19.09.2015 Repetition letzter Stunde: Vertragsschluss Vorlesung Obligationenrecht Besonderer Teil Rechtsanwalt Prof. Dr. Arnold F. Rusch LL.M. Universität Zürich, Kauf und Tausch II, 21. September 2015 Repetition letzter Stunde: Vertragsschluss Art. 7 Abs. 3 OR qualifiziert die Auslage von Ware mit Preisanschrift als Antrag. Diesen Antrag nimmt man an, indem man die Ware an der Kasse vorweist (Akzept als empfangsbedürftige Willenserklärung). Das tut Linda zwar auch, nur ist dann die Ware schon gegessen. Dadurch verwandelt sie das Geschäft einseitig von einem Geschäft Zug um Zug in ein postnumerando-Geschäft (nachträgliche Bezahlung). Sie beraubt dadurch das Einkaufscenter faktisch der Möglichkeit, vom Vertrag gemäss Art. 214 OR zurückzutreten und so die Ware zurückzuhalten – Folgen würden sich zeigen, wenn Linda kein Geld hätte, um die Ware zu bezahlen. Linda nimmt im Supermarkt einen Schokoriegel vom Regal, an dem ein Schild mit «CHF 1» angebracht ist. Sie geht zur Kasse, legt die Ware auf das Förderband und streckt der Kassiererin eine Einfrankenmünze hin. Diese nimmt das Geld und bedankt sich. Qualifizieren Sie den Vorgang. Variante: Linda verzehrt den Schokoriegel auf dem Weg zur Kasse und legt die Alufolie auf das Förderband. Welches Problem stellt sich? im Gestell essen t in der Hand auf Förderband Art. 216 OR 1 Kaufverträge, die ein Grundstück zum Gegenstande haben, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung. 2 Vorverträge sowie Verträge, die ein Vorkaufs-, Kaufs- oder Rückkaufsrecht an einem Grundstück begründen, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung. 3 Vorkaufsverträge, die den Kaufpreis nicht zum Voraus bestimmen, sind in schriftlicher Form gültig. 1 19.09.2015 BGE 113 II 402 ff., 404: «Nach der Form Weshalb bedarf das unlimitierte Vorkaufsrecht nur der einfachen Schriftlichkeit? Was bedarf alles der öffentlichen Beurkundung? • • • • Grundsatz: essentialia negotii, aber: Architektenklausel? Darlehen? Kauf eines Grundstücks mit anschliessendem Bau eines Hauses? BGE 113 II 402 ff., 404 f.: «…die ihrer Natur nach unmittelbar den Inhalt des Grundstückkaufvertrages betreffen (…). Dies ist auch die Meinung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (…). Der Formzwang erstreckt sich bloss auf Abmachungen im Rahmen des Kaufvertrages, nicht auf sonstige Übereinkünfte, auch wenn für die Parteien der Bestand der einen Abrede conditio sine qua non für die Zustimmung zur zweiten darstellt (…). Objektive Nebenabreden fallen mithin nur dann zufolge subjektiver Wesentlichkeit unter den Formzwang, wenn sie ihrer Natur nach vom …» Rechtsprechung des Bundesgerichtes und der herrschenden Lehre fallen dabei sowohl die objektiv als auch die subjektiv wesentlichen Vertragspunkte unter die Formvorschrift des Grundstückkaufvertrages (…). Allerdings folgt daraus nicht, dass der Formzwang sich auf sämtliche Punkte erstreckt, die für den Abschluss des in Frage stehenden Vertrages wesentlich sind (…). Denn wie die jüngere Lehre richtig differenziert, sind mit den wesentlichen Vertragspunkten, die der Form bedürfen, nur solche Abmachungen gemeint, … BGE 113 II 402 ff., 404 f.: «…Rahmen eines Kaufvertrages erfasst werden. Dabei müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Einerseits muss die eingegangene Verpflichtung ihren Rechtsgrund in einem Anspruch haben, der nicht ausserhalb des natürlichen Inhalts der Vereinbarung steht, indem das Versprochene die Gegenleistung für den Preis oder für die Überlassung des Eigentums darstellt. Anderseits muss die Verpflichtung in den Rahmen eines Kaufvertrages fallen, die rechtliche Situation der Kaufsache beeinflussen und unmittelbar den Geschäftsinhalt betreffen.» 