NACHHALTIGKEIT IN DER LIEFERKETTE VON KMU IN DER TECHNISCHEN INDUSTRIE HERAUSFORDERUNGEN UND POTENTIALE AM FALLBEISPIEL THIEN EDRIVES Masterarbeit eingereicht an der IMC Fachhochschule Krems Fachhochschul-Masterstudiengang Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagement von Theresia TSCHOL-ALSANTALI zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts in Business (MA) Betreuer: Dr. Ferdinand Koch, MSc Eingereicht am: 01.10.2015 Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Masterarbeit selbstständig verfasst und in der Bearbeitung und Abfassung keine anderen als die angegebenen Quellen oder Hilfsmittel benutzt sowie wörtliche und sinngemäße Zitate als solche gekennzeichnet habe. Die vorliegende Masterarbeit wurde noch nicht anderweitig für Prüfungszwecke vorgelegt. Lustenau, 01.10.2015 Mag.a Theresia Tschol-Alsantali II Danksagungen Ohne die Unterstützung zahlreicher Menschen hätte die vorliegende Arbeit nicht realisiert werden können. Ich danke den Lehrenden, insbesondere Studiengangsleiter DI Roman H. Mesicek und meinen KollegInnen unseres Jahrgangs an der IMC FH Krems für die spannenden Inhalte, regen Diskussionen und schönen Momente auch abseits des Studiums. Mein Dank gilt im Besonderen Dr. Ferdinand Koch, MSc für seine wertvollen Inputs im Rahmen der Betreuung dieser Masterarbeit. Für die kooperative und angenehme Zusammenarbeit danke ich der Firma THIEN eDrives, die mir äußerst wertvolle Einblicke in ihr Unternehmen gewährte. Bei allen acht GesprächspartnerInnen bedanke ich mich für ihre Offenheit und Bereitschaft, mich an ihren Erfahrungen und Sichtweisen teilhaben zu lassen. Darüber hinaus bin ich meinen Arbeitgebern respACT und Rhomberg Bau zu Dank verpflichtet, die mich und meine Weiterbildungsambitionen stets gefördert haben. Die Unterstützung meiner Familie und von Freundinnen und Freunden hat ebenfalls wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Der größte Dank gilt meinem Mann Jamal, der mir zu jeder Zeit den nötigen Rückhalt gegeben hat und mir mit seinem Humor und seiner liebevollen Motivation in allen Phasen des Studiums und der Masterarbeit unermüdlich zur Seite stand. III Abstract Die vorliegende Masterarbeit untersucht Herausforderungen und Potentiale in der Umsetzung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen (sozial, ökologisch, ökonomisch) in der Lieferkette von Klein- und Mittelunternehmen (KMU) der technischen Industrie. Neben intrinsischen Beweggründen wie dem Bekenntnis zur Region sind Kundenanforderungen und Gesetze wesentliche Treiber. Die Marktnachfrage nach sozial- und umweltverträglichen Produkten und Prozessen ist aufgrund der Lage der KMU in der Mitte der Wertschöpfungskette – einige Schritte vom Endkunden entfernt – gering. Der ökonomische Mehrwert muss also anderweitig vorliegen, damit Maßnahmen umgesetzt werden. Eine bedeutende Strategie ist die regionale Beschaffung und damit einhergehende langfristige, auf Vertrauen und persönlichem Kontakt basierende Kooperationen mit Lieferanten. Potentiale bestehen insbesondere in der proaktiven Haltung gegenüber Nachhaltigkeitsthemen und dem Austausch darüber in unterschiedlichen Foren. Keywords: Nachhaltiges Lieferkettenmanagement in KMU, Corporate Social Responsibility (CSR) in der Lieferkette, nachhaltige Beschaffung This master thesis looks at the challenges and potentials with regards to Supply Chain Sustainability in small and medium enterprises (SME) in the technology sector. An important intrinsic motive for SMEs to engage in CSR (Corporate Social Responsibility) in the supply chain is the commitment to the region in which they are based. Main drivers are customer requirements and legislation. The closer the SME’s position in the supply chain to the end customer, the stronger the external demand for sustainable practices. Economic benefits were identified as a precondition for SMEs to invest in CSR measures by choice. Regional procurement is an important strategy that entails long-term relationships with suppliers based on trust and face-to-face communication. Significant potentials exist concerning the proactive commitment to sustainability and the engagement in supply chain sustainability issues within various forums. Keywords: SME Supply Chain Sustainability, Corporate Social Responsibility in the Supply Chain, sustainable procurement IV Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ............................................................................................................. 1 1.1 Forschungsinteresse ..................................................................................... 1 1.2 Forschungsfeld und Forschungsfragen ......................................................... 3 1.3 Methodik ........................................................................................................ 7 1.3.1 Grounded Theory .................................................................................... 8 1.3.1.1 Datenerhebung ................................................................................. 8 1.3.1.2 Datenauswertung ........................................................................... 12 1.4 Theoretischer Rahmen: Unternehmensverantwortung ................................ 15 1.4.1 Die ökonomische Perspektive ............................................................... 15 1.4.1.1 Maximierung des Shareholder Value.............................................. 15 1.4.1.2 Strategien zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen ...................... 16 1.4.2 Die politische Perspektive ..................................................................... 17 1.4.2.1 Corporate Citizenship ..................................................................... 17 1.4.2.2 KMU als Corporate Citizens ........................................................... 18 1.4.3 Integrative Theorien .............................................................................. 18 1.4.3.1 Stakeholder Management .............................................................. 18 1.4.3.1.1 Lieferanten als Stakeholder ..................................................... 19 1.4.3.2 Corporate Social Performance ....................................................... 20 1.4.4 Die ethische Perspektive ....................................................................... 21 1.4.4.1 Normative Stakeholder-Theorie ...................................................... 21 1.4.4.2 Universelle Rechte ......................................................................... 22 1.4.4.3 Nachhaltige Entwicklung ................................................................ 22 1.4.4.4 Gemeinwohl-Ansätze ..................................................................... 23 1.4.5 Der Business Case von CSR ................................................................ 23 V 1.4.5.1 Ethische Reflexion .......................................................................... 24 2 Beschreibung des Fallbeispiels: Das Unternehmen THIEN eDrives .................. 26 2.1 Wirtschaftliches Umfeld ............................................................................... 26 2.2 Unternehmen und Produkte......................................................................... 27 2.3 Beschaffung und Lieferantenmanagement .................................................. 28 2.4 Exkurs: Qualitätsmanagementsysteme ....................................................... 29 2.5 Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte ........................................................... 30 3 Ergebnisse ......................................................................................................... 32 3.1 Definitionen und Begriffsabgrenzungen ....................................................... 32 3.1.1 Lieferkette ............................................................................................. 32 3.1.2 Wertschöpfungskette ............................................................................ 33 3.1.3 Klein- und Mittelunternehmen ............................................................... 34 3.1.4 Technische Industrie, Technologiesektor .............................................. 34 3.1.5 Supply Chain Management ................................................................... 34 3.1.6 Corporate Social Responsibility ............................................................ 35 3.1.7 Nachhaltige Lieferketten ....................................................................... 35 3.2 Lieferketten-Management in KMU im Technologiesektor ............................ 39 3.2.1 Beitrag zum wirtschaftlichen Unternehmenserfolg ................................ 39 3.2.2 Sektorspezifische Herausforderungen aus Unternehmenssicht ............ 40 3.2.3 In der Praxis angewendete Instrumente................................................ 42 3.2.3.1 Lieferantenbeziehungen ................................................................. 44 3.2.3.2 Lieferantenauswahl und –bewertung .............................................. 45 3.2.3.3 Lieferantenentwicklung ................................................................... 46 3.2.3.4 Lieferantenzahl und Beschaffungsregion ....................................... 46 3.2.3.5 Qualitätssicherung .......................................................................... 47 VI 3.3 Soziale und ökologische Auswirkungen der Lieferketten der technischen Industrie ............................................................................................................. 48 3.3.1 Rohstoffextraktion ................................................................................. 49 3.3.2 Produktion und Transport...................................................................... 55 3.3.3 Nutzungsphase ..................................................................................... 57 3.3.4 Entsorgung und Wiederverwertung ....................................................... 58 3.4 Nachhaltigkeit in der Lieferkette von KMU ................................................... 60 3.4.1 Motivation .............................................................................................. 60 3.4.1.1 Ökonomische Gründe..................................................................... 60 3.4.1.1.1 Von Effizienz hin zu Effektivität ................................................ 63 3.4.1.2 Ethische und moralische Prinzipien ................................................ 64 3.4.2 Treiber................................................................................................... 66 3.4.2.1 Gesetzliche Anforderungen ............................................................ 66 3.4.2.2 Kundenanforderungen .................................................................... 68 3.4.2.2.1 Zur Wirksamkeit von Lieferantenkodizes ................................. 70 3.4.2.3 Druck von Stakeholdergruppen ...................................................... 74 3.4.3 Barrieren ............................................................................................... 75 3.4.3.1 Eingeschränkter Handlungsspielraum ............................................ 75 3.4.3.2 Fehlende Marktnachfrage ............................................................... 76 3.4.3.3 Hoher gesetzlicher Standard .......................................................... 76 3.4.3.4 Fehlende finanzielle und personelle Ressourcen ........................... 77 3.4.3.5 Erhöhtes Risiko .............................................................................. 77 3.4.4 Strategien .............................................................................................. 78 3.4.4.1 Handlungsfeld Umwelt .................................................................... 79 3.4.4.1.1 Energieeffizienz ....................................................................... 79 3.4.4.1.2 Materialien ............................................................................... 79 VII 3.4.4.1.3 Rohstoffknappheit .................................................................... 80 3.4.4.1.4 Regionalität .............................................................................. 81 3.4.4.2 Handlungsfeld Gesellschaft ............................................................ 82 3.4.4.2.1 Regionalität .............................................................................. 82 3.4.4.2.2 Langfristige kooperative Lieferantenbeziehungen .................... 87 3.4.4.3 Transparenz ................................................................................... 89 3.4.5 Fachliche Unterstützung ....................................................................... 93 4 Resümee ............................................................................................................ 95 5 Potentiale für KMU ............................................................................................. 98 6 Ausblick ............................................................................................................ 100 7 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 101 8 Anhang I: Handlungsempfehlungen für THIEN eDrives ................................... 113 9 Anhang II: Interview-Leitfaden.......................................................................... 114 VIII Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: CSR-Handlungsfelder mit Querschnittsthemen .................................. 4 Abbildung 2: Liste der durchgeführten ExpertInneninterviews .............................. 10 Abbildung 3: Datenbasis der Masterarbeit ............................................................ 12 Abbildung 4: Beispiele für axiales Kodieren aus der vorliegenden Arbeit ............. 13 Abbildung 5: Beispiel für die Erarbeitung einer zentralen Kategorie ..................... 14 Abbildung 6: Carroll’s Pyramide der CSR ............................................................. 20 Abbildung 7: Produktspektrum der Firma THIEN eDrives ..................................... 28 Abbildung 8: Komponenten eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements .......... 38 Abbildung 9: Material- und Energieinput im Lebenszyklus technischer Produkte . 48 Abbildung 10: Soziale und ökologische Auswirkungen im Produktlebenszyklus ... 49 Abbildung 11: Die globale Ressourcenentnahme in Milliarden Tonnen, 1900-2000 .............................................................................................................................. 50 Abbildung 12: Politische Stabilität der Produzentenländer im Bergbau ................. 52 Abbildung 13: Ökologischer Rucksack einzelner Metalle ...................................... 54 Abbildung 14: Input-Output Analyse des Leiterplattenherstellers Infineon ............ 56 Abbildung 15: CO2-Emissionen und radioaktiver Abfall einzelner Energieträger .. 58 Abbildung 16: Der Business Case für nachhaltige Lieferketten ............................ 60 Abbildung 17: Auszüge aus Unternehmens-Websites .......................................... 65 Abbildung 18: Weitergabe von Produkt- und Prozessanforderungen in der Lieferkette ............................................................................................................. 69 Abbildung 19: Inhalt des Code of Conduct für Lieferanten von Siemens .............. 72 Abbildung 20: Electronic Industry Citizenship Coalition ........................................ 73 Abbildung 21: Das Schweizer Fertigungsnetzwerk „TwoInOne“ ........................... 88 Abbildung 22: Anteil der entstehenden externen Kosten des Naturkapitals in der Supply Chain ......................................................................................................... 90 Abbildung 23: Die Lieferkette einer Computermaus .............................................. 91 IX Abkürzungsverzeichnis B2B Business to business B2C Business to customer BDI Bundesverband der deutschen Industrie BHR-RC Business and Human Rights Resource Centre BMUB Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit BMWFJ Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend CC Corporate Citizenship CSCP Collaborating Centre on Sustainable Production and Consumption CSP Corporate Social Performance CSR Corporate Social Responsibility CSV Corporate Shared Value EICC Electronic Industry Citizenship Coalition EU Europäische Union ILO International Labor Organization ISO International Organization for Standardization KMU Klein- und Mittelunternehmen NGO Non-governmental organisation (Nichtregierungsorganisation) OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung RoHS Restriction of Hazardous Substances SCM Supply Chain Management UL Underwriters Laboratories UNEP United Nations Environment Programme UNGC United Nations Global Compact WBCSD World Business Council for Sustainable Development WCED UN World Commission on Environment and Development WKO Wirtschaftskammer Österreich WKV Wirtschaftskammer Vorarlberg X 1 Einleitung 1.1 Forschungsinteresse Bereits in den 1980er Jahren wies die World Commission on Environment and Development in ihrem Bericht „Our common future“ auf die hohen ökologischen Kosten der vorherrschenden Art zu wirtschaften hin (WCED, 1987). Auch wenn seither in einzelnen Gebieten Verbesserungen erreicht wurden, wie die Zunahme erneuerbarer Energie, werden „unnachhaltige“ Trends unvermindert weitergeführt. Der massive mit dem Wirtschaftswachstum einher gehende Ressourcen- und Energieverbrauch (verursacht durch lediglich 20 Prozent der Weltbevölkerung) ist trotz Effizienzsteigerungen absolut gesehen weiter steigend – mit gravierenden Auswirkungen (Drexhage & Murphy, 2012). Die ökologischen Belastungsgrenzen unseres Planeten sind in einigen Bereichen wie dem Klimawandel, dem Biodiversitätsverlust und der Landnutzung bereits überschritten – und damit irreversible und plötzliche lebensbedrohliche Umweltveränderungen immer wahrscheinlicher (Rockström et al., 2009, S. 472). Seit einigen Jahren setzen sich neben Politik und Zivilgesellschaft auch Unternehmen verstärkt mit der Frage auseinander, wie eine nachhaltige Art zu wirtschaften aussehen kann. In Foren wie dem World Business Council for Sustainable Development erarbeiten (vornehmlich multinationale) Unternehmen Visionen und Handlungsempfehlungen für eine Wirtschaft, die innerhalb der ökologischen Grenzen operiert (Drexhage et al, 2009; WBCSD, 2015). Auf betrieblicher Ebene werden diese Initiativen im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR)-Strategien umgesetzt (Schneider, 2015a, S. 21). Galt zu Beginn der Diskussionen CSR vor allem als Kostentreiber, so setzt sich immer mehr die Ansicht durch, dass nachhaltiges Wirtschaften für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens unabdingbar ist (Ebner & Goiser, 2015, S. 571 ff; Schmidpeter, 2014, S. XI). 1 Lange Zeit beschränkte sich die CSR-Forschung auf Groß- bzw. multinationale Unternehmen, die als Reaktion auf den zunehmenden Druck von KonsumentInnen CSR-Strategien aufzusetzen begannen. Nicht zuletzt da Klein- und Mittelunternehmen (KMU) über 99 Prozent der europäischen Unternehmen ausmachen und zwei von drei Arbeitskräften in KMU beschäftigt sind - dies gilt auch für Österreich - ist es jedoch wesentlich, die Perspektiven und Herangehensweisen der kleineren Unternehmen nicht außen vor zu lassen (Ciliberti, Pontrandolfo, & Scozzi, 2008, S. 1579; WKO, 2015). Neben ihrer Rolle als „Rückgrat“ der Wirtschaft ist auch ihr ökologischer Fußabdruck bedeutend: Ca. 65 Prozent der Umweltauswirkungen aller Unternehmen in der EU entfallen auf KMU (Planet S.A. & Danish Technological Institute, 2010, S. vii). Aus der beruflichen Erfahrung der Verfasserin im Bereich Corporate Social Responsibility in der Entwicklungszusammenarbeit sowie bei einer österreichischen Unternehmensplattform für nachhaltige Entwicklung entstand ein spezielles Interesse für Nachhaltigkeitsaspekte in globalen Lieferketten. Wird dieser Aspekt kombiniert mit der starken internationalen Ausrichtung österreichischer KMU, ergeben sich interessante Fragestellungen, die unter Punkt 1.2 angeführt sind. Die technische Industrie ist aus mehreren Gründen ein spannendes Forschungsgebiet: Erstens aufgrund der Materialintensität und der Arten der verarbeiteten Materialien. Der Abbau kritischer Rohstoffe in politisch instabilen Weltregionen geht häufig mit Menschenrechtsverletzungen einher (Business and Human Rights Resource Centre, 2015a; Europäische Kommission, 2013). Zweitens zeichnet sich die österreichische Wirtschaft durch eine Vielzahl an „hidden champions“ aus, Unternehmen, die aufgrund ihrer Innovationskraft in speziellen technologischen Nischen (Außenwirtschaft Austria, 2015). zu den Weltmarktführern zählen Drittens punktet der mitteleuropäische Technologiesektor mit Produkten, die höchsten Qualitäts- und (Energie-) Effizienzstandards entsprechen und damit positive Umweltauswirkungen in der Nutzungsphase generieren (BMUB, 2014; Europäische Kommission, 2012). 2 Das Unternehmen THIEN eDrives, das in der Fertigung von Elektromotoren und – antriebssystemen sowie Umrichtern tätig ist, dient in der vorliegenden Arbeit als Fallbeispiel, an dem die Herausforderungen und Chancen hinsichtlich „nachhaltiger“ Lieferketten im Technologie- und gleichzeitig B2B (Business-tobusiness)-Bereich erörtert werden. 1.2 Forschungsfeld und Forschungsfragen Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Forschungsfeld des Nachhaltigkeitsmanagements. Dabei steht im Fokus, inwieweit kleine und mittelgroße Unternehmen Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Lieferkette integrieren (können). Der Begriff der nachhaltigen Entwicklung erhielt insbesondere ab 1987 im Zuge des Berichts der UN World Commission on Environment and Development („Brundtland-Kommission“ genannt nach der Vorsitzenden, der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland) weltweit Anerkennung. Aus ökonomischer Sicht bedeutet Nachhaltigkeit, in einer Art und Weise zu wirtschaften, in der natürliche Ressourcen nur in dem Maß genutzt werden, wie sie sich wieder regenerieren können (vgl. D’heur, 2014, S. 2). „Many present efforts to guard and maintain human progress […] may show profit on the balance sheets of our generation, but our children will inherit the losses. We borrow environmental capital from future generations with no intention or prospect of repaying“1 Seit den 1990er Jahren findet Nachhaltigkeit zunehmend Eingang in die Management-Literatur, zunächst mit stark ökologischem Schwerpunkt (Linton, Klassen & Jayaraman, 2007, S. 1076). Mit der Aufdeckung gravierender Verletzungen von Arbeitsstandards bei Zulieferern bekannter Marken v.a. im Textilsektor stieg das Bewusstsein der KonsumentInnen auch für die sozialen Kosten der globalen Arbeitsteilung (Hindle, 2009). 