Holmead und der Triumph der Malerei Sie sehen Schründe, Schluchten, Schlieren. Die Farben sind so pastos aufgetragen, dass sie ein Relief bilden. Und so virtuos, dass wir an einen spontanen, unwillkürlichen Malakt Daniel Schreiber, Kurator, denken, als ob einem Affen im Zoo ein Pinsel in die Hand Frieder Burda, gedrückt worden wäre. Und doch sind die Bilder in der Lage, Museum Baden-Baden vor unserem inneren Auge ein sehr genaues Bild von einer Schade, dass Holmead die Aufmerksamkeit, die ihm hier in Kronberg zuteil wird, nicht mehr erlebt. Er ist 1975 mit 85 Jahren in Brüssel gestorben und wurde auf dem Riensberger Friedhof in Bremen bestattet. Wahrscheinlich wäre der arthritisch gebeugte Mann mit den schlohweißen, schulterlangen Haaren unter den Gästen der Ausstellungseröffnung gar nicht aufgefallen. Er war nämlich nur etwas über 1,60 m groß. Er hätte sich freilich alles ganz genau angesehen, mit seinen schalkhaft neugierig umherblickenden Augen, zwischen denen eine äußerst beachtliche und zudem kühn geschwungene Nase hervorragte. Nun möchte ich Ihnen sehr empfehlen, die gleiche Neugier dem amerikanischen Maler Clifford Holmead Phillips entgegenzubringen, der gleichermaßen exzentrisch wie interessant ist. T e c h n i k Seine Landschaftsgemälde, um 1960 entstanden, vermitteln den Eindruck einer urwüchsigen Natur, voll gewittriger Vorahnung. Seine Bäume sind vom Wind zerrüttelt oder sie erscheinen in gleißendem Gegenlicht wie eine geisterhafte Silhouette. So wirken die Bilder von weitem, doch wer näher herantritt, wird verblüffenderweise etwas anderes bemerken: Die Spuren, die ein Spachtel auf dem Malgrund hinterließ, nachdem er Farben von der Palette aufgenommen hatte. menschenleeren Landschaft entstehen zu lassen. Noch verblüffender ist der Effekt bei den Architekturdarstellungen, um 1967 entstanden: In gleißendem Licht, vor unheilvoll bewegtem Himmel, sehen Sie mal ein älteres Kontorgebäude mit vertikaler Pfeilerfassade, dann wieder ein zeitgenössisches, modernes Bürohaus mit horizontalen Fensterbändern und schneeweißen Brüstungen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Spachtelspuren hier noch breiter sind, die Farbmischung noch schlieriger, die Malspur noch aufgeworfener als bei den Landschaften. Tatsächlich hat Holmead hier einen viel breiteren Spachtel verwendet und es verwundert umso mehr, wie es ihm gelungen ist, mit diesen ungenauen, zufällig wirkenden Malbewegungen solch präzise Formen wie die der Architektur in ihrem Licht- und Schattenspiel wiederzugeben. Das aufregendste Erlebnis stellt sich jedoch bei Holmeads Spätwerk ein: Bei den Porträts, die er von 1969 an bis zu seinem Tode malte. Es macht großen Spaß, diese Gesichter mit den weit auseinanderliegenden Augen zu studieren, und der Betrachter hat stets das Gefühl, die Person schon einmal irgendwo gesehen zu haben: Die arbeitsam vorgebeugte Frau mit Haarknoten, den zwanghaften Spitzbartträger mit Hut, den ängstlich weitsichtigen Bücherwurm, den bedrohlich feisten Glatzkopf, den blutleer dozierenden Schnauzbartträger, um nur einige Beispiele zu nennen. Wie kann es sein, dass wir in der flüchtig mit dem Spachtel hingewischten Farbpaste einzelne Individuen, oder mehr noch, geradezu archetypische Charaktere erblicken können? Wir werden dieses Rätsel letztlich nicht lösen können, doch wir wissen, wie