Objekttexte Frankenfels

FRANKENFELSLAUBENBACHMÜHLE
KAPITEL 01
LANDLEBEN
COUNTRY LIFE
Das tägliche Leben
Everyday life
Bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein hieß es für die Bauern
im Pielachtal – wie nahezu überall in den Alpen – vor allem:
arbeiten, die Familie ernähren und ihre Existenz sichern.
Das Herz des bescheidenen Bauernhauses stellte die
Küche dar, in der es dank des Herds stets warm war. Hier
trafen sich Bauer und Bäuerin, Kinder und Dienstboten zu
den Mahlzeiten. Alle, die auf dem Hof arbeiteten, waren in
den bäuerlichen Haushalt eingebunden. Man teilte die täglichen Freuden, Mühen und Probleme … und die Feste und
Bräuche, die dem Jahr einen Rhythmus gaben. Neben der
Küche befand sich die Stube, die der Familie und allenfalls
Gästen vorbehalten war. Auch sie war geheizt, und darin
standen die Betten der Bauersleute sowie der kleinsten
Kinder. Mägde hatten ihre eigenen Kammern, die Knechte
schliefen während der schönen Jahreszeit im Stall.
Bauernküche
Farmer’s kitchen
Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
Sparherd für Bauernstube
Economical stove for farmhouse parlour
frühes 20. Jh.
Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein
Almhütte am Ameisbühel
Alpine hut on Ameisbühel
Tuschzeichnung (R), 1935
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [V 10541]
Die Feldwiesalm, die Herrenalm, natürlich das Hochbärneck: Das sind nur die bekanntesten von zahlreichen
Almflächen um Ötscher und Dürrenstein. Sie alle wurden
bereits im Mittelalter von den großen Grundherrschaften erschlossen, die auch Halter bestimmten, um auf das
Vieh der umliegenden Landwirtschaften aufzupassen. Eine
wichtige Rolle kam den Sennerinnen zu: Sie verarbeiteten
die Milch zu Molke und Käse, Butter und vor allem Butterschmalz für die hart arbeitenden Männer weiter. Obwohl
Kulturland, zählen die Almen wegen ihrer langen Nutzungsgeschichte und ihrer Artenvielfalt zu den schützenswerten
Landschaften der Alpen.
Hochzeit im Pielachtal
Wedding in Pielachtal
Abholen der Braut: Heiratsmann Josef Stöckl und das Berglandler-Quintett, Rabenstein 1971 / Gstanzl zum Ehrentanz:
Heiratsmann Franz Gamsjäger und die Niederer Buam,
Frankenfels 1979 / Walzer zum Ehrentanz: Frankenfelser
Buam, 1975 / Kranzlabtanzen: Heiratsmann Alois Lechner
und die Gmüatlichen Mainburger, Hofstetten-Grünau 2000
VOLKSKULTUR NIEDERÖSTERREICH GMBH,
Auswahl: Bernhard Gamsjäger, Walter Deutsch
Einer der wichtigsten Männer bei einer Pielachtaler Hochzeit ist … nein, nicht der zukünftige Ehemann, sondern der
Heiratsmann. Von der Verabschiedung der Brautleute bei
ihrem Elternhaus bis zum mitternächtlichen Abschluss im
Wirtshaus gestaltet er den Ablauf mit Sprüchen, Gedichten
und Gstanzln. Nach jedem dieser Vierzeiler intonieren die
Musikanten eine Ländler- oder Walzerweise.
Vom Hochzeitsfest From the wedding
Fotografien (R), 20. Jh.
Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H. / St. Pölten,
Bernhard Gamsjäger
Eine Pielachtaler Bauernfamilie
1900 / 1950 / 2015
A Pielachtal farming family
1900 / 1950 / 2015
Animation
Illustration: Stefanie Hilgarth, carolineseidler.com;
Animation: Mindconsole – visual concept bureau
Leben und Arbeiten der Bauern haben sich im Pielachtal –
so wie im gesamten Alpenraum – in den letzten 100 Jahren
grundlegend geändert. Um 1900 stand die Landwirtschaft
noch im Zeichen jahrhundertealter Traditionen. Der Hof war
auf Selbstversorgung ausgerichtet, es herrschte klassische
Arbeitsteilung. Mitte des 20. Jahrhunderts setzten tiefgreifende Veränderungen ein. In dieser Zeit vollzog sich der
Übergang zu einer Landwirtschaft, die seither mechanisiert
und motorisiert, stark spezialisiert und zu einem großen
Teil auch im Nebenerwerb betrieben wird. Heute nehmen
am Küchentisch auch Urlauber am Bauernhof Platz. Ihre
Betreuung ist – wie vieles andere – Aufgabe der Bäuerin.
Pielachtaler Bauernleben bis um 1900
A farmer’s life in Pielachtal until
around 1900
Diorama
Wien, Atelier Wunderkammer
Umgeben von Wiesen und Äckern, in höheren Lagen von
Weiden und Wäldern, lagen die Pielachtaler Höfe „in Einöde“. Da flacher Boden knapp war, wurde auch im steilen
Gelände geackert. Dafür galt es, die herabgekullerte
Erde immer wieder nach oben zu transportieren. Arbeiten
wurden mit dem Ochsengespann erledigt. Den Hof bewirtschafteten Bauer und Bäuerin mit einem Knecht oder einer
Magd, bisweilen auch beiden. In arbeitsintensiven Zeiten
halfen Kleinhäusler gegen Naturalien aus. Die Bewirtschaftung geschah auf Basis erneuerbarer Ressourcen:
Was an Abfall zusammenkam, wurde verwertet.
Pielachtaler Bauernleben nach 1950
A farmer’s life in Pielachtal after 1950
Diorama
Wien, Atelier Wunderkammer
Ab Mitte der 1960er wurde auf Grünlandwirtschaft mit
Milchproduktion umgestellt. Die Erlöse brachten Geld auf
den Hof, die Selbstversorgung war nicht mehr existenziell,
und damit verlor die Bäuerin – bis dahin für die Haltbarmachung der selbst produzierten Lebensmittel und damit
für das Überleben zuständig – ihre zentrale Rolle. Jene des
Mannes wurde durch den Kontakt mit dem Markt wichtiger.
Moderne Anbaumethoden setzten sich durch, Maschinen
erleichterten die Arbeit. Wiesen und Weiden wurden auf
die maschinelle Bearbeitung vorbereitet, die Hecken an
den Rändern schwanden. Zusätzliche Helfer brauchte man
kaum noch.
Pielachtaler Bauernleben heute
A farmer’s life in Pielachtal today
Diorama
Wien, Atelier Wunderkammer
Die Landwirtschaft hat längst ihre Bedeutung eingebüßt.
Während der eine auswärts arbeitet und nur noch im
Nebenerwerb Bauer ist, weitet der andere seinen Betrieb
aus: Der alte Stall ist einem großen, modernen Laufstall gewichen. Ackerbau wird kaum mehr betrieben. Anstelle der
Felder dominieren Obstplantagen mit glutroten Früchten
die Landschaft: Seit sich das Pielachtal zum Dirndltal ernannte, wird die Kornelkirsche wieder angebaut. Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist heute der Tourismus, Stichwort
„Urlaub am Bauernhof“. Und die alte verfallene Mühle? Die
hat sich ein Städter zu einem Ferienhäuschen ausgebaut.
Flickwerk
Patchwork: tinkers and handymen
Flicken war stets ein Ausdruck des sorgsamen Umganges mit materiellen Gütern. Zu wertvoll waren die
Gegenstände des Alltags, als dass man Kaputtes einfach entsorgt hätte. Wenn die Bauern sich nicht zu helfen
wussten oder nicht selbst Hand anlegen konnten, traten
die Spezialisten auf den Plan: Flickschuster, Rastelbinder
und Kesselflicker zogen mit ihrem Werkzeug von Hof
zu Hof. Zwar hatten sie niederes Ansehen, und ihr Handwerk galt wenig. Doch sie beherrschten die hohe Kunst
des Flickens perfekt. In Zeiten, da Hersteller die Lebensdauer ihrer Produkte absichtlich gering halten, haben
Menschen heute genug von Geräten, die sich nicht reparieren lassen. Sie versammeln sich in Reparatur-Cafés,
wie es sie mittlerweile in allen Großstädten gibt, und
stellen dem vorprogrammierten Verschleiß ihre Kreativität
im Flicken entgegen.
Holz flicken Patching up wood
Anders als Flickschuster, Rastelbinder oder Kesselflicker
achteten Bauern üblicherweise kaum auf ästhetisches und
materialgerechtes Reparieren. Sie flickten kaputte Gegenstände so, dass sie wieder brauchbar waren: Sie mussten
einfach funktionieren!
Geflickte Schaufel Mended shovel
19. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6005]
Große Holzschale Large wooden bowl
19. Jh.
Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein
Mit zwei Metallplatten geflickte Schüssel
Bowl patched up with two metal plates
19. Jh.
Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein
Holzlöffel Wooden spoon
19. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [4493]
Die hohe Kunst des Flickens
The high art of the tinker and handyman
Viele der Rastelbinder, die in Niederösterreich am Werk
waren, kamen aus dem Gebiet der heutigen Westslowakei.
Da die Böden in dieser gebirgigen Gegend kaum etwas
abwarfen, gingen die Männer auf Wanderschaft, um mit
Flick- und Ausbesserungsarbeiten ihren Lebensunterhalt zu
verdienen. Die Rastel- oder Drahtbinder zogen mit Draht,
Werkzeug und selbst gefertigten Waren wie Mausefallen,
Schneebesen oder Schöpfkellen auf dem Rücken durchs
Land und boten ihre Dienste an. Mostkrüge etwa gaben die
Bauern schon bei den ersten Anzeichen von Sprüngen in
Reparatur. Neben dem rein Funktionalen – dass das Geschirr tatsächlich wieder „ganz“ wurde – beeindruckt heute
die handwerkliche Schönheit der Flickarbeiten.
Kanne und Tasse, mit Draht geflickt
Pot and cup, mended with wire
19./20. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6010]
Krug, mit Draht geflickt
Jug, mended with wire
19./20. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6003]
Schneerute aus Draht
Wire snow rod
19. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6011]
Rechteckiger Untersetzer aus Draht
Wire table mat
19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Bügeleisenrost aus Draht
Flat iron rest made of wire
19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Krug mit Henkel, mit Draht geflickt
Jug with handle, mended with wire
19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Kanne, mit Draht geflickt
Pot, mended with wire
19. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich
Schmalztopf, mit Draht geflickt
Lard pot, mended with wire
19. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich
Von der Tugend der tüchtigen Hausfrau
The virtues of the efficient housewife
Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein galt das Flicken von
Kleidern als Tugend der tüchtigen Hausfrau. Das Defekte
wurde nicht abschätzig, sondern als Herausforderung angesehen: Die Hausfrau hatte damit eine Möglichkeit, ihre
Kunstfertigkeit zu beweisen. Bereits in der Schule lernten
Mädchen anhand von Musterflecken, wie sie richtig und
vor allem auch schön flickten. Solche Musterflecke sollen
gar vor der Hochzeit hergezeigt worden sein, damit sich
der angehende Bräutigam ein Bild davon machen konnte,
wie genau seine Zukünftige die Sachen ausbesserte.
Kleidung für die alltägliche Arbeit wurde – wie viele andere
Gegenstände auch – so lange geflickt, bis sie völlig verbraucht war.
Geflicktes Hemd
Mended shirt
19./20. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6000]
Geflickte blaue Schlosserhose
Mended blue worker’s trousers
um 1960
Mühling, Trachtenverein Wieselburg – Großmutters Stübchen
Geflickte weiße Hose
Mended white trousers
Mühling, Trachtenverein Wieselburg – Großmutters Stübchen
Musterflecken
Sample patches
nach 1900
Mühling, Trachtenverein Wieselburg – Großmutters Stübchen
Do it yourself – eine alte Methode
Do it yourself – an old method
So wie die bäuerliche Arbeit lange auf Selbstversorgung
abzielte, nahm sich der Bauer auch seiner Gerätschaften
selbst an. Viele Bauern verfügten über das handwerkliche
Geschick, technische Probleme zu lösen und Geräte zu
flicken oder selbst herzustellen. Was ihnen dabei zugute
kam: Vorwiegend bestand das bäuerliche Handwerksgerät aus Holz – das kannte der Bauer gut und konnte
es daher selbst bearbeiten. Meist waren dies keine
technischen Großtaten, sondern einfache Stücke, die
ohne große Beachtung – auch seitens volkskundlicher
Museen – blieben.
Der bäuerliche Handwerker stand ganz im Gegensatz
zum „richtigen“ Handwerker, der seine Produkte auf
Basis erlernter Techniken und Fertigkeiten herstellte. Anders der Bauer: Seine Arbeitsmethode war vor allem das
Improvisieren. Er nutzte die natürlichen Gegebenheiten
und das Material, das er zur Verfügung hatte. So entstanden bisweilen ganz erstaunliche Geräte. Das schloss
aber nicht aus, dass sich Bauern so manchen Handgriff
bei Handwerkern abschauten, um sich dann durch viel
Übung zu verbessern.
Dengelbock aus einem Wurzelstock
Scythe-sharpening trestle made
of a rootstock
19./20. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [2483]
Umgeschmiedete Armbrustwinde zum
Spannen von Weidezäunen
Crossbow winch adapted for putting up
willow fences
17. Jh., Umnutzung wohl im 19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Schuhe Shoes
19. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6009]
Drehbank Lathe
19. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6001]
Apfelpflücker Apple picker
19. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6012]
Löffel Spoon
19. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [2743]
Säge mit Geweihgriff
Saw with antler handle
19. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [2580]
Kratzer Grater
19. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich [6002]
Franz Maresch (1904 –1983)
Eigentlich war er ja ein Kind der Stadt … und Techniker
durch und durch: Franz Maresch wuchs in Wien auf, besuchte dort das TGM und arbeitete zunächst an der Lehrkanzel für Elektropathologie der Universität Wien. In der
Folge widmete er sich ganz dem Unfall- und Arbeitsschutz.
In den 1930ern und 1940ern in Berlin und München tätig,
baute er nach dem Krieg den Unfallverhütungsdienst der
Arbeiter-Versicherungsanstalt mit auf, ab 1948 als dessen
Leiter. „Nebenbei“ erlag Franz Maresch der Faszination der
bäuerlichen Lebenswelt. Ab den 1950ern, da er mit seiner
Familie viel Zeit in der Loich verbrachte, entstand durch
„Sammeln und Sichten“ – so der Titel einer ihm gewidmeten Festschrift – eine bedeutende Sammlung einfacher
Alltagsgeräte. Ganz wider den Trend, nur schön verzierte
volkskundliche Objekte zusammenzutragen, interessierte
sich Maresch für die rein dem praktischen Gebrauch dienenden Dinge der Bauern. Mareschs Publikationen dazu
sind noch heute bemerkenswert. Seine Sammlung der
„Technik der Namenlosen“ ist im Museum in der Loich anzusehen.
Porträt von Franz Maresch
Portrait of Franz Maresch
Fotografie (R), 20. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich
Inventarkarten des Karteikastens
„Museumsobjekte“ des Museums Loich
Inventory cards from the index box
“Museum Objects” of the Loich museum
Auswahl an Karteikarten (R), angelegt von Franz Maresch
(1904–1983), 20. Jh.
Loich, Heimatverein/Heimatmuseum Loich
Alles verwertet – kein Abfall
Rendered – recycled – re-used
Alles an Gütern war knapp – nur die Zeit nicht. Was man
zum Leben brauchte, wurde selbst hergestellt. Und was
vorhanden war, galt es zu nutzen. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein war das Leben der Bauern im Pielachtal
auf das „Selbstversorgerprinzip“ hin ausgerichtet. Nur das
Wenige, das überblieb, und Nebenprodukte fanden den
Weg auf den Markt oder wurden getauscht. Und was gar
nicht zu gebrauchen war, wurde zu Dünger verarbeitet und
kam aufs Feld. Lange bevor es den Begriff „Nachhaltigkeit“
überhaupt gab, nutzten die Landwirte den Kreislauf der
Natur. Wollten der Bauer und seine Familie in der traditionellen Landwirtschaft überleben, musste man sich nach
den Gesetzmäßigkeiten der Natur richten. Bis auf den letzten Rest wurde alles verwertet – „Abfall“ im heutigen Sinn
konnte so gar nicht entstehen.
Wie diese vollständige Verwertung passierte, lässt sich am
Schwein anschaulich darstellen: Nahezu jeder Bauernhof
im Pielachtal hatte eines – nicht zuletzt, weil es die Essensreste, die anfielen, wieder in Essbares verwandelte. Und
so ein Schwein gab viel mehr her als Schnitzel, Grammelschmalz und Speck!
Sauschädel Pig’s head
Privatbesitz
Im Pielachtal muss der Bauer nach dem Schlachten eines
Schweins gehörig aufpassen: Denn so wie anderswo
in Niederösterreich ist es auch hier Brauch, dass junge
Burschen versuchen, den Bauern auszutricksen und den
Saukopf zu stehlen. Gelingt ihnen das, ist es für den Bauern
natürlich eine Schmach – und kommt ihn außerdem teuer
zu stehen: Denn die „Diebe“ laden den Bauern, seine
Familie, die Nachbarn und Freunde zu einem späteren Zeitpunkt zum Saukopfessen ein. Bezahlen muss – erraten! –
der Bestohlene.
Einladung zum Sauschädelessen
Invitation to a pig’s head feast
St. Pölten, Bernhard Gamsjäger
Das Sauschädelstehlen ist längst nicht mehr reine Männersache. Ingrid Fahrngruber etwa gelang es, vom Nachbarhof
Hainbach einen Sauschädel zu entwenden. Dem weit
verbreiteten Brauch folgend lud sie 1991 zum Essen in ihr
Elternhaus.
Gedicht zum Sauschädelessen
Poem about a pig’s head meal
St. Pölten, Bernhard Gamsjäger
Blunzen Black pudding
Für die hierzulande „Blunzen“ genannte Blutwurst wird das
frische Blut beim Schlachten des Schweins aufgefangen
und dann gerührt, damit es nicht stockt. Mit Schweinefleisch, Speck und – je nach Variante – Innereien, gekochten Schweineschwarten, Gewürzen oder Weißbrot wird das
Blut dann zur Blunzen weiterverarbeitet.
Sulz Brawn
Die Ohren, der Rüssel und das Schwänzchen des
Schweins werden ausgekocht und zu Sulz verarbeitet.
Sauboandln Auditory ossicles of a pig
Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum
Nadlingerhof
Als Sau-, Froas- oder Irrboandln bezeichnete man die
Gehörknöchelchen des Schweins. Sie sollten Kinder vor
Krämpfen bewahren und – ins Gewand eingenäht – vor
dem Verirren schützen. Auch beim Kartenspiel würden sie,
so hieß es, Glück bringen.
Sauglocke Scraper for pig’s bristles
Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum
Nadlingerhof
Mit der Sauglocke wurden dem Schwein die Klauen
gezogen. Im Pielachtal hatte man dafür keine Verwendung.
Man warf sie weg oder gab sie den Kindern zum Spielen.
Zwei Bündel Sauborsten
Two bundles of pig’s bristles
Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum
Nadlingerhof
Pinselchen aus Sauborsten
Brush made of pig’s bristles
Sauborsten fanden vielfältige Verwendung, vorzugsweise
als Pinsel. Noch bis in die 1970er-Jahre brachten die
Pielachtaler Bauern ihre Schweinsborsten zur „Knecz Marie“.
Nach dem Kämmen, Richten und Bleichen verarbeitete
Maria Fahrngruber (1893–1983) sie zu Pinseln. Dafür wurden
sie in Bündeln am Borsten- und Pinselkörper befestigt.
Sauglocke Scraper for pig’s bristles
Sierning, Theresia Pfaffenwimmer
Nachdem der Bauer das Schwein grob enthaart hatte,
wurde mit der Sauglocke der Rest der Borsten entfernt.
Diese Sauborsten hatten wenig Wert. Man verwendete
sie zum Binden des Lehms beim Ausschmieren des Backofens oder beim Verputzen der Decken.
Sauboana Pork bones
Die Schweinsknochen verkochte die Bäuerin zuerst zu
Suppe und gab sie dann den Hühnern. In manchen Gegenden verarbeitete man sie zu Knochenmehl.
Knochenmehl Bonemeal
Privatbesitz
Um Knochenmehl herzustellen, mussten die Knochen
gereinigt und dann zwei Jahre getrocknet werden, ehe man
sie in der Knochenstampfe zerkleinerte – was aus dem
Pielchatal indes nicht bekannt ist. Knochenmehl wurde als
organischer Pflanzendünger und bei der Tierfütterung eingesetzt.
Leimtopf mit Knochenleim
Pot with bone glue
Wien, Restaurator Stefan Kainz – 1150 Wien
Knochenleim wird nach wie vor in der Holzverarbeitung,
insbesondere im Instrumentenbau, verwendet: Er trocknet
glashart, hält fest, lässt sich aber jederzeit lösen.
Sauhaxen Pork knuckle
Die Stelze oder Haxe wird bis heute gekocht, gesurt,
gebraten … vor allem aber gegessen!
Tabakbeutel aus der getrockneten
Schweinsblase
Tobacco pouch made of a dried pig’s
bladder
Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum
Nadlingerhof
Richtig präpariert, ist die Schweinsblase wasserdicht.
Sie wurde für verschiedenste Sachen verwendet. Kinder
bliesen sie auf und spielten damit Ball.
Schultasche aus Schweinsleder
Pigskin school bag
Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
Schweinsleder ist nicht von hoher Qualität. Dennoch ließen
sich daraus einfache Schuhe für den Bauern fertigen.