1 World Commission on Environment and Development, 1987, S. 16 3 Das Modell der Corporate Social Responsibility (CSR), welches die ökonomische, ökologische und soziale Dimension von Nachhaltigkeit gleichermaßen adressiert, stellt den Beitrag von Unternehmen zum Ziel der nachhaltigen Entwicklung dar (Schneider, 2015a, S. 21ff). Die Berücksichtigung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen endet dabei keineswegs an den Werkstoren. Wie die Europäische Kommission in ihrer CSR-Definition feststellt, welche die in Abbildung 1 dargestellten Themenfelder abdeckt: „The promotion of social and environmental responsibility through the supply chain and the disclosure of non-financial information, are recognised as important cross-cutting issues“ (Europäische Kommission, 2011, S. 7). Abbildung 1: CSR-Handlungsfelder mit Querschnittsthemen (eigene Grafik auf Basis der CSR-Definition der Europäischen Kommission, 2011) 4 Mit der Erkenntnis, dass die bedeutendsten und gravierendsten Auswirkungen hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung nicht in Europa oder den USA, sondern in den Lieferketten der in den Industriestaaten ansässigen Unternehmen (und KonsumentInnen) zu finden sind, haben neben der EU auch andere internationale Institutionen den Geltungsbereich ihrer Handlungsempfehlungen auf die Lieferkette ausgeweitet. Dies ist beispielsweise an den OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen ersichtlich (OECD, 2011, S. 15ff). „Companies are finding supply chains hold the key to unlocking reduced environmental impacts, energy conservation, community connectedness, and improvements in performance that have been overlooked […]“ (Sroufe & Melnyk, 2013, S. 6). Das österreichische CSR-Leitbild „Erfolg mit Verantwortung“ empfiehlt Unternehmen im Kontext ihrer Wertschöpfungskette a) Sozial- und Umweltkriterien bei Beschaffungsentscheidungen zu berücksichtigen und die wichtigsten Lieferanten einer regelmäßigen Beurteilung nach diesen Kriterien zu unterziehen; b) verbindliche Verhaltenskodizes zu entwickeln und deren Einhaltung bei GeschäftspartnerInnen und Lieferanten einzufordern; c) bei Finanzierungen, Veranlagungen und Investitionen auf Sozial- und Umweltaspekte zu achten und c) sich gegebenenfalls um die Aufnahme in Umwelt- und Ethikfonds zu bemühen (respACT, 2010). Die Komplexität der Umsetzung von CSR in der Lieferkette ist unumstritten (vgl. Global Compact, 2013; Europäische Kommission, 2011). Es wird jedoch betont, dass mit der Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung ökonomische Vorteile wie Risikominimierung, Ressourceneffizienz, Rechtssicherheit oder verbesserte Reputation einhergehen (Craig & Rogers, 2008, S. 365f). Wie eingangs erwähnt, sind es insbesondere Großunternehmen, die mit strategischer Herangehensweise auf den zunehmenden Druck, der von unterschiedlichen Stakeholdern ausgeübt wird, reagieren und ihre Nachhaltigkeitsziele auf die Lieferkette ausweiten. Nicht zuletzt deshalb fokussierte die Literatur zu CSR und nachhaltigem Lieferkettenmanagement lange Zeit vorwiegend multinationale Unternehmen. Darüber, wie Klein- und Mittelunternehmen auf die neuen Anforderungen reagieren, ist vergleichsweise wenig bekannt. Die vorhandenen 5 Studien in diesem Zusammenhang analysieren KMU üblicherweise als Zulieferer großer Unternehmen und nicht als aktive Akteure, die selbst als Einkäufer auftreten (Pedersen, 2009, S. 1; Ciliberti, Pontrandolfo, & Scozzi, 2008, S. 1579f). Vor diesem Hintergrund wurde die primäre Forschungsfrage wie folgt formuliert: Welche Strategien können österreichische KMU anwenden, um ihre Lieferkette nachhaltig(er) zu gestalten? Dabei stellen sich folgende Sub-Forschungsfragen: Was motiviert KMU, Maßnahmen zu einer ökologisch und sozial verträglichen Beschaffung umzusetzen und welche Rolle spielen dabei die Anforderungen von Kunden2 (Großunternehmen)? Wie kann CSR in der Lieferkette zur Erreichung der Geschäftsziele beitragen? Wie kann insbesondere die Zusammenarbeit mit Lieferanten im Sinne der Berücksichtigung ökologischer und sozialer Auswirkungen optimiert werden? In diesem Kontext ist auch interessant, in welcher Form und von wem KMU fachliche Unterstützung bei der Umsetzung von CSR in der Lieferkette erhalten. Das Unternehmen THIEN eDrives, welches als Fallbeispiel dient, ist in der Elektroindustrie tätig. Deshalb war naheliegend, den Fokus der Masterarbeit auf das Produzierende Gewerbe zu legen. Dies macht auch in Hinblick auf die sektorspezifischen Herausforderungen Sinn. Im ersten Teil der Arbeit werden die Methodik sowie der theoretische Rahmen erläutert. Danach folgt eine Beschreibung des untersuchten Unternehmens. Im Abschnitt „Ergebnisse“ machen die Definitionen den Anfang; gefolgt von einem Abriss der sozialen und ökologischen Auswirkungen in den Lieferketten der technischen Industrie. Daraufhin wird auf das gegenwärtige Lieferketten- 2 Wo die Begriffe „Kunde“, „Partner“ u.ä. ohne Binnen-I angeführt sind, sind im Rahmen der gesamten Arbeit nicht Einzelpersonen, sondern Unternehmen bzw. Institutionen gemeint. 6 Management der KMU eingegangen und dies im zweiten Schritt mit der Nachhaltigkeitsdimension verknüpft. Von diesen Erkenntnissen werden im Schlussteil Potentiale und Handlungsempfehlungen abgeleitet. 1.3 Methodik Soziale und/oder ökologische Aspekte in der Lieferkette wurden in den letzten Jahren im Rahmen der CSR-Forschung vorwiegend aus der Perspektive von großen bzw. multinationalen Unternehmen behandelt. Zur Frage, wie KMU auf die zunehmenden Anforderungen reagieren bzw. wie sie das Thema in der Praxis umsetzen, wurde bisher wenig geforscht (Knudsen, 2011; Pedersen, 2009; Ciliberti, 2008). Dies ist der Hauptgrund, warum die Wahl auf qualitative Forschungsmethoden fiel. Ein wesentliches Prinzip dieses Forschungszugangs ist seine Offenheit: Anstatt auf standardisierte Erhebungsinstrumente und vorab formulierte Hypothesen (wie sie in der quantitativen Forschung Anwendung finden) zurückzugreifen, wird das Forschungsfeld ohne Vorannahmen betreten und Raum für im Forschungsprozess auftretende neue Entwicklungen und Dimensionen geboten (Lamnek, 1995, S.22). Die Kommunikation zwischen Forscher und Beforschtem ist dabei ein inhärenter Bestandteil des Forschungsprozesses. Primär von Interesse ist die Identifikation von Deutungsund Handlungsmustern, die eine gewisse kollektive Verbindlichkeit besitzen. Die konstruierte (soziale) Wirklichkeit zu dokumentieren, analytisch zu rekonstruieren und nachvollziehbar zu erklären, ist das zentrale Anliegen (ebd, S. 24). Die qualitative Sozialforschung entwickelte sich mit dem Beginn der sozialwissenschaftlichen Forschung in den 1930er Jahren in den USA. Sie ist mittlerweile neben vielen anderen Disziplinen auch in den Wirtschaftswissenschaften und der Managementlehre fest etabliert (Goulding, 2002, S. 9; Lamnek, 1995, S. 30f). 7 1.3.1 Grounded Theory Beim Forschungsstil „Grounded Theory“ handelt es sich um eine systematische, theoriegenerierende Vorgehensweise im Umgang mit empirischen Daten (Strübing, 2013, S. 110). Er wurde in den 1960er Jahren von Barney Glaser und Anselm Strauss als strukturfunktionalistischen Gegenentwurf Ansätzen zu und den einer damals vorherrschenden weitgehend unhinterfragten Quantifizierung in der empirischen Sozialforschung entwickelt. Ein wesentliches Prinzip besteht darin, dass Datengewinnung, Datenanalyse und Theoriebildung parallel betrieben werden. Dies bedeutet, dass systematisch Material ausgewählt und im Wechselspiel dazu nach Zusammenhängen und neuen Perspektiven gesucht wird (ebd, S. 113). Geleitet von der Forschungsfrage werden die im Untersuchungsmaterial vorkommenden Phänomene einem ständigen Vergleichen unterzogen, was die Grundlage für die Theoriebildung darstellt (ebd, S. 115). Ergänzend zu den empirischen Daten fand ein eingehendes Literaturstudium statt, welches parallel zur Erhebung und Analyse der empirischen Daten umgesetzt wurde. 1.3.1.1 Datenerhebung Für die Forschungsarbeit wurde folgende Information verfasst, die die InterviewpartnerInnen vorab erhielten: Die Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Aspekten in globalen Wertschöpfungsketten gewinnt stetig an Bedeutung. Großunternehmen stellen beispielsweise immer öfter diesbezügliche Anforderungen an ihre Lieferanten. Thema der Masterarbeit sind Lösungsansätze für kleine und mittelständische österreichische Unternehmen im Technologiesektor, ihre Lieferketten nachhaltiger zu gestalten. Damit in Zusammenhang stehen die Herausforderungen und Barrieren, die einer stärkeren Beachtung sozialer und ökologischer Auswirkungen im Weg stehen. Auch die Motivation vieler KMU, Maßnahmen in Richtung nachhaltiger Beschaffung zu setzen, wird beleuchtet. 8 Die Masterarbeit wird in Kooperation mit dem Vorarlberger Unternehmen THIEN eDrives verfasst, welches sich auf die Entwicklung und Herstellung von Elektromotoren spezialisiert hat. Die Arbeit soll Wege aufzeigen, wie KMU im Technologiesektor trotz gewisser Herausforderungen Maßnahmen in Richtung nachhaltigerer Lieferketten setzen können, die auch das Kerngeschäft des Unternehmens unterstützen. Es wurde stets darüber informiert, dass die Ergebnisse anonymisiert ausgewertet werden. Grundsätzlich herrschte jedoch eine sehr große Offenheit und Auskunftsbereitschaft unter den InterviewpartnerInnen. Die Befragung erfolgte mittels semi-struktureller Einzelinterviews. Dabei wurde die Forscherin durch einen Leitfaden, der auf den Forschungsfragen basierte, unterstützt. Dieser diente als roter Faden; die Reihenfolge der gestellten Fragen richtete sich nach dem Gesprächsverlauf. Neue Erkenntnisse wurden im Laufe der Befragungen wieder in den Leitfaden integriert. Was die Fall- und Datenauswahl betrifft, so schlägt die Grounded Theory vor, das Sampling sukzessive im Projektverlauf durchzuführen und die Auswahlkriterien aus der entstehenden Theorie zu beziehen (theoretical sampling) (Strübing, 2013, S. 117). Strikt angewendet, setzt diese Vorgangsweise jedoch eine sehr hohe Flexibilität und den Zugang zu jeglichem Datenmaterial voraus und ist in der Praxis auch aus zeitlichen Gründen oftmals nicht durchführbar (vgl. Strübing, 2013, S. 117; Strauss & Corbin, 1996, S. 150). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden die InterviewpartnerInnen nach ihrer Relevanz für die Beantwortung der Forschungsfragen ausgewählt. Abgesehen davon handelt es sich um ein eingeschränktes Forschungsfeld, d.h. eine ohnehin kleine Anzahl an infrage kommenden Personen. Zeitliche Limitationen waren ebenfalls ein Grund für die Vorauswahl. Die Masterarbeit bearbeitet das Thema „Nachhaltigkeit in Lieferketten der Technologiebranche“ anhand eines konkretes Fallbeispiels – der Firma THIEN eDrives. Es wurden einerseits drei Verantwortliche aus verschiedenen Abteilungen des Unternehmens befragt, um eine differenzierte Einschätzung zu Sichtweisen 9 und Handlungsmustern im Betrieb zu erhalten. Darüber hinaus fand eine Befragung von Geschäftsführern vier strategisch bedeutsamer Lieferanten des Unternehmens statt, die gemeinsam mit dem Leiter des Einkaufs ausgewählt wurden. Zusätzlich wurde ein Interview mit dem regionalen Vertriebsleiter eines großen Händlers für Elektronikkomponenten geführt, der seine Erfahrungen insbesondere auch aus dem gesamtösterreichischen Kontext einbrachte. Bei der Auswahl der Lieferanten wurde darauf geachtet, Zulieferer mit möglichst unterschiedlichen Eigenschaften hinsichtlich Lieferumfang, Produkten und Unternehmensgröße (innerhalb der KMU-Definition) auszuwählen. Im Sinne der analytischen Induktion sind abweichende Fälle besonders interessant, da sie nicht die Regel bestätigen, sondern nach einer Überprüfung verlangen. Auf diese Weise wird die Theorie immer weiter angereichert (Lamnek, 1995, S. 194). Die Gesprächsinhalte folgender chronologisch geordneter, zum Teil anonymisierter Interviews flossen in die vorliegende Masterarbeit ein: Abbildung 2: Liste der durchgeführten ExpertInneninterviews Interview 1 Interviewpartner und Position Ort und Datum Leiter Einkauf und Logistik (Head of Procurement and Logistics), THIEN eDrives 22.10.2014, 09:00 Uhr, Firma THIEN eDrives, 6890 Lustenau Interview 2 Interviewpartner und Position Ort und Datum Leiter Qualitätsmanagement (Head of Quality Management), THIEN eDrives 22.10.2014, 10:00 Uhr, Firma THIEN eDrives, 6890 Lustenau Interview 3 Interviewpartner und Position Ort und Datum Leiterin Motorenentwicklung (Head of R&D - Motors), THIEN eDrives 9.12.2014, 13:30 Uhr, Firma THIEN eDrives, 6890 Lustenau Interview 4 Interviewpartner und Position Ort und Datum Hintergrundinformationen Geschäftsführer, Lieferant A 9.12.2014, 10:30 Uhr, Firma A, Bezirk Feldkirch, Vorarlberg Firma A hat 24 MitarbeiterInnen und ist in der Kunststofftechnik tätig. Es werden Spritzgussteile von der Entwicklung und Produktion bis hin zu kompletten Systemen realisiert. Für THIEN eDrives stellt Firma A individuelle Kunststoffkomponenten her. 10 Interview 5 Interviewpartner und Position Ort und Datum Hintergrundinformationen Interview 6 Interviewpartner und Position Ort und Datum Hintergrundinformationen Interview 7 Interviewpartner und Position Ort und Datum Hintergrundinformationen Interview 8 Interviewpartner und Position Ort und Datum Hintergrundinformationen Geschäftsführer, Lieferant B 11.12.2014, 13:30 Uhr, per Telefon. Firma B ist im Bezirk Feldkirch in Vorarlberg angesiedelt. Die Firma hat 25 MitarbeiterInnen und ist in der Kabelkonfektion mit dem kompletten Assembling tätig. Es werden Sonderanfertigungen, Kleinserien oder Großmengen je nach Kundenanfrage angefertigt. Für THIEN eDrives stellt Firma B die unterschiedlichsten Kabel und Kabelsysteme her. Geschäftsführer, Lieferant C 11.12.2014, 10:00 Uhr, per Telefon. Firma C ist im Bezirk Feldkirch in Vorarlberg angesiedelt. Die Firma hat 12 MitarbeiterInnen und ist im Bereich Electronic Manufacturing Services (EMS) tätig. Das Portfolio reicht von der Materialbeschaffung, über die Leiterplattenbestückung, optische und elektrische Prüfung, bis hin zum internationalen Versand. Für THIEN eDrives übernimmt die Firma C vor allem das Bestücken von Leiterplatten. 3 Projektleiter AVOR und Verkauf, Lieferant D 13.2.2015, 15:00 Uhr, Firma D, Schweizer Kanton Appenzell (Grenzgebiet zu Vorarlberg) Der Betrieb hat 40 MitarbeiterInnen und ist Spezialist in der spanabhebenden Metallbearbeitung für die Industriebereiche Maschinenbau, Verfahrenstechnik, Flugzeugbau und Energietechnik. Die Firma fertigt Komponenten für Bohr- und Schneidgeräte, die von einem Endkunden von THIEN eDrives vertrieben werden, in Serienproduktion. Vertriebsleiter eines weltweit tätigen Distributionsunternehmens für elektronische Bauelemente 27.8.2015, 17:30 Uhr, Räumlichkeiten der Arbeitsstätte der Autorin, Bregenz Das Unternehmen ist ein global agierender Konzern, der auch KMU zu seinen Kunden zählt, darunter THIEN eDrives. Der Interviewpartner war u.a. 14 Jahre lang für den Vertrieb in Österreich verantwortlich und ist nun Regionalverkaufsleiter in Süddeutschland. Zusätzlich zu den Interviews wurden die Websites der befragten Unternehmen in Hinblick auf Aussagen zu nachhaltiger Unternehmensführung, Lieferantenmanagement und Beschaffung analysiert. Diese Analyse erwies sich 3 Schweizer Abkürzung für „Arbeitsvorbereitung“, womit die Produktionsplanung und –steuerung gemeint ist 11 als wertvoll im Sinne der Triangulation, mit der die Heranziehung verschiedener Arten von Datenmaterial gemeint ist. So lässt sich ein Forschungsgegenstand ganzheitlicher erfassen (Lamnek, 1995, S. 250). Abbildung 3 zeigt zusammenfassend die Datenbasis, auf der die Masterarbeit aufgebaut ist. Abbildung 3: Datenbasis der Masterarbeit Datenbasis der Masterarbeit Literatur Interviews mit Unternehmen und Lieferanten Analyse der Websites der Unternehmen 1.3.1.2 Datenauswertung Die Interviews wurden vollständig transkribiert, um ein systematisches Interpretieren und Analysieren, das in der Grounded Theory als „Kodieren“ bezeichnet wird, zu ermöglichen. Dies erfolgte in drei Schritten: Beim offenen Kodieren geht es darum, den Text „aufzubrechen“, also Zeile für Zeile zu analysieren und zu hinterfragen, was vom Interviewpartner thematisiert wird und welche Passagen für die Forschungsfrage besonders relevant sind (Strübing, 2013, S.118). Das Ergebnis war eine Sammlung unterschiedlichster Codes (im konkreten Fall rund 220). Beim darauffolgenden axialen Kodieren wurde dann gezielter nach Bedingungen, Interaktionen, Strategien und Konsequenzen gefragt. Aus losen, deskriptiven Konzepten entstanden so erklärende Bedeutungsnetzwerke, die die sich herausbildenden Kategorien umfassender erklären (ebd, S. 120). Dies ist beispielhaft in Abbildung 4 dargestellt. 12 Abbildung 4: Beispiele für axiales Kodieren aus der vorliegenden Arbeit Code Trend hin zu Regionalität der Lieferanten Bedingungen Grund ist u.a. die geringe Stückzahl die produziert wird Interaktion Geringe Distanz ermöglicht leichtere Kommunikation Strategien Präferenz regionaler Lieferanten hat viele Vorteile wie kürzere Lieferzeit, Flexibilität Gebunden sein an Kundenanforderungen Kunden bestimmen Auswahl der Lieferanten & Komponenten (mit) One-way Kommunikation der Anforderungen Qualitätssicherungsvereinbarungen geschlossen; überprüft durch Erfüllung gewisser Standards wie der RoHS Richtlinie Konsequenzen Die Vorteile in der Zusammenarbeit mit regionalen Lieferanten wiegen die potentiellen Preisvorteile asiatischer Zulieferer auf Weitergabe der Anforderungen eins zu eins an die eigenen Lieferanten Im nächsten Schritt erfolgt mittels selektiven Kodierens die Erfassung der Zusammenhänge der identifizierten Theorieansätze. Konzepte, die zum selben Phänomen gehören, werden so gruppiert, dass sie Kategorien bilden. Kategorien sind abstrakter als Konzepte, sie stehen auf einer höheren Ebene der Allgemeinheit. Es werden die zentralen Konzepte identifiziert, die den größten Erklärungswert hinsichtlich des untersuchten Phänomens haben. Ein Beispiel dafür ist in Abbildung 5 zu sehen. Aus den zentralen Konzepten entwickeln sich eine oder mehrere Schlüsselkategorien – Theorien – die schlussendlich zur Beantwortung der Forschungsfragen führen (ebd, S. 122f). 13 Abbildung 5: Beispiel für die Erarbeitung einer zentralen Kategorie (eigene Grafik) Persönliche Beziehung ist wichtiger Faktor – spart v.a. Zeit = Wettbewerbsfaktor. Je näher der Lieferant umso besser die Zusammenarbeit Vertrauen ersetzt bis zu gewissem Grad die Kontrolle und damit Ausgaben die mit der Kontrolle zusammenhängen (zB teure Messgeräte) Einkauf aus unmittelbarem Wirtschaftsraum fördert regionale Wertschöpfung - es wird über das eigene Unternehmen hinaus gedacht Hürden/negative Erfahrungen und Unsicherheit bei asiatischen Zulieferern – Probleme größer als Preisvorteil. Regionale Beschaffung als Risikominimierung (Sozial- und Umweltstandards, Qualität) Regionale Lieferanten bevorzugen Annahme dass es in DACH Region keine groben Missachtungen im sozialen und ökologischen Bereich gibt Vorteile regionaler Lieferanten: Schnellere Lieferzeit, schnelleres (Re-)agieren z.B. auf neue Bauteile, keine aufwendigen Audits nötig -> Vertrauen in Gesetze und Lieferanten Als Strategie – nicht vorgegeben! Wertschätzung der Kunden für regionale Beschaffung hängt davon ab ob B2C oder B2B Bereitschaft einen höheren Einkaufspreis zu bezahlen 14 1.4 Theoretischer Rahmen: Unternehmensverantwortung Im Folgenden wird der theoretische Rahmen der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen umrissen. Dabei wird auf die im vorliegenden Kontext relevanten Theorien näher eingegangen. Danach folgt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Business Case unternehmerischer Verantwortung. Das Themenfeld, das gemeinhin als Corporate Social Responsibility bezeichnet wird, umfasst eine breite Palette unterschiedlicher Zugänge. Garriga und Melé (2004) unterteilen die Theorien zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen in vier Felder: 1) Die ökonomische Perspektive, die CSR-Aktivitäten als Instrument zur Gewinnvermehrung sieht; 2) die politische Sicht, die Firmen eine gesellschaftliche Macht zuspricht, welche mit einer entsprechenden Verantwortung einher geht; 3) die soziologische Perspektive, die nach der Integration gesellschaftlicher Bedürfnisse in die Unternehmensführung fragt und 4) die ethische Sichtweise, die Wertevorstellungen in den Vordergrund rückt. 1.4.1 Die ökonomische Perspektive 1.4.1.1 Maximierung des Shareholder Value Einen bekannten Vertreter dieses Ansatzes stellt M. Friedman dar, der bereits 1979 postulierte, dass der einzige Zweck eines Unternehmens darin bestehe, Profite zu machen. Wo der freie Markt nicht in der Lage ist, soziale Probleme zu lösen, sei es die Aufgabe des Staates, sich diesen zu widmen (Buchholtz & Carroll, 2012, S. 40f). Das letztliche Ziel aller unternehmerischen Entscheidungen – und seien es Investitionen in MitarbeiterInnen oder die lokale Gemeinde – ist die Maximierung des Shareholder Value, also die Wertsteigerung für das Unternehmen bzw. dessen Anteilseigner (shareholder). Die Berücksichtigung der Interessen anderer Anspruchsgruppen (stakeholder) ist dabei nicht ausgeschlossen – aber eben unter der Voraussetzung, dass diese (längerfristig) ökonomischen Ziele zuträglich ist (Garriga et al, 2004, S. 53f). 15 1.4.1.2 Strategien zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen Diese Gruppierung von Theorien konzentriert sich auf die Allokation von Ressourcen, um langfristig soziale Ziele zu erreichen und gleichzeitig Wettbewerbsvorteile zu generieren. Unter die Kategorie fallen erstens Ansätze zu sozialen Investitionen im Wettbewerbskontext. Als prominenteste Vertreter argumentieren Porter und Kramer (2003), dass gerade Unternehmen großes Potential hätten, soziale Probleme im Rahmen ihres Kerngeschäfts zu lösen und gleichzeitig Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Als Beispiel nennen sie einen ITKonzern, der durch kostenlose IT-Kurse an Schulen einerseits die Schulen befähigte, ihr Netzwerk selbst zu warten. Andererseits trat die Maßnahme dem generellen Mangel an ausgebildeten IT-Administratoren entgegen, das die ITBranche Ende der 1980er Jahre vor große Herausforderungen stellte. „Corporations can use their charitable efforts to improve the competitive context […] where they operate. Using philanthropy to enhance competitive context aligns social and economic goals and improves a company’s longterm business prospects“.4 Ein weiterer Ansatz, der auf Wettbewerbsfähigkeit abzielt, ist die Ressourcentheorie. Sie sieht die Ausstattung und das Zusammenspiel von menschlichen, organisatorischen und physischen Ressourcen eines Unternehmens als zentralen Wettbewerbsfaktor an. Dabei werden die Ressourcen keineswegs als statisch, sondern als dynamisch angesehen: Durch organisatorische und strategische Routinen und die Modifikation, Integration und Kombination dieser entstehen neue wertsteigernde Strategien. Die Ressourcentheorie wurde erweitert um soziale und ethische Ressourcen, die die Wettbewerbsfähigkeit fördern, und die Stakeholder-Perspektive, die auf die wirtschaftliche Bedeutung von Stakeholder-Beziehungen hinweist (Garriga et al, 2004). Im Laufe der 1990er Jahre trat der Konnex zur externen Umwelt, also die biophysischen Limitationen, stärker in den Fokus. Hart (1995) identifizierte im Rahmen der Natural Resource-Based View of the Firm die Strategien Vermeidung 4 Porter & Kramer, 2003, S. 27 16 von Umweltverschmutzung, Produktverantwortung und nachhaltige Entwicklung als wesentlich für langfristige Wettbewerbsfähigkeit. 1.4.2 Die politische Perspektive In den 1960er Jahren war K. Davis einer der ersten, der die Macht von Unternehmen in der Gesellschaft und die Auswirkungen dieser Macht als neues Element in die CSR-Debatte einbrachte. Er hinterfragte die Annahmen aus der klassischen Ökonomie, die die Rolle der Unternehmen auf reine Wohlstandsvermehrung beschränkte. Seine Social Power Equation besagt, dass das Ausmaß an gesellschaftlicher Macht, die ein Unternehmen besitzt, mit sozialer Verantwortung im selben Maße einher geht (Garriga et al, 2004). 