Typische Elektrounfälle 2013 untersuchte das Starkstrominspektorat 133 Berufs- und 6 Nichtberufsunfälle. Teils waren die Verunfallten unvorsichtig, es kommt aber auch immer wieder vor, dass gefährliche Installationen Unschuldige verletzen oder gar töten. Die hier geschilderten Beispiele sollen Elektrofachleute sensibilisieren, um weitere Unfälle zu vermeiden. Guido Santner * Ein Netzelektriker hatte den Auftrag, eine neue Hausverteilung anzuschliessen. Das Anschlusskabel sollte nicht unter Spannung stehen, da es in der Verteilkabine ausgeschaltet wurde. Zur Sicherheit überprüfte er das Kabel trotzdem auf Spannungsfreiheit – und löste dabei einen Kurzschluss aus. Der Netzelektriker verbrannte sich an den Händen und im Gesicht. Wie konnte das passieren? In der Verteilkabine war das Abgangkabel noch nach der alten Strassenbezeichnung bezeichnet. Es kam zur Verwechslung und das falsche Kabel wurde ausgeschaltet. Das Anschlusskabel für die Hausverteilung war also entgegen Erwarten unter Spannung. Da es abgeschnitten war, war es für den Netzelektriker nicht einfach, die Spannung zu messen. Zudem handelte es sich um ein Kabel mit einem konzentrischen PENLeiter, der als Metallgeflecht die Aussenleiter umschliesst. Als der Netzelektriker mit einem alten Messgerät, dessen Messspitzen nicht ausreichend isoliert waren, die Spannung messen wollte, berührte er gleichzeitig einen Aussenleiter und den konzentrischen PEN-Leiter. Damit löste er den folgenschweren Kurzschluss aus. Das Starkstrominspektorat stellte nach dem Unfall fest, dass die Folgen geringer ausgefallen wären, wenn der Netzelektriker die persönliche Schutzausrüstung (PSA) getragen hätte. Insbesondere der Helm mit Visier und die Handschuhe hätten die Verletzungen verhindert. Zudem müssen Messgeräte der Norm SN EN 61010-031 entspre- * Guido Santner, freier Fachjournalist chen, die sicherstellt, dass die Messspitzen mit einer Isolation gesichert sind. Bei Messungen im Bereich CAT III und CAT IV dürfen die blanken Messspit- verteilung war in offener Bauweise ausgeführt. Der Verunfallte deckte die spannungsführenden Teile nicht ab und berührte den Anschluss ab dem Transformator, als er die Erdungsmessung durchführen wollte. Sein Finger berührte dabei den spannungsführenden Leiter und das metallene, geerdete Gehäuse der Niederspannungs-Hauptverteilung. Das Starkstrominspektorat ESTI stellt fest, dass die persönliche Schutzausrüstung (PSA) beim Betreten einer offenen Niederspannungs-Hauptvertei- Der Netzelektriker wollte zur Sicherheit messen, ob das Anschlusskabel unter Spannung steht. Dabei löste er einen Kurzschluss aus und verbrannte sich Hände und Gesicht. zen maximal 4 mm betragen. Das alte Messgerät des Netzelektrikers erfüllte diese Norm nicht. Aber auch bei modernen Messspitzen darf die Schutzkappe für CAT III und CAT IV-Messungen nicht entfernt werden. Erdungsmessung in Hauptverteilung Ein anderer Netzelektriker elektrisierte sich stark in einer NiederspannungsHauptverteilung. Dabei verbrannte er sich einen Finger. Er wollte eine Erdungsmessung durchführen und war sich der Gefahr nicht bewusst, obwohl er wusste, dass die Hauptverteilung unter Spannung stand. Die Niederspannungs- lung immer getragen werden muss. Wer in der Nähe von spannungsführenden Teilen arbeitet, muss diese abdecken. Dies gelte auch für das Anbringen von Messgeräten und deren Leitungen. Sturz von der Leiter Eine