2 19.09.2015 Unmöglichkeit und Gefahr Kurt besichtigt bei Viktor den Diamanten «Millenium Star» im Ausstellungssaal. Sie gehen danach ins Büro, um die Details zu besprechen – sie einigen sich um 16 Uhr auf den adäquaten Preis von Fr. 200’000. Viktor kann den Diamanten nachher aber nicht übergeben, weil der Dieb Daniel diesen gestohlen und auf dem Edelsteinmarkt dem nichtsahnenden Josef verkauft hat. Wie ist die Rechtslage, wenn die Überwachungskamera zeigt, dass der Diamant nach 16.00 Uhr gestohlen worden ist und wie, wenn sich der Diebstahl bereits um 15.55 Uhr ereignet hat? Ändert sich etwas, wenn sich zeigt, dass der Ausstellungssaal von der Strasse her frei zugänglich war und der Diamant im Raum offen herumlag? Problematik des OR 185 I – BGE 128 III 370 ff., 374: «L'art. 185 al. 1 CO consacre une règle prévue à l'origine pour les ventes sur les marchés; les exceptions aménagées avaient pour objets les cas où la séparation temporelle entre l'acte obligationnel et l'acte de disposition intervenait non pas dans l'intérêt de l'acheteur, mais seulement ou de manière prépondérante dans celui du vendeur. Les exceptions reconnues jusqu'ici semblent se situer toutes sur cette ligne. Hormis les hypothèses expressément réglées aux al. 2 et 3 de l'art. 185 CO ainsi que les stipulations particulières mentionnées à l'al. 1, ce sont la vente à double, l'obligation alternative avec droit d'option au vendeur (art. 72 CO), la vente d'une chose non en possession du vendeur, ou les contrats mixtes, en particulier la vente d'une automobile comprenant la reprise d'une voiture usagée (...). Dans toutes ces hypothèses (…) l'acheteur se trouve empêché pour des circonstances imputables au vendeur de disposer de la chose vendue avant la livraison ou ne peut veiller à la sécurité de sa nouvelle acquisition de manière adéquate (…).» Unmöglichkeit und Gefahr Albert, Beat und Carl möchten gerne eine Aktiengesellschaft gründen, mit der sie ihre Tätigkeit als Bodenleger betreiben können. Sie haben aber kein Geld. Daniel erklärt sich im Juli 1993 bereit, das Aktienkapital der Bodenleger-AG zu liberieren. Im August einigen sich die vier Parteien, dass Albert, Beat und Carl je 29 Aktien von Daniel abkaufen, und zwar je eine Aktie pro Monat für Fr. 1’000. Die Bodenleger AG fällt 1994 in Konkurs. Daniel klagt nach Abschluss des Konkurses gegen Albert, Beat und Carl auf Zahlung von je Fr. 29’000 (vgl. BGE 128 III 370 ff.). Unmöglichkeit – Gefahrtragung: Besondere Verhältnisse und Verabredungen gemäss OR 185 I • Verkauf von Sachen, die erst von einem Dritten beschafft werden müssen (Stückkauf) • Doppelverkauf (Stückkauf) • Wahlobligation (Stückkauf; siehe nachfolgend) • Kauf mit Inzahlungnahme • Explizite Vereinbarung der Gefahrtragung • Vereinbarung eines Erfüllungsorts • Verabredung eines Versendungs- oder Distanzkaufs • Vereinbarung von Incoterms 3 19.09.2015 Übergang der Preisgefahr beim Stückkauf Übergang der Preisgefahr beim Gattungskauf Grundsatz: mit Vertragsschluss Ausnahme Vorliegen besonderer Verhältnisse Abreden Schickschuld: mit Übergabe zur Versendung Keine Schickschuld Explizite Modifikation Implizite Modifikation Bringschuld Schickschuld Bringschuld: mit Zurverfügungsstellen der Ware am Erfüllungsort und Kenntnis des Erwerbers davon Holschuld: mit Ausscheiden der Ware Tabelle gemäss Huguenin, N 2482 Unmöglichkeit – Gefahrtragung: Käufer Kurt bestellt für seine Käserei bei Verkäufer Viktor 1‘000 l Milch. Die Erfüllung soll bei Kurts Käserei im Käsekessel am kommenden Montag um 8.00 Uhr erfolgen. Als Viktor mit dem Milchtankwagen mit total 1’000 l Milch unterwegs zu Kurt ist, zerstört ein Steinschlag von einem Bergsturz auf der Strasse den