1.4.2.1 Corporate Citizenship Ausgehend von der Betrachtung eines Unternehmens als BürgerIn (citizen) gewann der Corporate Citizenship (CC)-Ansatz in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung – nicht zuletzt aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen wie der Globalisierung und Deregulierungsmaßnahmen, die eine Machtverschiebung zugunsten globaler Konzerne mit sich brachten (Garriga et al, 2004, S. 57). Dabei gibt es unterschiedliche Definitionen: Die eingeschränktere Sichtweise sieht CC als Unternehmensphilanthropie oder, etwas breiter gefasst, als Äquivalent zu CSR. Die weiter gehende Perspektive besteht darin, Unternehmen als neue Akteure in jener Situation zu sehen, in der Regierungen es verabsäumen, Bürgerrechte zu gewährleisten (Matten et al, 2003). Generelle Übereinstimmung gibt es darin, dass corporate citizens a) ein starkes Commitment ihrer lokalen Umgebung gegenüber zeigen; b) Partnerschaften eingehen, die einen Weg darstellen, dieses Commitment zu formalisieren, sowie c) Umweltfragen berücksichtigen. In den 1990er Jahren entwickelte sich auf dieser Basis, teils als Antwort weltweit tätiger Unternehmen auf Anti-Globalisierungs-Proteste, eine Global Corporate 17 Citizenship, welche die Verantwortung von (insbesondere multinationalen) Unternehmen auf die globale Ebene überträgt (Garriga et al, 2004, S. 57). 1.4.2.2 KMU als Corporate Citizens Das Konzept der CC wurde lange Zeit vornehmlich im Kontext von Großunternehmen betrachtet. Dabei wird KMU generell, u.a. aufgrund ihrer Verwurzelung in der Region, verantwortungsvolles Verhalten attestiert. Forschungsergebnisse aus den letzten Jahren zeigen, dass die Idee der (Global) Corporate Citizenship durchaus auch auf KMU angewendet werden kann. Die Betriebe zeigen innovative Ansätze in der Umsetzung, wobei sich die Herangehensweise von jener der Großunternehmen unterscheidet. Wichtige Treiber für CC-Maßnahmen sind die Wertigkeit des Gemeinwohls sowie die persönlichen Werte des Eigentümers bzw. der Eigentümerin (von Weltzien Hoivic & Melé, 2009). 1.4.3 Integrative Theorien Diese Gruppe von Theorien beschäftigt sich mit der Frage, wie Unternehmen soziale Bedürfnisse berücksichtigen. Es wird davon ausgegangen, dass erfolgreiches Wirtschaften von jener Legitimation abhängig ist, die die Gesellschaft Unternehmen zuspricht. Diese Legitimation besteht nur, wenn Unternehmen soziale Bedürfnisse in ihre Geschäftstätigkeit integrieren. Da die Bedürfnisse variieren können, hängt der tatsächliche „Inhalt“ der Unternehmensverantwortung von den jeweiligen gesellschaftlichen Gegebenheiten und Werten ab (Garriga et al, 2004, S. 57). 1.4.3.1 Stakeholder Management Der Ansatz des Stakeholder Management legt den Fokus auf jene Anspruchsgruppen, die von der Unternehmenstätigkeit beeinflusst werden oder diese beeinflussen. Als Antwort auf das Konzept des Shareholder Value, das in 18 Zeiten eines sich rasant verändernden Wirtschaftsumfeldes als nicht mehr zeitgemäß gilt (Freeman et al, 2007, S.79), formulierte R.E. Freeman 1984 die Theorie des Stakeholder Management. Sie sieht vor, die Ansprüche der unterschiedlichen Gruppen in unternehmerische Entscheidungen mit einzubeziehen. Werte und Ethik sind dabei entscheidend. Das zentrale Bestreben soll sein, eine möglichst große Übereinstimmung zwischen den Zielen und Werten der Stakeholder und jenen des Unternehmens zu finden. Als zweites Prinzip sollen Lösungen gefunden werden, die möglichst viele Anspruchsgruppen zugleich zufrieden stellen (ebd, S. 60). Die Idee des Stakeholder Management wurde in den letzten Jahren von zahlreichen, insbesondere großen Unternehmen (nicht zuletzt aufgrund des Drucks von Anspruchsgruppen wie NGOs) in die Praxis umgesetzt und hat sich im Rahmen von CSR-Strategien als „Best Practice“ etabliert (vgl. respACT, 2015). 1.4.3.1.1 Lieferanten als Stakeholder Lange herrschte die Ansicht vor, Lieferanten seien reine Zulieferer und das primäre Ziel der Interaktion mit ihnen, Preisdruck auszuüben – ganz im Sinne des Shareholder Value. Indem Lieferanten gegeneinander ausgespielt wurden, konnten die Preise auf das absolute Minimum gedrückt werden. Dies hat sich geändert: Über IT-Systeme sind Kunden und Lieferanten verbunden und tauschen sich aus, um Mehrwert für beide zu schaffen. Die gestiegene Bedeutung von Zertifizierungen entlang der Lieferkette zeigt, dass Aspekte wie Qualität und Umweltschutz Wettbewerbsfaktoren geworden sind. Fragen der Haftung und Verantwortung enden nicht mehr am Verkaufsort. Die traditionelle Wertschöpfungskette (value chain) hat sich in eine „Verantwortungskette“ (responsibility chain) verwandelt. Lieferanten werden heute als Partner angesehen und Vertrauen ist ein wesentliches Element für die erfolgreiche Zusammenarbeit (Freeman et al, 2007, S. 31f). 19 1.4.3.2 Corporate Social Performance Modelle rund um Corporate Social Performance (CSP) wurden entwickelt, um die Debatte zur Unternehmensverantwortung praxisorientierter und greifbarer zu gestalten. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Absichtserklärung von Unternehmen allein nichts über das tatsächliche verantwortungsvolle Handeln aussagt, sondern vordergründig die Resultate und Ergebnisse ihrer Bemühungen zählen. Das CSP-Konzept behandelt einerseits die Art der Verantwortung: Die verschiedenen „Verantwortungsebenen“ wurden erstmals von A.B. Carroll strukturiert erarbeitet, der als Basis die ökonomische Verantwortung definierte. Danach folgen gesetzliche Verpflichtungen, ethische Verantwortung und philanthropische Aktivitäten (Buchholtz & Carroll, 2012, S. 38). Die auf dieser Logik basierende „CSR-Pyramide“ ist in Abbildung 6 dargestellt. Abbildung 6: Carroll’s Pyramide der CSR (Buchholtz & Carroll, 2012, S. 38) Darüber hinaus thematisiert das CSP-Modell auch die Umsetzung, also welche Unternehmensstrategie für die Implementierung von CSR angewendet wird. Die dritte Dimension stellt die Festlegung der Themenbereiche dar, die für das 20 Unternehmen wesentlich sind – diese fallen nach Sektor, Standort etc. des Betriebes unterschiedlich aus (ebd, S. 45f). Carrolls Modell wurde im Lauf der Zeit weiterentwickelt. Eine wichtige Ergänzung stellt der Denkansatz der Corporate Social Responsiveness dar. Der Terminus responsibility wurde durch responsiveness (Reaktionsbereitschaft) ersetzt, da Letzteres den Fokus auf die tatsächliche Handlung und Leistung besser widerspiegelt als „Verantwortung“, die keine Dynamik, sondern lediglich einen „Zustand“ impliziert (ebd, S. 44 und Garriga et al, 2004, S. 60). 1.4.4 Die ethische Perspektive Die folgenden Theorien fokussieren die ethischen Anforderungen in der Beziehung zwischen Unternehmen und Gesellschaft. Sie basieren auf Prinzipien, die das „richtige“ Verhalten und die Notwendigkeit einer „guten“ Gesellschaft innehaben. 1.4.4.1 Normative Stakeholder-Theorie Der normative Kern der Stakeholder-Theorie basiert auf zwei Aspekten: Erstens sind Stakeholder Personen(gruppen), die ein legitimes Interesse an der Tätigkeit von Unternehmen haben. Ihr Anspruch besteht unabhängig davon, ob das Unternehmen selbst ein Interesse an ihnen und ihrer Einstellung zum Unternehmen hat. Den Interessen der Stakeholder wird ein intrinsischer Wert zugesprochen. Sie stellen einen Wert an sich dar, der Beachtung um seiner selbst willen verdient (und nicht nur aufgrund des potentiellen Beitrags zur Wertsteigerung des Unternehmens). Seinen normativen Gehalt erhält diese Sichtweise durch verschiedene zugrunde liegende ethische Theorien, wie das Prinzip der Fairness, libertäre Strömungen oder die Idee des Gemeinwohls, die auf Aristoteles zurückgeht (Garriga et al, 2004, S. 61). 21 1.4.4.2 Universelle Rechte Speziell in der Debatte um „globale CSR“ und CSR in globalen Lieferketten wird die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus 1948 als Ausgangspunkt angesehen und angewendet. Ihre theoretische Basis hat diese u.a. in Theorien der Moralphilosophie und im Naturrecht, welches vorsieht, dass jeder Mensch mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet ist. Eine bekannte Initiative zur Förderung unternehmerischer Verantwortung, deren Prinzipien auf den Menschenrechten basieren, ist der Global Compact der Vereinten Nationen. Daneben sind die Menschenrechte das Fundament für eine Reihe von heute in Verwendung befindlicher CSR-Rahmenwerke und Zertifizierungen (ebd, S. 61; UN Global Compact, 2015). 1.4.4.3 Nachhaltige Entwicklung Das bereits in der Einleitung genannte Konzept der Nachhaltigen Entwicklung hat seinen Ursprung im „Brundtland Bericht“ (nach der Vorsitzenden, der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland) der UN World Commission on Environment and Development der Vereinten Nationen aus 1987. „Nachhaltig“ ist laut dieser eine Entwicklung dann, wenn sie die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Möglichkeiten der zukünftigen Generationen einzuschränken (WCED, 1987, S. 16). Ursprünglich mit ökologischem Fokus, wurde die Bedeutung der nachhaltigen Entwicklung seither um die soziale Dimension ergänzt. Es existieren heute zahlreiche Definitionen für nachhaltige Entwicklung, jedoch meinen sie grundsätzlich den Prozess der Erreichung einer menschlichen Entwicklung in einer einschließenden (inclusive), gerechten, umsichtigen und sicheren Art und Weise. Das World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) spricht von der Notwendigkeit, soziale, ökologische und ökonomische Aspekte zu integrieren, um ausgewogene langfristige Entscheidungen treffen zu können (WBCSD, 2015). Die unterschiedlichen Definitionen erschweren die Umsetzung von Nachhaltigkeit im Unternehmen. Um dem entgegen zu wirken, wurden Konzepte wie jenes der 22 Triple Bottom Line entwickelt, die den Schwerpunkt auf die praktische Umsetzung legen und mit der betriebswirtschaftlichen Dimension verknüpfen (Elkington, 2004; Garriga et al, 2004). 1.4.4.4 Gemeinwohl-Ansätze Ein (noch) weniger etablierter Zugang referenziert das Gemeinwohl der Gesellschaft als Wertebasis für unternehmerische Verantwortung. Es handelt sich um eine klassische in der aristotelianischen Tradition verhaftete Denkströmung, die u.a. auch in der katholischen Lehre im Rahmen von Unternehmensethik angewendet wird. Dieser Ansatz besagt, dass Unternehmen als Teil der Gesellschaft wie andere soziale Gruppen auch die Pflicht haben, ihren Beitrag zum Wohl der Gesellschaft zu leisten. Auch wenn sich das theoretische Fundament teilweise unterscheidet, bestehen einige Parallelen zum StakeholderAnsatz und jenem der Nachhaltigen Entwicklung (Garriga et al, 2004, S. 62). 1.4.5 Der Business Case von CSR In den vergangenen Jahren setzte sich mehr und mehr die Ansicht durch, dass unter strategischer CSR keine „add-on“-Maßnahmen (wie Sponsorings) zu verstehen sind. Vielmehr geht es um die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Kerngeschäft des Unternehmens: „CSR-Aktivitäten und –Programme beziehen sich […] in erster Linie auf ökonomische, rechtliche und direkt mit dem Kerngeschäft zusammenhängende ethische Aspekte und können als strategisch bezeichnet werden, wenn sie durch Unterstützung des Kerngeschäftes einen Beitrag zum wirtschaftlichen Wohlergehen des Unternehmens und zur Erfüllung seiner wirtschaftlichen Ziele leisten“ 5 Im Fall von unternehmerischen Aktivitäten, die einen Mehrwert für Umwelt und Gesellschaft darstellen und gleichzeitig betriebswirtschaftlich-ökonomischen Zielen zuträglich sind, spricht man vom „Business Case“ von CSR (Schreck, 2015, S. 73). So können etwa durch tragfähige Wertschöpfungsketten Risiken minimiert 5 Gelbmann & Baumgartner, 2015, S. 428 23 werden oder die Suche nach Lösungen für gesellschaftliche und ökologische Probleme Innovationen generieren (respACT, 2010). Wenngleich das Gros der managementorientierten CSR-Literatur ein solches Zusammenspiel postuliert (siehe Kapitel 1.4.5), ist es wichtig, auf die Grenzen des Grundgedankens des Business Case hinzuweisen. In Fällen, in denen er nicht eintritt, müssen nämlich alternative Mechanismen gefunden werden, um das Verhalten von Unternehmen in Einklang mit gesellschaftlichen Erwartungen zu bringen (z.B. staatliche Regulierung, zivilgesellschaftliches Engagement) (Schreck, 2015, S. 75). Für Unternehmen, die ihr Kerngeschäft „nachhaltig“ ausrichten wollen, ist letztlich ausschlaggebend, die Umstände zu erörtern, die dafür sorgen, dass CSR-Maßnahmen förderlich für die eigene Wettbewerbsfähigkeit sind (ebd, S. 77). Eigentümergeführten Klein- und Mittelunternehmen wird vielfach eine bestandserhaltende, auf Generationen ausgerichtete Wirtschaftsweise und „natürliche“ Nähe zu Stakeholdern wie MitarbeiterInnen, ansässiger Bevölkerung oder Lieferanten zugeschrieben. Nach Schneider (2015) setzen KMU Nachhaltigkeitsinitiativen in den meisten Fällen unbewusst und ohne strategische Ausrichtung (Schneider, 2015, S. 485). Aufgrund dessen wurden ungenutzte Potentiale hinsichtlich der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten identifiziert, wie eine gesteigerte Innovationskraft oder die Minimierung von Risiken entlang der Lieferkette (Schneider, 2015; Moore & Manring, 2009). 1.4.5.1 Ethische Reflexion Der Business Case von CSR kann im Rahmen der normativen Ethik, die fragt „Was soll gut sein?“, als konsequentialistischer Ansatz bezeichnet werden. Dieser beurteilt Handlungen nach deren Folgen: Eine Handlung ist dann gut, wenn sie insgesamt die besten Konsequenzen hat und die meisten Menschen davon profitieren, der Gesamtnutzen also am höchsten ist. Diese Sichtweise setzt jedoch 24 voraus, dass der Handelnde über das notwendige Wissen verfügt (beispielsweise über die Herstellungsbedingungen eines Produkts), um die richtige Entscheidung treffen zu können, was in der Praxis oftmals nicht der Fall ist (Bak, 2014, S. 9). Im Gegensatz dazu steht bei der deontologischen 6 Ethikströmung die Handlung selbst im Mittelpunkt, die aufgrund ihrer Regelhaftigkeit als gut oder schlecht bewertet werden kann. Beim Business Case handelt es sich um eine utilitaristische Perspektive, die menschliches Handeln danach bewertet, welche nützlichen Folgen es hat. Es wird also das „größte Glück für alle“ angestrebt. Problematisch daran ist, dass sich das „Glück an sich“ kaum bestimmen lässt und jede/r „Glück“ anders definiert. So kann eigentlich unmoralisches Handeln, wie der Verstoß gegen Umweltgesetze zur Profitmaximierung, legitimiert werden. Das Glück für Viele ist stets auch mit Kosten für andere verbunden. Im Falle des Business Case von CSR ist der Nachhaltigkeitsgedanke letztendlich ein Mittel zum Zweck, um Gewinn zu erzielen. Das Wohl der Gesellschaft und der Schutz der Umwelt haben keinen intrinsischen Wert, also einen Wert an sich, den es zu schützen gilt (vgl. Rogall, 2011). Ein Weg, dieses Dilemma zu umgehen, stellen verbindliche Verbote und Gebote dar, die in aller Regel dem allgemeinen Glück zuträglich sind. So wird das Individuum von einer zu großen Verantwortung bei der Wahl der Handlungsalternativen befreit (Bak, 2014, S. 21f). Die Integration „externer Effekte“ in den Marktmechanismus (wie beispielsweise die Bepreisung von Treibhausgasemissionen) wird vielerorts als Lösungsansatz angepriesen (D’heur, 2015, S. 32; WBCSD, 2015). Thielemann (2014) argumentiert jedoch, dass es „unter den Bedingungen des Wettbewerbs für die Handelnden schwierig bis unmöglich ist, die Ausübung von externen Effekten zu unterlassen“. Der Wettbewerb schaffe unausweichlich Gewinner und Verlierer, wie an den wachsenden Einkommens- und Vermögensdisparitäten zu sehen sei. Er plädiert dafür, Wirtschaftsethik als Ganzes zu begreifen und sich mit den grundlegenden wettbewerblichen Marktverhältnissen kritisch auseinander zu setzen. 6 Deontologie (aus dem Griechischen): „das Erforderliche“, „die Pflicht“ (Bak, 2014, S. 21) 25 2 Beschreibung des Fallbeispiels: Das Unternehmen THIEN eDrives 2.1 Wirtschaftliches Umfeld Das Unternehmen THIEN eDrives sowie die weiteren befragten Unternehmen sind in den Vorarlberger Bezirken Feldkirch und Dornbirn angesiedelt. Die Vierländerregion Bodensee gilt als eine der dynamischsten Wirtschaftsregionen Europas mit überdurchschnittlich hohem Wirtschaftswachstum (Wirtschaftsstandort Vorarlberg, 2015, S. 4). Die produzierende Industrie mit ihrer hohen Branchenvielfalt ist der Motor der Vorarlberger Wirtschaft; nicht zuletzt aufgrund der Innovationsstärke konkurrenzfähigen Produktivität Merkmal ansässigen (WKV, Technologieanbieter fungieren Wesentliches der als der 2014, S. Zulieferer für Unternehmen 35). und der Viele industrielle internationale Leitfirmen. Wirtschaftsregion sind geschlossene Wertschöpfungsketten, was bedeutet, dass sämtliche Kompetenzen für eine innovative Produktentwicklung (z.B. Rapid Prototyping7, Lohnfertigung komplexer Bauteile und Baugruppen) vorhanden sind (Wirtschaftsstandort Vorarlberg, 2015, S. 6). Vorarlberg weist mit 60 Prozent die höchste Exportquote Österreichs auf. Führend im Export sind Produkte im oberen Technologie- und Qualitätssegment, darunter Maschinenbau und Elektronik. Die Unternehmen operieren vielfach in Marktnischen und sind mit der Entwicklung von Spezialprodukten europa- und weltmarktführend. Neben mehreren Leit- und Großbetrieben besteht eine Vielfalt an innovativen, technologieorientierten Klein- und Mittelbetrieben (Wirtschaftsstandort Vorarlberg, 2015, S.9). Die österreichische Elektro- und Elektronikindustrie, zu der auch das Unternehmen THIEN eDrives gehört, hat einen Exportanteil von 98 Prozent. Damit 7 Überbegriff für verschiedene Verfahren zur schnellen Herstellung von Musterbauteilen anhand von Konstruktionsdaten 26 generiert sie einen beachtlichen Anteil der inländischen Wertschöpfung. Aufgrund der internationalen Ausrichtung ist die Branche von der globalen Konjunktur besonders abhängig. Andererseits profitiert sie von Trends wie Globalisierung, Urbanisierung sowie Energie- und Klimaschutzbestrebungen (Exner, 2014). 2.2 Unternehmen und Produkte THIEN eDrives am Standort Lustenau ist seit 2011 nach einem Management Buyout von der ATB Gruppe unabhängig (THIEN eDrives, 2015). Das Unternehmen mit 55 MitarbeiterInnen entwickelt und produziert elektrische Antriebssysteme (Motoren) und dazugehörige Komponenten wie Frequenzumrichter, wie in unten stehender Abbildung dargestellt (THIEN eDrives, 2015a). THIEN eDrives ist spezialisiert auf hocheffiziente Antriebssysteme und erfüllt Kundenanforderungen in den Bereichen Industrie und Automotive sehr individuell. Innovationen, die schließlich an Kunden weitergegeben werden können, sind deshalb essentieller Teil des Kerngeschäfts (THIEN eDrives, 2014). Im Automotive-Bereich wird oft die Entwicklung selbst verkauft, wobei es vom Kunden abhängt, ob das System anschließend in Serie geht. Etwa 80 Prozent der Kunden sind im Business-to-Business-Bereich angesiedelt. Nur etwa 20 Prozent der Kunden beliefern direkt den Endkunden. 27 Abbildung 7: Produktspektrum der Firma THIEN eDrives8 (THIEN eDrives, 2015) 2.3 Beschaffung und Lieferantenmanagement Zu den Geschäftszielen von THIEN eDrives im Lieferkettenmanagement zählen neben Materialreduktion (Kosteneinsparung) auch Innovation sowie die Optimierung der Lieferzeiten. Um dies zu erreichen, ist oftmals die Entwicklung von Lieferanten in Bezug auf Qualität, Termintreue u.ä. notwendig. Hinsichtlich der Rohstoffe sind für die Motoren insbesondere die Bestandteile Aluminium, Gussmaterialien, Kupfer, Magnete, Seltene Erden und Kunststoffe relevant. Die Lieferanten werden unterteilt in zertifiziert (nach Qualitätsmanagement ISO9001)/nicht zertifiziert und in die Geschäftsfelder Industrie/Automotive. Die Kooperation mit Lieferanten ist teils sehr eng. So kann es vorkommen, dass die Fertigstellung der Produkte bei diesen vor Ort stattfindet. Die Lieferantenauswahl findet wie folgt statt: Bewirbt sich ein Lieferant bei THIEN eDrives, wird zuerst eine Selbstauskunft verlangt. Daraufhin findet ein Audit vor 8 THIEN eDrives, 2015 28 Ort durch eigene MitarbeiterInnen statt. Danach werden produktspezifische Qualitätsvereinbarungen getroffen und eine Finanzauskunft eingeholt. Verläuft alles positiv, folgt die Registrierung als THIEN eDrives-Lieferant und die interne Lieferanteneinteilung. Ein geringer Anteil der Produktion fällt unter den strengen ISO/TS16949:2009Standard der Automobilbranche (s. Abschnitt 2.4). Von weitaus größerer Bedeutung ist jedoch das Qualitätsmanagementsystem nach ISO9001, im Rahmen dessen u.a. die Methodik der FMEA (Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse) angewendet wird. 2.4 Exkurs: Qualitätsmanagementsysteme Qualitätsmanagementsysteme sind aus Industrie und Automobilproduktion nicht mehr wegzudenken. Allen voran das zertifizierte Managementsystem nach ISO 9001 gilt insbesondere in Europa als das führende Leitmodell was Qualitätsmanagement betrifft (AWO, 2014). Ausgehend von diesem System, welches der Logik der kontinuierlichen Verbesserung folgt, wurden spezielle Methoden wie die FMEA entwickelt. Diese zielt darauf ab, mögliche Produktfehler und seine Auswirkungen zu analysieren und in Zukunft zu vermeiden (ASQ, 2015). Eine sektorspezifische Ableitung der ISO 9001 stellt die Technische Spezifikation (TS) Automobilindustrie 16949 eingeht. dar, Aus welche auf die Besonderheiten Nachhaltigkeitssicht interessant der sind Anforderungen (die zum Teil auch in ISO 9001 enthalten sind) hinsichtlich Ausbildung der MitarbeiterInnen, Mitarbeitermotivation, Arbeitssicherheit, Sauberkeit der Betriebsstätten, Erstellung von Notfallplänen, Erfüllung gesetzlicher und behördlicher Vorschriften und Rückverfolgbarkeit von Produkten, welche die Transparenz steigert (IATF, 2009). 29 2.5 Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte Das Kerngeschäft von THIEN eDrives kann als nachhaltig bezeichnet werden, da Produkte mit höchster (Energie-)Effizienz hergestellt werden die energiesparend und langlebig sind. Dies verschafft dem Unternehmen (abgesehen von positiven Umweltauswirkungen) den entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber günstigeren, aber weniger effizienten und kurzlebigen Produkten am Weltmarkt. Die beiden wichtigsten Treiber für die Umsetzung von Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekten bei THIEN eDrives sind einerseits gesetzliche Vorgaben, beispielsweise die EU-Richtlinie zur Beschränkung der Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten, sowie kundenseitige Vorgaben (welche ihren Ursprung wiederum oftmals in gesetzlichen Regulatorien haben) (Europäische Kommission, 2015). Diese Vorgaben werden von Kunden fast ausschließlich über die Vertragsbedingungen (Lieferantenkodex) kommuniziert und eingefordert. Eine Überprüfung dieser Vorgaben von Seiten der Kunden findet in der Regel nicht statt. Diese Anforderungen werden von THIEN eDrives eins zu eins an die eigenen Nichteinhaltung auszuschließen. Arbeitssicherheits- Lieferanten verbundenen Bei und den weitergegeben, Risiken zu direkten Lieferanten Umweltaspekte über um minimieren jegliche mit der und Haftungen werden Qualitäts-, persönliche Gespräche mit Zulieferern und Audits vor Ort überprüft, wobei der Fokus auf dem Thema Qualität liegt. Vorgaben seitens der Kunden betreffen vor allem die (Nicht-)Verwendung bestimmter Stoffe, die Rückverfolgbarkeit der Produktkomponenten (Transparenz), Energieeffizienz der Produkte und in einigen Fällen die Einhaltung der Arbeitsstandards. Ob und wie Nachhaltigkeitsaspekte bei THIEN eDrives selbst bzw. in deren Lieferkette umgesetzt werden, ist sehr stark von den Anforderungen der eigenen Kunden abhängig. Nichtsdestotrotz werden auch aus eigener Motivation heraus 30 Maßnahmen getätigt, die positive Nachhaltigkeitseffekte haben (wie die Bevorzugung regionaler Lieferanten, die Verkürzung von Transportwegen oder Abfalltrennung am Standort). Bedingung für die Umsetzung derartiger Maßnahmen ist in den allermeisten Fällen ein ökonomischer Mehrwert. 