Vergiftungen in der Schweiz - Schweizerische Ärztezeitung

AUTRES GROUPEMENTS ET INSTITUTIONS Tox Info Suisse
1310
Zur Beratungstätigkeit 2014 von Tox Info Suisse
Vergiftungen in der Schweiz
Hugo Kupferschmidt a , Christine Rauber-Lüthy b
a
Dr. med., eMBA-HSG, Direktor Tox Info Suisse, Zürich; b Dr. med., Stv. des Direktors und Leitende Ärztin
Tox Info Suisse führte 2014 37 427 Beratungen durch, knapp
übrigen schweren Medikamentenintoxikationen waren
34 500 Beratungen zu Giftexpositionen und 3000 pro-
Präparate für den Gastrointestinaltrakt (Insulin n = 3,
phylaktischer Natur. Gut 16 500 Giftexpositionen betrafen
und Glimepirid n = 1), für den Kreislauf (Digoxin n = 1),
Kinder, 83% davon jünger als 5 Jahre. Knapp drei Viertel
für den Atmungstrakt (Antitussiva vom Opioidtyp
aller Vergiftungen geschehen mit Medikamenten, Haus-
n = 1, Diphenhydramin n = 5, Chlorpheniramin n = 1,
haltsprodukten oder Pflanzen. Fünf der zehn Todesfälle
Promethazin n = 1) und für den Bewegungsapparat
gehen auf das Konto der Medikamentenvergiftungen,
(Mefenaminsäure n = 7, Tolperison n = 2, Tizanidin
zwei auf dasjenige von technisch-gewerblichen Chemika-
n = 1) beteiligt. Die restlichen schweren Vergiftungen
lien, je einer von Kosmetika und Pflanzen, und einer war
wurden
die Folge von Drogenkonsum. Von den schweren Fällen
(n = 4), Methotrexat (n = 2), Phenprocoumon (n = 1),
sind 70% durch Medikamente und 14% durch Genussmit-
Ciprofloxacin (n = 1), Ifosfamid (n = 1) und Scopolamin
tel und Drogen verursacht.
durch
alkoholische
Desinfektionsmittel
(n = 1) verursacht.
Bei den fünf Todesfällen durch Medikamente waren
* Der Schweregradbewer-
51,2% der Expositionen betrafen Kinder, mehrheitlich
bei zwei in suizidaler Absicht Trimipramin, Loraze-
im Vorschulalter (82,6% aller Expositionen bei unter
pam, Amitriptyline, Levomepromazine, Oxycodone,
16-Jährigen traten bei Kindern <5 Jahren auf). Bei der
Paracetamol, Metamizol, Zolpidem und (in einem Fall)
Geschlechtsverteilung war bei den Kindern ein leich-
Ethanol in unterschiedlicher Kombination eingenom-
tes Überwiegen der Knaben (51,2% vs. 47,1% Mädchen)
men worden. In einem Fall war eine versehentliche
und bei den Erwachsenen der Frauen (57,6% vs. 41,9%
Einnahme von Flecainid und Bisoprolol die Ursache.
(Persson HE et al. Clin
Männer) zu sehen. 88% der knapp 24 000 unbeabsich-
Zweimal war Methotrexat die Ursache einer tödlichen
Toxicol 1998; 36: 205–13). Er
tigten (akzidentellen) Vergiftungen ereigneten sich im
Vergiftung, einmal, weil es täglich anstatt wöchentlich
von Einzelsymptomen
häuslichen Milieu, bei den knapp 4900 beabsichtigten
eingenommen worden war, und einmal zusammen
und -befunden nach
Intoxikationen trat die grösste Anzahl (72%) im Rah-
mit einer Paracetamol-Überdosierung.
men von Suizidversuchen auf.
Genussmittel, Drogen und Alkohol führten zu 38 schwe-
tung durch Tox Info Suisse
liegt der Poisoning
Severity Score zugrunde
beruht auf der Bewertung
festen Kriterien. Eine
Vergiftung ist demnach
leicht, wenn Symptome
auftreten, die wenig beeinträchtigend sind und in
der Regel spontan wieder
verschwinden. Eine mittelschwere Intoxikation
liegt dann vor, wenn
behandlungswürdige und
Schwere und tödliche Vergiftungen in
der Schweiz 2014
Von 193 schweren* Vergiftungen mit Medikamenten
(davon 5 Kinder) ereigneten sich 161 mit Mitteln für
länger anhaltende Sym-
das Nervensystem, im wesentlichen Analgetika (v.a.
ptome vorhanden sind.