Wiegemesser Chopper
Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein
Wurstpresse und Fleischwolf
Sausage press and meat grinder
Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein
Bratwürstl Frying sausage
Die Därme des Schweins eignen sich für die Herstellung
von Würsten. Für Bratwürstl mischte der Bauer Muskelfleisch, Fettgewebe, Innereien und Sülze unter Zuhilfename
eines Wiegemessers mit Kochsalz, Pfeffer und Gewürzen
zusammen. Mit dem Fleischwolf wurde die Masse faschiert
und mit der Wustpresse das Wurstbrat dann in die Därme
gepresst. Danach kamen die Würste in die Selch oder
wurden getrocknet.
Bratl Roast pork
Der Schweinsbraten wird mit oder ohne Knochen im Ofen
gebraten. Früher wurden alle, die beim Schlachten geholfen
hatten, nach getaner Arbeit zum Bratl-Essen eingeladen.
Schnitzelfleisch Cutlet
Das Fleisch vor allem der hinteren Teile bietet sich als
Schnitzelfleisch an. Alles, was man früher nicht frisch
verwendete, wurde eingesurt.
Surfleisch Salt meat
Um das Fleisch für den langen Winter haltbar zu machen,
wurde es kräftig eingesalzen – man nennt das „Pökeln“
oder „Suren“. Im Surkübel hält sich Surfleisch, das durch
die Behandlung eine rote Färbung bekommt, lange.
Speck Bacon
Ob Rückenspeck, Bauchspeck oder mit Muskelfleisch durchwachsener Speck: Durch Räuchern wird er haltbar gemacht.
Schmalz Lard
Um Schmalz herzustellen, wird Schweinefett „ausgelassen“,
sprich: bei mäßiger Temperatur ausgebraten.
Grammelschmalz Lard with cracklings
Grammelschmalz ist nichts anderes als Schmalz, das noch
Reste der ausgebratenen Speckteile enthält. Mit der Grammelpresse wird aus den entstandenen Grammeln das letzte
Fett ausgepresst, um sie zu trocknen.
Grammelpresse
Machine for making greaves
Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein
Surkübel Pickling tub
Sierning, Theresia Pfaffenwimmer
Erdäpfeldämpfer Potato boiler
Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum
Nadlingerhof
Schlachtgalgen Butcher’s hanger
Sierning, Theresia Pfaffenwimmer
Trog Trough
Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein
Ketten eines Sautroges
Chains of a pig trough
Sierning, Theresia Pfaffenwimmer
Im Erdäpfeldämpfer erhitzt man Wasser, um den Trog mit
kochendem Wasser „einzudechteln“, was so viel heißt wie:
dicht zu machen. Nach dem Ausbluten wird das Schwein
ins heiße Wasser in den Sautrog gelegt – das ausgestellte Stück steht nach wie vor in Verwendung und wird auch
wieder seinem eigentlichen Zweck zugeführt. Die Sau wird
mit „Saupech“ (Harz) eingerieben, um sie besser enthaaren
zu können. Letzteres geschieht durch Hin- und Herziehen
einer speziellen Kette, der Rest wird mit der Sauglocke
oder mit dem Suppenlöffel entfernt.
Saufänger Pig halter
Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum
Nadlingerhof
Um das Schwein schlachten zu können, muss es zunächst
mit dem „Rüsselstrick“ oder „Saufänger“ dingfest gemacht
werden.
Zwei Sauhaken Two butcher’s hooks
Sierning, Theresia Pfaffenwimmer
Mittels der beiden Sauhaken wird das Schwein auf die
Saurehm aufgezogen.
Axt und Hammer Axe and hammer
Frankenfels, Bergbauernmuseum Hausstein
Schlachtbeil Meat axe
Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum
Nadlingerhof
Für das Zerteilen des Schweins ist ein eigenes hölzernes
Gerüst vorgesehen, die „Saurehm“. Das darauf hängende
Tier wird mit der Axt oder dem Schlachtbeil in zwei Hälften
geteilt. Das Spalten oder „Heraushauen“ des Rückgrats
erfordert viel Übung und Kraft.
Drei Schlachtmesser
Three butcher’s knives
mit Wetzstahl und Tragegurt
Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum
Nadlingerhof
Saufutterbutte Pigfood tub
Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum
Nadlingerhof
Ob pflanzliche oder tierische Nahrung, Schweine fressen
alles: Kartoffeln, Gemüse aller Art, Weizenabfälle. Um Protein zuzuführen, bekommen sie zudem Molke oder teilentrahmte Milch. Als die Bauern noch Selbstversorger waren,
hatte der Schweinekübel, die „Saufutterbutte“, in der
Küche einen zentralen Platz. Hier wanderten alle Nahrungsabfälle hinein, wurden mit dem Stößel grob zerkleinert, und
dann musste das Schwein sie nur noch fressen … auf
dass es schön fett wurde!
Erdäpfel-Stößel Potato pestle
Neustadtl an der Donau, Freudenberger Johann /
Erlebnismuseum Nadlingerhof
Getrocknet, gelagert und eingerext
Dried, stored, preserved
„Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“: Seit
Menschen in unseren Klimazonen lebten, hieß es, sich
in Zeiten des Überflusses für jene des Mangels vorzubereiten. Die meisten traditionellen Lagermethoden werden
seit prähistorischer Zeit angewandt. Wie überall musste
man auch im Pielachtal gut über den Winter kommen.
Die Früchte von Garten und Feld zu konservieren war
eine der wichtigsten Aufgaben der Frauen. Kartoffeln,
Äpfel, Rüben, Sauerkraut und Most wurden eingekellert.
Auf dem gut durchlüfteten Dachboden lagerten Getreide, getrocknete Hülsenfrüchte und Dörrobst, aber auch
Geselchtes. Zentraler Ort war die kühle „Speis“ nahe der
Küche: Griffbereit wartete dort „Eingerextes“ darauf, die
Familie zu ernähren.
Bis in die Moderne, da Kühl- und Gefrierschrank den
Alltag erleichterten, stellte die Vorsorge eine logistische
Herausforderung dar. Nicht nur, dass im Winter ausreichend Nahrung vorhanden sein musste: Die Vorräte
galt es auch so einzuteilen, dass sie aufgebraucht waren,
wenn man wieder frisches Obst und Gemüse ernten
konnte. Gute Managementfähigkeiten zeichneten die
tüchtige Hausfrau aus!
Vorratsgläser Storage jars
224 Stück, 2014
Kollmitzberg, Veronika Sabitzer
Brotleiter Bread rack
19. Jh.
Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [41]
Krauthobel mit Messern aus alten
Sensenblättern
Vegetable chopper with knives from
old scythe blades
um 1880
Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [37]
Fliegenpracker Fly swatter
um 1950
Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [1533]
Zwei Tontöpfe „Müchhefen“
Two milk mugs of clay
1900
Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [301, 635]
Zwei Tontöpferln Two clay pots
um 1920
Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [318/1, 571]
„Plutzer“ für Most oder Wasser
Stoneware bottle for cider or water
um 1930
Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [324]
Zwei Tonflaschen für Schnaps,
Öl oder Most
Two clay bottles for schnaps, oil or cider
um 1890
Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [227, 454]
Tontopf Clay pot
um 1930
Mank, Heimatmuseum der Stadtgemeinde Mank [54]
Mausefalle zum Ertränken der Maus
Mouse-drowning trap
20. Jh.
Neustadtl/Donau, Johann Freudenberger / Erlebnismuseum
Nadlingerhof
Wenn es um den Kampf gegen unliebsame Speisekammerräuber geht, ist der Mensch besonders erfindungsreich. Das zeigt sich etwa an dieser Mausefalle, Marke
Eigenbau, mit der sich bis zu zehn der kleinen Nager
fangen ließen. Der Erfinder bewies Einfallsreichtum: Die
Wippe am Fallenboden lässt die Falle zuschnappen, der
Maus bleibt nur mehr der Weg nach oben. Dort angelangt, fällt sie durch ein Falltürchen in die wassergefüllte
„Fangdose“ und ertrinkt …
Kornelkirsche alias Dirndl
Cornelian cherry alias Dirndl (“lasses”)
Die Dirndln – zu Hochdeutsch „Kornelkirschen“ – sind
in Südeuropa sowie Teilen Mitteleuropas weit verbreitet.
Man trifft die zur Gattung der Hartriegel gehörenden
großen Sträucher oder Bäume in warmen Lagen an sonnigen, oft steinigen Hängen sowie an Weg- und Waldrändern an. Freunde der glänzend roten kleinen Frucht
brauchen nicht lange zu suchen: Seit nämlich das
Pielachtal 2003 im Rahmen eines Regionalentwicklungsprogrammes auf die ebenso weit verbreitete wie
kaum beachtete Frucht kam, hat die Zahl der Dirndlstauden dort deutlich zugenommen. Die Dirndln regieren
als „Markenobst“ die Region. Seither werden im „Dirndltal“ Marmeladen, Saft, Wein, Edelbrände, Schokolade,
Joghurt, Eis oder – in würziger Variante – „Pielachtaler
Oliven“ und Ziegenkäserollen aus der süßsauren und
Vitamin-C-reichen Frucht gewonnen … und natürlich
entsprechend vermarktet. Alle zwei Jahre küren die
Pielachtaler beim Dirndlkirtag ihre Dirndlkönigin, die das
„Tal der Dirndln“ als charmante Botschafterin nach
außen vertritt.
Ein Feuerwerk an Farben und Aromen
A wealth of colours and flavours
Für die Niederösterreichische Landesausstellung 2015
machen Michael Machatschek, Forscher, Landschaftsund Freiraumplaner sowie Vegetationskundler, und
Elisabeth Mauthner die große Vielfalt der Speisekammer
Natur sichtbar: Im Sommer und Herbst 2014 haben sie
im östlichen Alpenraum Hunderte von wild wachsenden
Pflanzen gesammelt und mit einer Vielzahl verschiedener
Methoden konserviert. Sie griffen Wissen um die
Nutzung sammelbarer Naturpflanzen auf, das so alt ist
wie die Menschheit selbst.
Darauf, dass sich Lebensmittel mit Essig, Salz, Zucker,
Honig, Wein oder Alkohol auf natürliche Weise in Gläsern
haltbar machen lassen, stieß Machatschek ab den
1980ern bei Wanderungen in verschiedenen Landstrichen Europas. Je nach Region werden Blätter, Sprossen,
Knospen oder Blüten in Marinaden eingelegt, Pflanzen
zum Würzen und für Tee getrocknet, Wurzel-, Wildgemüse und Chutneys zubereitet, Pilz- und Flechtenprodukte
konserviert, Marmeladen eingekocht, Früchte gedörrt,
Sirupe, Obstweine, Essige und Tinkturen gewonnen.
In jahrelanger Arbeit erprobte sich Machatschek in
Veredelungs- und Haltbarmachtechniken und entdeckte dabei gleichermaßen unbekannte wie schmackhafte
Speisen. Ein Feuerwerk an Farben und Aromen!
Wilhelm Albert Schleicher (1826 –1900)
Fotografie (R)
Scheibbs, Slg. HHH
Wilhelm A. Schleicher, Sohn einer wohlhabenden
St. Pöltner Kaufmannsfamilie, absolvierte zunächst eine
kaufmännische Ausbildung, ehe er Agrarwirtschaft, Tierheilkunde, Botanik und Faunistik studierte. Nach Übersiedlung nach Gresten betrieb er intensive Naturstudien,
insbesondere auf seinen zahlreichen Gebirgswanderungen, Ausflügen und Reisen, über die er auch Tagebuch
führte. Schleichers größte Verdienste liegen in seinem
Engagement für den Obstbau im Mostviertel und die
Vielfalt heimischer Apfel- und Birnensorten. Es sollte ihm
vielfach Würdigung und zahlreiche Auszeichnungen einbringen. Zunächst gründete Schleicher eine große Baumschule, in der er reine, alte Sorten züchtete, 1874 ließ er
sich ein Landhaus bauen, um seine Versuche im Rahmen
einer Musterlandwirtschaft voranzutreiben. Schleicher
hielt Kurse für seine bäuerlichen Kollegen ab, publizierte
über den Schutz der Vögel und die Schonung der für
die Landwirtschaft nützlichen Tiere und gründete die erste Feuerversicherung sowie die erste Raiffeisenkassa
der Region.
Verzeichnis der auf dem Weierhof
kultivierten Obstsorten
Register of fruits cultivated on the
Weierhof farm
Wilhelm Schleicher (1826–1900), 1895
Scheibbs, Slg. HHH
Von 1880 an baute der Agronom Wilhelm Schleicher den
Weierhof bei Gresten zu einem landwirtschaftlichen Versuchsbetrieb aus. Schleicher, dessen Liebe dem Obstbau galt, versuchte sich in der Veredelung von Apfel- und
Birnensorten, wovon dieses „Zehnseitige Sortimentsverzeichnis der an der Versuchs-Anstalt für Obstbau zu
Weierhof bei Gresten […] cultivierten Obstsorten“ zeugt.
Aufzeichnungen zu den am Weierhof
gezüchteten Birnensorten
Notes on the pear varieties grown
on the Weierhof
Manuskript (R), Wilhelm Schleicher, nach 1880
Scheibbs, Slg. HHH
Durch Züchtung ausgezeichneter und vielfältiger Mostbirnensorten bemühte sich Wilhelm Schleicher um
die Verbesserung des typischen Hausgetränkes der
Mostviertler. Im Manuskript „Beschreibung der am Weierhof verschiedenen gepflanzten Mostbäume“ hielt er
die Zuchtergebnisse seiner Baumschule 1880 bis 1890
fest. 97 Birnensorten sind jeweils mit Zeichnung und ausführlichen Angaben zu Wuchs, Ertrag und Geschmack
beschrieben. Schleicher hielt stets Kontakt zu anderen
Züchtern und tauschte mit ihnen Reisig zum Veredeln
seiner Bäume aus.
Medaillen von diversen
Landwirtschaftsausstellungen
Medals from diverse agricultural fairs
Ende 19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Ob Niederösterreichische Landes-Obstausstellung oder
Allgemeine Land- und Forstwirtschaftliche Ausstellungen: In zahlreichen Gold-, Silber- und Bronzemedaillen,
die Wilhelm Schleicher bei einschlägigen Ausstellungen
errang – hier eine kleine Auswahl –, fanden seine Bemühungen um die Verbesserung des Obstes sichtbare Anerkennung.
Urkunde zum Goldenen Verdienstkreuz für Wilhelm Schleicher
Certificate of the Golden Cross of
Honour for Wilhelm Schleicher
verliehen von Kaiser Franz Joseph I., 1880
Scheibbs, Slg. HHH
Der Rosenhof. Erzählung aus dem
österreichischen Gebirge
The Rosenhof. A Story of the
Austrian Mountains
Wilhelm Schleicher, 1. Auflage, Wien 1868
Scheibbs, Slg. HHH
Ursprünglich sollte „Der Rosenhof“ als Kurzgeschichte
in jenem Kalender erscheinen, den Schleicher redigierte.
Doch die Themen schienen ihm so lohnend, dass er einen Roman daraus machte, der 1868 im „Selbstverlage
des Verfassers“ erschien. Darin behandelte Schleicher
aktuelle Probleme der Landwirtschaft und entwarf das
Bild eines Musterhofes von solider Wirtschaftlichkeit.
Vieles, wovon Schleicher schrieb, beruhte auf eigenen
Erfahrungen.
KAPITEL 02
WALDREICH
REALM OF WOODS
Der Rothwald Rothwald forest
Fotografien (R), Lothar Machura (1909–1982), um 1960
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [MF2001, MF2005, MF2008]
Mit seiner fotografischen Dokumentation trug Lothar
Machura, Kustos des Landesmuseums Niederösterreich
und Sachbearbeiter für Naturschutz, dazu bei, dass der
Rothwald
zum Naturschutzgebiet erklärt wurde.
Das heutige Wildnisgebiet am Dürrenstein, insbesondere
aber der Rothwald, gehört zu wenigen Wäldern in Europa,
die seit dem Ende der Eiszeit vor rund .
ahren nie
bewirtschaftet wurden. Das hat vor allem damit zu tun,
dass die Gegend schwer zugänglich ist. Um
erwarb
Albert Baron Rothschild mit großen Waldflächen aus dem
früheren Besitz des Klosters Gaming auch den Rothwald.
Er beschloss, ihn dauerhaft als Urwald zu erhalten.
Blick in das Wildnisgebiet am
Dürrenstein
Impressions of the Dürrenstein
wilderness area
© Franz Hafner
Der Begriff „Wildnis“ ist eng mit der Entwicklung der
Moderne verknüpft. Ende des . ahrhunderts stellte man
der „verdorbenen Zivilisation“ als Ideal die naturästhetisch
verklärte „ursprüngliche Wildnis“ gegenüber. Mit fortschreitender Industrialisierung kam Ende des . ahrhundert
die Idee auf, Flächen zu kaufen und nicht zu nutzen, sondern der Natur zu überlassen. Erste Schutzgebiete wurden
eingerichtet. Alpenweit eines der frühesten Beispiele für
Naturschutz und das größte echte Wildnisgebiet begründete
Albert Rothschild mit seiner Entscheidung, den Rothwald
im Urzustand zu belassen. Er ist heute das Herz des
, uadratkilometer großen „Wildnisgebietes Dürrenstein“, das seit
als solches anerkannt ist. Es darf nur
sehr eingeschränkt von Menschen betreten werden.
Lilienfelder Xylothek Lilienfeld xylotheque
20 Bände, Candid Huber (1747–1813), Ende 18. Jh.
Lilienfeld, Zisterzienserstift Lilienfeld , , , , ,
, , , , , , ,
,
,
,
,
,
,
,
Das Kloster Lilienfeld verfügt über
Bände einer ylothek des bayrischen Benediktinermönchs Candid Huber. In
solchen „Holzbibliotheken“, wie sie seit dem . ahrhundert in mehreren Bibliotheken vorhanden sind, präsentiert
sich die Natur als aufgeschlagenes Buch. eder Band
dokumentiert eine Baumart: vom Holz, aus dem der Buchdeckel gearbeitet ist, über die Rinde, die den Buchrücken
bildet, bis hin zu Zweigen, Blättern, Früchten und Samen,
die sich im Inneren finden. Bisweilen entdeckt der „Leser“
sogar das Harz des Baumes oder gewisse Insekten.
Lateinische Bezeichnung auf dem Buchrücken /
Aktuelle Artbezeichnung
Latin name on the spine Modern name of the type of wood
1
Clematis Vitalba / Gewöhnliche Waldrebe
Old man s beard, traveller s joy
2
Vaccinium uliginosum / Moor-Rauschbeere
Bog bilberry, northern bilberry
3
Hedera Helix / Efeu
Common ivy
4
Sambucus Ebulus / Attich
Dwarf elder, dane weed
5
Sambucus nigra / Schwarz-Holunder
Elderberry, black elder
6
Ligustrum vulgare / Gewöhnlicher Liguster
Wild privet, common privet
7
Staphylaea pinnata / Pimpernuss
European bladdernut
8
Rhamnus cathartica /
Gewöhnlicher Kreuzdorn
Buckthorn, common buckthorn
9
Rhamnus Frangula / Faulbaum
Alder buckthorn
10 Berberis vulgaris / Berberitze
European barberry
11 Cornus sanguinea / Roter Hartriegel
Common dogwood
12 Sorbus torminalis / Elsbeerbaum
Wild service tree
13 Prunus domestica / Zwetschke
Plum
14 Prunus avium / Vogelkirsche
Wild cherry, bird cherry
15 Pyrus Malus / Malus sylvestris, Holzapfel
European crab apple
16 Taxus baccata / Eibe
English yew, European yew
17 Tilia parvifolia / Tilia cordata, Winterlinde
Small-leaved lime, small-leaved Linden
18 Ulmus suberosa / Ulmus minor, Feldulme
Field elm
19 Pinus Sylvestris / Rotföhre
Scots pine
20 Pinus Larix / Larix decidua,
Europäische Lärche
European larch
Kloster Lilienfeld Lilienfeld Abbey
Kupferstich, Emanuel Mair (1678–1766), 18. Jh.
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek
Als das Zisterzienserkloster Lilienfeld
gegründet wurde, war das Traisental kaum besiedelt. Die Mönche sollten
unter anderem das Waldgebiet erschließen. In späteren
ahrhunderten, als die Nutzung fortschritt, kam man immer
wieder mit dem Kloster Gaming und anderen Grundherren
in Konflikt. Im . ahrhundert stieg in Wien der Bedarf
nach Holz. Für die Schlägerung holte man Holzknechte aus
dem Salzkammergut – Geheimprotestanten, wie dem
Kloster lange verborgen blieb.
durch oseph II. aufgehoben, wurde das Kloster ein ahr später wiedererrichtet. Von seinen bten sei ohann Ladislaus Pyrker hervorgehoben. Er war maßgeblich für die Erschließung des
Lassingfalls nach
verantwortlich.
Skizze des Holzschlags Josefsberg /
Teufelsriegel
Sketch of the lumbering area on
osefsberg Teufelsriegel
18. Jh.
Lilienfeld, Stiftsarchiv Lilienfeld, Alte Registratur Kt. ,
Grenzbeschreibung (Markung) zwischen Lilienfeld und Gaming
–
MI
Rund um das Plänklbächl zwischen Gösing und Erlaufboden herrschte ein Grenzstreit zwischen dem Kloster
Lilienfeld, der Kartause Gaming und der Herrschaft
Weißenburg. Die Skizze dokumentiert unter anderem einen
„angemasten Holzschlag“ und den Holzschlag am „Kolla
Kogel“, die zum Kloster Lilienfeld gehören – anders als der
„Closter Gamming alte Holzschlag“.
