Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Wenn der Bissen nicht mehr runtergeht: Unterund Mangelernährung bei älteren Menschen unter besonderer Berücksichtigung von Schluckbeschwerden Dr. Petra Schulze-Lohmann, Deutsche Gesellschaft für Ernährung Sektion Schleswig-Holstein Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Krankheitsbedingte Ursachen für Schluckstörungen Neurologische Störungen (Schlaganfall, Parkinson, Demenz, MS) Tumore, Polypen (Verengung von Rachen oder Speiseröhre) Strahlentherapie, Verbrennung, Verätzung Psychiatrische Ursachen (Depression, Alzheimer) Entzündliche Prozesse ( Zungenabszesse, Laryngitis, Mundbodenabszesse Traumen (OP´s , Frakturen) Muskelschwäche, Muskelatrophie z.B. bei Mangelernährung Medikamente ( z.B. Neuroleptika) Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Sinn des Kauvorganges: Nahrung wird zerkleinert und schluckfähig gemacht appetitanregende Geschmacks- und Geruchsstoffe werden aus der Nahrung freigesetzt Einleitung des Verdauungsprozesses, Vorbereitung der Resorption von Nährstoffen Kohlenhydrate Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Störungen des Kauvorganges: Schlechte Zähne Gaumen und Zahnfleisch durch eine Prothese abgedeckt erhebliche Einbußen des Mundgefühls und des Geschmacks nur noch 1/3 der Kaukraft (gilt auch für Implantate !) Abnehmende Speichelbildung im Alter und Veränderung der Speichelzusammensetzung Mundtrockenheit Brennen der Zunge Entzündungen im Mund Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Unvollständiges Kauen führt zu: einer unvollständigen Zerkleinerung und Verflüssigung der Speisen zu Schmerzen beim Schlucken und Beschwerden beim weiteren Verdauungsprozess unvollständiger Nährstoffresorption Eiweiß Kohlenhydrate Vitamine, Mineralstoffe Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Wo könnte problematisch Ernährung beies Kaubeschwerden werden? Harte Lebensmittelteile entfernen • Brotrinde abschneiden, Obst schälen, Wursthaut entfernen Harte Lebensmittelteile durch gleichwertige weichere ersetzen Kartoffeln statt Reis oder Nudeln, Frischkäse statt Hartkäse, • z.B. Fisch statt Fleisch, Bisquit statt Mürbekekse Mechanische Zerkleinerung • Obst und Gemüse mixen, raspeln, reiben, pürieren; Hartkäse reiben, Hackfleischgerichte Geeignete Zubereitungsmethoden wählen • • • Pellkartoffeln oder Kartoffelpüree statt Bratkartoffeln gedünstetes Obst statt frischer Früchte, gekochtes Gemüse statt Rohkost Vollkorngetreide feingemahlen in Aufläufen und Breien statt grobe Vollkornprodukte Bei völliger Kauunfähigkeit dickflüssige bis breiige Speisen • Suppen, Soufflees, Mixgetränke, Cremes, Püree, flüssige Zusatznahrung Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Gut gekaut ist noch lange nicht geschluckt: pro Tag schlucken wir etwa 1500 bis 2000 Mal jedes Mal sind 5 Hirnnerven und 50 Muskelpaare daran beteiligt Es gibt viele Punkte, an denen dieser Prozess gestört sein kann Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Der Schluckvorgang wird in 4 Phasen unterteilt: 1: Präorale Phase (Vorbereitungsphase) . . . verführerische Gerüche . . . . . . ein echter Augenschmaus . . . . . . klappern mit Messern und Gabeln . . . . . . knurrender Magen . . . Das Schluckzentrum läßt sich schon vor dem eigentlichen Schluckvorgang stimulieren: Nase und Auge, Erinnerung und Erfahrung, Appetit/Hunger Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. 2. Orale Phase (Kauphase) Zerkleinerung fester Nahrung Vermischung mit Speichel Kieferöffnung Lippenschluss, Kieferschluss, Kieferöffnung, Kieferrotation Zungenlateralisation, -rotation Wangentonisierung Bolus wird Richtung Rachen transportiert, Zungenspitze und Zungenränder bilden festen Abschluss mit dem Gaumen Wangen kontrahieren aktiver Zungendruck (abhängig von Konsistenz) Schluckreflexauslösung Ab hier Reflex! Bis hierhin bewusste Steuerung Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. 3. Rachenphase (Pharyngeale Phase) • Gaumensegel hebt sich schließt Nasenraum ab und verhindert Eindringen von Nahrung in die Nase • Kontraktion der Muskeln zwischen Unterkiefer und Zungenbein: Kehlkopf wird nach oben gezogen • Luftröhrenverschluss durch Stimmlippenschluss nach reflektorischem Atemstopp, Taschenfaltenschluss, Kehlkopfkippung 4. Speiseröhrenphase (Oesophageale Phase) • Speisentransport durch ringförmige Kontraktionen Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Schluckreflex Da durch Berührung des Speisebreis mit der Rachenwand der Schluckakt reflektorisch ausgelöst wird, kann man auch vom "Schluckreflex" sprechen. Afferente Bahn Sie verläuft im glossopharyngeus (9. Hirnnerv) •Nervus Nervus vagus (10. Hirnnerv) •zum Schluckzentrum in der Medulla oblongata. Efferente Bahn Sie zieht im vagus (10. Hirnnerv) •Nervus •Nervus glossopharyngeus (9. Hirnnerv) trigeminus (5. Hirnnerv): Mundbodenmuskulatur •Nervus •Nervus accessorius (11. Hirnnerv): Muskulatur im Gaumen- und Rachenbereich hypoglossus (12. Hirnnerv): Zungenmuskulatur •Nervus cervicalis: Infrahyale Muskulatur •zuPlexus den beteiligten Muskeln. