Let`s talk about sex

"Let's talk about sex"
Sexualität in der zweiten Lebenshälfte besonders in Alten- und Pflegeeinrichtungen
Thesen, Gerüchte und Vorurteile!?
Sexualität nimmt mit 40 ab und endet zwischen 60 und 65.
„ Wenn du erst einmal alt bist, ist es sowieso aus mit dir.“ (Butler und Lewis, 1996, S. 14)
Fehlende Unterstützung im Bereich der Formulierung von Wünschen bezüglich Sexualität und Zärtlichkeit der
zu Pflegenden.
Interventionen können Schulungen des Personals und Beachtung der Privatsphäre sowie eine
Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern als Begleiter, Vermittler, Anwalt und Experte sein.
Die Sexualität einer Frau endet mit den Wechseljahren.
Objektive gesundheitliche Veränderungen haben keinen Einfluss auf das sexuelle Interesse einer Frau,
lediglich die subjektive Gesundheitseinschätzung hängt damit zusammen.
Die Häufigkeit der berichteten Orgasmen scheint mit zunehmendem Alter abzunehmen.
Die Orgasmusfähigkeit bleibt voll erhalten und auch die Möglichkeit zu multiplen Orgasmen bleibt bestehen.
Die eigene Einstellung gegenüber der Sexualität scheint eine Voraussetzung für ein funktionierendes
Sexuallebens zu sein.
Sexualität erhält je nach Lebenssituation unterschiedlichen Stellenwert für den Einzelnen und kann
befriedigend beziehungsweise unbefriedigend erlebt werden.
„Eine befriedigende Sexualität ist eine angenehme, lohnende und erfüllende Erfahrung, die das Alter
bereichern kann.“ (Butler und Lewis, 1996, S. 10)
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Sexualität in Alten- und Pflegeeinrichtungen
„Zwei Lebensperioden sind es, in denen Menschen von ihrer Umwelt besonders krass benachteiligt werden:
die Kindheit und das Alter – „Randgebiete“ eben“ (Ringel, 1994, zit. n. Frank, o.J., S. 153). Besonders in Bezug
auf Sexualität im Alter scheint die Benachteiligung durch die Umwelt groß zu sein, denn das Vorurteil, dass
die Sexualität mit 40 abnimmt und zwischen 60 und 65 vollständig versiegt, scheint sich hartnäckig zu halten
(Butler und Lewis, 1996, S. 12).
Alte Menschen gelten als verkniffen, schwatzhaft, langweilig und senil, sie haben veraltete
Moralvorstellungen, keine besonderen Fähigkeiten und weder einen gesellschaftlichen Nutzen noch einen
sozialen Wert. Frauen die im Alter ein offenes Interesse an sexuellen Aktivitäten zeigen wird unterstellt, sie
leiden unter psychischen Problemen, seien „nicht ganz richtig im Kopf“, lasterhaft, triebhaft oder würden
sich an den peinlichen Versuch klammern, ihre verlorene Jugend zu erhalten. Ältere Männer werden
teilweise Opfer sexueller Verdächtigungen, denn „[w]enn Sex im Spiel ist, werden [sie] plötzlich zu „alten
Lüstlingen“, „alten Knakkern“ oder „geilen Böcken“. Ältere Frauen werden als „alte Schachteln“, „Drosseln“
oder „Hexen“ bezeichnet. Zahllose Witze spielen auf die Häßlichkeit alter Frauen und die Impotenz alter
Männer an“ (ebenda). Geht es um die Sexualität im Alter, so wird diese häufig verniedlicht und „[w]ieviel
beruhigender wäre es doch, sich mit dem heimeligen Bild der Großmutter zufriedenzugeben, die geschäftig
in der Küche hantiert und Plätzchen für ihre Lieben backt, während Großvater pfeiferauchend im
Schaukelstuhl sitzt und über die guten alten Zeiten sinniert. Für solche Idealtypen gehört es sich nicht, ein
eigenes Sexualleben zu haben. Schließlich handelt es sich um unsere Eltern oder Großeltern, nicht um
„normale“ Erwachsene, welche die gleichen Bedürfnisse und sexuellen Wünsche haben wie wir“ (ebenda).
In der heutigen Gesellschaft wird, vor allem durch die Medien, ein Bild der ewig jungen, ästhetischen und
schönen Sexualität vermittelt, bei der die Alterssexualität völlig ausgeklammert und tabuisiert wird, durch
das propagieren der Sexualität als Wettkampf und reine Befriedigungstechnik. Abwertende Einstellungen
richten sich stark gegen ältere Frauen, deren Sexualität angeblich mit dem Klimakterium1 endet. Hingegen
scheinen ältere Männer teilweise akzeptierter zu sein, wenn sie „bis in hohe Alter sexuell aktiv [sind] und mit
ihrer anscheinend nie versiegenden Potenz […] prahlen“ (Frank, o.J., S. 154). Im Zuge des demographischen
Wandels muss grundsätzlich zwischen „frühem Alter“ (65 – 74) und „spätem Alter“ (75 +) unterschieden
werden. In der Realität wurde diese Unterscheidung aber noch nicht verinnerlicht und die allgemeine
Einstellung zum Alter konnte mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten, denn noch immer wird dieser
Lebensabschnitt mit Krankheit und Gebrechlichkeit verbunden. Die kulturbedingten Einstellungen und
herrschenden Maßstäbe für aktive Sexualität verwirren und verunsichern ältere Menschen was ihre eigene
Sexualität betrifft. Doch was sind Gründe für die Tabuisierung des Themas? Warum wird die Sexualität
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Synonym: Wechseljahre (DocCheck Flexikon, 2015)
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älterer Menschen in jüngeren Generationen nicht als gegeben angenommen?
