FRANKENFELSLAUBENBACHMÜHLE KAPITEL 01 LANDLEBEN COUNTRY LIFE Das tägliche Leben Everyday life Bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein hieß es für die Bauern im Pielachtal – wie nahezu überall in den Alpen – vor allem: arbeiten, die Familie ernähren und ihre Existenz sichern. Das Herz des bescheidenen Bauernhauses stellte die Küche dar, in der es dank des Herds stets warm war. Hier trafen sich Bauer und Bäuerin, Kinder und Dienstboten zu den Mahlzeiten. Alle, die auf dem Hof arbeiteten, waren in den bäuerlichen Haushalt eingebunden. Man teilte die täglichen Freuden, Mühen und Probleme … und die Feste und Bräuche, die dem Jahr einen Rhythmus gaben. Neben der Küche befand sich die Stube, die der Familie und allenfalls Gästen vorbehalten war. Auch sie war geheizt, und darin standen die Betten der Bauersleute sowie der kleinsten Kinder. Mägde hatten ihre eigenen Kammern, die Knechte schliefen während der schönen Jahreszeit im Stall. Bauernküche Farmer’s kitchen Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. Sparherd für Bauernstube Economical stove for farmhouse parlour frühes 20. Jh. Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein Almhütte am Ameisbühel Alpine hut on Ameisbühel Tuschzeichnung (R), 1935 St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [V 10541] Die Feldwiesalm, die Herrenalm, natürlich das Hochbärneck: Das sind nur die bekanntesten von zahlreichen Almflächen um Ötscher und Dürrenstein. Sie alle wurden bereits im Mittelalter von den großen Grundherrschaften erschlossen, die auch Halter bestimmten, um auf das Vieh der umliegenden Landwirtschaften aufzupassen. Eine wichtige Rolle kam den Sennerinnen zu: Sie verarbeiteten die Milch zu Molke und Käse, Butter und vor allem Butterschmalz für die hart arbeitenden Männer weiter. Obwohl Kulturland, zählen die Almen wegen ihrer langen Nutzungsgeschichte und ihrer Artenvielfalt zu den schützenswerten Landschaften der Alpen. Hochzeit im Pielachtal Wedding in Pielachtal Abholen der Braut: Heiratsmann Josef Stöckl und das Berglandler-Quintett, Rabenstein 1971 / Gstanzl zum Ehrentanz: Heiratsmann Franz Gamsjäger und die Niederer Buam, Frankenfels 1979 / Walzer zum Ehrentanz: Frankenfelser Buam, 1975 / Kranzlabtanzen: Heiratsmann Alois Lechner und die Gmüatlichen Mainburger, Hofstetten-Grünau 2000 VOLKSKULTUR NIEDERÖSTERREICH GMBH, Auswahl: Bernhard Gamsjäger, Walter Deutsch Einer der wichtigsten Männer bei einer Pielachtaler Hochzeit ist … nein, nicht der zukünftige Ehemann, sondern der Heiratsmann. Von der Verabschiedung der Brautleute bei ihrem Elternhaus bis zum mitternächtlichen Abschluss im Wirtshaus gestaltet er den Ablauf mit Sprüchen, Gedichten und Gstanzln. Nach jedem dieser Vierzeiler intonieren die Musikanten eine Ländler- oder Walzerweise. Vom Hochzeitsfest From the wedding Fotografien (R), 20. Jh. Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. / St. Pölten, Bernhard Gamsjäger Eine Pielachtaler Bauernfamilie 1900 / 1950 / 2015 A Pielachtal farming family 1900 / 1950 / 2015 Animation Illustration: Stefanie Hilgarth, carolineseidler.com; Animation: Mindconsole – visual concept bureau Leben und Arbeiten der Bauern haben sich im Pielachtal – so wie im gesamten Alpenraum – in den letzten 100 Jahren grundlegend geändert. Um 1900 stand die Landwirtschaft noch im Zeichen jahrhundertealter Traditionen. Der Hof war auf Selbstversorgung ausgerichtet, es herrschte klassische Arbeitsteilung. Mitte des 20. Jahrhunderts setzten tiefgreifende Veränderungen ein. In dieser Zeit vollzog sich der Übergang zu einer Landwirtschaft, die seither mechanisiert und motorisiert, stark spezialisiert und zu einem großen Teil auch im Nebenerwerb betrieben wird. Heute nehmen am Küchentisch auch Urlauber am Bauernhof Platz. Ihre Betreuung ist – wie vieles andere – Aufgabe der Bäuerin. Pielachtaler Bauernleben bis um 1900 A farmer’s life in Pielachtal until around 1900 Diorama Wien, Atelier Wunderkammer Umgeben von Wiesen und Äckern, in höheren Lagen von Weiden und Wäldern, lagen die Pielachtaler Höfe „in Einöde“. Da flacher Boden knapp war, wurde auch im steilen Gelände geackert. Dafür galt es, die herabgekullerte Erde immer wieder nach oben zu transportieren. Arbeiten wurden mit dem Ochsengespann erledigt. Den Hof bewirtschafteten Bauer und Bäuerin mit einem Knecht oder einer Magd, bisweilen auch beiden. In arbeitsintensiven Zeiten halfen Kleinhäusler gegen Naturalien aus. Die Bewirtschaftung geschah auf Basis erneuerbarer Ressourcen: Was an Abfall zusammenkam, wurde verwertet. Pielachtaler Bauernleben nach 1950 A farmer’s life in Pielachtal after 1950 Diorama Wien, Atelier Wunderkammer Ab Mitte der 1960er wurde auf Grünlandwirtschaft mit Milchproduktion umgestellt. Die Erlöse brachten Geld auf den Hof, die Selbstversorgung war nicht mehr existenziell, und damit verlor die Bäuerin – bis dahin für die Haltbarmachung der selbst produzierten Lebensmittel und damit für das Überleben zuständig – ihre zentrale Rolle. Jene des Mannes wurde durch den Kontakt mit dem Markt wichtiger. Moderne Anbaumethoden setzten sich durch, Maschinen erleichterten die Arbeit. Wiesen und Weiden wurden auf die maschinelle Bearbeitung vorbereitet, die Hecken an den Rändern schwanden. Zusätzliche Helfer brauchte man kaum noch. Pielachtaler Bauernleben heute A farmer’s life in Pielachtal today Diorama Wien, Atelier Wunderkammer Die Landwirtschaft hat längst ihre Bedeutung eingebüßt. Während der eine auswärts arbeitet und nur noch im Nebenerwerb Bauer ist, weitet der andere seinen Betrieb aus: Der alte Stall ist einem großen, modernen Laufstall gewichen. Ackerbau wird kaum mehr betrieben. Anstelle der Felder dominieren Obstplantagen mit glutroten Früchten die Landschaft: Seit sich das Pielachtal zum Dirndltal ernannte, wird die Kornelkirsche wieder angebaut. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist heute der Tourismus, Stichwort „Urlaub am Bauernhof“. Und die alte verfallene Mühle? Die hat sich ein Städter zu einem Ferienhäuschen ausgebaut. Flickwerk Patchwork: tinkers and handymen Flicken war stets ein Ausdruck des sorgsamen Umganges mit materiellen Gütern. Zu wertvoll waren die Gegenstände des Alltags, als dass man Kaputtes einfach entsorgt hätte. Wenn die Bauern sich nicht zu helfen wussten oder nicht selbst Hand anlegen konnten, traten die Spezialisten auf den Plan: Flickschuster, Rastelbinder und Kesselflicker zogen mit ihrem Werkzeug von Hof zu Hof. Zwar hatten sie niederes Ansehen, und ihr Handwerk galt wenig. Doch sie beherrschten die hohe Kunst des Flickens perfekt. In Zeiten, da Hersteller die Lebensdauer ihrer Produkte absichtlich gering halten, haben Menschen heute genug von Geräten, die sich nicht reparieren lassen. Sie versammeln sich in Reparatur-Cafés, wie es sie mittlerweile in allen Großstädten gibt, und stellen dem vorprogrammierten Verschleiß ihre Kreativität im Flicken entgegen. Holz flicken Patching up wood Anders als Flickschuster, Rastelbinder oder Kesselflicker achteten Bauern üblicherweise kaum auf ästhetisches und materialgerechtes Reparieren. Sie flickten kaputte Gegenstände so, dass sie wieder brauchbar waren: Sie mussten einfach funktionieren! Geflickte Schaufel Mended shovel 19. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6005] Große Holzschale Large wooden bowl 19. Jh. Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein Mit zwei Metallplatten geflickte Schüssel Bowl patched up with two metal plates 19. Jh. Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein Holzlöffel Wooden spoon 19. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [4493] Die hohe Kunst des Flickens The high art of the tinker and handyman Viele der Rastelbinder, die in Niederösterreich am Werk waren, kamen aus dem Gebiet der heutigen Westslowakei. Da die Böden in dieser gebirgigen Gegend kaum etwas abwarfen, gingen die Männer auf Wanderschaft, um mit Flick- und Ausbesserungsarbeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Rastel- oder Drahtbinder zogen mit Draht, Werkzeug und selbst gefertigten Waren wie Mausefallen, Schneebesen oder Schöpfkellen auf dem Rücken durchs Land und boten ihre Dienste an. Mostkrüge etwa gaben die Bauern schon bei den ersten Anzeichen von Sprüngen in Reparatur. Neben dem rein Funktionalen – dass das Geschirr tatsächlich wieder „ganz“ wurde – beeindruckt heute die handwerkliche Schönheit der Flickarbeiten. Kanne und Tasse, mit Draht geflickt Pot and cup, mended with wire 19./20. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6010] Krug, mit Draht geflickt Jug, mended with wire 19./20. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6003] Schneerute aus Draht Wire snow rod 19. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6011] Rechteckiger Untersetzer aus Draht Wire table mat 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Bügeleisenrost aus Draht Flat iron rest made of wire 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Krug mit Henkel, mit Draht geflickt Jug with handle, mended with wire 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Kanne, mit Draht geflickt Pot, mended with wire 19. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich Schmalztopf, mit Draht geflickt Lard pot, mended with wire 19. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich Von der Tugend der tüchtigen Hausfrau The virtues of the efficient housewife Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein galt das Flicken von Kleidern als Tugend der tüchtigen Hausfrau. Das Defekte wurde nicht abschätzig, sondern als Herausforderung angesehen: Die Hausfrau hatte damit eine Möglichkeit, ihre Kunstfertigkeit zu beweisen. Bereits in der Schule lernten Mädchen anhand von Musterflecken, wie sie richtig und vor allem auch schön flickten. Solche Musterflecke sollen gar vor der Hochzeit hergezeigt worden sein, damit sich der angehende Bräutigam ein Bild davon machen konnte, wie genau seine Zukünftige die Sachen ausbesserte. Kleidung für die alltägliche Arbeit wurde – wie viele andere Gegenstände auch – so lange geflickt, bis sie völlig verbraucht war. Geflicktes Hemd Mended shirt 19./20. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6000] Geflickte blaue Schlosserhose Mended blue worker’s trousers um 1960 Mühling, Trachtenverein Wieselburg – Großmutters Stübchen Geflickte weiße Hose Mended white trousers Mühling, Trachtenverein Wieselburg – Großmutters Stübchen Musterflecken Sample patches nach 1900 Mühling, Trachtenverein Wieselburg – Großmutters Stübchen Do it yourself – eine alte Methode Do it yourself – an old method So wie die bäuerliche Arbeit lange auf Selbstversorgung abzielte, nahm sich der Bauer auch seiner Gerätschaften selbst an. Viele Bauern verfügten über das handwerkliche Geschick, technische Probleme zu lösen und Geräte zu flicken oder selbst herzustellen. Was ihnen dabei zugute kam: Vorwiegend bestand das bäuerliche Handwerksgerät aus Holz – das kannte der Bauer gut und konnte es daher selbst bearbeiten. Meist waren dies keine technischen Großtaten, sondern einfache Stücke, die ohne große Beachtung – auch seitens volkskundlicher Museen – blieben. Der bäuerliche Handwerker stand ganz im Gegensatz zum „richtigen“ Handwerker, der seine Produkte auf Basis erlernter Techniken und Fertigkeiten herstellte. Anders der Bauer: Seine Arbeitsmethode war vor allem das Improvisieren. Er nutzte die natürlichen Gegebenheiten und das Material, das er zur Verfügung hatte. So entstanden bisweilen ganz erstaunliche Geräte. Das schloss aber nicht aus, dass sich Bauern so manchen Handgriff bei Handwerkern abschauten, um sich dann durch viel Übung zu verbessern. Dengelbock aus einem Wurzelstock Scythe-sharpening trestle made of a rootstock 19./20. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [2483] Umgeschmiedete Armbrustwinde zum Spannen von Weidezäunen Crossbow winch adapted for putting up willow fences 17. Jh., Umnutzung wohl im 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Schuhe Shoes 19. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6009] Drehbank Lathe 19. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6001] Apfelpflücker Apple picker 19. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6012] Löffel Spoon 19. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [2743] Säge mit Geweihgriff Saw with antler handle 19. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [2580] Kratzer Grater 19. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6002] Franz Maresch (1904 –1983) Eigentlich war er ja ein Kind der Stadt … und Techniker durch und durch: Franz Maresch wuchs in Wien auf, besuchte dort das TGM und arbeitete zunächst an der Lehrkanzel für Elektropathologie der Universität Wien. In der Folge widmete er sich ganz dem Unfall- und Arbeitsschutz. In den 1930ern und 1940ern in Berlin und München tätig, baute er nach dem Krieg den Unfallverhütungsdienst der Arbeiter-Versicherungsanstalt mit auf, ab 1948 als dessen Leiter. „Nebenbei“ erlag Franz Maresch der Faszination der bäuerlichen Lebenswelt. Ab den 1950ern, da er mit seiner Familie viel Zeit in der Loich verbrachte, entstand durch „Sammeln und Sichten“ – so der Titel einer ihm gewidmeten Festschrift – eine bedeutende Sammlung einfacher Alltagsgeräte. Ganz wider den Trend, nur schön verzierte volkskundliche Objekte zusammenzutragen, interessierte sich Maresch für die rein dem praktischen Gebrauch dienenden Dinge der Bauern. Mareschs Publikationen dazu sind noch heute bemerkenswert. Seine Sammlung der „Technik der Namenlosen“ ist im Museum in der Loich anzusehen. Porträt von Franz Maresch Portrait of Franz Maresch Fotografie (R), 20. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich Inventarkarten des Karteikastens „Museumsobjekte“ des Museums Loich Inventory cards from the index box “Museum Objects” of the Loich museum Auswahl an Karteikarten (R), angelegt von Franz Maresch (1904–1983), 20. Jh. Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich Alles verwertet – kein Abfall Rendered – recycled – re-used Alles an Gütern war knapp – nur die Zeit nicht. Was man zum Leben brauchte, wurde selbst hergestellt. Und was vorhanden war, galt es zu nutzen. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein war das Leben der Bauern im Pielachtal auf das „Selbstversorgerprinzip“ hin ausgerichtet. Nur das Wenige, das überblieb, und Nebenprodukte fanden den Weg auf den Markt oder wurden getauscht. Und was gar nicht zu gebrauchen war, wurde zu Dünger verarbeitet und kam aufs Feld. Lange bevor es den Begriff „Nachhaltigkeit“ überhaupt gab, nutzten die Landwirte den Kreislauf der Natur. Wollten der Bauer und seine Familie in der traditionellen Landwirtschaft überleben, musste man sich nach den Gesetzmäßigkeiten der Natur richten. Bis auf den letzten Rest wurde alles verwertet – „Abfall“ im heutigen Sinn konnte so gar nicht entstehen. Wie diese vollständige Verwertung passierte, lässt sich am Schwein anschaulich darstellen: Nahezu jeder Bauernhof im Pielachtal hatte eines – nicht zuletzt, weil es die Essensreste, die anfielen, wieder in Essbares verwandelte. Und so ein Schwein gab viel mehr her als Schnitzel, Grammelschmalz und Speck! Sauschädel Pig’s head Privatbesitz Im Pielachtal muss der Bauer nach dem Schlachten eines Schweins gehörig aufpassen: Denn so wie anderswo in Niederösterreich ist es auch hier Brauch, dass junge Burschen versuchen, den Bauern auszutricksen und den Saukopf zu stehlen. Gelingt ihnen das, ist es für den Bauern natürlich eine Schmach – und kommt ihn außerdem teuer zu stehen: Denn die „Diebe“ laden den Bauern, seine Familie, die Nachbarn und Freunde zu einem späteren Zeitpunkt zum Saukopfessen ein. Bezahlen muss – erraten! – der Bestohlene. Einladung zum Sauschädelessen Invitation to a pig’s head feast St. Pölten, Bernhard Gamsjäger Das Sauschädelstehlen ist längst nicht mehr reine Männersache. Ingrid Fahrngruber etwa gelang es, vom Nachbarhof Hainbach einen Sauschädel zu entwenden. Dem weit verbreiteten Brauch folgend lud sie 1991 zum Essen in ihr Elternhaus. Gedicht zum Sauschädelessen Poem about a pig’s head meal St. Pölten, Bernhard Gamsjäger Blunzen Black pudding Für die hierzulande „Blunzen“ genannte Blutwurst wird das frische Blut beim Schlachten des Schweins aufgefangen und dann gerührt, damit es nicht stockt. Mit Schweinefleisch, Speck und – je nach Variante – Innereien, gekochten Schweineschwarten, Gewürzen oder Weißbrot wird das Blut dann zur Blunzen weiterverarbeitet. Sulz Brawn Die Ohren, der Rüssel und das Schwänzchen des Schweins werden ausgekocht und zu Sulz verarbeitet. Sauboandln Auditory ossicles of a pig Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum Nadlingerhof Als Sau-, Froas- oder Irrboandln bezeichnete man die Gehörknöchelchen des Schweins. Sie sollten Kinder vor Krämpfen bewahren und – ins Gewand eingenäht – vor dem Verirren schützen. Auch beim Kartenspiel würden sie, so hieß es, Glück bringen. Sauglocke Scraper for pig’s bristles Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum Nadlingerhof Mit der Sauglocke wurden dem Schwein die Klauen gezogen. Im Pielachtal hatte man dafür keine Verwendung. Man warf sie weg oder gab sie den Kindern zum Spielen. Zwei Bündel Sauborsten Two bundles of pig’s bristles Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum Nadlingerhof Pinselchen aus Sauborsten Brush made of pig’s bristles Sauborsten fanden vielfältige Verwendung, vorzugsweise als Pinsel. Noch bis in die 1970er-Jahre brachten die Pielachtaler Bauern ihre Schweinsborsten zur „Knecz Marie“. Nach dem Kämmen, Richten und Bleichen verarbeitete Maria Fahrngruber (1893–1983) sie zu Pinseln. Dafür wurden sie in Bündeln am Borsten- und Pinselkörper befestigt. Sauglocke Scraper for pig’s bristles Sierning, Theresia Pfaffenwimmer Nachdem der Bauer das Schwein grob enthaart hatte, wurde mit der Sauglocke der Rest der Borsten entfernt. Diese Sauborsten hatten wenig Wert. Man verwendete sie zum Binden des Lehms beim Ausschmieren des Backofens oder beim Verputzen der Decken. Sauboana Pork bones Die Schweinsknochen verkochte die Bäuerin zuerst zu Suppe und gab sie dann den Hühnern. In manchen Gegenden verarbeitete man sie zu Knochenmehl. Knochenmehl Bonemeal Privatbesitz Um Knochenmehl herzustellen, mussten die Knochen