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Schluckstörungen treten meistens in der Kau- oder Rachenphase auf: Symptome in der Kauphase: herabhängende Gesichtshälfte Probleme, den Speichel zu kontrollieren, ungenügend, dicker oder übermäßig viel Speichel Verlieren von Essen oder Flüssigkeiten aus dem Mund Probleme, Essen im Mund herum zu bewegen unzerkaute oder ungenügend gekaute Nahrung wird geschluckt Probleme, einen Bolus zu bilden Essen wird in den Wangentaschen behalten Vermeiden fester Nahrungsmittel Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Symptome, die auf eine Schluckstörung hinweisen: Symptome in der Rachenphase häufiges Räuspern heisere oder feuchte Stimme wie bei einer Erkältung Unfähigkeit, stark zu husten Husten oder Würgen Wiederausströmen von Essen durch die Nase Klage, dass Essen stecken bleibt (auch ösophageale Phase) Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Essen Sie ein kleines Stück Keks . . . Achten Sie genau auf die Bewegung Ihrer Muskeln . . . Bewegen Sie Ihren Mund nur auf und ab . . . Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Was passiert bei Schluckstörungen? Ausbleiben von Schutzreflexen (Husten-, Würg- und Schluckreflex) beim Essen Eindringen von Speichel, Flüssigkeit oder Nahrung in die Luftröhre Einatmen von Nahrung Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Folgen einer Schluckstörung sich zu Verschlucken • Angst, Verringerung/Vermeidung von Nahrungsaufnahme und Flüssigkeitszufuhr Austrocknung Verwirrheitszustände Mangel- und Unterernährung Gewichtsverluste geschwächte Immunabwehr verzögerte Genesung • soziale Isolation eingeschränkte Lebensqualität • höhere Kosten/ mehr Zeit in der Pflege • Aspiration, Aspirationspneumonie, Tod Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Schluckstörungen erschweren das Essen und Trinken bedeuten eine massive Einschränkung der Lebensqualität erfordert eine sehr hohe Konzentration bei der Nahrungsaufnahme erhöhen die Angst, sich zu verschlucken verursachen die Scham, „nicht richtig“ essen zu können Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Grundsätze der Behandlung von Dysphagien sind: • Sicherstellung der Ernährung zur Verhinderung einer Mangelernährung • Schutz der unteren Atemwege zur Verhinderung von Aspirationspneumonien • Erhalt der größtmöglichen Lebensqualität der Betroffenen Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Behandlung von Schluckstörungen Kausale Behandlung Kompensatorische Maßnahmen Variiertes Handling Behandlung der Ursache des Problems (neuer Zahnersatz, Veränderung des medikamentösen Regimes) Diätetische Maßnahmen (Auswahl geeigneter Speisen und Getränke) Schlucktraining mit Logopäden, besondere Körperu. Kopfhaltung Hilfsmittel z.B. Trinkbecher mit NasenausSchnitt Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Vorraussetzungen für eine orale Nahrungsaufnahme: Betroffener muss in der Lage sein, seinen Speichel zu schlucken der Hustenreflex muss vorhanden sein, um die unteren Atemwege zu schützen Betroffener muss ausreichend wach sein und einen guten Allgemeinzustand haben Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Wichtigste Kriterien für die Ernährung bei Schluckstörungen Temperatur Konsistenz Größe des Nahrungsbolus Hilfestellung beim Essen Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Testen Sie selber: Glas mit zimmerwarmem Wasser 1. 2.Glas mit heißem Wasser 3.Glas mit eiskaltem Wasser Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Testen Sie selber: • 1 Stück trockenes Brot • 1 Stück Brot mit Butter • 1 Stück Brot mit Schmelzkäse • 1 Stück Brot beidseitig mit Schmelzkäse bestrichen Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Maßnahmen bei Schluckstörungen Ausnutzung der Eigenschaften von Lebensmitteln – – – – kalte Speisen oder solche mit einem kräftigem Geschmack können einen Schluckreflex auslösen Säure macht den Speichel dünnflüssiger süße und milchige Speisen lassen den Speichel zäher werden (hinderlich für den Schluckvorgang) ein saures Getränk fördert den Schluckreflex, kann aber beim