Zum einen ist es die eigene Angst vor dem älter werden und dem Verschleiß. Zum anderen entscheidet die
Erziehung in der Kindheit und Jugend, wie Sexualität später gelebt und erlebt wird. Das Vorbild der Eltern
spielt dabei eine große Rolle, wenn diese das eigene Geschlecht bejahen, einen verantwortungsvollen
Umgang
mit
der
Geschlechtlichkeit
und
der
körperlichen
Entwicklung
hegen,
traditionelle
Rollenvorstellungen und Klischees vermeiden und eine geeignete Sprache verwenden. Wichtig ist auch die
Vermittlung, dass Sexualität zu den Grundbedürfnissen gehört und nicht für eine Altersgruppe vorbehalten
ist. Das Ablehnen der Alterssexualität oder das Gefühl des Unästhetischen ist meist ein Ausdruck nicht
bewältigter Kindheitstraumen, welche auftreten, wenn Kinder beim erleben des Körpers, ihrer Triebe und
Lust, eine elterliche Einschränkung durch Kontrolle oder Bestrafung erfahren. Aber auch die
gesellschaftlichen Normen und Werte schränken ältere Menschen ein, denn laut Rosenmayer (1990) muss
„jede Beurteilung des Status der Älteren und Alten, ihres gesellschaftlichen Ansehens und ihrer Macht […]
auf der Grundlage der jeweils beherrschenden Strukturen der Gesellschaft und der dominierenden Werte
einer Kultur erfolgen“ (zit. n. Frank, o.J., S. 154). Jeder ältere Mensch hat eine eigene Biographie, ein gelebtes
und bewegtes Leben und hat aufgrund seiner Erziehung oder aus sich selbst heraus nicht mehr die Kraft
gegen falsche Normen und Werte anzukämpfen und ordnet sich meist den heute gültigen Standards der
Gesellschaft unter. Doch dabei haben ältere Menschen mehr Erfahrung, Reife und Verantwortungsgefühl
ihrem Partner gegenüber, welches der jüngeren Generation oft fehlt (ebenda).
Epidemiologische2 Daten zeigen auf, dass entscheidend für die sexuellen Verhaltensweisen eines Menschen
seine sexueller Anpassungsprozess in jungen Jahren ist. Weiterhin wurde festgestellt, dass aufgrund der
höheren Lebenserwartung von Frauen und der damit verbundenen Partnerlosigkeit, eine überwiegend
monogame Gesellschaft für ältere Frauen besteht, in der es kaum Gelegenheiten gibt sich sexuell zu
betätigen. Außerdem herrscht ein sogenannter gesellschaftlicher „double standard“. Während für ältere
Männer eine jüngere Partnerin ein Zeichen seiner Vitalität ist, wird eine Frau mit einem jüngeren Mann meist
kritisch betrachtet. 1994 ließ die Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der
Universität Leipzig eine Umfrage durch den
unabhängigen
„Service
für
Umfragen,
Methoden und Analysen“ in Berlin (USUMA)
bei 3047 Bewohnern der Bundesrepublik
Deutschland im Alter vom 14 bis 92 Jahren
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Wissenschaft von der Entstehung, Verbreitung, Bekämpfung und den sozialen Folgen von Epidemien, zeittypischen
Massenerkrankungen und Zivilisationsschäden (Duden, 2013)
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durchführen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die sexuelle Aktivität zwar im Alter abnimmt (Abb. 1),
aber die Häufigkeit sexueller Aktivitäten bei Vorhandensein eines festen Partners sich kaum zwischen einem
18-jährigen (94%) und einem 60-jährigen (90,4%) unterscheiden (Abb. 2). Während über alle Altersgruppen
verteilt Männer (74,8%) sexuell aktiver sind als Frauen
(67,35%), sind die 18- bis 40-jährigen Frauen mit 89,2% die
sexuell aktivste Subgruppe. Hingegen sind Frauen über 60
Jahren sexuell am inaktivsten. Diese Ergebnisse hängen in
erster Linie mit der zuvor schon erwähnten längeren
Lebenserwartung zusammen, da Frauen im Alter häufig
keinen Partner mehr haben oder gleichaltrige Männer
meistens mit einer Partnerin zusammen sind (Abb. 3)
(Beberich, 2004, S. 1078). Bucher et al. untersuchten in einer
Studie in der deutschsprachigen Schweiz 3 Bereiche:
„sexuelles Interesse“, „sexuelle Aktivität“ und „sexuelle
Zufriedenheit“. Dabei wurden insgesamt 641 Männer und 857
Frauen im Alter zwischen 45 und 91 Jahren befragt. Die
Ergebnisse zeigen, dass insbesondere der Wunsch nach
Zärtlichkeit bei der Mehrheit der Befragten bis ins hohe Alter
erhalten bleibt, während der Wunsch nach Petting3 weniger
häufig auftritt. Der Wunsch nach Geschlechtsverkehr ist bei Männern bis 70 Jahren hoch (99,1%), ab 75+ liegt
er immer noch bei 61,2%. Der Anteil der Frauen ist etwas geringer (82,5%) und ab 75+ liegt er nur noch bei
46,7%. Sexuelle Gedanken, Phantasien und Träume berichten 97,3% der Männer und 73,3% der Frauen bis
75 Jahre. Insgesamt ergibt sich, das Männer und Frauen beide bis ins hohe Alter ein stark ausgeprägtes