„Aussagung der Alten“ zum
Plänklbächl
“Statements of the Old” on the
Plänklbächl brook
um 1721
Lilienfeld, Stiftsarchiv Lilienfeld, Alte Registratur Kt. ,
Grenzbeschreibung (Markung) zwischen Lilienfeld und
Gaming
–
MI
Um sich im Grenzstreit um das Plänklbächl und den Teufelsriegel ein Bild von der bisherigen Nutzungspra is zu
machen, wurden die „Alten“ rund um den Ötscher befragt:
Es waren dies - bis -jährige äger und Fischer, die
teils in Diensten einer der verschiedenen Streitparteien
standen. Sie bezeugten, wie weit sich ihr agdgebiet bis
dahin erstreckt hatte.
wurde der Grenzstreit zwischen
dem Kloster Lilienfeld, dem Kartäuserkloster Gaming und
der Herrschaft Weißenburg mit einem Vergleich beigelegt.
Markungsinstrument mit Wappensiegeln von Lilienfeld und Gaming
Document on district boundaries, with
heraldic seals of Lilienfeld and Gaming
1722
Lilienfeld, Stiftsarchiv Lilienfeld, Alte Registratur Kt. ,
Grenzbeschreibung (Markung) zwischen Lilienfeld und Gaming
–
MI
In diesem Dokument kommt man auf den Grenzstreit
zwischen den Klöstern Lilienfeld und Gaming zurück.
Unterzeichnet und gesiegelt wurde es von Chrysostomus
Wieser, Lilienfelder Abt von
bis
, und oseph
Kristelli von Bachau, Prälat von Gaming
bis
.
Mit einem Einschnitt durch das gesamte Dokument wurde
sein Inhalt indes ungültig gemacht.
Karte des Kögelberges
Map of Kögelberg
18. Jh.
Lilienfeld, Stiftsarchiv Lilienfeld, Alte Registratur Kt. ,
Grenzbeschreibung (Markung) aller stiftsherrschaftlichen
Waldungen im Gebiet der Gemeinde Annaberg Karten
–
M II
Die „Mappa des Kögelberges“ zeigt die herrschaftlichen
Waldungen des Klosters Lilienfeld und die angrenzenden
Gebiete am Kögelberg nördlich von Annaberg. Eingezeichnet sind jene Bereiche, für die fünf Gemeindebauern
das Holzrecht beanspruchen (VII) bzw. wo ein gewisser
„Solnreiter und Waldbauer“ (VIII) auf das Stockrecht
Anspruch erheben. Die meisten der ausgewiesenen Flurnamen sind bis heute gebräuchlich.
Aufriss und Grundriss des Gebietes
am Kögelberg
Vertical and horizontal sections of the
Kögelberg area
Lorenz Siegl, k.k. Markscheider, 1776
Lilienfeld, Stiftsarchiv Lilienfeld, Alte Registratur Kt. ,
Grenzbeschreibung (Markung) aller stiftsherrschaftlichen
Waldungen im Gebiet der Gemeinde Annaberg Karten
–
M II
Dieser „Prospect nach der Laage des Gebürges“ dokumentiert die Festsetzung der Grenzen zwischen dem
Kloster Lilienfeld und der Herrschaft Weißenburg im Gebiet
am Kögelberg nördlich von Annaberg. Eingezeichnet sind
die „Poststraße nach St. Annaberg“ und ein Wasserfall als
„abfallendes Wasser“.
Kartause Gaming
Gaming Charterhouse
Kupferstich (R), 1725
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek
Als Herzog Friedrich der Schöne
in bayerische
Gefangenschaft geriet, gelobten seine Brüder Albrecht II.
und Leopold, im Falle seiner Freilassung ein Kloster zu
gründen. 1332 wurde der Grundstein gelegt, 1342 der Bau
vollendet und von Kartäusern besiedelt. Der Klosterbesitz
erstreckte sich von Ruprechtshofen an der Melk bis an den
Ötscher. Da die Besitzgrenzen im dichten Wald oft unklar
waren, gab es immer wieder Auseinandersetzungen mit
den Stiften Lilienfeld und Admond. Eines der Gebiete im
Grenzbereich, das von keinem Kloster genutzt wurde, war
das unzugängliche Gebiet am Dürrenstein – das heutige
Wildnisgebiet Dürrenstein.
durch oseph II. aufgehoben, wird das Kloster heute anderweitig genutzt.
Brandwirtschaft Swidden farming
Im Gebiet um den Ötscher wurde bis ins . ahrhundert –
in Nestelberg sogar noch um
– eine archaische Form
der Bodennutzung betrieben: die Brandwirtschaft. Dabei
brannte man wild gewachsene Vegetation ab, um die
Fläche zwei ahre hindurch zu bebauen und dann zwölf
bis
ahre lang wieder der Natur zu überlassen. Beim
„Raub-“ oder – wie es in der lokalen Mundart heißt –
„Schlagbrennen“ legte man, wie Moritz A. Becker
beschrieb, Laub und Reisig „reihenweise auf den Boden“.
An windstillen Tagen wurde es an höchster Stelle entzündet und das Feuer mit dem „Brandhagl“ nach unten
gezogen. In das „mit Asche gedüngte Erdreich wird
Roggenkorn, zuweilen auch Rübe gesetzt und mit der
Haue in den Boden gefördert“, so Becker. „Das schönste,
lauterste Korn – man nennt es vorzugsweise ,Brandkorn –
so wie schwere, saftige Rüben“ waren der Lohn. Das
Getreide wurde mit Brandsicheln geerntet und auf Troadspießen nach Hause zum Dreschen gebracht.
Brandhaue
Hoe for swidden farming
Trübenbach, Holzknechtmuseum Trübenbach
Brandsichel
Sickle for swidden farming
Trübenbach, Holzknechtmuseum Trübenbach
Die Feuerwalze wird heruntergezogen
The fire is “pulled” downhill
Fotografie (R)
Scheibbs, Slg. HHH
Brandkorn wird mit der Brandsichel geschnitten
Grain grown on scorched soil is cut with a sickle
Fotografie (R)
Scheibbs, Slg. HHH
Troadspieß für die Brandwirtschaft
Grain pike
20. Jh.
Trübenbach, Holzknechtmuseum Trübenbach
Brandkorn wird mit dem Troadspieß
heimgetragen
Grain grown on scorched soil is carried
home with a grain pike
Fotografie (R), 20. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Beerenkamm Comb berry picker
19./20. Jh.
Loich, Heimatverein Heimatmuseum Loich
Bis ins . ahrhundert waren die Bauern Selbstversorger:
Was man zum Leben brauchte, wurde selbst produziert.
Oder – so wie etwa Beeren – im Wald gesammelt. Ob
frisch oder zu Marmelade und Saft eingekocht: Beeren ergänzten den Speiseplan. Das Sammeln war meist Aufgabe
der Kinder. Zum Heidelbeersammeln zogen sie mit einem
Beerenkamm los, der vielerorts ab Mitte des . ahrhunderts jedoch verboten wurde, weil er die jungen Bäume
schädigt – eine von mehreren Maßnahmen, die forstwirtschaftliche Anforderungen vor das Recht des Bauern auf
Waldnutzung stellten.
Pecherei Resin tapping
Als „Pecherei“ bezeichnet man die Gewinnung von Baumharz, wie sie vor allem im südlichen Niederösterreich bis
ins . ahrhundert hinein praktiziert wurde. Die Pecher
sammelten das frisch auslaufende ebenso wie das eingetrocknete Harz, vor allem der Schwarzföhre. Durch Sieden
wurde das „Pech“ zu Kolophonium und Terpentinöl verarbeitet. Beim Brühen der geschlachteten Schweine erleichterte es das Entfernen der Borsten. Harz verwendete man
zudem als Klebe- und Dichtungsmittel, als Lichtspender,
für Farben und Seifen. In gewissen Gegenden wurde es
sogar gekaut. Mit dem Aufkommen billigerer Produkte
aus Mineralöl starb die Pecherei in Österreich fast aus.
Pechkübel
Resin bucket
19. Jh.
Großreifling, Ö Forstmuseum Silvanum
Pecher bei der Arbeit
Resin tapper at work
Fotografie (R)
Wien, APA-PictureDesk GmbH, Prohaska Rene
Verlagsgruppe News picturedesk.com
Schneiteln Pollarding
Das Schneiteln von Laub- und Nadelbäumen war bis ins
. ahrhundert in vielen alpinen Gegenden Teil der
traditionellen Landwirtschaft. Diese Form der Futter- und
Streugewinnung durch Abschlagen von sten verlieh der
Landschaft einen eigenen Charakter, der heute ganz verschwunden ist. Im Spätherbst bestiegen die Bauern alles,
was an Bäumen verfügbar war, mit speziellen Steigeisen.
Mit dem Haumesser schlugen sie zwei- bis fünfjährige
Zweige herunter. Laub und Triebe wurde getrocknet, eingelagert und im Winter als Laubfutter an Kühe, Schafe und
Ziegen verfüttert. Geschneitelte Wälder und Hecken waren
lichtdurchlässiger. Die Folge: Die biologische Vielfalt von
Flora und Fauna war größer.
Hau- und Schnittmesser
Machete
h
Trübenbach, Holzknechtmuseum Trübenbach
Schneiteln in Zederhaus, Lungau
Pollarding in Zederhaus, Lungau
Drei otogra en
, rika Hubatschek,
Edition Erika Hubatschek
Die Wiederentdeckung der Waldweide
The rediscovery of the wood pasture
3:00 min., Ausschnitt aus der Kurzdokumentarfilmserie
„Hüeterbueb und Heitisträhl“ von Rahel Grunder, 2011
Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und
Forstwirtschaft WSL, Birmensdorf, Schweiz
Bis ins . ahrhundert hinein – in den Alpen länger –
ließen die Bauern im Wald ihre Ziegen, Schafe, Pferde,
Rinder und Schweine weiden. Mit dem Beginn der modernen Forstwirtschaft fand die Waldweide in den meisten
Regionen ein Ende. Vielleicht auch nur ein vorläufiges:
Denn aktuelle Versuche haben gezeigt, dass ein als Waldweide genutzter Wald lichter wird und durch eine größere
Artenvielfalt besticht: Nieder-, Mittel- und Weidewälder
entstehen. Artenvielfalt durch Nutzungsvielfalt, oder anders
ausgedrückt: Ordnung schadet der Vielfalt
KAPITEL 03
HOLZBOOM
LUMBER BOOM
Die Arbeit der Holzknechte
im Jahreslauf
Lumberjack work through the seasons
Pater Chrysostomus Sandweger (1778–1838), 1828–1838 (R)
Annaberg, Kath. Pfarre Annaberg, Foto: Christoph Panzer
Das Gästezimmer des Pfarrhofes Josefsberg schmückt
ein raumgreifendes Gemälde, das detailliert Auskunft über
die Holzknechtarbeiten im Jahreslauf gibt. Geschaffen hat
es mit großer Sachkenntnis Pater Chrysostomus Sandweger, Josefsberger Pfarrer und vormals „Waldmeister
und Strasseninspector“ von Stift Lilienfeld. Er hinterließ
damit eine der wichtigsten – und raren – Quellen zu Leben
und Arbeiten der Holzknechte um den Ötscher im frühen
19. Jahrhundert. 1953 renoviert, gilt das Gemälde als
bedeutendes Zeugnis österreichischer Volkskunst.
Bei der Arbeit im Schlag
Logging
Vom Frühsommer bis zum Frühherbst waren die Holzknechte mit dem Schlägern auf Eibl, Bichleralm und
Josefsberg beschäftigt. Das Bild zeigt eine „Zehnerpass“,
deren Chef, der „Passknecht“, vor Aufnahme der Arbeiten
mit dem Auftraggeber den Preis vereinbarte. Bezahlt
wurde pro Klafter. Bei starken, langwüchsigen Bäumen
mit wenigen Ästen war man im Vorteil; schwache, kurzwüchsige mit vielen Ästen brachten weniger Holz und
kosteten mehr Arbeit. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert
wurde das geschlagene Holz durchwegs als Brennholz
genutzt – ausgenommen besonders schöne Stämme mit
geradem Schaft, die bisweilen als Bauholz dienten.
Zwei Holzknechte fällen mit Universalhacken Bäume.
Bei einem Durchmesser von bis zu 15 Zentimetern kam
die Hacke zum Einsatz. Mit deren breiter Rückseite
trieben die Knechte einen Keil in den Fällschnitt, um die
Fallrichtung des Baumes zu lenken und die Kollegen nicht
zu gefährden. Die Wurzelstöcke bleiben im Schlag stehen.
Sie vermoderten über die Jahrzehnte.
Ein Baum wird mit einer Zugsäge „umgehackt“.
Die beiden Holzknechte sind ein eingespieltes Team: Der
„Ziaga“ zieht die Säge durch den Stamm, sein Gegenüber
schiebt nur wenig an, damit sich die Säge nicht aufbuckelt und steckenbleibt. Beim Zurückziehen der Säge
werden die Rollen getauscht. Starke Bäume ließen sich in
einer vertretbaren Zeit alleine mit der Zugsäge fällen.
Der Baum wird entastet. Die Holzknechte warfen die
abgeschlagenen Äste, für die man keine Verwendung
hatte, auf Haufen oder Reihen („Fratten“). Im Herbst oder
im folgenden Frühjahr wurden diese verbrannt („Schlagbrennen“), um dort später Brandrüben oder Brandgetreide
zu säen. Von der Rinde verwertete man nur einen kleinen
Teil. Die Stücke mit wenigen oder gar keinen Astlöchern
verwendeten die Holzknechte für ihre Unterstände („Duck“)
oder die Sommer- und Winterhütten. Gab es in der Nähe
des Holzschlages gangbare Wege, wurden die Rindenplatten gestapelt und an die Gerbereien verkauft. Das bot
einen willkommenen Zusatzverdienst.
Der Stamm wird auf die Länge der Scheiter
zugeschnitten („abgelängt“). Im 18. und frühen
19. Jahrhundert hatten die Scheiter die Länge eines
Klafters (1,9 Meter).
Das Holz wird zu Scheitern verarbeitet. Das
„Aufscheiten“ geschah mit einer schweren Axt („Mösel“)
und einem eisernen Scheitkeil („Scharl“). Holz von
mehr als 16 Zentimetern Durchmesser war mindestens
einmal zu spalten, um zu verhindern, dass es faulte.
Die Holzscheiter werden gelagert („gezaint“). Auf den
Holzstößen wartete das als Brennholz vorgesehene
Material auf den Abtransport. Der erfolgte im Winter mit
Schlitten oder im Frühling mit der Trift.
Eine Person skizziert die Szene. Hier hat sich wohl der
Künstler, Pater Chrysostomus Sandweger, verewigt.
Täglich wird rund zwölf Stunden gearbeitet. In der
Morgendämmerung verließen die Holzknechte ihre Hütte
im Wald, um bei vollem Tageslicht die Arbeit im Schlag
zu beginnen. In der heißen Mittagszeit wurde mehrere
Stunden im Schatten geruht und dann bis zur Dämmerung
weitergewerkt. In der Regel arbeitete man bis Samstagmittag.
Vermutlich das katholische Kirchlein St. Johann in
der Wüste. Das Kloster Lilienfeld errichtete für die Holzknechte und ihre Familien eine Holzkirche. Nach dem
Toleranzpatent von 1781 bekannten sie sich aber mehrheitlich zum evangelischen Glauben. Die Pfarre wurde
nach fast
ahren aufgelassen, das Kirchlein zerfiel.
Älterer Mann in einer Gebirgslandschaft
Elderly man in a mountain landscape
Landschaft mit Gebirgssee
Landscape with mountain lake
Das wenig aussagekräftige Landschaftsbild mit
Gebirgssee wurde bei der Renovierung 1953 auf eine
zugemauerte Türe gemalt.
Das Zainen der Holzscheiter
Log-stacking
Die Holzknechte hinterlassen einen sauberen
Kahlschlag. Worauf die Holzknechte früher stolz waren,
ist aus ökologischer Sicht bedenklich. Heute versucht
man, den „Nebenbestand“ zu erhalten und die vorhandene
Naturverjüngung, sprich: den aus Samen oder Stockausschlag natürlich entstandenen Baumnachwuchs, zu
fördern. Damit erreicht man eine Überschirmung des
Bodens – also eine Abdeckung durch die Baumkronen –
und einen Mischbestand.
Das bearbeitete Holz wird auf Holzstößen gestapelt.
Holzstapel oder „Zaine“ errichtete man an Stellen, die für
die Bringung günstig waren. Hier wartete das Holz auf den
Weitertransport. Im Winter wurden die Scheiter vom Zain
auf den Schlitten geladen oder in die Riese geworfen –
damit das ohne großen Aufwand geschah, waren die Zaine
an den Wasserläufen entsprechend platziert.
Die Holzstapel sind maximal 1,9 Meter hoch. Damit
die Holzknechte die Scheiter problemlos legen konnten,
war die maximale Höhe der Zaine mit einem Klafter festgelegt; gemessen wurde mit einem „Maßstangl“. Beim
Aufzainen kam das Griesbeil zum Einsatz, das am Stiel
Halbkluft- oder Metermarken eingekerbt hatte. Die Holzknechte mussten ein Übermaß von einem Viertel Schuh
(acht Zentimeter) berücksichtigen: Damit trug man dem
Umstand Rechnung, dass Holz beim Lagern trocknet und
schwindet – bei der Übergabe musste das abgetrocknete
Holz aber exakt einen Klafter hoch sein!
nmitten des Kahlschlags be ndet sich eine
Holzknechthütte.
Ein Jäger mit Hund, Vertreter der Herrschaft,
inspiziert die Arbeit.
Holzknechtarbeit im Winter
Lumberjack work in winter
Das Holz wird auf Schlitten abtransportiert. In großem
Bogen führt ein Schlittenweg vom Berg herunter. Im
Winter brachten die Holzknechte das im Laufe des Jahres
in Zainen geschlichtete Holz mittels Schlitten zu Tal.
Der Holzknecht bremst den Schlitten. Die Fahrt mit dem
Schlitten war nicht ungefährlich. Vorne bremst der Knecht
mit den Füßen, hinten mit angehängten Scheiterbündeln.
Das Holz wird in den zugefrorenen Bach gekippt.
Wenn es im Frühjahr taute, ließ sich das Holz mit der Trift
schwemmen und so weitertransportieren.
Nach dem Abladen gilt es weiteres Holz zu laden
und herunterzubringen.
Alles, was für Arbeit und Alltag im Wald benötigt wird,
ist in der „Spitzkraxn“. Auch einer der beiden Holzknechte
trägt am Rücken dieses hölzerne Tragegestell.
Im Hintergrund ist die Basilika von Mariazell
zu erkennen.
Holzbringung mit Riesen
Timber transport via log flumes
Das Holz wird mit „Rossen geschlittelt“ transportiert.
Pferdeschlitten kamen zum Einsatz, wenn das Gefälle für
den Transport mit Holzriesen zu gering oder das Gelände
leicht ansteigend war.
Mittels Riesen wird das Holz ins Tal herabbefördert.
Die Errichtung von Holzriesen lohnte sich nur, wenn der
Holzschlag groß genug war und der Abtransport aus
steilem Gelände erfolgte. Am besten funktionierten die
Riesen bei feuchtem Wetter oder bei Schnee und Eis.
Im Frühling, wenn es taute, ließ sich das Holz auf dem
Wasserweg weitertransportieren.
Die Wohnhäuser der Holzknechte sind vollständig aus
Holz errichtet. Sogar die Kamine bestanden aus Lärche.
Ein Holzknecht bringt sein Werkzeug auf Vordermann.
Im Winter stand vor allem der Holztransport auf dem
Programm. Daneben reparierten die Holzknechte ihr Werkzeug oder stellten Stiele und Haushaltsgeräte aus Holz
her. Ansonsten vertrieben sie sich die Zeit mit der Familie
oder mit Schlafen, Kartenspielen und Eisstockschießen.
Der Lassingfall
The Lassing waterfall
Zur Zeit der Entstehung des Gemäldes, im ersten Drittel
des 19. Jahrhunderts, war der Lassingfall schon eine
bekannte Touristenattraktion.
Holztrift mit Holzaufzug
und Schwemmtunnel
Wood-drifting with elevator and
sluiceway tunnel
Anfang des 19. Jahrhunderts war der Bedarf an Holz groß.
Nach Nutzung der Urwaldreste am Ötscher bot sich im
Bereich des Göllers eine große Waldfläche an. Allerdings
versperrte dort eine Hügelkette den Weg zum Wasser. Die
Wasserscheide am Gscheidl zwischen Mürz- und Preintal
wiederum ließ einen Schwemmbetrieb Richtung Donau
vorerst nicht zu. Die Lösung kam von dem aus dem Salzkammergut stammenden Passknecht Georg Hubmer: Er
hatte die Idee zu einer Triftanlage, die aus Schwemmkanal,
Holzaufzug und Tunneldurchbruch durch das Gscheidl
bestand.
Am Eingang des Schwemmtunnels. Der stolze Georg
Hubmer inspiziert den 431 Meter langen Tunnel, den man
durch das 1.134 Meter hohe Gscheidl gegraben hatte.
Auf dem Schwemmkanal wird das Holz weiterbefördert.
Jenseits des Tunnels, bei Neuwald, wurde ein von
uellen gespeister schiffbarer Kanal von elf Kilometern
Länge errichtet. Nach fünf Jahren Bauzeit war er 1827
fertig. Nun ließ sich das gefällte Holz auf den Schwemmkanälen ins Preintal, auf der Schwarza in Richtung
Wiener-Neustädter-Kanal und weiter nach Wien befördern.