gereinigt und dann zwei Jahre getrocknet werden, ehe man sie in der Knochenstampfe zerkleinerte – was aus dem Pielchatal indes nicht bekannt ist. Knochenmehl wurde als organischer Pflanzendünger und bei der Tierfütterung eingesetzt. Leimtopf mit Knochenleim Pot with bone glue Wien, Restaurator Stefan Kainz – 1150 Wien Knochenleim wird nach wie vor in der Holzverarbeitung, insbesondere im Instrumentenbau, verwendet: Er trocknet glashart, hält fest, lässt sich aber jederzeit lösen. Sauhaxen Pork knuckle Die Stelze oder Haxe wird bis heute gekocht, gesurt, gebraten … vor allem aber gegessen! Tabakbeutel aus der getrockneten Schweinsblase Tobacco pouch made of a dried pig’s bladder Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum Nadlingerhof Richtig präpariert, ist die Schweinsblase wasserdicht. Sie wurde für verschiedenste Sachen verwendet. Kinder bliesen sie auf und spielten damit Ball. Schultasche aus Schweinsleder Pigskin school bag Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. Schweinsleder ist nicht von hoher Qualität. Dennoch ließen sich daraus einfache Schuhe für den Bauern fertigen. Wiegemesser Chopper Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein Wurstpresse und Fleischwolf Sausage press and meat grinder Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein Bratwürstl Frying sausage Die Därme des Schweins eignen sich für die Herstellung von Würsten. Für Bratwürstl mischte der Bauer Muskelfleisch, Fettgewebe, Innereien und Sülze unter Zuhilfename eines Wiegemessers mit Kochsalz, Pfeffer und Gewürzen zusammen. Mit dem Fleischwolf wurde die Masse faschiert und mit der Wustpresse das Wurstbrat dann in die Därme gepresst. Danach kamen die Würste in die Selch oder wurden getrocknet. Bratl Roast pork Der Schweinsbraten wird mit oder ohne Knochen im Ofen gebraten. Früher wurden alle, die beim Schlachten geholfen hatten, nach getaner Arbeit zum Bratl-Essen eingeladen. Schnitzelfleisch Cutlet Das Fleisch vor allem der hinteren Teile bietet sich als Schnitzelfleisch an. Alles, was man früher nicht frisch verwendete, wurde eingesurt. Surfleisch Salt meat Um das Fleisch für den langen Winter haltbar zu machen, wurde es kräftig eingesalzen – man nennt das „Pökeln“ oder „Suren“. Im Surkübel hält sich Surfleisch, das durch die Behandlung eine rote Färbung bekommt, lange. Speck Bacon Ob Rückenspeck, Bauchspeck oder mit Muskelfleisch durchwachsener Speck: Durch Räuchern wird er haltbar gemacht. Schmalz Lard Um Schmalz herzustellen, wird Schweinefett „ausgelassen“, sprich: bei mäßiger Temperatur ausgebraten. Grammelschmalz Lard with cracklings Grammelschmalz ist nichts anderes als Schmalz, das noch Reste der ausgebratenen Speckteile enthält. Mit der Grammelpresse wird aus den entstandenen Grammeln das letzte Fett ausgepresst, um sie zu trocknen. Grammelpresse Machine for making greaves Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein Surkübel Pickling tub Sierning, Theresia Pfaffenwimmer Erdäpfeldämpfer Potato boiler Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum Nadlingerhof Schlachtgalgen Butcher’s hanger Sierning, Theresia Pfaffenwimmer Trog Trough Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein Ketten eines Sautroges Chains of a pig trough Sierning, Theresia Pfaffenwimmer Im Erdäpfeldämpfer erhitzt man Wasser, um den Trog mit kochendem Wasser „einzudechteln“, was so viel heißt wie: dicht zu machen. Nach dem Ausbluten wird das Schwein ins heiße Wasser in den Sautrog gelegt – das ausgestellte Stück steht nach wie vor in Verwendung und wird auch wieder seinem eigentlichen Zweck zugeführt. Die Sau wird mit „Saupech“ (Harz) eingerieben, um sie besser enthaaren zu können. Letzteres geschieht durch Hin- und Herziehen einer speziellen Kette, der Rest wird mit der Sauglocke oder mit dem Suppenlöffel entfernt. Saufänger Pig halter Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum Nadlingerhof Um das Schwein schlachten zu können, muss es zunächst mit dem „Rüsselstrick“ oder „Saufänger“ dingfest gemacht werden. Zwei Sauhaken Two butcher’s hooks Sierning, Theresia Pfaffenwimmer Mittels der beiden Sauhaken wird das Schwein auf die Saurehm aufgezogen. Axt und Hammer Axe and hammer Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein Schlachtbeil Meat axe Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum Nadlingerhof Für das Zerteilen des Schweins ist ein eigenes hölzernes Gerüst vorgesehen, die „Saurehm“. Das darauf hängende Tier wird mit der Axt oder dem Schlachtbeil in zwei Hälften geteilt. Das Spalten oder „Heraushauen“ des Rückgrats erfordert viel Übung und Kraft. Drei Schlachtmesser Three butcher’s knives mit Wetzstahl und Tragegurt Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum Nadlingerhof Saufutterbutte Pigfood tub Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum Nadlingerhof Ob pflanzliche oder tierische Nahrung, Schweine fressen alles: Kartoffeln, Gemüse aller Art, Weizenabfälle. Um Protein zuzuführen, bekommen sie zudem Molke oder teilentrahmte Milch. Als die Bauern noch Selbstversorger waren, hatte der Schweinekübel, die „Saufutterbutte“, in der Küche einen zentralen Platz. Hier wanderten alle Nahrungsabfälle hinein, wurden mit dem Stößel grob zerkleinert, und dann musste das Schwein sie nur noch fressen … auf dass es schön fett wurde! Erdäpfel-Stößel Potato pestle Neustadtl an der Donau, Freudenberger Johann / Erlebnismuseum Nadlingerhof Getrocknet, gelagert und eingerext Dried, stored, preserved „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“: Seit Menschen in unseren Klimazonen lebten, hieß es, sich in Zeiten des Überflusses für jene des Mangels vorzubereiten. Die meisten traditionellen Lagermethoden werden seit prähistorischer Zeit angewandt. Wie überall musste man auch im Pielachtal gut über den Winter kommen. Die Früchte von Garten und Feld zu konservieren war eine der wichtigsten Aufgaben der Frauen. Kartoffeln, Äpfel, Rüben, Sauerkraut und Most wurden eingekellert. Auf dem gut durchlüfteten Dachboden lagerten Getreide, getrocknete Hülsenfrüchte und Dörrobst, aber auch Geselchtes. Zentraler Ort war die kühle „Speis“ nahe der Küche: Griffbereit wartete dort „Eingerextes“ darauf, die Familie zu ernähren. Bis in die Moderne, da Kühl- und Gefrierschrank den Alltag erleichterten, stellte die Vorsorge eine logistische Herausforderung dar. Nicht nur, dass im Winter ausreichend Nahrung vorhanden sein musste: Die Vorräte galt es auch so einzuteilen, dass sie aufgebraucht waren, wenn man wieder frisches Obst und Gemüse ernten konnte. Gute Managementfähigkeiten zeichneten die tüchtige Hausfrau aus! Vorratsgläser Storage jars 224 Stück, 2014 Kollmitzberg, Veronika Sabitzer Brotleiter Bread rack 19. Jh. Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [41] Krauthobel mit Messern aus alten Sensenblättern Vegetable chopper with knives from old scythe blades um 1880 Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [37] Fliegenpracker Fly swatter um 1950 Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [1533] Zwei Tontöpfe „Müchhefen“ Two milk mugs of clay 1900 Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [301, 635] Zwei Tontöpferln Two clay pots um 1920 Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [318/1, 571] „Plutzer“ für Most oder Wasser Stoneware bottle for cider or water um 1930 Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [324] Zwei Tonflaschen für Schnaps, Öl oder Most Two clay bottles for schnaps, oil or cider um 1890 Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [227, 454] Tontopf Clay pot um 1930 Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [54] Mausefalle zum Ertränken der Maus Mouse-drowning trap 20. Jh. Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum Nadlingerhof Wenn es um den Kampf gegen unliebsame Speisekammerräuber geht, ist der Mensch besonders erfindungsreich. Das zeigt sich etwa an dieser Mausefalle, Marke Eigenbau, mit der sich bis zu zehn der kleinen Nager fangen ließen. Der Erfinder bewies Einfallsreichtum: Die Wippe am Fallenboden lässt die Falle zuschnappen, der Maus bleibt nur mehr der Weg nach oben. Dort angelangt, fällt sie durch ein Falltürchen in die wassergefüllte „Fangdose“ und ertrinkt … Kornelkirsche alias Dirndl Cornelian cherry alias Dirndl (“lasses”) Die Dirndln – zu Hochdeutsch „Kornelkirschen“ – sind in Südeuropa sowie Teilen Mitteleuropas weit verbreitet. Man trifft die zur Gattung der Hartriegel gehörenden großen Sträucher oder Bäume in warmen Lagen an sonnigen, oft steinigen Hängen sowie an Weg- und Waldrändern an. Freunde der glänzend roten kleinen Frucht brauchen nicht lange zu suchen: Seit nämlich das Pielachtal 2003 im Rahmen eines Regionalentwicklungsprogrammes auf die ebenso weit verbreitete wie kaum beachtete Frucht kam, hat die Zahl der Dirndlstauden dort deutlich zugenommen. Die Dirndln regieren als „Markenobst“ die Region. Seither werden im „Dirndltal“ Marmeladen, Saft, Wein, Edelbrände, Schokolade, Joghurt, Eis oder – in würziger Variante – „Pielachtaler Oliven“ und Ziegenkäserollen aus der süßsauren und Vitamin-C-reichen Frucht gewonnen … und natürlich entsprechend vermarktet. Alle zwei Jahre küren die Pielachtaler beim Dirndlkirtag ihre Dirndlkönigin, die das „Tal der Dirndln“ als charmante Botschafterin nach außen vertritt. Ein Feuerwerk an Farben und Aromen A wealth of colours and flavours Für die Niederösterreichische Landesausstellung 2015 machen Michael Machatschek, Forscher, Landschaftsund Freiraumplaner sowie Vegetationskundler, und Elisabeth Mauthner die große Vielfalt der Speisekammer Natur sichtbar: Im Sommer und Herbst 2014 haben sie im östlichen Alpenraum Hunderte von wild wachsenden Pflanzen gesammelt und mit einer Vielzahl verschiedener Methoden konserviert. Sie griffen Wissen um die Nutzung sammelbarer Naturpflanzen auf, das so alt ist wie die Menschheit selbst. Darauf, dass sich Lebensmittel mit Essig, Salz, Zucker, Honig, Wein oder Alkohol auf natürliche Weise in Gläsern haltbar machen lassen, stieß Machatschek ab den 1980ern bei Wanderungen in verschiedenen Landstrichen Europas. Je nach Region werden Blätter, Sprossen, Knospen oder Blüten in Marinaden eingelegt, Pflanzen zum Würzen und für Tee getrocknet, Wurzel-, Wildgemüse und Chutneys zubereitet, Pilz- und Flechtenprodukte konserviert, Marmeladen eingekocht, Früchte gedörrt, Sirupe, Obstweine, Essige und Tinkturen gewonnen. In jahrelanger Arbeit erprobte sich Machatschek in Veredelungs- und Haltbarmachtechniken und entdeckte dabei gleichermaßen unbekannte wie schmackhafte Speisen. Ein Feuerwerk an Farben und Aromen! Wilhelm Albert Schleicher (1826 –1900) Fotografie (R) Scheibbs, Slg. HHH Wilhelm A. Schleicher, Sohn einer wohlhabenden St. Pöltner Kaufmannsfamilie, absolvierte zunächst eine kaufmännische Ausbildung, ehe er Agrarwirtschaft, Tierheilkunde, Botanik und Faunistik studierte. Nach Übersiedlung nach Gresten betrieb er intensive Naturstudien, insbesondere auf seinen zahlreichen Gebirgswanderungen, Ausflügen und Reisen, über die er auch Tagebuch führte. Schleichers größte Verdienste liegen in seinem Engagement für den Obstbau im Mostviertel und die Vielfalt heimischer Apfel- und Birnensorten. Es sollte ihm vielfach Würdigung und zahlreiche Auszeichnungen einbringen. Zunächst gründete Schleicher eine große Baumschule, in der er reine, alte Sorten züchtete, 1874 ließ er sich ein Landhaus bauen, um seine Versuche im Rahmen einer Musterlandwirtschaft voranzutreiben. Schleicher hielt Kurse für seine bäuerlichen Kollegen ab, publizierte über den Schutz der Vögel und die Schonung der für die Landwirtschaft nützlichen Tiere und gründete die erste Feuerversicherung sowie die erste Raiffeisenkassa der Region. Verzeichnis der auf dem Weierhof kultivierten Obstsorten Register of fruits cultivated on the Weierhof farm Wilhelm Schleicher (1826–1900), 1895 Scheibbs, Slg. HHH Von 1880 an baute der Agronom Wilhelm Schleicher den Weierhof bei Gresten zu einem landwirtschaftlichen Versuchsbetrieb aus. Schleicher, dessen Liebe dem Obstbau galt, versuchte sich in der Veredelung von Apfel- und Birnensorten, wovon dieses „Zehnseitige Sortimentsverzeichnis der an der Versuchs-Anstalt für Obstbau zu Weierhof bei Gresten […] cultivierten Obstsorten“ zeugt. Aufzeichnungen zu den am Weierhof gezüchteten Birnensorten Notes on the pear varieties grown on the Weierhof Manuskript (R), Wilhelm Schleicher, nach 1880 Scheibbs, Slg. HHH Durch Züchtung ausgezeichneter und vielfältiger Mostbirnensorten bemühte sich Wilhelm Schleicher um die Verbesserung des typischen Hausgetränkes der Mostviertler. Im Manuskript „Beschreibung der am Weierhof verschiedenen gepflanzten Mostbäume“ hielt er die Zuchtergebnisse seiner Baumschule 1880 bis 1890 fest. 97 Birnensorten sind jeweils mit Zeichnung und ausführlichen Angaben zu Wuchs, Ertrag und Geschmack beschrieben. Schleicher hielt stets Kontakt zu anderen Züchtern und tauschte mit ihnen Reisig zum Veredeln seiner Bäume aus. Medaillen von diversen Landwirtschaftsausstellungen Medals from diverse agricultural fairs Ende 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Ob Niederösterreichische Landes-Obstausstellung oder Allgemeine Land- und Forstwirtschaftliche Ausstellungen: In zahlreichen Gold-, Silber- und Bronzemedaillen, die Wilhelm Schleicher bei einschlägigen Ausstellungen errang – hier eine kleine Auswahl –, fanden seine Bemühungen um die Verbesserung des Obstes sichtbare Anerkennung. Urkunde zum Goldenen Verdienstkreuz für Wilhelm Schleicher Certificate of the Golden Cross of Honour for Wilhelm Schleicher verliehen von Kaiser Franz Joseph I., 1880 Scheibbs, Slg. HHH Der Rosenhof. Erzählung aus dem österreichischen Gebirge The Rosenhof. A Story of the Austrian Mountains Wilhelm Schleicher, 1. Auflage, Wien 1868 Scheibbs, Slg. HHH Ursprünglich sollte „Der Rosenhof“ als Kurzgeschichte in jenem Kalender erscheinen, den Schleicher redigierte. Doch die Themen schienen ihm so lohnend, dass er einen Roman daraus machte, der 1868 im „Selbstverlage des Verfassers“ erschien. Darin behandelte Schleicher aktuelle Probleme der Landwirtschaft und entwarf das Bild eines Musterhofes von solider Wirtschaftlichkeit. Vieles, wovon Schleicher schrieb, beruhte auf eigenen Erfahrungen. KAPITEL 02 WALDREICH REALM OF WOODS Der Rothwald Rothwald forest Fotografien (R), Lothar Machura (1909–1982), um 1960 St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [MF2001, MF2005, MF2008] Mit seiner fotografischen Dokumentation trug Lothar Machura, Kustos des Landesmuseums Niederösterreich und Sachbearbeiter für Naturschutz, dazu bei, dass der Rothwald zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Das heutige Wildnisgebiet am Dürrenstein, insbesondere aber der Rothwald, gehört zu wenigen Wäldern in Europa, die seit dem Ende der Eiszeit vor rund . ahren nie bewirtschaftet wurden. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Gegend schwer zugänglich ist. Um erwarb Albert Baron Rothschild mit großen Waldflächen aus dem früheren Besitz des Klosters Gaming auch den Rothwald. Er beschloss, ihn dauerhaft als Urwald zu erhalten. Blick in das Wildnisgebiet am Dürrenstein Impressions of the Dürrenstein wilderness area © Franz Hafner Der Begriff „Wildnis“ ist eng mit der Entwicklung der Moderne verknüpft. Ende des . ahrhunderts stellte man der „verdorbenen Zivilisation“ als Ideal die naturästhetisch verklärte „ursprüngliche Wildnis“ gegenüber. Mit fortschreitender Industrialisierung kam Ende des . ahrhundert die Idee auf, Flächen zu kaufen und nicht zu nutzen, sondern der Natur zu überlassen. Erste Schutzgebiete wurden eingerichtet. Alpenweit eines der frühesten Beispiele für Naturschutz und das größte echte Wildnisgebiet begründete Albert Rothschild mit seiner Entscheidung, den Rothwald im Urzustand zu belassen. Er ist heute das Herz des , uadratkilometer großen „Wildnisgebietes Dürrenstein“, das seit als solches anerkannt ist. Es darf nur sehr eingeschränkt von Menschen betreten werden. Lilienfelder Xylothek Lilienfeld xylotheque 20 Bände, Candid Huber (1747–1813), Ende 18. Jh. Lilienfeld, Zisterzienserstift Lilienfeld , , , , , , , , , , , , , , , , , , , Das Kloster Lilienfeld verfügt über Bände einer ylothek des bayrischen Benediktinermönchs Candid Huber. In solchen „Holzbibliotheken“, wie sie seit dem . ahrhundert in mehreren Bibliotheken vorhanden sind, präsentiert sich die Natur als aufgeschlagenes Buch. eder Band dokumentiert eine Baumart: vom Holz, aus dem der Buchdeckel gearbeitet ist, über die Rinde, die den Buchrücken bildet, bis hin zu Zweigen, Blättern, Früchten und Samen, die sich im Inneren finden. Bisweilen entdeckt der „Leser“ sogar das Harz des Baumes oder gewisse Insekten. Lateinische Bezeichnung auf dem Buchrücken / Aktuelle Artbezeichnung Latin name on the spine Modern name of the type of wood 1 Clematis Vitalba / Gewöhnliche Waldrebe Old man s beard, traveller s joy 2 Vaccinium uliginosum / Moor-Rauschbeere Bog bilberry, northern bilberry 3 Hedera Helix / Efeu Common ivy 4 Sambucus Ebulus / Attich Dwarf elder, dane weed 5 Sambucus nigra / Schwarz-Holunder Elderberry, black elder 6 Ligustrum vulgare / Gewöhnlicher Liguster Wild privet, common privet 7 Staphylaea pinnata / Pimpernuss European bladdernut 8 Rhamnus cathartica / Gewöhnlicher Kreuzdorn Buckthorn, common buckthorn 9 Rhamnus Frangula / Faulbaum Alder buckthorn 10 Berberis vulgaris / Berberitze European barberry 11 Cornus sanguinea / Roter Hartriegel Common dogwood 12 Sorbus torminalis / Elsbeerbaum Wild service tree 13 Prunus domestica / Zwetschke Plum 14 Prunus avium / Vogelkirsche Wild cherry, bird cherry 15 Pyrus Malus / Malus sylvestris, Holzapfel European crab apple 16 Taxus baccata / Eibe English yew, European yew 17 Tilia parvifolia / Tilia cordata, Winterlinde Small-leaved lime, small-leaved Linden 18 Ulmus suberosa / Ulmus minor, Feldulme Field elm 19 Pinus Sylvestris / Rotföhre Scots pine 20 Pinus Larix / Larix decidua, Europäische Lärche European larch Kloster Lilienfeld Lilienfeld Abbey Kupferstich, Emanuel Mair (1678–1766), 18. Jh. St. Pölten, NÖ Landesbibliothek Als das Zisterzienserkloster Lilienfeld gegründet wurde, war das Traisental kaum besiedelt. Die Mönche sollten unter anderem das Waldgebiet erschließen. In späteren