sexuelles Interesse aufweisen und das nur sehr wenige ältere Männer (0,8 %) und Frauen (2,9%) überhaupt
kein sexuelles Interesse äußern. Bei der Frage nach der sexuellen Aktivität ergab sich eine große Kluft
zwischen erlebter und gewünschter Sexualität. Frauen waren dabei etwas zufriedener mit ihrem Sexualleben
als Männer, trotz der Abnahme von sexueller Aktivität mit zunehmendem Alter (Bucher et al., 2001, S. 3751). Die Ergebnisse beider Studien unterstreichen, dass Sexualität der Befriedigung eines psychosozialen
Grundbedürfnisses nach Nähe, Wärme, Geborgenheit, Sicherheit und Angenommensein dient und das ganze
Leben über vorhanden ist (Berberich, 2004, S. 1079). Generell gilt, dass für ältere Menschen die ihre
sexuellen Beziehungen aufrechterhalten können, dies eine wichtige Quelle der Verstärkung ihres physischen
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gegenseitige sexuelle Stimulierung (Duden, 2013)
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und psychischen Wohlbefindens ist und sexuelle Beziehungen oft aufgrund gesellschaftlicher oder eigener
Vorurteile beendet werden. Doch die Frage danach, welche individuellen, partnerschaftlichen und sozialen
Bedingungen sind notwendig, damit Sexualität als eine Ressource für Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden
und nicht als Belastung erlebt werden kann, ist von zentraler Bedeutung. „[D]er menschliche Kontakt einer
Beziehung, die Stärkung des Selbstbewusstseins und dadurch das Fernhalten von Einsamkeit und Isolation
[sind] jene Faktoren, die alte Menschen jung halten und ein Leben in Würde ermöglichen. Ihre
Lebenserfahrung und Weisheit bietet die Chance einer sexuellen Begegnung, von der Jugendliche nur
träumen können“ (Frank, o.J., S. 155).
Sexualität in Alten- und Pflegeheimen
Laut statistischem Bundesamt waren 2013 rund 2,6 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig,
davon wurden 29% (764.000) in Pflegeheimen vollstationär betreut. Somit stieg die Zahl von 2011 zu 2013
unterdurchschnittlich um 2,9% (21.000) aber im Vergleich zu 1999 um 35,8% (202.000) an. Der Frauenanteil
lag dabei bei 73% und insgesamt waren die vollstationär im Heim betreuten Frauen und Männer älter als die
zu Hause Gepflegten, die Hälfte (50%) war 85 Jahre und älter (Statistisches Bundesamt, 2013, S. 7-8).
Die Zahlen verdeutlichen die Zunahme von Pflegebedürftigen in vollstationären Heimen und somit auch die
Dringlichkeit sich mit dem Thema Sexualität in diesem Setting zu beschäftigen, denn „[w]enn Menschen im
hohen Alter noch sexuelle Interessen haben und sexuell aktiv sind, dann haben auch die Bewohner von
Alten- und Pflegeheimen diese Bedürfnisse“ (Sdun, 2001, S.39). Doch das Wohnen in Heimen erschwert die
Befriedigung dieser Bedürfnisse, da die Bewohner sich an architektonische und organisatorische
Bedingungen anpassen müssen. Das Leben ist meist durch eine hierarchische Organisationsstruktur geprägt
(ebenda, S. 43) und häufig wird das Recht auf Privatsphäre und ein selbstbestimmtes soziales und sexuelles
Leben verwehrt (Butler und Lewis, 1996, S. 161).
Besuche müssen teilweise im Blickfeld von Mitpatienten und Personal stattfinden, sodass Gespräche
mitgehört werden können. Verheiratete haben selten die Gelegenheit allein und ungestört zu sein und
Unverheiratete werden meist mit Missbilligung bedacht, obwohl es sich um erwachsene Menschen handelt.
Kommt es mangels eines Partners zur Selbstbefriedigung werden Bewohner oft wie Kinder behandelt und
„getadelt“. Unter solchen Bedingungen trauen sich viele Bewohner nicht, sich zu beschweren, obwohl ihre
Rechte als mündige Erwachsene beschnitten werden (ebenda). „Altersheime erlauben keine Intimsphäre und
sie finden auch keine Möglichkeit, ihre sexuellen Bedürfnisse auszuleben“ (Sdun, 2001, S. 45). Auch beim
Personal kann es zu Problemen kommen, vor allem wenn es zu verbalen sexuellen Übergriffen kommt, die
zum Teil auf heftigste und vulgärste Art und Weise stattfinden können. Ebenso kann es zur Aufforderung zum
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Beischlaf oder dem sogenannten „Begrapschen“ kommen (Frank, o.J., S. 155). Altenpfleger kommen auch in
sehr intimen körperlichen Kontakt mit den Bewohnern: „Dieser Kontakt kann im alten Menschen sexuelle
Gefühle und Reaktionen hervorrufen, die in Wirklichkeit gar nicht der Person des Altenpflegers gelten,
sondern Personen aus der Vergangenheit des alten Menschen, die durch den Altenpfleger nur repräsentiert
werden“ (Eisenbach, 1978, zit. n. Sdun, 2001, S.47).