31 3 Ergebnisse Im folgenden Kapitel werden die Erkenntnisse aus Literatur und Empirie integriert dargestellt. Es sei darauf hingewiesen, dass es sich um empirische Ergebnisse handelt, wenn keine Literaturangaben ausgewiesen sind. Zu Beginn werden die Definitionen und Begriffsabgrenzungen erläutert. Danach wird auf die zur Beantwortung der Forschungsfrage relevanten Themenbereiche eingegangen: Wie trägt das Lieferketten-Management in KMU zum wirtschaftlichen Unternehmenserfolg bei und welche Instrumente werden von KMU angewendet? In weiterer Folge wird dies mit dem Nachhaltigkeitsaspekt verknüpft und auf die Motivation, Treiber, Barrieren und Strategien für nachhaltiges Lieferketten-Management schlussendlich Potentiale ableiten, eingegangen. wie KMU Daraus ökologische lassen und sich soziale Fragestellungen für sich nutzen können. 3.1 Definitionen und Begriffsabgrenzungen 3.1.1 Lieferkette Es existiert keine einheitliche Definition einer Lieferkette (Supply Chain). Schnetzler & Sennheiser (2008, S. 2) verstehen darunter eine Kette von funktionalen Bereichen (Beschaffung, Produktion, Vertrieb), die über einen durchgängigen Materialfluss vom Lieferanten zum Endkunden miteinander verknüpft sind. Weiter gehende Ansätze sehen eine Supply Chain als mehr als die Bewegung von Gütern an: Laut Handfield & Nichols (2002, S. 5) umfasst eine Supply Chain alle Aktivitäten und Informationsflüsse in Zusammenhang mit der Bewegung und Weiterverarbeitung von Gütern von der Rohstoffgewinnung bis zum Endkonsumenten mit dem Ziel, Mehrwert für alle Akteure zu schaffen. Auch Christopher (2011, S. 3f) definiert eine Supply Chain nicht als lineare Kette, sondern vielmehr als Netzwerk, in welchem der Kooperationsaspekt eine 32 wesentliche Rolle spielt. Die Organisationen dieses Netzwerks sind über vor- und nachgelagerte Verbindungen an den verschiedenen Prozessen und Tätigkeiten der Wertschöpfung in Form von Produkten und Dienstleistungen für den Endkunden beteiligt. Die Lieferkette beinhaltet somit alle Akteure vom Rohstoffabbau bis zum Endkunden. 3.1.2 Wertschöpfungskette Über die letzten 30 Jahre hat sich die Denkweise im Management dahin gehend verändert, dass eine Lieferkette Wertschöpfung für die beteiligten Akteure und vor allem für den Endkunden schaffen soll. Diese Perspektive wurde insbesondere durch den Harvard-Professor M. Porter geprägt (Christopher, 2011, S. 10f). Sein Konzept der Value Chain stellt die zusammenhängenden Unternehmensaktivitäten des betrieblichen Gütererstellungsprozesses dar. Fünf Primäraktivitäten beschreiben den Wertschöpfungsprozess: Interne Logistik, Produktion, externe Logistik, Marketing & Verkauf und Service. Die Beschaffung stellt neben der Unternehmensinfrastruktur, der Technologieentwicklung unterstützende eine Personalwirtschaft Aktivität dar. und der Führen die Unternehmen die Aktivitäten effizient durch, generiert dies Wettbewerbsvorteile (Porter, 2004, S 36). In der Praxis impliziert das, jede Aktivität in der Wertschöpfungskette unter die Lupe zu nehmen und zu bewerten, ob sie einen Wettbewerbsvorteil schafft. Ist dies nicht der Fall, so wird empfohlen, die Aktivität an andere Firmen auszulagern. Diese Logik hat seit den 1990er Jahren in hohem Maß zum enormen Anstieg von Outsourcing-Maßnahmen beigetragen (Christopher, 2011, S. 11). Die Begriffe „Wert(schöpfungs)kette“, „Lieferkette“, „Leistungskette“ oder „Value Chain“ werden heute oftmals synonym verwendet (D’heur, 2015, S. 5). 33 3.1.3 Klein- und Mittelunternehmen Laut Definition der Europäischen Union handelt es sich bei Unternehmen, die 250 MitarbeiterInnen oder weniger beschäftigen und einen Umsatz bis maximal 50 Millionen Euro (Bilanzsumme bis 43 Millionen Euro) erwirtschaften, um Klein- und Mittelbetriebe (Europäische Kommission, 2015a). Diese Unternehmen stellen 90 Prozent aller Unternehmen in der EU dar. Laut Wirtschaftskammer Österreich werden hierzulande sieben von zehn Arbeitsplätzen von KMU geschaffen (WKO, 2015). 3.1.4 Technische Industrie, Technologiesektor Mit „Industrie“ ist die Branche gemeint, die das gesamte Produzierende Gewerbe umfasst. Unter „Technologie“ wird im Rahmen dieser Arbeit der Einsatz technischer Hilfsmittel und Anwendungen zur Umwandlung von Roh- und Werkstoffen in fertige Komponenten bzw. Produkte verstanden (BDI, 2015; Humboldt Universität Berlin, 2015). 3.1.5 Supply Chain Management Vor dem Hintergrund der Globalisierung der Weltwirtschaft und den damit für Unternehmen zusammenhängenden Herausforderungen wurde das Konzept des Supply Chain Management (SCM) in den frühen 1980er Jahren von Beratungsfirmen entwickelt, woraufhin es enorm an Popularität gewann (Günther, 2005, S. 5). Der Terminus umfasst die Planung und Kontrolle von Güter- und Informationsflüssen und logistischen Aktivitäten nicht nur intern, sondern auch extern zwischen Unternehmen (Cooper et al, 1997). Zu einer regelrechten Explosion der Supply Chain-Literatur trugen die unterschiedlichsten Forschungsfelder von Logistik und Transport bis hin zum Strategischen Management bei (Chen & Paulraj, 2003, S. 120). Das große Interesse am Thema führte zu einer Vielzahl an Definitionen. Ahi & Searcy (2013, S. 330) kommen in ihrer Analyse von SCM-Definitionen zu dem Schluss, dass das Management von 34 Güterflüssen, Dienstleistungen und Information im Mittelpunkt steht. Um diese Bereiche managen zu können, besteht eine in der Literatur weitgehend unumstrittene Notwendigkeit zur Koordination zwischen den Akteuren der Lieferkette. Darüber hinaus werden in den Definitionen die Belange von Anspruchsgruppen hervorgehoben, speziell jene der KundInnen, sowie das Management interner und externer Beziehungen. Mit der Beachtung dieser Prinzipien sollen Wertschöpfung, Effizienzsteigerungen und generell eine erhöhte Performance der Lieferkette erreicht werden (Ahi et al, 2013, S. 330). 3.1.6 Corporate Social Responsibility Der Bedeutungswandel der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen in den letzten Jahren ist anhand der Definitionen von Corporate Social Responsibility der Europäischen Kommission ersichtlich. War 2008 noch von Maßnahmen „auf freiwilliger Basis“ die Rede, so wird heute die Verantwortung von Unternehmen für Umwelt und Gesellschaft als grundsätzlich gegeben angesehen: Die EU- Kommission definiert CSR nunmehr als „Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“. Im Zuge dessen wird von Unternehmen erwartet, dass sie soziale, ökologische, ethische, konsumentenschutz- und menschenrechtsbezogene Aspekte in ihre Geschäftstätigkeiten in Abstimmung mit den Anspruchsgruppen (Stakeholder) integrieren (Europäische Kommission, 2014). Der Ansatz von KMU ist dabei ein anderer als jener von Großunternehmen. Sie setzen Maßnahmen um, die durchaus unter dem Banner der CSR eingeordnet werden können, gehen aber meist von den Wertevorstellungen des/der Eigentümers/in aus und werden selten unter dem Marketingaspekt gesehen und publiziert (Baden, Harwood & Woodward, 2009, S. 431). 3.1.7 Nachhaltige Lieferketten Die eingangs erläuterte Definition von Nachhaltigkeit – die gegenwärtigen Bedürfnisse zu befriedigen ohne die Möglichkeiten der folgenden Generationen zu beeinträchtigen – lässt viel Spielraum für Interpretationen. Für die praktische 35 Umsetzung von „Nachhaltigkeit“ ist das Konzept der Triple Bottom Line hilfreich (Seuring & Müller, 2008, S. 1700). Dieses sieht vor, dass Unternehmen nicht nur ökonomischen Mehrwert schaffen, sondern auch ökologische und soziale Werte fördern (oder zerstören können) (Elkington, 2004, S. 3). Die von Ahi et al (2013, S. 330) untersuchten Definitionen unternehmerischer Nachhaltigkeit implizieren, dass die drei Dimensionen Wirtschaft – Ökologie – Gesellschaft möglichst integriert betrachtet werden sollten. Gleichzeitig sind die Belange von Stakeholdern sowie eine langfristige Orientierung wesentliche Elemente. Zwei weitere wichtige Charakteristika unternehmerischer Nachhaltigkeit sind die Notwendigkeit, das Unternehmen widerstandsfähig (resilient) gegen Krisen zu machen sowie die Freiwilligkeit vieler Nachhaltigkeitsinitiativen. Diese Attribute sind konsistent mit den Ergebnissen einer von Dahlsrud durchgeführten Analyse von 37 unterschiedlichen Definitionen von CSR (Ahi et al, 2013; Dahlsrud, 2008). Das Konzept des nachhaltigen Wirtschaftens stimmt inhaltlich also weitestgehend mit jenem der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (CSR) überein. Nachhaltige Lieferketten können somit definiert werden als „Management von Güter-, Informations- Unternehmen entlang und der Kapitalflüssen Lieferkette sowie unter Kooperationen Berücksichtigung zwischen der drei Nachhaltigkeitsdimensionen“ (Seuring et al, 2008, S. 1700). Carter und Rogers (2008, S. 365 ff) ergänzen als unterstützende Faktoren Risikomanagement, Transparenz und Strategie & Kultur, die häufig im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsmanagement genannt werden. Risikominimierung ist ein wesentlicher Treiber zur Umsetzung von Aktivitäten im Umwelt- und im sozialen Bereich. Gleichzeitig bestehen eine Reihe inhaltlicher Schnittpunkte: So benötigen etwa sowohl CSR als auch Risikomanagement den Dialog mit unterschiedlichen Stakeholdern. Beide Konzepte sind systematisch abstrakt und zeigen ihre Relevanz oft erst in der Umsetzung. Sie sind aber für den Fortbestand eines Unternehmens wesentlich bzw. in vielen Fällen unbedingt erforderlich, beispielsweise wenn es darum geht, den Zugang zu Rohstoffen längerfristig zu sichern (Ebner & Goiser, 2015, S. 571; Carter & Rogers, 2008, S. 366). Was den Faktor Transparenz betrifft, so sind Unternehmen immer stärker mit der Erwartung 36 externer Stakeholder konfrontiert, über die Vorgänge der Geschäftstätigkeit und dessen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft informiert zu werden. Gleichzeitig ist es dank der neuen Medien schwieriger geworden, Informationen zurückzuhalten (Osburg, 2015, S. 738; Carter et al, 2008, S. 367). Ein transparentes Vorgehen bedeutet, nicht nur im Sinne einer Einweg- Kommunikation Informationen weiterzugeben, sondern Stakeholder und deren Feedback aktiv miteinzubeziehen. Im Kontext des Supply Chain Management kann durch eine vertikale sowie horizontale Koordination die Transparenz gesteigert werden (beispielsweise durch eine sektorübergreifend abgestimmte Auditsystematik bei Zulieferern) (Carter et al, 2008, S. 367). Neben Risikomanagement und Transparenz sind die Strategie und Kultur eines Unternehmens wesentlich für ein erfolgreiches „nachhaltiges“ Lieferkettenmanagement. Tagesgeschäft und Nachhaltigkeitsinitiativen sollen nicht parallel betrieben, sondern verwoben werden (ebd, S. 368). Eine langfristige Orientierung sowie die Berücksichtigung unternehmensethischer Aspekte – und somit eine solide Wertebasis – gelten insbesondere auch für die Formulierung von Supply-Chain-Strategien als wesentlich (Heß, 2010, S. 27). Aus dem Blickwinkel der Nachhaltigen Entwicklung definiert der UN Global Compact nachhaltiges Lieferketten-Management als „Management der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen sowie die Förderung guter Unternehmensführung über den gesamten Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen“ (UN Global Compact, 2012, S. 5). Nachstehend (Abbildung 8) wird die in der Masterarbeit angewendete Definition von Nachhaltigkeit in der Lieferkette grafisch dargestellt. Zwischen den Unternehmen der Lieferkette, die sowohl als Lieferanten für das nachgelagerte als auch als Kunden des vorgelagerten Unternehmens auftreten, findet ein stetiger Fluss von Gütern, Information und Kapital statt. Die Kooperation zwischen den Unternehmen ist unterschiedlich intensiv. Der Austausch von Gütern, Informationen und Kapital hat positive und negative ökologische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen zur Folge. Stakeholder wie z.B. die lokale Bevölkerung 37 sind von diesen Auswirkungen direkt oder indirekt betroffen. Darauf sollte das Unternehmen im Rahmen des Lieferkettenmanagements reagieren. Für die erfolgreiche strategische Umsetzung sind wie oben beschrieben die Aspekte Risikovermeidung, Transparenz und eine auf ethischen Prinzipien basierende Unternehmenskultur wesentlich. Abbildung 8: Komponenten eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements (eigene Grafik) KOOPERATION Güter Lieferant (= Kunde) Information Lieferant (= Kunde) Kapital Wirtschaftliche Auswirkungen StakeholderInteressen StakeholderInteressen 38 3.2 Lieferketten-Management in KMU im Technologiesektor 3.2.1 Beitrag zum wirtschaftlichen Unternehmenserfolg In den letzten Jahren setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein effizientes und effektives Supply Chain Management unabdinglich für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ist. SCM hat sich als maßgeblich für die Erreichung strategischer Zielsetzungen auf Unternehmensebene wie beispielsweise Kundenservice, Kostenreduktion oder Optimierung der Durchlaufzeiten erwiesen. Aufgrund der hohen Wettbewerbsrelevanz des Lieferkettenmanagements ist dieses immer öfter auf der strategischen Ebene des Managements – und weniger auf der operationellen, wie es früher meist der Fall war – angesiedelt (Schnetzler et al, 2008, S. 10f). Wie bereits angeschnitten, sind Klein- und Mittelunternehmen der Technologiebranche in besonderem Maß dem Wettbewerbsdruck ausgesetzt (Exner, 2014). „Mithalten können“ in einer globalisierten Wirtschaft kann als zentrales Leitmotiv der befragten Unternehmen angesehen werden, von dem ihre wirtschaftlichen Entscheidungen geprägt sind. Was macht in diesem Zusammenhang die Wettbewerbsfähigkeit von Klein- und Mittelunternehmen im Technologiesektor aus? Für mitteleuropäische KMU ist die Erfüllung hoher Qualitätsansprüche essentiell, da qualitativ hochwertige Produkte bzw. Komponenten das wesentliche Abgrenzungsmerkmal gegenüber Zulieferern aus anderen Weltregionen sind, welche unter geringeren Herstellungskosten produzieren können. Um diese Qualität sicherzustellen, ist ein Management der eigenen Lieferanten unabdingbar. Nicht zuletzt aufgrund des Kostendrucks und der Tatsache, dass Produktlebenszyklen immer kürzer werden und KMU meist keine eigene Grundlagenforschung betreiben, ist das Know-How von Lieferanten darüber hinaus eine wichtige Quelle zur Generierung von Innovationen. Diese Innovationen können wiederum gewinnbringend an die Kunden weitergegeben werden. Lieferantenmanagement wird ebenfalls betrieben, um möglichst flexibel auf Kundenanforderungen reagieren zu können. Schlussendlich können KMU mit 39 SCM-Maßnahmen Lieferzeiten verkürzen und - beispielsweise durch Materialreduktion - Kosten senken. 3.2.2 Sektorspezifische Herausforderungen aus Unternehmenssicht Wettbewerbsfähig zu bleiben erfordert motivierte und flexible Arbeitskräfte, die den immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen und den damit in Verbindung stehenden technischen Herausforderungen gewachsen sind. Der Fachkräftemangel ist ein im Technologiesektor weit verbreitetes Problem (das mit dem demografischen Wandel fortschreitet), auf das im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht näher eingegangen wird. „Mithalten können“ im globalen Wettbewerb erfordert darüber hinaus, die technische Ausstattung im Unternehmen stets auf dem letzten Stand zu halten. Die damit verbundenen Investitionen regelmäßig aufzubringen ist für KMU oftmals eine bedeutende Herausforderung. Als weitere Schwierigkeit werden die zunehmend strengeren gesetzlichen Rahmenbedingungen, beispielsweise beim Umweltschutz, betrachtet. Der in Österreich vergleichsweise hohe Standard wird als Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit angesehen und es besteht der Wunsch nach einer Anpassung der weltweiten Produktionsbedingungen, um gleiche Voraussetzungen zu schaffen. Gleichzeitig werden jedoch (vor allem auf EU-Ebene) Gesetze erlassen, die für Betriebe, die qualitativ hochwertige, energieeffiziente und langlebige Produkte herstellen, durchaus vorteilhaft sind. Im Falle von THIEN eDrives sind dies beispielsweise die EU-Elektromotorenverordnung, die Anforderungen hinsichtlich der Energieeffizienz von Elektromotoren vorschreibt (WKO, 2011) oder allgemein gesetzliche Bestimmungen zur Förderung alternativer Antriebssysteme. In der Beschaffung bestehen einige weitere Herausforderungen, welche nicht selten mit der Unternehmensgröße zusammenhängen. Ein wichtiger Punkt ist hier die Materialverfügbarkeit. Große Hersteller von Komponenten, die die KMU für die Weiterverarbeitung benötigen (wie z.B. Leiterplatten) werden zuerst an 40 Großverbraucher (wie Hersteller von Mobiltelefonen) geliefert. Erst in der zweiten Linie folgt die Distribution, die die KMU mit den benötigten Produkten und Komponenten versorgt. So können sich Nachteile bei Lieferzeiten und Verfügbarkeit ergeben. Ungeachtet dessen wird die Zusammenarbeit mit Distributoren jedoch als weitgehend positiv wahrgenommen. Tritt der Fall ein, dass ein Lieferant ein bereits im Produkt integriertes Bauteil aus dem Sortiment nimmt, da die Nachfrage zu gering ist oder die Laufzeit endet, entstehen immense Kosten. Das gesamte Produkt muss neu aufgesetzt („eindesignt“) und die Anlagen auf die geänderten Anforderungen hin parametriert werden – mitunter für ein Bauteil, dessen Preis im Cent-Bereich liegt. Um dieser Abhängigkeit entgegen zu treten, wird im Rahmen des „Last Order“ 9 auf Vorrat eingekauft, sobald sich abzeichnet, dass der Lieferant das Bauteil nicht mehr länger produziert. Ein weiterer Punkt hinsichtlich Beschaffung ist die Lieferzeit. Aufgrund der meist geringen Stückzahlen, die von KMU eingekauft werden, wird ihrer Bestellung oftmals eine geringere Priorität eingeräumt (vgl. Heß, 2010, S. 213f). Geringe Bestellmengen können außerdem dazu führen, dass anspruchsvolle Qualitätsanforderungen und Maßnahmen zur Lieferantenentwicklung schwer durch- bzw. umsetzbar sind. KMU im Technologiesektor sind oft in hohem Maße spezialisiert auf bestimmte Anwendungen, sodass Standardkomponenten meist nicht eingesetzt werden können. Die vorherrschende Volatilität, sowohl was die Produktpreise als auch die Auftragslage betrifft, trägt zu den Unsicherheiten bei. Rohstoffknappheit wird im Gegensatz zur oben beschriebenen Materialverfügbarkeit nur begrenzt bei spezifischen Materialien wie Metallen (Magnetmaterial) als Problem wahrgenommen, da es zu Preissteigerungen kommt. Ein Versorgungsrisiko, das bei Rohstoffen wie Seltenen Erden durchaus besteht (vgl. Europäische Kommission, 2014a), wird für das eigene Unternehmen nicht gesehen. 9 Letzte Bestellmöglichkeit 41 Erhalten KMU Anforderungen von ihren Kunden hinsichtlich Umwelt- und Sozialstandards in der Lieferkette, geben sie diese Kriterien als Vertragsbestandteil an ihre Lieferanten weiter. Der entscheidende Punkt ist dabei die Überprüfung, die sich umso schwieriger gestaltet, je größer die geografische Distanz zum Lieferanten ist: „Wo wir uns schwer tun ist die Überprüfung, ob das eingehalten wird… zum Beispiel bei einem indischen Lieferanten… Er war zwar mehrmals hier, aber wir waren nie vor Ort und ja… Wir geben’s zwar weiter … [aber] so Sachen können wir dann nicht überprüfen“10 Hinsichtlich der Umsetzung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Lieferkette generell besteht die größte Herausforderung für die Unternehmen darin, Ressourcen für Maßnahmen aufzubringen, die (noch) nicht vom Markt nachgefragt werden (siehe Kapitel „Barrieren“). 3.2.3 In der Praxis angewendete Instrumente Nach Heß (2010, S. 185ff) können sechs Gestaltungsfelder einer Supply-Strategie unterschieden werden: Demand Dieses Gestaltungsfeld zielt darauf ab, die Nachfrage – also den Bedarf – mengenmäßig zu betrachten. Ein Hebel wäre beispielsweise die Bedarfsmengen zu reduzieren oder die Bedarfe zu bündeln. Eine weitere Option besteht im gebündelten Einkauf mit anderen internen oder externen Bedarfsträgern. Beschaffungsobjekt Hierbei geht es um kunden- bzw. kostenorientierte Optimierungen der Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen. Ein Beispiel wäre, über die Formulierung von Firmenstandards die Teilevielfalt zu reduzieren. Auch Make-or-Buy-Entscheidungen fallen unter dieses Gestaltungsfeld, 10 Interview 1 42 also welche Leistungen im Unternehmen oder vom Lieferanten erbracht werden. Sourcing Dies ist häufig das zentrale Gestaltungsfeld einer Supply-Strategie. Dabei wird die Struktur des Lieferantenmix optimiert. Darunter fallen Fragen wie: Mit welchen Lieferanten werden Partnerschaften eingegangen? Wo wird produziert und montiert, befinden sich die Orte der Wertschöpfung? Wie lässt sich die optimale Lieferantenzahl bestimmen? Das Gestaltungsfeld Sourcing kann unterteilt werden in: a) Lieferantenbeziehung, b) Beschaffungsregion, c) Wertschöpfungsort, d) Netzwerksteuerung und e) Lieferantenzahl. Entgelt (Preis & Konditionen) (Preis & Konditionen) Ziel ist, die Preise und Konditionen langfristig günstig zu gestalten. Bestandteile sind die Wahl von Markt oder Kosten als Preisbildungsbasis, die Intensität des Preisdrucks oder die Einführung leistungsabhängiger Preisbestandteile. Prozesse Die Versorgungsprozesse werden auf ihr Verbesserungspotential überprüft. Dazu zählen die Unterpunkte Entwicklungsprozess, strategischer Bestellprozess, Beschaffung und Materialversorgung (Logistik) sowie Qualitätssicherung. Umfeld Einfluss auf das Marktumfeld auszuüben und dessen Entwicklungen und Trends mitzubestimmen, ist kaum bzw. im Normalfall nur Großunternehmen möglich. Jedoch darf die Stärke von KMU im kommunalen und regionalen Umfeld nicht unterschätzt werden. Die zur Beantwortung der Forschungsfragen relevanten Themen liegen vor allem in den Gestaltungsfeldern „Sourcing“ sowie „Prozesse“, wenngleich es zwischen 43 allen sechs Bereichen Überschneidungen gibt und sie somit nicht klar abgegrenzt werden können (Heß, 2010, S. 186). Im Folgenden werden jene Handlungsfelder bzw. Instrumente näher erläutert, die in der Praxis der befragten Unternehmen Relevanz besitzen. Es sind auch jene Bereiche, die für die Umsetzung von Nachhaltigkeit in der Lieferkette bedeutsam sind. 3.2.3.1 Lieferantenbeziehungen Heß (2010, S. 209) Transaktionsorientierte nennt zwei Typen Lieferantenbeziehungen, von die auf Lieferbeziehungen: den kurzfristigen Verhandlungserfolg abzielen, sowie partnerschaftliche Geschäftsbeziehungen, die sich durch eine langfristige Zusammenarbeit mit (ausgewählten) Lieferanten auszeichnen. „Die Grundidee ist, dass eine freiwillige kooperative Zusammenarbeit über mehrere Transaktionen hinweg für beide Partner vorteilhaft sein kann, d.h. also eine klassische Win-Win-Situation darstellt. Somit entsteht […] die benötigte Stabilität der Lieferbeziehung“.11 Für THIEN eDrives stellen gute Lieferantenbeziehungen mit den strategisch bedeutsamen Zulieferern einen wesentlichen Erfolgsfaktor und eine wichtige Komponente in der Produktrealisierung dar. Grundsätzlich – und dies gilt nicht nur für THIEN eDrives - liegt die Betrachtung auf den direkten Zulieferern (first-tier) und es erfolgt in der Regel keine Berücksichtigung von Lieferanten auf tieferen Ebenen der Wertschöpfungskette (außer der Produktentwicklungs- oder Herstellungsprozess verlangt dies). In einigen Fällen geht die Zusammenarbeit soweit, dass bei der Produktentwicklung Techniker und Ingenieure des Lieferanten (beispielsweise eines Herstellers von Leiterplatten) bei THIEN eDrives vor Ort sind und gemeinsam an Lösungen, Verbesserungen und Innovationen gearbeitet wird. Im 11 Heß, 2010, S. 209 44 Sinne einer Value Added Partnership partizipiert der Lieferant so an der Wertschöpfung. Dies erfordert ein hohes Maß an Vertrauen und schafft Abhängigkeiten, weshalb diese Form der Zusammenarbeit vorrangig bei teuren Komponenten und komplexen Systemen praktiziert wird. „Es können sich dank der Integration und der räumlichen Nähe hohe Potenziale bei der Lieferzuverlässigkeit, der Lieferdurchlaufzeit bzw. Verfügbarkeit sowie bei den Kosten […] ergeben“ (Schnetzler et al, 2008, S. 395). Auf die Thematik der langfristigen Lieferantenbeziehungen wird in Kapitel 3.4.4 näher eingegangen. 