Das Holz wird zum Schwemmtunnel befördert.
Dazu diente ein 228 Meter langer, von einem Wasserrad
betriebener Aufzug – ein Wunderwerk der Holzknechttechnik, das weit über die Region hinaus bestaunt wurde.
Es ist dies die einzige Darstellung des Holzaufzuges!
Pferde ziehen mit Holz beladene Kähne stromaufwärts.
Holzknechte sorgen dafür, dass sich das Holz nicht
verspreizt. Griesbeile kamen zum Einsatz, um Verklausungen und damit einem Rückstau vorzubeugen. Mit langen
Stangen und Haken wurde das Holz losgelöst – ein harte
und gefährliche Arbeit!
Erlaufsee mit Gemeindealpe
Lake Erlauf with Gemeindealpe
Der Rechen am Ende der Trift
Timber grill at the end of the
wood-drifting system
Das Ende der Trift ist auf dem Gemälde in einer Fantasielandschaft am Übergang von der gebirgigen in die sanft
hügelige Landschaft angesiedelt.
Am Hauptrechen vor der Einmündung in die Donau
endet die Trift.
n einem Seitenkanal schen die Holzknechte das Holz
aus dem Kanal.
Am Ufer wird das Holz zu großen Stapeln „aufgezaint“.
Dort wartete es auf den Weitertransport – ob auf der Donau
oder auf dem Wiener-Neustädter-Kanal – in die Metropole
Wien.
Heribert Pfeffer über die Arbeit der
Holzknechte im Jahreslauf
Heribert Pfeffer on the lumberjacks’ work
in the course of the year
Reinhard Linke im Gespräch mit Heribert Pfeffer (geb. 1952),
Tonaufnahme, 2015
© Reinhard Linke
Im lokalen Dialekt der niederösterreichisch-steirischen
Grenzregion erklärt der gelernte Holzknecht und spätere
Jäger Heribert Pfeffer das raumgreifende Gemälde im
Gästezimmer des Pfarrhofes Josefsberg. Es gibt detailliert
Auskunft über die Arbeiten der Holzknechte um den
Ötscher im Jahreslauf.
Die Flößerei auf der Salza und
die Prescenyklause
Log driving on the Salza and the
Presceny dam
Film, ca. 2:00 min., um 1927
© Filmarchiv Austria
Mit der „Bringung“ des Holzes brach die letzte Etappe
des Holzgeschäftes auf dem Weg vom Baum zum Kunden
an. Da der Transport auf dem Landweg zu mühselig war,
geschah er – so die Möglichkeit dafür bestand – großteils
auf Bächen und Flüssen. Dabei unterschied man das Triften
und das Flößen, die gleichermaßen gefährlich waren und
viel Kraft und Geschick erforderten. Für das Triften wurde
das Wasser in Klausen gestaut und losgelassen, um das
Holz auf kleineren Flüssen zu schwemmen. Beim Flößen
wurden die Baumstämme zusammengebunden und
schwimmend transportiert – angesichts der Stromschnellen
der Gebirgsbäche ein äußerst riskantes Unterfangen.
Gepackte Holzkraxe eines Holzknechts
A lumberjack’s packed carrying frame
19./20. Jh.
Ulreichsberg, Nachlass Engelbert Kraft
Am Montagmorgen zogen die Holzknechte in Richtung
Holzschlag los. Was man für die kommenden Tage
benötigte, war auf die Rückentrage, die „Kraxn“, gepackt.
Mitgenommen wurde natürlich das Werkzeug, das für die
Arbeit während der Woche unabdingbar war: etwa das
„Schinta“ genannte Loheisen zum Entrinden frisch geschlagener Bäume; oder die Zugsäge, die zusammen mit Axt
und Keil zum Fällen der Bäume diente. Für den täglichen
Bedarf hatte der Holzknecht sein mäusesicheres Kostkisterl mit der Sterzpfanne sowie etwas Mehl und Schmalz
dabei. Gegen die Kälte in der Nacht schützte die mit
Lumpen und Flachsresten gefüllte „Kotze“, quasi ein
Vorläufer der Steppdecke. Am Samstag kehrten die Holzknechte zu ihren Familien heim, um ihre Arbeit am Montag
wieder aufzunehmen.
1 Holzkraxe mit Kostkisterl, zwei Sterzpfandln
und roter Decke
Wood carrying frame with food box, two pans
and a red blanket
2 Asthacke zum Entasten der Bäume
Axe for debranching trees
3 Loheisen zum Entrinden
Peeling iron for de-barking
4 Zugsäge zum Fällen der Bäume
Pit saw for felling trees
5 Lochhacke zum Bau der Holzriesen
Scuffle hoe for building log flumes
6 „Lagl“ – Gefäß zum Transport von Trinkwasser
Lagl vessel for transporting drinking water
Sommer-Holzknechthütte im
Waldschlag Mitterberg
Summer hut for lumberjacks in the
Mitterberg felling area
Tuschzeichnung (R), L. Preisecker, 1932
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [V 10490]
„Eine Keische aus unbehauenen Stämmen, mit einer
Baumrinde gedeckt und an einer nahen Quelle aufgeschlagen, ist alles, was er braucht“, so der Lilienfelder Abt
Ambros Becziczka 1825 über das Leben des Holzknechts.
Während der Woche hausten die Holzknechte draußen
im Holzschlag in ihrer Sommerhütte. Geschlafen wurde
auf einem einfachen Nachtlager, gekocht an einer offenen
Feuerstelle mitten in der Hütte. Nach Einbruch der Dunkelheit spielte man Tarock oder Schach, musizierte, sang
oder erzählte einander Geschichten.
Mahlzeit! A solid meal
Jeder Holzknecht bereitete sich sein Essen in der eigenen
Eisenpfanne selbst zu. Wenngleich die Auswahl der mitgebrachten Zutaten mit Mehl, Schmalz, Salz und Schotten
durchaus beschränkt war, sollten die Mahlzeiten deftig sein
und Energie für die schwere Arbeit geben. Morgens und
abends kochte man eine „Schottsuppe“ genannte Art von
Rahmsuppe und „Spatzen“ – Nocken aus Kartoffeln oder
Mehl. Mittags kam Sterz aus Mehl und Schmalz auf den
Tisch. Zur Befestigung der Pfanne über dem Feuer diente
ein einfacher Halter, der mit Kerben zum Einhängen versehen war. Unabdingbares Kochutensil war der „Muaser“,
der gleichermaßen als Kochlöffel wie als Wender verwendet wurde.
Sterzpfanne samt hölzerner Halterung
Pan with wooden holder for Sterz, a buckwheat meal
Trübenbach, Holzknechtmuseum Trübenbach
Spatzenseiher und Holzstock
Spätzle sieve and wood block
h
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich [VK-9176]
Drei „Muaser“ – metallene Kochgeräte
Three Muaser (metal cooking utensils)
h
Amstetten, Privatarchiv RANDLOS media & kultur werkstatt,
Gerhard Proksch
etterfleck und Steigeisen des
Holzknechts
A lumberjack’s rain cape and crampons
19. Jh.
Ulreichsberg, Nachlass Engelbert Kraft
Bei warmem Wetter gingen die Holzknechte „hemdsärmelig“ in den Holzschlag, bekleidet mit einer ärmellosen
Weste, Lederhosen, groben Strümpfen und schwer
genagelten Schuhen. „Bei kühlem und stürmischem Wetter
kommt ein Wettermantel dazu. Diesen, aus schwerem
Wollstoff gefertigt, werfen sie in die Lohe, damit er ,lodern‘
wird, braun, lohfarbig, wasserdicht“, so der Reiseschriftsteller und Sagen-Sammler Heinrich Noë 1853. Mit einem
Riemen zusammengebunden, hielt der Wetterfleck aus
Loden, das typische Kleidungsstück des Holzknechts,
Nässe und Kälte ab.
KAPITEL 04
GEHEIMGLAUBE
SECRET FAITH
Lutherbibel Luther Bible
„Die Heilige Schrift Neuen Testaments, nach der
fürtrefflichen Ubersetzung und mit den Vorreden auch
Rand-Glossen d. Martin Luthers […], Tübingen, 1729
Mitterbach, Presbyterium der evangelischen Pfarrgemeinde
A.B. Mitterbach
Die Lutherbibel ist das „Herzstück“ des protestantischen
Glaubens. Das ausgestellte Exemplar mit Holz-LederEinband wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
von Deutschland nach Österreich geschmuggelt – in Zeiten
der Gegenreformation ein Vergehen, für das Kerker drohte.
Wer eine Bibel besaß, war verdächtig, evangelisch zu sein.
Diese Lutherbibel kam mit den Holzknechten aus dem
Salzkammergut um 1750 nach Mitterbach. Bei ihren geheimen Gottesdiensten in den Ötschergräben wurde daraus
das Wort Gottes gelesen. Heute ist die Bibel im Besitz der
Evangelischen Pfarrgemeinde Mitterbach. An besonderen
Festtagen kommt sie bei Gottesdiensten noch zum Einsatz.
Engel aus dem Kirchlein
St. Johann in der Wüste
Angel from the Church of St John
in the Desert
Holz, um 1760
Mitterbach, Presbyterium der evangelischen Pfarrgemeinde
A. B. Mitterbach
1758 ließ das Stift Lilienfeld im Hagengut nahe Mitterbach
das Holzkirchlein St. Johann in der Wüste errichten. Der
Versuch, die – protestantischen – Holzknechte damit zum
Gottesdienstbesuch zu bewegen, war ebenso erfolglos wie
jener, den Lohn erst nach der Sonntagsmesse auszubezahlen. St. Johann in der Wüste wurde 1776 durch einen
Brand ungeklärter Ursache zerstört. Die beiden unversehrt
gebliebenen Engel aus dem Kirchlein fanden bald eine
neue Umgebung: Nach dem Toleranzpatent von 1781 und
dem Bekenntnis der Holzknechtfamilien zum protestantischen Glauben wurden sie im Altarraum des 1785 in Mitterbach errichteten neuen evangelischen Bethauses platziert.
Kiste mit Betbüchern aus
Ulreichsberg
Box with prayer books from Ulreichsberg
18. Jh.
Ulreichsberg, Nachlass Engelbert Kraft
Die Bücher stammen von den Familien der Holzknechte
aus Ulreichsberg. Sie waren zumeist wohl aus der alten
Heimat, dem Salzkammergut, mitgebracht worden. Da der
Protestantismus im Österreich von damals nicht er-laubt
war, nährte sich ihr Glaube aus der Lutherbibel und Betbüchern sowie geheimen Zusammenkünften. Alle Schriften
religiösen Inhaltes mussten gut versteckt bleiben – sie
hätten verraten, dass es sich bei den Holzknechtfamilien
um „Geheimprotestanten“ handelte.
Engelbert Kraft (1925–2010)
Fotografie (R), 20. Jh.
Ulreichsberg, Nachlass Engelbert Kraft
Der Protestant Engelbert Kraft war zunächst Holzknecht
und Landwirt, später führte er mit seiner Frau einen kleinen
Lebensmittelladen in Ulreichsberg. Um das 50. Lebensjahr
begann er seinem Interesse an Heimatforschung im Allgemeinen und der Geschichte der eigenen Familie sowie des
Dorfes im Speziellen nachzugehen. Hierfür exzerpierte Kraft
zunächst aus Kirchenmatriken alle Personenstandsangaben, um dann mit großer Kenntnis und in akribischer Kleinarbeit Informationen zu den Familien über mehrere Generationen zusammenzutragen. Kraft betrieb „Feldforschung“
im eigentlichen Sinne: Er sprach mit den Bewohnern von
Ulreichsberg, stellte Fragen um Fragen. Daneben sammelte
er Daten in Archiven und zeichnete Besiedlungspläne.
Noch zu Lebzeiten vermachte Engelbert Kraft seine umfangreiche Dokumentation Veronika Wagner aus Annaberg,
die sich seither um ihre Aufarbeitung bemüht.
Ulreichsberg Ulreichsberg
Öl auf Hartfaserplatte, Josef Tobner (geb. 1942), 20. Jh.
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [KS-2650]
Protestantische Familien und ihre
Häuser in Ulreichsberg
Protestant families and their houses
in Ulreichsberg
Konvolut zur Geschichte im 20./21. Jh.
Engelbert Kraft
Ulreichsberg, Nachlass Engelbert Kraft
Für die protestantischen Holzknechte waren der familiäre
Zusammenhalt und die Aufrechterhaltung der Beziehungen
ins Salzkammergut von großer Bedeutung. Bis zu seinem
Tod 2010 ist der Ulreichsberger Engelbert Kraft in gut
30-jähriger Forschungsarbeit der Vergangenheit jedes
Hauses im Ort und seiner Bewohner akribisch nachgegangen. Im Zentrum stand die Geschichte der einzelnen
Ulreichsberger Familien vom 18. Jahrhundert bis in die
Gegenwart, die er lückenlos dokumentierte. Entstanden
ist ein gut .
Seiten umfassendes Konvolut mit biografischen Notizen, Tabellen, Stammbäumen, Verzeichnissen
und Familienerzählungen. Auf unvergleichliche Weise gibt
es Einblick in das Werden einer protestantischen Gemeinde
in der Region – ein Schatz, den es in seiner ganzen Dimension noch zu entdecken gilt!
Holzknechthütte Heufuß N° 31
Lumberjack cottage Heufuss No. 31
Tuschzeichnung, Ludwig Preisecker, 1941
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [VK-10530]
Die Hütten der Holzknechtsiedler waren sogenannte Luftkeuschen, das bedeutete: Der Grund und Boden, auf dem
sie standen, war nicht im Besitz der Holzknechte, sondern
gehörte dem Grundherrn – also dem Kloster Lilienfeld oder
der Kartause Gaming. Aus rohen Baumstämmen gezimmert, waren die Keuschen auch im Inneren einfach. Sie
bestanden aus Vorraum, Küche – meist war es eine offene
„Rauchkuchl“ –, Stube und Kammer, in der man schlief.
Der kleine Stall war meist in einem eigenen Gebäude untergebracht.
Holzknechthütte im Reißtal
Lumberjack cottage in the Reiß valley
Tuschzeichnung, Ludwig Preisecker, 1933
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [VK-10514]
Während die Holzknechte meist die ganze Woche über der
Arbeit im Wald nachgingen, hatten ihre Frauen den Alltag
mit der Familie zu meistern. Sie machten die Einkäufe und
übernahmen viele Aufgaben, die in bäuerlichen Haushalten
Sache der Männer waren. Als sich die „neue Technik“
mit Elektrizität und Motorisierung durchzusetzen begann,
änderte sich auch in den Holzknechtfamilien die Rollenverteilung.
Gscheidl bei St. Aegyd am Neuwalde
Gscheidl near St. Aegyd am Neuwalde
Tuschzeichnung, Ludwig Preisecker, 1932
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [VK-10502]
Um ihren „geheimen Glauben“ leben zu können, siedelten
sich Protestanten – auch in der Ötscherregion – an Plätzen
an, die einige wichtige Voraussetzungen erfüllen mussten:
Da man sich zu Gottesdiensten versammelte, hatten die
Wohnungen entsprechend groß zu sein. Vor allem aber
sollten die Siedlungen abgeschieden und in einer gewissen
Entfernung zur katholischen Pfarre sowie zum Sitz der
grundherrschaftlichen Verwaltung liegen.
Holzknechthütte von
Helene Thalhammer
Lumberjack cottage,
by Helene Thalhammer
Tuschzeichnung, Ludwig Preisecker, 1932
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [VK-10497]
Die Holzknechte und ihre Familien lebten im Wald in Hütten
wie dieser, die 1821 vom Holzknecht Robert Pilz errichtet
worden war. Ihren Alltag bestimmte der Rhythmus der
Waldarbeit – von der Arbeitseinteilung und den Arbeitsgewohnheiten über Rechtsformen bis hin zu Bräuchen. Für
die Männer war weniger die Familiengemeinschaft prägend
als jene der „Holzknechtpass“: Unter der Woche waren die
Holzknechte meist weg von der Familie und hatten sich
selbst zu versorgen.
Spruchbild „Hochgelobt sei die
allerheiligste Dreifaltigkeit“
Inscription “Praise to the
Most Holy Trinity”
Hinterglasmalerei, vermutl. 19. Jh.
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [V-11.022]
Triftmeister Philipp Ortner mit Familie
Wood-drifting master Philipp Ortner
and family
Fotografie (R), 1911
Scheibbs, Slg. HHH
Gemäß der „Triftordnung für den Triftbetrieb auf dem
Großen Erlaf-Flusse“ von 1893 war für die Regulierung des
Rechens und die Strecke bis zur Einmündung des Nestelbergbaches in die Erlauf der Triftaufseher zuständig. Diese
Funktion kam Philipp Ortner (1844–1919) zu, der mit seiner
Familie – aus zwei Ehen hatte er 21 Kinder – im Häuschen
links der Erlauf in Trübenbach lebte. 1911 fand auf der
Großen Erlauf die letzte Holztrift statt: Mit Errichtung des
Erlaufstausees, der der Stromversorgung der neuen Mariazellerbahn diente, war das Triften nicht mehr möglich.
Lieder des Glaubens Songs of faith
„Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“, 1:40 min. /
„Toleranzlied“, 4:08 min. / „Ein feste Burg ist unser Gott“,
1:01 min. / „Ich bin ein armer Exulant“ /
„Ich singe Dir mit Herz und Mund“, 2:06 min.
Gesungen vom Albert Schweitzer Chor Wien unter der
Leitung des evangelischen Landeskantors Matthias Krampe
© Matthias Krampe
Das Singen war schon früh ein „Markenzeichen“ der Protestanten – und eine der schärfsten Waffen der Reformation.
Zu hören sind Lieder, die in bewusst einfacher, authentischer Art nach den österreichischen Textfassungen der Zeit
aufgenommen wurden: Etwa „Ein feste Burg ist unser Gott“,
die „heimliche Hymne“ der Evangelischen. Oder – entsprechend damaliger Praxis im Wechsel Vorsänger-Gemeinde –
das „Toleranzlied“, ein Huldigungslied an Joseph II. für das
Toleranzpatent. Bald nach dessen Erlass erschien 1783 als
wichtiges evangelisches Gesangbuch in Österreich das
„Wucherer-Gesangbuch“, benannt nach seinem Drucker.
Ihm ist die Textversion für „Ich singe Dir mit Herz und Mund“
entnommen. Die „modernen“ rationalistischen Texte führten
zu Auseinandersetzungen, vor allem in den Landgemeinden.
In einem Anhang der Neuauflage
wurde etlichen
Liedern daher auch die originale Textversion beigestellt.
Namen protestantischer Familien
Names of Protestant families
Nach Otto Mörtl, „Evangelische Holzknechte vom
Ötscher bis zur Rax“, 1990, mit Ergänzungen von
Bernhard Gamsjäger
KAPITEL 05
ALPENTOURISTEN
ALPINE TOURISTS
Jean-Jacques Rousseau (1712–1778)
(R)
Wien, APA-PictureDesk GmbH
1730 und 1731 durchwanderte der gebürtige Genfer JeanJacques Rousseau die westliche Schweiz. Nach Stationen
in Lyon und Venedig ließ er sich 1745 in Paris nieder – dem
Zentrum des philosophischen Diskurses um die Ideen der
Aufklärung.
1756 zog sich Rousseau in die Einsiedelei von Montmorency
zurück und begann mit der Arbeit an seinem Briefroman
„Julie ou la Nouvelle Héloïse“ („Julie oder Die neue Héloïse.
Briefe zweier Liebenden aus einer kleinen Stadt am Fuße
der Alpen“), der 1761 erschien. Darin schwärmt der Hauslehrer, der unglücklich in die Titelheldin verliebt ist, von seinen Reisen in die gerade entdeckte „erhabene Alpenwelt“
und schildert die Begegnungen mit den „freien“ Bewohnern
der Berge. Das Buch wurde zu einem Bestseller und löste
in ganz Europa eine Alpenbegeisterung aus. Viele Reisende
besuchten fortan auf ihrem Weg durch die Schweiz jene
Orte, an denen der Roman spielt.
Julie ou la Nouvelle Héloïse, 1761
Julie, or the New Heloise, 1761
Amsterdam 1770
Wien, Universitätsbibliothek Wien [I-181921/1]
Chalet sur le Mettlen en Suisse, um 1830
Chalet on the Mettlen, Switzerland, c. 1830
CH-Burgdorf, ROTH-Stiftung Burgdorf [ROST 2823 (2/2)]
Albrecht von Haller (1708 –1777)
(R)
Wien, APA-PictureDesk GmbH
Der Schweizer Universalgelehrte Albrecht von Haller
entstammte einer angesehenen Berner Familie. Während
seiner Zeit als junger Dozent der Anatomie an der Universität Basel unternahm er 1729 eine botanische Studienreise
ins Wallis und über den Gemmipass ins Berner Oberland.
Unter dem Eindruck dieser Reise schrieb er nach seiner
Rückkehr das 49-strophige Gedicht „Die Alpen“. Es ist
einer der ganz frühen Texte, die die Alpen nicht mehr als
schrecklichen Ort sehen, sondern ihre ästhetischen
Qualitäten hervorheben. Gleichzeitig preist Haller das
einfache Leben der Alpenbewohner – als Kontrast zu den
verdorbenen Sitten der städtischen Zivilisation. Das Gedicht erschien erstmals 1732 als „Versuch Schweizerischer
Gedichte“, bekam später den Namen „Die Alpen“ und
löste die erste Welle der Begeisterung für die Alpen aus.