Vier Aspekte sind daher sowohl für die Betreuer, als auch die Pflegebedürftigen von Bedeutung: Als erstes
neu entstehende Partnerschaften in Alten- und Pflegeheimen. Diese werden oft kaum zur Kenntnis
genommen oder belächelt. Außerdem ist es in diesem Umfeld schwer Bedürfnisse offen zu artikulieren
beziehungsweise sie zu leben. Ein weiterer Aspekt ist das „Erwischen“ der Heimbewohner bei sexuellen
Handlungen. Sowohl für Bewohner als auch Mitarbeitern ist dies mit Scham und Unsicherheit besetzt. Solche
Situationen resultieren meist aus mangelnder Einhaltung der Privatsphäre. Der dritte Aspekt ist die Situation
der Pflegehandlung und Intimpflege. Dabei kann es zur unbeabsichtigten sexuellen Erregung der Bewohner
während der Pflegehandlung kommen, was den Bewohner in eine unsichere und ungeschützte Situation
bringt. Meist wissen Bewohner und Pflegekraft nicht angemessen damit umzugehen, denn es ist eine sehr
intime Situation, die von den Pflegekräften ein hohes Maß an Sensibilität erfordert. Der letzte Aspekt ist die
Situation der sexuellen Enthemmung. Ein geeigneter Umgang mit der betreffenden Person ist in der Situation
schwierig und tritt besonders bei Demenz erkrankten Personen nicht selten auf. Manche Bewohner können
ihren Sehnsüchten kaum Ausdruck verleihen oder nur auf eine unangemessene beziehungsweise verletzende
Art. Mitarbeiter können sich dann gegenüber sexuellen Handgreiflichkeiten kaum schützen, ergreifen häufig
die Flucht vor solchen Situationen oder greifen zu vermeidenden Maßnahmen. Für Angehörige ist das
Verhalten ihrer Verwandten mit Scham verbunden, Mitarbeiter empfinden weniger Scham, denn Entsetzen,
Unsicherheit oder Ekel (Re, 2001, S. 26-28).
Mögliche Lösungsansätze für betroffene Patienten sind zum einen die Verwaltung der Einrichtung
aufzufordern ein Maß an Privatsphäre zu gewährleisten oder andererseits mit Angehörigen, Freunden,
Ärzten, Anwälten sowie anderen Betroffenen zu sprechen und um Unterstützung zu bitten (Butler & Lewis,
1996, S. 161). Lösungsansätze für die Mitarbeiter sind zum einen die Sensibilisierung durch
Fortbildungsmaßnahmen, direktes und klares Ansprechen der Situation beziehungsweise der Belästigung
durch die Pflegeperson, sich trauen NEIN zu sagen und eine klare Grenzziehung. Weiterhin sollte sich das
Personal innerhalb der Betreuungsteams vernetzen, Rat bei einer Vertrauensperson einholen, den Besuch
des Klienten mit einer Leitungsperson durchführen, einen Wechsel der Bezugsperson oder das Einstellen der
Betreuung (nach Ausschöpfung aller möglichen Lösungsansätze). Extra betont werden muss, dass ein
empathischer und wertschätzender Umgang mit den betroffenen Klienten gepflegt werden muss, aber kein
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Missbrauch der Pflegeperson als Lustobjekt stattfinden soll. Jack Annon entwickelte 1976 das PLISSIT –
Modell speziell für sexuelle Fragestellungen in der Betreuungsfunktion, mit dem Ziel, das Thema in
professioneller Weise aufzugreifen, anzusprechen und gleichzeitig Grenzen zu setzen um Überreaktionen zu
vermeiden. Die Interventionen erfolgen in Form eines vierstufigen Vorgehens, welches aus Permission
(Erlauben/ Duldung), Limited Information (Angemessene/ Begrenzte Information), Specific Suggestions
(Gezielte Vorschläge/ Spezifische Empfehlungen) und Intensive Therapy (Intensive Therapie) besteht (Frank,
o.J, S. 156). Die erste Intervention ist die Erlaubnis/ Duldung, sie beschreibt das Aufgreifen und Annehmen
des Problems und fördert eine Einstellung, die dem Klienten ermöglicht mit seiner Geschlechtlichkeit
entkrampft umzugehen und seine Bedürfnisse zu befriedigen. Der Bewusstseinsbildungsprozess beruht auf
dieser Einstellung und Werthaltung und muss nicht verbal formuliert werden, sondern drückt sich im
Umgang mit den Klienten aus (Wahrung der Intimsphäre, Anklopfen vor dem Betreten des Zimmers,
Aufforderung zum Eintreten abwarten,…) Auch ist es möglich, dass betreuende Personen dem Klienten direkt
zu verstehen geben, dass sie bereit sind, über sexuelle Belange zu sprechen (offene Frage,
Unterstützungsangebot), denn Studien belegen, dass Klienten auf solche Aufforderungen warten und das
Thema nicht von sich an sprechen.
