Die Neutralen: Bei Bostjan Jazbec fiel uns die Zuordnung nicht leicht. Denn gerade zuletzt hat er sich recht häufig für eine abwartende Haltung ausgesprochen, so dass man ihn auch als Falken ansehen könnte. Über einen längeren Zeitraum betrachtet sehen wir in ihm aber eher einen Pragmatiker, der durchaus betont, dass QE seinen Zweck erfüllt, aber auch die Grenzen der Geldpolitik nicht verschweigt, und im Gegensatz zu vielen anderen seiner Ratskollegen auch ein vorzeitiges Ende der Anleihenkäufe als Möglichkeit betrachtet. Wenn wir eine Eigenschaft bei Erkki Liikanen besonders hervorheben müssten, wäre dies sicherlich seine Loyalität. Seine Aussagen orientieren sich meistens eng an den offiziellen Formulierungen aus den Pressekonferenzen. Wir ordnen ihn in das neutrale Lager ein, weil er wiederholt vor übereilten Aktionen warnte, wenn sich die Lage geändert hat. Er verglich beispielsweise QE mehrfach mit einem Marathon. Die Lautlosen: Eine Reihe von Ratsmitgliedern äußert sich kaum in der Öffentlichkeit. Ihre Zuordnung in ein bestimmtes Lager ist entsprechend schwierig, weil diese auf nur wenigen Aussagen beruht. • Vitas Vasiliuaskas und Gaston Reinesch sehen wir aufgrund ihrer bisherigen Stellungnahmen als Pragmatiker an. Auch Jozef Makuch haben wir in das neutrale Lager eingeordnet. • Yannis Stournaras, Chrystalla Georghadji, Josef Bonnici und Carlos Costa sehen wir eher als Tauben an. Die Neuen: Einige Ratsmitglieder sind neu im EZB-Rat. Ihre Einschätzung ist deswegen vorläufig: • Jan Smets hat gleich in seinem ersten großen Interview betont, in der Geldpolitik sei es sehr wichtig, vorbeugend zu handeln, bevor sich mögliche Risiken tatsächlich realisieren. Aufgrund solcher Äußerungen haben wir ihn vorläufig ins Lager der Tauben eingeordnet. • Auch Francois Villeroy de Galhau und Philip Lane sehen wir eher als Tauben an, obwohl ihre Aussagen weniger eindeutig ausfielen als bei Jan Smets. 3 4 12. Februar 2016 “Tauben dominieren den EZB-Rat”, Börsenzeitung, 3.12.2014. Interview im Handelsblatt mit Peter Praet, 10. Dezember 2015. 3 Economic Research | Economic Insight Für die Erstellung dieser Ausarbeitung sind der Bereich Corporates & Markets der Commerzbank AG, Frankfurt am Main, bzw. etwaig in der Ausarbeitung genannte Filialen der Commerzbank verantwortlich. Corporates & Markets ist der Investmentbereich der Commerzbank, in dem die Research-, Anleihe-, Aktien-, Zinsproduktund Devisenaktivitäten zusammengefasst sind. Die Verfasser dieses Dokuments bestätigen, dass die in diesem Dokument geäußerten Einschätzungen ihre eigenen Einschätzungen genau wiedergeben und kein Zusammenhang zwischen ihrer Dotierung – weder direkt noch indirekt noch teilweise – und den jeweiligen, in diesem Dokument enthaltenen Empfehlungen oder Einschätzungen bestand, besteht oder bestehen wird. Der (bzw. die) in dieser Ausarbeitung genannte(n) Analyst(en) sind nicht bei der FINRA als Research-Analysten registriert/qualifiziert und unterliegen nicht der FINRA Rule 2241. 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Februar 2016 London Commerzbank AG, London Branch PO BOX 52715 30 Gresham Street London, EC2P 2XY Tel: + 44 207 623 8000 New York Commerz Markets LLC 225 Liberty Street, 32nd floor New York, NY 10281 - 1050 Tel: + 1 212 703 4000 Singapore Commerzbank AG 71, Robinson Road, #12-01 Singapore 068895 Tel: +65 631 10000 Hong Kong Commerzbank AG 15th Floor, Lee Garden One 33 Hysan Avenue, Causeway Bay Hong Kong Tel: +852 3988 0988 5
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