Verschlucken sehr ungünstig sein Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Lebensmittelauswahl bei Schluckstörungen: homogene Konsistenz - dünnflüssige Speisen werden nicht ausreichend gespürt dickflüssige Lebensmittel, die leicht einen Bolus bilden, sind gegenüber dünnflüssigen zu bevorzugen Andickung! ungeeignet sind generell - Speisen mit unterschiedlichen Konsistenzen (Joghurt mit Früchten), Flüssigkeiten mit festen Bestandteilen (Suppe mit Gemüse), Lebensmittel mit kleinen Kernen (Weintrauben, Kirschen, Oliven) faserige Lebensmittel (Spargel, Spinat, Fenchel, Mango, Schinken) erhöhen das Risiko des Verschluckens und der Aspiration Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Fortsetzung: Lebensmittelauswahl bei Schluckstörungen: ungeeignet sind generell: klebrige Lebensmittel, die am Gaumen haften (frisches Weißbrot, Erdnussbutter, Karamell, trockene, zerstampfte Kartoffeln) : ermüden schnell und erschweren die Schluckkontrolle dünne Flüssigkeiten sind bei oraler und pharyngealer Dysphagie sehr schwer zu kontrollieren und sollten nur unter Kontrolle des Logopäden verabreicht werden, bei Gaumensegelparesen gar nicht (Aushusten via Nase) Bei völlig fehlenden Schutzreflexen : Sondenernährung, parenterale Ernährung Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Vorschlag für einen 4-stufigen Kostaufbau 1. Passierte, dickflüssige Kost 2. Pürierte Kost 3. Weiche bzw. teilpürierte Kost 4. Adaptierte Kost, nicht püriert Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. 1. Passierte dickflüssige Kost Lebensmittel, die sich zu einem feinen, homogenen Brei verarbeiten lassen und durch ein Sieb gestrichen werden können (entweder aus täglich angebotenen Speisen selbst hergestellt oder speziell für diesen Bereich angebotene Kost für die GV) absolut klümpchen- und faserfrei ! Im Bedarfsfall Ergänzung durch bilanzierte Zusatzoder Sondennahrung Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. 2. Pürierte Kost Speisen werden mit dem Mixer zerkleinert sind nicht mehr so fein, bilden aber eine homogene Masse bei Bedarf Ergänzung mit bilanzierter Zusatz- oder Sondennahrung Beispiele (zusätzlich zu den Lebensmitteln der ersten Stufe) – – – – – – püriertes Fleisch Kartoffelpüree Kartoffelschnee Reisflocken Milchbrei weiches Brot ohne Rinde Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. 2. Pürierte Kost pürierte Kost ist häufig wenig ansprechend abwechselungsreich und appetitlich anrichten Freude am Essen erhalten ! pürierte Lebensmittel können mit einem Dickungsmittel wieder in Form gebracht werden unbedingt vermeiden: das Mixen aller Komponenten zu einem Brei – verschiedene Komponenten sollen gesehen, gerochen und geschmeckt werden Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. 3. Weiche bzw. teilpürierte Kost Lebensmittel, die sich mit der Zunge zerdrücken lassen wenn Betroffener ausreichend isst, kann diese Stufe die erforderlichen Nährstoffe enthalten Beispiele (ergänzend zu den Lebensmitteln der 1. u. 2. Stufe) – – – – – – Weißbrot, Toastbrot, Graubrot – ggf. ohne Rinde – weiches Gemüse Kartoffeln gut ausgequollene Nudeln weiche Wurst ohne Stücke, Brühwurst ohne Haut, Streichbelag weiches Obst und Kompott Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. 4. Adaptierte Kost, nicht püriert nur noch leichte Störungen des Schluckakts es kann weitestgehend normal gegessen werden einzelne Komponenten können angepasst werden, z.B. – – – Kartoffeln statt Reis Pfirsich statt Ananas Geflügelbrust statt Rinderbraten feste Konsistenz im Mund ist spürbar regt den Schluckakt an Speisen sollen farblich attraktiv sein, z.B. – – Fisch, Tomatensauce, Kartoffelbrei Kartoffeln, Möhrengemüse, Kalbfleisch mit Sauce Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Flüssigkeitsversorgung Getränke bereiten vielen Menschen mit Schluckstörungen Probleme hohe Fließgeschwindigkeit führt rasch zum Verschlucken Folgen: Ablehnung des Trinkens und Dehydratation Andickung von Getränken Schluckvorgang lässt sich besser steuern (Thicken-up) Verwendung geschmacksneutraler Dickungsmittel – – sind für warme und kalte Getränke geeignet immer die gleiche Konsistenz herstellen (einheitliche Dosierung) Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Rund ums Essen und Trinken aufrechte Sitzposition mit leicht nach vorn gebeugtem Kopf fördert den Schluckvorgang mehrere kleine Portionen werden besser vertragen als eine große ausreichend Zeit zum Nachschlucken geben entspannte Atmosphäre hilft, sich auf den Schluckakt zu konzentrieren
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