Versuch Schweizerischer Gedichte, 1732
Essay of Swiss Poems, 1732
Auflage, Karlsruhe
Wien, Universitätsbibliothek Wien [I-1547357]
Schwinger beim Trachten und Alphirtenfest
nspunnen, um
Schwingers (Swiss wrestlers) at the Unspunnen
festival, c. 1830
utteurs, ou amusement pastoral sur le grand Scheidek,
Canton de Berne“
Hieronymus Hess (1799–1850)
CH-Burgdorf, ROTH-Stiftung Burgdorf [ROST 1790]
Immanuel Kant (1724–1804)
(R)
© orion_eff – fotolia.com
Von der Mitte des 18. Jahrhunderts an diskutierten Philosophen den Begriff des Erhabenen. Erst Immanuel Kant, dem
großen Königsberger Philosophen, gelang es, den Begriff
in „Kritik der Urteilskraft“, seinem Werk zur Ästhetik von
1790, klar zu fassen. Der Mensch begegnet darin der gewaltigen Natur. „Aber ihr Anblick wird nur um desto anziehender, je furchtbarer er ist, wenn wir uns nur in Sicherheit
befinden und wir nennen diese Gegenstände gern erhaben, weil sie die Seelenstärke über ihr gewöhnliches Mittelmaß erhöhen, und ein Vermögen zu widerstehen von ganz
anderer Art in uns entdecken lassen, welches uns Mut
macht, uns mit der scheinbaren Allgewalt der Natur messen zu können.“ Bis heute empfinden wir beim Betrachten
der Berge fasziniert die von Kant beschriebene Spannung.
ritik der rtheilskraft,
Critique of Judgment, 1790
erlin
ibau
Wien, Universitätsbibliothek Wien [I-57601]
Mary Shelley (1797–1851)
(R)
Wien, APA-PictureDesk GmbH
1816 trafen einander die jungen Literaten Claire Clairmont,
Percy Bysshe Shelley und Mary Godwin – sie sollte später
Percys Frau werden – am Genfersee. Man wollte dort
gemeinsam den Sommer verbringen. Später stieß noch
der Dichter Lord Byron zu der Gruppe. Das Wetter war unfreundlich, und so vertrieb man sich die Zeit mit dem Vorlesen von Schauergeschichten. Byron schlug vor, jeder
solle seine eigene Erzählung schreiben. Die 19-jährige Mary
entwarf nun jene Geschichte, die sie 1818 unter dem Titel
„Frankenstein or The Modern Prometheus“ („Frankenstein
oder Der moderne Prometheus“) weltberühmt machen
sollte. Die Schlüsselszene, das erste Zusammentreffen
nach der Flucht des Monsters, spielt sich im Hochgebirge
ab. Das Montblanc-Massiv, das wohl von ihrem Sommersitz aus zu sehen war, diente als Inspiration für die schaurige
Schilderung der unheimlichen Bergwelt.
rankenstein or, The Modern rometheus,
Frankenstein or, The Modern Prometheus,
London 1823
Wien, Österreichische Nationalbibliothek – Sammlung von
Handschriften und alten Drucken [24028-B.Alt-Mag]
Sophie on a
oche
(R)
Wien, APA-PictureDesk GmbH [20101121_PD15526]
Sophie von La Roche wurde als Marie Sophie Gutermann
von Gutershofen in eine Arztfamilie in Kaufbeuren geboren.
Ihre Kindheit verbrachte sie in Lindau und Augsburg. Schon
früh lernte das Mädchen lesen – Latein durfte es allerdings
nicht lernen. Als junge Frau und später als Gattin des
Hofrates La Roche verkehrte sie in den intellektuellen literarischen Kreisen ihrer Zeit. Sophie von La Roche, die selbst
vielbeachtete Romane schrieb, traf dort unter anderem auf
Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang Goethe und
Friedrich Schiller.
1784 fasste sie den Entschluss, in Begleitung ihres Sohnes
Europa zu bereisen. Ihr 1787 unter dem Titel „Tagebuch
einer Reise durch die Schweiz“ veröffentlichter Reisebericht
wurde bei den Leserinnen und Lesern ein großer Erfolg.
Sophie von La Roche stilisierte die Alpen darin zu einer
Sehnsuchtslandschaft, die zum Reiseziel ihres bürgerlichadeligen Publikums werden sollte.
Tagebuch einer eise durch die Schweitz,
Diary of a Journey through Switzerland, 1787
Ausgabe, Altenburg
Wien, Österreichische Nationalbibliothek – Sammlung von
Handschriften und alten Drucken [34939-A.Alt-Mag]
Moritz Alois ecker
(R)
Wien, Österreichische Nationalbibliothek – Bildarchiv und
Grafiksammlung [PORT_00094297_01]
An einem Augustmorgen 1852 standen der Schulrat Moritz
Alois Becker und eine Gruppe naturinteressierter Kollegen
auf dem Gipfel des Ötschers. Beeindruckt beschlossen
sie, diesen Berg und seine Umgebung „der bisherigen
Nichtbeachtung zu entreißen“. Gemeinsam verfassten sie
daraufhin eine umfassende Publikation, für die Becker
als Herausgeber fungierte. In dem zweibändigen Werk
„Der Ötscher und sein Gebiet […]“, dessen erster Teil die
Bezeichnung „Reisehandbuch“ trägt, finden sich neben
topografischen Beschreibungen Beiträge zu Geologie,
Flora und Fauna sowie zu Leben und Arbeit der Menschen
um den Ötscher.
Becker, der aus Mähren stammte, hatte in Wien studiert
und sich von 1832 an als Privatlehrer betätigt. Ab 1850 war
er Schulrat von Niederösterreich – in dieser Zeit entstand
auch das „Ötscherbuch“.
eisehandbuch für esucher des tscher,
A Traveller’s Companion to the Ötscher, 1859
Teil des zweib ndigen erkes Der tscher und sein
Gebiet , ien
Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
ohann adislaus
rker
(R)
Lilienfeld, Zisterzienserstift Lilienfeld
Nach philosophischen Studien trat der gebürtige Ungar
János László Pyrker ins Zisterzienserstift Lilienfeld ein.
1796 wurde er zum Priester geweiht und übernahm die
wirtschaftliche Leitung des Klosters. In dieser Zeit schuf
Pyrker schwermütige Gedichte mit alpinen Motiven, die er
Jahrzehnte später, 1845, als „Lieder der Sehnsucht nach
den Alpen“ herausgab. Ab 1812 stand Pyrker dem Kloster
Lilienfeld als Abt vor, später wurde er Bischof von Zips,
Patriarch von Venedig und 1827 Erzbischof von Eger.
1813 entdeckte er – auf einen Hinweis des Hobbybotanikers August Rosthorn hin – bei einer Wanderung den
Lassingfall: „Plötzlich ergreift mein Ohr ein Donnergetümmel: die Felsen Dröhnen umher stets furchtbarer schallt
aus der Schlucht, wie ich nahe / Stürzender Fluthen Geräusch, und erfüllet die Thäler mit Schauder“. Pyrker setzte
sich dafür ein, einen Weg zum Wasserfall und ihm direkt
gegenüber einen Aussichtspavillon zu errichten.
ieder der Sehnsucht nach den Alpen,
Songs of Yearning for the Alps, 1845
Stuttgart
Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
ohn
uskin
(R)
Wien, APA-PictureDesk GmbH [18700101_PD2492]
Der englische Kunsthistoriker, Kritiker und Sozialphilosoph
war Mitte des 19. Jahrhunderts eines der wichtigsten
Mitglieder der Arts-and-Crafts-Bewegung. Von Malern,
Architekten und anderen Künstlern initiiert, versuchte sie,
Kunst, Gesellschaft und Arbeit miteinander zu verbinden.
In seinen Jugendjahren besuchte John Ruskin mit seinen
Eltern im Zuge einer Europareise auch die Schweiz. Diese
erste Begegnung mit den Alpen sollte ihn ein Leben lang
nicht mehr loslassen. In den 1840er-Jahren bereiste er
fast jedes Jahr die Schweiz und die französischen Alpen,
machte dabei Zeichnungen und Notizen.
In seinem fünfbändigen Werk „Modern Painters“ („Moderne
Maler“), das zwischen 1843 und 1860 entstand, widmete
Ruskin den vierten Band der „Schönheit der Berge“. Über
die Analyse der materiellen, formalen und ästhetischen
Elemente der Berge versuchte er darin, deren erhabene
Schönheit zu ergründen.
Modern ainters d ,
Modern Painters, Vol. ,
Auflage, ew ork
Wien, Universitätsbibliothek Wien [Kunst.allg.-020/04]
Staubbach bei Lauterbrunnen
Staubbach Falls above Lauterbrunnen
„Vue du Staubbach“, Alexandre Calame (1810–1864), 1837
Öl auf Leinwand
Bern, Kunstmuseum Bern, Dauerleihgabe Alpines Museum
der Schweiz, Bern [Lg 2537]
Wer ab Ende des 18. Jahrhunderts in die Schweiz reiste,
kam nicht darum herum, den Staubbachfall im Berner
Oberland zu besuchen. Wie für Gemälde aus dieser Zeit
typisch, kontrastiert der idyllische Vordergrund mit den
mächtigen Felsen dahinter. Die Betrachter mussten von der
erhabenen Bergwelt schlicht beeindruckt sein. Unzählige
Maler und Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts würdigten
den Staubbachfall – so auch Johann Wolfgang von Goethe
im Gedicht „Gesang der Geister über den Wassern“:
„Des Menschen Seele / Gleicht dem Wasser: / Vom Himmel
kommt es, / Zum Himmel steigt es, / Und wieder nieder /
Zur Erde muß es. / Ewig wechselnd“.
assingfall Lassing Falls
Kolorierte adierung
,
Albrecht,
h
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[4240]
assingfall Lassing Falls
otografie
, Amand Helm um
,
h
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[4237]
Der asinger
Lassing Falls
asserfall sic
Kreidelithografie nach A uarell, ohann osef Schindler
(1777–1836), nach 1830
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[4242]
Der assingfall Lassing Falls
Holzstich
aus Das rzherzogtum sterreich unter
der Enns, 1881
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[23813]
assingfall Lassing Falls
Kupferstich, ohann Hollnsteiner geb
, um
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[4229]
Der assingfall Lassing Falls
Stahlstich, duard illmann,
h
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[4230]
Der assingfall Lassing Falls
adierung, ranz Straub,
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[4231]
Der assingfall Lassing Falls
Stahlstich, Carl Reichert (1836–1918), um 1860
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[23993]
Der assingfall in Ste ermark sic
Lassing Falls in Styria [sic!]
Kolorierter Stahlstich,
agner G Heisinger,
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[28995]
Der obere assingsfall am uße des
tschers in sterreich
Upper Lassing Falls at the foot of the
Ötscher, Austria
ithografie, rnst hrenhaus,
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[28996]
ine Gegend am assingfalle
A spot near the Lassing Falls
Kreidelithografie, ona entura de en, um
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[4238]
Der assinfall sic Lassing Falls
Kolorierte ithografie, Anton othmüller, um
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[4234]
Anfang des 19. Jahrhunderts war er noch eine schlafende
Schönheit: der Lassingfall. Ein gutes Jahrzehnt später
schufen der Hobbybotaniker August Rosthorn und der
Lilienfelder Abt Johann Ladislaus Pyrker die Voraussetzung
für die erste „Touristenattraktion“ der Ötschergegend: Der
eine mit seiner Entdeckung, der andere mit seinem Bemühen, die unzugängliche Schlucht zugänglich zu machen.
Mit hölzernen Treppen, Geländern und befestigten Wegen
wurde dafür gesorgt, dass auch Ungeübte die Naturschönheit gefahrlos erreichten. Damit man aber auch den eindrucksvollsten Blick auf das Schauspiel genoss, wurde der
Besuch richtiggehend inszeniert: Von einem eigens errichteten Pavillon an einem sicheren Standort aus konnten sich
die Betrachter dem wohligen Schauer hingeben.
Neuer Schauder The latest thrill
Senkrechte Felsen, tiefe Abgründe, eisige Gletscher
und die allseits lauernden Gefahren: Zur Wahrnehmung
der Alpen gehörten Schrecken und Schauder seit gut
200 Jahren dazu. Sie waren von Beginn an ein starker
Antrieb, die Alpen zu besuchen … erlebt freilich von Standpunkten aus, die einen ebenso sicheren wie spektakulären
Ausblick auf die erhabene Bergwelt gewährten. Um neue
Gäste anzuziehen und im Wettstreit von Tourismusdestinationen und Bergbahnbetreibern die Nase vorne zu haben,
wird das Spektakel heute durch spektakuläre Aussichtsplattformen oder schwankende Hängebrücken über
Schluchten neu erlebbar gemacht. Wer im Geschäft mit
dem Nervenkitzel bleiben will, muss immer aufsehenerregendere Attraktionen schaffen.
Step into the oid, hamoni , rankreich
Step into the Void, Chamonix (FR)
ien, A A ictureDesk GmbH,
A
picturedesk com
A
AT T
Aussichtsplattform Gemmi, eukerbad,
Schweiz
Gemmi observation platform, Leukerbad (CH)
eukerbad Tourismus, Aussichtsplattform Gemmi,
eukerbad, Schweiz
Dachstein Sk walk, amsau, sterreich
Dachstein Skywalk, Ramsau (AT)
Dirk
otermundt, digital isionen de
Aussichtsplattform Glocknerblick, Gastein,
sterreich
Glocknerblick observation platform, Gastein (AT)
Gasteiner
ergbahnen AG
liff alk, Titlis, Schweiz
Cliff Walk, Titlis (CH)
ien, A A ictureDesk GmbH, S G T S H
picturedesk com
A
tscher
l auf itempera einen, Helmut Ditsch geb
,
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [KS-9398]
Dreiteiliges
tscher anorama
Three-part “Ötscher Panorama”
Anton Hla cek
,
Malerei (R), 1906
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [2517, A686/95]
Von der Eröffnung der Westbahn 1858 an hatte es Überlegungen zur Errichtung einer Bahn von St. Pölten nach
Mariazell gegeben. Gegen Ende des Jahrhunderts kristallisierte sich immer mehr heraus, welcher Wert einer
Alpenbahn zukäme. Ab 1904 fuhr die Mariazellerbahn bis
Laubenbachmühle, 1907 wurde die alpine Strecke bis
Mariazell eröffnet. Sie führt seither über Brücken, Kehren
und durch Tunnels und bringt die Reisenden mit spektakulären Ausblicken auf den Ötscher wie auf die Strecke zum
Staunen. Den neuen „panoramatischen“ Blick, den die
Alpenbahn eröffnet, gewährt auch das zentrale Bild des
Triptychons von Anton Hlav cek. Es wurde zu Ehren des
neuen Simplon-Eisenbahntunnels zwischen Italien und der
Schweiz für die Weltausstellung 1906 geschaffen. Die
seitlichen Flügel loben die Linienführung der damals noch
im Bau befindlichen Mariazellerbahn bei Puchenstuben.
Tom Saw er am rlaufsee
Tom Sawyer at Erlaufsee
otografien
, um
Wien, Alexander Wildzeisz
Bergschuhe, Badehose, Taschenfeitel und Rucksack –
irgendetwas vergessen? –, und los ging’s! Jahr für Jahr
packten die Wildzeisz aus Wien in den 1980er-Jahren ihr
Auto, um nach zweieinhalb Stunden (in der Erinnerung
des Sohnes Alexander: einer gefühlten Ewigkeit) den Bergbauernhof Lurg in St. Sebastian-Mitterbach zu erreichen.
14 herrliche Urlaubstage warteten auf Alexander, seinen
Bruder und die Eltern manchmal war auch die Großmutter
dabei.
Heute würde man die Unterkunft beim Bergbauern als
bescheiden bezeichnen: Zwei oder drei Betten und ein
Waschbecken pro Fremdenzimmer, die Mahlzeiten wurden
in der Stube eingenommen. Der Rest des Tages war Abenteuer. Elterliche Kontrolle gab’s kaum, die Freiheit begann
an der Türschwelle des Bauernhofes: Wenn’s nicht regnete,
machte sich eine eingeschworene Schar von Kindern –
„hiesige“ und jene der Gäste – auf, um durch den Wald zu
streifen, Hütten zu bauen, im Bach zu waten oder bei der
Arbeit zu helfen. Ob im Stall oder auf dem Feld: „Zu gefährlich“ gab’s für den gleichmütigen Bauern nicht. Kaum eine
Arbeit, bei der die Kinder nicht Hand anlegen durften.
Wenn die Eltern alle zwei, drei Tage zu einer Wanderung
aufriefen, empfanden Alexander und sein Bruder das als
Unterbrechung ihrer großen Freiheit. Doch auch hier betraten sie vertrautes Terrain. Jedes Jahr standen schließlich
die gleichen Punkte auf dem Programm: die Bürgeralm,
die Ötschergräben, die Gemeindealpe, der Gipfel der Graualm. Am Ziel angekommen, wurde eingekehrt, obligatorisches Belohnungseis inklusive! Vor allem aber, so
Alexander, ging’s „ab jetzt wenigstens nur noch bergab“.
Es waren die 1980er, Italien lag ein paar Autostunden
entfernt. Kaum ein Kind, das das Meer noch nicht gesehen
hatte. Ob den Wildzeisz in der Sommerfrische etwas
abging? Nein! Der Erlaufsee war ihr Meer, der Wald ihr
Abenteuerspielplatz, der Bergbauernhof ihr Zuhause auf
Zeit. Jahr für Jahr.
Familienurlaub in den 1980er-Jahren
Family holidays in the 1980s
Schulskikurs, ade
Bye-bye, school skiing course!
Der fesche Liftwart, die abendliche Disco und morgens das
unvermeidliche Erdbeermarmeladenbrot zum Früchtetee.
Generationen von Schülerinnen und Schülern aus dem
Wiener Raum verknüpfen solche Erinnerungen mit Annaberg – sie haben ihren Schulskikurs in dem kleinen Ort am
Fuße des Ötschers verbracht. Heute müssen Schulklassen
weiter fahren, denn Schneesicherheit ist hier seit einigen
Jahren nicht mehr garantiert. Vorbei die Zeiten, als sich
Annaberg, wie der „Illustrierte Führer auf der Niederösterr.steirischen Alpenbahn“ 1908 pries, „in vorzüglicher Weise
zur Ausübung des Wintersportes (Skiern, Rodeln, Schlittenfahrten)“ eignete: „Das Klima ist sehr rau. Die mittlere
ahrestemperatur
C die durchschnittliche jährliche
Niederschlagsmenge beträgt 150 cm. Von November bis
halben April ist Annaberg in Schnee eingebettet.“ Tatsächlich hatte die Ötscherregion bis in die 1980er-Jahre genügend Schnee, um im Winter vor allem Familien und Schulklassen aus dem nahen Wien anzuziehen. Verantwortlich
dafür war das stark kontinental geprägte Pannonische
Klima, das bei Südstau an den Ostalpen für große Niederschlagsmengen sorgte. Längst sind die Folgen des Klima-
wandels jedoch unübersehbar: Heute braucht es Schneekanonen, um die weiße Pracht aufrechtzuerhalten. In
einigen Jahren wird der Wintersporttourismus im
Ötscherland dann wohl gänzlich Schnee von gestern
gewesen sein.
llustrierter ührer auf der
ieder sterr steirischen Alpenbahn
Illustrated Guide to the Lower-Austrian-Styrian
Alpine Railway Line
udolf tt, ien
Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
interf ustlinge
Mittens
Wien, Judit Zeller
Sou enir H ferl Annaberg mit tscher
Souvenir mug “Annaberg and Ötscher”
ichwalder orzellanfabrik
hmen, um
Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde [ÖMV_84347]
Sou enirs, Sou enirs
Souvenirs, souvenirs!
h
Scheibbs, Slg. HHH
Im Jahr 1936 ließ Glasermeister Rupert Wenninger, wie die
Bauakten der Gemeinde Scheibbs vermerken, sein in der
Hauptstraße gelegenes Geschäft mit Auslagen versehen.
Neben Bilderrahmen, Bildern und Geschirr bot Wenninger
auch Souvenirs an, und die galt es herzuzeigen. In den
1920er- und 1930er-Jahren, da Scheibbs seinen Höhepunkt
als Touristenort erlebte, war das ein einträgliches Geschäft.
Zumal, wenn man, wie Wenninger, den einzigen Souvenirladen in der Stadt betrieb. Von Mai bis Herbst kamen die
Gäste zur Sommerfrische, vorwiegend Pensionisten, Singles
und Familien. In diesen Monaten gingen zahlreiche Souvenirs über Wenningers Ladentisch. Anfang der 1960er-Jahre
steuerten Reisebusse, zum Beispiel aus den Niederlanden,
auch Scheibbs an. Doch bald gewannen andere Verkehrsmittel an Bedeutung: Mit dem Flugzeug ging s in die Ferne …
und mit dem Souvenirgeschäft bergab. Noch im Laufe der
1960er schloss Glasermeister Wenninger seinen Laden.
Sou enir H ferln aus Scheibbs
Souvenir mugs from Scheibbs
in de, gar nicht d
Not so dreary, after all
H lfte
h
Waidhofen/Ybbs, 5e Museum Waidhofen an der Ybbs,
„Sammlung des Musealvereins“
Auf 1.012 Metern Seehöhe gelegen, pries sich der an der
Via Sacra gelegene Josefsberg in den 1960er-Jahren als
„Luftkurort“ an. Offenbar mit Erfolg: In dieser Zeit verzeichnete man im Sommer täglich bis zu 60 Gäste. Im Gasthaus
Sabath erinnert man sich noch heute der treuesten unter
ihnen, die immer wieder kamen. Etwa des Wiener Ehepaares, das in den 1960er-Jahren seine Flitterwoche in Wienerbruck verbrachte. Zumindest die frisch gebackene Ehefrau
schien andere Vorstellungen davon gehabt zu haben.