Die zweite Form der Intervention ist die Bereitstellung angemessener/ begrenzter Informationen, welche
dem Klienten ermöglichen seine Körperfunktionen besser zu verstehen. Sie führen zu einer realistischen
Erwartungshaltung und zum Abbau von Ängsten. Eigentlich sollten Informationen über anatomische,
physiologische oder psychologische Aspekte eines Problems zur „Grundausstattung“ einer Betreuungsperson
gehören (Info über Wiederaufnahme von sexuellem Kontakt nach einer gewissen Therapie, Nebenwirkungen
z.B. Libido betreffend,…), damit können Fehlvorstellungen und Wissensdefizite erkannt und abgebaut
werden.
Eine weitere Interventionsmaßnahme ist das gezielte aussprechen von Vorschlägen/ spezifischen
Empfehlungen. Die betreuende Person gibt direkte und klare Informationen, um sexuelle Probleme einer
Lösung zuzuführen (z.B. Dyspareunie = Schmerzen der Frau beim Koitus – Verwendung von Gels; Kolostomie4
– Irrigation vor dem Geschlechtsakt,…). Diese Empfehlungen können auch Tipps und Ratschläge für das
Verhalten gegenüber dem Partner beinhalten (z.B. auf weniger anstrengende bzw. Schmerz verursachende
Stellungen hinweisen). Die letzte Form der Intervention ist dann die intensive Therapie. Bei schweren
sexuellen Störungen (Traumata, soziale Ängste, Konflikte etc.) ist eine gezielte therapeutische Intervention
nötig. Die Aufgabe der Betreuungsperson ist es, die Lage richtig einzuschätzen, eigene Grenzen zu erkennen
und professionelle Hilfe in Form von Kontaktadressen von Experten (Sexualtherapie, Psychotherapie)
4
chirurgische Anlage eines künstlichen Darmausgangs (DocCheck Flexikon, 2015)
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anzubieten (ebenda, S. 157). „Sexualität ist ein Lebensausdruck. Sie ist, wie alle anderen Lebensformen auch,
individuell geprägt und will individuell, der jeweiligen Altersstufe und dem wechselnden Bedürfnis
entsprechend, gelebt und verwirklicht werden. Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, ob jung oder alt,
Betreuer(in) oder Pflegeabhängige, muss über seine/ihre Sexualität selbst bestimmen können und die
Möglichkeit haben, so zu leben, wie es für ihn/ sie richtig und angemessen ist“ (Juchli, 1994, zit.n. Frank, o.J.
S. 157). Anwendung findet das PLISSIT – Modell vor allem in der Verhaltenstherapie für Paare mit schweren
Erkrankungen aber auch in der Alterspsychotherapie und klinischen Gerontopsychologie5.
In einem Forum auf seniorbook.de schrieb ein Nutzer 2014: „Aus meiner Erfahrung im Pflegeheim, ich
arbeite in einem, ist das Verlangen bei den Bewohnern oft sehr stark. Hilflos dagegen ist oft die
Einrichtungsleitung dem gegenüber. Das geht so weit das die Angehörigen (Kinder) um Genehmigung gefragt
werden. Ich habe darauf die Leitung gefragt ob sie auch die Genehmigung ihrer Kinder einholen wenn sie mit
ihrem Partner Sex haben wollen. Die Antwort habe ich bis heute nicht erhalten. Nur nachdenklicher ist man
geworden.“ In der netdoktor community wurde 2011 geschrieben: „Mein mir in den vergangenen Jahren
sehr ans Herz gewachsener Angehörige hat mir immer wieder in einer für ihn desolaten Situation geschildert,
dass er gerne onanieren würde, aber das Pflegepersonal würde ihn damit sehr diskriminieren und auch
keinerlei Unterstützung zukommen lassen. Sein Samenausstoß war ohnehin nicht sehr üppig, aber das
Personal fand jedes Mal eine Schelte für ihn, wenn sich Spermaspuren nachwiesen ließen. Natürlich
berichtete er mir auch davon, dass er um Hilfsdienste bei den Pflegerinnen bat, weil er wirklich selbst nicht
mehr so freizügig sich an seinem Penis zu schaffen machen konnte. Dieses Vorhaben musste natürlich
scheitern und ich wurde sogar darüber informiert, dass man notfalls Antipillen ihm verabreichen könne,
damit seine Libido gesenkt werden kann. Ich ging zur Verwaltung und verbat jegliche Manipulation in diesem
Sinne und wurde sogar mit höhnischem Gelächter verabschiedet, indem man mir vorschlug, ihm doch selber
einen runterzuholen. Diese Aussage führte zu einem Beleidigungsprozess mit Entlassungen der betroffenen
Pflegekräfte!!!! Heute sind wir dazu übereingekommen, dass meinem Verwandten das Recht und die Freiheit
eingeräumt werden, sich selbst befriedigen zu können und die Voraussetzungen in seiner Sitzstellung wurden
auch besprochen und durch die Pflegekräfte vorbereitet. Es wurde ihm auch eine gewisse Zeitspanne für
seine Selbstbefriedigungs-Phase eingeräumt, die er recht und schlecht nutzen kann. Insgesamt aber ein sehr
nachdenklicher Vorgang, der sicherlich nur für sehr behinderte Menschen eine gravierende Rolle spielt, bei
denen auch zu allem Glück oder Unglück, die Sexualität noch funktioniert! Pflegeinsassen, die selbst noch
ungehindert Hand an sich anlegen können, sollten auf keinen Fall verzagen…es gibt ein unbedingtes Recht
auf persönliche Freiheit, die auch das einschließt!!!!!!!“.