Opioide, Paracetamol), Antiepileptika (Phenobarbital,
Schwere Symptome sind
ausnahmslos immer
Carbamazepin, Lamotrigin, Valproinsäure und Leveti-
behandlungswürdig,
racetam) und Psychopharmaka (Benzodiazepine n = 30,
lebensbedrohlich, und/
oder führen zu bleibenden
Beeinträchtigungen.
Antidepressiva n = 40, Antipsychotika n = 34, davon
Quetiapin n = 16, Zolpidem und Zopiclon n = 7). Bei den
Intoxications en Suisse
En 2014, Tox Info Suisse a recensé 37 427 demandes de renseignement
dont près de 34 500 avec exposition et environ 3000 de nature préventive.
Plus de 16 500 expositions concernaient des enfants, dont 83% âgés de
ren und einer tödlichen Vergiftung. 20 betrafen Alkoholvergiftungen, acht Halluzinogene und Stimulanzien
(inkl. Ecstasy), vier Kokain, und fünf Opiate. Einer war
die Folge von Gammahydroxybutyrat (GHB). Dazu kam
eine Vergiftung mit «Poppers» (flüchtige Nitrite). Bei den
Alkoholvergiftungen wurden mit einer Ausnahme auch
noch Medikamente oder andere Drogen konsumiert.
Bei den fünf schweren Opiatintoxikationen, vier davon
mit Heroin, stand das typische klinische Bild mit Koma
und Atemdepression im Vordergrund, obschon bei
allen weitere Drogen mitkonsumiert worden waren
(Alkohol, Kokain, Benzodiazepine, Cannabis). Alle Patienten erholten sich.
Bei den sieben Patienten, die Halluzinogene (LSD =
Lysergsäurediethylamid)
und
Stimulanzien
(z.B.
Amphetamin, Methamphetamin, MDMA [Methylendio
xymethamphetamin/«Ecstasy»], Phencyclidin [PCP],
moins de 5 ans. Près de trois quarts de toutes les intoxications sont dues
Methylendioxypyrovaleron [MDPV] und Mephedron),
aux médicaments, aux produits domestiques et aux plantes. Cinq cas fa-
teils zusammen mit weiteren Drogen, konsumiert hat-
tals sur les dix recensés étaient des intoxications dues aux médicaments,
ten, traten Agitation, Halluzinationen, aber auch Koma
deux aux produits chimiques industriels (l’un agricole, l’autre cosmétique)
auf, dazu Hyperthermie und schwere Rhabdomyolysen.
et un cas à des drogues. Parmi les cas graves, 70% ont été causés par des
Vor allem unter den synthetischen Kathinonen kam es
médicaments et 14% par des produits d’agrément et des drogues.
zu schwerster Agitation. Bei einer jungen Frau kam es
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nach Konsum von Speed zum Kammerflimmern und
Gabe von Lipidemulsion und intensivmedizinischen
zum Tod.
Massnahmen verstarb.
Bei vier Patienten, alles Männer, die Kokain mit ande-
Bei den Haushaltsprodukten traten 15 schwere Intoxika-
ren Stimulanzien und Alkohol konsumiert hatten,
tionen auf, darunter drei bei Kleinkindern. Bei zwei die-
kam es zu ausgeprägten sympathomimetischen Zei-
ser Kinder kam es durch Aspiration nach Trinken von
chen mit Agitation, Krampfanfällen, Stenokardien,
niedrigviskösen Kohlenwasserstoffen (Petrol bzw. An-
neurologischen Ausfällen und Rhabdomyolyse.
zündflüssigkeit) zu Pneumonien, und ein drittes Kind
Ein Patient machte nach Absetzen einen schweren GHB-
erlitt Verätzungen des oberen Gastrointestinaltraktes
Entzug durch mit Rigor, Tremor, Schwitzen, Agitation
nach akzidenteller Einnahme eines salpetersäurehalti-
und Desorientierung. Er musste sediert und intubiert
gen Kalk- und Rostlösers. Ein Erwachsener verschluckte
werden. Bei einem anderen Mann kam es nach Ein-
Lampenöl zusammen mit einem Entkalker und Medika-
nahme von Poppers (flüchtige Nitrite) und Alkohol zu
menten, wurde bewusstlos, musste erbrechen und erlitt
einer schweren Methämoglobinämie, die die Gabe des
schwere Koagulationsnekrosen vom Oesophagus bis ins
Antidots Methylenblau nötig machte. Nach vorüber-
Duodenum ohne Perforation. Er musste intubiert wer-
gehender Agitation war der Verlauf komplikationslos.