die Bilder entstanden sind. Holmead war ein alter Mann von 80 Jahren, als er mit den Porträts begann. Am Abend pflegte er sich in seinen Ohrensessel zu setzen und den Tag Revue passieren zu lassen. Er erinnerte sich an die Menschen, denen er tagsüber begegnet war, bei seinen Fahrten mit Bus und Straßenbahn durch Brüssel, die Stadt, in der er seit 1956 lebte, oder bei Ausstellungseröffnungen. Aus der Erinnerung fertigte er dann eine große Menge flüchtiger Bleistiftskizzen an. Die meisten davon warf er weg, doch die besten verwendete er am nächsten Tag in seinem Atelier für seine Ölbilder. Was hier geschah, nannte Holmead „shorthand-painting“, zu Deutsch also eine stenografische Malerei, die der Schnelligkeit wegen auf alles Überflüssige verzichten kann. „Mit Beharrlichkeit habe ich eine Methode der Reduktion entwickelt“, so beschrieb Holmead das shorthand-painting, „um besonders das menschliche Antlitz zu einem Höchstmaß an Ausdruck bei einem Mindestmaß an Aufwand zu bringen: Ein paar Striche mit meinem breiten Spachtel genügen. Es sieht einfach aus, hat aber allerhand Geduld und Mühe gekostet.“ Es ist wohl wahr, dass eine Menge Geduld nötig war, um diese Arbeitsweise zu entwickeln: Es bedurfte der Erfahrung einer fast 60 Jahre langen künstlerischen Entwicklung, die zwei Weltkriege und einen Schlaganfall überdauerte, um die spontanen Spachtelhiebe so sicher auf die Leinwand zu setzen, dass sich ein Bild dabei herauskristallisieren konnte. Die Fertigstellung eines Bildes hingegen dauerte gar nicht lange: „Wenn ich mit einer Leinwand mehr als fünf oder acht Minuten herumpfusche“, schrieb Holmead 1970, „bekomme ich ein Postkartenbild, das man nicht gelten lassen kann.“ Dass man Holmeads Porträts nicht nur gelten lassen kann, sondern dass sie zu den Höhepunkten des späten gegenständlichen Expressionismus gehören, kann man kaum bestreiten. T r a g i k Wie kann es dann sein, dass der Name Holmeads häufig mit den Worten „unterbewertet“, „unterschätzt“ und „vergessen“ in Verbindung gebracht wird? Tatsächlich musste Holmead 83 Jahre alt werden, bis 1973 das erste monografische Buch über ihn erschien, ein schmales Bändchen in französischer Sprache mit 50 Abbildungen. Von dem Marburger Kunsthistoriker Rainer Zimmermann erschien schließlich 1987 eine umfassende Monografie über ihn und zuletzt 1998 der Bestandskatalog der Werke von Holmead, die aus seinem Nachlass den Kunstsammlungen Böttcherstraße in Bremen geschenkt wurden und einen Querschnitt durch sein Schaffen zeigen. Wie es zu dieser sehr zögerlichen Würdigung des Lebenswerkes kam, hat am deutlichsten ein angeheirateter Verwandter Holmeads formuliert: Der Kunsthistoriker Gustav Pauli, zunächst Bremer, dann Hamburger KunsthallenDirektor, war ein Vetter des Vaters von Holmeads Frau. 1935 besuchte er die Holmeads in New York und meinte, dass die Werke in ihrem Expressionismus nicht mehr zeitgemäß seien und hinter der europäischen Entwicklung hinterherhinkten. Diese Einschätzung nagt bis heute an dem Nachruhm des amerikanischen Malers. Und es ist durchaus etwas daran. 