»Go west« war einmal Aus Antifa wird Antifra Ostdeutsche zieht es nicht mehr in den Westen, sondern in die Stadt. Seite 2 Die radikale Linke berät, wie sie auf Pegida und Asylpakete reagiert. Seite 18 Foto: dpa Mensch Merkel Das Grundrecht auf Asyl gilt unbedingt. Die Kanzlerin weiß das und beharrt darauf, hofft Friedrich Schorlemmer. Seite 14 Foto: dpa/Jan Woitas Mittwoch, 27. Januar 2016 71. Jahrgang/Nr. 22 Berlinausgabe 1,80 € www.neues-deutschland.de * STANDPUNKT Aufgeschoben René Heilig über den vorerst geplatzten Libyeneinsatz und weitere Aufgaben der Bundeswehr Man hat es zwar in den vergangenen Wochen immer wieder bestritten, doch eigentlich war mit den NATO-Verbündeten alles abgesprochen. In der Hauptstadt Libyens wollte man eine »Grüne Zone« für die angestrebte Einheitsregierung sichern. Willige Milizen sollten unter dem Kommando eines CIA-genehmen Generals gesammelt und von Bundeswehrausbildern nach Nordirak-Muster gedrillt werden. Dann hätte man unter dem Schutz westlicher Luftwaffen die vom Islamischen Staat bereits überrannten Regionen gesäubert. Die EUNAVFOR-MED-Flottille wäre gemäß Stufe 3 aktiviert worden und geschleppte Flüchtlinge gestoppt. Libyen, die Freiheit ist nah. Wie oft hatte man das schon versprochen? Diesmal wäre die Bundeswehr beteiligt gewesen. Nun aber hat das westgetreue Parlament die den Libyern vorbestimmte Einheitsregierung abgelehnt. So gibt es niemanden, der der westlichen Landungsoperation den Anschein von Legalität geben kann. Was soll’s. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Der Tag kommt. So wie er in Afghanistan und Syrien kam. Demnächst ist Mali dran, Libyen und andere Regionen werden folgen. Die Bundeswehr richtet sich über Jahrzehnte darauf ein, überall auf der Welt einzugreifen. Genau so wird es im neuen Weißbuch stehen. Passend dazu fordert Ursula von der Leyen bis 2030 rund 130 Milliarden Euro, um neues Kriegsgerät zu kaufen. Man wünscht sich, ihr Kabinettskollege Gerd Müller – er ist zuständig für Entwicklungshilfe – dürfte nur hab so forsch in unsere Steuertöpfe greifen. UNTEN LINKS War es politischer Protest oder eher eine subtile Art der Arbeitsverweigerung, als jetzt ein Chemieprofessor bei der Eröffnung eines neuen Fraunhofer-Instituts ein Schild mit der Forderung »Keine Experimente!« hochhielt? Angela Merkel, der die Ein-MannDemo galt, wird sich in der Geschichte ihrer Partei gut genug auskennen, um zu wissen, wann der Slogan schon einmal ausgegeben wurde: 1957 war es, als Konrad Adenauer so davor warnte, SPD zu wählen, denn er glaubte, »dass mit einem Sieg der Sozialdemokratischen Partei der Untergang Deutschlands verknüpft ist«. Ganz so dramatisch ist die Lage nicht mehr – weder das eine noch das andere ist akut zu befürchten. Aber wenn der wackere Chemieprofessor Nachahmer findet – dann erklären die Wirtschaftsweisen demnächst statt ihre Jahresgutachtens einfach »Keine Ahnung!«. Und die nd-Kollegen zücken bei der Planung der Meinungsseite ein Transparent mit der Aufschrift »Kein Kommentar!