den und entwickelte septische Komplikationen, erholte
Expositionen mit Pflanzen führten 2013 zu drei schwe-
sich aber nach Tagen. Ein anderer Mann entwickelte ein
ren und einer tödlichen Vergiftung. Einer dieser Fälle
Alveolarödem mit Ateminsuffizienz nach Einnahme
betraf ein dreiwöchiges Kind, das wegen Verdauungsbe-
und Aspiration eines Fleckenschutzsprays, der niedrig-
schwerden Sternanistee (Illicium verum) erhielt und dar-
visköse Kohlenwasserstoffe enthält; er erholte sich nach
aufhin Krampfanfälle entwickelte; durch den Nachweis
wenigen Tagen. Eine grosse Menge Grillanzündflüssig-
von Anisatin in den Früchten wurde der Nachweis er-
keit zusammen mit Alkohol und Medikamenten trank
bracht, dass der Tee mit dem toxischen japanischen
ein junger Mann, was zu einem Koma führte. Ebenfalls
Anis (Illicium anisatum) kontaminiert war. Ein männli-
ein tiefes Koma war die Folge der Einnahme von Ethanol
cher Patient trank einen Tee aus Engelstrompete (Brug-
(Brennsprit bzw. Händedesinfektionsmittel) bei zwei
mansia aut Datura suaveolens), entwickelte ein schwe-
Männern mittleren Alters. Eine betagte Frau erlitt ausge-
res anticholinerges Syndrom mit Koma, Tachykardie,
dehnte Ulzerationen und Nekrosestrassen im gesamten
Mydriasis und trockenen Schleimhäuten, wurde mit
oberen Gastrointestinaltrakt nach der Einnahme einer
Physostigmin behandelt und erholte sich innert eines
grösseren Menge handelsüblichen Entkalkers. Sie er-
Tages vollständig. Eine Frau erlitt nach dem Genuss von
holte sich unter konservativer Behandlung innert
Bärlauch, der durch Verwechslung mit Herbstzeitlosen-
einiger Tage. Die Einnahme grösserer Mengen ethylen-
blättern (Colchicum autumnale) vermischt war, eine
glykolhaltiger Kühlerflüssigkeit fürs Auto bewirkte bei
schwere Colchicinvergiftung mit Leukopenie, Throm-
einer jungen Frau zweimal eine ZNS-Depression und
bopenie und Agranulozytose, Niereninsuffizienz und
eine metabolische Azidose; sie wurde beide Male
Leberschädigung. Sie erholte sich unter konservativer
hämodialysiert und erholte sich ohne Entwicklung einer
Therapie innert drei Wochen. Ein Mann entwickelte
Niereninsuffizienz. Ein Mann mittleren Alters trank ei-
nach der Einnahme von Eisenhutwurzeln (Aconitum na-
nen Reiniger für Geschirrspülmaschinen, aspirierte und
pellus) schwere Kammerarrhythmien, an denen er trotz
entwickelte eine metabolische Azidose und schwere pul-
Tabelle 1: Häufigkeit der Vergiftungen beim Menschen nach Noxengruppen (Tox Info Suisse 2014).
Noxengruppen/Altersgruppen
Alter undefiniert
Total
Medikamente
5 775
4 909
11
10 695
35,3%
Haushaltsprodukte
2 592
5 437
12
8 041
26,6%
554
2 332
4
2 890
9,5%
1 545
407
10
1 962
6,5%
Körperpflegemittel und Kosmetika
290
1 588
–
1 878
6,2%
Nahrungsmittel und Getränke
738
558
5
1 301
4,3%
Pflanzen
Technische und gewerbliche Produkte
Erwachsene
Kinder
Genussmittel, Drogen und Alkohol
583
420
1
1 004
3,3%
Produkte in Landwirtschaft und Gartenbau
350
360
1
711
2,3%
Pilze
280
182
1
463
1,5%
(Gift-)Tiere
231
117
–
348
1,1%
46
50
–
96
0,3%
Tierarzneimittel
Andere oder unbekannte Noxen
Total
647
220
6
873
13 631
16 580
51
30 262
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2,9%
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Tabelle 2: Häufigkeit der Noxengruppen und Vergiftungsschweregrad der auswertbaren ärztlichen Rückmeldungen (STIZ 2013) zu Giftkontakt beim
Menschen (nur hohe Kausalität), Medikamente nach ATC-Codegruppen.
