Die Rede von Diözesanbischof Dr. Alois Schwarz im Wortlaut

Diözesanbischof Dr. Alois Schwarz, Gurk-Klagenfurt
Vortrag bei der Auftaktveranstaltung zum Jahr der Barmherzigkeit
Diözesanhaus Klagenfurt
Mittwoch, 2. Dezember 2015, 9.00 Uhr
Bei der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962,
nämlich bei der Ersten Session hat Papst Johannes XXIII. gesagt: Die Kirche hat
diesen Irrtümern zu allen Zeiten widerstanden, oft hat sie sie auch verurteilt.
Manchmal auch mit großer Strenge. Heute dagegen möchte die Braut Christi
lieber das Heilmittel der Barmherzigkeit anwenden, als die Waffe der Strenge.
Heute möchte die Kirche lieber das Heilmittel der Barmherzigkeit anwenden als
die Waffe der Strenge. In seiner Rede zum Abschluss des Zweiten
Vatikanischen Konzils sprach Papst Paul VI.: Die alte Geschichte vom
Samariter wurde zum Beispiel für die Geisteshaltung des Konzils. Eine sehr
große Sympathie hat es ganz und gar durchdrungen. Die Entdeckung der
menschlichen Bedürfnisse - je größer sie sind, desto größer macht sich auch der
Sohn der Erde - hat die Aufmerksamkeit unserer Synode gefesselt. Ihr kennt ihm
wenigstens diesen Verdienst zu, Ihr modernen Humanisten, die Ihr die
Transzendenz der höchsten Dinge leugnet und erkennt unseren neuen
Humanismus an. Auch wir und wir mehr als alle sind die Förderer des
Menschen.
Die Rede vom Samariter wurde zur Beispielgeschichte für das Zweite
Vatikanische Konzil. Das zeigt die Geste der Barmherzigkeit, das Heilmittel der
Barmherzigkeit und das Bild des Samariters. Am 7. Dezember 1965, also genau
vor 50 Jahren, wurde die Pastoralkonstitution verabschiedet, die zweite große
Kirchenkonstitution, in der es heißt: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst
der Menschen von heute sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der
Jünger heute. Heute würde man das mit Jüngerinnen Christi ergänzen. In Nr. 91
der Pastoralkonstitution sagt das Konzil dann: Wir sind von der festen
Zuversicht erfüllt, dass vieles von dem, was wir, gestützt auf Gottes Wort und
den Geist des Evangeliums, vorgetragen haben, allen eine gute Hilfe sein kann,
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zumal wenn es von den Gläubigen unter Leitung ihrer Hirten an die Situation
und Denkweisen der einzelnen Völker angepasst sein wird.
Das Konzil vor 50 Jahren sagt, dass die Türen auf die Welt geöffnet werden
müssen, wie es Frau Dr. Hennersperger bereits angesprochen hat. Vor dem
Konklave hat Kardinal Jorge Mario Bergoglio gesagt, dass wir die Türen öffnen
und damit rechnen müssen, dass Christus hinaus möchte aus der Kirche und
nicht hinein. Wir dürfen damit rechnen, wenn Papst Franziskus die Heilige
Pforte öffnet, dass dann Christus herauskommt. Es werden viele Völker
hineinströmen, aber es geht darum, dass Christus hinauskann zu den Menschen
in der Welt.
Knapp vor dem Konklave, am Sonntag davor, gab es eine Festfeier für Kardinal
Walter Kasper in Vallendar. Ich war bei dieser Festfeier dabei. Kardinal Kasper
hatte kurz vorher ein Buch über Barmherzigkeit geschrieben und das KardinalKasper-Institut hat dieses Buch ins Spanische übersetzt. Als an diesem
Sonntagabend die Kardinäle nach Rom abreisten, hat jemand vom KardinalKasper-Institut gesagt: „Herr Kardinal, wir haben auch eine spanische Ausgabe
von dem Buch „Barmherzigkeit“. Können wir Ihnen eine solche Ausgabe
mitgeben?“ Kardinal Kasper sagte darauf: „Wir sind mit dem Flugzeug
unterwegs und haben sehr viel Gepäck“. Ein oder zwei Bücher hat er dann doch
von der spanischen Ausgabe über Barmherzigkeit mitgenommen. Am nächsten
Tag hat dann das Konklave begonnen und Kardinal Kasper hat sich erinnert,
dass er ein spanisches Buch mithat und dass es auch einen spanischen Kardinal
gibt – Jorge Mario Bergoglio. Er traf ihn und gab ihm am Beginn des Konklaves
dieses Buch in Spanisch.