5
Psychologie im Alter (psychologie-studieren, 2015)
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Der Braunschweiger Professor für Gerontopsychologie, Dr. Jürgen Howe, empfahl deshalb 2009 zum 22. Tag
der Altenpflege in Cloppenburg, dass Altenpflegeeinrichtungen ein Konzept erarbeiten sollten, wie in dem
jeweiligen Haus mit dem Thema „Sexualität der Bewohner“ umgegangen werden soll. „Dies könne ein
Qualitätsmerkmal für eine Einrichtung sein“. Ein mögliches Modell ist das bedürfnisorientierte Pflegemodell
von Monika Krohwinkel, welches im Altenpflegeheim St. Josef in Bad Lippspringe angewendet wird. „Das
Pflegekonzept berücksichtigt die Unterstützung des geschlechtsspezifischen Selbstwertgefühls. Die
Bedeutung der Sexualität wird wahrgenommen und akzeptiert, die persönlichen Wünsche nach Liebe, Nähe
und Zärtlichkeit werden ernst genommen. Einfühlungsvermögen und Sensibilität der Mitarbeiterinnen sind
die Grundvoraussetzungen im direkten Umgang mit den Bewohnerinnen“ (Altenpflegeheim St. Josef, 2010, S.
9).
Sexualität von Frauen
Die Sexualität bei Frauen verändert sich zunehmend mit dem Alter, doch grundsätzlich stehen Frauen nicht
unter demselben Leistungsdruck wie Männer. Die Erschlaffung der Vaginalmuskeln, die Veränderung der
Größe der Scheide sowie das Nachlassen der Scheidenflüssigkeit und der daraus eventuell resultierenden
Schmerzen beim Akt können Probleme sein, die Frauen im Alter beschäftigen. Der größte Druck aber ist die
sogenannte „ästhetische Engstirnigkeit“ (Butler und Lewis, 1996, S. 15), bei der Frauen Angst haben, weniger
attraktiv zu sein, hinsichtlich des eigenen Körperbildes, der Beurteilung durch einen Partner oder im
Vergleich mit jüngeren Frauen (Springer, o.J., S. 226). Eine große Veränderung für jede älter werdende Frau
sind die Wechseljahre und der Verlust der Fruchtbarkeit. Hormonelle und psychosoziale Faktoren können
sich auf die sexuelle Lust, sexuelle Funktionen und das sexuelle Erleben auswirken. Der Schwund von
Fettgewebe sorgt für ein Schrumpfen der Genitalorgane und die großen und kleinen Schamlippen können
schrumpfen, was dafür sorgt, dass die Klitoris weniger geschützt ist und eine direkte Stimulation als
schmerzhaft empfunden wird. Die Scheide schrumpft in Länge und Breite und verliert an Wandstärke und
Elastizität. Die Scheidenflüssigkeit nimmt ab und kann verzögert eintreten, was zu verminderter
Gleitfähigkeit, höherer Verletzlichkeit, eine Anfälligkeit für Infektionen und Schmerzen beim Genitalverkehr
führen kann. Die sexuelle Reaktion verändert sich, weshalb es länger dauern kann bis ein Orgasmus erreicht
wird und die Dauer und Intensität können abnehmen, weshalb eine stärkere Stimulation notwendig werden
kann. Auch die Abnahme der Erregung erfolgt schneller, doch grundsätzlich bleibt die Orgasmusfähigkeit voll
erhalten und auch die Möglichkeit zu multiplen Orgasmen bleibt bestehen. Insgesamt differieren die
Veränderungen im Ausmaß von Frau zu Frau. Psychologische Probleme, wie die oben bereits erwähnte
„ästhetische Engstirnigkeit“ können zu einer Selbstwertproblematik führen. Weiterhin erinnern die
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Veränderungen die Frauen, dass sie älter werden und zusätzlich können entwicklungsbedingte Probleme
auftreten, wie das Ablösen der erwachsenen Kinder vom Elternhaus, körperliche Erkrankungen oder
Erkrankungen und sexuelle Störungen des Partners sowie dessen Interessensverlust können ebenfalls
hinzukommen. Grundsätzlich sind die häufigsten sexuellen Störungen in der Menopause der Verlust der Lust,
die erschwerte sexuelle Erregbarkeit, die fehlende Scheidenflüssigkeit sowie Schmerzen beim
Geschlechtsverkehr (ebenda).
Meist hängen die sexuellen Störungen aber viel stärker von psychosozialen als von hormonellen Faktoren ab.
Die Intensität des sexuellen Verlangens korreliert kaum mit der Stärke der menopausalen Beschwerde,
jedoch deutlich mit der Selbsteinschätzung der Frau, wie gut sie diese Lebensphase bewältigt. Organischen
Veränderungen
des
weiblichen
Genitales
und
die
mit
den
Wechseljahren
einhergehenden
Körperbildveränderungen wie Gewichtszunahme oder vermehrte Fetteinlagerungen an Hüften und Gesäß,
welche nicht den gängigen westlichen
Schönheitsidealen entsprechen, können zu einem subjektiv
empfundenem Attraktivitätsverlust führen und sich deshalb negativ auf das Sexualleben auswirken. Sexuelle
Probleme wie Mangel an Zärtlichkeit, Mangel an sexuellem Kontakt, sexuelle Kommunikationsprobleme, z.B.