Erwachsene
Kinder
Noxengruppen/
Schweregrad
O
L
M
S
Medikamente
371
1341
470
188
T
Total
O
L
M
S
T
5
317
220
61
5
–
2978
62,6%
davon
Nervensystem
245
1109
360
157
2
97
126
39
4
–
2139
Atemwege
14
55
23
8
–
47
24
7
–
–
178
Bewegungsapparat
39
71
30
9
–
38
17
4
1
–
209
Kreislauf
27
39
17
1
1
36
9
1
–
–
131
7
14
14
14
–
29
13
4
–
39
53
26
9
2
70
31
6
Haushaltsprodukte
37
147
31
12
–
102
125
14
3
–
471
Technische und gewerbliche Produkte
35
273
52
11
2
10
40
7
1
–
431
9,1%
Genussmittel, Drogen und Alkohol
21
120
136
38
1
10
18
6
–
–
350
7,4%
Pflanzen
9
22
26
2
1
28
30
7
1
–
126
2,6%
Pilze
2
29
14
2
–
24
3
1
–
–
52
1,1%
Verdauung
übrige
85
236
9,9%
Körperpflegemittel und Kosmetika
7
21
1
–
1
22
36
2
–
–
90
1,9%
Produkte für Landwirtschaft und Gartenbau
4
23
8
4
–
7
4
1
–
–
51
1,1%
(Gift-)Tiere
4
14
8
5
–
3
10
7
1
–
52
1,1%
Nahrungsmittel und Getränke
4
10
9
–
–
4
6
2
–
–
35
0,7%
Tierarzneimittel
3
1
–
1
–
1
2
–
–
–
8
0,2%
Andere oder unbekannte Noxen
6
47
17
4
–
5
10
1
–
–
90
503
2048
772
267
10
533
504
109
11
–
4757
Total
1,9%
100%
Schweregrad des Verlaufs: O = asymptomatisch, L = leicht, M = mittel, S = schwer, T = tödlich
monale Komplikationen mit mehrmonatiger Hospitali-
Zu zwölf schweren und zwei tödlichen Vergiftungen
sation und Rehabilitation. Ein anderer Mann musste
kam es durch technisch-gewerbliche Produkte, mit einer
wegen Verätzungen und Schwellung im Rachenbereich
Ausnahme alle bei Erwachsenen. Ein Mann verstarb
nach Verschlucken eines natronlaugehaltigen Rohr-
nach Einnahme von Zyankali, ein anderer überlebte
reinigers notfallmässig intubiert werden. Eine Frau
eine ähnliche Episode. Zum anderen Todesfall kam es
erbrach Frischblut nach Einnahme von Nagellack, des
bei einem Erwachsenen nach Einnahme von ca. 300 g
Inhalts eines HotCold-Packs und einer Glasscherbe.
Natriumhydroxidpellets für die Abflussreinigung; er
Mit Kosmetika und Körperpflegemitteln waren 2014 ein
verstarb an den Folgen von Oesophagusverätzungen
tödlicher und drei mittelschwere Vergiftungen bei
und einer Magenperforation. Jedes Jahr führen Ätz-
zwei Kindern und zwei Erwachsenen zu verzeichnen.
stoffe zu schweren Vergiftungen: Ein eineinhalbjähri-
Zwei mittelschwere Fälle betrafen zwei gut einjährige
ges Kleinkind erwischte zuhause 80%ige Essigsäure,
Kleinkinder, die auf dem Wickeltisch die Babypuder-
die in der Küche verwendet wird, und erlitt durch die
dose erwischten und den talkumhaltigen Inhalt über
Einnahme schwere Verätzungen des Rachens und der
sich schütteten. Sie entwickelten in der Folge einen
Speiseröhre. Es musste wegen der schwellungsbeding-
starken anhaltenden Husten, der eine medizinische
ten Verlegung der Atemwege einige Tage intubiert
Überwachung nötig machte. Die beiden Erwachsenen
werden und blieb vier Wochen hospitalisiert. Zu Verät-
tranken beide eine grosse Menge Flüssigseife bzw.