2//3 1912 verließ Holmead mit 23 Jahren seine Heimat Shippensburg in Pennsylvania, um durch Europa zu reisen. Die Beschäftigung mit der europäischen Kultur brachte ihn zu dem Entschluss, Maler zu werden. Zurück in den USA, begann er sich mit der dortigen Maltradition auseinanderzusetzen: Nach dem Vorbild des französischen Impressionismus war dort im ausgehenden 19. Jahrhundert die Pleinair-Malerei Mode geworden. Die Künstler, die berühmtesten unter ihnen waren die so genannten Hudson River Painter Georges Inness und Alexander H. Wyant, arbeiteten nicht mehr im Studio, sondern sie trugen ihre Staffelei in die Landschaft, um unmittelbar nach dem Vorbild der Natur zu malen. Von stimmungsvollen Sonnenuntergängen über Farmlandschaften bis hin zu Wäldern finden wir alle Facetten dieser noch romantisch geprägten Landschaftsmalerei im frühen Werk Holmeads. Zur gleichen Zeit hatte der acht Jahre ältere Picasso in Paris gerade sein berühmtes kubistisches Gemälde „Stilleben mit Geige und Trauben“ gemalt. 1924 reiste der „rückständige“ Amerikaner Holmead zum zweiten Mal nach Europa. Er wohnte zunächst in Brügge, doch hielt er sich häufig in Paris auf. Er begann eine neue Technik der Landschaftsmalerei zu entwickeln: Unter freiem Himmel malte er nur noch mit grobem Pinsel auf kleine Papptäfelchen, um Bewegung, Farben, Licht und Schatten einzufangen. Im Studio malte er dann nach diesen kleinen Vorlagen streng komponierte Landschaften mit klaren Farbflächen und linearen Begrenzungen. Paul Cézanne hatte bereits 40 Jahre zuvor mit ganz vergleichbaren Stilmitteln die impressionistische Malerei revolutioniert. 1941 musste Holmead zurück in die USA. Während Europa in den Trümmern des Zweiten Weltkriegs versank, hatte sich Amerika in der Zwischenzeit kunsthistorisch weiterentwickelt. Auch hier gelang Holmead nicht der Anschluss an die künstlerische Avantgarde. 1956 zog er zurück nach Europa. Er ließ sich in Brüssel nieder. Als er dort um 1968 seine ersten Landschaften und Architekturen in der beschriebenen Methode des shorthand-paintings malte, hatte der Amerikaner Jackson Pollock bereits 25 Jahre mit spontanen Malakten und seinen Dripping-Bildern experimentiert. 1969, mit 80 Jahren, wendet er die Methode des shorthand-painting auf die Porträts an. Mark Rothko hatte zuvor bereits in den 1930er Jahren einen ganz vergleichbaren Abstraktionsgrad bei Porträts erreicht, um dann in den 40ern und 50ern seinen rein abstrakten Stil zu finden. Holmead hingegen ist diesen letzten Schritt nie gegangen. Es gibt nicht ein vollständig abstraktes Bild von ihm. Es scheint geradezu so, als ob er es sich zum Programm gemacht hätte, sich immer antizyklisch gegen die gerade geltenden Moden zu stellen: „The more they do something else, the more I do the opposite – I am not a penny-dog!“ T r i u m p h Glücklicherweise konnte es sich der aus reichem Hause stammende Holmead leisten, am Trend und am Kunstmarkt vorbeizuarbeiten. Gleichwohl erfüllte ihn die unverdient geringe Anerkennung mit einer gewissen Bitterkeit: „Die Menschheit, dieser größte Fehlgriff der Natur“, sagte er einmal, „hat ihre MordKarriere von Adam bis Atom durchlaufen. Von den ersten beiden Brüdern, von denen der eine den anderen erschlagen hat, bis zu den letzten beiden, die übrig bleiben, wird immer wieder dasselbe passieren – so gibt´s nicht viel Neues!