Routinesex, Schuldgefühle wegen sexuellen Phantasien, Wünschen oder Handlungen sowie Schmerzen beim
Geschlechtsverkehr (Abb. 4) werden von älteren Frauen bei Befragungen häufig genannt. „Die Hauptursache,
warum
ältere
Frauen
jeglichen
Geschlechtsverkehr
einstellen, sind die Erektionsstörungen ihres männlichen
Partners, wenn dieser wegen seiner Erektionsprobleme den
sexuellen Rückzug antritt und dazu neigt, alle Formen von
intimem körperlichem Kontakt zu vermeiden“ (Berberich,
2004,
S.
1079).
Sexualverhaltens
Möglichkeiten
zu
Hormonbehandlungen
verringern,
oder
das
um
Störungen
sind
zum
Unterhalten
des
einen
von
regelmäßigen sexuellen Beziehungen (ebenda).
In einem Forum bei Elite Partner von 2010 schrieb ein Gast: „Ich kann mich in jeder Hinsicht als sinnlich
bezeichnen, für mich ist Sex gerade in zunehmendem Alter immer wichtiger und schöner. Ich muss nicht
mehr verhüten, stehe voll zu meinem Körper und genieße diesen Körper auch. Sex ist mir sehr wichtig und
ein Mann müsste sich sicher nicht über meine mangelnde Libido beschweren.“ In einem anderen Forum von
2015 schrieb ein Gast: „Ich hatte keinerlei Interesse an Sex mit anderen Männern, dachte auch, ok, nach der
Menopause ist es bei mir eben vorbei. 3 Jahre nach der Scheidung hatte ich dann eine Beziehung mit einem
Mann, den ich in allen Facetten seiner Persönlichkeit liebte. Ich hatte mit Anfang 50 mit ihm den
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phantastischsten Sex meines Lebens. Und wenn er mal schwächelte, dann waren wir beide erfahren genug,
um trotzdem unseren Spaß zu haben.“ Weiterhin schrieb ein Gast im Forum auf [email protected]: „Sex ist eine
Bereicherung. Ich finde, es ist wichtig, auch im Alter noch Sex zu haben. Es ist ein schönes Gefühl, noch
geliebt zu werden und selbst zu lieben. Es ist eine Bereicherung im Alltag und in der Beziehung. weiblich, 71“
Sexualität von Männern
Männer werden häufig Opfer aufgrund eines übertriebenen Anspruches lebenslanger körperlicher
Höchstleistungen, denn Männlichkeit wird mit körperlicher Leistungsfähigkeit gleichgesetzt. Ältere Männer
beurteilen sich häufig selbst nach der Häufigkeit ihrer sexuellen Kontakte und ihrer Potenz, aber selten wird
Wert auf Erfahrung und Qualität des sexuellen Erlebnisses gelegt (Butler und Lewis, 1996, S. 15). „Obwohl
der Mann an weniger dramatischen Hormonumstellungen leidet als die Frau, sind seine sexuellen Funktionen
viel störanfälliger“ (Berberich, 2004, S. 1080). Ältere Männer brauchen mehr Zeit und auch mehr direkte
Stimulation durch die Partnerin, bis es zu einer Erektion kommt, da die Gliedsteife nach lässt. Auch
verlängert sich die sogenannte Plateauphase, das heißt die Zeit bis zum Samenerguss, was sich durchaus
positiv auf die sexuelle Kommunikation eines Paares auswirken kann, insbesondere wenn der Mann in
jüngeren Jahren eher zu einem frühen Orgasmus neigte. Insgesamt ist der Orgasmus beim älteren Mann oft
kürzer und weniger klar erkennbar, da sich die Refraktärzeit verlängert, das heißt die Zeit, bis es dem Mann
wieder möglich ist, eine Erektion zu bekommen (ebenda).
Die Spermatogenese bleibt (vermindert) bis ins hohe Alter erhalten und auch die allmähliche Abnahme des
verfügbaren Testosterons erfolgt sehr langsam. Die sexuelle Reaktion verändert sich jedoch altersbedingt
ähnlich wie bei der Frau, wobei eine höhere Anfälligkeit für funktionelle Störungen beim Mann besteht.
Verminderte Reaktionsgeschwindigkeit und Intensität des sexuellen Erlebens, Lust und Phantasietätigkeit
nehmen langsam im höheren Alter ab. Die Rigidität kann nachlassen und es besteht eine verringerte taktile
Sensibilität des erigierten Penis. Die Samenmenge ist reduziert und die Erschlaffung des Gliedes erfolgt
schneller. Auch die nächtlichen Erektionen werden mit zunehmendem Alter schwächer und seltener. Die
Qualität des sexuellen Empfindens ändert sich hin zu mehr sinnlichen, diffusen Empfindungen beim älteren
Mann (Springer, o.J., S. 227-228). Insbesondere die Erektionsstörungen nehmen im Alter erheblich zu.
Zwischen 40 und 70 Jahren leidet mehr als die Hälfte aller Männer (52%) zumindest an einer leichten
Erektionsstörung, 17% an einer minimalen, 25% an einer moderaten und 10% an einer kompletten Impotenz.