3.2.3.2 Lieferantenauswahl und –bewertung Die Lieferantenbewertung umfasst die systematische Erfassung, Vorbereitung und Evaluierung von Informationen, um neue Lieferanten auszuwählen und die Leistung bestehender zu überwachen. Typische Kriterien sind Qualitätsanforderungen, quantitative Aspekte (z.B. Liefermengen), Zeitaspekte (wie Termintreue), Kosten bzw. Preise sowie unternehmensbezogene Daten (z.B. Bonität). „Während sich die traditionelle Lieferantenbewertung primär auf Qualität und Kosten fokussierte, werden heute vermehrt die Lieferleistung sowie auch ökologische und gesellschaftliche Aspekte (z.B. Arbeitsbedingungen) in Betracht gezogen“ (Schnetzler et al, 2008, S. 391). Letzteres konnten die Forschungsergebnisse nicht belegen. Für KMU im B2B-Bereich sind weiterhin Kosten, Qualität und Termintreue ausschlaggebend. Bei THIEN eDrives wird der Prozess der Lieferantenauswahl über das Qualitätsmanagement nach ISO9001 systematisch geregelt. Die Auswahl eines Lieferanten erfolgt grundsätzlich danach, ob der Kunde im Automobil- oder Industriebereich angesiedelt ist. Weiters spielen Qualitätsanforderungen und Preisgestaltung eine wichtige Rolle. Bei neuen Lieferanten wird eine Selbstauskunft eingeholt und Besuche vor Ort sowie Produktionsversuche durchgeführt, bevor Verträge fixiert werden. Generell sind Audits vor Ort beim Lieferanten der zentrale Überprüfungsmechanismus insbesondere hinsichtlich Qualitätsanforderungen. Alle Lieferanteninformationen werden über ein ERP- 45 System abgebildet, wesentlich dabei sind vor allem aktuelle Informationen zu Warenflüssen und Termineinhaltung. Eine Software für Qualitätsmanagement speist Qualitätsthemen ein und macht Qualitätsverfehlungen sichtbar. An dieser Schnittstelle arbeiten Qualitätsmanagement und Einkauf eng zusammen. Schreibt ein Kunde von THIEN eDrives den Unterlieferanten vor, durchläuft dieser dasselbe Prozedere wie ein neuer Lieferant. 3.2.3.3 Lieferantenentwicklung Das Hauptziel der Lieferantenentwicklung ist es, beschaffte Produkte, Dienstleistungen und Technologien sowie die Lieferleistung (Zuverlässigkeit, Lieferdurchlaufzeit, Flexibilität) zusammen mit dem Lieferanten zu verbessern. Dabei kommen Methoden der kontinuierlichen Verbesserung und Maßnahmen wie strategische und operationelle Beratung, Know-how-Transfer oder finanzielle oder personelle Unterstützung zum Einsatz (Schnetzler et al, 2008, S. 387). Bestimmte Kunden von THIEN eDrives, insbesondere im Automobilbereich, fordern die Weiterentwicklung der Lieferanten (u.a. über Zertifizierungen wie ISO/TS 16949) ein. Es wird dann versucht, die Zulieferer hinsichtlich der Vermeidung von Fehlern und einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu sensibilisieren. Verläuft dies nicht erfolgreich und es kommt zu Reklamationen, sind Eskalationsstufen mit wöchentlichen Besprechungen und ähnlichen Maßnahmen vorgesehen. Daraus kann geschlossen werden, dass die Akzeptanz der Lieferanten hinsichtlich Kundenanforderungen nicht immer im gewünschten Ausmaß vorhanden ist. 3.2.3.4 Lieferantenzahl und Beschaffungsregion THIEN eDrives verfügt derzeit über ca. zehn strategisch bedeutsame Lieferanten im Bereich Elektronik. Eine breitere Auswahl an Zulieferern besteht bei Rohstoffen wie Aluminium, Stahl und Kupfer. Seit der Ausgliederung aus dem ATB-Konzern 46 „[…] geht der Trend wieder in Richtung Regionalität“ (Interview 1). Heute ist der Großteil der direkten Zulieferer in der Region angesiedelt, da es sich nicht zuletzt aufgrund der geringen Stückzahlen betriebswirtschaftlich nicht rechnet, global zu beziehen. Die Zusammenarbeit mit asiatischen Lieferanten wurde aufgrund zahlreicher Komplikationen beendet (s. Kapitel 3.4.4). 3.2.3.5 Qualitätssicherung Die im vorliegenden Qualitätssicherung sind Kontext vorherrschenden Instrumente in einerseits Lieferantenaudits (Qualitätsaudits) der beim Lieferanten und damit in Zusammenhang die Zusammenarbeit mit Lieferanten zur Erreichung von Produkt- und Prozessverbesserungen. Die ISO 9001-Zertifizierung gilt als Standard in der Elektro- und Elektronikbranche. Die Pluspunkte dieser Instrumente bestehen im systematischen Vorgehen, um die Erfüllung der Qualitätsanforderungen sicher zu stellen, sowie die intensive Entwicklung der Produkt- und Prozessqualität in der Zusammenarbeit mit Lieferanten. Risiken gibt es hinsichtlich des hohen Vorbereitungs- und Durchführungsaufwandes und der notwendigen Bereitschaft des Lieferanten, am kontinuierlichen Verbesserungsprozess aktiv mitzuarbeiten (Heß, 2010, S. 262). Wie oben angeschnitten, ist diese in der Praxis nicht immer selbstverständlich. 47 3.3 Soziale und ökologische Auswirkungen der Lieferketten der technischen Industrie Auf jeder Stufe einer Lieferkette gibt es Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft. Für Unternehmen wird es zusehends wichtiger, diese zu kennen und sie in ihre wirtschaftlichen Entscheidungen mit einzubeziehen (UN Global Compact, 2012, S. 7). Der folgende Abschnitt beschreibt die wesentlichen sozialen und ökologischen Auswirkungen anhand des Lebenszyklus technischer/elektronischer Produkte. Abbildung 9: Material- und Energieinput im Lebenszyklus technischer Produkte (Wuppertal Institut, 2013, S. 17) Abbildung 9 illustriert die einzelnen Phasen mit Fokus auf Material- und Energieinput. Wichtig ist jedoch, neben Umwelt- auch gesellschaftliche Faktoren und die Stakeholder mitzudenken, die über den Lebenszyklus auf verschiedenen Stufen am Wertschöpfungsprozess beteiligt sind (siehe Darstellung Abbildung 10). Von der Rohstoffförderung über die Herstellung bis hin zur Nutzung sind gesellschaftliche Akteure als ArbeitnehmerInnen, ansässige Bevölkerung oder KonsumentInnen in Wertschöpfungsprozesse involviert. 48 Abbildung 10: Soziale und ökologische Auswirkungen im Produktlebenszyklus12 (UN Global Compact, 2012, S. 7) 3.3.1 Rohstoffextraktion Das 20. Jahrhundert war geprägt von einem nie dagewesenen technologischen Fortschritt sowie demografischem und wirtschaftlichem Wachstum. Abbildung 11 zeigt, dass Letzteres mit einer gewaltigen Steigerung der Rohstoffentnahme einherging. 12 UN Global Compact, 2012, S. 7 49 Abbildung 11: Die globale Ressourcenentnahme in Milliarden Tonnen, 1900-2000 (UNEP, 2011, S. 7 nach Krausmann et al, 2009) Die Extraktion von Erzen und mineralischen Rohstoffen stieg um den Faktor 27, jene der fossilen Treibstoffe um den Faktor 12. Gleichzeitig wuchs das weltweite Wirtschaftswachstum um das 23fache. Dieser rapide Anstieg des Materialkonsums war ungleichmäßig verteilt und hatte weitreichende ökologische Folgen (UNEP, 2011, S. 7). Um den Wohlstand zu maximieren, werden in Industrieländern (und in zunehmendem Maße in Entwicklungs- und Schwellenländern) immer mehr Ressourcen verbraucht und die Dienstleistungen der Natur immer stärker beansprucht (z.B. Senkenfunktion der Böden, Klimaregulierung, Selbstreinigung der Gewässer) (Wuppertal Institut, 2013, S. 2). Die Effizienzgewinne der vergangenen Jahre – mehr Output mit demselben oder weniger Input zu erreichen – konnten den absolut steigenden Materialverbrauch bei weitem nicht ausgleichen. Um im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu wirtschaften, wäre eine Reduktion der Ressourcenentnahme um den Faktor 5 bis 10 notwendig (Wuppertal Institut, 2013, S. 4f). So werden etwa in der Elektronikbranche neben fossilen Energieträgern insbesondere die Rohstoffe Bauxit (Ausgangsmaterial für Aluminium) und andere 50 (Edel-)Metalle wie Gold und Kupfer benötigt. Mit der Komplexität von Produkten und Bauteilen, welche im letzten Jahrzehnt enorm zugenommen hat, kommen verstärkt auch Seltene Erden zum Einsatz (Luidold et al, 2013, S. 238)13. Motoren für Elektrofahrzeuge etwa, wie sie bei THIEN eDrives hergestellt werden, benötigen leistungsfähige Permanentmagnete, die Seltene Erden wie Neodym und Dysprosium enthalten. Aufgrund ihrer hervorragenden hartmagnetischen Eigenschaften in Verbindung mit anderen Elementen wie Eisen oder Kobalt gelten sie heute als unverzichtbar (Fraunhofer Institut, 2015). Die Importabhängigkeit Europas bei diesen Rohstoffen beträgt zwischen 50 (Kupfer) und 100 Prozent (Gold, Seltene Erden) (Europäische Kommission, 2014a). Nicht zuletzt deshalb fallen viele der Seltenen Erden in die Kategorie der „kritischen Rohstoffe“ – kritisch vor allem deshalb, da bei ihnen das Risiko eines Versorgungsengpasses und dessen Folgen für die (europäische) Wirtschaft um ein Vielfaches höher sind als bei anderen Rohstoffen. China ist in der weltweiten Versorgung mit den 20 von der EU als kritisch eingestuften Rohstoffen das mit Abstand einflussreichste Land, da es die Weltproduktion dominiert. Darüber hinaus können viele dieser Materialien nur schwer ersetzt werden und es besteht derzeit eine sehr geringe Rückgewinnungsquote (Europäische Kommission, 2014a, S. 5). Wie Abbildung 12 zeigt, stammen zwei Drittel der Weltbergbauproduktion aus Regionen mit instabilen politischen Verhältnissen und einer damit einher gehenden hohen Wahrscheinlichkeit von Produktionsstörungen (Weber, 2012, S. 17). 13 17 Erdelemente zählen zu den Seltenen Erden. Sie kommen in rund 250 verschiedenen Mineralien vor, jedoch häufig in wirtschaftlich nicht vertretbarer Konzentration bzw. Form (Luidold, 2013). 51 Abbildung 12: Politische Stabilität der Produzentenländer im Bergbau in Mio. metr. t Wertstoffinhalt, ohne Baurohstoffe (Weber, 2012, S. 35) Die für die technische Industrie wesentlichen Rohstoffe wie Bauxit (Aluminium), Gold, Kupfer und andere Metalle werden fast ausschließlich in Entwicklungs- und Schwellenländern abgebaut, in denen die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards nicht gewährleistet ist. Die Förderung von Edelmetallen hat besonders weitreichende Umweltauswirkungen, da sie nur in geringer Konzentration in den Erzen enthalten sind und häufig aus großer Tiefe gefördert werden müssen. Damit ist ein enormer Energieverbrauch und CO2-Ausstoß verbunden (Wuppertal Institut, 2013, S. 1). So ist etwa der Kupfergehalt in Erzen mittlerweile auf weniger als 1 Prozent gesunken, in vielen Abbaugebieten sogar auf unter 0,5 Prozent. Dadurch steigt die Menge des Abraums massiv und zur Extraktion des Metalls wird immer mehr Wasser und Energie benötigt (CSCP, Global Nature Fund & Südwind, 2014, S. 16). 52 Da die weltweiten Rohstoffvorkommen zurückgehen und die Konzentration nahezu aller bekannten Metalle (v.a. Kupfer, Gold) stetig abnimmt, sind immer größere Investitionen in die Exploration vonnöten. Das ist auch bei fossilen Energieträgern der Fall. Dies trägt nicht nur zu Preissteigerungen bei: Die Erschließung hochsensiblen neuer Fundstätten Regionen bringt in entlegenen zudem eine und weitere oftmals ökologisch Degradierung von Ökosystemen sowie einen enormen Energieverbrauch mit sich und hat weitreichende negative soziale Folgen (CSCP et al, 2014, S. 8f). Folglich ist bei Betrachtung der Lieferkette technischer Produktkomponenten wichtig, auf die vorgelagerten Prozesse aufmerksam zu machen. Jedes Produkt trägt seinen „ökologischen Rucksack“ an Ressourcen, die über den oben gezeigten Lebenszyklus verbraucht werden. Um diesen zu berechnen, werden die für alle Leistungen (Herstellung, Transport, Nutzung und Entsorgung) notwendigen Ressourcen addiert. Für ein Kilogramm Kupfer aus Primärproduktion beispielsweise – ein Rohstoff, der bei allen elektronischen Anwendungen Verwendung findet – ergibt sich ein ökologischer Rucksack von ca. 350 Kilogramm an abiotischen Rohstoffen und 370 Kilogramm Wasser (Wuppertal Institut, 2013, S. 17 und 2014, S. 3). Dabei verbessert die Verwendung von recycelten Rohstoffen (Sekundärmaterial) die Ökobilanz um ein Vielfaches, wie Abbildung 13 verdeutlicht. 53 Abbildung 13: Ökologischer Rucksack einzelner Metalle (CSCP et al, 2014, S. 12, in Anlehnung an Wuppertal Institut, 2014) Natürliche Ressourcen sind eine wichtige Einnahmequelle für viele der ärmsten Länder der Erde, tragen jedoch meist nicht im erhofften Maß zur lokalen und nationalen sozioökonomischen Entwicklung bei. In vielen Fällen bringen die Investitionen von Erdöl-, Gas- oder Bergbauunternehmen im Gegenteil negative Auswirkungen wie Luft- und Wasserverschmutzung und die Degradierung sensibler Ökosysteme mit sich (Business & Human Rights Resource Centre, 2015). Soziale Auswirkungen des Bergbaus hängen vielfach mit der Beanspruchung von Landflächen zusammen, die oft mit Zwangsumsiedlungen, unzureichenden Entschädigungszahlungen bis hin zu Vertreibungen lokaler Bevölkerungsgruppen einher geht (CSCP et al, 2014, S. 8f). In einigen Fällen führ(t)en Bergbauvorhaben zu gewaltsamen Konflikten, wie das bekannte Beispiel des beabsichtigten Ausbaus der Bauxit-Extraktion in Orissa, Indien, zeigt. Dort verübte das britische Bergbauunternehmen Vedanta unter Beauftragung bewaffneter Sicherheitsfirmen weitreichende Menschenrechtsverletzungen gegen die indigene Gruppe der Dongria Kondh (Amnesty International, 2012). Der Fall macht auch die enge Verflechtung zwischen ökologischen und sozialen Auswirkungen sichtbar, da sich die Minen oft in Regionen befinden, in denen funktionierende Ökosysteme die Lebensgrundlage der Menschen darstellen. 54 Übernehmen Firmen keine Verantwortung für die ökologischen und sozialen Auswirkungen, bringen (Groß-)Bergbauvorhaben weder Einkommen für die lokale Bevölkerung noch die nationale Regierung, um die sozialen Bedingungen zu verbessern. Transparenz und Rechenschaftspflicht seitens der operierenden Firmen fehlen meist vollständig (BHR-RC, 2015). In Zusammenhang mit der zunehmend aufkommenden Elektromobilität (die auch für THIEN eDrives einen wichtigen Markt darstellt) ist anzumerken, dass sich bei Elektrofahrzeugen im Gegensatz zu konventionell angetriebenen Fahrzeugen das Gewicht der Umweltinanspruchnahme aufgrund der Ressourcenintensität 14 vom Betrieb des Fahrzeugs zur Herstellung verlagert. Damit verliert der/die NutzerIn an Einfluss auf die Umweltbilanz des Fahrzeugs (Wuppertal Institut, 2012, S. 15) 3.3.2 Produktion und Transport Dieser Teil der Lieferkette umfasst die Herstellung von Komponenten und den Zusammenbau von Komponenten oder Produkt sowie dessen Transport. Bei elektronischen Produkten ist die Herstellung von Leiterplatten mit Halbleiterplättchen (Chips) besonders ressourcenintensiv. Gründe sind der Einsatz von Chemikalien und Gasen sowie Seltenen Erden, Wasser und Energie, insbesondere Strom. So werden für die Produktion von 38,7 Gramm Leiterplatte mit Chips ca. 26,3 Kilogramm Materialien benötigt. Als Output fallen Abwärme, Emissionen, Abwasser und gefährliche sowie nicht gefährliche Abfall an, wie in Abbildung 14 ersichtlich (Infineon, 2014, S. 18). Die Herstellung macht bei elektronischen Umweltbelastung Produkten aus, ca. vorrangig 40-50 Prozent bedingt durch der produktbezogenen Energieverbrauch und Chemikalieneinsatz (Wuppertal Institut, 2013, S. 46). 14 Hervorgerufen wird diese durch die aufwendigen Batterien, die u.a. die kritischen Rohstoffe Nickel und Lithium beinhalten 55 Abbildung 14: Input-Output Analyse des Leiterplattenherstellers Infineon15 (Infineon, 2014, S. 17) Findet die Produktion in Asien statt, kommt hinzu, dass die benötigte Energie größtenteils aus Kohle gewonnen wird. Dies verschlechtert die Ökobilanz zusätzlich (Greenpeace, 2014). Die Produktionsweise und die eingesetzten Stoffe wirken sich nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf Arbeitsbedingungen aus. So ist aus der Herstellung von Elektronikprodukten für den Konsumgütermarkt bekannt, dass ArbeiterInnen chinesischer Fabriken in hohem Maße giftigen Chemikalien und Schwermetallen ausgesetzt sind (The Guardian, 2011). Untersuchungen von Nichtregierungsorganisationen ergaben außerdem, dass ein Arbeitspensum von bis zu 74 Stunden/Woche im Schichtbetrieb, 7-Tage-Woche und Gehälter unter 15 „Wafer“ bedeutet Halbleiterscheibe 56 dem Mindestlohn üblich sind. Hinzu kommen ein extrem hoher Arbeitsdruck und systematische Einschüchterungstaktiken seitens der Betriebsleitung (bzw. von beauftragten Sicherheitsfirmen), die eine enorme psychische Belastung darstellen. Solche Praktiken wurden auch bei Zulieferern entdeckt, die sich dem EICC Standard (s. Kapitel 3.4.2.2.3) verpflichtet haben (Electronics Watch, 2013). Was den Transport von elektronischen Komponenten betrifft – großteils von Südostasien nach Europa – hat dieser vergleichsweise geringe Umweltauswirkungen von ca. 20 Prozent an der gesamten Umweltbelastung (Wuppertal Institut, 2013, S. 46). 3.3.3 Nutzungsphase Sobald ein technisches Produkt beim Kunden bzw. dem/der KonsumentIn angekommen ist, zählt in Bezug auf die Umweltauswirkungen vorrangig der Energieverbrauch. Elektromotoren und elektromotorische Systeme verursachen ca. 40 Prozent des gesamten weltweiten Stromverbrauchs und 60-70 Prozent des Stromverbrauches der Industrie. Dies liegt nicht zuletzt am breiten Anwendungsgebiet von Elektromotoren, das von Pumpen über Ventilatoren bis hin zu Elektrofahrzeugen reicht (Fraunhofer Institut, 2011, S. 3). Über die Lebensdauer eines Elektromotors (30.000 bis 40.000 Betriebsstunden über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren) machen die Betriebskosten 90 Prozent der Gesamtkosten aus. Neben der Wartung sind die Energiekosten der größte Anteil (Austrian Energy Agency, 2009, S. 6). Aus ökologischer Sicht ist an dieser Stelle die Art der Stromquelle zu hinterfragen. Wird elektrische Energie durch nachwachsende Rohstoffe generiert, die bei ihrem Wachstum genau so viel CO 2 binden wie sie bei der energetischen Verwertung wieder freigeben, gilt er als CO2neutral. Bei fossilen Energieträgern ist der Emissionswert naturgemäß höher. Handelt es sich um Atomstrom, muss zusätzlich die Menge radioaktiven Abfalls berücksichtigt werden (E-Control, 2015), wie in Abbildung 15 ersichtlich. 57 Abbildung 15: CO2-Emissionen und radioaktiver Abfall einzelner Energieträger (E-Control, 2015) 3.3.4 Entsorgung und Wiederverwertung Viele Abfälle aus technologischen Produkten, vor allem Hartmetalle sowie Kupfer und Aluminium, werden in Österreich dem Recycling zugeführt. Kunststoff wird meist energetisch genutzt. Die Wiederverwertung von Materialien hat äußerst positive Umwelteffekte verglichen mit der Verwendung von Primärmaterial: Beispielsweise ist die Materialintensität von Aluminium aus sekundären Quellen um den Faktor 4000 geringer. Auch beim Wasserverbrauch schneidet Recyclingmaterial um ein Vielfaches besser ab (Wuppertal Institut, 2014, S. 1). Im industriellen Bereich werden insbesondere metallische Komponenten, die teuer im Einkauf sind, wiederverwertet. Als problematisch gelten High-Tech-Produkte. 58 Deren Geräteteile sind aufgrund der Vielfalt, der eingeschränkten Trennbarkeit und der dissipativen Verwendung (in kleinen Mengen über das Produkt verteilt) nur unter sehr hohem Aufwand zu trennen. Vielfach handelt es sich dabei um an sich wertvolle Edel- und Sondermetalle bzw. Seltene Erden (Wuppertal Institut, 2013, S. 47). Obwohl bis zu 80 Prozent eines Elektrogeräts wiederverwertet werden können, passiert dies aufgrund des aufwändigen Recyclings und den damit einher gehenden Kosten in Europa oft nicht. Dann werden die Geräte trotz Ausfuhrverbot als „Elektroschrott“ Richtung Westafrika und Asien exportiert. Allein die Menge des aus Österreich stammenden Elektroschrotts beläuft sich auf 15.000 Tonnen pro Jahr (Südwind, 2013, S. 3). In den Empfängerländern wie Ghana, wo jährlich rund 40.000 Tonnen Elektrogeräte landen, schädigt der Elektroschrott nicht nur die Umwelt, sondern auch die Gesundheit der Menschen. Die Abfallverwertung ist informell organisiert und die Abfallplätze – oft mitten in Siedlungsgebieten – nicht gesichert. Vor allem Kinder und Jugendliche bestreiten ihren Lebensunterhalt, indem sie ohne Schutzkleidung Metalle aus den Geräten herausbrechen und verkaufen. Insbesondere Kupfer ist beliebt, das durch Verbrennen der Kabel extrahiert wird. Dabei werden gesundheitsgefährdende Dioxin-Emissionen freigesetzt (ebd, S. 3). Durch die immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen, insbesondere bei schwer zu recycelnden High-Tech-Produkten, wird das Aufkommen von Elektroabfall weiter in die Höhe getrieben. Abgesehen davon, dass für einige Komponenten in elektronischen Produkten die Qualität recycelten Materials nicht ausreichend ist (oder aus Produkthaftungsgründen nicht darauf zurückgegriffen wird), würde selbst eine optimale Kreislaufwirtschaft die prognostizierten Bedarfssteigerungen nicht decken können (Luidold et al, 2013, S. 9f). Bis auf wenige Ausnahmen sind bei den Schredderbetrieben in Österreich derzeit kaum konkrete Bestrebungen zur Schließung von Stoffkreisläufen bei kritischen Rohstoffen zu erkennen (Luidold et al, 2013, S. 13). 