Nachdem man die knapp zehn Kilometer lange Strecke
vom Bahnhof nach Josefsberg zu Fuß hinter sich gebracht
hatte, stellte sie fest: „In dieser Einöde werde ich höchstens die Hochzeitsnacht verbringen!“ Aus der anfänglichen
Ablehnung wurde eine beständige Liebe: In den folgenden
50 Jahren kam das Ehepaar fast jeden Sommer nach
Josefsberg.
Sommerhut aus Stroh
Summer hat made of straw
on adeni en,
cken und adminton
Badminton, bathing nymphs, belle époque
Waidhofen/Ybbs, 5e Museum Waidhofen an der Ybbs,
„Sammlung des Musealvereins“
[HWY11910/1, HWY11910, HWY1769, 5136, 5185]
Der 18. März 1932: ein großer Tag für das kleine Waidhofen. Denn an diesem Freitag im Frühling wurde das neue
Strandbad eröffnet. Auch einen passenden Werbespruch
hatte man sich ausgedacht: „Sonne, Wasser, Körperkultur,
Bringer von Gesundheit und Lebensfreude, Überwinder
zermürbender Sorgenlast, ist nicht nur ein Schlagwort der
neuen Zeit, sondern echtes, richtiges Naturempfinden.“
Die Waidhofener freuten sich auf das erste Badevergnügen
… und dann war der Sommer 1932 total verregnet!
Eine einfache Schwimmschule hatte es in Waidhofen schon
Ende des . ahrhunderts gegeben.
waren Ideen zu
einem Neubau auf den Tisch gekommen –
selbstverständlich mit Wasser der Ybbs. Es wurde ein
gemütliches Bad mit Holzkabinen und ganz im Sinne der
damaligen Moralvorstellungen: An der Kassa schieden sich
nämlich die Geschlechter. Die Herren gingen auf die eine,
die Damen auf die andere Seite. Mit dieser Trennung wollte
sich die Männerwelt nicht so recht abfinden: Durch
Astlöcher und geschickt gebohrte Öffnungen in der Trennwand versuchte man, die holden Badenixen – unbemerkt
vom Bademeister – beim Plätschern zu beobachten.
Neben dem Schwimmen, das noch beim Trockentraining
an Land, auf einem weichgepolsterten „Bock“, erlernt
wurde, übte man sich in anderen sportlichen Disziplinen.
Angesagt waren das Federballspiel, Ruderpartien in Mietbooten und Kahnfahrten auf der Ybbs.
adehosen aus Strickware
Knitted bathing trunks
H lfte
h
Dunkelblauer adeanzug
Dark-blue bathing suit
H lfte
h
ederballschl ger mit ederball
Badminton racket with shuttlecock
H lfte
h
ine Sommerliebe für die wigkeit
A summer love for eternity
1930er-Jahre
Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
Ein kleines Anti uariat, in dem sich ein Kistchen findet …
und mit ihm eine anrührende Geschichte: In den 1930erJahren war ein damals etwa sechsjähriger Bub auf Sommerfrische im Pielachtal. Dort lernte er ein wenige Jahre
älteres Mädchen kennen. Sie spielten miteinander – in besagtem Sommer, im Sommer darauf, und in den folgenden
Sommern, die der Bub und seine Familie stets am selben
Ort verbrachten. Es kam, wie es so oft kommt: Der Bub
verliebte sich in seine Spielgefährtin. Dann brach der Krieg
los, und im Zuge der Ereignisse verloren sich die beiden
aus den Augen. Doch der Junge hatte alles gesammelt,
was ihn an das Mächen erinnerte – ein Riechfläschen, eine
Haarlocke, ein Andenken von Mariazell und vieles mehr –,
und verwahrte es in einem alten Kistchen auf. Früher, zu
Kaisers Zeiten, hatte man so etwas für den Postversand
verwendet. Die Jahre vergingen, und wie es das Schicksal
so wollte, trafen der Junge und das Mädchen, beide längst
erwachsen, einander zufällig in Wien wieder. Sie verliebten
sich neuerlich ineinander und heirateten. Doch der Geschichte war kein Happy End beschieden: Einige Jahre
nach der Hochzeit starb die Frau.
rinnerungen an die ugendliebe
Memories of young love
Stiefelknecht auf Sommerfrische
No summer holiday without the bootjack
Anfang
h
Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
Ein faltbarer Stiefelknecht war in der ersten Hälfte des
. ahrhunderts im ländlich geprägten bbstal eine durchaus extravagante Erscheinung. Er gehörte einem Gast, der
Jahr für Jahr auf Sommerfrische kam und dabei seinen
Stiefelknecht stets mitführte. Was für ihn praktisch, galt
den Gastgebern als überaus vornehm. Im Laufe der Jahre
wurde der unscheinbare Stiefelknecht den Kindern der
Familie zum Symbol des Aufbruchs ins Ybbstaler Sommerdomizil. Bis 1977 blieb die Familie – nun schon in zweiter
Generation – ihrem traditionellen Urlaubsziel treu. Der faltbare Stiefelknecht verkam immer mehr zu einem Spielzeug
der Enkel seines einstigen Besitzers – und die Sommerfrische kam aus der Mode.
altbarer Stiefelknecht
Folding bootjack
undstücke der Sehnsucht
Treasure trove of yearning
um 1935
Amstetten, Privatarchiv RANDLOS media & kultur werkstatt,
Gerhard Proksch
„So lange ich lebe, lieb ich dich / Und wenn ich sterbe,
bet für mich. / Und kommst du nicht zu meinem Grab, /
so denk, wie ich dich geliebt hab.“ Diese kurze Strophe ist
Teil eines langen Liebesgedichtes. Und das fand sich in
einem handgeschriebenen Notizblock, der einem Antiquar
und Heimatforscher auf dem Dachboden eines Hauses in
Kirchberg an der Pielach in die Hände fiel. Darin auch ein
gezeichneter Frauenkopf. Nur lückenhaft lässt sich die
Geschichte, die hinter dem Dachbodenfund steht, rekonstruieren. Gedicht und Zeichnung sollen – so viel weiß
man – von einem Sommerfrischegast stammen, der sich
Mitte der 1930er-Jahre in eine Pielachtalerin verliebte.
Dann kam der Krieg. Geblieben sind nur die Zeichnung und
die Gedichte.
Gedicht und Zeichnung
Poem and drawing
in gewisser Herr aus ussland
A certain gentleman from Russia
In den Weihnachtsferien des Jahres 1992 hatte Zimmervermieterin Rosa Krenn prominente Gäste: Vom 27. Dezember
bis zum . änner
machte der damalige Vizebürgermeister von St. Petersburg mit seiner Familie Winterurlaub
in Göstling an der Ybbs. Ein Wiener Baufachmann, der sich
in Russland engagierte, hatte den russischen Politiker ins
Ötscherland vermittelt. Jahre später sollte Rosa Krenn
ihren Gast in den TV-Nachrichten wiedersehen: Boris Jelzin
hatte ihn zum Ministerpräsidenten Russlands ernannt.
Es war Wladimir Putin.
Die Fremdenzimmer von Rosa Krenn kannten keinen
Luxus: Dusche im Zimmer, Toilette am Gang. „Den Herrn
aus Russland hat’s überhaupt nicht gestört“, erinnert sie
sich. Da die Anwesenheit des St. Petersburger Vizebürgermeisters auch offiziellen Stellen nicht verborgen blieb,
trafen die lokalen politischen Granden – der damalige Bürgermeister Viktor Gusel und sein Stellvertreter Ernst Zettl –
bei einem Abendessen im örtlichen Gasthaus mit Wladimir
Putin zusammen. Dieser soll, so erzählt man sich, keinen
Wodka getrunken, zur Mahlzeit – es gab gebackene Scholle
und Saumaisen – aber ein paar Seidel Bier und einige
Glaserln „Kalterer See“ zu sich genommen haben. Zur
Erinnerung an den Besuch schenkte Putin dem Göstlinger
Bürgermeister ein Set aus Kaffeetasse samt Untertasse
und Dessertteller.
Gästeblatt der Familie Putin
The Putin family’s registration form
Göstling/Ybbs, Fam. Margarete Aflenzer
Geschenk on utin ein Kaffeeset
Coffee set, a present from Putin
Göstling/Ybbs, Familie Gusel
Handgeschriebener Zettel on utin
Handwritten note by Putin
Göstling/Ybbs, Familie Gusel
amilie utin mit ürgermeister iktor Gusel li
und izebürgermeister rnst Zettl re
The Putin family with mayor Viktor Gusel (left)
and deputy mayor Ernst Zettl (right)
otografie
Göstling/Ybbs, Marktgemeinde Göstling
aturparadies für Stadtkinder
Nature paradise for city kids
otografien
,
er ahre
Hollabrunn, Manfred Schretzmayr
Ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter: Alljährlich kehrte
Familie Schretzmayr ihrer Heimatstadt Hollabrunn für ein
paar Wochen den Rücken, um sich in ein Häuschen in
bbsitz zurückzuziehen. Dort pflog man das einfache
Landleben. Dass das von einem Bauern gemietete Häuschen familienintern als „Hütte“ bezeichnet wurde, kam
nicht von ungefähr: Es stand mitten auf einer Wiese, hatte
keinen Strom, und Fernseher gab’s natürlich auch nicht.
Zur Not konnte man zum nahen Bauernhof ausweichen:
„Als Lady Diana und Prinz Charles heirateten, durften wir
das im Schlafzimmer des Bauern und der Bäuerin mitverfolgen“, erzählt Tochter Birgit. Den Stadtkindern ging also
nichts ab, im Gegenteil: „Für uns war das ein Naturparadies!“ Im Sommer wurde im Fluss gebadet, im Frühling
und Herbst gewandert, und im Winter machten die Kinder
auf der Wiese vor dem Häuschen ihre ersten Versuche auf
Skiern. Ab und zu halfen sie auch bei der Arbeit, wenngleich der Bauer ihnen ein wenig Angst einflößte. „Wenn
wir etwas falsch machten, konnte er richtig lospoltern. Da
war schnell klar, wer der Chef ist!“ Am meisten Eindruck
hinterließen aber offenbar die Essensgewohnheiten, erinnern sich doch die längst erwachsenen Kinder der Familie
noch heute an Folgendes: „Nach dem Essen hat der Bauer
das Besteck abgeschleckt und in die Lade unter der Tischplatte gelegt … für die nächsten Gäste! Abwaschen gab’s
bei den Bauern nicht!“
Gästebuch aus dem Sommerhäuschen
Guestbook from the summer house
Familienurlaub in den 1970er-Jahren
Family holidays in the 1970s
Schlagerstar im ischerboot
Schlager star in a fishing boat
In den 1970er-Jahren war er ein Star: Peter Alexander.
Neben der Musik hatte er eine zweite Leidenschaft: das
Angeln. Der Lunzer See hatte es ihm besonders angetan,
konnte er dort doch unbemerkt seinem Hobby frönen –
wohl mit ein Grund, dass der Schlagerstar und Entertainer
nach Lunz am See auf Urlaub fuhr. Er stieg in der Frühstückspension von Karl und Cilli Mayr ab. Obgleich das
Haus direkt am See lag und über einen privaten Seezugang
verfügte, entdeckten den Schlagerstar manchmal begeisterte Fans. „Dann umruderten sie Peter Alexanders
Fischerboot in der Mitte des Lunzer Sees und sangen seine
bekanntesten Schlager“, erzählt Barbara Eigner aus Lunz,
Enkelin der Gastgeber Mayr. Ihre beiden Onkel, damals
junge Burschen, durften den Star immer wieder einmal
auf den Fischfang begleiten … als Ruderer wohlgemerkt.
„Und ich trällerte ab und zu mit ihm das Lied ,Die süßesten
Früchte‘!“ An noch etwas erinnert sich die Lunzerin gern:
„Der Privatmensch Peter Alexander war einfach, großartig
und unterhaltsam. Nach dem Fischen klagte er immer über
kalte Füße. Während er an Omas Küchentisch genussvoll
eine der frisch gefangenen Forellen verspeiste, wärmte er
sich seine Füße in einem Fußbad auf!“
ostkarten on unz am See
Postcards of Lunz am See
H lfte
h
Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
Schallplatte on
nkel eter
Gramophone record by “Uncle Peter”
Peter Alexander, um 1966
Lunz am See, Barbara Eigner
riedrich engauer und eter Ale ander, flankiert
von Karl und Cilli Mayr
Friedrich Lengauer and Peter Ale ander, flanked by
Karl and Cilli Mayr
otografie
,
Lunz am See, Barbara Eigner
Stelldichein der Städter
Rendezvous for townsfolk
Um 1900
Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
Gerade erst war die Mariazellerbahn elektrifiziert worden,
und schon brachte sie Gäste: Ab 1910 gesellten sich
auch vornehme Städter in die Region. Manch einer wird
wohl durch die Broschüre „Niederösterreich. Sommer
frische, Kurorte und Höhenstationen“ von 1910 zum Besuch
angeregt worden sein. Wienerbruck, heißt es dort, sei in
„herrlicher Lage der geeignetste Ausgangspunkt zur
Besteigung des Ötschers durch die wildromantischen
Ötschergräben und für die Partie über den Lassingfall
durch die Tormäuer nach Gamming“. Laut Statistik sollen
1909 200 Sommerfrischler und 4.000 sogenannte Passanten – also Durchreisende – nach Wienerbruck gekommen
sein. Mit dem Hotel Lassingfall von Karl Burger fanden
sie dort ein stattliches Haus vor. Es hatte 50 Zimmer und
auch sonst einiges zu bieten: Wannenbäder, elegante
Speisesäle, eine offene Veranda, Garten, eine gedeckte
Kegelbahn dazu standen Boote für Kahnfahrten im
Lassing-Stauweiher zur Verfügung.
ine Sommerfrische auf dem and
Summer escape to the country
rash am
tscher Crash on the Ötscher
Aluminium, vor 1938
Lackenhof, Bergrettung Niederösterreich / Wien, Ortsstelle
Lackenhof
Am . August
startete ein Kleinflugzeug des Typs
Do 17E bei unwirtlichen Bedingungen von Wiener Neustadt
aus in Richtung Berlin. Das Flugzeug zerschellte an den
Nordhängen des Großen Ötschers, die Insassen starben.
Angesichts der Absturzstelle gestaltete sich die Bergung
der Maschine schwierig. Erst 70 Jahre später wurden deren
letzte Überreste ins Tal gebracht – bei einer Einsatzübung
für die Bergretter der Ortsstelle Lackenhof. Sie stiegen am
16. Oktober 2008 auf. Die Übungsannahme: Bergung von
Verunfallten nach einem Flugzeugabsturz in der Fürstenplan, einer der Steilrinnen des Ötschers. Ein Nebenziel: ein
Zeichen für saubere Alpen zu setzen. So holten die Bergretter rund
Kilogramm Schrott, großteils Motorenteile,
vom Berg und entsorgten ihn fachgerecht. Das Wrackteil
bewahrte man zur Erinnerung an das Unglück von 1938 auf.
lugzeugteil des abgestürzten Kleinflugzeuges
Piece of the crashed plane
in rechtes Spektakel für die G ste
What a spectacle for the guests!
Waidhofen an der Ybbs, Stadtarchiv / Museum / Stadtbücherei
Waidhofen an der Ybbs – ein sommerlicher Hotspot der
Belle Époque? Ja, schenkt man den allwöchentlich erscheinenden Fremdenlisten Glauben, die Auskunft darüber
gaben, welche Gäste gerade eingetroffen waren. Um 1910
entwickelte sich Waidhofen zum Sommerfrischeort, in dem
auch vornehme Herrschaften und bedeutende Persönlichkeiten verkehrten. Nicht weniger als acht Züge täglich
karrten in der Hochsaison die Besucher heran: Minister,
Bankiers und Industrielle … Sie alle verbrachten ihren
Sommer hier, ob mit oder ohne Familie. Die Damen nahmen
bisweilen auch ihre Dienst- oder Kindermädchen mit.
Die vornehme Gesellschaft belebte das Geschäft in der
Stadt und sorgte für eine Erweiterung des Angebots, nicht
nur an Waren: Zur Unterhaltung der verwöhnten Gäste
bildete sich in Waidhofen bald ein reiches Kulturprogramm
mit Konzerten, Theateraufführungen und Vorträgen heraus.
Die ortsansässigen Bürger engagierten sich rührig für die
Fremden: Im Rahmen des Waidhofener Casinovereins –
in Casinos widmete sich das Bürgertum damals der gemeinsamen Freizeitgestaltung, aber auch der Verbesserung
des Lebensumfeldes – wurden Kulturveranstaltungen orga-
nisiert. Sogar einen „Gästechor“ soll es gegeben haben. Er
war vermutlich ein Teil des Waidhofener Männerchors und
bot Programme für die vornehmen Sommerfrischler dar.
In der Zeit des „Ständestaates“ und während des Nationalsozialismus wurde die Unterhaltung der Gäste zum Teil von
Gastspieltruppen übernommen.
rogrammheft Die Spielzeit
Theatre programme “Season 1937–38”
sterreichische
nderbühne,
Sommerfrische aidhofen a d bbs
Summer resort of Waidhofen an der Ybbs
ohnungsliste der Sommerfrische
aidhofen a d bbs und mgebung
List of residences in the summer resort of
Waidhofen and der Ybbs and environs
1905
remdenliste der Sommerfrische
aidhofen a d bbs und mgebung
List of guests in the summer resort of
Waidhofen a. d. Ybbs and environs
August
rogrammankünder des stm rkischen
Bauerntheaters
Programme announcement of the
Ostmärkisch (i.e. Austrian) Country Folk
Theatre
Waidhofen an der Ybbs, Stadtarchiv / Museum / Stadtbücherei
in ett, ein Stuhl, ein Schrank
A bed, a chair, a wardrobe
riedrich inger
Über die Sommerfrische berühmter, vornehmer und bisweilen auch eitler Personen geben Fotografien, literarische
Quellen und Briefwechsel in Fülle Auskunft. Auch die
Geschichte großer Hotels und nobler Unterkünfte, etwa
auf dem Semmering, ist bestens dokumentiert. Gewissermaßen ein weißer Fleck diesbezüglich ist die Sommerfrische des einfachen Volkes. Umso bedeutsamer erweist
sich eine Entdeckung wie jene des Skizzenbuches von
Schulrat Friedrich Finger, von dem wir kaum mehr wissen
als seine Lebensdaten. Mit Papier, Tusche und Zeichenstiften hielt der Schulrat jene Fremdenzimmer fest, die ihm
zwischen 1928 und 1970 in ganz Österreich als Urlaubsunterkünfte gedient hatten.
Skizzenbuch
bis
Sketchbook 1928 to 1960
Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde [ÖMV/86843]
Skizzenbuch
bis
Sketchbook 1962 to 1970
Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde [ÖMV/86844]
Durchgebl ttert Skizzenbuch des
Schulrates riedrich inger
Browsing through the sketchbook of
the school inspector Friedrich Finger
Film, 2015
Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde, Aufnahme:
Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
Tourismusprospekte der tscher
egion aus den
er bis
er
Jahren
Tourism brochures of the Ötscher region
from the 1950s to the 1970s
Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde
[NÖ das Land um Wien Winter 01, Land um Wien NÖ Austria 01,
ÖMV Bib./17.595/b, ÖMV Bib./17.595/g, Reliefbildkarte NÖ 01]
rinnerungsbuch für eisende
auf den etscher,
Remembrance Book for Ötscher Climbers,
1815–1876
St. Pölten, Niederösterreichisches Landesarchiv
[HS StA 1410]
Vordergründig ein Hüttenbuch, wie es viele gibt. Bei
genauem Hinsehen birgt es indes eine kleine Sensation:
Auf der ersten Seite findet sich ein Eintrag des berühmten
biedermeierlichen Wanderers Joseph Kyselak (1799–1831),
eines „Vorfahren“ der Graffiti-Sprayer. In ganz Österreich
hinterließ er auf Brückenpfeilern, Ruinen und Felswänden
seinen hingepinselten Namen. Am Ötscher geschah ihm
dabei ein Missgeschick: „Da mein Farbentopf zerbrach,
so erfolgt meine Verewigung hierorts Im J 1812“ – interessanterweise drei Jahre vor Anlage des Buches! Hinterlegt
war dieses sehr frühe Beispiel eines Hüttenbuches im
Gasthof Spielbichler, einer einfachen Touristenunterkunft
in den hintersten Ötschergräben. Angelegt von Lorenz
Spielbichler, sind die Seiten des „Erinnerungsbuches“ bis
zum Schluss mit Einträgen gefüllt. Gleich 1815 trugen sich
„Ludwig Zipf, Daniel Müller aus Oedenburg in Ungarn“
ein. Wenig später erfährt man: „Joseph Ign. Scheibappel
besuchte mit Johann Nährdich Bürger in Markt Herzogenburg den Oetscher am 11. July 1819. Sie trafen hier ein
vor der Rückreise Nachts um ½ 1 Uhr“.
Hotelgast Alfred Horn, ien
Hotel guest Alfred Horn, Vienna
einhard inke im Gespr ch mit Alfred Horn
Reinhard Linke
Seit
– nunmehr also bereits mehr als
ahre –
kommen der Wiener Alfred Horn und seine Frau mit ihrem
Hund zu jeder Jahreszeit in das Alpenhotel Gösing.
elcher lick auf den tscher
ist der beste?
Which view of the Ötscher is the best?
