Pressemitteilung - Universität Tübingen

Hochschulkommunikation
Pressemitteilung
Auszeichnung „Rede des Jahres 2015“ an Rainald
Goetz und Jürgen Kaube
Tübinger Rhetoriker ehren Schriftsteller und FAZ-Herausgeber für
Reden zur Büchner-Preis-Verleihung
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leiter
Antje Karbe
Pressereferentin
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+49 7071 29-76789
Telefax +49 7071 29-5566
karl.rijkhoek[at]uni-tuebingen.de
antje.karbe[at]uni-tuebingen.de
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Tübingen, den 15.12.2015
Das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen hat die
Büchner-Preis-Rede von Rainald Goetz sowie die zugehörige Laudatio
von Jürgen Kaube zur „Rede des Jahres 2015“ gewählt. Das Institut
zeichnet damit zwei sprachlich brillante Redebeiträge aus, die die Tradition der Festrede kunstvoll hintertreiben und ihr gerade damit neues Leben einhauchen und ihr zu neuer Wirksamkeit verhelfen. Beide Reden
bilden eine komplexe Einheit: die eine Rede umspielt die andere auf
feinsinnige und differenzierte Art und Weise, weshalb zum ersten Mal in
der Geschichte der „Rede des Jahres“ ein Reden-Doppel ausgezeichnet
wird.
Das Jahr 2015 war dominiert durch Trauerreden- und Krisenrhetorik:
Terror in Paris, der Absturz der Germanwings-Maschine und die Griechenland-Krise dominierten das politische Geschehen und die gesellschaftliche Diskussion in Deutschland. Rainald Goetz setzt solchen Krisen-Reden ein Lob der Jugend entgegen sowie die Forderung nach beständiger Revolution und kritischer Wachheit.
Goetz denkt intellektuell scharfsichtig darüber nach, wie Literatur heute
aussehen sollte, welche Rolle ein Schriftsteller in der Gesellschaft einnehmen kann und welche Funktion eigentlich Kulturpreise haben. Seine
Ausführungen faszinieren von Beginn an durch eine verknappte, antithetische Sprache der Übersteigerung und ihre gedankliche Originalität.
Schnell wird klar, dass es dem Redner nicht nur um den Kulturbetrieb
geht, sein Thema ist vielmehr die „gigantische Kaputtheit“, die „entsteht
„aus lauter kleinen schlechten Erfahrungen, die man dauernd mit sich
selbst und anderen macht“. Die Rede oszilliert damit um die große
Menschheitsfrage: „Wie sollen wir leben?“, auf die Goetz am Ende seiner
Rede, die von den Medien mit großer Aufmerksamkeit bedacht wurde,
überraschender- und originellerweise mit einem Song der Wiener IndieBand Wanda antwortet: „Wenn jemand fragt, wofür du stehst sag: Für
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AMORE, Amore“. Ein überzeugender Appell an die Jugend und das Leben in Zeiten von Krisen und
Terror und eine Rede, wie man sie seit Thomas Bernhards legendärer Preisrede aus dem Jahr
1970 in Darmstadt nicht mehr gehört hat.
Dabei war die diesjährige Verleihung des Büchner-Preises schon mit der Laudatio von FAZHerausgeber Jürgen Kaube zu einem rhetorischen Event geworden. Mit spielerischer Freude und
hellwachem Verstand arbeitete der sich an Rainald Goetz ab. „Lob ist schlecht“, das Zitat von Goetz
bildet den überraschenden Auftakt der Laudatio, die die Unmöglichkeit des Lobs reflektiert, denn
Goetz habe doch klar erkannt: „Lob erniedrigt die Welt des Gelobten, wie auch den Lobenden“, weil
an die Stelle von Analyse und Argument bloße Zustimmung trete. Trotzdem gelingt Kaube ein Lob,
das kraftvoll ist, ohne den Lobenden oder den Gelobten in diesem Sinne zu düpieren, indem er über
die Gattung Festrede nachdenkt und zeigt, welch hohe Bedeutung Rede und Gegenrede in der Welt
von Rainald Goetz haben. Kaube gelingt eine kritische Reflexion über die Wirkungsmechanismen
von Rede und das kritische Potential der Rhetorik von großer intellektueller Schärfe und sprachlicher Finesse. Fast nebenbei macht er sich für eine Literatur jenseits der Fiktion stark, erklärt den
„Unwillen zur Fiktion“ bei Goetz durch die Rückbindung der Literatur an das Leben. Zwar heißt es
bei Goetz: „Lob ist schlimmer als Lüge“, aber für ein Lob, das so reflektiert und so vielstimmig, so
sprachkritisch und so sprachmächtig ist wie das aus dem Munde von Jürgen Kaube, gilt dieser Vorbehalt sicher nicht.
Beide Reden bilden letztlich eine Einheit, sie spielen sprachlich in einer Klasse, sind rhetorisch hoch
reflektiert, differenziert und aktualisieren die Gattung Festrede. Goetz und Kaube stehen für eine
zeitgemäße Rhetorik und sind faszinierend, motivierend und provozierend in einer Weise, wie es
nur wenigen Rednern und Reden gelingt.
Die Auszeichnung "Rede des Jahres" wird seit 1998 vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen vergeben und ging seitdem unter anderem an Marcel Reich-Ranicki, Joschka
Fischer und Papst Benedikt. Mit diesem Preis würdigt das Seminar für Allgemeine Rhetorik jährlich
eine Rede, die die politische, soziale oder kulturelle Diskussion entscheidend beeinflusst hat. Neben
das Kriterium der Wirkungsmacht treten bei der Auswahl weitere Bewertungsmaßstäbe wie argumentative Leistung und stilistische Qualität der Rede. Ziel ist es, das gesamte rhetorische Kalkül
des Redners zu betrachten und zu bewerten.
Jury: Pia Engel, Dr. Gregor Kalivoda, Prof. Dr. Joachim Knape, Sebastian König, PD Dr. Olaf Kramer, Severina Laubinger, Frank Schuhmacher, Fabian Strauch, Viktorija Romascenko, Prof. Dr.
Dietmar Till, Peter Weit und Dr. Thomas Zinsmaier
Texte der Reden:
Jürgen Kaube: http://www.deutscheakademie.de/de/auszeichnungen/georg-buechner-preis/rainaldgoetz/laudatio
Rainald Goetz: http://www.deutscheakademie.de/de/auszeichnungen/georg-buechner-preis/rainaldgoetz/dankrede
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Tondokument:
http://www.ardmediathek.de/radio/Kulturfragen-Deutschlandfunk/B%C3%BCchner-Preis-2015Dankesrede-von-Rain/Deutschlandfunk/Audio-Podcast?documentId=31403908&bcastId=21676454
www.rhetorik.uni-tuebingen.de
Kontakt:
PD Dr. Olaf Kramer
Universität Tübingen
Seminar für Allgemeine Rhetorik
Tel.: +49 7071 29-74256
Mobil: +49 170 296 2327
[email protected]
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