Predigt zu Markus 9,33-37 „Wer ist mega?“ Vikarin Jasmin Zehnder, Bern-Nydegg Sonntag, 15. September 2015 in der Nydeggkirche in Bern Ich lese aus dem Markusevangelium Kapitel 9, die Verse 33-37: 33 Und sie (die Jünger Jesu) kamen nach Kafarnaum. Und als er (Jesus) dann im Haus war, fragte er sie: Was habt ihr unterwegs diskutiert? 34 Sie aber schwiegen. Sie hatten nämlich unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer der Grösste sei. 35 Und er setzte sich und rief die Zwölf, und er sagt zu ihnen: Wenn jemand der Erste sein will, dann soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein. 36 Und er nahm ein Kind, stellte es in die Mitte, schloss es in die Arme und sagte zu ihnen: 37 Wer in meinem Namen ein Kind aufnimmt wie dieses, nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt nicht mich auf, sondern den, der mich gesandt hat. Liebe Gemeinde, haben sie etwa einen folgender Aussprüche schon einmal gehört? Wow, es ist einfach mega. Hast du gesehen, dieses Bild sieht mega gut aus. Nein, das ist nichts für mich, der Wohnblock ist mega hoch. Hey, ich find dich mega sympathisch. Du bist einfach mega. Bin ich eigentlich auch mega? Genau diese Frage stellten sich einige Männer, die vor langer Zeit einem jungen charmanten Überlebenskünstler namens Jesus aus Nazareth folgten. Sie waren gerade auf dem Weg nach Kafarnaum, so erzählt es uns der Evangelist Markus, als sie darüber diskutierten: Wer von uns ist mega? Das Wort ‚mega‘ kommt aus dem Griechischen und meint ‚gross/ grossartig/ bedeutend/ wichtig‘. Die Jünger fragen sich hier, wer denn der Grösste, der Wichtigste, oder gar Höchste von ihnen sei. Wann haben sie sich diese Frage zum letzten Mal gestellt? Was meinen sie, ist diese Frage berechtigt? Oder sind die Jünger einfach nur übergeschnappt, grössenwahnsinnig? Die Situation müssen wir uns in etwa so vorstellen: Da kommt eines Tages ein Mann daher. Er spricht die gaaaaanze Zeit über von einem Reich: Reich Gottes hier, Reich Gottes da. Er spricht davon, wie dieses Reich Gottes aussehen solle, wie man in diesem Reich miteinander umgehen solle und auch, dass es nahe sei. Kommt noch dazu, dass dieser Mann nicht nur ständig vom Reich Gottes redet, er ruft auch ständig mehr ‚Gefolgsleute‘ hinzu – Menschen, die mit ihm leben und ihn überall hin begleiten. In diesem Kontext scheint es nun nicht mehr ganz so abwegig, dass sich die Jünger über eine Rangordnung im Reich Gottes Gedanken machen, dass sie sich fragen, wer von ihnen denn mega sei – oder eben wer der grösste unter ihnen sei. Immerhin setzt sich ein Reich, wie beispielsweise das Römische Reich damals im 1. Jhd., zusammen aus einem Hauptregenten, aus dessen nahen Beratern und einer ganzen Hierarchie von Staatsämtern, die über verschiedene Bereiche Macht ausüben und die Verantwortung für sie tragen. Die Jünger Jesu machen also nichts anderes, als eine solche Regierungshierarchie auf das Reich Gottes zu übertragen. Dabei wäre natürlich Jesus der Hauptregent des Reiches. Und die Jünger, die seine nächsten Freunde sind? Wer von ihnen würde zum General berufen werden? Wer von ihnen würde zu den nahesten Beratern gehören? Die Frage nach dem Grössten unter den Nachfolgern Jesu ist darum meiner Meinung nach eigentliche eine sehr logische und realistische Frage. Hören wir jetzt noch einmal Jesu Reaktion auf die Frage der Jünger: 33 … Und als Jesus im Haus war, fragte er sie: Was habt ihr unterwegs diskutiert? 34 Sie aber schwiegen. Sie hatten nämlich unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer der Grösste sei. 35 Und er setzte sich und rief die Zwölf, und er sagt zu ihnen: Wenn jemand der Erste sein will, dann soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein. Offenkundig ist es den Jüngern peinlich, dass sie auf dem Weg über dieses Thema diskutiert haben. Denn sie schweigen Jesus an. Er aber verurteilt sie nicht dafür. Ich denke, wir können daraus schliessen, dass Jesus die Frage als berechtigt empfand und er gerne darauf antwortete. Denn es ging ihm gar nicht darum, ob jemand gross sein will oder nicht. Anscheinend will doch jeder von uns in irgendeiner Art und Weise gross sein. Ist es nicht so? Es ging Jesus darum, wie man mega sein kann im Reich Gottes. Und in seiner Antwort finden wir, wie so oft eine alles-aufden-Kopf-stellende Logik: 35 Und er sagte: Wenn jemand der Erste sein will, dann soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein. Anscheinend funktioniert das Reich Gottes doch nicht ganz so wie das Römische Reich. Um zu veranschaulichen, was es meint, der Letzte und Diener aller zu sein, nimmt Jesus eine symbolische Handlung vor: 36Und er nahm ein Kind, stellte es in die Mitte, schloss es in die Arme und sagte zu ihnen: 37 Wer in meinem Namen ein Kind aufnimmt wie dieses, nimmt mich auf …. Was will er hiermit veranschaulichen? Woher dieses Kind kommt und wessen Kind es ist, erklärt uns der Evangelist nicht. Was