Beim ersten Angelus am 17. März 2013 tritt Papst Franziskus dann vor die
Öffentlichkeit und sagte: In diesen Tagen hatte ich die Gelegenheit, das Buch
eines Kardinals, Kardinal Kaspers, eines Theologen, der sehr tüchtig ist, eines
guten Theologen über die Barmherzigkeit zu lesen. Und jenes Buch hat mir sehr
gut getan, doch glaubt jetzt nicht, dass ich Werbung für die Bücher meiner
Kardinäle mache! Dem ist nicht so! Doch es hat mir so gut, so gut getan. …
Kardinal Kasper sagte, dass von der Barmherzigkeit zu hören, dass dieses Wort
alles ändert. Es ist das Beste, was wir hören können: es ändert die Welt. Ein
wenig Barmherzigkeit macht die Welt weniger kalt und viel gerechter. Wir
haben es notwendig, diese Barmherzigkeit Gottes gut zu verstehen, dieses barmherzigen Vaters, der so viel Geduld hat. Wir erinnern uns an den Propheten
Jesaja, der sagt: Wären unsere Sünden auch rot wie Scharlach, so würde sie die
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Liebe Gottes weiß wie Schnee machen. Schön ist das, das mit der
Barmherzigkeit!
Eine Erinnerung: Gerade als ich Bischof geworden war, im Jahr 1992, ist die
Gottesmutter von Fatima nach Buenos Aires gekommen, und es wurde eine
große Messe für die Kranken gefeiert. Ich bin zu jener Messe gegangen, um
Beichte zu hören. Und fast am Schluss der Messe bin ich aufgestanden, weil ich
eine Firmung spenden musste. Da ist eine alte, einfache, sehr einfache Frau zu
mir gekommen, die über achtzig war. Ich habe sie angeschaut und zu ihr gesagt:
»Nonna – denn bei uns sagt man so zu den alten Leuten: Nonna – wollen Sie
beichten?« »Ja«, sagte sie mir. »Aber wenn Sie nicht gesündigt haben…« Und
sie hat mir erwidert: »Alle haben wir Sünden…« »Doch vielleicht vergibt sie der
Herr nicht …« »Der Herr vergibt alles«, antwortete sie mir mit Überzeugung.
»Frau, wie aber können Sie das wissen?« »Wenn der Herr nicht alles vergäbe,
gäbe es die Welt nicht.« Ich hätte sie gerne gefragt: »Sagen Sie mir, liebe Frau,
haben Sie an der Gregoriana studiert?«, denn das ist die Weisheit, die der
Heilige Geist gibt: die innere Weisheit, die zur Barmherzigkeit Gottes führt.
Das ist das Denken von Papst Franziskus, was in der Kirche wichtig sein soll –
Barmherzigkeit. Deshalb hat er jetzt das Jahr der Barmherzigkeit angekündigt,
zum Abschluss des Konzils, damit eine neue Epoche in der Kirche beginnt. Mit
diesem Jahr der Barmherzigkeit wird er uns hoffentlich durchrütteln. Wenn wir
einen Baum rütteln, dann fällt vieles vom Baum – die Äpfel, die noch nicht reif
sind, die faulen Äpfel, auch manche Blätter. Ich hoffe, dass uns das Jahr der
Barmherzigkeit durchrüttelt und ich staune über die vielen Aktionen, die zum
Jahr der Barmherzigkeit schon geplant sind.