ahrhunderten, als die Nutzung fortschritt, kam man immer wieder mit dem Kloster Gaming und anderen Grundherren in Konflikt. Im . ahrhundert stieg in Wien der Bedarf nach Holz. Für die Schlägerung holte man Holzknechte aus dem Salzkammergut – Geheimprotestanten, wie dem Kloster lange verborgen blieb. durch oseph II. aufgehoben, wurde das Kloster ein ahr später wiedererrichtet. Von seinen bten sei ohann Ladislaus Pyrker hervorgehoben. Er war maßgeblich für die Erschließung des Lassingfalls nach verantwortlich. Skizze des Holzschlags Josefsberg / Teufelsriegel Sketch of the lumbering area on osefsberg Teufelsriegel 18. Jh. Lilienfeld, Stiftsarchiv Lilienfeld, Alte Registratur Kt. , Grenzbeschreibung (Markung) zwischen Lilienfeld und Gaming – MI Rund um das Plänklbächl zwischen Gösing und Erlaufboden herrschte ein Grenzstreit zwischen dem Kloster Lilienfeld, der Kartause Gaming und der Herrschaft Weißenburg. Die Skizze dokumentiert unter anderem einen „angemasten Holzschlag“ und den Holzschlag am „Kolla Kogel“, die zum Kloster Lilienfeld gehören – anders als der „Closter Gamming alte Holzschlag“. „Aussagung der Alten“ zum Plänklbächl “Statements of the Old” on the Plänklbächl brook um 1721 Lilienfeld, Stiftsarchiv Lilienfeld, Alte Registratur Kt. , Grenzbeschreibung (Markung) zwischen Lilienfeld und Gaming – MI Um sich im Grenzstreit um das Plänklbächl und den Teufelsriegel ein Bild von der bisherigen Nutzungspra is zu machen, wurden die „Alten“ rund um den Ötscher befragt: Es waren dies - bis -jährige äger und Fischer, die teils in Diensten einer der verschiedenen Streitparteien standen. Sie bezeugten, wie weit sich ihr agdgebiet bis dahin erstreckt hatte. wurde der Grenzstreit zwischen dem Kloster Lilienfeld, dem Kartäuserkloster Gaming und der Herrschaft Weißenburg mit einem Vergleich beigelegt. Markungsinstrument mit Wappensiegeln von Lilienfeld und Gaming Document on district boundaries, with heraldic seals of Lilienfeld and Gaming 1722 Lilienfeld, Stiftsarchiv Lilienfeld, Alte Registratur Kt. , Grenzbeschreibung (Markung) zwischen Lilienfeld und Gaming – MI In diesem Dokument kommt man auf den Grenzstreit zwischen den Klöstern Lilienfeld und Gaming zurück. Unterzeichnet und gesiegelt wurde es von Chrysostomus Wieser, Lilienfelder Abt von bis , und oseph Kristelli von Bachau, Prälat von Gaming bis . Mit einem Einschnitt durch das gesamte Dokument wurde sein Inhalt indes ungültig gemacht. Karte des Kögelberges Map of Kögelberg 18. Jh. Lilienfeld, Stiftsarchiv Lilienfeld, Alte Registratur Kt. , Grenzbeschreibung (Markung) aller stiftsherrschaftlichen Waldungen im Gebiet der Gemeinde Annaberg Karten – M II Die „Mappa des Kögelberges“ zeigt die herrschaftlichen Waldungen des Klosters Lilienfeld und die angrenzenden Gebiete am Kögelberg nördlich von Annaberg. Eingezeichnet sind jene Bereiche, für die fünf Gemeindebauern das Holzrecht beanspruchen (VII) bzw. wo ein gewisser „Solnreiter und Waldbauer“ (VIII) auf das Stockrecht Anspruch erheben. Die meisten der ausgewiesenen Flurnamen sind bis heute gebräuchlich. Aufriss und Grundriss des Gebietes am Kögelberg Vertical and horizontal sections of the Kögelberg area Lorenz Siegl, k.k. Markscheider, 1776 Lilienfeld, Stiftsarchiv Lilienfeld, Alte Registratur Kt. , Grenzbeschreibung (Markung) aller stiftsherrschaftlichen Waldungen im Gebiet der Gemeinde Annaberg Karten – M II Dieser „Prospect nach der Laage des Gebürges“ dokumentiert die Festsetzung der Grenzen zwischen dem Kloster Lilienfeld und der Herrschaft Weißenburg im Gebiet am Kögelberg nördlich von Annaberg. Eingezeichnet sind die „Poststraße nach St. Annaberg“ und ein Wasserfall als „abfallendes Wasser“. Kartause Gaming Gaming Charterhouse Kupferstich (R), 1725 St. Pölten, NÖ Landesbibliothek Als Herzog Friedrich der Schöne in bayerische Gefangenschaft geriet, gelobten seine Brüder Albrecht II. und Leopold, im Falle seiner Freilassung ein Kloster zu gründen. 1332 wurde der Grundstein gelegt, 1342 der Bau vollendet und von Kartäusern besiedelt. Der Klosterbesitz erstreckte sich von Ruprechtshofen an der Melk bis an den Ötscher. Da die Besitzgrenzen im dichten Wald oft unklar waren, gab es immer wieder Auseinandersetzungen mit den Stiften Lilienfeld und Admond. Eines der Gebiete im Grenzbereich, das von keinem Kloster genutzt wurde, war das unzugängliche Gebiet am Dürrenstein – das heutige Wildnisgebiet Dürrenstein. durch oseph II. aufgehoben, wird das Kloster heute anderweitig genutzt. Brandwirtschaft Swidden farming Im Gebiet um den Ötscher wurde bis ins . ahrhundert – in Nestelberg sogar noch um – eine archaische Form der Bodennutzung betrieben: die Brandwirtschaft. Dabei brannte man wild gewachsene Vegetation ab, um die Fläche zwei ahre hindurch zu bebauen und dann zwölf bis ahre lang wieder der Natur zu überlassen. Beim „Raub-“ oder – wie es in der lokalen Mundart heißt – „Schlagbrennen“ legte man, wie Moritz A. Becker beschrieb, Laub und Reisig „reihenweise auf den Boden“. An windstillen Tagen wurde es an höchster Stelle entzündet und das Feuer mit dem „Brandhagl“ nach unten gezogen. In das „mit Asche gedüngte Erdreich wird Roggenkorn, zuweilen auch Rübe gesetzt und mit der Haue in den Boden gefördert“, so Becker. „Das schönste, lauterste Korn – man nennt es vorzugsweise ,Brandkorn – so wie schwere, saftige Rüben“ waren der Lohn. Das Getreide wurde mit Brandsicheln geerntet und auf Troadspießen nach Hause zum Dreschen gebracht. Brandhaue Hoe for swidden farming Trübenbach, Holzknechtmuseum Trübenbach Brandsichel Sickle for swidden farming Trübenbach, Holzknechtmuseum Trübenbach Die Feuerwalze wird heruntergezogen The fire is “pulled” downhill Fotografie (R) Scheibbs, Slg. HHH Brandkorn wird mit der Brandsichel geschnitten Grain grown on scorched soil is cut with a sickle Fotografie (R) Scheibbs, Slg. HHH Troadspieß für die Brandwirtschaft Grain pike 20. Jh. Trübenbach, Holzknechtmuseum Trübenbach Brandkorn wird mit dem Troadspieß heimgetragen Grain grown on scorched soil is carried home with a grain pike Fotografie (R), 20. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Beerenkamm Comb berry picker 19./20. Jh. Loich, Heimatverein Heimatmuseum Loich Bis ins . ahrhundert waren die Bauern Selbstversorger: Was man zum Leben brauchte, wurde selbst produziert. Oder – so wie etwa Beeren – im Wald gesammelt. Ob frisch oder zu Marmelade und Saft eingekocht: Beeren ergänzten den Speiseplan. Das Sammeln war meist Aufgabe der Kinder. Zum Heidelbeersammeln zogen sie mit einem Beerenkamm los, der vielerorts ab Mitte des . ahrhunderts jedoch verboten wurde, weil er die jungen Bäume schädigt – eine von mehreren Maßnahmen, die forstwirtschaftliche Anforderungen vor das Recht des Bauern auf Waldnutzung stellten. Pecherei Resin tapping Als „Pecherei“ bezeichnet man die Gewinnung von Baumharz, wie sie vor allem im südlichen Niederösterreich bis ins . ahrhundert hinein praktiziert wurde. Die Pecher sammelten das frisch auslaufende ebenso wie das eingetrocknete Harz, vor allem der Schwarzföhre. Durch Sieden wurde das „Pech“ zu Kolophonium und Terpentinöl verarbeitet. Beim Brühen der geschlachteten Schweine erleichterte es das Entfernen der Borsten. Harz verwendete man zudem als Klebe- und Dichtungsmittel, als Lichtspender, für Farben und Seifen. In gewissen Gegenden wurde es sogar gekaut. Mit dem Aufkommen billigerer Produkte aus Mineralöl starb die Pecherei in Österreich fast aus. Pechkübel Resin bucket 19. Jh. Großreifling, Ö Forstmuseum Silvanum Pecher bei der Arbeit Resin tapper at work Fotografie (R) Wien, APA-PictureDesk GmbH, Prohaska Rene Verlagsgruppe News picturedesk.com Schneiteln Pollarding Das Schneiteln von Laub- und Nadelbäumen war bis ins . ahrhundert in vielen alpinen Gegenden Teil der traditionellen Landwirtschaft. Diese Form der Futter- und Streugewinnung durch Abschlagen von sten verlieh der Landschaft einen eigenen Charakter, der heute ganz verschwunden ist. Im Spätherbst bestiegen die Bauern alles, was an Bäumen verfügbar war, mit speziellen Steigeisen. Mit dem Haumesser schlugen sie zwei- bis fünfjährige Zweige herunter. Laub und Triebe wurde getrocknet, eingelagert und im Winter als Laubfutter an Kühe, Schafe und Ziegen verfüttert. Geschneitelte Wälder und Hecken waren lichtdurchlässiger. Die Folge: Die biologische Vielfalt von Flora und Fauna war größer. Hau- und Schnittmesser Machete h Trübenbach, Holzknechtmuseum Trübenbach Schneiteln in Zederhaus, Lungau Pollarding in Zederhaus, Lungau Drei otogra en , rika Hubatschek, Edition Erika Hubatschek Die Wiederentdeckung der Waldweide The rediscovery of the wood pasture 3:00 min., Ausschnitt aus der Kurzdokumentarfilmserie „Hüeterbueb und Heitisträhl“ von Rahel Grunder, 2011 Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Forstwirtschaft WSL, Birmensdorf, Schweiz Bis ins . ahrhundert hinein – in den Alpen länger – ließen die Bauern im Wald ihre Ziegen, Schafe, Pferde, Rinder und Schweine weiden. Mit dem Beginn der modernen Forstwirtschaft fand die Waldweide in den meisten Regionen ein Ende. Vielleicht auch nur ein vorläufiges: Denn aktuelle Versuche haben gezeigt, dass ein als Waldweide genutzter Wald lichter wird und durch eine größere Artenvielfalt besticht: Nieder-, Mittel- und Weidewälder entstehen. Artenvielfalt durch Nutzungsvielfalt, oder anders ausgedrückt: Ordnung schadet der Vielfalt KAPITEL 03 HOLZBOOM LUMBER BOOM Die Arbeit der Holzknechte im Jahreslauf Lumberjack work through the seasons Pater Chrysostomus Sandweger (1778–1838), 1828–1838 (R) Annaberg, Kath. Pfarre Annaberg, Foto: Christoph Panzer Das Gästezimmer des Pfarrhofes Josefsberg schmückt ein raumgreifendes Gemälde, das detailliert Auskunft über die Holzknechtarbeiten im Jahreslauf gibt. Geschaffen hat es mit großer Sachkenntnis Pater Chrysostomus Sandweger, Josefsberger Pfarrer und vormals „Waldmeister und Strasseninspector“ von Stift Lilienfeld. Er hinterließ damit eine der wichtigsten – und raren – Quellen zu Leben und Arbeiten der Holzknechte um den Ötscher im frühen 19. Jahrhundert. 1953 renoviert, gilt das Gemälde als bedeutendes Zeugnis österreichischer Volkskunst. Bei der Arbeit im Schlag Logging Vom Frühsommer bis zum Frühherbst waren die Holzknechte mit dem Schlägern auf Eibl, Bichleralm und Josefsberg beschäftigt. Das Bild zeigt eine „Zehnerpass“, deren Chef, der „Passknecht“, vor Aufnahme der Arbeiten mit dem Auftraggeber den Preis vereinbarte. Bezahlt wurde pro Klafter. Bei starken, langwüchsigen Bäumen mit wenigen Ästen war man im Vorteil; schwache, kurzwüchsige mit vielen Ästen brachten weniger Holz und kosteten mehr Arbeit. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert wurde das geschlagene Holz durchwegs als Brennholz genutzt – ausgenommen besonders schöne Stämme mit geradem Schaft, die bisweilen als Bauholz dienten. Zwei Holzknechte fällen mit Universalhacken Bäume. Bei einem Durchmesser von bis zu 15 Zentimetern kam die Hacke zum Einsatz. Mit deren breiter Rückseite trieben die Knechte einen Keil in den Fällschnitt, um die Fallrichtung des Baumes zu lenken und die Kollegen nicht zu gefährden. Die Wurzelstöcke bleiben im Schlag stehen. Sie vermoderten über die Jahrzehnte. Ein Baum wird mit einer Zugsäge „umgehackt“. Die beiden Holzknechte sind ein eingespieltes Team: Der „Ziaga“ zieht die Säge durch den Stamm, sein Gegenüber schiebt nur wenig an, damit sich die Säge nicht aufbuckelt und steckenbleibt. Beim Zurückziehen der Säge werden die Rollen getauscht. Starke Bäume ließen sich in einer vertretbaren Zeit alleine mit der Zugsäge fällen. Der Baum wird entastet. Die Holzknechte warfen die abgeschlagenen Äste, für die man keine Verwendung hatte, auf Haufen oder Reihen („Fratten“). Im Herbst oder im folgenden Frühjahr wurden diese verbrannt („Schlagbrennen“), um dort später Brandrüben oder Brandgetreide zu säen. Von der Rinde verwertete man nur einen kleinen Teil. Die Stücke mit wenigen oder gar keinen Astlöchern verwendeten die Holzknechte für ihre Unterstände („Duck“) oder die Sommer- und Winterhütten. Gab es in der Nähe des Holzschlages gangbare Wege, wurden die Rindenplatten gestapelt und an die Gerbereien verkauft. Das bot einen willkommenen Zusatzverdienst. Der Stamm wird auf die Länge der Scheiter zugeschnitten („abgelängt“). Im 18. und frühen 19. Jahrhundert hatten die Scheiter die Länge eines Klafters (1,9 Meter). Das Holz wird zu Scheitern verarbeitet. Das „Aufscheiten“ geschah mit einer schweren Axt („Mösel“) und einem eisernen Scheitkeil („Scharl“). Holz von mehr als 16 Zentimetern Durchmesser war mindestens einmal zu spalten, um zu verhindern, dass es faulte. Die Holzscheiter werden gelagert („gezaint“). Auf den Holzstößen wartete das als Brennholz vorgesehene Material auf den Abtransport. Der erfolgte im Winter mit Schlitten oder im Frühling mit der Trift. Eine Person skizziert die Szene. Hier hat sich wohl der Künstler, Pater Chrysostomus Sandweger, verewigt. Täglich wird rund zwölf Stunden gearbeitet. In der Morgendämmerung verließen die Holzknechte ihre Hütte im Wald, um bei vollem Tageslicht die Arbeit im Schlag zu beginnen. In der heißen Mittagszeit wurde mehrere Stunden im Schatten geruht und dann bis zur Dämmerung weitergewerkt. In der Regel arbeitete man bis Samstagmittag. Vermutlich das katholische Kirchlein St. Johann in der Wüste. Das Kloster Lilienfeld errichtete für die Holzknechte und ihre Familien eine Holzkirche. Nach dem Toleranzpatent von 1781 bekannten sie sich aber mehrheitlich zum evangelischen Glauben. Die Pfarre wurde nach fast ahren aufgelassen, das Kirchlein zerfiel. Älterer Mann in einer Gebirgslandschaft Elderly man in a mountain landscape Landschaft mit Gebirgssee Landscape with mountain lake Das wenig aussagekräftige Landschaftsbild mit Gebirgssee wurde bei der Renovierung 1953 auf eine zugemauerte Türe gemalt. Das Zainen der Holzscheiter Log-stacking Die Holzknechte hinterlassen einen sauberen Kahlschlag. Worauf die Holzknechte früher stolz waren, ist aus ökologischer Sicht bedenklich. Heute versucht man, den „Nebenbestand“ zu erhalten und die vorhandene Naturverjüngung, sprich: den aus Samen oder Stockausschlag natürlich entstandenen Baumnachwuchs, zu fördern. Damit erreicht man eine Überschirmung des Bodens – also eine Abdeckung durch die Baumkronen – und einen Mischbestand. Das bearbeitete Holz wird auf Holzstößen gestapelt. Holzstapel oder „Zaine“ errichtete man an Stellen, die für die Bringung günstig waren. Hier wartete das Holz auf den Weitertransport. Im Winter wurden die Scheiter vom Zain auf den Schlitten geladen oder in die Riese geworfen – damit das ohne großen Aufwand geschah, waren die Zaine an den Wasserläufen entsprechend platziert. Die Holzstapel sind maximal 1,9 Meter hoch. Damit die Holzknechte die Scheiter problemlos legen konnten, war die maximale Höhe der Zaine mit einem Klafter festgelegt; gemessen wurde mit einem „Maßstangl“. Beim Aufzainen kam das Griesbeil zum Einsatz, das am Stiel Halbkluft- oder Metermarken eingekerbt hatte. Die Holzknechte mussten ein Übermaß von einem Viertel Schuh (acht Zentimeter) berücksichtigen: Damit trug man dem Umstand Rechnung, dass Holz beim Lagern trocknet und schwindet – bei der Übergabe musste das abgetrocknete Holz aber exakt einen Klafter hoch sein! nmitten des Kahlschlags be ndet sich eine Holzknechthütte. Ein Jäger mit Hund, Vertreter der Herrschaft, inspiziert die Arbeit. Holzknechtarbeit im Winter Lumberjack work in winter Das Holz wird auf Schlitten abtransportiert. In großem Bogen führt ein Schlittenweg vom Berg herunter. Im Winter brachten die Holzknechte das im Laufe des Jahres in Zainen geschlichtete Holz mittels Schlitten zu Tal. Der Holzknecht bremst den Schlitten. Die Fahrt mit dem Schlitten war nicht ungefährlich. Vorne bremst der Knecht mit den Füßen, hinten mit angehängten Scheiterbündeln. Das Holz wird in den zugefrorenen Bach gekippt. Wenn es im Frühjahr taute, ließ sich das Holz mit der Trift schwemmen und so weitertransportieren. Nach dem Abladen gilt es weiteres Holz zu laden und herunterzubringen. Alles, was für Arbeit und Alltag im Wald benötigt wird, ist in der „Spitzkraxn“. Auch einer der beiden Holzknechte trägt am Rücken dieses hölzerne Tragegestell. Im Hintergrund ist die Basilika von Mariazell zu erkennen. Holzbringung mit Riesen Timber transport via log flumes Das Holz wird mit „Rossen geschlittelt“ transportiert. Pferdeschlitten kamen zum Einsatz, wenn das Gefälle für den Transport mit Holzriesen zu gering oder das Gelände leicht ansteigend war. Mittels Riesen wird das Holz ins Tal herabbefördert. Die Errichtung von Holzriesen lohnte sich nur, wenn der Holzschlag groß genug war und der Abtransport aus steilem Gelände erfolgte. Am besten funktionierten die Riesen bei feuchtem Wetter oder bei Schnee und Eis. Im Frühling, wenn es taute, ließ sich das Holz auf dem Wasserweg weitertransportieren. Die Wohnhäuser der Holzknechte sind vollständig aus Holz errichtet. Sogar die Kamine bestanden aus Lärche. Ein Holzknecht bringt sein Werkzeug auf Vordermann. Im Winter stand vor allem der Holztransport auf dem Programm. Daneben reparierten die Holzknechte ihr Werkzeug oder stellten Stiele und Haushaltsgeräte aus Holz her. Ansonsten vertrieben sie sich die Zeit mit der Familie oder mit Schlafen, Kartenspielen und Eisstockschießen. Der Lassingfall The Lassing waterfall Zur Zeit der Entstehung des Gemäldes, im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, war der Lassingfall schon eine bekannte Touristenattraktion. Holztrift mit Holzaufzug und Schwemmtunnel Wood-drifting with elevator and sluiceway tunnel Anfang des 19. Jahrhunderts war der Bedarf an Holz groß. Nach Nutzung der Urwaldreste am Ötscher bot sich im Bereich des Göllers eine große Waldfläche an. Allerdings versperrte dort eine Hügelkette den Weg zum Wasser. Die Wasserscheide am Gscheidl zwischen Mürz- und Preintal wiederum ließ einen Schwemmbetrieb Richtung Donau vorerst nicht zu. Die Lösung kam von dem aus dem Salzkammergut stammenden Passknecht Georg Hubmer: Er hatte die Idee zu einer Triftanlage, die aus Schwemmkanal, Holzaufzug und Tunneldurchbruch durch das Gscheidl bestand. Am Eingang des Schwemmtunnels. Der stolze Georg Hubmer inspiziert den 431 Meter langen Tunnel, den man durch das 1.134 Meter hohe