59 3.4 Nachhaltigkeit in der Lieferkette von KMU 3.4.1 Motivation 3.4.1.1 Ökonomische Gründe Zahlreiche Studien haben sich in den letzten Jahren der Frage gewidmet, ob die Umsetzung von CSR ein Unternehmen profitabler macht (Schreck, 2015, S. 71f). Auch wenn die Ergebnisse vielfältig ausfielen, so hat sich doch die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte bedeutend für die langfristige Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens ist (u.a. Carter et al, 2008, S. 377; D’heur, 2014, S. 28; Sroufe et al, 2013, S. 10). Was die Lieferkette betrifft, so nennt die Literatur eine Vielzahl an Belegen für die ökonomische Sinnhaftigkeit, die drei Nachhaltigkeitsdimensionen auch ins Lieferkettenmanagement einfließen zu lassen. Der UN Global Compact unterteilt die ökonomischen Vorteile, wie in Abbildung 16 ersichtlich, in drei Bereiche: a) Geschäftsrisiken begrenzen, b) Effizienzgewinne verwirklichen und c) Nachhaltige Produkte herstellen (UN Global Compact, 2012, S. 14). Abbildung 16: Der Business Case für nachhaltige Lieferketten (UN Global Compact, 2012, S. 14) 60 Der Global Compact formuliert zehn Prinzipien in den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung. Indem ein Unternehmen dafür sorgt, dass seine Lieferanten über Systeme zur Erfüllung dieser Prinzipien verfügen, kann es sich gegen Unterbrechungen in der Lieferkette oder Lieferverzögerungen wappnen. So können Risiken wie Versorgungsengpässe oder Reputationsschäden (beispielsweise hervorgerufen durch einen Umweltunfall) minimiert werden. Ein weiterer guter Grund für den konsequenten Umgang mit sozialen und Umweltproblemen besteht darin, die Lieferanten rechtzeitig auf strengere Umweltschutz- und Produkthaftungsvorschriften einzustellen und so die damit zusammenhängenden Haftungsrisiken beherrschbar zu machen (UN Global Compact, 2012, S. 14). Eine zusätzliche wirtschaftliche Motivation, die sozialen und ökologischen Auswirkungen in der Lieferkette zu berücksichtigen, sind Effizienzsteigerungen. Durch die Senkung des Energie-, Wasser- und Materialverbrauchs aber auch gesteigerte Mitarbeitermotivation können Kosten reduziert und Qualität und Produktivität gesteigert werden. Diese Potentiale zu heben setzt jedoch voraus, die einzelnen Stufen der Lieferkette sowie die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft sowie die entsprechenden Kostenfaktoren genau zu kennen und auf Basis dessen gemeinsam mit Lieferanten an Verbesserungen zu arbeiten. Als weiterer wesentlicher ökonomischer Vorteil wird in der Literatur die Generierung von Innovationen genannt. Über die Zusammenarbeit mit Lieferanten gelingt es vielen Unternehmen – darunter auch THIEN eDrives – vorhandene Produkte durch neue Leistungsmerkmale aufzuwerten oder gar neue Produkte zu schaffen. Wird dieses Potential für „grünere“ Produkte eingesetzt, die die Umwelt weniger belasten oder Vorteile bei der Entsorgung bringen, kann sich ein Unternehmen damit von Mitbewerbern abheben und neue Märkte bedienen (Sroufe et al, 2013, S. 8; UN Global Compact, 2012, S. 14). Es muss betont werden, dass nicht alle Szenarien auf alle Unternehmen anwendbar sind. Je nach Branche, Unternehmensgröße (auch innerhalb der KMU- 61 Definition), Art und Umfang der Lieferkette, Erwartungen der Stakeholder oder der Unternehmenskultur gestaltet sich der Business Case unterschiedlich. „The benefits of sustainable strategic plans [in the supply chain] for SMEs are different from those offered to MNEs [Multinational Enterprises]“ (Moore et al, 2008, S. 277). So spielen Machtverhältnisse eine große Rolle: KMU besitzen naturgemäß weniger Einfluss auf ihre Lieferkette als Großkonzerne. Darüber hinaus verfügen sie über weniger finanzielle und personelle Mittel zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen „[…] SMEs often lack the power, as well as the human, financial and technical resources, to control the supply chain“ (Pedersen, 2009, S. 113; vgl. auch Ciliberti, 2008, S.1580). Auch die Nähe zum/r EndkundIn, der/die nachhaltige Produkte und Prozesse einfordert, ist ein wichtiger Faktor (vgl. Sroufe, 2013; Moore et al, 2009 und Pedersen, 2009). Diese Nähe fehlt bei KMU im Technologiesektor, die sich in der Regel in der Mitte der Lieferkette befinden. Untermauert wird dies durch die Aussage fast aller befragten Unternehmen, dass sie „so gut wie nie“ externe Anfragen hinsichtlich Nachhaltigkeitsaspekten ihrer Produkte oder Prozesse erhalten. Grundsätzlich kann eine Managementpraxis, die auf mehreren Motiven beruht, den Nutzen einer nachhaltigen Lieferkette für das Unternehmen maximieren (UN Global Compact, 2012, S. 14). In den befragten Unternehmen werden zwar Maßnahmen im Management der direkten Zulieferer gesetzt, jedoch sind diese nicht (explizit) auf Umwelt- und soziale Themen fokussiert (vgl. Ciliberti et al, 2008, S. 1580). Aktivitäten, die über die Qualitätssicherung hinausgehen, laufen nicht formalisiert und strukturiert ab (vgl. Pedersen, 2009, S. 112). Vielmehr werden sie dann umgesetzt, wenn sie aus Sicht der KMU „Sinn machen“, wie beispielsweise eine Verkürzung des Transportweges. Solche Aspekte werden über persönlichen Dialog mit Zulieferern abgestimmt. Die Motivation dahinter ist jedoch nicht primär, Verbesserungen im ökologischen oder sozialen Bereich zu erreichen, sondern betriebswirtschaftliche Vorteile wie auszunutzen. KostenHat eine und Zeitersparnis Maßnahme oder positive Qualitätsverbesserungen Auswirkungen hinsichtlich Nachhaltigkeit (meist positive Umweltauswirkungen wie Energieeinsparung), so ist dies „lediglich“ ein willkommener Nebeneffekt. „Such [CSR] issues are generally 62 considered as subordinate in comparison with economic and/or product quality evaluations“ (Ciliberti et al, 2008, S. 1585). 3.4.1.1.1 Von Effizienz hin zu Effektivität Insbesondere in der neueren Literatur mehren sich die Stimmen, dass es angesichts der globalen weltumspannenden Herausforderungen Lieferketten lediglich nicht effizienter ausreichen (nach der wird, die Prämisse „verbessern, vermeiden, beschleunigen“) zu gestalten. Trotz der zunehmenden Erkenntnis, dass das vorherrschende, auf kurzfristigem Gewinn und stetigem Wachstum basierende Wirtschaftsmodell auf lange Sicht nicht tragfähig ist, setzen Unternehmen in ihrer Lieferkette vorrangig auf die Optimierung von Effizienz und Geschwindigkeit. Dies legen auch die Ergebnisse der vorliegenden Forschungsarbeit nahe. „Nachhaltigkeit ist nur von sekundärer Bedeutung und immer nur dann interessant, wenn sich […] letztendlich Kosten senken lassen“ (D’heur, 2014, S. 28). Maßnahmen werden im Allgemeinen reaktiv gesetzt, d.h. erst wenn sie von Kunden oder über gesetzliche Vorgaben verlangt werden. Das Konzept des Corporate Shared Value (CSV) von Porter und Kramer (2011) plädiert dafür, auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette einen positiven Mehrwert zu erzielen. Indem die Bedürfnisse der Gesellschaft beachtet und auch negative Externalitäten mit einbezogen werden, bietet die Berücksichtigung von Effektivität („die richtigen Dinge tun“) neue Chancen: Indem die ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen an jedem Punkt der Wertschöpfungskette einbezogen werden, können aus Risiken Marktchancen werden. Ein offenes, transparentes und kollaboratives Vorgehen ist dabei wesentlich (D’heur, 2014, S. 33, Sroufe et al, 2013, S. 10). Als Kritik kann jedoch angeführt werden, dass das CSV-Modell in der neoklassischen Sichtweise verhaftet bleibt und die für den Wettbewerb unabdingliche Profitmaximierung als moralisch gut angenommen wird. Das reine Profitmotiv ist also letztlich auch hier entscheidend. „Anstelle des funktionalen CSV-Konzepts brauchen Unternehmen ein ethisches Leitbild, wonach sie sich nicht nur als ökonomische, sondern auch als gesellschaftliche Akteure begreifen“ (Beschorner & Hajduk, 2015, S. 277). Ein solches Leitbild als normative 63 Handlungsgrundlage schließt Profitmaximierung nicht aus, sondern verleiht ihr erst ihre Legitimität. 3.4.1.2 Ethische und moralische Prinzipien Eine wichtige Motivation, die im Zusammenhang mit KMU immer wieder genannt wird, sind die im Unternehmen bzw. bei den EigentümerInnen vorherrschenden ethischen und moralischen Prinzipien. CSR-Aktivitäten werden gesetzt, weil es als „richtig“ empfunden wird – auch wenn die potentiellen ökonomischen Vorteile dabei nicht ignoriert werden (Pedersen, 2009, S. 112). Die persönlichen Motive der Eigentümer-ManagerInnen stehen oft in engem Konnex zur ethischen Unternehmenskultur eines Unternehmens. So kommt es, dass viele KMU eine exzellente CSR-bezogene Performance aufweisen, sich dieser Tatsache aber gar nicht bewusst sind und aufgrund dessen die strategischen Vorteile nicht nutzen (s. Kapitel „Potentiale“) (Gelbmann et al, 2015, S. 429). Werte als zentrales Element der Unternehmenskultur können in einer vernetzten Wirtschaftswelt zu „harten“ Erfolgsfaktoren werden, wenn sie Teil eines Unternehmenscodes sind (Hildebrandt, 2015, S. 441). Das Vorhandensein einer solchen Wertebasis als Grundlage für CSR-Maßnahmen in der Lieferkette kann durch die Ergebnisse der vorliegenden Forschungsarbeit großteils bestätigt werden. Mehrere der befragten Unternehmen veröffentlichen ihre Unternehmensphilosophie auf ihren Websites, wovon einige Auszüge in Abbildung 17 wiedergegeben werden. Die am häufigsten genannten Grundsätze sind Kundenorientierung, Innovation, Flexibilität, (Handschlag-)Qualität (untermauert durch das ISO9001-Zertifikat), Fachkompetenz und qualifizierte MitarbeiterInnen sowie vertrauensvolle Geschäfts- und Lieferantenbeziehungen. Die hohe Bedeutung der Förderung regionaler Wertschöpfung wird ebenfalls ersichtlich. Mit regionalen Lieferanten zu arbeiten um die Wertschöpfung im näheren Umkreis zu halten und zu fördern ist den Unternehmern wichtig unabhängig von den Vorteilen, die daraus gegebenenfalls für das Unternehmen selbst entstehen. Auch gesellschaftliche Anliegen wie die Beschäftigung von 64 Menschen mit Beeinträchtigungen finden aus intrinsischer Motivation heraus im Betrieb Anerkennung. Dabei gehen diese Maßnahmen in den meisten Fällen von der Einstellung und den Werten der EigentümerInnen bzw. GeschäftsführerInnen aus. Nicht selten handeln sie visionär und vorausschauend und antizipieren gesellschaftliche Entwicklungen, wie die Geschäftsführer eines der befragten KMU, die bereits Anfang der 1990er Jahre in Technologien zur energieeffizienten Produktion investierten – zu einer Zeit, in der ein solches Investment als unnötiger Kostentreiber galt. Abbildung 17: Auszüge aus Unternehmens-Websites Auszüge aus Unternehmens-Websites „Wir stellen den Menschen in den Mittelpunkt. Nur der partnerschaftliche Umgang mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten gibt die Sicherheit, im heutigen Marktgeschehen bestehen zu können“ „[Wir verfolgen] strukturell qualitatives Wachstum sowie ein Management mit klarem Bekenntnis zur Region […]“ „Unsere Leitmotive sind Handschlagqualität, Flexibilität, Termintreue, faire Preise, Kundenbegeisterung, 0-Fehler-Prinzip, vernetzte Logistik und internationale Ausrichtung“ „Durch fehlerfreie Produkte und Dienstleistungen gepaart mit maximaler Flexibilität und Liefertreue sichern wir Ihren Erfolg“ „Motivierte, bestens geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bilden die Basis unseres Erfolgs“ „Unsere Mitarbeiter sind der Pulsschlag unseres Unternehmens. Ihre Gesundheit und somit ein optimal gestalteter Arbeitsplatz […] sind uns ein besonderes Augenmerk“ 65 3.4.2 Treiber 3.4.2.1 Gesetzliche Anforderungen Ein wesentlicher Treiber für die Umsetzung von Maßnahmen mit positiven ökologischen oder sozialen Effekten sind gesetzliche Vorgaben. Diese sind einerseits direkt für das jeweilige Unternehmen gültig oder sie werden indirekt über Kunden, die von einem Gesetz betroffen sind, an die Lieferanten weitergegeben und finden sich so in den Kundenanforderungen wieder. Abbildung 18 veranschaulicht diese „Anforderungskette“. Im europäischen Kontext sind es insbesondere EU-Gesetze (vor allem im ökologischen Bereich), die zur Umstellung von Praktiken führ(t)en. Eine viel diskutierte Regelung ist in dieser Hinsicht beispielsweise die EU-Richtlinie zur Beschränkung gefährlicher Stoffe in elektrischen Geräten (RoHS) 16, welche die schrittweise Substitution bestimmter Materialien wie Blei vorsieht (EU- Kommission, 2015). Fordert ein Kunde von THIEN eDrives etwa eine RoHSkonforme Lieferung, so gibt das Unternehmen diese Forderung an seine Lieferanten weiter bzw. kann THIEN eDrives nur jene Lieferanten heranziehen, die die RoHS-Konformität bestätigen können. Eine weitere relevante Regelung ist der Dodd Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act („Dodd Frank Act“), der 2010 vom US-Kongress verabschiedet wurde. Dieses Gesetz stellt eine Verpflichtung für börsennotierte US-Firmen dar, sicherzustellen, dass die zur Herstellung ihrer Produkte verwendeten Mineralien (Zinn, Tantal, Wolfram und Gold) nicht aus dem Konfliktgebiet Kongo und seinen Nachbarstaaten stammen. Damit soll die Finanzierungsquelle für bewaffnete Gruppen in den betroffenen Gebieten unterbunden werden (Global Witness, 2015). Werden Mineralien aus der betroffenen Region bezogen, so muss offengelegt werden, aus welcher Mine 16 Restriction of Hazardous Substances in Electrical and Electronic Equipment Directive, kurz „RoHS“ 66 diese extrahiert wurden. Der Dodd Frank Act stellt das erste Gesetz dar, welches Unternehmen im Technologiesektor für Vorgänge in den untersten Ebenen ihrer Lieferkette verantwortlich macht (Fairphone, 2012) 17 . Für europäische KMU bedeutet dies, dass bei Lieferungen in die USA die Lieferanten der Produktkomponenten angegeben sowie Nachweise, die die Herkunft der Materialien bestätigen, vorgelegt werden müssen. Auch auf EU-Ebene ist eine gesetzliche Regelung zum Thema Konfliktmineralien geplant. Das EU-Parlament fordert die Einführung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für Importeure von Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten. Zudem sollen nachgelagerte Industriezweige, die Zinn, Tantal, Wolfram und Gold für die Herstellung von Verbrauchsgütern verwenden, einer Informationspflicht unterliegen. Unternehmen würden so verpflichtet, offenzulegen, wie sie Risiken in ihrer Lieferkette begegnen (Europäisches Parlament, 2015). Für Unternehmen mit einem Kerngeschäft, das zu ökologischen Verbesserungen beiträgt – wie energieeffiziente Elektromotoren – können strenge Umweltstandards durchaus Wettbewerbsvorteile mit sich bringen. THIEN eDrives etwa profitiert von gesetzlichen Bestimmungen zur Förderung alternativer Antriebssysteme. Auf die Frage, ob sich gesetzliche Regularien positiv auf die CSR-Ambitionen von KMU auswirken, findet sich in der Literatur keine eindeutige Antwort. Es gibt Studien, die zu dem Schluss kommen, dass gesetzliche Verpflichtungen die freiwillige Motivation von KMU und damit einhergehende innovative, aus eigenem Antrieb heraus realisierte Ansätze unterbinden. Zum einen sind Gesetze in der Regel effektiver als freiwillige Initiativen. Gleichzeitig sind mit der Gesetzeserfüllung aber auch ein hoher bürokratischer Aufwand und Kosten 17 Kritische Stimmen merken an, dass der Boykott von Mineralien aus der Region Kongo, zu welchem das Gesetz vielfach führte, den Verlust der Lebensgrundlage zehntausender MinenarbeiterInnen zur Folge hat und ein Ausweichen auf andere Beschaffungsregionen nicht zu Verbesserungen der Lebensbedingungen vor Ort beiträgt, sondern diese eher noch verschlechtert (vgl. Fairphone, 2012). 67 verbunden, die sich überdurchschnittlich stark auf KMU auswirken können (Baden et al, 2009, S. 430). Die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit legen nahe, dass die Einstellung der KMU gegenüber zusätzlicher Regulierung ablehnend ist. Der als bereits sehr hoch angesehene europäische Standard hält die Unternehmen tendenziell eher davon ab, in darüber hinaus gehende Maßnahmen zu investieren, als dass er motivierend wirkt. 3.4.2.2 Kundenanforderungen Zusammen mit gesetzlichen Regelungen wurden Kundenanforderungen als der stärkste Treiber für Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Lieferkette identifiziert. Laut Seuring et al (2008, S. 1699) geht der Druck insbesondere von sogenannten „focal companies“ aus, die von verschiedenen Stakeholdern für die sozialen und ökologischen Bedingungen in ihrer Lieferkette verantwortlich gemacht werden. „Focal companies are those companies that usually (1) rule or govern the supply chain, (2) provide the direct contact to the customer, and (3) design the product or service offered.“ Insbesondere Markenfirmen, die direkt mit dem Endkunden in Verbindung stehen, haben ein Interesse daran, Risiken und Skandale zu vermeiden und geben die Anforderungen deshalb an ihre Lieferanten weiter. Diese nehmen die Vorgaben wiederum in die Verträge mit ihren eigenen Zulieferern auf, usw. Abbildung 18 illustriert, wie Produkt- und Prozessanforderungen die Lieferkette durchlaufen. 68 Abbildung 18: Weitergabe von Produkt- und Prozessanforderungen in der Lieferkette (eigene Grafik) Komponente gem. Anforderungen Produkt Gesetz Stakeholder Kunde Lieferant A THIEN Kunde E-DRIVES -Interessen Gesetz Lieferant B Lieferant C Norm proaktiv Eigene Lieferant D Anforderungen Die reine Kommunikation der Prinzipien über Lieferantenkodizes oder Verträge impliziert jedoch nicht automatisch die aktive Beachtung oder Umsetzung der Prinzipien in der Praxis. Dies kommt sowohl aus der Literatur (vgl. Baden et al, 2009) als auch aus den Befragungen der KMU klar hervor. Den Unternehmen, deren Ziel es ist, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, wird auf diese Weise nicht vermittelt, welchen Beitrag CSR-Maßnahmen zu diesem Ziel leisten können. Folglich ist die Effektivität der Maßnahmen gering. Die Weitergabe von Kundenanforderungen, etwa im Umwelt- oder Arbeitssicherheitsbereich, an die eigenen Zulieferer erfolgt seitens der KMU aus reinen Compliance- und Haftungsgründen und nicht mit der Absicht, Verbesserungen in diesen Bereichen erzielen zu wollen. Bei den befragten Unternehmen kommt es sogar vor, dass Kunden entgegen ihrer eigenen explizit formulierten Prinzipien Dinge einfordern, die diesen widersprechen: Beispielsweise die Forderung, in der Herstellung einen 69 gewissen Gefahrstoff einzusetzen – obwohl der Lieferant Gefahrstoffe grundsätzlich aus eigenem Antrieb heraus bereits aussortiert oder ersetzt hat. Strikte Vorgaben, deren Umsetzung auch überprüft wird, existieren in der Erfüllung gesetzlicher Vorschriften sowie im Bereich Qualitätsmanagement, jedoch (noch) nicht im Bereich Umwelt (z.B. ISO-Norm zu Umweltmanagement ISO14001) bzw. Nachhaltigkeit. „In particular, when buyer requirements were […] not subject to verification (as was most often the case), they would be unlikely to lead to any real changes in the actual practices and policies of the SME“ (Baden et al, 2009, S. 431). Diese Erkenntnis kann durch die vorliegenden Ergebnisse bestätigt werden. Abseits eines standardisierten Code of Conducts beschränken sich spezifische Anfragen nach Umwelt- oder sozialen Aspekten seitens der Kunden auf Einzelfälle. Baden et al (2009) kommen in ihrer Analyse zu dem Ergebnis, dass trotz des Anreizes, den Kundenanforderungen schaffen, diese im selben Licht gesehen werden wie gesetzlichen Regulierungen – die mit bürokratischem Aufwand und Mehrkosten verbunden sind. KMU müssen von ihren Kunden davon überzeugt werden, dass echtes CSR-Engagement ihnen tatsächlich Vorteile bringt. Nur so werden sie ihre Bemühungen aktiv steigern. 3.4.2.2.1 Zur Wirksamkeit von Lieferantenkodizes Vorgaben zu Nachhaltigkeitskriterien, wie Einhaltung von Arbeitsnormen oder Umweltstandards, werden meist über Lieferantenkodizes (supplier code of conducts) in der Lieferkette weitergegeben (vgl. Seuring et al, 2008). Auch THIEN eDrives erhält von seinen Kunden Vorgaben in dieser Form, die meist Bestandteil der Verträge sind. 70 Die Kodizes nehmen in den allermeisten Fällen Bezug auf internationale Leitlinien, wie die Kernarbeitsnormen der International Labour Organization (ILO) oder die Prinzipien des UN Global Compact. Viele Firmen legen ihren eigenen Kodex fest, siehe dazu den Code of Conduct von Siemens in Abbildung 19 (Mikro-Ebene). Siemens ist Teilnehmer des UN Global Compact-Netzwerks und die vier Bereiche Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung finden sich im Lieferantenkodex als Themen wieder. Es existieren jedoch auch Branchencodes (Meso-Ebene), welche zum Ziel haben, die Praktiken im gesamten Sektor nachhaltiger zu gestalten. Ein Beispiel aus der Elektronikbranche ist der Code of Conduct der Electronic Industry Citizenship Coalition, dargestellt in Abbildung 20. Darüber hinaus sind oftmals Nichtregierungsorganisationen an der Erarbeitung von Kodizes beteiligt, was die Glaubwürdigkeit der Initiativen steigern soll (Kolk & van Tulder, 2005, S. 13). 71 Abbildung 19: Inhalt des Code of Conduct für Lieferanten von Siemens (Siemens, 2015) 72 Abbildung 20: Electronic Industry Citizenship Coalition (EICC, 2015) Die Electronic Industry Citizenship Coalition wurde 2004 gegründet und hat mittlerweile 100 Mitglieder, darunter Marken wie Apple, Dell oder Hewlett-Packard, welche zusammen einen Jahresumsatz von über drei Trillionen US-Dollar erzielen. Ziel der Brancheninitiative ist es, Nachhaltigkeitsaspekte in der Lieferkette von Elektronik zu stärken. Spezielle Arbeitsgruppen widmen sich Sonderthemen wie Konfliktmineralien, Zwangsarbeit, Arbeitszeit oder StakeholderEinbindung. Der Verband arbeitet mit einem Überprüfungsmechanismus, der Kontrollen (Audits) bei Lieferanten vorsieht, aber auch Leitfäden und Trainings anbietet, um bei der Umsetzung der Prinzipien zu unterstützen. Obwohl Code of Conducts meist von großen multinationalen Unternehmen aufgesetzt bzw. unterzeichnet werden und daher eine hohe Ausbreitung genießen, ist ihre Wirkung begrenzt – unter anderem da sie oft vage formuliert sind und klare Überwachungsmechanismen fehlen (Kolk et al, 2005, S. 15). Letzteres ist auch bei THIEN eDrives und den anderen befragten Unternehmen der Fall. Ein Einkäufer meint dazu: „Es gibt diese Code of Conducts, die sind Standard mittlerweile […] Es sind in meinen Augen oft nur Floskeln auch von großen Unternehmen, das wird nicht so heiß gegessen wie sie das sagen […]“ (Interview 1). Andere Untersuchungen kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass die 73 Umsetzung der in Unternehmenskodizes propagierten Prinzipien von KMU leicht zu umgehen ist, da keine Überprüfung stattfindet (Baden et al, 2009). Aktuelle Befragungen des UN Global Compact unter den Teilnehmerunternehmen bestätigen das fehlende Monitoring: „While a majority of companies have established sustainability expectations for their suppliers, they are not tracking compliance or helping suppliers reach the desired goals“ (UN Global Compact, 2013, S. 18). Während die Anzahl jener Firmen, die Nachhaltigkeitsvorgaben an ihre Lieferanten weitergeben, über die letzten Jahre gestiegen ist, bleiben Maßnahmen die über die reine Kommunikation der Prinzipien hinausgehen weiterhin die Ausnahme. In der Praxis werden diese Absichtserklärungen von den Zulieferern zwar unterzeichnet und an die eigenen Lieferanten weitergegeben, jedoch lösen sie keine nähere Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsthemen aus. Der TopDown-Ansatz erweist sich in dem Kontext also als wenig zielführend. Es wurde daher bereits im Rahmen mehrerer Studien die Empfehlung an große Einkäufer ausgesprochen, einen echten Dialog mit ihren KMU-Lieferanten zu starten, bürokratische Hürden zu verringern und ihnen die Freiheit zu geben, ihre eigenen Nachhaltigkeitsschwerpunkte und –maßnahmen zu formulieren (Baden et al, 2009). 3.4.2.3 Druck von Stakeholdergruppen Externer Druck kann außer von KonsumentInnen bzw. KundInnen auch von Nichtregierungsorganisationen oder anderen Interessensgruppen kommen, die beispielsweise Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit Konfliktmineralien anprangern (Seuring et al, 2008, S. 1703). Auch wenn KMU selten direkt mit solchen Kampagnen konfrontiert sind, können sie indirekt davon betroffen sein. Dieser Fall tritt dann ein, wenn ihre Kunden – oftmals große Markenfirmen, die sich in einer exponierten Marktposition befinden – auf den 74 Druck von außen reagieren und strengere Standards einführen, welche sie auf ihre Lieferkette übertragen. „[…] action from NGOs, which hold focal companies responsible for environmental and social problems at earlier stages of their supply chain, can lead to a reputation loss for the focal company“ (Seuring et al, 2008, S. 1703). 3.4.3 Barrieren 3.4.3.1 Eingeschränkter Handlungsspielraum Vaaland & Heide (2007, S. 21) kamen in ihren Untersuchungen zum Ergebnis, dass die Kontrollmechanismen, die von großen einkaufenden Kunden ausgehen, KMU daran hindert, ihre eigene selbstbestimmte SCM-Strategie zu verfolgen: „[…] SMEs in general are not able to implement SCM to its full extent, mainly because they are managed at arm’s length by larger customers and have to follow the norms stipulated by the buyer“. Dies trifft auf die im Rahmen der Masterarbeit befragten Unternehmen weitgehend zu. So werden etwa von den KMU angewendete Beschaffungs- oder Lieferantenauswahlkriterien hinfällig, wenn der Kunde ein ganz bestimmtes Material oder einen gewissen Sublieferanten vorschreibt. Dies illustriert die ungleiche Machtbeziehung zwischen den KMU und ihren Kunden, im Automobilhersteller. Falle Wie von Ciliberti THIEN et al eDrives (2008, Industriekunden S. 1580) oder hinsichtlich Nachhaltigkeitsanforderungen feststellen: „Larger companies have more power to stipulate socially responsible behaviour of their smaller suppliers“. Kunden schreiben den Zulieferern über den Lieferantenkodex eine ausformulierte Liste an Anforderungen vor, ohne sie einzubeziehen oder an sie zu kommunizieren, wie die Anforderungen in ihrem Kontext umgesetzt werden können. Die fehlende Kommunikation, wie oben angesprochen, führt dazu, dass KMU die Relevanz – und vor allem auch die Vorteile – der Anforderungen für ihr Unternehmen oder Kerngeschäft oftmals nicht erkennen. Es besteht eine 75 Diskrepanz zwischen dem Zugang von Großunternehmen und jenem von KMU zum Verständnis von Nachhaltigkeit in der Lieferkette. Hinzu kommt, dass wie bereits ausgeführt die Einkäufer die Einhaltung ihrer eigenen Anforderungen in den seltensten Fällen überprüfen – eine weitere bedeutende Barriere für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Auch in jenen Fällen, in denen KMU selbst als Kunden auftreten, ist ihre Durchsetzungskraft begrenzt. Die meist geringen Stückzahlen, die KMU von ihren Lieferanten beziehen, erschweren die Durchsetzung spezifischer Anforderungen. „A company’s smaller size often results in lower bargaining power“ (Ciliberti et al, 2008, S. 1580). Die Bereitschaft seitens der Lieferanten der KMU, hinsichtlich Qualitäts- und Nachhaltigkeitsaspekten Zeit und Ressourcen zu investieren, ist aufgrund des meist geringen Auftragswerts vielfach nicht vorhanden. 