Zahlreiche körperliche Erkrankungen können Erektionsstörungen bewirken, zum Beispiel internistische
Erkrankungen, wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck sowie koronare Herzerkrankung, ferner neurologische
(M. Parkinson) oder hormonelle Erkrankungen (Hyperprolaktinämie). Zahlreiche Medikamente können eine
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"Let's talk about sex"
Sexualität in Alten- und Pflegeeinrichtungen
Erektionsstörung bewirken ,wie β-Blocker, α-Methyldopa, Thiazide, Metoclopramid, H2-Blocker,
Spironolactone, Antimykotika, Allopurinol, Antiepileptika (Phenytoin), Psychopharmaka (Phenothiazine,
Thioxantheme, Butyrophenone), Opioide, Sedativa, Hypnotika (Barbiturate, Diazepine), Antiandrogene,
Glykoside, Cholesterinsynthesehemmer (Statine), Finasteride und LHRH-Analoga (Berberich, 2004, S. 1080).
Psychologischen Faktoren zur Abnahme von sexuellen Aktivitäten, können physische und mentale Ermüdung,
Routine und Monotonie der sexuellen Beziehung, die Abnahme der physischen Attraktivität der Partnerin
oder des Partners, Sorgen über Karriere und Finanzen und besonders bei Männern Versagensängste sein.
Schwierigkeiten eine volle Erektion zu erreichen können als Vorzeichen von Impotenz interpretiert werden
und zu Versagensängsten führen, besonders wenn sich Gesundheitsprobleme und medikamentöse
Behandlung mit den natürlichen altersbedingten Veränderungen mischen (Springer, o.J., S. 227-228). Die
häufigste psychische Erkrankung, die eine Sexualstörung bewirkt, ist die Depression, zwischen 25 und 90% (je
nach Schweregrad) der Männer mit Depressionen haben auch Erektionsstörungen. Oft handelt es sich um
eine sogenannte lavierte Depression, die ihren somatoformen Ausdruck auch in Erektionsstörungen haben
kann. Beim Geschlechtsverkehr entwickeln sich häufig Versagensängste aus denen heraus ein Circulus
vitiosus entstehen kann, der schließlich zu einem sekundären Libidomangel und zur Vermeidung sexueller
Kontakte führt. Das krampfhafte Festhalten an jugendlichen sexuellen Leistungsvorstellungen, wie es auch
häufig von den Medien transportiert wird, wirkt sich dabei eher nachteilig aus. Es kommt darauf an, mit den
altersbedingten biologischen und psychosozialen Veränderungen konstruktiv umzugehen, dann gelingt eine
stabile Partnerschaft am besten (Berberich, 2004, S. 1080).
Sexualität von Homosexuellen
Die Sexualität für ältere Homosexuelle stellt eine besondere Problemlage dar, da derzeitige ältere Schwule
und Lesben in ihrer Jugend mehr Diskriminierung erfahren haben, als junge Homosexuelle in der heutigen
Zeit. Zwar führen diese Personen ebenso langjährigen Beziehungen, welche aber durch Tod oder Krankheit
des Partners eingeschränkt werden können und so ein Gefühl der Isolation eintritt, da es häufig an Freunden,
Verwandten oder anderen Personen mangelt. Auch können Krankenhäuser oder andere Institutionen die
Partnerschaft nicht anerkennen und so das Besuchsrecht oder die Auskunft zu medizinischen Fragen
verweigern. Deshalb werden solche Beziehungen häufig als Freundschaft, Wohngemeinschaft oder
verwandtschaftliche Verhältnisse getarnt (Butler und Lewis, 1996, S. 179). „Auch bei gleichgeschlechtlicher
Neigung kann eine befriedigende Sexualität im Alter erlebt werden und es zeigt sich, dass sich die
Lebensqualität älterer Homosexueller nicht von derjenigen der heterosexuellen Mehrheit unterscheiden
muss. Die Annahme der eigenen Sexualität und die Zufriedenheit hängt deutlich mit der Toleranz des
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Umfeldes und einem gelungenen Coming-out zusammen“ (Springer, o.J., S. 228). Die Definition der eigenen
Sexualität scheint heute weitgehend dem Einzelnen selbst überlassen zu sein und erlaubt ist, was gefällt,
weiterhin ist die mediale Öffentlichkeit bereit alle Tabus aufzubrechen (ebenda, S. 229).
Ein zunehmend wichtiges Thema, besonders in Alten- und Pflegeheimen, ist die Behandlung von HIVpositiven oder an AIDS erkrankten älteren Menschen. Weiterführende Informationen werden von der
Deutschen AIDS Hilfe bereitgestellt.
Verwendete Literatur

H. J. Berberich „Sexualität im Alter“ Siehe PDF „Sexualität im Alter_H.J.Berberich.pdf“

Hermann Berberich und Elmar Brähler (Hrsg.) „Sexualität und Partnerschaft in der zweiten Lebenshälfte“

Robert N. Butler und Myrna I. Lewis „Alte Liebe rostet nicht – Über den Umgang mit Sexualität im Alter“

Michael Frank „Sexualität im Alter – ein Tabu?“ Siehe PDF „Sexualität im Alter_ein Tabu_Michael_Frank.pdf“

Brigitte Sdun „Die erfüllte Sexualität im Alter – Sexualprobleme im Alter – psychosoziale Erklärungs- und
Interventionsansätze“

Wolfgang Springer „Sexualität im Alter“ Siehe PDF „Sexualität im Alter_Wolfgang_Springer.pdf“
Impressum
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Text: Sarah Poppe
Redaktion: Melanie Schieck
Die AGETHUR wird durch das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie finanziell
gefördert.
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