Gscheidl gegraben hatte. Auf dem Schwemmkanal wird das Holz weiterbefördert. Jenseits des Tunnels, bei Neuwald, wurde ein von uellen gespeister schiffbarer Kanal von elf Kilometern Länge errichtet. Nach fünf Jahren Bauzeit war er 1827 fertig. Nun ließ sich das gefällte Holz auf den Schwemmkanälen ins Preintal, auf der Schwarza in Richtung Wiener-Neustädter-Kanal und weiter nach Wien befördern. Das Holz wird zum Schwemmtunnel befördert. Dazu diente ein 228 Meter langer, von einem Wasserrad betriebener Aufzug – ein Wunderwerk der Holzknechttechnik, das weit über die Region hinaus bestaunt wurde. Es ist dies die einzige Darstellung des Holzaufzuges! Pferde ziehen mit Holz beladene Kähne stromaufwärts. Holzknechte sorgen dafür, dass sich das Holz nicht verspreizt. Griesbeile kamen zum Einsatz, um Verklausungen und damit einem Rückstau vorzubeugen. Mit langen Stangen und Haken wurde das Holz losgelöst – ein harte und gefährliche Arbeit! Erlaufsee mit Gemeindealpe Lake Erlauf with Gemeindealpe Der Rechen am Ende der Trift Timber grill at the end of the wood-drifting system Das Ende der Trift ist auf dem Gemälde in einer Fantasielandschaft am Übergang von der gebirgigen in die sanft hügelige Landschaft angesiedelt. Am Hauptrechen vor der Einmündung in die Donau endet die Trift. n einem Seitenkanal schen die Holzknechte das Holz aus dem Kanal. Am Ufer wird das Holz zu großen Stapeln „aufgezaint“. Dort wartete es auf den Weitertransport – ob auf der Donau oder auf dem Wiener-Neustädter-Kanal – in die Metropole Wien. Heribert Pfeffer über die Arbeit der Holzknechte im Jahreslauf Heribert Pfeffer on the lumberjacks’ work in the course of the year Reinhard Linke im Gespräch mit Heribert Pfeffer (geb. 1952), Tonaufnahme, 2015 © Reinhard Linke Im lokalen Dialekt der niederösterreichisch-steirischen Grenzregion erklärt der gelernte Holzknecht und spätere Jäger Heribert Pfeffer das raumgreifende Gemälde im Gästezimmer des Pfarrhofes Josefsberg. Es gibt detailliert Auskunft über die Arbeiten der Holzknechte um den Ötscher im Jahreslauf. Die Flößerei auf der Salza und die Prescenyklause Log driving on the Salza and the Presceny dam Film, ca. 2:00 min., um 1927 © Filmarchiv Austria Mit der „Bringung“ des Holzes brach die letzte Etappe des Holzgeschäftes auf dem Weg vom Baum zum Kunden an. Da der Transport auf dem Landweg zu mühselig war, geschah er – so die Möglichkeit dafür bestand – großteils auf Bächen und Flüssen. Dabei unterschied man das Triften und das Flößen, die gleichermaßen gefährlich waren und viel Kraft und Geschick erforderten. Für das Triften wurde das Wasser in Klausen gestaut und losgelassen, um das Holz auf kleineren Flüssen zu schwemmen. Beim Flößen wurden die Baumstämme zusammengebunden und schwimmend transportiert – angesichts der Stromschnellen der Gebirgsbäche ein äußerst riskantes Unterfangen. Gepackte Holzkraxe eines Holzknechts A lumberjack’s packed carrying frame 19./20. Jh. Ulreichsberg, Nachlass Engelbert Kraft Am Montagmorgen zogen die Holzknechte in Richtung Holzschlag los. Was man für die kommenden Tage benötigte, war auf die Rückentrage, die „Kraxn“, gepackt. Mitgenommen wurde natürlich das Werkzeug, das für die Arbeit während der Woche unabdingbar war: etwa das „Schinta“ genannte Loheisen zum Entrinden frisch geschlagener Bäume; oder die Zugsäge, die zusammen mit Axt und Keil zum Fällen der Bäume diente. Für den täglichen Bedarf hatte der Holzknecht sein mäusesicheres Kostkisterl mit der Sterzpfanne sowie etwas Mehl und Schmalz dabei. Gegen die Kälte in der Nacht schützte die mit Lumpen und Flachsresten gefüllte „Kotze“, quasi ein Vorläufer der Steppdecke. Am Samstag kehrten die Holzknechte zu ihren Familien heim, um ihre Arbeit am Montag wieder aufzunehmen. 1 Holzkraxe mit Kostkisterl, zwei Sterzpfandln und roter Decke Wood carrying frame with food box, two pans and a red blanket 2 Asthacke zum Entasten der Bäume Axe for debranching trees 3 Loheisen zum Entrinden Peeling iron for de-barking 4 Zugsäge zum Fällen der Bäume Pit saw for felling trees 5 Lochhacke zum Bau der Holzriesen Scuffle hoe for building log flumes 6 „Lagl“ – Gefäß zum Transport von Trinkwasser Lagl vessel for transporting drinking water Sommer-Holzknechthütte im Waldschlag Mitterberg Summer hut for lumberjacks in the Mitterberg felling area Tuschzeichnung (R), L. Preisecker, 1932 St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [V 10490] „Eine Keische aus unbehauenen Stämmen, mit einer Baumrinde gedeckt und an einer nahen Quelle aufgeschlagen, ist alles, was er braucht“, so der Lilienfelder Abt Ambros Becziczka 1825 über das Leben des Holzknechts. Während der Woche hausten die Holzknechte draußen im Holzschlag in ihrer Sommerhütte. Geschlafen wurde auf einem einfachen Nachtlager, gekocht an einer offenen Feuerstelle mitten in der Hütte. Nach Einbruch der Dunkelheit spielte man Tarock oder Schach, musizierte, sang oder erzählte einander Geschichten. Mahlzeit! A solid meal Jeder Holzknecht bereitete sich sein Essen in der eigenen Eisenpfanne selbst zu. Wenngleich die Auswahl der mitgebrachten Zutaten mit Mehl, Schmalz, Salz und Schotten durchaus beschränkt war, sollten die Mahlzeiten deftig sein und Energie für die schwere Arbeit geben. Morgens und abends kochte man eine „Schottsuppe“ genannte Art von Rahmsuppe und „Spatzen“ – Nocken aus Kartoffeln oder Mehl. Mittags kam Sterz aus Mehl und Schmalz auf den Tisch. Zur Befestigung der Pfanne über dem Feuer diente ein einfacher Halter, der mit Kerben zum Einhängen versehen war. Unabdingbares Kochutensil war der „Muaser“, der gleichermaßen als Kochlöffel wie als Wender verwendet wurde. Sterzpfanne samt hölzerner Halterung Pan with wooden holder for Sterz, a buckwheat meal Trübenbach, Holzknechtmuseum Trübenbach Spatzenseiher und Holzstock Spätzle sieve and wood block h St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [VK-9176] Drei „Muaser“ – metallene Kochgeräte Three Muaser (metal cooking utensils) h Amstetten, Privatarchiv RANDLOS media & kultur werkstatt, Gerhard Proksch etterfleck und Steigeisen des Holzknechts A lumberjack’s rain cape and crampons 19. Jh. Ulreichsberg, Nachlass Engelbert Kraft Bei warmem Wetter gingen die Holzknechte „hemdsärmelig“ in den Holzschlag, bekleidet mit einer ärmellosen Weste, Lederhosen, groben Strümpfen und schwer genagelten Schuhen. „Bei kühlem und stürmischem Wetter kommt ein Wettermantel dazu. Diesen, aus schwerem Wollstoff gefertigt, werfen sie in die Lohe, damit er ,lodern‘ wird, braun, lohfarbig, wasserdicht“, so der Reiseschriftsteller und Sagen-Sammler Heinrich Noë 1853. Mit einem Riemen zusammengebunden, hielt der Wetterfleck aus Loden, das typische Kleidungsstück des Holzknechts, Nässe und Kälte ab. KAPITEL 04 GEHEIMGLAUBE SECRET FAITH Lutherbibel Luther Bible „Die Heilige Schrift Neuen Testaments, nach der fürtrefflichen Ubersetzung und mit den Vorreden auch Rand-Glossen d. Martin Luthers […], Tübingen, 1729 Mitterbach, Presbyterium der evangelischen Pfarrgemeinde A.B. Mitterbach Die Lutherbibel ist das „Herzstück“ des protestantischen Glaubens. Das ausgestellte Exemplar mit Holz-LederEinband wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Deutschland nach Österreich geschmuggelt – in Zeiten der Gegenreformation ein Vergehen, für das Kerker drohte. Wer eine Bibel besaß, war verdächtig, evangelisch zu sein. Diese Lutherbibel kam mit den Holzknechten aus dem Salzkammergut um 1750 nach Mitterbach. Bei ihren geheimen Gottesdiensten in den Ötschergräben wurde daraus das Wort Gottes gelesen. Heute ist die Bibel im Besitz der Evangelischen Pfarrgemeinde Mitterbach. An besonderen Festtagen kommt sie bei Gottesdiensten noch zum Einsatz. Engel aus dem Kirchlein St. Johann in der Wüste Angel from the Church of St John in the Desert Holz, um 1760 Mitterbach, Presbyterium der evangelischen Pfarrgemeinde A. B. Mitterbach 1758 ließ das Stift Lilienfeld im Hagengut nahe Mitterbach das Holzkirchlein St. Johann in der Wüste errichten. Der Versuch, die – protestantischen – Holzknechte damit zum Gottesdienstbesuch zu bewegen, war ebenso erfolglos wie jener, den Lohn erst nach der Sonntagsmesse auszubezahlen. St. Johann in der Wüste wurde 1776 durch einen Brand ungeklärter Ursache zerstört. Die beiden unversehrt gebliebenen Engel aus dem Kirchlein fanden bald eine neue Umgebung: Nach dem Toleranzpatent von 1781 und dem Bekenntnis der Holzknechtfamilien zum protestantischen Glauben wurden sie im Altarraum des 1785 in Mitterbach errichteten neuen evangelischen Bethauses platziert. Kiste mit Betbüchern aus Ulreichsberg Box with prayer books from Ulreichsberg 18. Jh. Ulreichsberg, Nachlass Engelbert Kraft Die Bücher stammen von den Familien der Holzknechte aus Ulreichsberg. Sie waren zumeist wohl aus der alten Heimat, dem Salzkammergut, mitgebracht worden. Da der Protestantismus im Österreich von damals nicht er-laubt war, nährte sich ihr Glaube aus der Lutherbibel und Betbüchern sowie geheimen Zusammenkünften. Alle Schriften religiösen Inhaltes mussten gut versteckt bleiben – sie hätten verraten, dass es sich bei den Holzknechtfamilien um „Geheimprotestanten“ handelte. Engelbert Kraft (1925–2010) Fotografie (R), 20. Jh. Ulreichsberg, Nachlass Engelbert Kraft Der Protestant Engelbert Kraft war zunächst Holzknecht und Landwirt, später führte er mit seiner Frau einen kleinen Lebensmittelladen in Ulreichsberg. Um das 50. Lebensjahr begann er seinem Interesse an Heimatforschung im Allgemeinen und der Geschichte der eigenen Familie sowie des Dorfes im Speziellen nachzugehen. Hierfür exzerpierte Kraft zunächst aus Kirchenmatriken alle Personenstandsangaben, um dann mit großer Kenntnis und in akribischer Kleinarbeit Informationen zu den Familien über mehrere Generationen zusammenzutragen. Kraft betrieb „Feldforschung“ im eigentlichen Sinne: Er sprach mit den Bewohnern von Ulreichsberg, stellte Fragen um Fragen. Daneben sammelte er Daten in Archiven und zeichnete Besiedlungspläne. Noch zu Lebzeiten vermachte Engelbert Kraft seine umfangreiche Dokumentation Veronika Wagner aus Annaberg, die sich seither um ihre Aufarbeitung bemüht. Ulreichsberg Ulreichsberg Öl auf Hartfaserplatte, Josef Tobner (geb. 1942), 20. Jh. St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [KS-2650] Protestantische Familien und ihre Häuser in Ulreichsberg Protestant families and their houses in Ulreichsberg Konvolut zur Geschichte im 20./21. Jh. Engelbert Kraft Ulreichsberg, Nachlass Engelbert Kraft Für die protestantischen Holzknechte waren der familiäre Zusammenhalt und die Aufrechterhaltung der Beziehungen ins Salzkammergut von großer Bedeutung. Bis zu seinem Tod 2010 ist der Ulreichsberger Engelbert Kraft in gut 30-jähriger Forschungsarbeit der Vergangenheit jedes Hauses im Ort und seiner Bewohner akribisch nachgegangen. Im Zentrum stand die Geschichte der einzelnen Ulreichsberger Familien vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, die er lückenlos dokumentierte. Entstanden ist ein gut . Seiten umfassendes Konvolut mit biografischen Notizen, Tabellen, Stammbäumen, Verzeichnissen und Familienerzählungen. Auf unvergleichliche Weise gibt es Einblick in das Werden einer protestantischen Gemeinde in der Region – ein Schatz, den es in seiner ganzen Dimension noch zu entdecken gilt! Holzknechthütte Heufuß N° 31 Lumberjack cottage Heufuss No. 31 Tuschzeichnung, Ludwig Preisecker, 1941 St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [VK-10530] Die Hütten der Holzknechtsiedler waren sogenannte Luftkeuschen, das bedeutete: Der Grund und Boden, auf dem sie standen, war nicht im Besitz der Holzknechte, sondern gehörte dem Grundherrn – also dem Kloster Lilienfeld oder der Kartause Gaming. Aus rohen Baumstämmen gezimmert, waren die Keuschen auch im Inneren einfach. Sie bestanden aus Vorraum, Küche – meist war es eine offene „Rauchkuchl“ –, Stube und Kammer, in der man schlief. Der kleine Stall war meist in einem eigenen Gebäude untergebracht. Holzknechthütte im Reißtal Lumberjack cottage in the Reiß valley Tuschzeichnung, Ludwig Preisecker, 1933 St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [VK-10514] Während die Holzknechte meist die ganze Woche über der Arbeit im Wald nachgingen, hatten ihre Frauen den Alltag mit der Familie zu meistern. Sie machten die Einkäufe und übernahmen viele Aufgaben, die in bäuerlichen Haushalten Sache der Männer waren. Als sich die „neue Technik“ mit Elektrizität und Motorisierung durchzusetzen begann, änderte sich auch in den Holzknechtfamilien die Rollenverteilung. Gscheidl bei St. Aegyd am Neuwalde Gscheidl near St. Aegyd am Neuwalde Tuschzeichnung, Ludwig Preisecker, 1932 St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [VK-10502] Um ihren „geheimen Glauben“ leben zu können, siedelten sich Protestanten – auch in der Ötscherregion – an Plätzen an, die einige wichtige Voraussetzungen erfüllen mussten: Da man sich zu Gottesdiensten versammelte, hatten die Wohnungen entsprechend groß zu sein. Vor allem aber sollten die Siedlungen abgeschieden und in einer gewissen Entfernung zur katholischen Pfarre sowie zum Sitz der grundherrschaftlichen Verwaltung liegen. Holzknechthütte von Helene Thalhammer Lumberjack cottage, by Helene Thalhammer Tuschzeichnung, Ludwig Preisecker, 1932 St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [VK-10497] Die Holzknechte und ihre Familien lebten im Wald in Hütten wie dieser, die 1821 vom Holzknecht Robert Pilz errichtet worden war. Ihren Alltag bestimmte der Rhythmus der Waldarbeit – von der Arbeitseinteilung und den Arbeitsgewohnheiten über Rechtsformen bis hin zu Bräuchen. Für die Männer war weniger die Familiengemeinschaft prägend als jene der „Holzknechtpass“: Unter der Woche waren die Holzknechte meist weg von der Familie und hatten sich selbst zu versorgen. Spruchbild „Hochgelobt sei die allerheiligste Dreifaltigkeit“ Inscription “Praise to the Most Holy Trinity” Hinterglasmalerei, vermutl. 19. Jh. St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [V-11.022] Triftmeister Philipp Ortner mit Familie Wood-drifting master Philipp Ortner and family Fotografie (R), 1911 Scheibbs, Slg. HHH Gemäß der „Triftordnung für den Triftbetrieb auf dem Großen Erlaf-Flusse“ von 1893 war für die Regulierung des Rechens und die Strecke bis zur Einmündung des Nestelbergbaches in die Erlauf der Triftaufseher zuständig. Diese Funktion kam Philipp Ortner (1844–1919) zu, der mit seiner Familie – aus zwei Ehen hatte er 21 Kinder – im Häuschen links der Erlauf in Trübenbach lebte. 1911 fand auf der Großen Erlauf die letzte Holztrift statt: Mit Errichtung des Erlaufstausees, der der Stromversorgung der neuen Mariazellerbahn diente, war das Triften nicht mehr möglich. Lieder des Glaubens Songs of faith „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“, 1:40 min. / „Toleranzlied“, 4:08 min. / „Ein feste Burg ist unser Gott“, 1:01 min. / „Ich bin ein armer Exulant“ / „Ich singe Dir mit Herz und Mund“, 2:06 min. Gesungen vom Albert Schweitzer Chor Wien unter der Leitung des evangelischen Landeskantors Matthias Krampe © Matthias Krampe Das Singen war schon früh ein „Markenzeichen“ der Protestanten – und eine der schärfsten Waffen der Reformation. Zu hören sind Lieder, die in bewusst einfacher, authentischer Art nach den österreichischen Textfassungen der Zeit aufgenommen wurden: Etwa „Ein feste Burg ist unser Gott“, die „heimliche Hymne“ der Evangelischen. Oder – entsprechend damaliger Praxis im Wechsel Vorsänger-Gemeinde – das „Toleranzlied“, ein Huldigungslied an Joseph II. für das Toleranzpatent. Bald nach dessen Erlass erschien 1783 als wichtiges evangelisches Gesangbuch in Österreich das „Wucherer-Gesangbuch“, benannt nach seinem Drucker. Ihm ist die Textversion für „Ich singe Dir mit Herz und Mund“ entnommen. Die „modernen“ rationalistischen Texte führten zu Auseinandersetzungen, vor allem in den Landgemeinden. In einem Anhang der Neuauflage wurde etlichen Liedern daher auch die originale Textversion beigestellt. Namen protestantischer Familien Names of Protestant families Nach Otto Mörtl, „Evangelische Holzknechte vom Ötscher bis zur Rax“, 1990, mit Ergänzungen von Bernhard Gamsjäger KAPITEL 05 ALPENTOURISTEN ALPINE TOURISTS Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) (R) Wien, APA-PictureDesk GmbH 1730 und 1731 durchwanderte der gebürtige Genfer JeanJacques Rousseau die westliche Schweiz. Nach Stationen in Lyon und Venedig ließ er sich 1745 in Paris nieder – dem Zentrum des philosophischen Diskurses um die Ideen der Aufklärung. 1756 zog sich Rousseau in die Einsiedelei von Montmorency zurück und begann mit der Arbeit an seinem Briefroman „Julie ou la Nouvelle Héloïse“ („Julie oder Die neue Héloïse. Briefe zweier Liebenden aus einer kleinen Stadt am Fuße der Alpen“), der 1761 erschien. Darin schwärmt der Hauslehrer, der unglücklich in die Titelheldin verliebt ist, von seinen Reisen in die gerade entdeckte „erhabene Alpenwelt“ und schildert die Begegnungen mit den „freien“ Bewohnern der Berge. Das Buch wurde zu einem Bestseller und löste in ganz Europa eine Alpenbegeisterung aus. Viele Reisende besuchten fortan auf ihrem Weg durch die Schweiz jene Orte, an denen der Roman spielt. Julie ou la Nouvelle Héloïse, 1761 Julie, or the New Heloise, 1761 Amsterdam 1770 Wien, Universitätsbibliothek Wien [I-181921/1] Chalet sur le Mettlen en Suisse, um 1830 Chalet on the Mettlen, Switzerland, c. 1830 CH-Burgdorf, ROTH-Stiftung Burgdorf [ROST 2823 (2/2)] Albrecht von Haller (1708 –1777) (R) Wien, APA-PictureDesk GmbH Der Schweizer Universalgelehrte Albrecht von Haller entstammte einer angesehenen Berner Familie. Während seiner Zeit als junger Dozent der Anatomie an der Universität Basel unternahm er 1729 eine botanische Studienreise ins Wallis und über den Gemmipass ins Berner Oberland. Unter dem Eindruck dieser Reise schrieb er nach seiner Rückkehr das 49-strophige Gedicht „Die Alpen“. Es ist einer der ganz frühen Texte, die die Alpen nicht mehr als schrecklichen Ort sehen, sondern ihre ästhetischen Qualitäten hervorheben. Gleichzeitig preist Haller das einfache Leben der Alpenbewohner – als Kontrast zu den verdorbenen Sitten der städtischen Zivilisation. Das Gedicht erschien erstmals 1732 als „Versuch Schweizerischer Gedichte“, bekam später den Namen „Die Alpen“ und löste die erste Welle der Begeisterung für die Alpen aus. Versuch Schweizerischer Gedichte, 1732 Essay of Swiss Poems, 1732 Auflage, Karlsruhe Wien, Universitätsbibliothek Wien [I-1547357] Schwinger beim Trachten und Alphirtenfest nspunnen, um Schwingers (Swiss wrestlers) at the Unspunnen festival, c. 1830 utteurs, ou amusement pastoral sur le grand Scheidek, Canton de Berne“ Hieronymus Hess (1799–1850) CH-Burgdorf, ROTH-Stiftung Burgdorf [ROST 1790] Immanuel Kant (1724–1804) (R) © orion_eff – fotolia.com Von der Mitte des 18. Jahrhunderts an diskutierten Philosophen den Begriff des Erhabenen. Erst Immanuel Kant, dem großen Königsberger Philosophen, gelang es, den Begriff in „Kritik der Urteilskraft“, seinem Werk zur Ästhetik von 1790, klar zu fassen. Der Mensch begegnet darin der gewaltigen Natur. „Aber ihr Anblick wird nur um desto anziehender, je furchtbarer er ist, wenn wir uns nur in Sicherheit befinden und wir nennen diese Gegenstände gern erhaben, weil sie die Seelenstärke über ihr gewöhnliches Mittelmaß erhöhen, und ein Vermögen zu widerstehen von ganz anderer Art in uns entdecken lassen, welches uns Mut macht, uns mit der scheinbaren Allgewalt der Natur messen zu können.