Elektrisierung kann auch indirekt zur Verletzung führen, insbesondere, wenn man auf einer Leiter arbeitet, wie der Montageelektriker im folgenden Unfallbeispiel: Er hatte den Auftrag, Kanäle, Rohre, Schalter und Steckdosen zu lösen, um nach der Arbeitsortfreigabe die Installation zu demontieren. Der Montageelektriker wusste, Elektrotechnik 1/15 | 57 Aus- und Weiterbildung Risiken im Umgang mit Elektrizität Aus- und Weiterbildung Die Messspitzen des alten Messgeräts waren ungenügend isoliert. Die ungedeckte, blanke Spitze darf höchstens 4 mm betragen. dass die Installation noch unter Spannung stand. Ohne dass er einen entsprechenden Auftrag erhalten hätte, öffnete er nun eine Abzweigdose, um die Schalterleitung abzuklemmen. Dabei berührte er den spannungsführenden Aussenleiter der Zuleitung. Da er gleichzeitig das Kabeltrassee berührte, wurde er elektrisiert und stürzte von der Leiter auf den Boden. Dabei brach es sich einen Brustwirbel. Das Starkstrominspektorat warnt bei Demontagearbeiten davor, dass elek-trische Installationen immer das Risiko beinhalten, dass einzelne Teile davon noch unter Spannung stehen. Bei solchen Arbeiten muss abgeklärt werden, wo Personen gefährdet sind, wo Installationen noch unter Spannung stehen. Es muss schriftlich festgehalten wer-den, welche Massnahmen getroffen werden und wer verantwortlich ist. Elektrische Installationen müssen vor der Demontage immer ausgeschaltet und vom Netz getrennt werden. Spannungsführende Drähte müssen isoliert werden. Mikrowellenherd unter Spannung Nicht immer trifft den Verunfallten eine Schuld: Ein Monteur sollte ein defektes Mikrowellengerät reparieren. Als er das Gerät aus der Nische herausziehen wollte, wurde er elektrisiert. Die Untersuchung ergab, dass ein früherer Bewohner eine AP-Steckdose 3 × T12 installierte, die aber nur mit einem TD 2 × 1 mm2 angeschlossen wurde – der Schutzleiter war nicht angeschlossen. Das führte dazu, dass das Gehäuse des Mikrowellenofens unter 115 V Spannung stand. Das Starkstrominspektorat verlangte umgehend eine Installationskontrolle für die gesamte Wohnung. Nicht geerdete Steckdosen müssen sofort entfernt werden. Ebenso ahnungslos traf es jenen Bauarbeiter, der ein unter Spannung stehen- 58 | Elektrotechnik 1/15 Wer eine offene Niederspannungs-Hauptverteilung betritt, muss die persönliche Schutzausrüstung (PSA) tragen. (alle Bilder: ESTI) des Absperrgitter berührte: Er hielt sich mit beiden Händen an zwei verschiedenen Absperrgittern fest. Der Befestigungspfahl eines Absperrgitters durchbohrte ein PUR-Kabel und beschädigte einen Aussenleiter. Das Gitter stand unter einer Spannung von 230 V. Es floss ein Strom von rund 230 mA durch den Körper des Arbeiters (Widerstand ArmArm = 1000 ⍀). Das Starkstrominspektorat hält fest, dass ein Strom von 50 bis 80 mA bereits tödlich sein kann. Der Verunfallte hatte Glück, dass sein Kollege den Baustromverteiler gerade noch rechtzeitig ausschalten konnte. Weniger Glück hatten jene zwei Dachdecker, die eine «geflickte» Kabelrolle benutzten. Es regnete stark, wodurch die geflickte Stelle des Kabels auf das Kupferdach durchschlug. Dadurch geriet die Dachrinne aus Kupfer unter Spannung und beide Dachdecker starben bei der Berührung durch einen Stromschlag. Leider war die Installation nicht mit einem Fehlerstromschutzschalter RCD (FI) geschützt, die den Unfall verhindert hätte. Tödliche Unfälle Insgesamt ereigneten sich 