3.4.3.2 Fehlende Marktnachfrage Die befragten Unternehmen erhalten kaum externe Anfragen hinsichtlich Nachhaltigkeitsaspekten. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Position der Unternehmen in der Lieferkette – mehrere Stufen vom Endkunden entfernt. Nur in den Fällen, in denen die Kunden der direkten Kunden EndkundInnen beliefern (B2C-Bereich), werden Nachhaltigkeitsfaktoren wie Regionalität oder Umweltauswirkungen bedeutend (vgl. auch Sroufe et al, 2014, S. 11). Solange keine Marktnachfrage nach nachhaltige(re)n Produkten und/oder Prozessen besteht, sehen KMU keinen Anlass, Zeit und Ressourcen in Maßnahmen zu investieren deren ökonomischen Nutzen sie nicht erkennen. 3.4.3.3 Hoher gesetzlicher Standard Die meisten der befragten Unternehmen verfügen über einen großen Anteil regionaler Lieferanten. Da diese in Vorarlberg bzw. der Schweiz oder Deutschland angesiedelt sind, wird es nicht für notwendig erachtet, über das gesetzliche Maß hinaus (welches von den KMU als ein bereits sehr hoher Standard angesehen 76 wird) systematisch Umwelt- oder soziale Fragen zu thematisieren. Ein Interviewpartner aus der Kabelherstellung meinte, dass zwar versucht werde, hinsichtlich Umwelt- und sozialen Kriterien ein Commitment seitens der Lieferanten zu bekommen; dies sei aber aufgrund des hohen gesetzlichen Niveaus im mitteleuropäischen Raum nicht einfach. 3.4.3.4 Fehlende finanzielle und personelle Ressourcen Hohe Kosten sind in der Literatur eine häufig erwähnte Barriere für KMU, CSRMaßnahmen umzusetzen (vgl. Seuring et al, 2008). Insbesondere fehlende zeitliche Ressourcen sind bei den befragten Unternehmen ein wesentlicher limitierender Faktor. So kann der in der Branche vorherrschende Zeitdruck beispielsweise verhindern, dass Kooperationen mit Lieferanten intensiviert werden (vgl. Gelbmann et al, 2015). Seitens der KMU werden CSR-Maßnahmen in der Lieferkette in erster Linie als Kostentreiber angesehen (vgl. Schulz, 2015 und Ciliberti et al, 2008). 3.4.3.5 Erhöhtes Risiko In manchen Bereichen können Maßnahmen zur Verringerung negativer Umweltauswirkungen ein Qualitäts- oder Sicherheitsrisiko darstellen. In der Materialbeschaffung etwa bedeutet der Einsatz von Recyclingmaterial (soweit dieser nicht ohnehin von Kunde oder Hersteller vorgegeben ist) sowohl einen höheren Aufwand als auch ein höheres Risiko. Während bei Originalmaterial auf „Nummer sicher“ gegangen werden kann, muss Sekundärmaterial intensiver getestet werden, um zu gewährleisten, dass es den Anforderungen standhält. Handelt es sich um Hochsicherheitsteile, beispielsweise für die Luftfahrt, kommen gravierende Haftungsfragen ins Spiel, wenn die Materialien Mängel aufweisen. 77 3.4.4 Strategien Ciliberti et al (2008, S. 1580) nennen drei grundlegende Management-Strategien, mit denen Unternehmen verantwortungsvolle Praktiken auf ihre Lieferkette übertragen können: Erstens das Aufsetzen schriftlicher Anforderungen, in denen Lieferanten üblicherweise dazu verpflichtet werden, neben der geltenden Gesetzgebung gewisse internationale CSR-Standards einzuhalten. Meist sind auch Anforderungen hinsichtlich organisatorischer Strukturen, Abläufe und Prozesse enthalten. Zweitens das Monitoring, also die Überwachung des Lieferanten hinsichtlich der Einhaltung der Anforderungen. Typische Instrumente dafür stellen schriftliche Um- und Anfragen wie eine Selbstbeurteilung sowie Audits (Inspektionen) beim Zulieferer vor Ort dar. Diese werden entweder mittels eigenem Personal – wie bei THIEN eDrives – oder bei größeren Unternehmen über Audit-Dienstleister durchgeführt. Im Falle von notwendigen Korrekturmaßnahmen werden sie gemeinsam mit dem Lieferanten besprochen und festgelegt. Das dritte Managementtool besteht in der Unterstützung des Lieferanten zur Umsetzung von Qualitäts- und Nachhaltigkeitsanforderungen. Dabei wird Kapazitätsaufbau betrieben und fachliches Know-How, etwa über Schulungen, vermittelt. Alle genannten Strategien werden von den im Rahmen der Masterarbeit untersuchten Unternehmen in der einen oder anderen Form angewendet. Generell ist zu sagen, dass sich diese fast ausschließlich auf die direkten Lieferanten beziehen. Für Vorgänge in tieferen Ebenen der Wertschöpfungskette (also bei Unterlieferanten) sehen sich KMU nicht in der Verantwortung. Zu dieser Erkenntnis sind mehrere Untersuchungen gekommen: „Most CSR efforts are still targeted at monitoring first-tier suppliers; they leave second-tier suppliers intact or rely on first-tier suppliers‘ responsibility“ (Ciliberti, 2008, S. 1580). Dies hängt mit der als gering wahrgenommenen (Verhandlungs)Macht zusammen, hat aber auch andere Gründe, wie die bereits angesprochene Komplexität und beschränkte zeitliche und personelle Ressourcen. Im nachfolgenden Abschnitt wird näher erläutert, wie KMU mit den Herausforderungen in verschiedenen Themenbereichen aus Nachhaltigkeitssicht 78 umgehen. Neben Umwelt und Gesellschaft wurden Querschnittsthemen wie Transparenz oder langfristige Lieferantenbeziehungen als wesentlich identifiziert. 3.4.4.1 Handlungsfeld Umwelt 3.4.4.1.1 Energieeffizienz Wie bereits oben ausgeführt, sind gesetzliche Regelungen ein wesentlicher Treiber für die Umsetzung von Maßnahmen zur Reduktion negativer Umweltauswirkungen. Im Falle von THIEN eDrives wurde beispielsweise mit dem Aufkommen der RoHS-Richtlinie der Europäischen Union alle verwendeten Stoffe überprüft und gegebenenfalls durch weniger schädliche ersetzt. Teilweise forderten Kunden dies schon vor Veröffentlichung der Richtlinie, woraufhin THIEN eDrives die Vorgabe bereits frühzeitig an die eigenen Lieferanten weitergab. Ebenso im Bereich der Energieeffizienz von Elektromotoren zwingt die EU die Hersteller dazu, eine Energieeffizienzbetrachtung durchzuführen. Dies ist bei THIEN eDrives jedoch standardmäßig der Fall, da energieeffiziente Elektromotoren das Kerngeschäft des Unternehmens darstellen. 3.4.4.1.2 Materialien Ein weiterer Bereich, in dem Verbesserungen erzielt werden können, ist der Einsatz von Materialien – einerseits die Reduktion von Material, andererseits die Substitution. Meist werden durch neue Materialien ökologische Verbesserungen erzielt, beispielsweise durch Leichtbau-Konstruktionen (von Stahl auf Aluminium) oder Hohl- statt Vollprofilen. Im Prototypenbau wird aus dem Vollen gefräst, deshalb fällt relativ viel Verschnitt an, insbesondere von Metallen. Diese werden getrennt gesammelt und so dem Recycling zugeführt. Mit den wichtigsten Lieferanten werden mindestens einmal jährlich Neuerungen und Potentiale besprochen. Wo kann Material eingespart werden? Können gefährliche Stoffe ersetzt werden und welchen zusätzlichen Überprüfungsaufwand bringt dies mit 79 sich? Die Motivation hinter diesen Fragen ist vorrangig die Reduktion von Kosten. Aus den Kosten kommt die Materialeffizienz zustande. Aber auch die Generierung von Innovationen ist ein wesentlicher Aspekt – beispielsweise was die Verbesserung verschiedener Produktionsabläufe betrifft – welche dann wieder an den Kunden weitergegeben werden können. Was das Thema Materialrecycling angeht, so gibt es von den KMU meist keine aktiven Bestrebungen, den Recyclinganteil in den Produkten zu erhöhen. Vereinzelt (v.a. im Kunststoffbereich) liefern Kunden Ausschussware und lassen sie in das neue Produkt einbauen. Grundsätzlich wird der Recyclinganteil vom Hersteller des Ausgangsmaterials (z.B. Stahlerzeuger) bestimmt. Wenn notwendig kommunizieren die einkaufenden Unternehmen an diesen, wie hoch der Recyclinganteil maximal sein darf. Sekundärmaterial kann die Eigenschaften eines Stoffs verändern, was einen Mehraufwand an Überprüfungen und Tests mit sich bringt, um sicherzustellen, dass die Materialeigenschaften dieselben geblieben sind und die exakt gleiche Qualität geliefert werden kann. Vielfach ist die Verwendung von Sekundärmaterial nicht erlaubt, beispielsweise bei Hochsicherheitsteilen. Ein Interviewpartner aus dem Kunststoffbereich meinte, es wäre technisch durchaus möglich verstärkt Recyclingmaterial einzusetzen. Jedoch würde dies anstatt einer „300-prozentigen lediglich eine 100-prozentige Sicherheit“ bedeuten (Interview 4). Das Thema müsse in den Köpfen noch wachsen und eine breitere Akzeptanz finden. Derzeit bedeutet der Einsatz von Recyclingmaterial vielfach sowohl einen höheren Aufwand als auch ein höheres Risiko. 3.4.4.1.3 Rohstoffknappheit Die zunehmende Knappheit von Rohstoffen wird in den meisten Fällen (noch) nicht als Problem anerkannt. Auch wenn Preissteigerungen teilweise spürbar sind (bei THIEN eDrives betrifft es etwa Magnete, für die der seltene Rohstoff Neodym benötigt wird) wird die Verfügbarkeit bestimmter Materialtypen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie benötigt werden, als weitaus drängenderes Problem wahrgenommen (hervorgerufen durch Faktoren wie dem Zukauf meist kleiner Mengen von 80 Distributionsunternehmen, wie im Kapitel „Sektorspezifische Herausforderungen“ beschrieben). Es gibt so gut wie keine Überlegungen dazu, wie mit kritischen Rohstoffen aus Entwicklungs- und Schwellenländern und dem damit einher gehenden (Versorgungs-)Risiko umgegangen werden sollte. 3.4.4.1.4 Regionalität Die Tatsache, dass die (direkten) Zulieferer von THIEN eDrives ausschließlich in Europa ansässig sind – und viele der strategisch bedeutsamen in Vorarlberg - hat positive ökologische Auswirkungen. Die Transportwege sind kürzer und die Herstellung findet unter der Anwendung (global gesehen) strenger Umweltauflagen statt. Auch den anderen befragten Unternehmen ist die regionale Herkunft der Lieferanten wichtig (s. „Handlungsfeld Gesellschaft“). Diese hat den Vorteil, dass ein persönlicher Kontakt besteht und die Bedingungen, unter denen produziert wird, bekannt sind. Dieses Vertrauen, das oftmals über eine jahrelange gemeinsame Geschäftsbeziehung aufgebaut wurde, wiegt hinsichtlich Umweltund sozialen Themen stärker als zertifizierte Managementsysteme (etwa ISO14001 im Umweltbereich). Nichtsdestotrotz werden im Rahmen des Qualitätsmanagements, wo eine Zertifizierung (nach ISO9001) Standard ist, regelmäßige Audits und Besuche bei Lieferanten durchgeführt. Bei dieser Gelegenheit werden – wenn auch nicht im Detail und strukturiert – umwelt- und arbeitssicherheitsrelevante Aspekte mit betrachtet bzw. in persönlichen Gesprächen thematisiert. So können grobe Missstände identifiziert werden. Nur bei einem der befragten Unternehmen sind Umweltkriterien fixer (wenn auch untergeordneter) Bestandteil der Lieferantenbewertung. Einige Maßnahmen, die zu ökologischen Verbesserungen führen, werden proaktiv mit Lieferanten besprochen und umgesetzt. Stellt sich etwa heraus, dass ein Transportweg unnötig lang oder umständlich ist, wird an einer Lösung gearbeitet, dies effizienter zu gestalten. THIEN eDrives lagerte die Transportlogistik an einen externen Frächter aus, was Zeit, Kosten und – als Nebeneffekt – CO2-Emissionen einsparte. 81 Eine Strategie, Zukunfts- und Umweltthemen aus technologischer Sicht zu bearbeiten, stellt die Teilnahme an Forschungsprojekten dar. Der Vorteil besteht darin, dass mittels solcher Förderungen das Risiko, mit neuen Technologien zu „experimentieren“, für einzelne KMU wie THIEN eDrives reduziert wird. Im Rahmen von Kundenprojekten gibt es in dieser Hinsicht so gut wie keinen Spielraum. Derzeit ist das Unternehmen beispielsweise an einem EU- Förderprojekt beteiligt, bei welchem die Potentiale von Reluktanzmotoren ausgetestet werden. Weil diese ohne Permanentmagnete und 18 Spulen auskommen, reduziert sich der Einsatz seltener Erden erheblich. Darüber hinaus ist diese Art von Motor durch den relativ einfachen Aufbau robust und langlebig und kann gut recycelt werden (Europäische Kommission, 2015b). Grundsätzlich besteht die Einschätzung, dass Umweltschutz vordergründig Kosten verursacht und dass der hohe Standard in Europa auf lange Sicht nicht aufrechterhalten werden kann, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Betriebe zu gefährden. Es werden durchaus Maßnahmen mit positiven ökologischen Auswirkungen umgesetzt, die aus Sicht der Unternehmen „Sinn machen“ (wie die Verkürzung von Transportwegen), wenngleich der primäre Ausgangspunkt Überlegungen zur Kostenersparnis oder Verkürzung der Lieferzeit sind. 3.4.4.2 Handlungsfeld Gesellschaft 3.4.4.2.1 Regionalität Geschlossene Wertschöpfungsketten sind ein wichtiges Merkmal der Wirtschaftsregion Vorarlberg. Dies bedeutet, dass die für die Produktentwicklung im technischen Bereich wesentlichen Kompetenzen vor Ort gegeben sind (Wirtschaftsstandort Vorarlberg, 2015, S. 6). Aus Nachhaltigkeitssicht haben der 18 Bauform eines Elektromotors, bei dem das Drehmoment im Rotor ausschließlich die Reluktanzkraft (Änderung des magnetischen Widerstands) erzeugt wird durch 82 regionale Einkauf und damit die regionale Wertschöpfung eine Vielzahl positiver Auswirkungen, wie die Einsparung von CO2-Emissionen durch verkürzte Transportwege, die stärkere Schließung regionaler Stoffkreisläufe und die Förderung lokaler Märkte (BMWFJ, 2010, S. 22f). Vorarlberger KMU beschaffen aus zweierlei Gründen bevorzugt regional. Einerseits sind sie in der Region verankert und sehen sich in der Verpflichtung, die lokale Wirtschaft bestmöglich zu unterstützen. Wie der Geschäftsführer eines Kabelherstellers es beschrieb: „Wir versuchen natürlich, die Komponenten zu bestmöglichen Konditionen einzukaufen […], wobei wir da sehr, sehr stark auch darauf schauen, dass wir in unserem unmittelbaren Wirtschaftsraum einkaufen, das ist für uns ein wesentlicher Punkt. Wir versuchen, die Wertschöpfung wo es möglich ist in unserem […] Umfeld zu belassen.“19 Ungeachtet der allgemeinen Tendenz der Internationalisierung der Beschaffung (vgl. Spring Procurement & WU Wien, 2010, S. 6) ist den Unternehmen aus ihrer Wertehaltung heraus wichtig, Betriebe aus der Region zu beauftragen – auch wenn es bedeutet, höhere Kosten in Kauf zu nehmen. Die vorliegenden Ergebnisse legen nahe, dass die Bereitschaft und der Wille, regional einzukaufen, in Vorarlberg (und der Schweiz) im Vergleich zu Rest-Österreich besonders stark ausgeprägt ist. Neben der eigenen Überzeugung, das richtige zu tun, gibt es eine Reihe handfester ökonomischer Gründe für die Bevorzugung regionaler Lieferanten. Sie stärkt die Wettbewerbsfähigkeit des einzelnen Unternehmens durch Nähe, Vertrauen, Identität und Nachhaltigkeit. Sie kann als Antwort auf die Austauschbarkeit und Beliebigkeit globaler Marken gesehen werden und begegnet der Unübersichtlichkeit eines weltweit verfügbaren Angebots. Zusätzlich wird die Herkunft von Produkten als Qualitätskriterium etabliert (BMWFJ, 2010, S. 1). Auf Unternehmensebene sind in vielen, vor allem größeren Unternehmen Kostenvorteile, die sich aus geringeren Lohnkosten sowie weniger strengen 19 Interview 8 83 (Umwelt-)Auflagen ergeben, die vorherrschende Motivation, weltweit einzukaufen (Christopher, 2011, S. 185). Jedoch ist die globale Beschaffung in vielen Fällen nur auf den ersten Blick kostengünstiger: „Eine reine Beschränkung auf die Objektkosten genügt […] nicht, da sich in der Regel beim Global Sourcing erheblich höhere Prozesskosten ergeben“ (Heß, 2010, S. 224). Nur selten werden die Supply Chain-Kosten gesamthaft betrachtet, was zu einem höheren Risiko hinsichtlich Lieferzeiten, größeren Lagerbeständen und einer höheren Obsoleszenz – speziell in Märkten mit kurzen Produktlebenszyklen – führen kann (Christopher, 2011, S. 191). Im Folgenden werden die kostenrelevanten Vorteile des Local Sourcing nach Heß (2010, S. 225) aufgeführt: Geringere Steuerungskosten: Die Auftragsabwicklung ist im lokalen Umfeld weitaus weniger komplex. Qualitätsmanagement. Dies Durch umfasst Kultur- unter und anderem das Sprachunterschiede hervorgerufene Komplikationen entfallen. In der Folge ergeben sich geringere Versorgungsrisiken und Fehlmengenkosten. Der Aufbau von Lieferantenpartnerschaften wird durch die geografische Nähe stark vereinfacht. Kosten für Transporte, Verpackung, Versicherungen und Verzollung entfallen oder sind erheblich geringer. Reduzierte Transportrisiken führen dazu, dass ein weitaus geringerer Sicherheitsbestand gehalten werden muss. Es besteht keine Notwendigkeit zur Absicherung von Währungsrisiken auf dem Beschaffungsmarkt. Ein wesentlicher Faktor für die bewusste Entscheidung zur regionalen Beschaffung ist das geringe Bestellvolumen, für das es sich nicht lohnt, mit der globalen Beschaffung zusammenhängende Risiken einzugehen. Kleine Stückzahlen bedeuten, dass jedes Teil hundertprozentig fehlerfrei sein muss. Zudem handelt es sich meist um komplexe Komponenten, deren Lohnkostenanteil (manuelle Fertigung) gering ist. 84 Die Unsicherheiten, die mit der globalen Beschaffung zusammenhängen, halten KMU vielfach davon ab, sich auf Lieferanten außerhalb der Region bzw. (Mittel)Europas einzulassen. Die Überprüfung von Qualitäts-, Arbeits- und Umweltstandards bei asiatischen Zulieferern etwa gestaltet sich für die Betriebe als so gut wie unmöglich. Das Unwissen darüber, wie die Bedingungen bei diesen Zulieferern sind – und die fehlende Kontrolle darüber – macht die Zusammenarbeit mit diesen weitgehend uninteressant (vgl. auch Christopher, 2011, S. 192). Es besteht wenig Flexibilität, falls ein Bauteil verändert werden muss und das hierfür notwendige Know-How seitens der Lieferanten fehlt. Ein Einkäufer berichtete: „[…] das ist ein Mordsaufwand, da kann ich nicht per Email schnell jemandem schreiben […], sondern da muss man dann wieder Entwicklungs-Know-How in die neue Leiterplatte zum Beispiel investieren […] da muss die Technologie zum Lieferanten hin transferiert werden. Wenn der in Ungarn sitzt, geht das noch halbwegs gut, wenn er in China sitzt, dann hab ich meinen Spezialisten schon mindestens eine Woche weg und wenn er im Ländle sitzt, ja dann mach ich’s an einem Vormittag.“ 20 Hinzu kommt die sprachliche Barriere. Diese Hürden verursachen nicht nur Kosten, sondern auch beachtliche Zeitverzögerungen. Insgesamt stellen sich die Herausforderungen größer dar als die vermeintlichen Kostenvorteile. Auf der anderen Seite stehen die Vorzüge einer regionalen bzw. lokalen Beschaffung. Sie dient einerseits als Risikominimierung, da sie Lieferausfälle unwahrscheinlicher macht. Aufwändige Audits, insbesondere hinsichtlich ökologischen und sozialen Standards, sind bei mitteleuropäischen Lieferanten nicht notwendig. Der persönliche Kontakt und langjährige Geschäftsbeziehungen schaffen eine Vertrauensbasis, die bis zu einem gewissen Grad Kontrollen ersetzt, wie im Fall von THIEN eDrives den Einsatz kostspieliger Messgeräte. Die Kommunikation funktioniert reibungslos und die geografische Nähe ermöglicht schnellere Lieferungen und ein schnelleres (Re-)Agieren auf Änderungen. Wesentlich ist auch der hohe Qualitätsanspruch, den Lieferanten aus anderen Weltregionen in der Regel nicht erfüllen können. Eine Verantwortliche aus der Entwicklung drückte es so aus: 20 Interview 1 85 „Wir haben uns mal ein Weilchen im asiatischen Raum getummelt, aber da war die Lieferqualität derartig schlecht, dass wir davon wieder abgegangen sind. In Summe ist es für uns bei den kleinen Stückzahlen, wo wir mit jeder Lieferung eine Punktlandung machen müssen, viel effizienter zu arbeiten mit europäischen Lieferanten […] Je näher die [Lieferanten] uns räumlich sind, umso besser wird es.“21 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die regionale Ausrichtung der Beschaffung ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die kleineren Unternehmen in der technischen Industrie darstellt. Dabei handelt es sich um eine strategische Entscheidung, die aus eigener Motivation heraus getroffen wird. Diese ist von der eigenen Wertehaltung beeinflusst, stellt gleichzeitig aber auch die in ihrem Kontext ökonomisch sinnvollste Option dar. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit von Kunden der KMU die Tatsache, dass die Beschaffung regional passiert, wertgeschätzt wird – immerhin handelt es sich um einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit ihrer Lieferkette. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Nähe zum Endkunden/zur Endkundin ausschlaggebend ist: Je näher der Kunde am Konsumenten/der Konsumentin ist, umso häufiger werden Fragen nach dem „Fußabdruck“ der Lieferkette gestellt bzw. zur Nachhaltigkeit des Produkts generell. Ein Qualitätsmanager meinte dazu: „Ich kenn‘ einen Kunden von uns, der ist extrem stolz drauf, dass er da aus der Nähe kauft, und der sagt das auch seinen Kunden – dass alles aus Österreich kommt. Der verkauft das so. […] [Wenn der Kunde] im Endkundenbereich unterwegs ist, redet er wirklich mit dem, der das Gerät kauft und das bei sich betreibt […] Dem bedeutet das dann schon was.“ 22 Es werde automatisch davon ausgegangen, dass Elektrotechnik aus Asien stammt. Deshalb seien EndkundInnen umso mehr positiv überrascht, wenn sie erfahren, dass das Produkt in ihrer Nähe produziert wird. Nach den vorliegenden Ergebnissen handelt es sich bei den direkten Kunden der KMU, die aktiv ökologische oder soziale Kriterien nachfragen, jedoch um Einzelfälle. 21 22 Interview 3 Interview 2 86 3.4.4.2.2 Langfristige kooperative Lieferantenbeziehungen Die konventionelle Herangehensweise im Einkauf basiert auf der Ansicht, dass eine Vielzahl an Bezugsquellen für ein benötigtes Produkt zu bevorzugen sei. So ließen sich Abhängigkeiten vermeiden, Lieferanten gegeneinander ausspielen und der so entstehende Kostendruck zum eigenen Vorteil ausnutzen. Über die letzten Jahre stellte sich jedoch heraus, dass eine rein auf Preisverhandlungen basierende Supply-Strategie meist suboptimal ist. Erstens leidet die Qualität, da der Lieferant ebenfalls gezwungen ist, Kosten zu drücken. Zweitens ist ein solches Vorgehen der Serviceorientierung abträglich, da der Zulieferer der Bestellung eine geringere Priorität einräumt. Drittens hat es sich in vielen Fällen als sehr aufwändig erwiesen, eine Vielzahl von Lieferanten einzubeziehen (Christopher, 2011, S. 215). Letzteres bestätigen auch mehrere befragte KMU. Je enger die Beziehung zwischen Käufer und Lieferant, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Expertise beider Beteiligter den größtmöglichen Nutzen für beide schafft. Dies ist die Sicht des Konzepts der Co-Makership, welches die Entwicklung einer langfristigen Beziehung mit einer limitierten Zahl an Lieferanten darstellt. Wesentliche Voraussetzung dafür ist ein Vertrauensverhältnis der beiden Geschäftspartner. So wird der Lieferant ein Teil der Produktrealisierung des einkaufenden Unternehmens (Christopher, 2011, S. 215). Die Anwendung dieses Konzepts ist bei den befragten KMU stark ausgeprägt, wie bei THIEN eDrives: „Unsere Lieferanten sind häufig, sehr häufig Entwicklungspartner. Und nicht nur einfach Zulieferer. […] Sobald es sich um Spezialkomponenten handelt und man auch bei der Produktentwicklung das Potenzial hat, Geld zu sparen, indem man eine Konstruktion vereinfacht, ein Werkzeug vereinfacht, Fertigungszeiten einspart etc., […] versuchen wir das vorab mit dem Lieferanten zu klären bevor wir dann in die Detailkonstruktion gehen.