«. wh ISSN 0323-4940 Das war mein Schwur Vor 71 Jahren wurde das größte deutsche Vernichtungslager des NS-Regimes befreit. In Gedanken bin ich in diesen Tagen bei den Menschen, die für ewig in Auschwitz-Birkenau geblieben sind. Mit seinen mehr als eineinhalb Millionen Toten ist es der größte Friedhof in der ganzen Welt. Keiner von ihnen hat einen Stein des Gedenkens. Die Nazis wollten, dass sie vergessen werden. Wir haben die Pflicht, ihrer zu gedenken. Am 2. Februar 1945 schworen wir, eine neue Welt Die Geschichte eines Fotoalbums Warum Ilse Langguth ihr Geschenk zum des Friedens und der Freiheit aufzubauen. Ich habe 17. Geburtstag mit fast 77 Jahren Verspätung erhielt. Seite 3 mich engagiert, um eine Wiederkehr dieser unvergleichlichen Menschheitsverbrechen der Nazis zu Die Würde der Toten Zum Holocaust-Gedenktag: der Film »Son verhindern. Zeitlebens habe ich Zeugnis abgelegt, of Saul« von László Nemes. Seite 13 zeitlebens war ich darum bemüht, bis in die GegenIm Schatten der Gaskammer Robert Schopflochers Roman über jüdische wart, junge Menschen über meine Erlebnisse und Schicksale in Lateinamerika. Seite 13 Erfahrungen und deren Ursachen zu informieren. Gerade deshalb schmerzt und empört es mich sehr, heute feststellen zu müssen: Die Welt hat zu wenig aus unserer Geschichte gelernt. Gerade deshalb müssen Erinnerungen und Gedenken weiterhin gleichermaßen Aufgabe der Bürger und der Staaten sein. Auschwitz und die ehemaligen Lager sind heute steinerne Zeugen. Sie sind Tatorte, internationale Friedhöfe, Museen und Orte des Lernens. Sie sind Beweise gegen Verleugnung und Verharmlosung – und sie müssen auf Dauer erhalten werden. Erinnert werden muss in diesem Zusammenhang vor allem an den Holocaust – geschehen in deutscher Verantwortung! Aber auch Europa hat seine Aufgabe. Anstatt die Ideale für Demokratie, Frieden, Toleranz, Selbstbestimmung und Menschenrechte durchzusetzen, wird Geschichte nicht selten benutzt, um zwischen Menschen, Gruppen und Völkern Zwietracht zu säen. Ich wende mich entschieden dagegen, dass Schuld gegeneinander aufgerechnet, Erfahrungen von Leid hierarchisiert, Opfer miteinander in Konkurrenz gebracht und historische Phasen miteinander vermischt werden. Unsere Reihen lichten sich. Die letzten Augenzeugen wenden sich an die Bundesrepublik, an alle europäischen Staaten und die internationale Gemeinschaft, die menschliche Gabe der Erinnerung und des Gedenkens auch in der Zukunft zu bewahren und zu würdigen. Ich bitte die Jugend von heute, unseren Kampf gegen die Naziideologie und für eine gerechte, friedliche und tolerante Welt fortzuführen, eine Welt, in der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus keinen Platz haben sollen. Mögen die künftigen Generationen aber auch daran denken, dass mit der Niederlage des Dritten Reiches die Naziideologie nicht verschwunden ist, dass faschistische und neonazistische Bewegungen, Organisationen und Parteien sich anschicken, neues Unheil über die Menschheit zu bringen. Möge AuschwitzBirkenau, diese Stätte des Völkermordes, ein Zentrum werden für Begegnungen, das zur Verständigung der Völker, zur Errichtung einer Welt mit mehr Solidarität und Brüderlichkeit beiträgt, zu einer Welt, in der überall die Menschenrechte geachtet werden, in der Frieden herrscht, in der es nie wieder ein Auschwitz geben wird. Das war mein Schwur im Februar 1945 am Scheiterhaufen in AuschwitzBirkenau. Hein Friedriszik, Häftling Nr. 0294 I Athen befürchtet