2013 sechs tödliche Elektrounfälle. Neben dem bereits erwähnten mit zwei Opfern starb ein Metallbauer, als er seinen Winkelschleifer reparieren wollte. Die Maschine hatte einen Wackelkontakt. Er öffnete die Abdeckung und versuchte, mit einem Sackmesser die Anschlusskabel zu reparieren. Das Kabel stand allerdings noch unter Spannung – es war nach wie vor eingesteckt. Weil der Verunfallte auf einem Holzgerüst stand, passierte zunächst nichts. Dann berührte er aber den Aussenleiter und den Neutralleiter gleichzeitig und elektrisierte sich tödlich. Der Fehlerstromschutzschalter löst in solchen Fällen nicht aus und konnte den Unfall nicht verhindern. In der Industrie und im Gewerbe kommt es immer wieder vor, dass Personen ohne Erfahrung und ohne die nötige Installationsbewilligung an elektrischen Installationen arbeiten. So installierte ein weiteres Opfer an einem Kabel für die Anspeisung anstelle einer Steckdose (weiblich) einen Stecker (männlich). Die Stifte standen nun unter Spannung und als der Verunfallte mit einer Hand eine Wasserleitung umfasste und mit der Ferse den spannungsführenden Stecker berührte, wurde er elektrisiert. Seine Muskeln verkrampften sich und er konnte die Wasserleitung nicht mehr loslassen. Fehler in der Installation Zu tödlichen Unfällen kam es 2013 auch aufgrund von Fehlern in der Installation. Eine Frau wurde beim Duschen elektrisiert, weil ein Metallgriff unter Spannung stand: In einer alten Steckdosenklemme war der Neutralleiter unterbrochen. Da es eine alte Installation nach Schema III war, geriet dadurch der Schutzleiter unter Spannung. Über den daran angeschlossenen Spiegelschrank und ein Metallgitter unter dem Putz geriet die Spannung an den Handgriff in der Dusche. Ein weiterer Unfall ereignete sich in einer Hafenanlage: Der Verunfallte schwamm im Wasser und näherte sich einem Schiffssteg. Hier wurde er so stark elektrisiert, dass er noch auf der Unfallstelle verstarb. Es zeigte sich, dass die Muffe eines Kabels für die Stromversorgung der Stegbeleuchtung nicht korrekt Aus- und Weiterbildung Bei starkem Regen schlug die Spannung durch die geflickte Stelle auf das Kupferdach über und tötete zwei Dachdecker. Als der Verunfallte eine Erdungsmessung durchführen wollte, berührte er den darüber liegenden Anschluss ab Trafo. montiert wurde. Durch einen Spalt drang Wasser in die Muffe ein und es floss ein dauernder Kriechstrom, der zu einer tödlichen Berührungsspannung führte. Dies wurde bei der Erstprüfung bei der Erneuerung der Beleuchtung im Jahr 2012 nicht erkannt, weil die Prüfung nicht vollständig durchgeführtwurde. Sicherheit der Mitarbeiter Das Risiko, bei einem Elektrounfall das Leben zu verlieren, ist 50-mal höher als bei anderen Unfällen. In der Schweiz erleiden laut Suva jährlich 430 Elektrofachleute einen Elektrounfall. 2 bis 3 verlieren dabei ihr Leben, gegen 50 erleiden schwerste Verletzungen. Die Suva hat deshalb zusammen mit dem Starkstrominspektorat eine Kampagne zum sicheren Umgang mit Strom lanciert: 5 + 5 lebenswichtige Regeln im Umgang mit Elektrizität. Neu sind insbesondere die organisatorischen Massnahmen, für welche die Firmen verantwortlich sind. Daneben gelten die fünf bekannten Sicherheitsregeln (siehe Kasten Seite 54). Durch die 5 + 5 Regeln hätten viele der hier geschilderten Unfälle vermieden werden können. ■ Elektrotechnik 1/15 | 59
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