zungen des oberen Gastrointestinaltraktes kam es bei
Shampoo, was zu einer Pneumonie führte, an welcher
einem Mann durch die Einnahme eines stark alkali-
einer der beiden Patienten verstarb.
schen Zementmörtelhärters, bei einem anderen durch
Mit Nahrungsmitteln und Getränken kam es 2014 zu
basischen Melkmaschinenreiniger; beide überstanden
keiner schweren, wohl aber neun mittelschweren
die schweren inneren Verletzungen. Auch durch Inha-
Vergiftungen, die durch unverträgliche oder verdor-
lation von ätzenden Dämpfen kann es zu schweren
bene Nahrungsmittel, Meeresfrüchte, Chilischoten und
Symptomen kommen: Einem Mann geriet am Arbeits-
(koffeinhaltige) Nahrungsergänzungsmittel bedingt
platz ein Produkt aus fast reiner Essigsäure und Form-
waren. Ein halbwüchsiger Knabe versuchte, einen Ge-
aldehyd auf die Haut und in die Augen. Neben den
genstand mit dem Mund aus Mehl zu fischen, worauf
kutanen Läsionen führte die Inhalation der Dämpfe zu
er aspirierte und Husten und Atemnot entwickelte.
Verätzungen der Atemwege, was die Intubation nötig
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machte. Er erlitt einen komplizierten Verlauf mit ARDS
kose behandelt und erholte sich rasch. Ebenfalls Pflan-
und mehrwöchiger Hospitalisation. Chlorhaltige Ver-
zendünger nahm ein älterer Mann ein; bei ihm trat
bindungen können durch Säurebeimischungen Chlor-
eine schwere nitratbedingte Methämoglobinämie
gas freisetzen, das stark reizend auf die Atemwege
(60%) auf, die erfolgreich mit dem Antidot Methylen-
wirkt. Am Arbeitsplatz waren dies bei einem Patienten
blau behoben wurde. In einem letzten Fall wurde ein
Natriumhypochlorit und Phosphorsäure, bei einem
Mann Opfer einer Vergiftung durch Dritte mit dem In-
zweiten eine chlorhaltige Schwimmbadchemikalie
sektizid Imidacloprid. Er entwickelte Somnolenz und
und Salzsäure, was zu Augenbrennen, starkem Husten
Erbrechen, eine schwere Rhabdomyolyse und einen
und Atemnot führte. Beide erholten sich ohne Not-
Leberzellschaden, wovon er sich unter intensivmedizi-
wendigkeit der Intubation komplikationslos innert
nischer Behandlung wieder erholte.
Tagen. Alkoholhaltige Chemikalien wie Flächen- oder
Giftige Tiere: Insgesamt kam es 2014 zu 15 mittelschwe-
Händedesinfektionsmittel können Anlass zu schweren
ren und sechs schweren Bissen oder Stichen durch gif-
Alkoholvergiftungen geben. Eine Frau wurde kurz
tige Tiere (16 Schlangen*, ein Fisch, eine Qualle, eine
nach der Einnahme verwirrt, agitiert und aggressiv,
Spinne und zwei Insekten), sieben bzw. einer davon bei
später tief komatös und musste intubiert werden. Eine
Kindern.
andere Patientin wurde ebenfalls rasch komatös, er-
Pilze: Im letzten Jahr ereigneten sich zwei schwere Pilz-
brach blutig und aspirierte. Auch sie musste intubiert
vergiftungen. In beiden, von einander unabhängigen,
werden und machte einen komplizierten Verlauf durch.
Fällen ass ein Ehepaar selbstgesammelte, nicht kon-
Eine andere Frau trank eine Kupfersulfatlösung, was
trollierte Pilze, und beide Male entwickelten die Eheleute
rezidivierendes Erbrechen und vorübergehende Ge-
eine Gastroenteritis, und die beiden Frauen eine schwere
schmacksstörung zur Folge hatte. Ein Mann entwi-
Leberschädigung, von der sich beide unter intensiv-
ckelte eine schwerste Methämoglobinämie, Hämolyse,
medizinischer Betreuung erholten. Beide zeigten stark
Rhabdomyolyse durch grossflächige kutane Exposi-
erhöhte Transaminasen und INR, aber keine Enzephalo-
tion mit reinem Anilin und überlebte dies trotz wie-
pathie. Beide wurden antidotal mit Silibinin und N-Ace-
derholter Gabe des Antidots Methylenblau nur knapp.