St. Pölten, Niederösterreichische Landesbibliothek,
Topographische Sammlung, Schnitt: Reinhold Linke/
Sandra Herold
Berühmte Berge wurden im Laufe der Zeit richtiggehend
zu Markenzeichen. Daran haben nicht zuletzt der Tourismus und die Werbung erheblichen Anteil: Bis heute wirken
Landschaftspunkte aus der Frühzeit des Tourismus im
. und beginnenden . ahrhundert nach, von denen aus
man die „schönen Alpen“ betrachten sollte. Wenn ein Berg
aus dem immergleichen Blickwinkel abgebildet wird, prägt
sich das Bild so stark ins Gedächtnis ein, dass es nur
noch die eine Sichtweise gibt. So erscheint das Matterhorn
nur von Zermatt aus gesehen „richtig“ – der Blick von der
italienischen Seite ist indes völlig unbekannt. Auch die Drei
Zinnen in den Sextner Dolomiten erkennt von Süden her
kaum jemand. Vom Ötscher existiert dagegen noch keine
eindeutig „richtige“ Sicht. Oder doch?
Das Alpenhotel G sing
Gösing Alpine Hotel
Gösing, Alpenhotel Gösing
Die Geschichte des Alpenhotels Gösing begann mit dem
Bau der Mariazellerbahn: Im ersten an dieser Stelle errichteten Gebäudeteil quartierte man Bauingenieure ein. Noch
während des Bahnbaus erwarben Josef Wittmann, Oberrevident der Landesbahnen, und Baukommissär Julius
Albrecht Wirtshaus und Bauerngut Gösing, um ein Hotel
zu errichten. 1911 übernahm der Wiener Holzindustrielle
Sigmund Glesinger das Gut samt dem Hotel. Nach einem
großen Umbau 1922 und einer Erweiterung 1923 konnte
sich das nunmehrige Alpenhotel Gösing sehen lassen: Die
Gäste erwarteten 90 Zimmer, Schwimmbad, Tennisplatz,
im Winter Skihänge, eine Schanze und eine Rodelbahn. In
den folgenden Jahren wurde das Hotel zu einer wichtigen
Institution für den Tourismus und zu einem bedeutenden
Arbeitgeber.
Dessen ungeachtet, kam es bereits in den 1920ern zu
antisemitischen Äußerungen gegen die jüdischen Eigentümer. Mit dem „Anschluss“ Österreichs 1938 wurde die
Situation zur realen Bedrohung. Familie Glesinger gelang
es zwar, rechtzeitig zu fliehen. Zuvor wurde ihr Betrieb
aber noch enteignet und das Vermögen eingezogen. Das
Alpenhotel ging an Lily von Epenstein, die Patentante
Hermann Görings. Als sie 1939 starb, wurde das Hotel
zum Erholungsheim der Luftwaffe, ab 1941 zum Lazarett.
1952 bekam Edith Fischl, Glesingers Tochter, das Hotel
rückerstattet. Sie verkaufte es 1955. Wechselvolle Jahre
folgten, ehe 2007 Familie Feistl das Alpenhotel Gösing übernahm. Heute ist es eines der führenden Häuser der Region.
Neben vielem anderen wird Gästen auch die Möglichkeit
geboten, mit einem Berufsjäger auf die Pirsch zu gehen!
Aus dem Alpenhotel G sing
From the Alpenhotel Gösing
Gösing, Alpenhotel Gösing
ichtrauchert felchen
Non-smoking sign
ntersetzer mit Moti en aus G sing
Coaster with Gösing motifs
um 1950
Gästebuch 1961–2007
Guestbook 1961–2007
Aufgeschlagen intragung des Skifahrers ranz Klammer,
11. November 1984
Gästebuch 1961–1993
Guestbook 1961–1993
Aufgeschlagen esuch on Schah Mohammad
und Schahbanu Farah Pahlavi, 26. Jänner 1964
G stebuch agdg ste
Guestbook: hunting guests 1976–2007
eza
ahla i
KAPITEL 06
STERNGUCKER
STARGAZERS
Sternenhimmel über dem Ötscherland
Starry sky over the Ötscher region
© Franz Klauser, 2014 und 2015
Mitteleuropa und die Alpen bei Nacht
Central Europe and the Alps at night
(R)
© NASA
Blick auf Mitteleuropa mit den hell erleuchteten Metropolen:
In der Mitte erglimmt die Lombardei mit ihrer immensen
Lichtverschmutzung. Westlich und nördlich davon erstreckt
sich der dunkle Alpenbogen mit seinen feingliedrig
erscheinenden beleuchteten Tälern. Ganz im Osten liegt
Budapest. Die beiden Lichtflecken nordwestlich davon sind
Bratislava und Wien. Von hier zieht sich als Lichtstreifen
die Verbindung über den Semmering in den Süden. Im
Norden davon liegt einiges im Dunkel: Es ist das alpine
Gebiet rund um den Ötscher.
KAPITEL 07
PILGEREI
PILGRIMS’ PROGRESS
Wirtshausschild Inn sign
Wirtshaus in Josefsberg, Anfang 1920er-Jahre
Mitterbach, Wirtshaus am Berg / Inhaber Karl Sabath
Entlang stark frequentierter Pilgerwege entstanden
Kapellen, Bildstöcke, Marterln … und damit sogenannte
Sakrallandschaften. Auch im Bereich Annaberg,
Joachimsberg und Josefsberg war dies der Fall. Da die
Pilger auch handfester Nahrung und einer Bettstatt
bedurften, fanden sie hier schon früh Wirtshäuser und
Herbergen vor. Bereits 1536 erwähnte das Lilienfelder
Stiftsurbar ein „Haus am Saw Ruessl“ im heutigen
Josefsberg. 1764 als „Baur und Würth an Josephsberg“
bezeichnet, wurde daraus später der „Gasthof Sabath“.
Pilgerzug Pilgrimage
(R), 19. Jh.
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek, Topographische Sammlung
[109, 183, 180, 111]
„Man muss wissen, wie die armen Leute oft nur mit wenigen
Groschen im Sacke die lange Reise beginnen, wie sie dann
manche Nacht in den Bergen, wo es kühl ist, auf Bänken,
auf dem Stroh, oft sogar im Freien zubringen, nur Brot
essen. Man muss sie sehen, wenn sie bei Regen und Hitze
gewandert sind und von der Wallfahrt zurückkehren, wie
erbärmlich sie aussehen; man muss sich überzeugen, wie
viele schon auf der Straße krank werden, und man wird
sagen, die Frömmigkeit darf nicht über die Sorge für sich
selbst die Oberhand gewinnen“, so der Dichter Ignaz Franz
Castelli 1857. Er musste es wissen: An seinem Haus in
Lilienfeld sollen sommers um die 200.000 Mariazell-Pilger
vorbeigezogen sein …
Pilgerzug nach Annaberg
Pilgrimage to Annaberg
Franz Kutschera
Straße nach Annaberg
Road to Annaberg
Anonym
Pilger ziehen durch Annaberg
Pilgrimage through Annaberg
Ludwig Mohn
Pilger in Annaberg
Pilgrims in Annaberg
Bonaventura De Ben
Annaberg Annaberg
Stich, teils koloriert, 18./19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Wenige Jahre nach der Gründung des Stiftes Lilienfeld
entsandte der Abt 1217 einige Patres aus, in der Wildnis,
„der Tannberg genannt“, Land nutzbar zu machen. Um
dem täglichen Gebet entsprechend nachgehen zu können,
errichteten sie eine Holzkapelle und widmeten sie der
heiligen Anna. An diesem Ort, so berichten die lokalen
Mirakelbücher, hätten sich von der Gründung der ersten
Kapelle an Wunder zugetragen.
Andachtsbildchen vom Annaberg
Devotional images of Annaberg
teils kolorierte Stiche, Prägedruck, 18./19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Aus dem Bedürfnis heraus, Andachtsbilder – etwa als
Einlegezettel im Gebetbuch – mit sich tragen zu können,
entstanden im 14. Jahrhundert kleinformatige Varianten.
Vorne findet sich meist eine Heiligendarstellung oder das
Gnadenbild, auf der Rückseite ein Gebet. Ursprünglich
dienten Andachtsbildchen der symbolischen Vergegenwärtigung einer heiligen Person. Doch allmählich wurde
dem Bild selbst zugetraut, Wunder zu vollbringen. Bald entwickelte sich ein reger Handel damit. In den „Betenläden“
um die Kirche wurden sie neben Rosenkränzen und anderen
Devotionalien verkauft. Für den „Betkramer“ war das ein
gutes Geschäft: Im 19. Jahrhundert kosteten ihn 100 Stück
fünf Kreuzer. Nachdem die Bildchen in der Kirche geweiht
oder mit einer Reliquie in Berührung gebracht worden
waren, verkaufte er sie um drei Kreuzer … pro Stück!
Drei Annabildchen
Three images of Saint Anne
Lithografien, 1890–1960
Annaberg, Kath. Pfarre Annaberg
Gnadenbild Miraculous image
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek,
Topographische Sammlung [22748]
ünf nger Andachtsbild aus
Annaberg
Five-finger devotional image
from Annaberg
Stich, 18. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Eine besondere Form des Andachtsbildchens aus Annaberg: Auf dem Daumen betet ein Mann ringend zu Gott.
Der Zeigefinger ist einer stehenden Person gewidmet, auf
die der Heilige Geist herabsteigt. Auf dem Mittelfinger blickt
ein Mann, ein Sündenverzeichnis in Händen, zum Weltenrichter Christus auf. Vor einem Kruzifi schlägt sich am
Ringfinger ein Mann auf die Brust. Und am kleinen Finger
schwingt ein Ritter sein Schwert gegen einen Drachen.
Reliquienkästchen mit Annahand
Reliquary with Saint Anne’s hand
18. Jh.
Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde [ÖMV_49136]
Die heilige Anna, Mutter Mariens, gilt als Beschützerin der
Armen und Benachteiligten. Um ihre angeblich unverwesbare Hand bildete sich in Mitteleuropa ein Kult aus: Von
der in Wien aufbewahrten Annahand-Reliquie fertigte man
Nachbildungen als Andachtsbildchen oder in Wachs an.
Annahände in kunstvollen Kästen sind oft mit vergoldetem
und versilbertem Draht, farbigen Glassteinen und Metallfolien verziert. Solche „schönen Arbeiten“ wurden im
. ahrhundert in Frauenklöstern gefertigt.
Im Innern der Kirche von Annaberg
Interior of the Annaberg church
Fotografie (R), Heinrich Schuhmann, 19. Jh.
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek,
Topographische Sammlung [293]
1660 bekam Annaberg über Vermittlung Eleonoras, der
Witwe Kaiser Ferdinands II., eine besondere Reliquie
zuerkannt: ein Stück der „Ehrwürdigen Hirn-Schaale der
Heiligen Anna“. Seit dem Umbau des Altarraums 1757
ließen sich über eine hinter dem Altar angebrachte Leiter
die Gewänder des Gnadenbildes von hinten wechseln.
Großer Beliebtheit bei den Pilgern erfreute sich der Brauch,
über die „Hendlstiege“ zur Anna-Selbdritt-Gruppe Jakob
Kaschauers von 1440 hochzusteigen und Anna eine Bitte
ins Ohr zu flüstern.
Der Ameisler
Ameisler, collector of ant eggs
Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde
[ÖMV/60565, 60566, 60671]
Er war der letzte „Oaler“ von Lackenhof: Ernst Scheitz. Bis
in die 1970er, als das Gewerbe spät, aber doch auch im
Gebiet um den Ötscher ausstarb, verwendete er das ausgestellte Gerät: etwa die von einem Kugelofen stammende
Kachel zum Einsammeln des „Oalpechs“. Seine Blütezeit
hatte der Beruf des Ameislers ein Jahrhundert zuvor erlebt:
In den Städten war es modern, sich Singvögel zu halten.
Und deren Futter wurde durch Ameisenpuppen aufgebessert. Um 1850 konnte ein Ameisler im Ötschergebiet auf
mehr als 1.000 Liter jährlich kommen! Jede zweite bis dritte
Woche wurde geerntet. Dafür öffnete er den Ameisenhaufen, entnahm mit der „Ãumaskrål“ Material und siebte
es grob aus. Der Rest kam auf ein Tuch. Die Ameisen
brachten nun ihre Puppen unter den Tuchrändern in Sicherheit, von wo sie der Ameisler leicht entnehmen konnte.
Zurück blieben mit Ameisensäure imprägnierte Fichtenund Tannenharzstücke. Dieses „Oalpech“, das als
Räuchermittel erregende Wirkung hatte, diente als Weihrauchersatz.
Sammelgefäß aus Ofenkachel
Receptacle made of a stove tile
Weihrauchersatz „Oalpech“
Oalpech, a substitute for incense
Holzhaue zum Ausräumen der Ameiseneier
Wooden hoe for e tracting ant eggs
from the anthill
Alter Wallfahrerweg auf den Josefsberg
Old pilgrimage route onto Josefsberg
Öl auf Hartfaserplatte, Josef Tobner, 19. Jh.
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [KS-1613]
Auf dem Pilgerweg On pilgrimage
Aus allen Himmelsrichtungen strömten die Pilger ihrem
Ziel, Mariazell, zu. Im Laufe der Jahrhunderte wurden aus
einzelnen Wegen und Straßen „Wallfahrtsrouten“. Deren
älteste und am häufigsten begangene ist die später „Via
Sacra“ genannte Strecke von Wien nach Mariazell, vorbei
an den Klöstern Heiligenkreuz und Lilienfeld. Die Wege
waren gesäumt von Erinnerungszeichen des Glaubens –
Wegkreuzen, Bildstöcken, Kapellen –, erlebten aber auch
so manchen Aberglauben. So gelten etwa das Luckerte
Kreuz bei Mariazell oder das Kreuz über dem Halltal mit
seinem gemauerten Bogen als „Heiratskreuze“: Wurde
der Bogen von einem Mädchen durchschritten, sollte sein
Wunsch nach einem Mann, so die Legende, bald in
Erfüllung gehen.
Pilgern – Kreuz am Weg
Cross along the pilgrims’ path
Fotografie (R), Richard Kurt Donin, 19. Jh.
St. Pölten, NÖ Landesbibliothek,
Topographische Sammlung [17585]
Wallfahrer auf der Rast im Wienerwald
Pilgrims take a rest in the Vienna Woods
um 1840
Wien, Österreichisches Museum für Volkskunde
[ÖMV/43829]
Reisealtärchen und Reisemadonna in Kapsel
Travel altar and Madonna in a capsule
h
Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus
[VKH 9150 (V 810), VKH 10055, VKH 9142]
Antike Devotionalien und Votivgaben
Antique memorabilia and votive offerings
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [VO:AMC, 6391, 6245, T433, 22624/23,
2 o. Inv. Nr., 12105, 12109]
Mit der Wallfahrt blühte auch der Handel. Zuhauf wurden
Devotionalien und Votivgaben an die Pilger gebracht.
Ob zum Schutz getragene Amulette, Devotionalien als geweihte Erinnerungszeichen oder Votivgaben, die man am
Gnadenort deponiert: Christliche Praktiken haben ihre
Wurzeln oft in antiken Traditionen. Das Leben der Römer
war von kultischen Handlungen und traditionellen Riten
geprägt. Das Verhältnis zwischen Mensch und Göttern
beruhte auf gegenseitigen Verpflichtungen: Die Menschen
stifteten Weihedenkmäler oder kleine Opfergaben, die
Götter gaben Schutz vor allem Bösen. Zeugnisse dafür
fand man auch bei Ausgrabungen in Carnuntum: Etwa
Terrakottastatuen einer Muttergottheit – die eine vom Typ
„Mater Nutri “, die in jedem Arm ein Wickelkind hält und
ihm die Brust gibt, die andere mit komplizierter Hochsteckfrisur, möglicherweise als Votivgabe in Carnuntum deponiert. Oder das Amulett mit Phallus und Fica, das Kindern
zur Abwehr des bösen Blicks umgehängt wurde.
1 Terrakottastatue einer Muttergottheit
Terracotta statue of a mother goddess
Mitte 2. Jh.
2 Terrakottabüste der Ceres oder
einer Muttergottheit
Terracotta bust of Ceres or a mother goddess
3. Jh.
3 Terrakottabüste einer Muttergottheit
mit komplizierter Hochsteckfrisur
Terracotta statue of a mother goddess
with e travagant, pinned-up hairstyle
2. Jh.
4 Bleivotiv der Diana mit zwei Hirschkühen
Votive offering: Artemis with two does (lead)
2./3. Jh.
5 Bleivotiv Venus und Amor
Votive offering: Venus and Cupid (lead)
2./3. Jh.
6 Bleivotiv einer thronenden Göttin
Votive offering: enthroned goddess (lead)
2./3. Jh.
7 Bleivotiv in Spiegelform
Mirror-shaped votive offering (lead)
2./3. Jh.
8 Amulett mit Phallus und Fica
Amulet showing Phallus and fig sign
2./3. Jh.
9 Amulett mit männlichem Genital
Amulet showing male genital
2./3. Jh.
Zinn guren on ilgern
Pewter figures of pilgrims
20. Jh.
München, Alpines Museum des Deutschen Alpenvereins
Pilgerzüge sind ein feierliches Ritual des Unterwegsseins
in der Gemeinschaft. Zumindest seit dem 13. Jahrhundert
spielt die Wallfahrt nach Mariazell eine bedeutende Rolle.
1692 wurde von einer Pilgerreise von 11.200 Personen
berichtet, 1857 begaben sich bei der Wallfahrt der Ungarn
gar 30.000 Menschen auf den Weg. Wenn sich die
Wallfahrer gegen die trockene Kehle und den erhitzten
Körper mit dem kalten Wasser labten, das überall sprudelte,
konnte es geschehen, dass sie „den Tod mittranken“.
Silberherzen als Ofergabe an roter Kordel
Offering: silver hearts on a red cord
Versilberte Bronze, 1856–1872
Annaberg, Kath. Pfarre Annaberg
Dem Silber wurde nachgesagt, dass es Dämonen und
Krankheiten abwehre. Silberne Opfergaben waren in
Annaberg besonders beliebt. Häufig handelte es sich um
sogenannte Identifikationsopfer: Arme, Beine, Bäuche oder
Herzen verwiesen auf das Anliegen des Hilfesuchenden –
meist waren es Krankheiten des betreffenden Körperteiles.
Mit dem Zeichen des Herzens sprachen die Gläubigen
häufig seelische Schmerzen an. Oft wurden die in der Kirche
dargebrachten Silbervotive zu verschiedenem kirchlichen
Gerät weiterverarbeitet.
Schutz vor den „Fraisen“
Protection against convulsions
and eclampsia
Unter dem Begriff „Fraisen“ fasste die Volksmedizin ein
Krankheitssymptom mit verschiedenen Ursachen zusammen: Krampfanfälle bei Kindern oder Eklampsie, eine
mit Krämpfen einhergehende Erkrankung Schwangerer.
Da man die Gründe dafür nicht kannte, vertraute man auf
Devotionalien und Amulette. Insbesondere Fraisenketten
boten – mit Universalamuletten von meist ungerader Zahl –
Schutz. Durch die Vielzahl der Einzelteile hoffte man,
zumindest gegen eine der möglichen Krankheiten Hilfe
zu finden.
Fraisenschlüssel
Key for “unlocking” convulsions
18./19. Jh
Scheibbs, Slg. HHH
Rosenkranz – „Fraisbeten“
Rosary against convulsions
19. Jh.
Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus
[VKH 5002 (V 3494)]
Andachtsbildchen vom Joachimsberg
Devotional images of Joachimsberg
19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH / St. Pölten, NÖ Landesbibliothek,
Topographische Sammlung [2795]
Der Joachimsberg gilt zusammen mit dem Anna- und dem
Josefsberg als einer der drei heiligen Berge an der Via
Sacra, dem Pilgerweg von Wien nach Mariazell. Zwischen
1652 und 1685 wurde auf der Erhebung, die zuvor einen
anderen Namen trug, ein Kirchlein errichtet und dem
heiligen Joachim geweiht. Anna und Joachim, dessen
Gedenktag von den Katholiken am 26. Juli begangen wird,
waren die Eltern Marias und damit Jesu Großeltern.
Andachtsbildchen vom Josefsberg
Devotional images of Josefsberg
18./19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Der heilige Josef, Ziehvater von Jesus, war einer der
habsburgischen Hausheiligen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Maria Theresia den Anstoß gab, Josefsberg
zunächst zur Kuratie und später zur Pfarre zu erheben.
Bereits seit 1536 ist indes auf dem „Saw Ruessl“ eine
Gaststätte für Wallfahrer, das heutige Gasthaus Sabath,
bezeugt. 1644 errichtete man das Josefskirchlein. Als
Zimmermann ist der heilige Josef, dessen Gedenktag auf
den 19. März fällt, vor allem fürs Praktische zuständig.
Votivbilder – „Briefe zum Himmel“
Votive paintings – “letters to the saints”
Jeweils Öl auf Leinwand, 19. Jh.
Mariazell, Schatzkammern der Basilika Mariazell
[VB A 416, VB A 81, VB A 118, VB A 117]
Das Christentum kennt den Brauch der Votivgabe seit dem
14. Jahrhundert. Die Gläubigen hinterlegen am Gnadenort
ihre „Bildbriefe zum Himmel“ als Ausdruck tiefer Dankbarkeit und als Zeichen dafür, dass das Vertrauen in die
göttliche Wirkmacht begründet ist: Ihr Flehen um Befreiung
aus einer Notlage wurde erhört. Vom Barock an hatten
Votivbilder meist einen dreiteiligen Aufbau: Im Zentrum
steht der Moment der Hilfeleistung – hier, mit einer Ausnahme, bei unglücklichen Begebenheiten während der Pilgerfahrt. Am unteren Rand kniet der Votant und blickt zu dem
auf einer Wolke stehenden Helfer. In der Bildmitte wird das
Unglück dargestellt. In Mariazell werden die Votivtafeln der
Gläubigen teils in den Gängen der Empore und in den
Türmen der Basilika gezeigt, der große Rest ruht in einem
Depot. Bisweilen haben sich Wallfahrer auf älteren Votivtafeln mit Name und Datum verewigt – quasi eine zweite
Ebene der Erinnerung!
