Bildungspolitische Positionen der IHK Nord Westfalen Die betriebliche Bildung ist ein integraler Bestandteil des deutschen Bildungssystems. Die Unternehmen Nord-Westfalens stehen vor der drängenden Herausforderung, zukünftig ausreichend geeignete Fachkräfte zu gewinnen und zu sichern. Hierfür bildet die von den Wirtschaftskammern organisierte Ausbildung mit praktischer Unterweisung im Betrieb und theoretischem Unterricht in Berufs- oder Hochschule sowie anschließender lebensbegleitender Weiterbildung eine wesentliche Grundlage. Eltern, Staat und Unternehmen teilen die Verantwortung für eine erfolgreiche duale Ausbildung und die nachhaltige Qualifizierung. Diese Verantwortung beginnt mit der frühkindlichen Erziehung und Bildung, umfasst die allgemeinschulische Vorbereitung auf das Berufsleben, die Begleitung während der betrieblichen Ausbildung, die berufsbegleitende Weiterbildung sowie den Übergang zwischen diesen Lebensbereichen. Die IHK Nord Westfalen soll zur Fachkräftesicherung beitragen, indem sie die Ausbildung im dualen System fördert, als Bindeglied zwischen Schule und Wirtschaft auftritt und die Qualität in der beruflichen Bildung steigert. Mit ihren Ausbildungsangeboten eröffnet die Wirtschaft jungen Menschen umfassende berufliche sowie persönliche Entwicklungsmöglichkeiten und sichert gerade im technischen Bereich den dringend benötigten Fach- und Führungskräftenachwuchs. Die Vollversammlung der IHK Nord Westfalen beschließt daher folgende Leitlinien: I. Ausbildungsreife ist zu gewährleisten – Berufsorientierung ist zu verbessern! 1. Gute frühkindliche Bildung ist einer der entscheidenden Faktoren für mehr Chancengerechtigkeit. Potenziale frühkindlicher Bildung müssen ausgeschöpft werden. Geeignete Maßnahmen und Angebote müssen alle Kinder erreichen. Finanzielle Mittel müssen in frühkindliche Bildung und allgemeinbildende Schulen investiert werden, nicht in Warteschleifen. 2. Betriebseigene Kindertagesstätten sind durch das Land NRW mindestens in gleicher Weise zu fördern wie jede andere Kindertagesstätte auch. 3. Ausbildungsreife ist rechtzeitig in den allgemeinbildenden Schulen sicherzustellen. Leseund Rechtschreibkompetenzen sowie mathematische Fähigkeiten sind verstärkt zu fördern. Die Grundtugenden gesellschaftlichen Umgangs müssen beherrscht werden. Falls dennoch notwendig, sollten Jugendliche in Berufskollegs auf eine betriebliche Ausbildung vorbereitet werden. 1 4. Naturwissenschaftliche Bildung ist in allen Schulformen zu stärken (MINT-Fächer). 5. Schule muss Wirtschaftsverständnis umfangreicher vermitteln – als Rüstzeug für eine erfolgreiche Teilhabe am Wirtschaftsleben. 6. Wirksamer Unterricht auch in heterogenen Lernverbänden ist sicherzustellen. Inklusion muss so gestaltet werden, dass sie allen Schülerinnen und Schülern sowie deren Leistungsfähigkeit gerecht wird. Es ist kritisch zu hinterfragen, in welcher Ausprägung Inklusion sich bei Berufsvorbereitung und Ausbildung vorteilhaft für die Beteiligten auswirkt. 7. Jugendliche mit Defiziten – insbesondere mit sprachlichen – müssen durch eine frühzeitige und effektive Förderung zu einer gleichberechtigten Teilhabe am Wirtschaftsleben befähigt werden. Das Potenzial junger Flüchtlinge und Zuwanderer muss best- und frühestmöglich aktiviert werden. 8. Alle Schulen, insbesondere die Gymnasien, müssen ihre Pflicht zur Berufsorientierung umsetzen – alle Schülerinnen und Schüler sollen ein Jahr vor Schulende eine klare Vorstellung über ihre verschiedenen beruflichen Optionen haben. Dabei müssen die Chancen von Aus- und Weiterbildung aufgezeigt werden, um eine undifferenzierte Fokussierung auf ein Studium zu vermeiden. Das Land NRW muss dafür verlässliche Rahmenbedingungen gewährleisten und den Kontakt der Schülerinnen und Schüler zu Betrieben durchgehend fördern. Berufsorientierung sollte fester Bestandteil der Lehreraus- und Weiterbildung sein. Die Wirtschaft unterstützt die Berufsorientierung, wobei die Belange der Betriebe als gleichberechtigt beachtet werden müssen. 9. Alle Berufsorientierungs- und Übergangsangebote müssen auf ihre Wirksamkeit hin analysiert und aufeinander abgestimmt werden. Sie sollen eine Ausbildung vorbereiten und nicht das duale System aushöhlen. 10. Eltern tragen Verantwortung für Schulleistung, Ausbildungsreife und Berufsorientierung. 11. Abschlusszeugnisse der Schulen müssen für zukünftige Arbeitgeber aussagekräftig sein. Wohnortwechsel in andere Bundesländer dürfen wegen unterschiedlicher Schulstrukturen das schulische Fortkommen nicht übermäßig erschweren. II. Die Attraktivität der dualen Ausbildung ist zu erhöhen! 