Flüchtlingsstau Grenzsicherungspläne in Europa setzen Griechenland unter Druck Athen. In Griechenland wächst die Befürchtung, dass Flüchtlinge und Migranten im Land »eingeschlossen« werden, wenn andere europäische Staaten und vor allem das Nachbarland Mazedonien die Grenzen schließen. Wie die Athener Tageszeitung »Kathimerini« am Dienstag berichtete, will das UN-Flüchtlingswerk deshalb schnell für Unterkünfte in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki sorgen. Auch militärische Einrichtungen kämen dafür infrage, sagte der griechische Vertreter des Flüchtlingswerks, Petros Mastakas, bei einer Zusammenkunft mit Bürgermeistern aus Nord-Griechenland. Gut 20 000 Flüchtlinge und Migranten könnten kurzfristig im Rahmen eines Hilfsprogramms in Hotels und privaten Unterkünften beherbergt werden, sagte Mastakas. Das dänische Parlament hat am Dienstag Verschärfungen des Asylrechts gebilligt. So kann die Polizei künftig Asylbewerbern Wertgegenstände und Bargeld im Wert von mehr als 10 000 Kronen (rund 1340 Euro) abnehmen. Agenturen/nd Seite 7 130 Milliarden für mehr Rüstung Verteidigungsressort plant kräftigen Zuwachs für Bundeswehr bis 2030 Berlin. Bis 2030 will die Bundeswehr 130 Milliarden Euro für die Beschaffung von Material ausgeben. Das bedeutet grob gerechnet eine Verdopplung der bislang im Verteidigungsetat vorgehalten Summe für militärische Beschaffung. Zur Zeit gibt die Bundeswehr für den Kauf von Waffen und Material – ohne Gelder für Forschung und Entwicklung – rund 4,7 Milliarden Euro jährlich aus. Es müsse eine Umkehr vom bisherigen Sparen geben, heißt es. »Wir haben lange aus der Substanz gelebt«, hieß es mit Verweis auf die schlechte Ausstattung der Bundeswehr. »Es haben sich hohle Strukturen gebildet«, und es gebe erheblichen »Modernisierungsbedarf«. Ab sofort werde von den der Bundeswehr zugewiesenen Aufgaben her geplant. Bestehende Obergrenzen von Waffensystemen werden aufgehoben, altes Material ersetzt. Neben einer soliden Grundausstattung der Truppe wolle man sogenannte Missionsausrüstungspakete vorhalten, war am Dienstag aus dem Verteidigungsministerium zu hören. hei Seite 5 Frankreich von Streiks gelähmt Tausende Werktätige fordern bessere Arbeitsbedingungen Paris. Taxifahrer, Fluglotsen, Lehrer: Streiks mehrerer Berufsgruppen haben in Frankreich am Dienstag das öffentliche Leben lahmgelegt. Tausende Werktätige legten aus Protest gegen Kürzungen und die wachsende Konkurrenz in ihrem Sektor die Arbeit nieder. Im Großraum Paris wurden wegen energischer Proteste von Taxifahrern, die Straßen blockierten, 20 Menschen festgenommen. Aufgrund eines Fluglotsenstreiks fielen Hunderte Flüge aus. »Ich bin Taxi« und »Macron und Uber sind Komplizen«, riefen die Taxifahrer mit Verweis auf Wirtschaftsminister Emmanuel Macron und den US-Fahrdienst Uber. Rund 1500 Taxifahrer hatten sich im Großraum Paris unter anderem an den Flughäfen zu Protesten eingefunden. Sie beklagen, angesichts der Konkurrenz durch andere Fahrdienste, die nicht lizenzierte Fahrer beschäftigen, nicht mehr von ihrem Beruf leben zu können, und fordern Ausgleichszahlungen. An der Porte Maillot blockierten Hunderte Taxis eine Zufahrtstraße in die Stadt. AFP/nd
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