“ Bis heute empfinden wir beim Betrachten der Berge fasziniert die von Kant beschriebene Spannung. ritik der rtheilskraft, Critique of Judgment, 1790 erlin ibau Wien, Universitätsbibliothek Wien [I-57601] Mary Shelley (1797–1851) (R) Wien, APA-PictureDesk GmbH 1816 trafen einander die jungen Literaten Claire Clairmont, Percy Bysshe Shelley und Mary Godwin – sie sollte später Percys Frau werden – am Genfersee. Man wollte dort gemeinsam den Sommer verbringen. Später stieß noch der Dichter Lord Byron zu der Gruppe. Das Wetter war unfreundlich, und so vertrieb man sich die Zeit mit dem Vorlesen von Schauergeschichten. Byron schlug vor, jeder solle seine eigene Erzählung schreiben. Die 19-jährige Mary entwarf nun jene Geschichte, die sie 1818 unter dem Titel „Frankenstein or The Modern Prometheus“ („Frankenstein oder Der moderne Prometheus“) weltberühmt machen sollte. Die Schlüsselszene, das erste Zusammentreffen nach der Flucht des Monsters, spielt sich im Hochgebirge ab. Das Montblanc-Massiv, das wohl von ihrem Sommersitz aus zu sehen war, diente als Inspiration für die schaurige Schilderung der unheimlichen Bergwelt. rankenstein or, The Modern rometheus, Frankenstein or, The Modern Prometheus, London 1823 Wien, Österreichische Nationalbibliothek – Sammlung von Handschriften und alten Drucken [24028-B.Alt-Mag] Sophie on a oche (R) Wien, APA-PictureDesk GmbH [20101121_PD15526] Sophie von La Roche wurde als Marie Sophie Gutermann von Gutershofen in eine Arztfamilie in Kaufbeuren geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Lindau und Augsburg. Schon früh lernte das Mädchen lesen – Latein durfte es allerdings nicht lernen. Als junge Frau und später als Gattin des Hofrates La Roche verkehrte sie in den intellektuellen literarischen Kreisen ihrer Zeit. Sophie von La Roche, die selbst vielbeachtete Romane schrieb, traf dort unter anderem auf Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller. 1784 fasste sie den Entschluss, in Begleitung ihres Sohnes Europa zu bereisen. Ihr 1787 unter dem Titel „Tagebuch einer Reise durch die Schweiz“ veröffentlichter Reisebericht wurde bei den Leserinnen und Lesern ein großer Erfolg. Sophie von La Roche stilisierte die Alpen darin zu einer Sehnsuchtslandschaft, die zum Reiseziel ihres bürgerlichadeligen Publikums werden sollte. Tagebuch einer eise durch die Schweitz, Diary of a Journey through Switzerland, 1787 Ausgabe, Altenburg Wien, Österreichische Nationalbibliothek – Sammlung von Handschriften und alten Drucken [34939-A.Alt-Mag] Moritz Alois ecker (R) Wien, Österreichische Nationalbibliothek – Bildarchiv und Grafiksammlung [PORT_00094297_01] An einem Augustmorgen 1852 standen der Schulrat Moritz Alois Becker und eine Gruppe naturinteressierter Kollegen auf dem Gipfel des Ötschers. Beeindruckt beschlossen sie, diesen Berg und seine Umgebung „der bisherigen Nichtbeachtung zu entreißen“. Gemeinsam verfassten sie daraufhin eine umfassende Publikation, für die Becker als Herausgeber fungierte. In dem zweibändigen Werk „Der Ötscher und sein Gebiet […]“, dessen erster Teil die Bezeichnung „Reisehandbuch“ trägt, finden sich neben topografischen Beschreibungen Beiträge zu Geologie, Flora und Fauna sowie zu Leben und Arbeit der Menschen um den Ötscher. Becker, der aus Mähren stammte, hatte in Wien studiert und sich von 1832 an als Privatlehrer betätigt. Ab 1850 war er Schulrat von Niederösterreich – in dieser Zeit entstand auch das „Ötscherbuch“. eisehandbuch für esucher des tscher, A Traveller’s Companion to the Ötscher, 1859 Teil des zweib ndigen erkes Der tscher und sein Gebiet , ien Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. ohann adislaus rker (R) Lilienfeld, Zisterzienserstift Lilienfeld Nach philosophischen Studien trat der gebürtige Ungar János László Pyrker ins Zisterzienserstift Lilienfeld ein. 1796 wurde er zum Priester geweiht und übernahm die wirtschaftliche Leitung des Klosters. In dieser Zeit schuf Pyrker schwermütige Gedichte mit alpinen Motiven, die er Jahrzehnte später, 1845, als „Lieder der Sehnsucht nach den Alpen“ herausgab. Ab 1812 stand Pyrker dem Kloster Lilienfeld als Abt vor, später wurde er Bischof von Zips, Patriarch von Venedig und 1827 Erzbischof von Eger. 1813 entdeckte er – auf einen Hinweis des Hobbybotanikers August Rosthorn hin – bei einer Wanderung den Lassingfall: „Plötzlich ergreift mein Ohr ein Donnergetümmel: die Felsen Dröhnen umher stets furchtbarer schallt aus der Schlucht, wie ich nahe / Stürzender Fluthen Geräusch, und erfüllet die Thäler mit Schauder“. Pyrker setzte sich dafür ein, einen Weg zum Wasserfall und ihm direkt gegenüber einen Aussichtspavillon zu errichten. ieder der Sehnsucht nach den Alpen, Songs of Yearning for the Alps, 1845 Stuttgart Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. ohn uskin (R) Wien, APA-PictureDesk GmbH [18700101_PD2492] Der englische Kunsthistoriker, Kritiker und Sozialphilosoph war Mitte des 19. Jahrhunderts eines der wichtigsten Mitglieder der Arts-and-Crafts-Bewegung. Von Malern, Architekten und anderen Künstlern initiiert, versuchte sie, Kunst, Gesellschaft und Arbeit miteinander zu verbinden. In seinen Jugendjahren besuchte John Ruskin mit seinen Eltern im Zuge einer Europareise auch die Schweiz. Diese erste Begegnung mit den Alpen sollte ihn ein Leben lang nicht mehr loslassen. In den 1840er-Jahren bereiste er fast jedes Jahr die Schweiz und die französischen Alpen, machte dabei Zeichnungen und Notizen. In seinem fünfbändigen Werk „Modern Painters“ („Moderne Maler“), das zwischen 1843 und 1860 entstand, widmete Ruskin den vierten Band der „Schönheit der Berge“. Über die Analyse der materiellen, formalen und ästhetischen Elemente der Berge versuchte er darin, deren erhabene Schönheit zu ergründen. Modern ainters d , Modern Painters, Vol. , Auflage, ew ork Wien, Universitätsbibliothek Wien [Kunst.allg.-020/04] Staubbach bei Lauterbrunnen Staubbach Falls above Lauterbrunnen „Vue du Staubbach“, Alexandre Calame (1810–1864), 1837 Öl auf Leinwand Bern, Kunstmuseum Bern, Dauerleihgabe Alpines Museum der Schweiz, Bern [Lg 2537] Wer ab Ende des 18. Jahrhunderts in die Schweiz reiste, kam nicht darum herum, den Staubbachfall im Berner Oberland zu besuchen. Wie für Gemälde aus dieser Zeit typisch, kontrastiert der idyllische Vordergrund mit den mächtigen Felsen dahinter. Die Betrachter mussten von der erhabenen Bergwelt schlicht beeindruckt sein. Unzählige Maler und Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts würdigten den Staubbachfall – so auch Johann Wolfgang von Goethe im Gedicht „Gesang der Geister über den Wassern“: „Des Menschen Seele / Gleicht dem Wasser: / Vom Himmel kommt es, / Zum Himmel steigt es, / Und wieder nieder / Zur Erde muß es. / Ewig wechselnd“. assingfall Lassing Falls Kolorierte adierung , Albrecht, h St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [4240] assingfall Lassing Falls otografie , Amand Helm um , h St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [4237] Der asinger Lassing Falls asserfall sic Kreidelithografie nach A uarell, ohann osef Schindler (1777–1836), nach 1830 St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [4242] Der assingfall Lassing Falls Holzstich aus Das rzherzogtum sterreich unter der Enns, 1881 St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [23813] assingfall Lassing Falls Kupferstich, ohann Hollnsteiner geb , um St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [4229] Der assingfall Lassing Falls Stahlstich, duard illmann, h St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [4230] Der assingfall Lassing Falls adierung, ranz Straub, St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [4231] Der assingfall Lassing Falls Stahlstich, Carl Reichert (1836–1918), um 1860 St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [23993] Der assingfall in Ste ermark sic Lassing Falls in Styria [sic!] Kolorierter Stahlstich, agner G Heisinger, St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [28995] Der obere assingsfall am uße des tschers in sterreich Upper Lassing Falls at the foot of the Ötscher, Austria ithografie, rnst hrenhaus, St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [28996] ine Gegend am assingfalle A spot near the Lassing Falls Kreidelithografie, ona entura de en, um St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [4238] Der assinfall sic Lassing Falls Kolorierte ithografie, Anton othmüller, um St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [4234] Anfang des 19. Jahrhunderts war er noch eine schlafende Schönheit: der Lassingfall. Ein gutes Jahrzehnt später schufen der Hobbybotaniker August Rosthorn und der Lilienfelder Abt Johann Ladislaus Pyrker die Voraussetzung für die erste „Touristenattraktion“ der Ötschergegend: Der eine mit seiner Entdeckung, der andere mit seinem Bemühen, die unzugängliche Schlucht zugänglich zu machen. Mit hölzernen Treppen, Geländern und befestigten Wegen wurde dafür gesorgt, dass auch Ungeübte die Naturschönheit gefahrlos erreichten. Damit man aber auch den eindrucksvollsten Blick auf das Schauspiel genoss, wurde der Besuch richtiggehend inszeniert: Von einem eigens errichteten Pavillon an einem sicheren Standort aus konnten sich die Betrachter dem wohligen Schauer hingeben. Neuer Schauder The latest thrill Senkrechte Felsen, tiefe Abgründe, eisige Gletscher und die allseits lauernden Gefahren: Zur Wahrnehmung der Alpen gehörten Schrecken und Schauder seit gut 200 Jahren dazu. Sie waren von Beginn an ein starker Antrieb, die Alpen zu besuchen … erlebt freilich von Standpunkten aus, die einen ebenso sicheren wie spektakulären Ausblick auf die erhabene Bergwelt gewährten. Um neue Gäste anzuziehen und im Wettstreit von Tourismusdestinationen und Bergbahnbetreibern die Nase vorne zu haben, wird das Spektakel heute durch spektakuläre Aussichtsplattformen oder schwankende Hängebrücken über Schluchten neu erlebbar gemacht. Wer im Geschäft mit dem Nervenkitzel bleiben will, muss immer aufsehenerregendere Attraktionen schaffen. Step into the oid, hamoni , rankreich Step into the Void, Chamonix (FR) ien, A A ictureDesk GmbH, A picturedesk com A AT T Aussichtsplattform Gemmi, eukerbad, Schweiz Gemmi observation platform, Leukerbad (CH) eukerbad Tourismus, Aussichtsplattform Gemmi, eukerbad, Schweiz Dachstein Sk walk, amsau, sterreich Dachstein Skywalk, Ramsau (AT) Dirk otermundt, digital isionen de Aussichtsplattform Glocknerblick, Gastein, sterreich Glocknerblick observation platform, Gastein (AT) Gasteiner ergbahnen AG liff alk, Titlis, Schweiz Cliff Walk, Titlis (CH) ien, A A ictureDesk GmbH, S G T S H picturedesk com A tscher l auf itempera einen, Helmut Ditsch geb , St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [KS-9398] Dreiteiliges tscher anorama Three-part “Ötscher Panorama” Anton Hla cek , Malerei (R), 1906 St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [2517, A686/95] Von der Eröffnung der Westbahn 1858 an hatte es Überlegungen zur Errichtung einer Bahn von St. Pölten nach Mariazell gegeben. Gegen Ende des Jahrhunderts kristallisierte sich immer mehr heraus, welcher Wert einer Alpenbahn zukäme. Ab 1904 fuhr die Mariazellerbahn bis Laubenbachmühle, 1907 wurde die alpine Strecke bis Mariazell eröffnet. Sie führt seither über Brücken, Kehren und durch Tunnels und bringt die Reisenden mit spektakulären Ausblicken auf den Ötscher wie auf die Strecke zum Staunen. Den neuen „panoramatischen“ Blick, den die Alpenbahn eröffnet, gewährt auch das zentrale Bild des Triptychons von Anton Hlav cek. Es wurde zu Ehren des neuen Simplon-Eisenbahntunnels zwischen Italien und der Schweiz für die Weltausstellung 1906 geschaffen. Die seitlichen Flügel loben die Linienführung der damals noch im Bau befindlichen Mariazellerbahn bei Puchenstuben. Tom Saw er am rlaufsee Tom Sawyer at Erlaufsee otografien , um Wien, Alexander Wildzeisz Bergschuhe, Badehose, Taschenfeitel und Rucksack – irgendetwas vergessen? –, und los ging’s! Jahr für Jahr packten die Wildzeisz aus Wien in den 1980er-Jahren ihr Auto, um nach zweieinhalb Stunden (in der Erinnerung des Sohnes Alexander: einer gefühlten Ewigkeit) den Bergbauernhof Lurg in St. Sebastian-Mitterbach zu erreichen. 14 herrliche Urlaubstage warteten auf Alexander, seinen Bruder und die Eltern manchmal war auch die Großmutter dabei. Heute würde man die Unterkunft beim Bergbauern als bescheiden bezeichnen: Zwei oder drei Betten und ein Waschbecken pro Fremdenzimmer, die Mahlzeiten wurden in der Stube eingenommen. Der Rest des Tages war Abenteuer. Elterliche Kontrolle gab’s kaum, die Freiheit begann an der Türschwelle des Bauernhofes: Wenn’s nicht regnete, machte sich eine eingeschworene Schar von Kindern – „hiesige“ und jene der Gäste – auf, um durch den Wald zu streifen, Hütten zu bauen, im Bach zu waten oder bei der Arbeit zu helfen. Ob im Stall oder auf dem Feld: „Zu gefährlich“ gab’s für den gleichmütigen Bauern nicht. Kaum eine Arbeit, bei der die Kinder nicht Hand anlegen durften. Wenn die Eltern alle zwei, drei Tage zu einer Wanderung aufriefen, empfanden Alexander und sein Bruder das als Unterbrechung ihrer großen Freiheit. Doch auch hier betraten sie vertrautes Terrain. Jedes Jahr standen schließlich die gleichen Punkte auf dem Programm: die Bürgeralm, die Ötschergräben, die Gemeindealpe, der Gipfel der Graualm. Am Ziel angekommen, wurde eingekehrt, obligatorisches Belohnungseis inklusive! Vor allem aber, so Alexander, ging’s „ab jetzt wenigstens nur noch bergab“. Es waren die 1980er, Italien lag ein paar Autostunden entfernt. Kaum ein Kind, das das Meer noch nicht gesehen hatte. Ob den Wildzeisz in der Sommerfrische etwas abging? Nein! Der Erlaufsee war ihr Meer, der Wald ihr Abenteuerspielplatz, der Bergbauernhof ihr Zuhause auf Zeit. Jahr für Jahr. Familienurlaub in den 1980er-Jahren Family holidays in the 1980s Schulskikurs, ade Bye-bye, school skiing course! Der fesche Liftwart, die abendliche Disco und morgens das unvermeidliche Erdbeermarmeladenbrot zum Früchtetee. Generationen von Schülerinnen und Schülern aus dem Wiener Raum verknüpfen solche Erinnerungen mit Annaberg – sie haben ihren Schulskikurs in dem kleinen Ort am Fuße des Ötschers verbracht. Heute müssen Schulklassen weiter fahren, denn Schneesicherheit ist hier seit einigen Jahren nicht mehr garantiert. Vorbei die Zeiten, als sich Annaberg, wie der „Illustrierte Führer auf der Niederösterr.steirischen Alpenbahn“ 1908 pries, „in vorzüglicher Weise zur Ausübung des Wintersportes (Skiern, Rodeln, Schlittenfahrten)“ eignete: „Das Klima ist sehr rau. Die mittlere ahrestemperatur C die durchschnittliche jährliche Niederschlagsmenge beträgt 150 cm. Von November bis halben April ist Annaberg in Schnee eingebettet.“ Tatsächlich hatte die Ötscherregion bis in die 1980er-Jahre genügend Schnee, um im Winter vor allem Familien und Schulklassen aus dem nahen Wien anzuziehen. Verantwortlich dafür war das stark kontinental geprägte Pannonische Klima, das bei Südstau an den Ostalpen für große Niederschlagsmengen sorgte. Längst sind die Folgen des Klima- wandels jedoch unübersehbar: Heute braucht es Schneekanonen, um die weiße Pracht aufrechtzuerhalten. In einigen Jahren wird der Wintersporttourismus im Ötscherland dann wohl gänzlich Schnee von gestern gewesen sein. llustrierter ührer auf der ieder sterr steirischen Alpenbahn Illustrated Guide to the Lower-Austrian-Styrian Alpine Railway Line udolf tt, ien Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. interf ustlinge Mittens Wien, Judit Zeller Sou enir H ferl Annaberg mit tscher Souvenir mug “Annaberg and Ötscher” ichwalder orzellanfabrik hmen, um Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde [ÖMV_84347] Sou enirs, Sou enirs Souvenirs, souvenirs! h Scheibbs, Slg. HHH Im Jahr 1936 ließ Glasermeister Rupert Wenninger, wie die Bauakten der Gemeinde Scheibbs vermerken, sein in der Hauptstraße gelegenes Geschäft mit Auslagen versehen. Neben Bilderrahmen, Bildern und Geschirr bot Wenninger auch Souvenirs an, und die galt es herzuzeigen. In den 1920er- und 1930er-Jahren, da Scheibbs seinen Höhepunkt als Touristenort erlebte, war das ein einträgliches Geschäft. Zumal, wenn man, wie Wenninger, den einzigen Souvenirladen in der Stadt betrieb. Von Mai bis Herbst kamen die Gäste zur Sommerfrische, vorwiegend Pensionisten, Singles und Familien. In diesen Monaten gingen zahlreiche Souvenirs über Wenningers Ladentisch. Anfang der 1960er-Jahre steuerten Reisebusse, zum Beispiel aus den Niederlanden, auch Scheibbs an. Doch bald gewannen andere Verkehrsmittel an Bedeutung: Mit dem Flugzeug ging s in die Ferne … und mit dem Souvenirgeschäft bergab. Noch im Laufe der 1960er schloss Glasermeister Wenninger seinen Laden. Sou enir H ferln aus Scheibbs Souvenir mugs from Scheibbs in de, gar nicht d Not so dreary, after all H lfte h Waidhofen/Ybbs, 5e Museum Waidhofen an der Ybbs, „Sammlung des Musealvereins“ Auf 1.012 Metern Seehöhe gelegen, pries sich der an der Via Sacra gelegene Josefsberg in den 1960er-Jahren als „Luftkurort“ an. Offenbar mit Erfolg: In dieser Zeit verzeichnete man im Sommer täglich bis zu 60 Gäste. Im Gasthaus Sabath erinnert man sich noch heute der treuesten unter ihnen, die immer wieder kamen. Etwa des Wiener Ehepaares, das in den 1960er-Jahren seine Flitterwoche in Wienerbruck verbrachte. Zumindest die frisch gebackene Ehefrau schien andere Vorstellungen davon gehabt zu haben. Nachdem man die knapp zehn Kilometer lange Strecke vom Bahnhof nach Josefsberg zu Fuß hinter sich gebracht hatte, stellte sie fest: „In dieser Einöde werde ich höchstens die Hochzeitsnacht verbringen!