1. Duale Ausbildung durch Betriebe muss Vorrang haben vor berufsvorbereitenden Warteschleifen. Vollzeitschulische Ausbildungsangebote müssen eng begrenzte Ausnahmen bilden. Sie können das duale System nicht ersetzen und dürfen es nicht beschädigen. 2. Praxisnähe, Qualität und Effektivität des Berufsschulunterrichts müssen gewährleistet werden. Unter dieser Vorgabe ist den Betrieben eine möglichst betriebsortsnahe Beschulung anzubieten. Hierzu muss das Land Konzepte entwickeln, die berufsschulübergreifenden Unterricht sowie virtuelle Unterrichtungskonzepte einschließen. Die besonderen Herausforderungen des ländlichen Raumes sind etwa bei der Mindestgröße von Fachklassen zu berücksichtigen. 2 3. Die Gesamtnote der Berufsschule sollte als Pflichtfeld auf dem Abschlusszeugnis der IHK eingefügt werden. 4. Zusätzliche ausbildungsbezogene Verpflichtungen von Mitgliedsunternehmen sind nur im Konsens mit den IHKs zu regeln und dürfen keine bürokratischen oder finanziellen Belastungen verursachen. 5. Prüfungen und Ausbildungsordnungen sind an den Bedürfnissen der klein- und mittelständischen Wirtschaft zu orientieren. Sie müssen Attraktivität für alle Jugendlichen entfalten. Ausbildungsabschlüsse, die durch Leistungsschwächere bewältigt werden können, sind ebenso auszubauen wie Ausbildungsberufe für leistungsstarke Auszubildende. Alternative Einstiegsmodelle mit IHK-Abschluss für Leistungsschwächere sind weiterzuentwickeln, um ihnen den Einstieg in berufliche Bildung zu ermöglichen. Die Zahl der Ausbildungsberufe ist zu verringern. Inhaltlich müssen die Ausbildungsordnungen schneller und mit genügend Vorlauf für die Betriebe angepasst werden. III. Praxisnahe Weiterbildung für alle muss selbstverständlich werden! 1. Die vielseitige, freie und qualitativ hochwertige Weiterbildungslandschaft muss unterstützt werden – staatliche Weiterbildungsangebote dürfen die freie Weiterbildungsvielfalt nicht zurückdrängen. 2. Die Weiterbildungsbereitschaft Berufstätiger ist in den Unternehmen zu fördern. Die IHK unterstützt dies durch passende Angebote. 3. Bewährte Instrumente der Weiterbildungsförderung, z.B. Bildungscheck und Bildungsprämie, sind weiter zu entwickeln und auszubauen. 4. Berufsbegleitende Studienangebote sollten gemeinsam mit der IHK ausgebaut und insbesondere den betrieblichen Belangen angepasst werden. IV. Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung muss gelebt werden! 1. Die Durchlässigkeit zwischen betrieblicher und akademischer Bildung muss gelebt werden. Hierzu gehören die gegenseitige Anrechnung vergleichbarer Prüfungsleistungen sowie die angemessene Bewertung beruflicher Qualifikation. 2. Die angemessene Verankerung und Bewertung beruflicher Bildung (Ausbildung, Fachwirt- und Betriebswirtebene) ist sicherzustellen (z. B. in EQR, DQR und ECVET). Dies ist durch die angemessene Vergabe von Creditpoints für Leistungen im Rahmen der beruflichen Fortbildung zu unterstützen. Die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung ist öffentlich deutlich zu machen. 3. Der Zugang zu Hochschulen aufgrund beruflicher Bildung muss in der Praxis verbessert werden. Soweit notwendig müssen die Hochschulen mehr vorbereitende Angebote anbieten. Masterstudiengänge an Hochschulen müssen grundsätzlich für Absolventen der 3 Meister-Ebene geöffnet werden. Ausbildungsbegleitende Studienangebote müssen zusammen mit den Wirtschaftskammern ausgebaut werden. V. Die Qualität der beruflichen Bildung ist sicherzustellen! 1. Die Unternehmen der IHK Nord Westfalen fühlen sich einer guten betrieblichen Ausbildung verpflichtet. 2. Die hochwertigen und praxisnahen bundeseinheitlichen IHK-Prüfungen sind als Vorbild für alle berufsbezogenen Bildungsabschlüsse anzulegen. Ihre Ergebnisse müssen auf der ehrenamtlichen Mitwirkung der Wirtschaft beruhen, effizient gewonnen werden und aussagekräftig sein. Die Wirtschaft fühlt sich dieser Qualität der IHK-Prüfungen verpflichtet. 3. Die Wirtschaft bietet Ausbildung für alle Jugendlichen an. Die Verantwortung zur Ausbildung wird durch die faktische Ausbildungsreife begrenzt. Für die Ausbildung schwächerer Jugendlicher müssen staatliche Unterstützungsangebote wie ausbildungsbegleitende Hilfen oder assistierte Ausbildung vorgehalten werden. 4. Anerkennungsregeln und -praxis für ausländische Bildungsabschlüsse müssen verlässliche Aussagen über die erworbene Qualifikation gewährleisten, wie es durch die IHK FOSA sichergestellt wird. Verabschiedet von der Vollversammlung der IHK Nord Westfalen am 16. Juni 2015 4
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