Irdische Heilmittel Material remedies
2015
Mariazell, Apotheke und Drogerie „Zur Gnadenmutter“
Mit dem Einzug in die Basilika war der Höhepunkt der
Pilgerreise erreicht. Nach der seelischen Labung ging es
an die Stillung der leiblichen Bedürfnisse in einem der
Wirtshäuser. Was an einem Wallfahrtsort ebenso wenig
fehlen durfte: eine Apotheke. Denn manch einem ging
es nach der Wanderung gar nicht gut: Oft war der Proviant
verdorben, oder man hatte nach der entbehrungsreichen
Zeit zu ausgiebig getafelt. Magenbitter und Kräuterliköre
halfen, die Verdauung wieder in Ordnung zu bringen.
Seit Beginn der Herstellung der Mariazeller Magentropfen
1780 wird das Wissen um die Verarbeitung der 26 Kräuter
mündlich weitergegeben. Einem Postbuch des ältesten
Mariazeller Likörherstellers nach, der Apotheke „Zur
Gnadenmutter“, wurden deren Produkte, unter anderem
die Magentropfen, schon 1875 europaweit versandt.
Bis heute stellt man Heilmittel aus über
Heilpflanzen
und -kräutern her – so auch den Edeltannenduft, der
einst zur Desinfektion von Krankenstuben diente.
Liköre Liqueurs
Magentropfen Digestive tonic
Edeltannenduft Silver fir scent
Lebenselixier Eli ir of life
Mariazell, Apotheke und Drogerie „Zur Gnadenmutter“
1718 gegründet, wurde die Apotheke „Zur Gnadenmutter“
im 19. Jahrhundert vom berühmten Botaniker und Apotheker Michael Hölzl geführt. Als Angelika Prentner die
Apotheke am Hauptplatz 2007 übernahm, fand sie in einem
Rezeptbuch von 1835 eine Rezeptur für eine „Tinctura
Longae Vitae“. Da die Lebensumstände früher nach anderen Pflanzenkombinationen und Dosierungen verlangten,
wurde die Rezeptur angepasst. Heute enthält das Lebenseli ier unter anderem Weißdorn, Melisse, Taigawurzel
und Passionsblume. Es stärkt Herz, Kreislauf und Nerven,
wirkt ausgleichend und macht stressresistent.
Rezeptbuch
Prescription book
Apotheker Michael Hölzl, 1835
Lebenselixier
Eli ir of life
2015
Herbarblätter Herbar leaves
gesammelt im Sommer 2014
Mariazell, Apotheke und Drogerie „Zur Gnadenmutter“
Bis heute verarbeitet man in der Apotheke „Zur Gnadenmutter“ Heilpflanzen aus der Region um den Ötscher – von
Beinwell über Stinkenden Storchenschnabel und Efeu bis
zur Wilden Malve – nach den Methoden der Traditionellen
Europäischen Medizin. Die Alpenpflanzen hier sind kleiner,
aber ursprünglicher und die Wirkstoffe oft konzentrierter.
Anders als im flacheren Land wurde nicht so stark in die
Natur eingegriffen, zudem gab es kaum Monokulturen.
Goldener, oder kleiner neu
verbesserter Himmelschlüssel
Golden, small and revised Key
of Heaven
1835
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [VK, o. Inv. Nr.]
Mariazeller Mirakelbüchlein
Mariazell booklet of miracles
Graz, 1645
Schallaburg, Schallaburg Kulturbetriebsges.m.b.H.
Wer sich einstimmen wollte, welche wundersamen
Ereignisse ihn am Ziel der Pilgerreise erwarteten, brauchte
nur ein Mirakelbüchlein aufzuschlagen: Von den Wallfahrtsorganisationen zusammengestellt, gaben sie – einem
Journal ähnlich – anschaulich Auskunft über Mirakel am
Wallfahrtsort. Dortselbst, so der Glaube, vollziehe sich die
heilende Wirkung durch Maria als wundertätige Ärztin.
Mirakelbüchlein gab es ab dem 16. Jahrhundert. Im
17. und 18. Jahrhundert fanden sie ihre größte Verbreitung.
Wahre Länge Mariens und
Fuß Mariens
True length of the Virgin Mary and
Mary’s “foot”
Kupferstich, 19. Jh.
Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus
[VKH 9194, VKH 9195]
Heiligen Maßen lag der Glaube zugrunde, eine Heilsperson
könne durch ihre genaue Größenangabe vertreten werden.
Besaß man etwa einen Papierstreifen von der „wahren
Länge Mariens“, meinte man auch in den Genuss ihrer
Heilskraft zu kommen. Mit Gebeten beschriftet, sollte der
Streifen, am Leib getragen, vor Gefahren schützen und
vor allem „schwangeren Frauen eine fröhliche Geburt verleihen“. Besondere Wirkung erhoffte man sich von den
Maßen bestimmter Körperteile, etwa vom Fuß Mariens.
Das Mariazeller Gnadenbild
Miraculous image of the Virgin at Mariazell
1157 wurde der Mönch Magnus aus dem Kloster
St. Lambrecht losgeschickt. Als ihm ein Fels den Weg
versperrte, betete er zur Gottesmutter, worauf sich der
Fels spaltete. Am Ziel angekommen, baute Magnus eine
Zelle für sich, die der mitgeführten Marienstatue als
Kapelle diente. Die Statue wurde zum Gnadenbild, die
Kapelle zum Grundstein für Mariazell. So weit die Legende.
Das Gnadenbild genießt bis heute große Verehrung.
Es lässt sich, so heißt es, nicht von seinem Ort entfernen.
Zudem solle kein Staub die Statue bedecken, die als
solche auch nicht nachgemacht werden könne.
Gnadenbild Mariazell
Miraculous image at Mariazell
18./19. Jh.
Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus
[VKH 4708 (V4743)]
Betbildchen Mariazell Mariazell prayer picture
19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Rosenkranz – eine meditative
Frömmigkeitsübung
Saying the rosary – a meditative e ercise
in piety
19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Schnüre mit Steinen, die als Zählkette für wiederholt zu
sprechende Gebete dienen, kennt man in mehreren
Religionen. Ihr Aufkommen im Christentum könnte mit den
Kreuzzügen in Verbindung stehen, bei denen die Kreuzritter
mit dem Islam in Kontakt kamen. Der heute gebräuchliche
Rosenkranz besteht aus 50 Ave-Maria-Perlen, die fünf
große Paternoster-Perlen in Gruppen unterteilen. Seit
dem . ahrhundert wird er durch eine kleine Kette, den
Glaube-Liebe-Hoffnung-Absatz, ergänzt. In den Mariazeller
Devotionalienläden lagen saisonal unterschiedliche „Beten“
bereit – je nachdem, welche Volksgruppe aus dem Habsburgerreich gerade erwartet wurde. Denn jede Nationalität
hatte ihren speziellen Rosenkranz.
Rosenkranz aus Wassernüssen
Rosary made of water nuts
Rosenkranz „Schwabenbeten“
mit weißen Porzellankugeln
“Swabian” rosary with white balls of china
Schluckbildchen
Paper slips with devotional images,
to be swallowed
19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Schluckbildchen gehörten ab dem 18. Jahrhundert zur
„geistlichen Hausapotheke“. Von entscheidender Bedeutung war, dass die Bildchen, die man nur bogenweise
erhielt, geweiht oder mit dem Gnadenbild am Wallfahrtsort
in Kontakt gekommen waren. Bei Gefahr, in Augenblicken
der Not und bei Krankheit wurde eines der Bildchen
abgeschnitten, geschluckt oder dem Vieh verabreicht. Der
Brauch, Esszettel zu schlucken, war freilich schon in der
Antike verbreitet. Ab dem Frühmittelalter wurden Heiligendarstellungen in Brot eingebacken.
Mariazeller Schreck
Protective amulet from Mariazell
20. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Schrecksteine wurden – auch als Teil einer Fraisenkette –
im Halsausschnitt ihres Trägers verborgen. Ihnen kam die
Funktion eines Amuletts zu. Sie sollten also ihre Träger
schützen: Kinder vor den Fraisen, Krampfanfällen jeglicher
Art, und stillende Frauen davor, dass bei Erschrecken die
Milch versiegte.
Sonntagsberger Fraisenstein
Stone from Sonntagsberg against
convulsions
19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Amulett in Wurzelform
Root-shaped amulet
19./20. Jh.
Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus
[VKH 9172 (V 6022)]
Afel- oder Flusskerzen
Pitch and herbal candles against
diseases
Pech, Kräuter, 19./20. Jh.
Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus
[VKH 9166, VKH 9171, VKH 9168]
In der Volksmedizin wurde der „Afel“ – eine entzündete
Wunde, eine Hautabschürfung, schmerzhafte Hautröte,
Rotlauf und Ähnliches – mit Afelkerzen behandelt. Ihr
Rauch sollte heilende Wirkung haben. Auch der Gebrauch
bei Entbindungen und Gicht sowie zum Ausräuchern von
Räumen und Ställen ist belegt. Ziel war in jedem Fall, böse
Krankheiten zu vertreiben.
Breverl
Christian talisman with images of saints
Kupferstich, 19. Jh.
Ried im Innkreis, Museum Innviertler Volkskundehaus
[VKH 6288]
Das Breverl – ein verschlossener kleiner Beutel – enthielt
eine gewisse Anzahl von Schutz-, Heiligen- und Gnadenbildchen sowie religiöse Miniaturzeichen wie Medaillen,
Kreuze, Tonfiguren, Wachsplaketten, Berührungsreli uien,
geweihte Kräuter oder Samen. Es wurde zum Schutz um
den Hals gehängt oder in die Kleidung eingenäht. Die
Träger wussten meist nicht genau, was in dem „Medizinbeutel“ enthalten war, und durften ihn keinesfalls öffnen:
Seine Kraft blieb nur durch Verschluss der geheimen
„Zaubermittel“ erhalten.
Pestkreuz Plague cross
19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Beichtzettel für Dienstboten
Confession certificate for servants
19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Die vorgedruckten und am Wallfahrtsort vom Priester
handschriftlich ergänzten Beichtzettel belegten der
Herrschaft, dass ihre Dienstboten eine Wallfahrt auch
tatsächlich gemacht hatten.
Mariazells letzter „Kerzenputzer“
Mariazell’s last chandler
19./20. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Der letzte Mariazeller „Kerzenputzer“ Baumgartner hatte
seine Werkstatt und einen Devotionalienladen an der
Wiener Straße in Mariazell. Dahinter lebte der als Einzelgänger geltende Mann wohl auch. Er bekam rohe Kerzen
geliefert. Dann fertigte er in einem kleinen Raum, in dem
ein Eisenofen stand, mithilfe seiner Modeln und Zagen
jene Verzierungen, die auf den Kerzen angebracht wurden.
Als Baumgartner Anfang der 1970er-Jahre sein Handwerk
niederlegte, schloss die letzte Kerzenmacherei Mariazells
ihre Pforten.
Werkzeug Tools
Wachsmodel Wa mould
Drei Kerzen Three candles
achs geflochten, gewickelt, gerollt
Wa – braided, coiled or rolled
19. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Wachs spielt in den christlichen Kirchen wegen der liturgischen Bedeutung der Kerze schon immer eine wichtige
Rolle. Wachsstöcke bzw. Wachsrodeln erlaubten einen
sparsamen Umgang mit dem lange Zeit teuren Material.
Dafür wurden – meist in Klöstern – Wachsschnüre zu einem
Stock oder Knäuel geflochten, aufgewickelt oder gerollt,
kunstvoll gestaltet und vielfach mit „gezwicketen“ Blüten
oder Farbdrucken versehen. Wallfahrer brachten sie
als Devotionalien nach Hause und stellten sie dort im
Herrgottswinkel auf. In gewissen Gegenden war es auch
Brauch, dass die Knechte den Mägden zu Mariä Lichtmess
einen Wachsstock als Dank fürs tägliche Bettmachen
schenkten. In vielen Fällen hatten Wachsstöcke alleine
Erinnerungsfunktion. In ihrer Gebrauchsform dienten sie
bisweilen auch als Nachtleuchten.
Wachskrone für Jungfrauen
Wa crown for virgins
Mariazeller Maria aus Wachs unter Glassturz
Mariazell Maria made of wa , under a glass cover
Wachsstock – Mariazeller Madonna
Wa taper – Madonna of Mariazell
Zwei Wachsstöcke Two wa tapers
Wachsvotivgaben
Votive offerings made of wa
20. Jh.
Scheibbs, Slg. HHH
Wachs wurde auch als Material für Votivgaben herangezogen: Wächserne Körperteile brachte man als Dank- und
Bittgaben dar, in manch einer Kirche waren ganze Wände
mit Armen, Beinen, Augen, Ohren und menschlichen
Organen, allesamt aus Wachs, behängt. Neben diesen
Objekten, die auf das Anliegen des Votanten verwiesen,
gab es auch verschlüsselte Zeichen, die sich heute kaum
noch enträtseln lassen.
Niederösterreichische Wallfahrer
in Mariazell
Lower Austrian pilgrims in Mariazell
Aquarell (R), Leopold Karl Müller, um 1860
St. Pölten, Land Niederösterreich, Landessammlungen
Niederösterreich [KS 9056]
„Was die Unsittlichkeit betrifft, so kann man wohl annehmen, dass ein großer Teil der aus Städten kommenden
Wallfahrer die Wallfahrt nicht aus religiösem Trieb, sondern
aus Unterhaltung, aus Begierde, einen Ausflug auf das
Land zu machen, ja sogar zum Spaß mitmachen. Ich weiß
Frauen, welche nach Marizell wallfahrten, um mit ihrem
Geliebten die Reise zu unternehmen zu können“, so der
Dichter Ignaz Franz Castelli 1857.
Der Annaberg von der Ostseite
Annaberg from the east side
Eduard Gurk, 1833/34
Blatt 21 aus: „Mahlerische Reise von
Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt)
© Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich,
Foto: Christoph Fuchs
Etwas mehr als 100 Kilometer nach Wien beginnt für die
Pilger am zweiten Tag der Anstieg nach Annaberg. Steil
führt die alte Straße auf den ersten der drei „heiligen
Berge“. Von dort aus meldete einst der bereitstehende
Posten mit einer Glocke, dass eine größere Pilgergruppe
im Anmarsch war. So konnte der Geistliche sich bereitmachen. Für den Einzug in Annaberg streiften sich die
Pilger noch im Anstieg die Tracht über.
Aussicht vom Annaberg
gegen den Ötscher
View from Annaberg onto
the Ötscher
Eduard Gurk, 1833/34
Blatt 22 aus: „Mahlerische Reise von
Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt)
© Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich,
Foto: Christoph Fuchs
In der Blütezeit der Wallfahrt Ende des 19. Jahrhunderts
besuchten jährlich 50.000 bis 70.000 Pilger Annaberg.
Die Größe der gotischen Kirche von 1444 zeigt eindrücklich
deren Bedeutung; bereits 1217 stand an dieser Stelle
eine Gnadenstätte. In mehreren Gasthäusern rund um die
Kirche konnten sich die Pilger laben – so auch in dem
stattlichen Wirtshaus mit dem Doppeladler im Schild, dem
heutigen Gasthaus „Zur Post“.
Joachimsberg View of Joachimsberg
Eduard Gurk, 1833/34
Blatt 24 aus: „Mahlerische Reise von
Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt)
© Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich,
Foto: Christoph Fuchs
Die Sonne geht im Westen hinter dem Ötscher unter, bald
haben die Pilger die zweite Tagesetappe geschafft. Sie
endet in Wienerbruck. Zuvor führt die Via Sacra noch
auf den Joachimsberg, den zweiten der „heiligen Berge“.
Die Kirche dort ist dem Vater Mariens geweiht.
Gipfel des Josefsberges
Summit of Josefsberg
Eduard Gurk, 1833/34
Blatt 28 aus: „Mahlerische Reise von
Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt)
© Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich,
Foto: Christoph Fuchs
Der dritte und letzte Tag beginnt mit dem Anstieg auf den
Josefsberg, den höchsten Punkt der Via Sacra. Wo 1601
noch eine Einsiedelei stand, weitet sich der Blick erstmals
auf die steirischen Alpen. Die Pfarrgründung geht auf Maria
Theresia zurück: Auf einer ihrer jährlichen Pilgerfahrten
wurde sie hier Mitte August von einem Schneesturm überrascht. Im Gasthof Sabath stärkten sich die Pilger für die
letzte Tagesetappe.
Knieriegel und die Gemeindealpe
Knieriegel and Gemeindealpe
Eduard Gurk, 1833/34
Blatt 29 aus: „Mahlerische Reise von
Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt)
© Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich,
Foto: Christoph Fuchs
Die Pilger nahmen große Anstrengungen auf sich. „Wir
werden jeden Tag einen Weg von 12–15 Stunden zurückzulegen haben. Das Essen wird entweder schlecht oder
sehr teuer sein; die Nachtruhe wird kurz, oft sehr kurz sein
und wir werden selbst ohne Bett zufrieden sein müssen.“
Mit diesen Worten warb 1874 ein Pfarrer für die Wallfahrt
von Brünn/Brno nach Mariazell – 14 Tage war man unterwegs.
Urlaubskreuz in Weißenbach
Pilgrims’ Cross in Weißenbach
Eduard Gurk, 1833/34
Blatt 32 aus: „Mahlerische Reise von
Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt)
© Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich,
Foto: Christoph Fuchs
Kurz vor der Ankunft in Mariazell verdichtet sich die Sakrallandschaft. Bildstöcke und kleine Kapellen – gestiftet von
verschiedenen Personen und Pilgergruppen – säumen den
Weg. Die Pilger knien vor der Kapelle mit dem Goldenen
Kreuz, das Maria Theresia 1768 aufstellen ließ. „Alle
Verehrer Mariä werden gebeten um ein Vaterunser und Ave
Maria für den Wohlstand des durchlauchtigsten Hauses
Österreich“, heißt es darauf.
Aussicht gegen den Erlaufsee
View onto Lake Erlauf
Eduard Gurk, 1833/34
Blatt 33 aus: „Mahlerische Reise von
Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt)
© Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich,
Foto: Christoph Fuchs
Nach ihrem Pilgerweg durch malerische Landschaften
sammeln sich die Wallfahrer hier, um – vorbei an den 1650
errichteten Rosenkreuzstationen – gemeinsam in Mariazell
einzuziehen. Heute, so der Pilgerbegleiter Heribert Pfeffer,
sei vermehrt der Weg das Ziel: „Beim Gehen ist schön,
dass sich die Beine irgendwann von selbst bewegen. Der
Kopf wird frei, es ist eine Art Meditation.“
Mariazell View of Mariazell
Eduard Gurk, 1833/34
Blatt 34 aus: „Mahlerische Reise von
Wien nach Maria Zell …“ (Ausschnitt)
© Land Niederösterreich, Landessammlungen Niederösterreich,
Foto: Christoph Fuchs
Die Türme der Mariazeller Basilika weisen den Weg zum
Ziel. Die Bedeutung des Ortes gründet auf der wundersamen Legende ebenso wie auf der Stellung, die Mariazell
im Laufe der Geschichte für die Herrscher bekam. Mit den
Pilgerströmen öffneten Herbergen, Hotels, Gaststätten und
Devotionaliengeschäfte. Nach dem anstrengenden Weg
und dem Besuch der Basilika war aber immer auch Zeit für
kleinere und größere Abenteuer …
KAPITEL 08
PANORAMABAHN
PANORAMIC VIEWS
Bildtäfelchen zur Mariazellerbahn
Picture tablets of the Mariazell Railway
2. Hälfte 20. Jh.
Graz, Prof. Horst Felsinger
Horst Felsinger – Substitut bei den Wiener Philharmonikern
und ab 1960 Mitglied des Grazer Philharmonischen
Orchesters – urlaubte mit seiner Frau jahrelang in Wienerbruck. Dabei erlag er der Faszination der Mariazellerbahn.
Er verfasste nicht nur das erste fundierte Buch über die
Schmalspurbahn: Aus in drei Lagen verleimtem Karton
fertigte er auch Bildtäfelchen, die deren Lok- und Wagenpark detailliert dokumentieren. Rechts und links sind sie
jeweils mit einem Kuppelprovisorium versehen – „als ob
sie auf Kufen laufen“!
Reise mit den Ohren
Acoustic journey
Realisierung: © cat-x exhibitions, Sounddesign:
Volkmar Klien, Team: Andreas Platzer, Haig Avedikian,
Hannes Köcher, Florian Prix
„Im waldumschlossenen Tal geht es erst südwärts, dann
in mächtigen Serpentinen nordwärts dahin, um entlang
des Puchenstubener Berges die freie Höhe zu erreichen.
Tief unten grüßt, wie aus einem Baukasten hingestellt,
Laubenbachmühle herauf“ – so anschaulich beschreibt
ein Reiseführer der ÖBB aus den 1950ern die Fahrt von
Laubenbachmühle nach Puchenstuben. In der Toninstallation fahren Sie diese Strecke mit den Ohren ab. Die eindrückliche Sicht auf die alpine Landschaft genießt aber nur,
wer selbst in die Mariazellerbahn steigt!