tylcystein behandelt. Im ersten Fall konnte der Pilzex-
Eine junge Frau hantierte über längere Zeit mit ele-
perte in den Essensresten Amanita phalloides nachweisen,
mentarem Quecksilber, was massiv erhöhte Queck-
auch der Urintest auf Amanitin war deutlich positiv. Im
silberblutspiegel (1200 nmol/L, normal <50) zur Folge
zweiten Fall, bei dem sich die Patientin erst fünf Tage
hatte; sie wurde wiederholt mit DMPS cheliert und
nach dem Genuss der Pilze vorstellte, war kein Pilzmate-
blieb längere Zeit hospitalisiert.
rial mehr vorhanden, und für den Nachweis im Urin war
Mit Stoffen in Landwirtschaft und Gartenbau ereigneten
es zu spät. Hier führte die Beschreibung des Sammelgu-
sich vier schwere Vergiftungsfälle. Ein junger Mann
tes zur Verdachtsdiagnose. Bei beiden Ehemännern ver-
wurde auf einem Zuckerrübenfermenter ohnmächtig
lief die Vergiftung symptomatisch, aber milder.
und stürzte hinein. Es bestand der Verdacht auf silo-
Andere Noxen: Ein junger Mann entwickelte nach Rauch-
gasbedingte Kohlendioxidvergiftung (pCO2 68 mm Hg).
gasinhalation bei einem Hausbrand ein toxisches Lun-
Er musste wegen eines Kreislauf- und Atemstillstandes
genödem, aber keine CO-Vergiftung. Der Verlauf war
kurz reanimiert werden und zeigte danach eine ausge-
durch eine gleichzeitig eingenommene Medikamen-
prägte respiratorische Azidose, eine Hypothermie und
tenüberdosis verkompliziert. Ein älterer Mann erlitt,
die Zeichen der bronchialen Aspiration. Er wurde für
ebenfalls bei einem Wohnungsbrand, eine Rauchgas-
zwei Tage intubiert, benötigte kurz Katecholamine
vergiftung mit Koma und erhöhtem COHb (36%) und
* Näheres zu den Schlangen-
und erhielt eine antibiotische Behandlung, mit rascher
Laktat. Die Kohlenmonoxidintoxikation wurde mit
bissen ist in der Einleitung
Erholung. Ein weiterer junger Mann stürzte in die
Sauerstoff behandelt, bei Verdacht auf Zyanidvergif-
beschrieben (in Vorberei-
Jauchegrube eines Schweinestalles und zog sich dabei
tung wurde Hydroxocobalamin gegeben. Damit er-
tung).
neben einer Rippenkontusion asphyktische Beschwer-
holte sich der Patient rasch. Bei einer älteren Frau
den mit Agitation, Verwirrung, Desorientiertheit und
führte ein schlecht ziehendes Cheminée im Schlaf zu
Amnesie zu. Zudem musste er erbrechen. Radiologisch
einer Rauchgasexposition mit Kohlenmonoxidvergif-
zeigte sich ein akut toxisch bedingtes alveoläres Lun-
tung (COHb 14%) und toxischem Lungenödem. Sie er-
eMBA-HSG
genödem. Alle Symptome bildeten sich innert weniger
hielt Sauerstoff 100% und erholte sich unter intensiv-
Tox Info Suisse
Tage unter konservativer Behandlung zurück. Eine be-
medizinischer Behandlung. Auch der vierte Patient war
CH-8032 Zürich
tagte Frau entwickelte nach Einnahme eines Flüssig-
bei einem Wohnungsbrand Rauchgasen ausgesetzt.
Tel. 044 251 66 66
düngers und eines glyphosathaltigen Herbizids eine
Er war initial bewusstlos und sein COHb betrug 22,7%.
Hyperkaliämie von 7,2 mmol/l und eine metabolische
Er wurde mit Sauerstoff behandelt und erholte sich
Azidose. Sie wurde mit Bikarbonat und Insulin-Glu-
schnell.
zur Antidotliste 2015/2016
Korrespondenz:
Dr. med. H. Kupferschmidt,
Freiestrasse 16
Fax 044 252 88 33
hugo.kupferschmidt[at]
toxinfo.ch
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