“ Er war Zyniker und Moralist, jedoch empfand er Erbarmen für das menschliche Individuum. Dass sich eine Auseinandersetzung mit Holmead trotzdem lohnen kann, mag ein Blick über den Tellerrand verdeutlichen: Der gegenständliche Expressionismus, dem Holmead anhing, war nach dem Zweiten Weltkrieg mehr oder minder zu einer Lachnummer verkommen. Lediglich in einem sozialistischen Land wie der DDR konnte er neben dem sozialistischen Realismus eine Nischenexistenz führen, so geschehen in Leipzig. Heute feiert der dort ehemals lehrende Bernhard Heisig späte Triumphe: Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder eröffnete vergangenes Jahr eine große Heisig-Retrospektive in Dresden, die später auch in der Berliner Nationalgalerie zu sehen war. Doch damit nicht genug: Nachdem mehrfach bereits der Tod der Malerei verkündet wurde, feiert sie jetzt ihre Auferstehung, allem voran die gegenständliche Malerei: Auf der Biennale 2003 in Venedig wurde sie in der Ausstellung „Pittura“ erstmals vom Abstellgleis der Moderne zurück auf das Hauptgleis rangiert. Auf der größten Kunstmesse der Welt, der Armory Show, feierten 2004 die ebenfalls gegenständlich arbeitenden Heisig-Schüler Arno Rink, Tim Eitel und Neo Rauch ihre ersten Welterfolge; und längst hat diese Welle des Wohlwollens auch die Museen erreicht. Um nur zwei prominente Beispiele zu nennen: Das Museum Frieder Burda zeigte Anfang dieses Jahres eine große Ausstellung zur Neuen Malerei; kurze Zeit später eröffnete die Kunsthalle der Hypo Kulturstiftung in München unter dem bezeichnenden Motto „Zurück zur Figur“ eine Ausstellung zur Malerei der Gegenwart. Die Fotografie, die Abstraktion, das Happening, die Installation und die Medienkunst haben die Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt und voran- gebracht und doch haftet ihnen der Makel an, nur von einem elitären Publikum geliebt und verstanden worden zu sein. Die Neubewertung der gegenständlichen Malerei, die wir derzeit erleben, ist also eine nur allzu verständliche Rückbesinnung auf die vormodernen Tugenden der Kunst. Holmead selbst machte aus der Verachtung seiner künstlerischen Zeitgenossen gar keinen Hehl: „Sehen Sie sich den Schnickschnack mit Kreisen, Dreiecken, gefälligen Punkten und Strichen an, den das Publikum – glaub´ ich – bald leid ist“. So äußerte er sich zu den abstrakten Expressionisten und er legte ein wenig gehässig nach: „Das 20. Jahrhundert hat ein Geschlecht von schwachen Talenten hervorgebracht, die sich einer vermessenen Publizität erfreuen.“ Diese abschätzige Haltung können wir in Hinblick auf die großartigen Bilder von Mark Rothko, Pablo Picasso und Joan Miró schwerlich teilen. Und doch birgt sie auch ein Körnchen Wahrheit. Haben wir nicht lange Zeit die unvergleichliche Qualität handwerklicher Geschicklichkeit gegenständlicher Malerei vermisst? In exemplarischer Deutlichkeit scheint in Holmeads Bildern jenes Wunder auf, das dieser Kunst stets zugrunde liegt: Dass aus ein paar Pigmenten und einem Bindemittel, aufgetragen auf eine ebene Fläche, ein lebendiges Bild der Wirklichkeit vor unseren Augen zu entstehen scheint. Holmead verfügt über die gleichen Mittel wie die abstrakte Malerei, er malt so spontan und so pastos wie Jackson Pollock, und doch erzeugen seine scheinbar ungezielten Bewegungen ein konkretes Bild von großer Ausdruckskraft. Wäre er heute noch am Leben, so hätte er sich sicher über die Beachtung, die wir ihm nun entgegenbringen, sehr gefreut – und gleich morgen hätte er unsere Gesichter in neuen shorthand-paintings verhackstückt. 4//5
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