“ Aus der anfänglichen Ablehnung wurde eine beständige Liebe: In den folgenden 50 Jahren kam das Ehepaar fast jeden Sommer nach Josefsberg. Sommerhut aus Stroh Summer hat made of straw on adeni en, cken und adminton Badminton, bathing nymphs, belle époque Waidhofen/Ybbs, 5e Museum Waidhofen an der Ybbs, „Sammlung des Musealvereins“ [HWY11910/1, HWY11910, HWY1769, 5136, 5185] Der 18. März 1932: ein großer Tag für das kleine Waidhofen. Denn an diesem Freitag im Frühling wurde das neue Strandbad eröffnet. Auch einen passenden Werbespruch hatte man sich ausgedacht: „Sonne, Wasser, Körperkultur, Bringer von Gesundheit und Lebensfreude, Überwinder zermürbender Sorgenlast, ist nicht nur ein Schlagwort der neuen Zeit, sondern echtes, richtiges Naturempfinden.“ Die Waidhofener freuten sich auf das erste Badevergnügen … und dann war der Sommer 1932 total verregnet! Eine einfache Schwimmschule hatte es in Waidhofen schon Ende des . ahrhunderts gegeben. waren Ideen zu einem Neubau auf den Tisch gekommen – selbstverständlich mit Wasser der Ybbs. Es wurde ein gemütliches Bad mit Holzkabinen und ganz im Sinne der damaligen Moralvorstellungen: An der Kassa schieden sich nämlich die Geschlechter. Die Herren gingen auf die eine, die Damen auf die andere Seite. Mit dieser Trennung wollte sich die Männerwelt nicht so recht abfinden: Durch Astlöcher und geschickt gebohrte Öffnungen in der Trennwand versuchte man, die holden Badenixen – unbemerkt vom Bademeister – beim Plätschern zu beobachten. Neben dem Schwimmen, das noch beim Trockentraining an Land, auf einem weichgepolsterten „Bock“, erlernt wurde, übte man sich in anderen sportlichen Disziplinen. Angesagt waren das Federballspiel, Ruderpartien in Mietbooten und Kahnfahrten auf der Ybbs. adehosen aus Strickware Knitted bathing trunks H lfte h Dunkelblauer adeanzug Dark-blue bathing suit H lfte h ederballschl ger mit ederball Badminton racket with shuttlecock H lfte h ine Sommerliebe für die wigkeit A summer love for eternity 1930er-Jahre Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. Ein kleines Anti uariat, in dem sich ein Kistchen findet … und mit ihm eine anrührende Geschichte: In den 1930erJahren war ein damals etwa sechsjähriger Bub auf Sommerfrische im Pielachtal. Dort lernte er ein wenige Jahre älteres Mädchen kennen. Sie spielten miteinander – in besagtem Sommer, im Sommer darauf, und in den folgenden Sommern, die der Bub und seine Familie stets am selben Ort verbrachten. Es kam, wie es so oft kommt: Der Bub verliebte sich in seine Spielgefährtin. Dann brach der Krieg los, und im Zuge der Ereignisse verloren sich die beiden aus den Augen. Doch der Junge hatte alles gesammelt, was ihn an das Mächen erinnerte – ein Riechfläschen, eine Haarlocke, ein Andenken von Mariazell und vieles mehr –, und verwahrte es in einem alten Kistchen auf. Früher, zu Kaisers Zeiten, hatte man so etwas für den Postversand verwendet. Die Jahre vergingen, und wie es das Schicksal so wollte, trafen der Junge und das Mädchen, beide längst erwachsen, einander zufällig in Wien wieder. Sie verliebten sich neuerlich ineinander und heirateten. Doch der Geschichte war kein Happy End beschieden: Einige Jahre nach der Hochzeit starb die Frau. rinnerungen an die ugendliebe Memories of young love Stiefelknecht auf Sommerfrische No summer holiday without the bootjack Anfang h Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. Ein faltbarer Stiefelknecht war in der ersten Hälfte des . ahrhunderts im ländlich geprägten bbstal eine durchaus extravagante Erscheinung. Er gehörte einem Gast, der Jahr für Jahr auf Sommerfrische kam und dabei seinen Stiefelknecht stets mitführte. Was für ihn praktisch, galt den Gastgebern als überaus vornehm. Im Laufe der Jahre wurde der unscheinbare Stiefelknecht den Kindern der Familie zum Symbol des Aufbruchs ins Ybbstaler Sommerdomizil. Bis 1977 blieb die Familie – nun schon in zweiter Generation – ihrem traditionellen Urlaubsziel treu. Der faltbare Stiefelknecht verkam immer mehr zu einem Spielzeug der Enkel seines einstigen Besitzers – und die Sommerfrische kam aus der Mode. altbarer Stiefelknecht Folding bootjack undstücke der Sehnsucht Treasure trove of yearning um 1935 Amstetten, Privatarchiv RANDLOS media & kultur werkstatt, Gerhard Proksch „So lange ich lebe, lieb ich dich / Und wenn ich sterbe, bet für mich. / Und kommst du nicht zu meinem Grab, / so denk, wie ich dich geliebt hab.“ Diese kurze Strophe ist Teil eines langen Liebesgedichtes. Und das fand sich in einem handgeschriebenen Notizblock, der einem Antiquar und Heimatforscher auf dem Dachboden eines Hauses in Kirchberg an der Pielach in die Hände fiel. Darin auch ein gezeichneter Frauenkopf. Nur lückenhaft lässt sich die Geschichte, die hinter dem Dachbodenfund steht, rekonstruieren. Gedicht und Zeichnung sollen – so viel weiß man – von einem Sommerfrischegast stammen, der sich Mitte der 1930er-Jahre in eine Pielachtalerin verliebte. Dann kam der Krieg. Geblieben sind nur die Zeichnung und die Gedichte. Gedicht und Zeichnung Poem and drawing in gewisser Herr aus ussland A certain gentleman from Russia In den Weihnachtsferien des Jahres 1992 hatte Zimmervermieterin Rosa Krenn prominente Gäste: Vom 27. Dezember bis zum . änner machte der damalige Vizebürgermeister von St. Petersburg mit seiner Familie Winterurlaub in Göstling an der Ybbs. Ein Wiener Baufachmann, der sich in Russland engagierte, hatte den russischen Politiker ins Ötscherland vermittelt. Jahre später sollte Rosa Krenn ihren Gast in den TV-Nachrichten wiedersehen: Boris Jelzin hatte ihn zum Ministerpräsidenten Russlands ernannt. Es war Wladimir Putin. Die Fremdenzimmer von Rosa Krenn kannten keinen Luxus: Dusche im Zimmer, Toilette am Gang. „Den Herrn aus Russland hat’s überhaupt nicht gestört“, erinnert sie sich. Da die Anwesenheit des St. Petersburger Vizebürgermeisters auch offiziellen Stellen nicht verborgen blieb, trafen die lokalen politischen Granden – der damalige Bürgermeister Viktor Gusel und sein Stellvertreter Ernst Zettl – bei einem Abendessen im örtlichen Gasthaus mit Wladimir Putin zusammen. Dieser soll, so erzählt man sich, keinen Wodka getrunken, zur Mahlzeit – es gab gebackene Scholle und Saumaisen – aber ein paar Seidel Bier und einige Glaserln „Kalterer See“ zu sich genommen haben. Zur Erinnerung an den Besuch schenkte Putin dem Göstlinger Bürgermeister ein Set aus Kaffeetasse samt Untertasse und Dessertteller. Gästeblatt der Familie Putin The Putin family’s registration form Göstling/Ybbs, Fam. Margarete Aflenzer Geschenk on utin ein Kaffeeset Coffee set, a present from Putin Göstling/Ybbs, Familie Gusel Handgeschriebener Zettel on utin Handwritten note by Putin Göstling/Ybbs, Familie Gusel amilie utin mit ürgermeister iktor Gusel li und izebürgermeister rnst Zettl re The Putin family with mayor Viktor Gusel (left) and deputy mayor Ernst Zettl (right) otografie Göstling/Ybbs, Marktgemeinde Göstling aturparadies für Stadtkinder Nature paradise for city kids otografien , er ahre Hollabrunn, Manfred Schretzmayr Ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter: Alljährlich kehrte Familie Schretzmayr ihrer Heimatstadt Hollabrunn für ein paar Wochen den Rücken, um sich in ein Häuschen in bbsitz zurückzuziehen. Dort pflog man das einfache Landleben. Dass das von einem Bauern gemietete Häuschen familienintern als „Hütte“ bezeichnet wurde, kam nicht von ungefähr: Es stand mitten auf einer Wiese, hatte keinen Strom, und Fernseher gab’s natürlich auch nicht. Zur Not konnte man zum nahen Bauernhof ausweichen: „Als Lady Diana und Prinz Charles heirateten, durften wir das im Schlafzimmer des Bauern und der Bäuerin mitverfolgen“, erzählt Tochter Birgit. Den Stadtkindern ging also nichts ab, im Gegenteil: „Für uns war das ein Naturparadies!“ Im Sommer wurde im Fluss gebadet, im Frühling und Herbst gewandert, und im Winter machten die Kinder auf der Wiese vor dem Häuschen ihre ersten Versuche auf Skiern. Ab und zu halfen sie auch bei der Arbeit, wenngleich der Bauer ihnen ein wenig Angst einflößte. „Wenn wir etwas falsch machten, konnte er richtig lospoltern. Da war schnell klar, wer der Chef ist!“ Am meisten Eindruck hinterließen aber offenbar die Essensgewohnheiten, erinnern sich doch die längst erwachsenen Kinder der Familie noch heute an Folgendes: „Nach dem Essen hat der Bauer das Besteck abgeschleckt und in die Lade unter der Tischplatte gelegt … für die nächsten Gäste! Abwaschen gab’s bei den Bauern nicht!“ Gästebuch aus dem Sommerhäuschen Guestbook from the summer house Familienurlaub in den 1970er-Jahren Family holidays in the 1970s Schlagerstar im ischerboot Schlager star in a fishing boat In den 1970er-Jahren war er ein Star: Peter Alexander. Neben der Musik hatte er eine zweite Leidenschaft: das Angeln. Der Lunzer See hatte es ihm besonders angetan, konnte er dort doch unbemerkt seinem Hobby frönen – wohl mit ein Grund, dass der Schlagerstar und Entertainer nach Lunz am See auf Urlaub fuhr. Er stieg in der Frühstückspension von Karl und Cilli Mayr ab. Obgleich das Haus direkt am See lag und über einen privaten Seezugang verfügte, entdeckten den Schlagerstar manchmal begeisterte Fans. „Dann umruderten sie Peter Alexanders Fischerboot in der Mitte des Lunzer Sees und sangen seine bekanntesten Schlager“, erzählt Barbara Eigner aus Lunz, Enkelin der Gastgeber Mayr. Ihre beiden Onkel, damals junge Burschen, durften den Star immer wieder einmal auf den Fischfang begleiten … als Ruderer wohlgemerkt. „Und ich trällerte ab und zu mit ihm das Lied ,Die süßesten Früchte‘!“ An noch etwas erinnert sich die Lunzerin gern: „Der Privatmensch Peter Alexander war einfach, großartig und unterhaltsam. Nach dem Fischen klagte er immer über kalte Füße. Während er an Omas Küchentisch genussvoll eine der frisch gefangenen Forellen verspeiste, wärmte er sich seine Füße in einem Fußbad auf!“ ostkarten on unz am See Postcards of Lunz am See H lfte h Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. Schallplatte on nkel eter Gramophone record by “Uncle Peter” Peter Alexander, um 1966 Lunz am See, Barbara Eigner riedrich engauer und eter Ale ander, flankiert von Karl und Cilli Mayr Friedrich Lengauer and Peter Ale ander, flanked by Karl and Cilli Mayr otografie , Lunz am See, Barbara Eigner Stelldichein der Städter Rendezvous for townsfolk Um 1900 Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. Gerade erst war die Mariazellerbahn elektrifiziert worden, und schon brachte sie Gäste: Ab 1910 gesellten sich auch vornehme Städter in die Region. Manch einer wird wohl durch die Broschüre „Niederösterreich. Sommer frische, Kurorte und Höhenstationen“ von 1910 zum Besuch angeregt worden sein. Wienerbruck, heißt es dort, sei in „herrlicher Lage der geeignetste Ausgangspunkt zur Besteigung des Ötschers durch die wildromantischen Ötschergräben und für die Partie über den Lassingfall durch die Tormäuer nach Gamming“. Laut Statistik sollen 1909 200 Sommerfrischler und 4.000 sogenannte Passanten – also Durchreisende – nach Wienerbruck gekommen sein. Mit dem Hotel Lassingfall von Karl Burger fanden sie dort ein stattliches Haus vor. Es hatte 50 Zimmer und auch sonst einiges zu bieten: Wannenbäder, elegante Speisesäle, eine offene Veranda, Garten, eine gedeckte Kegelbahn dazu standen Boote für Kahnfahrten im Lassing-Stauweiher zur Verfügung. ine Sommerfrische auf dem and Summer escape to the country rash am tscher Crash on the Ötscher Aluminium, vor 1938 Lackenhof, Bergrettung Niederösterreich / Wien, Ortsstelle Lackenhof Am . August startete ein Kleinflugzeug des Typs Do 17E bei unwirtlichen Bedingungen von Wiener Neustadt aus in Richtung Berlin. Das Flugzeug zerschellte an den Nordhängen des Großen Ötschers, die Insassen starben. Angesichts der Absturzstelle gestaltete sich die Bergung der Maschine schwierig. Erst 70 Jahre später wurden deren letzte Überreste ins Tal gebracht – bei einer Einsatzübung für die Bergretter der Ortsstelle Lackenhof. Sie stiegen am 16. Oktober 2008 auf. Die Übungsannahme: Bergung von Verunfallten nach einem Flugzeugabsturz in der Fürstenplan, einer der Steilrinnen des Ötschers. Ein Nebenziel: ein Zeichen für saubere Alpen zu setzen. So holten die Bergretter rund Kilogramm Schrott, großteils Motorenteile, vom Berg und entsorgten ihn fachgerecht. Das Wrackteil bewahrte man zur Erinnerung an das Unglück von 1938 auf. lugzeugteil des abgestürzten Kleinflugzeuges Piece of the crashed plane in rechtes Spektakel für die G ste What a spectacle for the guests! Waidhofen an der Ybbs, Stadtarchiv / Museum / Stadtbücherei Waidhofen an der Ybbs – ein sommerlicher Hotspot der Belle Époque? Ja, schenkt man den allwöchentlich erscheinenden Fremdenlisten Glauben, die Auskunft darüber gaben, welche Gäste gerade eingetroffen waren. Um 1910 entwickelte sich Waidhofen zum Sommerfrischeort, in dem auch vornehme Herrschaften und bedeutende Persönlichkeiten verkehrten. Nicht weniger als acht Züge täglich karrten in der Hochsaison die Besucher heran: Minister, Bankiers und Industrielle … Sie alle verbrachten ihren Sommer hier, ob mit oder ohne Familie. Die Damen nahmen bisweilen auch ihre Dienst- oder Kindermädchen mit. Die vornehme Gesellschaft belebte das Geschäft in der Stadt und sorgte für eine Erweiterung des Angebots, nicht nur an Waren: Zur Unterhaltung der verwöhnten Gäste bildete sich in Waidhofen bald ein reiches Kulturprogramm mit Konzerten, Theateraufführungen und Vorträgen heraus. Die ortsansässigen Bürger engagierten sich rührig für die Fremden: Im Rahmen des Waidhofener Casinovereins – in Casinos widmete sich das Bürgertum damals der gemeinsamen Freizeitgestaltung, aber auch der Verbesserung des Lebensumfeldes – wurden Kulturveranstaltungen orga- nisiert. Sogar einen „Gästechor“ soll es gegeben haben. Er war vermutlich ein Teil des Waidhofener Männerchors und bot Programme für die vornehmen Sommerfrischler dar. In der Zeit des „Ständestaates“ und während des Nationalsozialismus wurde die Unterhaltung der Gäste zum Teil von Gastspieltruppen übernommen. rogrammheft Die Spielzeit Theatre programme “Season 1937–38” sterreichische nderbühne, Sommerfrische aidhofen a d bbs Summer resort of Waidhofen an der Ybbs ohnungsliste der Sommerfrische aidhofen a d bbs und mgebung List of residences in the summer resort of Waidhofen and der Ybbs and environs 1905 remdenliste der Sommerfrische aidhofen a d bbs und mgebung List of guests in the summer resort of Waidhofen a. d. Ybbs and environs August rogrammankünder des stm rkischen Bauerntheaters Programme announcement of the Ostmärkisch (i.e. Austrian) Country Folk Theatre Waidhofen an der Ybbs, Stadtarchiv / Museum / Stadtbücherei in ett, ein Stuhl, ein Schrank A bed, a chair, a wardrobe riedrich inger Über die Sommerfrische berühmter, vornehmer und bisweilen auch eitler Personen geben Fotografien, literarische Quellen und Briefwechsel in Fülle Auskunft. Auch die Geschichte großer Hotels und nobler Unterkünfte, etwa auf dem Semmering, ist bestens dokumentiert. Gewissermaßen ein weißer Fleck diesbezüglich ist die Sommerfrische des einfachen Volkes. Umso bedeutsamer erweist sich eine Entdeckung wie jene des Skizzenbuches von Schulrat Friedrich Finger, von dem wir kaum mehr wissen als seine Lebensdaten. Mit Papier, Tusche und Zeichenstiften hielt der Schulrat jene Fremdenzimmer fest, die ihm zwischen 1928 und 1970 in ganz Österreich als Urlaubsunterkünfte gedient hatten. Skizzenbuch bis Sketchbook 1928 to 1960 Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde [ÖMV/86843] Skizzenbuch bis Sketchbook 1962 to 1970 Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde [ÖMV/86844] Durchgebl ttert Skizzenbuch des Schulrates riedrich inger Browsing through the sketchbook of the school inspector Friedrich Finger Film, 2015 Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde, Aufnahme: Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. Tourismusprospekte der tscher egion aus den er bis er Jahren Tourism brochures of the Ötscher region from the 1950s to the 1970s Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde [NÖ das Land um Wien Winter 01, Land um Wien NÖ Austria 01, ÖMV Bib./17.595/b, ÖMV Bib./17.595/g, Reliefbildkarte NÖ 01] rinnerungsbuch für eisende auf den etscher, Remembrance Book for Ötscher Climbers, 1815–1876 St. Pölten, Niederösterreichisches Landesarchiv [HS StA 1410] Vordergründig ein Hüttenbuch, wie es viele gibt. Bei genauem Hinsehen birgt es indes eine kleine Sensation: Auf der ersten Seite findet sich ein Eintrag des berühmten biedermeierlichen Wanderers Joseph Kyselak (1799–1831), eines „Vorfahren“ der Graffiti-Sprayer. In ganz Österreich hinterließ er auf Brückenpfeilern, Ruinen und Felswänden seinen hingepinselten Namen. Am Ötscher geschah ihm dabei ein Missgeschick: „Da mein Farbentopf zerbrach, so erfolgt meine Verewigung hierorts Im J 1812“ – interessanterweise drei Jahre vor Anlage des Buches! Hinterlegt war dieses sehr frühe Beispiel eines Hüttenbuches im Gasthof Spielbichler, einer einfachen Touristenunterkunft in den hintersten Ötschergräben. Angelegt von Lorenz Spielbichler, sind die Seiten des „Erinnerungsbuches“ bis zum Schluss mit Einträgen gefüllt. Gleich 1815 trugen sich „Ludwig Zipf, Daniel Müller aus Oedenburg in Ungarn“ ein. Wenig später erfährt man: „Joseph Ign. Scheibappel besuchte mit Johann Nährdich Bürger in Markt Herzogenburg den Oetscher am 11. July 1819. Sie trafen hier ein vor der Rückreise Nachts um ½ 1 Uhr“. Hotelgast Alfred Horn, ien Hotel guest Alfred Horn, Vienna einhard inke im Gespr ch mit Alfred Horn Reinhard Linke Seit – nunmehr also bereits mehr als ahre – kommen der Wiener Alfred Horn und seine Frau mit ihrem Hund zu jeder Jahreszeit in das Alpenhotel Gösing. elcher lick auf den tscher ist der beste? Which view of the Ötscher is the best? St. Pölten, Niederösterreichische Landesbibliothek, Topographische Sammlung, Schnitt: Reinhold Linke/ Sandra Herold Berühmte Berge wurden im Laufe der Zeit richtiggehend zu Markenzeichen. Daran haben nicht zuletzt der Tourismus und die Werbung erheblichen Anteil: Bis heute wirken Landschaftspunkte aus der Frühzeit des Tourismus im . und beginnenden . ahrhundert nach, von denen aus man die „schönen Alpen“ betrachten sollte. Wenn ein Berg aus dem immergleichen Blickwinkel abgebildet wird, prägt sich das Bild so stark ins Gedächtnis ein, dass es nur noch die eine Sichtweise gibt. So erscheint das Matterhorn nur von Zermatt aus gesehen „richtig“ – der Blick von der italienischen Seite ist indes völlig unbekannt. Auch die Drei Zinnen in den Sextner Dolomiten erkennt von Süden her kaum jemand. Vom Ötscher existiert dagegen noch keine eindeutig „richtige“ Sicht. Oder doch? Das Alpenhotel G sing Gösing Alpine Hotel Gösing, Alpenhotel Gösing Die Geschichte des Alpenhotels Gösing begann mit dem Bau der Mariazellerbahn: Im ersten an dieser Stelle errichteten Gebäudeteil quartierte man Bauingenieure ein. Noch während des Bahnbaus erwarben Josef Wittmann, Oberrevident der Landesbahnen, und Baukommissär Julius Albrecht Wirtshaus und Bauerngut Gösing, um ein Hotel zu errichten. 