“23 So entstehen auch Innovationen, die nicht selten positive Umweltaspekte hervorrufen (Materialreduktion etc.). Der Einkäufer eines anderen befragten Unternehmens betont: „Wir bezeichnen Lieferanten nicht als Lieferanten. Es sind 23 Interview 3 87 Partner und […] wir leben das auch so. […] Wir arbeiten da sehr auf Vertrauensbasis.“ Aufgrund des hohen Spezialisierungsgrades sind die KMU auf Lieferanten angewiesen, die wiederum in anderen Bereichen Spezialisten sind. So haben sich in vielen Unternehmen auf Basis langjähriger Kooperationen Partnernetzwerke aufgebaut. Ein Paradebeispiel stellt das in Abbildung 21 beschriebene Schweizer Fertigungsnetzwerk „TwoInOne“ dar. Durch das gegenseitige Vertrauen, den persönlichen Kontakt und die regelmäßige Kooperation (und Kommunikation) entstehen den Partnern viele Vorteile: Ein rasches Reagieren auf Änderungen (von Bauteilen etc.), Flexibilität, Zeitersparnis und ein geringerer Kontrollaufwand. Die bewusste Lieferantenauswahl und der Verzicht auf „Preisdumping“ kann auch Kostenvorteile bringen: Die Konzentration auf einige wenige Hauptlieferanten bewirkt, dass das beschaffte Volumen pro Zulieferer größer ist. Damit stimme der Preis und die Zuverlässigkeit, berichtet ein KMU in der Metallbearbeitung. Abbildung 21: Das Schweizer Fertigungsnetzwerk „TwoInOne“ (TwoInOne, 2015) Das Schweizer Fertigungsnetzwerk „TwoInOne“ Die Geschäftsführer eines der im Rahmen der Masterarbeit untersuchten Unternehmen sind Gründer des Partnernetzwerks TwoInOne. Dieses bündelt die Kompetenzen verschiedener Spezialisten und kann dem Kunden somit Komplettlösungen aus einer Hand anbieten. Expertenwissen aus der Gussherstellung und spanabhebenden Metallbearbeitung wird je nach Anforderung vereint mit dem Know-How weiterer Technologien. Vom Gussrohling über die mechanische Bearbeitung, Vermessung und Lackierung sind alle notwendigen Produktionsschritte abgedeckt. Alle sieben Partner des Netzwerks sind fachlich und logistisch miteinander vernetzt (TwoInOne, 2015). Der gemeinsame Auftritt als TwoInOne erhöht die Sichtbarkeit der einzelnen Kleinunternehmen und sorgt für eine effiziente Koordination der Abläufe und Fertigungsschritte. Nicht zuletzt stellt der Verbund ein Alleinstellungsmerkmal dar, das dazu beiträgt, sich von Mitbewerbern abzuheben. Eine Herausforderung, beispielsweise für THIEN eDrives, besteht darin, einen Überblick über die Kompetenzen regionaler bzw. lokaler Lieferanten zu 88 bekommen bzw. zu behalten und die Potentiale, bestehende Lieferanten noch stärker auch für andere Dienstleistungen (deren Kompetenzen sie ebenfalls besitzen) in Anspruch zu nehmen, zu erkennen. Im Rahmen der Lieferantenkooperation spielt auch die Mitarbeitermotivation eine nicht zu unterschätzende Rolle. Nur wenn die Beschäftigten bereit sind, bei kurzfristigen Aufträgen Mehrarbeit zu leisten damit der Auftraggeber rechtzeitig liefern kann, kann der Vorteil des flexiblen Agierens tatsächlich genutzt werden. Hier sind Anerkennung und Wertschätzung gefragt. 3.4.4.3 Transparenz Mit „Transparenz“ in der Lieferkette ist die Verfügbarkeit von Informationen über Unternehmen, Lieferanten und Beschaffungsregionen für EndkundInnen und andere Akteure gemeint. Forderungen unterschiedlicher Stakeholder (wie KonsumentInnen, Regierungen und Unternehmen), solche Informationen bereitzustellen, haben in den letzten Jahren enorm zugenommen (Financial Times, 2015). Während traditionell Qualitäts- und Sicherheitsfragen im Fokus standen, nimmt der Druck auf Unternehmen zu, auch sozialen und ökologischen Auswirkungen in ihren Lieferketten nachzugehen. Immer mehr Firmen realisieren, dass sich mithilfe neuer Kommunikationstechnologien Informationen blitzschnell auffinden und verbreiten lassen und es daher von Vorteil ist, proaktiv die Sichtbarkeit der eigenen Lieferkette zu verbessern. Diese kann dabei helfen, Risiken wie Produktionsausfälle besser zu antizipieren, Reputationsschäden vorzubeugen und den Ruf des Unternehmens als zuverlässiger Geschäftspartner zu festigen. Davon abgesehen sind Anforderungen an Produktqualität und – sicherheit ohne fundierte Informationen über das eigene Lieferantennetzwerk kaum zu erfüllen (Brown & New, 2011). Die Überwachung der gesamten Supply Chain gestaltet sich (kosten)aufwändig und komplex. Viele Unternehmen, die sich näher mit ihrer Lieferkette 89 beschäftigten, stellen fest, dass sich die größten sozialen und ökologischen Auswirkungen nicht auf den Stufen der Wertschöpfung abspielen, auf die sie Einfluss haben und wo bereits Audits und Überprüfungen stattfinden – bei den direkten Lieferanten – sondern bei Unterlieferanten auf tieferen Ebenen der Wertschöpfungskette (vgl. UN Global Compact, 2012). Abbildung 22 zeigt anschaulich, dass in den Technologiesektoren der überwältigende Teil der Naturkapital-Kosten (der finanzielle Wert der Ressourcen die extrahiert und Abfälle und Emissionen die produziert werden) nicht von den Unternehmen direkt, sondern durch Vorgänge in der Lieferkette verursacht wird. Abbildung 22: Anteil der entstehenden externen Kosten des Naturkapitals in der Supply Chain (Bernick, 2015 nach Trucost, 2014) In der Elektronikindustrie beispielsweise besteht ein wesentliches Nachhaltigkeitsproblem darin, dass die Bergwerke, in denen die Rohstoffe für ihre Produkte gefördert werden, in Konfliktgebieten liegen (UN Global Compact, 2012). Im Rahmen ihrer Bemühungen, eine „nachhaltige“ Computermaus zu entwickeln, bildete das Unternehmen Nager IT die Wertschöpfungskette derselben ab. Wie in Abbildung 23 zu sehen, stellen die rosa eingefärbten Felder jene Bereiche bzw. 90 Rohstoffe dar, in denen es bisher nicht gelungen ist, Informationen zu Lieferanten und Produktionsbedingungen zu beschaffen. Abbildung 23: Die Lieferkette einer Computermaus (Nager IT, 2015) Dies vermittelt einen Eindruck davon, wie schwierig es ist, Kenntnisse über die hinsichtlich Nachhaltigkeit kritischsten Bereiche der Lieferkette der technischen Industrie zu erlangen. Laut Angaben der befragten Unternehmen nehmen Anfragen hinsichtlich Transparenz zu bzw. sind sie in vielen Bereich, insbesondere dem Automobilsektor, bereits Standard. Dabei unterscheiden sich diese je nach Kunde und Region. Bei Lieferungen in die USA werden Nachweise wie die ULZertifizierung verlangt, bei der die Organisation Underwriters Laboratories (UL) 91 Produkte hinsichtlich ihrer Sicherheit untersucht und zertifiziert (UL, 2015). Dies bedeutet für Lieferanten, dass sämtliche verwendeten Rohmaterialien ULzertifiziert und die nötigen Unterlagen vorhanden sein müssen. Die Anforderungen werden durch die gesamte Lieferkette hindurch weitergereicht. In einigen Bereichen, beispielsweise der Luftfahrtindustrie, sind Systeme zur lückenlosen Rückverfolgung von Produktkomponenten bereits seit Längerem etabliert (vgl. New, 2010). Auch der Automobilsektor ist bekannt für seine stringente Rückverfolgbarkeit von Komponenten und Materialien, unterstützt u.a. durch ITSysteme wie das Internationale Materialdatenbanksystem, an dem sich alle großen Automobilhersteller beteiligen und über das Lieferanten Details zu verwendeten Materialien bekanntgeben müssen (HP, 2013). Darüber hinaus sind die Lieferanten bei Anfragen von Kunden hinsichtlich RoHS-Konformität gesetzlich gefordert, Informationen über ihre Zulieferer bekannt zu geben. Im Rahmen der Befragungen wurde der Eindruck gewonnen, dass die kundengetriebene Dokumentation des Warenursprungs und Bereitstellung von Lieferanteninformationen bereits gang und gäbe ist und den KMU keine großen Schwierigkeiten bereitet. Ein Einkäufer formulierte es so: „Bis jetzt hatten wir nie Probleme [Lieferanten bekanntzugeben]. Unsere Lieferanten müssen ja die RoHS dann auch weiter hinterfragen und schicken uns dann von ihren Lieferanten die Informationen. So ist das für mich, wenn ich möchte, recht transparent.“24 Nichtsdestotrotz fiel mehrmals die Aussage, dass aus eigener Motivation heraus keine zusätzlichen Maßnahmen zur Förderung der Transparenz getroffen werden würden. Es Dokumentation wird reaktiv auf sicherzustellen, Anforderungen aber keine reagiert, die proaktiven notwendige Bemühungen vorgenommen, die Sichtbarkeit der Lieferkette über die direkten Zulieferer hinaus zu erhöhen. Es wird darin kein Zusatznutzen für das eigene Unternehmen erkannt bzw. werden Risiken wie Rohstoffknappheit oder Menschenrechtsverletzungen als nicht hoch genug für das eigene Unternehmen eingeschätzt, als dass die Investition zeitlicher und finanzieller Ressourcen lohnenswert wäre. 24 Interview 1 92 3.4.5 Fachliche Unterstützung Aufgrund der Themenvielfalt und der hohen Komplexität von Nachhaltigkeitsaspekten in der Lieferkette wurde an die GesprächspartnerInnen die Frage gestellt, wo sich ihr Unternehmen Hilfestellung in der Umsetzung sucht bzw. bei Bedarf suchen würde. Die Relevanz der Frage „Inwieweit, in welcher Form und von wem erhalten die KMU fachliche Unterstützung bei der Umsetzung von CSR in der Lieferkette?“ wurde durch die Tatsache relativiert, dass (wie oben ausgeführt) die Notwendigkeit zur Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit in der Lieferkette bisher kaum gesehen wird. Die Stellen, bei denen sich die Unternehmen Unterstützung suchen (würden), sind unterschiedlich. Am häufigsten wurden „Hersteller“ und „Lieferanten“ genannt. Diese können vor allem zu Materialien und Herkunft Informationen bereitstellen. Einige relevante Informationen werden bereits über die im Qualitätsmanagement vorgesehene Lieferantenbewertung eingeholt. Darüber hinaus können auch Distributoren (Händler) Auskünfte geben, was für viele KMU, deren Bestellwerte zu gering sind um sich direkt an die Hersteller zu wenden, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat. Für THIEN eDrives zählen die beiden größten Kunden zu den wichtigsten Informationsquellen. Sie stellen, z.B. bei Gesetzesneuerungen, Unterlagen zur Verfügung und bieten wenn nötig darüber hinaus gehende Hilfestellung an. Diese Informationen kann THIEN eDrives in weiterer Folge an die eigenen Lieferanten weitergeben. Mehrere Unternehmen gaben an, die für sie notwendige Expertise im Haus zu haben, wobei die Stelle des/der Qualitätsmanagers/in als zuständig angesehen wurde. Teilweise bestehen auch Qualifizierungen wie Fachkraft für Arbeitssicherheit; darüber hinaus wurden aber keine nachhaltigkeitsrelevanten Ausbildungen genannt. 93 Weitere externe Stellen, die angesprochen wurden, waren Rechtsanwälte für rechtliche Fragen, die Wirtschaftskammer und Branchenvereinigungen. Tatsächlich konsultiert wurden diese aber zu Nachhaltigkeitsthemen noch nicht. Eine interessante Informations- und Inspirationsquelle können außerdem Forschungsvorhaben verschiedener Art sein, an denen sich KMU beteiligen. Diese setzen sich in den meisten Fällen mit Zukunfts- und damit Nachhaltigkeitsfragen auseinander. 94 4 Resümee Um sich der Beantwortung der Hauptforschungsfrage zu nähern, wurde eingangs die Sub-Frage gestellt, was KMU motiviert, Maßnahmen zu einem ökologisch und sozial verträgliche(re)n Lieferkettenmanagement umzusetzen. Aus eigener Motivation heraus setzen KMU in der technischen Industrie Maßnahmen dann, wenn sie einen direkten oder indirekten ökonomischen Mehrwert (Kosten- und Zeitersparnis, Qualitätssicherung, Innovationen) darin sehen. Ein weiteres intrinsisches Motiv stellt die moralische Verpflichtung dar, im Sinne eines corporate citizen Verantwortung für die Region zu übernehmen und bevorzugt regional zu beschaffen. Die Zusammenarbeit mit regionalen Lieferanten hat zudem handfeste ökonomische Vorteile (im Gegensatz zur globalen Beschaffung), die vorrangig mit geringen Stückzahlen und dem hohen technischen Niveau zusammenhängen. Extrinsisch angeregt werden KMU vor allem durch Vorgaben von Kunden oder dem Gesetzgeber. Diese Anforderungen werden in erster Linie erfüllt, um marktfähig zu bleiben. Der Mehrwert der auf diese Art und Weise induzierten Maßnahmen für das eigene Unternehmen wird jedoch meist nicht gesehen, was dazu führt, dass die Effektivität dieser beschränkt ist. Das ist eindrücklich am Beispiel der Lieferantenkodizes großer Unternehmen zu sehen. Letztere überprüfen weder die Einhaltung der propagierten Prinzipien, noch kommunizieren sie an ihre Lieferanten, warum die Beschäftigung mit Fragen der Nachhaltigkeit letztlich auch ökonomisch Sinn macht. Die Rolle der Großunternehmen ist aufgrund des Einflusses auf ihre KMU-Lieferanten eine bedeutende, die das Potential hat, Lieferketten sozial- und umweltverträglicher zu machen. Aus den oben genannten Gründen und einer generell unterschiedlichen Herangehensweise von Großunternehmen und KMU an betriebliche Nachhaltigkeit wird es jedoch nicht ausgeschöpft. Ein Trend in Richtung „mehr Nachhaltigkeit“ in Lieferketten, wie in der Literatur vielfach angedeutet, kann durch die vorliegenden Ergebnisse nicht bestätigt werden. Dies hängt vorrangig mit der Position der KMU in der Lieferkette zusammen. Nachhaltigkeitskriterien spielen im B2B-Bereich eine sehr 95 untergeordnete Rolle. Ihre Bedeutung steigt in dem Maße, in dem die Distanz (in der Lieferkette) zum/r Endkunden/Endkundin sinkt. Die Strategien im Lieferkettenmanagement der KMU sind darauf ausgerichtet, direkt oder indirekt die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, um letztlich am globalen Markt „mithalten“ zu können. Der Fokus liegt fast ausschließlich auf direkten Zulieferern. Aufgrund des starken Wettbewerbs- und Kostendrucks und damit einher gehender begrenzter finanzieller und personeller Ressourcen werden „freiwillige“ Maßnahmen mit Nachhaltigkeitseffekt nur dann vorgenommen, wenn sie auch ökonomisch Sinn machen. Die wichtigste proaktive Strategie, die von KMU im vorliegenden Kontext umgesetzt wird, ist die bewusste Bevorzugung regionaler Lieferanten. Diese hat durch die enge langfristige, auf Vertrauen basierende Kooperation neben wirtschaftlichen Vorteilen (Qualität, Flexibilität, Know-How, etc.) auch positive ökologische (verkürzte Transportwege, Generierung von Innovationen zur Material- und Energieeinsparung) und gesellschaftliche (lokale Wertschöpfung) Auswirkungen. Hinsichtlich Maßnahmen die reaktiv als Reaktion auf Anforderungen von außen gesetzt werden, ist das Handlungsfeld Transparenz wesentlich, also das Erfassen und Weitergeben von Informationen über Lieferanten und Materialien. Nachhaltigkeitsaspekte, sondern Jedoch primär geht um es die dabei nicht um Gewährleistung von Produktsicherheit und Qualitätsattributen. Die bestehende enge Zusammenarbeit mit Lieferanten, die meist als „(Entwicklungs-)Partner“ bezeichnet werden, wird bisher nicht explizit zur Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen genutzt, wenngleich gemeinsam erarbeitete Produktverbesserungen oftmals positive ökologische Nebeneffekte (z.B. Materialreduktion) haben. Jene nachhaltigkeitsrelevanten Themenfelder, bei denen wenig bis kein Bezug zum eigenen Betrieb hergestellt wird, betreffen insbesondere die unteren Ebenen 96 der Wertschöpfungskette. Dazu zählen soziale und Umweltauswirkungen des Abbaus Seltener Erden oder die Verknappung von Rohstoffen. Dies kann unter Umständen ein unternehmerisches Risiko – Stichwort Versorgungssicherheit – darstellen. Das Lieferantenmanagement wird üblicherweise im Rahmen des Qualitätsmanagementsystems nach ISO9001 abgewickelt. Die Überprüfung der Anforderungen, die an die eigenen Lieferanten gestellt werden, erfolgt demnach über Audits direkt beim Lieferanten. Hier kommen wieder der persönliche Kontakt und die geringe Distanz ins Spiel, die die Verständigung und den Austausch erleichtern. Ökologische und soziale Fragen werden dabei am Rande, aber meist nicht systematisch bzw. nur im Anlassfall mit einbezogen. Der in Mitteleuropa vorherrschende gesetzliche Standard wird als so hoch erachtet, dass eingehende Kontrollen in diesen Bereichen als nicht notwendig angesehen werden. Generell kann das Resümee gezogen werden, dass der externe Druck seitens Kunden und Gesetz zwar der Haupttreiber von nachhaltigkeitsrelevanten Maßnahmen in der Lieferkette ist. Gleichzeitig werden aber aus intrinsischer Motivation heraus viele Handlungen gesetzt, die im ökologischen und gesellschaftlichen Sinn sehr positive Auswirkungen haben. Es sei darauf hingewiesen, dass die Erkenntnisse aus der vorliegenden Arbeit nur begrenzt auf andere Kontexte und Orte übertragbar sind. Insbesondere das starke Bekenntnis zur Region scheint in Vorarlberg besonders ausgeprägt; von einem allgemeinen Trend zurück in Richtung regionaler Lieferketten kann deshalb nicht gesprochen werden. Trotz dieser Limitationen können aus den Ergebnissen einige Handlungsempfehlungen für KMU abgeleitet werden, die nachfolgend in Kapitel 5 aufgeführt sind. 97 5 Potentiale für KMU Aus den vorliegenden Ergebnissen lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für KMU in der technischen Industrie formulieren, die im Sinne einer nachhaltigen und tragfähigen Lieferkette beachtet werden sollten: Den ökologischen und gesellschaftlichen Mehrwert der betrieblichen Aktivitäten und die Werte des Unternehmens selbstbewusster darstellen und kommunizieren. Nicht nur gegenüber Kunden macht dies einen guten Eindruck, es spricht auch bestehende und potentielle neue MitarbeiterInnen an. Umwelt- und soziale Aspekte in bestehende Systeme, etwa ins Qualitätsmanagement, integrieren. So können im Rahmen der ISO9001 neben Qualitäts- auch Umwelt- und Mitarbeiterziele gesetzt und die Zielerreichung überprüft werden. Außerdem sollten Nachhaltigkeitsfragen, beispielsweise die Auswirkungen des Klimawandels auf Produkte und Prozesse, ins Risikomanagement Eingang finden. Lieferanten noch stärker einbeziehen, um Produktverbesserungen zu erzielen und Innovationen zu generieren. Konkrete ökologische Fragestellungen einfließen lassen (z.B. „Wie müsste das Produkt aussehen, um Material- und Energieverbrauch deutlich zu reduzieren?“). Genau abwägen ob die globale Beschaffung tatsächlich günstiger kommt, wenn alle damit einher gehenden (Mehr-)Kosten und Risiken mit einkalkuliert werden. Über die direkten Lieferanten hinaus Netzwerke aufbauen. Dies birgt Potentiale, effizienter zu arbeiten und sich am Markt abzuheben (s. Beispiel „TwoInOne“, Kapitel 3.4.4.2.6). Potentiale analysieren und ausschöpfen, anstatt vorrangig die Belastung hinter gesellschaftlichen und ökologischen Aspekten zu sehen. Dazu lassen sich kostenlose Leitfäden, bspw. von respACT 25 oder KMU Kompass Nachhaltigkeit26 nutzen, die auch dabei helfen, ein strukturiertes aber praktikables nachhaltiges Lieferkettenmanagement aufzubauen. Gemeinsam mit Lieferanten und Partnern an Problemstellungen arbeiten. Auch die Teilnahme an geförderten Forschungsprojekten (EU, Forschungsförderungsgesellschaft) oder die Vergabe von Studierendenarbeiten (Master-, Bachelorarbeiten) ermöglicht es, neue Perspektiven und Herangehensweisen zu erkennen und zu erproben. 25 26 www.respact.at/lieferkettekmu http://kmu.kompass-nachhaltigkeit.de/ 98 Speziell bei Produkten mit „nachhaltigen“ Eigenschaften (energieeffizient, gut recyclebar…) lohnt es sich, auszuloten, inwieweit EndkundInnen oder Kunden noch stärker angesprochen werden können, die in der Lieferkette nahe am Endkunden positioniert sind. Positive ökologische (oder soziale) Faktoren werden mit zunehmender Nähe zum Endkunden stärker geschätzt und nachgefragt. 99 6 Ausblick Einige Fragestellungen blieben im Rahmen dieser Arbeit unbeantwortet bzw. konnten nicht weiter vertieft werden. Generell sind Marktmechanismen kritisch zu beleuchten, die verhindern, dass sich CSR-Maßnahmen in der Lieferkette auch wirtschaftlich lohnen. Darüber hinaus sollte der Schnittstelle KMU – einkaufendes Großunternehmen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, um Bemühungen hinsichtlich einer sozial- und umweltverträglichen Lieferkette zukünftig effektiver zu gestalten (Stichwort Lieferantenkodizes). Eine wichtige Fragestellung ist auch, wie die Aufmerksamkeit stärker auf die unteren Ebenen der Wertschöpfungskette (Abbau von Rohstoffen) gelenkt werden kann, wo gravierende Nachhaltigkeitsprobleme auftreten. Was die Transparenz von Lieferketten betrifft, so ist diese in der technischen Industrie bereits auf sehr hohem Niveau. Es sollte untersucht werden, wie dies für eine gesteigerte Transparenz von gesellschaftlichen und sozialen Aspekten genutzt werden kann. 100 7 Literaturverzeichnis Ahi, P. & Searcy, C. (2013): A comparative literature analysis of definitions for green and sustainable supply chain management. Journal of Cleaner Production, 52, 329-341. Amnesty International (2012): Vedanta’s Perspective Uncovered: Policies cannot mask practices in Orissa. Abgerufen am 20.8.2015 von http://www.amnesty.org.uk/sites/default/files/vedanta2.pdf ASQ (2015): Failure Mode Effects Analysis (FMEA). Abgerufen am 11.7.2015 von http://asq.org/learn-about-quality/process-analysistools/overview/fmea.html Außenwirtschaft Austria (2015): Hidden Champions aus Österreich erobern die Welt. 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Konkrete ökologische und gesellschaftliche Fragestellungen standardmäßig in die Produktentwicklung mit einfließen lassen Vorlieferanten einbeziehen, wo es Sinn macht Im Rahmen des Qualitätsmanagements einen Prozess einrichten, der sicherstellt, dass die Lieferanten ein regelmäßiges Update über ihre Kompetenzen an THIEN eDrives übermitteln. Austausch zu aktuellen (z.B. Regulierung Konfliktmineralien) oder zukünftigen (z.B. Schließung von Rohstoffkreisläufen) Fragestellungen mit Lieferanten und Partnern Regelmäßige Vergabe von Studierendenarbeiten (Bachelor-,/ Masterarbeiten) bzw. Kooperation mit Universität oder FH zu Themen für die im Tagesgeschäft keine Zeit bleibt Nutzen Macht Sinn aufgrund des nachhaltigen Kerngeschäfts. Sichtbarkeit nach außen wird erhöht und Abhebungsmerkmal geschaffen Potentiale können sein: Neue Märkte, Attraktivität als Arbeitgeber, Innovationen u.v.m. Ermöglicht es, sich besser auf zukünftige Entwicklungen einzustellen. Kunden schätzen die Auseinandersetzung mit Umweltthemen. Es ist keine eigene Zertifizierung notwendig. Bestehendes „neu denken“ („wie müsste das Produkt aussehen, um XX zu erreichen?“) bringt alternative innovative Ansätze zutage Effizientere Abwicklung von Aufträgen, „one face to the customer“ (siehe Netzwerk „TwoInOne“) Übersicht über Kompetenzen der Lieferanten behalten um sie bei Bedarf rasch beauftragen zu können Gemeinsame Lösungsfindung, Ideenpool, Innovationspotential, Zukunftsfähigkeit Möglichkeit neue Themen zu erarbeiten, neue Lösungsansätze auszuprobieren 113 9 Anhang II: Interview-Leitfaden Bitte beschreiben Sie kurz Ihre Tätigkeit im Unternehmen. Wo gibt es in Ihrer Tätigkeit Berührungspunkte mit ökologischen und sozialen Aspekten im weitesten Sinn? Welche Kriterien wenden Sie im Einkauf an? Wer bestimmt diese? Welche Potentiale sehen Sie in der Auseinandersetzung mit ökologischen und sozialen Aspekten? Wie arbeiten Sie mit Lieferanten zusammen um Qualitätsziele/Ziele im Bereich […] zu erreichen? Was könnte in der Zusammenarbeit mit Lieferanten verbessert werden? Welche Ansätze gibt es im Rahmen dieser Kooperationen bereits, die auf die Begegnung zukünftiger Herausforderungen abzielen? In welchem Ausmaß waren oder sind Sie mit externen Anfragen hinsichtlich ökologischer oder sozialer Aspekte konfrontiert? Wo holen Sie sich fachliche Expertise oder Unterstützung, um auf solche Anfragen reagieren zu können? Welche zukünftigen Herausforderungen sehen Sie in Ihrem Tätigkeitsbereich? Hinweis: Der Leitfaden wurde je nach Kontext des Interviewpartners/der Interviewpartnerin entsprechend adaptiert. 114
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