hat es also auf sich mit dem Kind? Um dies herauszufinden, müssen wir die Stellung und Bedeutung der Kinder im Palästina des 1. Jhd. etwas genauer unter die Lupe nehmen. Die Gesellschaft zu biblischen Zeiten patriarchal strukturiert. D.h. in der Gesellschaft und in der Familie kam dem Mann eine bevorzugte Stellung zu. Er war Vorsteher der Familie – und damit ist jetzt keine Kleinfamilie gemeint, wie wir sie heute kennen. Die Familie war damals eine Sippe. Da lebten 3-4 Generationen zusammen, d.h. etwa zwischen 20 und 50 Personen: die Eltern, ihre Kinder, die Enkelkinder, die Grosseltern, die unverheirateten Verwandten und die Sklaven. Sie alle unterstanden dem Hausherrn. Er traf die wichtigen Entscheidungen und hatte das letzte Wort. In dieser familiären Hierarchie galten die Kinder noch weniger als die Frauen. Sie wurden zwar als Gaben Gottes geschätzt jedoch nur unter dem Gesichtspunkt der Nachkommenschaft. Diese galt als Prestige für den Mann. Eine eigene Bedeutung besassen die Kinder damals nicht. Zwischen einem Sklaven und dem eigenen Kind gab es kaum einen Unterschied. Um zu überleben war man damals auf die Zusammenarbeit aller Sippenmitglieder angewiesen. Kinderarbeit war normal. Je mehr Kinder eine Frau „produzieren“ konnte, desto mehr Arbeitskräfte hatte man. Und kam ein für den Vater ‚unpassendes‘ Kind zur Welt, so durfte er es einfach töten. Das Kind hatte keinerlei Rechte. Das scheint für mich auf den ersten Blick eine total andere Welt zu sein. In dem Taufgespräch mit der Familie Hostettler zum Beispiel habe ich gesehen, was für eine Wertschätzung die Eltern ihrem kleinen Carl entgegenbringen. Und trotzdem – blicken wir zurück und fragen uns, seit wann unseren Kindern vermehrt Achtung und Wertschätzung entgegen gebracht wird, hoppla, dann ist das noch gar nicht lange her und in Teilen der Erde hat sich noch überhaupt nichts verändert. Denken wir etwa daran, dass man in der Schweiz noch vor 50 Jahren Kinder ‚verdingt‘ und sie als günstige Arbeitskräfte meist ausgenutzt, missbraucht und auch sexuell misshandelt hat. Sie wurden eben wie Dinge und nicht so sehr wie Menschen behandelt. Nach Schätzungen sind es hunderttausende Kinder, die bis in die 1960er und 70er Jahre verdingt wurden. Und erst jetzt ist man langsam aber sicher bereit, dieses dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte aufzuarbeiten (speziell dafür wurde übrigens im 2014 eine Initiative eingereicht). Denken wir daran, dass es Rechte für Kinder effektiv erst seit sehr kurzer Zeit gibt. Abgeleitet von den Menschenrechten (1948) hat man die Kinderrechte erst im Jahr 1989 in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verabschiedet. Das ist gerade mal 26 Jahre her. Unvorstellbar. Und obwohl diese Rechte heute existieren, haben sie natürlich trotzdem vielerorts noch keine Geltung. Ein Beispiel ist Burkina Faso, das Land liegt nördlich von Togo in Afrika. Die Schweiz ist dort noch heute – zu diesem Zeitpunkt – über den Goldhandel in menschenrechtswidrige Kinderarbeit verstrickt. Also auch wir, so scheint es, tun uns immer noch schwer in der Achtung und Wertschätzung, die wir Kindern in unserer Welt entgegenbringen. Was sagt uns nun all das über die Handlung Jesu aus? Er nahm ein Kind, stellte in die Mitte der Aufmerksamkeit und schloss es in seine Arme………… er tat dies in einer Welt, in der das Kind kaum Bedeutung hatte, in der es keine Rechte zugesprochen bekam, in der der Vater über Leben und Tod bestimmen konnte. 36 Und er nahm ein Kind, stellte es in die Mitte und schloss es in die Arme …. Indem Jesus dies tut, stellt er die sozialen Verhältnisse und Ordnungen seiner Zeit total in Frage. Aber er stellt nicht nur in Frage, er nimmt tatsächlich eine Umwertung vor – er wertet die sozialen Verhältnisse um, er wertet sie neu. Indem er das Kind in die Mitte stellt, gibt er ihm Raum, spricht er ihm einen wichtigen, bedeutenden Platz zu. Er verleiht ihm Würde, die ihm bedingungslos zukommt. Ja………. Wer ist denn nun eigentlich mega? Also wohlverstanden, der Allergrösste ist Jesus – und das war auch den Jüngern klar – ihm folgten sie ja nach. Und was macht dieser Jesus, dieser Grösste aller? Er identifiziert sich mit dem Kleinsten, in diesem Fall mit dem Kind. Er identifiziert sich mit demjenigen, der in der Gesellschaft in seiner Stellung keine Achtung und Anerkennung erfährt, er identifiziert sich mit demjenigen, der auf Hilfe angewiesen ist. Das Allergrösste solidarisiert sich mit dem Allerkleinsten, ihm schenkt es seine Aufmerksamkeit. Indem Jesus das Kind in die Mitte stellt, spricht er ihm einen unermesslich hohen Wert zu, den Wert seiner selbst. Jesus nachfolgen heisst also nicht nach dem Grössten fragen, sondern nach dem Kleinsten fragen, dieses in die Mitte stellen, es in die Arme schliessen. Jesus sagt: 37 Wer in meinem Namen ein Kind aufnimmt wie dieses, nimmt mich auf …. Amen.
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