1911 übernahm der Wiener Holzindustrielle Sigmund Glesinger das Gut samt dem Hotel. Nach einem großen Umbau 1922 und einer Erweiterung 1923 konnte sich das nunmehrige Alpenhotel Gösing sehen lassen: Die Gäste erwarteten 90 Zimmer, Schwimmbad, Tennisplatz, im Winter Skihänge, eine Schanze und eine Rodelbahn. In den folgenden Jahren wurde das Hotel zu einer wichtigen Institution für den Tourismus und zu einem bedeutenden Arbeitgeber. Dessen ungeachtet, kam es bereits in den 1920ern zu antisemitischen Äußerungen gegen die jüdischen Eigentümer. Mit dem „Anschluss“ Österreichs 1938 wurde die Situation zur realen Bedrohung. Familie Glesinger gelang es zwar, rechtzeitig zu fliehen. Zuvor wurde ihr Betrieb aber noch enteignet und das Vermögen eingezogen. Das Alpenhotel ging an Lily von Epenstein, die Patentante Hermann Görings. Als sie 1939 starb, wurde das Hotel zum Erholungsheim der Luftwaffe, ab 1941 zum Lazarett. 1952 bekam Edith Fischl, Glesingers Tochter, das Hotel rückerstattet. Sie verkaufte es 1955. Wechselvolle Jahre folgten, ehe 2007 Familie Feistl das Alpenhotel Gösing übernahm. Heute ist es eines der führenden Häuser der Region. Neben vielem anderen wird Gästen auch die Möglichkeit geboten, mit einem Berufsjäger auf die Pirsch zu gehen! Aus dem Alpenhotel G sing From the Alpenhotel Gösing Gösing, Alpenhotel Gösing ichtrauchert felchen Non-smoking sign ntersetzer mit Moti en aus G sing Coaster with Gösing motifs um 1950 Gästebuch 1961–2007 Guestbook 1961–2007 Aufgeschlagen intragung des Skifahrers ranz Klammer, 11. November 1984 Gästebuch 1961–1993 Guestbook 1961–1993 Aufgeschlagen esuch on Schah Mohammad und Schahbanu Farah Pahlavi, 26. Jänner 1964 G stebuch agdg ste Guestbook: hunting guests 1976–2007 eza ahla i KAPITEL 06 STERNGUCKER STARGAZERS Sternenhimmel über dem Ötscherland Starry sky over the Ötscher region © Franz Klauser, 2014 und 2015 Mitteleuropa und die Alpen bei Nacht Central Europe and the Alps at night (R) © NASA Blick auf Mitteleuropa mit den hell erleuchteten Metropolen: In der Mitte erglimmt die Lombardei mit ihrer immensen Lichtverschmutzung. Westlich und nördlich davon erstreckt sich der dunkle Alpenbogen mit seinen feingliedrig erscheinenden beleuchteten Tälern. Ganz im Osten liegt Budapest. Die beiden Lichtflecken nordwestlich davon sind Bratislava und Wien. Von hier zieht sich als Lichtstreifen die Verbindung über den Semmering in den Süden. Im Norden davon liegt einiges im Dunkel: Es ist das alpine Gebiet rund um den Ötscher. KAPITEL 07 PILGEREI PILGRIMS’ PROGRESS Wirtshausschild Inn sign Wirtshaus in Josefsberg, Anfang 1920er-Jahre Mitterbach, Wirtshaus am Berg / Inhaber Karl Sabath Entlang stark frequentierter Pilgerwege entstanden Kapellen, Bildstöcke, Marterln … und damit sogenannte Sakrallandschaften. Auch im Bereich Annaberg, Joachimsberg und Josefsberg war dies der Fall. Da die Pilger auch handfester Nahrung und einer Bettstatt bedurften, fanden sie hier schon früh Wirtshäuser und Herbergen vor. Bereits 1536 erwähnte das Lilienfelder Stiftsurbar ein „Haus am Saw Ruessl“ im heutigen Josefsberg. 1764 als „Baur und Würth an Josephsberg“ bezeichnet, wurde daraus später der „Gasthof Sabath“. Pilgerzug Pilgrimage (R), 19. Jh. St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [109, 183, 180, 111] „Man muss wissen, wie die armen Leute oft nur mit wenigen Groschen im Sacke die lange Reise beginnen, wie sie dann manche Nacht in den Bergen, wo es kühl ist, auf Bänken, auf dem Stroh, oft sogar im Freien zubringen, nur Brot essen. Man muss sie sehen, wenn sie bei Regen und Hitze gewandert sind und von der Wallfahrt zurückkehren, wie erbärmlich sie aussehen; man muss sich überzeugen, wie viele schon auf der Straße krank werden, und man wird sagen, die Frömmigkeit darf nicht über die Sorge für sich selbst die Oberhand gewinnen“, so der Dichter Ignaz Franz Castelli 1857. Er musste es wissen: An seinem Haus in Lilienfeld sollen sommers um die 200.000 Mariazell-Pilger vorbeigezogen sein … Pilgerzug nach Annaberg Pilgrimage to Annaberg Franz Kutschera Straße nach Annaberg Road to Annaberg Anonym Pilger ziehen durch Annaberg Pilgrimage through Annaberg Ludwig Mohn Pilger in Annaberg Pilgrims in Annaberg Bonaventura De Ben Annaberg Annaberg Stich, teils koloriert, 18./19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Wenige Jahre nach der Gründung des Stiftes Lilienfeld entsandte der Abt 1217 einige Patres aus, in der Wildnis, „der Tannberg genannt“, Land nutzbar zu machen. Um dem täglichen Gebet entsprechend nachgehen zu können, errichteten sie eine Holzkapelle und widmeten sie der heiligen Anna. An diesem Ort, so berichten die lokalen Mirakelbücher, hätten sich von der Gründung der ersten Kapelle an Wunder zugetragen. Andachtsbildchen vom Annaberg Devotional images of Annaberg teils kolorierte Stiche, Prägedruck, 18./19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Aus dem Bedürfnis heraus, Andachtsbilder – etwa als Einlegezettel im Gebetbuch – mit sich tragen zu können, entstanden im 14. Jahrhundert kleinformatige Varianten. Vorne findet sich meist eine Heiligendarstellung oder das Gnadenbild, auf der Rückseite ein Gebet. Ursprünglich dienten Andachtsbildchen der symbolischen Vergegenwärtigung einer heiligen Person. Doch allmählich wurde dem Bild selbst zugetraut, Wunder zu vollbringen. Bald entwickelte sich ein reger Handel damit. In den „Betenläden“ um die Kirche wurden sie neben Rosenkränzen und anderen Devotionalien verkauft. Für den „Betkramer“ war das ein gutes Geschäft: Im 19. Jahrhundert kosteten ihn 100 Stück fünf Kreuzer. Nachdem die Bildchen in der Kirche geweiht oder mit einer Reliquie in Berührung gebracht worden waren, verkaufte er sie um drei Kreuzer … pro Stück! Drei Annabildchen Three images of Saint Anne Lithografien, 1890–1960 Annaberg, Kath. Pfarre Annaberg Gnadenbild Miraculous image St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [22748] ünf nger Andachtsbild aus Annaberg Five-finger devotional image from Annaberg Stich, 18. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Eine besondere Form des Andachtsbildchens aus Annaberg: Auf dem Daumen betet ein Mann ringend zu Gott. Der Zeigefinger ist einer stehenden Person gewidmet, auf die der Heilige Geist herabsteigt. Auf dem Mittelfinger blickt ein Mann, ein Sündenverzeichnis in Händen, zum Weltenrichter Christus auf. Vor einem Kruzifi schlägt sich am Ringfinger ein Mann auf die Brust. Und am kleinen Finger schwingt ein Ritter sein Schwert gegen einen Drachen. Reliquienkästchen mit Annahand Reliquary with Saint Anne’s hand 18. Jh. Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde [ÖMV_49136] Die heilige Anna, Mutter Mariens, gilt als Beschützerin der Armen und Benachteiligten. Um ihre angeblich unverwesbare Hand bildete sich in Mitteleuropa ein Kult aus: Von der in Wien aufbewahrten Annahand-Reliquie fertigte man Nachbildungen als Andachtsbildchen oder in Wachs an. Annahände in kunstvollen Kästen sind oft mit vergoldetem und versilbertem Draht, farbigen Glassteinen und Metallfolien verziert. Solche „schönen Arbeiten“ wurden im . ahrhundert in Frauenklöstern gefertigt. Im Innern der Kirche von Annaberg Interior of the Annaberg church Fotografie (R), Heinrich Schuhmann, 19. Jh. St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [293] 1660 bekam Annaberg über Vermittlung Eleonoras, der Witwe Kaiser Ferdinands II., eine besondere Reliquie zuerkannt: ein Stück der „Ehrwürdigen Hirn-Schaale der Heiligen Anna“. Seit dem Umbau des Altarraums 1757 ließen sich über eine hinter dem Altar angebrachte Leiter die Gewänder des Gnadenbildes von hinten wechseln. Großer Beliebtheit bei den Pilgern erfreute sich der Brauch, über die „Hendlstiege“ zur Anna-Selbdritt-Gruppe Jakob Kaschauers von 1440 hochzusteigen und Anna eine Bitte ins Ohr zu flüstern. Der Ameisler Ameisler, collector of ant eggs Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde [ÖMV/60565, 60566, 60671] Er war der letzte „Oaler“ von Lackenhof: Ernst Scheitz. Bis in die 1970er, als das Gewerbe spät, aber doch auch im Gebiet um den Ötscher ausstarb, verwendete er das ausgestellte Gerät: etwa die von einem Kugelofen stammende Kachel zum Einsammeln des „Oalpechs“. Seine Blütezeit hatte der Beruf des Ameislers ein Jahrhundert zuvor erlebt: In den Städten war es modern, sich Singvögel zu halten. Und deren Futter wurde durch Ameisenpuppen aufgebessert. Um 1850 konnte ein Ameisler im Ötschergebiet auf mehr als 1.000 Liter jährlich kommen! Jede zweite bis dritte Woche wurde geerntet. Dafür öffnete er den Ameisenhaufen, entnahm mit der „Ãumaskrål“ Material und siebte es grob aus. Der Rest kam auf ein Tuch. Die Ameisen brachten nun ihre Puppen unter den Tuchrändern in Sicherheit, von wo sie der Ameisler leicht entnehmen konnte. Zurück blieben mit Ameisensäure imprägnierte Fichtenund Tannenharzstücke. Dieses „Oalpech“, das als Räuchermittel erregende Wirkung hatte, diente als Weihrauchersatz. Sammelgefäß aus Ofenkachel Receptacle made of a stove tile Weihrauchersatz „Oalpech“ Oalpech, a substitute for incense Holzhaue zum Ausräumen der Ameiseneier Wooden hoe for e tracting ant eggs from the anthill Alter Wallfahrerweg auf den Josefsberg Old pilgrimage route onto Josefsberg Öl auf Hartfaserplatte, Josef Tobner, 19. Jh. St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [KS-1613] Auf dem Pilgerweg On pilgrimage Aus allen Himmelsrichtungen strömten die Pilger ihrem Ziel, Mariazell, zu. Im Laufe der Jahrhunderte wurden aus einzelnen Wegen und Straßen „Wallfahrtsrouten“. Deren älteste und am häufigsten begangene ist die später „Via Sacra“ genannte Strecke von Wien nach Mariazell, vorbei an den Klöstern Heiligenkreuz und Lilienfeld. Die Wege waren gesäumt von Erinnerungszeichen des Glaubens – Wegkreuzen, Bildstöcken, Kapellen –, erlebten aber auch so manchen Aberglauben. So gelten etwa das Luckerte Kreuz bei Mariazell oder das Kreuz über dem Halltal mit seinem gemauerten Bogen als „Heiratskreuze“: Wurde der Bogen von einem Mädchen durchschritten, sollte sein Wunsch nach einem Mann, so die Legende, bald in Erfüllung gehen. Pilgern – Kreuz am Weg Cross along the pilgrims’ path Fotografie (R), Richard Kurt Donin, 19. Jh. St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [17585] Wallfahrer auf der Rast im Wienerwald Pilgrims take a rest in the Vienna Woods um 1840 Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde [ÖMV/43829] Reisealtärchen und Reisemadonna in Kapsel Travel altar and Madonna in a capsule h Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus [VKH 9150 (V 810), VKH 10055, VKH 9142] Antike Devotionalien und Votivgaben Antique memorabilia and votive offerings St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [VO:AMC, 6391, 6245, T433, 22624/23, 2 o. Inv. Nr., 12105, 12109] Mit der Wallfahrt blühte auch der Handel. Zuhauf wurden Devotionalien und Votivgaben an die Pilger gebracht. Ob zum Schutz getragene Amulette, Devotionalien als geweihte Erinnerungszeichen oder Votivgaben, die man am Gnadenort deponiert: Christliche Praktiken haben ihre Wurzeln oft in antiken Traditionen. Das Leben der Römer war von kultischen Handlungen und traditionellen Riten geprägt. Das Verhältnis zwischen Mensch und Göttern beruhte auf gegenseitigen Verpflichtungen: Die Menschen stifteten Weihedenkmäler oder kleine Opfergaben, die Götter gaben Schutz vor allem Bösen. Zeugnisse dafür fand man auch bei Ausgrabungen in Carnuntum: Etwa Terrakottastatuen einer Muttergottheit – die eine vom Typ „Mater Nutri “, die in jedem Arm ein Wickelkind hält und ihm die Brust gibt, die andere mit komplizierter Hochsteckfrisur, möglicherweise als Votivgabe in Carnuntum deponiert. Oder das Amulett mit Phallus und Fica, das Kindern zur Abwehr des bösen Blicks umgehängt wurde. 1 Terrakottastatue einer Muttergottheit Terracotta statue of a mother goddess Mitte 2. Jh. 2 Terrakottabüste der Ceres oder einer Muttergottheit Terracotta bust of Ceres or a mother goddess 3. Jh. 3 Terrakottabüste einer Muttergottheit mit komplizierter Hochsteckfrisur Terracotta statue of a mother goddess with e travagant, pinned-up hairstyle 2. Jh. 4 Bleivotiv der Diana mit zwei Hirschkühen Votive offering: Artemis with two does (lead) 2./3. Jh. 5 Bleivotiv Venus und Amor Votive offering: Venus and Cupid (lead) 2./3. Jh. 6 Bleivotiv einer thronenden Göttin Votive offering: enthroned goddess (lead) 2./3. Jh. 7 Bleivotiv in Spiegelform Mirror-shaped votive offering (lead) 2./3. Jh. 8 Amulett mit Phallus und Fica Amulet showing Phallus and fig sign 2./3. Jh. 9 Amulett mit männlichem Genital Amulet showing male genital 2./3. Jh. Zinn guren on ilgern Pewter figures of pilgrims 20. Jh. München, Alpines Museum des Deutschen Alpenvereins Pilgerzüge sind ein feierliches Ritual des Unterwegsseins in der Gemeinschaft. Zumindest seit dem 13. Jahrhundert spielt die Wallfahrt nach Mariazell eine bedeutende Rolle. 1692 wurde von einer Pilgerreise von 11.200 Personen berichtet, 1857 begaben sich bei der Wallfahrt der Ungarn gar 30.000 Menschen auf den Weg. Wenn sich die Wallfahrer gegen die trockene Kehle und den erhitzten Körper mit dem kalten Wasser labten, das überall sprudelte, konnte es geschehen, dass sie „den Tod mittranken“. Silberherzen als Ofergabe an roter Kordel Offering: silver hearts on a red cord Versilberte Bronze, 1856–1872 Annaberg, Kath. Pfarre Annaberg Dem Silber wurde nachgesagt, dass es Dämonen und Krankheiten abwehre. Silberne Opfergaben waren in Annaberg besonders beliebt. Häufig handelte es sich um sogenannte Identifikationsopfer: Arme, Beine, Bäuche oder Herzen verwiesen auf das Anliegen des Hilfesuchenden – meist waren es Krankheiten des betreffenden Körperteiles. Mit dem Zeichen des Herzens sprachen die Gläubigen häufig seelische Schmerzen an. Oft wurden die in der Kirche dargebrachten Silbervotive zu verschiedenem kirchlichen Gerät weiterverarbeitet. Schutz vor den „Fraisen“ Protection against convulsions and eclampsia Unter dem Begriff „Fraisen“ fasste die Volksmedizin ein Krankheitssymptom mit verschiedenen Ursachen zusammen: Krampfanfälle bei Kindern oder Eklampsie, eine mit Krämpfen einhergehende Erkrankung Schwangerer. Da man die Gründe dafür nicht kannte, vertraute man auf Devotionalien und Amulette. Insbesondere Fraisenketten boten – mit Universalamuletten von meist ungerader Zahl – Schutz. Durch die Vielzahl der Einzelteile hoffte man, zumindest gegen eine der möglichen Krankheiten Hilfe zu finden. Fraisenschlüssel Key for “unlocking” convulsions 18./19. Jh Scheibbs, Slg. HHH Rosenkranz – „Fraisbeten“ Rosary against convulsions 19. Jh. Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus [VKH 5002 (V 3494)] Andachtsbildchen vom Joachimsberg Devotional images of Joachimsberg 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH / St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung [2795] Der Joachimsberg gilt zusammen mit dem Anna- und dem Josefsberg als einer der drei heiligen Berge an der Via Sacra, dem Pilgerweg von Wien nach Mariazell. Zwischen 1652 und 1685 wurde auf der Erhebung, die zuvor einen anderen Namen trug, ein Kirchlein errichtet und dem heiligen Joachim geweiht. Anna und Joachim, dessen Gedenktag von den Katholiken am 26. Juli begangen wird, waren die Eltern Marias und damit Jesu Großeltern. Andachtsbildchen vom Josefsberg Devotional images of Josefsberg 18./19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Der heilige Josef, Ziehvater von Jesus, war einer der habsburgischen Hausheiligen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Maria Theresia den Anstoß gab, Josefsberg zunächst zur Kuratie und später zur Pfarre zu erheben. Bereits seit 1536 ist indes auf dem „Saw Ruessl“ eine Gaststätte für Wallfahrer, das heutige Gasthaus Sabath, bezeugt. 