Allen empfehle ich, die Verkündigungsbulle zu lesen. Darin wird nämlich sehr
schön erklärt, worum es dem Papst jetzt beim Jahr der Barmherzigkeit geht. In
Nr. 2 heißt es: Barmherzigkeit ist der Weg, der Gott und Menschen vereinigt.
Denn sie öffnet das Herz für die Hoffnung, dass wir trotz unserer Begrenztheit
aufgrund unserer Schuld für immer geliebt sind.
Wir werden in diesem Jahr die Texte lesen, die die Bibel zum Wort der
Barmherzigkeit sagt und sind eingeladen, Barmherzigkeit und Leben
miteinander zu verbinden. Diejenigen, die bei der Pilgerreise in Avila mit waren,
haben sich vielleicht noch den Satz gemerkt, den Pater Antonio sehr oft von
Teresa von Avila zitiert hat: Mein Leben ist die Geschichte der Barmherzigkeit
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Gottes mit mir. Wenn Gott mich solange ausgehalten hat, wer soll sich vor Gott
fürchten?
Auch auf einen Text von Therese von Lisieux hat Pater Antonio aufmerksam
gemacht. Sie schreibt Folgendes: Angenommen, der Sohn eines geschickten
Arztes stößt auf seinem Weg auf einen Stein, der ihn zu Fall bringt. In diesem
Sturz bricht er sich ein Glied. Sofort eilt sein Vater herbei, hebt ihn liebevoll
auf, pflegt seine Wunden und bedient sich dabei aller Hilfsmittel seiner
Wissenschaft. Bald ist der Sohn vollkommen hergestellt und bezeugt dem Vater
seine Dankbarkeit. Zweifellos hat dieses Kind allen Grund, seinen Vater zu
lieben. Doch ich will noch einen anderen Fall setzen. Der Vater, der wusste,
dass sich auf dem Weg seines Sohnes ein Stein befindet, eilt ihm voraus und
entfernt, ohne dass jemand ihn sieht, den Stein. Gewiss wird der Sohn
Gegenstand dieser vorausschauenden Liebe, der aber nicht weiß, welchem
Unheil er Dank dem Vater entrann, diesem keinen Dank bezeugen und ihn
weniger lieben als wenn er vom Vater geheilt worden wäre. Wenn er jedoch von
der Gefahr erfährt, der er soeben entronnen ist, wird er ihn da nicht mehr
lieben? Nun, ich selber bin dieses Kind.
Wir dürfen daraus ablesen, dass es eine Barmherzigkeit gibt, die sich einem
Menschen zuwendet, weil er in Bedrängnis geraten ist. Und es gibt eine
Barmherzigkeit, die vorausgeht und die Gefahren und die Steine aus dem Weg
räumt.
Mein Wunsch ist es, dass wir beide Formen der Barmherzigkeit sehen. Der eine
erlebt Barmherzigkeit als Heilung und Verzeihung nach dem Versagen, der
andere als vorauseilende Hilfe, die das Stolpern und das Fallen verhindert.
Entweder im Nachhinein oder im Voraus haben wir Gottes barmherzige
Zuwendung erfahren. Ich habe also kein Recht, auf andere herunterzuschauen,
weil sie vielleicht gestolpert sind. Genauso wie Gott mit mir umgegangen ist,
will ich mit den Menschen umgehen. Wer weiß, was er mir in seiner
Barmherzigkeit alles aus dem Weg geräumt hat, dass ich diesen Weg gehen
konnte. Ich lade ein, dass wir schauen, wo Gott uns aufgehoben hat, wo Gott ein
Auge zugedrückt hat, dass wir aber auch entdecken, wo mich Gott
vorausschauend vor so vielem bewahrt hat. Es gibt eine vorausschauende
Barmherzigkeit Gottes. Davon bitte ich zu reden. Wir haben nicht Produkte zu
verkaufen, sondern die Menschen an unseren Erfahrungen teilnehmen zu lassen.
Wir sollen nicht nur Auskunft geben über Barmherzigkeit, sondern
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gesprächsbereit über das sein, wie Gott uns nachsichtig oder vorausschauend
liebt.
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