Tank und die Milch läuft aus. Viktor benachrichtigt Kurt, dass seine bestellte Ladung von 1’000 l Milch untergegangen sei. Kurt beharrt auf der Lieferung. Muss Viktor liefern? Muss Viktor liefern, wenn sie eine Versendungsschuld abgemacht haben? Tabelle gemäss Huguenin, N 2482 Unmöglichkeit – Gefahrtragung: Käufer Kurt bestellt für seine Käserei bei Verkäufer Viktor 1‘000 l Milch. Die Milch soll zu Kurts Käserei verschickt werden und dort am Montag um 8.00 Uhr eintreffen. Als Viktor mit dem Milchtankwagen rechtzeitig bei Kurts Käserei eintrifft, ist niemand da und alle Türen sind verschlossen, weil Kurt diese Lieferung vergessen hat. Viktor fährt mit dem auch für andere Lieferungen gefüllten Milchtankwagen (5‘000 l) wieder davon. Auf dem Rückweg zerstört ein Steinschlag von einem Bergsturz auf der Strasse den Tank und die Milch läuft aus. Muss Kurt die Milch bezahlen? 4 19.09.2015 Kurt und Viktor machen ab, geschuldet sei der rote oder der blaue Renault Clio. Wie muss Viktor erfüllen, wenn das rote Modell nach dem Gespräch verbrennt? Wahlobligation (OR 72): «duae res in obligatione, una in solutione» Wer kann wählen, wer hat das Ereignis verschuldet? Unmöglichkeit einer Leistung bewirkt grundsätzlich Konzentration auf die noch mögliche Leistung, es sei denn, die nicht wahlberechtigte Person treffe am Untergang der Sache ein Verschulden. § 265 BGB. Unmöglichkeit bei Wahlschuld. Ist eine der Leistungen von Anfang an unmöglich oder wird sie später unmöglich, so beschränkt sich das Schuldverhältnis auf die übrigen Leistungen. Die Beschränkung tritt nicht ein, wenn die Leistung infolge eines Umstands unmöglich wird, den der nicht wahlberechtigte Teil zu vertreten hat. Zufall Schuldnerwahlschuld Gläubigerwahlschuld Käuferverzug Vom Schuldner zu vertr. Unmöglichkeit Schuldnerwahlschuld Gläubigerwahlschuld Vom Gläubiger zu vertr. Unmöglichkeit Schuldnerwahlschuld • OR 214 I/II: Verzug des Käufers ermöglicht sofortigen Rücktritt beim praenumerando-Kauf und Kauf Zug um Zug Worin liegt die Abweichung zum OR AT? «ohne Weiteres»: keine Nachfrist notwendig! • OR 214 III: Kein Rücktritt beim Kreditkauf (Ausnahme: ausdrücklicher Vorbehalt). Gilt dies auch beim faktischen Kreditkauf? H.L. verneint dies und wendet OR 214 III nur beim abgemachten Kreditkauf an. • Spezielle Schadenersatzoptionen: OR 215 Gläubigerwahlschuld 5 19.09.2015 Käuferverzug Verkäuferverzug Kurt kauft von Viktor 100 Forellen zum Preis von Fr. 700, lieferbar am 20. September. Bei der Lieferung bezahlt Kurt nicht. • OR 190 für den kaufmännischen Verkehr • Kauf zum erkennbaren Weiterverkauf, aber auch zur Weiterverarbeitung oder zur gewerblichen Nutzung • Rechtsprechung und Lehre reduzieren den OR 190 auf Fälle des relativen Fixgeschäfts. • Schadenersatz gemäss OR 191 • Welche Rechte hat Viktor? • Wie muss er vorgehen, wenn er die Forellen am 19. September für Fr. 800 hätte verkaufen können, darauf aber wegen des Vertrags mit Kurt verzichtet hat? • Wie muss er vorgehen, wenn er die Forellen am 21. September nur für Fr. 600 verkaufen konnte? Schuldnerverzug Die Viktor AG verkauft am 20. August 2015 der Kurt AG einen Hubstapler zum Gebrauch im Warenlager zum Preis von Fr. 100’000, lieferbar am 31. August 2015, zahlbar innert 30 Tagen ab Lieferung. Sie vereinbaren einen Eigentumsvorbehalt im Sinne von Art. 715 ZGB, lassen diesen aber nicht im Eigentumsvorbehaltsregister eintragen. Am 31. August ist weit und breit kein Hubstapler in Sicht. Wie kann die Kurt AG vorgehen? Wie kann die Viktor AG vorgehen, wenn sie den Hubstapler liefert, die Kurt AG aber die Rechnung nicht wie vereinbart innert 30 Tagen nach Lieferung bezahlt? 6
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