1644 errichtete man das Josefskirchlein. Als Zimmermann ist der heilige Josef, dessen Gedenktag auf den 19. März fällt, vor allem fürs Praktische zuständig. Votivbilder – „Briefe zum Himmel“ Votive paintings – “letters to the saints” Jeweils Öl auf Leinwand, 19. Jh. Mariazell, Schatzkammern der Basilika Mariazell [VB A 416, VB A 81, VB A 118, VB A 117] Das Christentum kennt den Brauch der Votivgabe seit dem 14. Jahrhundert. Die Gläubigen hinterlegen am Gnadenort ihre „Bildbriefe zum Himmel“ als Ausdruck tiefer Dankbarkeit und als Zeichen dafür, dass das Vertrauen in die göttliche Wirkmacht begründet ist: Ihr Flehen um Befreiung aus einer Notlage wurde erhört. Vom Barock an hatten Votivbilder meist einen dreiteiligen Aufbau: Im Zentrum steht der Moment der Hilfeleistung – hier, mit einer Ausnahme, bei unglücklichen Begebenheiten während der Pilgerfahrt. Am unteren Rand kniet der Votant und blickt zu dem auf einer Wolke stehenden Helfer. In der Bildmitte wird das Unglück dargestellt. In Mariazell werden die Votivtafeln der Gläubigen teils in den Gängen der Empore und in den Türmen der Basilika gezeigt, der große Rest ruht in einem Depot. Bisweilen haben sich Wallfahrer auf älteren Votivtafeln mit Name und Datum verewigt – quasi eine zweite Ebene der Erinnerung! Irdische Heilmittel Material remedies 2015 Mariazell, Apotheke und Drogerie „Zur Gnadenmutter“ Mit dem Einzug in die Basilika war der Höhepunkt der Pilgerreise erreicht. Nach der seelischen Labung ging es an die Stillung der leiblichen Bedürfnisse in einem der Wirtshäuser. Was an einem Wallfahrtsort ebenso wenig fehlen durfte: eine Apotheke. Denn manch einem ging es nach der Wanderung gar nicht gut: Oft war der Proviant verdorben, oder man hatte nach der entbehrungsreichen Zeit zu ausgiebig getafelt. Magenbitter und Kräuterliköre halfen, die Verdauung wieder in Ordnung zu bringen. Seit Beginn der Herstellung der Mariazeller Magentropfen 1780 wird das Wissen um die Verarbeitung der 26 Kräuter mündlich weitergegeben. Einem Postbuch des ältesten Mariazeller Likörherstellers nach, der Apotheke „Zur Gnadenmutter“, wurden deren Produkte, unter anderem die Magentropfen, schon 1875 europaweit versandt. Bis heute stellt man Heilmittel aus über Heilpflanzen und -kräutern her – so auch den Edeltannenduft, der einst zur Desinfektion von Krankenstuben diente. Liköre Liqueurs Magentropfen Digestive tonic Edeltannenduft Silver fir scent Lebenselixier Eli ir of life Mariazell, Apotheke und Drogerie „Zur Gnadenmutter“ 1718 gegründet, wurde die Apotheke „Zur Gnadenmutter“ im 19. Jahrhundert vom berühmten Botaniker und Apotheker Michael Hölzl geführt. Als Angelika Prentner die Apotheke am Hauptplatz 2007 übernahm, fand sie in einem Rezeptbuch von 1835 eine Rezeptur für eine „Tinctura Longae Vitae“. Da die Lebensumstände früher nach anderen Pflanzenkombinationen und Dosierungen verlangten, wurde die Rezeptur angepasst. Heute enthält das Lebenseli ier unter anderem Weißdorn, Melisse, Taigawurzel und Passionsblume. Es stärkt Herz, Kreislauf und Nerven, wirkt ausgleichend und macht stressresistent. Rezeptbuch Prescription book Apotheker Michael Hölzl, 1835 Lebenselixier Eli ir of life 2015 Herbarblätter Herbar leaves gesammelt im Sommer 2014 Mariazell, Apotheke und Drogerie „Zur Gnadenmutter“ Bis heute verarbeitet man in der Apotheke „Zur Gnadenmutter“ Heilpflanzen aus der Region um den Ötscher – von Beinwell über Stinkenden Storchenschnabel und Efeu bis zur Wilden Malve – nach den Methoden der Traditionellen Europäischen Medizin. Die Alpenpflanzen hier sind kleiner, aber ursprünglicher und die Wirkstoffe oft konzentrierter. Anders als im flacheren Land wurde nicht so stark in die Natur eingegriffen, zudem gab es kaum Monokulturen. Goldener, oder kleiner neu verbesserter Himmelschlüssel Golden, small and revised Key of Heaven 1835 St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [VK, o. Inv. Nr.] Mariazeller Mirakelbüchlein Mariazell booklet of miracles Graz, 1645 Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. Wer sich einstimmen wollte, welche wundersamen Ereignisse ihn am Ziel der Pilgerreise erwarteten, brauchte nur ein Mirakelbüchlein aufzuschlagen: Von den Wallfahrtsorganisationen zusammengestellt, gaben sie – einem Journal ähnlich – anschaulich Auskunft über Mirakel am Wallfahrtsort. Dortselbst, so der Glaube, vollziehe sich die heilende Wirkung durch Maria als wundertätige Ärztin. Mirakelbüchlein gab es ab dem 16. Jahrhundert. Im 17. und 18. Jahrhundert fanden sie ihre größte Verbreitung. Wahre Länge Mariens und Fuß Mariens True length of the Virgin Mary and Mary’s “foot” Kupferstich, 19. Jh. Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus [VKH 9194, VKH 9195] Heiligen Maßen lag der Glaube zugrunde, eine Heilsperson könne durch ihre genaue Größenangabe vertreten werden. Besaß man etwa einen Papierstreifen von der „wahren Länge Mariens“, meinte man auch in den Genuss ihrer Heilskraft zu kommen. Mit Gebeten beschriftet, sollte der Streifen, am Leib getragen, vor Gefahren schützen und vor allem „schwangeren Frauen eine fröhliche Geburt verleihen“. Besondere Wirkung erhoffte man sich von den Maßen bestimmter Körperteile, etwa vom Fuß Mariens. Das Mariazeller Gnadenbild Miraculous image of the Virgin at Mariazell 1157 wurde der Mönch Magnus aus dem Kloster St. Lambrecht losgeschickt. Als ihm ein Fels den Weg versperrte, betete er zur Gottesmutter, worauf sich der Fels spaltete. Am Ziel angekommen, baute Magnus eine Zelle für sich, die der mitgeführten Marienstatue als Kapelle diente. Die Statue wurde zum Gnadenbild, die Kapelle zum Grundstein für Mariazell. So weit die Legende. Das Gnadenbild genießt bis heute große Verehrung. Es lässt sich, so heißt es, nicht von seinem Ort entfernen. Zudem solle kein Staub die Statue bedecken, die als solche auch nicht nachgemacht werden könne. Gnadenbild Mariazell Miraculous image at Mariazell 18./19. Jh. Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus [VKH 4708 (V4743)] Betbildchen Mariazell Mariazell prayer picture 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Rosenkranz – eine meditative Frömmigkeitsübung Saying the rosary – a meditative e ercise in piety 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Schnüre mit Steinen, die als Zählkette für wiederholt zu sprechende Gebete dienen, kennt man in mehreren Religionen. Ihr Aufkommen im Christentum könnte mit den Kreuzzügen in Verbindung stehen, bei denen die Kreuzritter mit dem Islam in Kontakt kamen. Der heute gebräuchliche Rosenkranz besteht aus 50 Ave-Maria-Perlen, die fünf große Paternoster-Perlen in Gruppen unterteilen. Seit dem . ahrhundert wird er durch eine kleine Kette, den Glaube-Liebe-Hoffnung-Absatz, ergänzt. In den Mariazeller Devotionalienläden lagen saisonal unterschiedliche „Beten“ bereit – je nachdem, welche Volksgruppe aus dem Habsburgerreich gerade erwartet wurde. Denn jede Nationalität hatte ihren speziellen Rosenkranz. Rosenkranz aus Wassernüssen Rosary made of water nuts Rosenkranz „Schwabenbeten“ mit weißen Porzellankugeln “Swabian” rosary with white balls of china Schluckbildchen Paper slips with devotional images, to be swallowed 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Schluckbildchen gehörten ab dem 18. Jahrhundert zur „geistlichen Hausapotheke“. Von entscheidender Bedeutung war, dass die Bildchen, die man nur bogenweise erhielt, geweiht oder mit dem Gnadenbild am Wallfahrtsort in Kontakt gekommen waren. Bei Gefahr, in Augenblicken der Not und bei Krankheit wurde eines der Bildchen abgeschnitten, geschluckt oder dem Vieh verabreicht. Der Brauch, Esszettel zu schlucken, war freilich schon in der Antike verbreitet. Ab dem Frühmittelalter wurden Heiligendarstellungen in Brot eingebacken. Mariazeller Schreck Protective amulet from Mariazell 20. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Schrecksteine wurden – auch als Teil einer Fraisenkette – im Halsausschnitt ihres Trägers verborgen. Ihnen kam die Funktion eines Amuletts zu. Sie sollten also ihre Träger schützen: Kinder vor den Fraisen, Krampfanfällen jeglicher Art, und stillende Frauen davor, dass bei Erschrecken die Milch versiegte. Sonntagsberger Fraisenstein Stone from Sonntagsberg against convulsions 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Amulett in Wurzelform Root-shaped amulet 19./20. Jh. Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus [VKH 9172 (V 6022)] Afel- oder Flusskerzen Pitch and herbal candles against diseases Pech, Kräuter, 19./20. Jh. Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus [VKH 9166, VKH 9171, VKH 9168] In der Volksmedizin wurde der „Afel“ – eine entzündete Wunde, eine Hautabschürfung, schmerzhafte Hautröte, Rotlauf und Ähnliches – mit Afelkerzen behandelt. Ihr Rauch sollte heilende Wirkung haben. Auch der Gebrauch bei Entbindungen und Gicht sowie zum Ausräuchern von Räumen und Ställen ist belegt. Ziel war in jedem Fall, böse Krankheiten zu vertreiben. Breverl Christian talisman with images of saints Kupferstich, 19. Jh. Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus [VKH 6288] Das Breverl – ein verschlossener kleiner Beutel – enthielt eine gewisse Anzahl von Schutz-, Heiligen- und Gnadenbildchen sowie religiöse Miniaturzeichen wie Medaillen, Kreuze, Tonfiguren, Wachsplaketten, Berührungsreli uien, geweihte Kräuter oder Samen. Es wurde zum Schutz um den Hals gehängt oder in die Kleidung eingenäht. Die Träger wussten meist nicht genau, was in dem „Medizinbeutel“ enthalten war, und durften ihn keinesfalls öffnen: Seine Kraft blieb nur durch Verschluss der geheimen „Zaubermittel“ erhalten. Pestkreuz Plague cross 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Beichtzettel für Dienstboten Confession certificate for servants 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Die vorgedruckten und am Wallfahrtsort vom Priester handschriftlich ergänzten Beichtzettel belegten der Herrschaft, dass ihre Dienstboten eine Wallfahrt auch tatsächlich gemacht hatten. Mariazells letzter „Kerzenputzer“ Mariazell’s last chandler 19./20. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Der letzte Mariazeller „Kerzenputzer“ Baumgartner hatte seine Werkstatt und einen Devotionalienladen an der Wiener Straße in Mariazell. Dahinter lebte der als Einzelgänger geltende Mann wohl auch. Er bekam rohe Kerzen geliefert. Dann fertigte er in einem kleinen Raum, in dem ein Eisenofen stand, mithilfe seiner Modeln und Zagen jene Verzierungen, die auf den Kerzen angebracht wurden. Als Baumgartner Anfang der 1970er-Jahre sein Handwerk niederlegte, schloss die letzte Kerzenmacherei Mariazells ihre Pforten. Werkzeug Tools Wachsmodel Wa mould Drei Kerzen Three candles achs geflochten, gewickelt, gerollt Wa – braided, coiled or rolled 19. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Wachs spielt in den christlichen Kirchen wegen der liturgischen Bedeutung der Kerze schon immer eine wichtige Rolle. Wachsstöcke bzw. Wachsrodeln erlaubten einen sparsamen Umgang mit dem lange Zeit teuren Material. Dafür wurden – meist in Klöstern – Wachsschnüre zu einem Stock oder Knäuel geflochten, aufgewickelt oder gerollt, kunstvoll gestaltet und vielfach mit „gezwicketen“ Blüten oder Farbdrucken versehen. Wallfahrer brachten sie als Devotionalien nach Hause und stellten sie dort im Herrgottswinkel auf. In gewissen Gegenden war es auch Brauch, dass die Knechte den Mägden zu Mariä Lichtmess einen Wachsstock als Dank fürs tägliche Bettmachen schenkten. In vielen Fällen hatten Wachsstöcke alleine Erinnerungsfunktion. In ihrer Gebrauchsform dienten sie bisweilen auch als Nachtleuchten. Wachskrone für Jungfrauen Wa crown for virgins Mariazeller Maria aus Wachs unter Glassturz Mariazell Maria made of wa , under a glass cover Wachsstock – Mariazeller Madonna Wa taper – Madonna of Mariazell Zwei Wachsstöcke Two wa tapers Wachsvotivgaben Votive offerings made of wa 20. Jh. Scheibbs, Slg. HHH Wachs wurde auch als Material für Votivgaben herangezogen: Wächserne Körperteile brachte man als Dank- und Bittgaben dar, in manch einer Kirche waren ganze Wände mit Armen, Beinen, Augen, Ohren und menschlichen Organen, allesamt aus Wachs, behängt. Neben diesen Objekten, die auf das Anliegen des Votanten verwiesen, gab es auch verschlüsselte Zeichen, die sich heute kaum noch enträtseln lassen. Niederösterreichische Wallfahrer in Mariazell Lower Austrian pilgrims in Mariazell Aquarell (R), Leopold Karl Müller, um 1860 St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [KS 9056] „Was die Unsittlichkeit betrifft, so kann man wohl annehmen, dass ein großer Teil der aus Städten kommenden Wallfahrer die Wallfahrt nicht aus religiösem Trieb, sondern aus Unterhaltung, aus Begierde, einen Ausflug auf das Land zu machen, ja sogar zum Spaß mitmachen. Ich weiß Frauen, welche nach Marizell wallfahrten, um mit ihrem Geliebten die Reise zu unternehmen zu können“, so der Dichter Ignaz Franz Castelli 1857. Der Annaberg von der Ostseite Annaberg from the east side Eduard Gurk, 1833/34 Blatt 21 aus: „Mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt) © Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich, Foto: Christoph Fuchs Etwas mehr als 100 Kilometer nach Wien beginnt für die Pilger am zweiten Tag der Anstieg nach Annaberg. Steil führt die alte Straße auf den ersten der drei „heiligen Berge“. Von dort aus meldete einst der bereitstehende Posten mit einer Glocke, dass eine größere Pilgergruppe im Anmarsch war. So konnte der Geistliche sich bereitmachen. Für den Einzug in Annaberg streiften sich die Pilger noch im Anstieg die Tracht über. Aussicht vom Annaberg gegen den Ötscher View from Annaberg onto the Ötscher Eduard Gurk, 1833/34 Blatt 22 aus: „Mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt) © Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich, Foto: Christoph Fuchs In der Blütezeit der Wallfahrt Ende des 19. Jahrhunderts besuchten jährlich 50.000 bis 70.000 Pilger Annaberg. Die Größe der gotischen Kirche von 1444 zeigt eindrücklich deren Bedeutung; bereits 1217 stand an dieser Stelle eine Gnadenstätte. In mehreren Gasthäusern rund um die Kirche konnten sich die Pilger laben – so auch in dem stattlichen Wirtshaus mit dem Doppeladler im Schild, dem heutigen Gasthaus „Zur Post“. Joachimsberg View of Joachimsberg Eduard Gurk, 1833/34 Blatt 24 aus: „Mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt) © Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich, Foto: Christoph Fuchs Die Sonne geht im Westen hinter dem Ötscher unter, bald haben die Pilger die zweite Tagesetappe geschafft. Sie endet in Wienerbruck. Zuvor führt die Via Sacra noch auf den Joachimsberg, den zweiten der „heiligen Berge“. Die Kirche dort ist dem Vater Mariens geweiht. Gipfel des Josefsberges Summit of Josefsberg Eduard Gurk, 1833/34 Blatt 28 aus: „Mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt) © Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich, Foto: Christoph Fuchs Der dritte und letzte Tag beginnt mit dem Anstieg auf den Josefsberg, den höchsten Punkt der Via Sacra. Wo 1601 noch eine Einsiedelei stand, weitet sich der Blick erstmals auf die steirischen Alpen. Die Pfarrgründung geht auf Maria Theresia zurück: Auf einer ihrer jährlichen Pilgerfahrten wurde sie hier Mitte August von einem Schneesturm überrascht. Im Gasthof Sabath stärkten sich die Pilger für die letzte Tagesetappe. Knieriegel und die Gemeindealpe Knieriegel and Gemeindealpe Eduard Gurk, 1833/34 Blatt 29 aus: „Mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt) © Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich, Foto: Christoph Fuchs Die Pilger nahmen große Anstrengungen auf sich. „Wir werden jeden Tag einen Weg von 12–15 Stunden zurückzulegen haben. Das Essen wird entweder schlecht oder sehr teuer sein; die Nachtruhe wird kurz, oft sehr kurz sein und wir werden selbst ohne Bett zufrieden sein müssen.“ Mit diesen Worten warb 1874 ein Pfarrer für die Wallfahrt von Brünn/Brno nach Mariazell – 14 Tage war man unterwegs. Urlaubskreuz in Weißenbach Pilgrims’ Cross in Weißenbach Eduard Gurk, 1833/34 Blatt 32 aus: „Mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt) © Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich, Foto: Christoph Fuchs Kurz vor der Ankunft in Mariazell verdichtet sich die Sakrallandschaft. Bildstöcke und kleine Kapellen – gestiftet von verschiedenen Personen und Pilgergruppen – säumen den Weg. Die Pilger knien vor der Kapelle mit dem Goldenen Kreuz, das Maria Theresia 1768 aufstellen ließ. „Alle Verehrer Mariä werden gebeten um ein Vaterunser und Ave Maria für den Wohlstand des durchlauchtigsten Hauses Österreich“, heißt es darauf. Aussicht gegen den Erlaufsee View onto Lake Erlauf Eduard Gurk, 1833/34 Blatt 33 aus: „Mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt) © Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich, Foto: Christoph Fuchs Nach ihrem Pilgerweg durch malerische Landschaften sammeln sich die Wallfahrer hier, um – vorbei an den 1650 errichteten Rosenkreuzstationen – gemeinsam in Mariazell einzuziehen. Heute, so der Pilgerbegleiter Heribert Pfeffer, sei vermehrt der Weg das Ziel: „Beim Gehen ist schön, dass sich die Beine irgendwann von selbst bewegen. Der Kopf wird frei, es ist eine Art Meditation.“ Mariazell View of Mariazell Eduard Gurk, 1833/34 Blatt 34 aus: „Mahlerische Reise von Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt) © Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich, Foto: Christoph Fuchs Die Türme der Mariazeller Basilika weisen den Weg zum Ziel. Die Bedeutung des Ortes gründet auf der wundersamen Legende ebenso wie auf der Stellung, die Mariazell im Laufe der Geschichte für die Herrscher bekam. Mit den Pilgerströmen öffneten Herbergen, Hotels, Gaststätten und Devotionaliengeschäfte. Nach dem anstrengenden Weg und dem Besuch der Basilika war aber immer auch Zeit für kleinere und größere Abenteuer … KAPITEL 08 PANORAMABAHN PANORAMIC VIEWS Bildtäfelchen zur Mariazellerbahn Picture tablets of the Mariazell Railway 2. Hälfte 20. Jh. Graz, Prof. Horst Felsinger Horst Felsinger – Substitut bei den Wiener Philharmonikern und ab 1960 Mitglied des Grazer Philharmonischen Orchesters – urlaubte mit seiner Frau jahrelang in Wienerbruck. Dabei erlag er der Faszination der Mariazellerbahn. Er verfasste nicht nur das erste fundierte Buch über die Schmalspurbahn: Aus in drei Lagen verleimtem Karton fertigte er auch Bildtäfelchen, die deren Lok- und Wagenpark detailliert dokumentieren. Rechts und links sind sie jeweils mit einem Kuppelprovisorium versehen – „als ob sie auf Kufen laufen“! Reise mit den Ohren Acoustic journey Realisierung: © cat-x exhibitions, Sounddesign: Volkmar Klien, Team: Andreas Platzer, Haig Avedikian, Hannes Köcher, Florian Prix „Im waldumschlossenen Tal geht es erst südwärts, dann in mächtigen Serpentinen nordwärts dahin, um entlang des Puchenstubener Berges die freie Höhe zu erreichen. Tief unten grüßt, wie aus einem Baukasten hingestellt, Laubenbachmühle herauf“ – so anschaulich beschreibt ein Reiseführer der ÖBB aus den 1950ern die Fahrt von Laubenbachmühle nach Puchenstuben. In der Toninstallation fahren Sie diese Strecke mit den Ohren ab. Die eindrückliche Sicht auf die alpine Landschaft genießt aber nur, wer selbst in die Mariazellerbahn steigt!
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