- Diakoniewerk Kirchröder Turm

Nachrichten aus dem
Juni 2015 Diakoniewerk Kirchröder Turm
siehe oben 1
Flucht
Bloß weg von hier?
Wenn Menschen ihren
Ort verlassen.
Ausgabe 1 2015
Das Ende einer Reise
Flüchtlinge berichten über ihre Odyssee
Wer Flüchtlingen hilft, stärkt die Demokratie.
Doris Schröder-Köpf (MdL) über mutige Helfer
Pornos sind nicht harmlos.
Fachstelle return spricht von Massenflucht ins Netz.
Editorial
2 siehe oben Juni 2015
Juni 2015 siehe oben 3
Liebe Leserinnen und Leser,
Flüchtlinge:
Nicht
wegschauen
Diakoniewerk:
Wir bieten
Heimat
Dienste in Israel:
Hoher Besuch
aus Berlin
Einblicke:
Aktuelles aus den
Einrichtungen
4 Das Ende einer Reise
Wer als Flüchtling nach
Deutschland kommt, hat oft
eine lange und harte Odyssee
hinter sich.
Reportage von Alexander Nortrup
16
Statement
Diakonie – eine Haltung:
Wir bieten Heimat.
Vorstandsmitglied
Pastor Ralph Zintarra
22 Juden hochwillkommen!
Jubiläum 40 Jahre Dienste
in Israel
Ein Beitrag von Ralph Zintarra
17 Beratungsstelle Kirchröder Turm
6 Vorzeigeprojekt: Das Flüwo der
Gemeinde am Döhrener Turm
Interview mit Irene Wegener
8 Flucht vor 70 Jahren
Wenn die eigene Biografie zur
Verpflichtung wird
Im Diakoniezentrum Springe
sprach Wolfgang Bauer mit
Menschen, die Flucht und
Vertreibung erlebten.
12
Wer Flüchtlingen hilft,
stärkt die Demokratie.
Doris Schröder-Köpf (MdL)
über mutige Helfer.
L!FE CONCEPTS
20
Mit Kreativität und
Wertschätzung Fluchthelfer
sein. Begegnungen in der
Kinder- und Jugendarbeit
von Jürgen Scheidt
23 Hoher Besuch aus Berlin
Daniela Schadt, Lebensgefährtin
des Bundespräsidenten Joachim
Gauck, zu Gast beim Jubiläum
von Dienste in Israel
von Ulrike Landt
18 Schleichender Exit:
Flucht in virtuelle Welten
Massive Probleme durch Pornokonsum
von Eberhard Freitag,
Leiter return Fachstelle Mediensucht
21 Diakoniezentrum Jägerallee Springe
Kirchröder Institut
24
Der Ambulante Hospizdienst
25 Biblisch-Theologisches Institut Hannover (BTI)
Kita Arche Noah unterm Regenbogen
26
Kita ViWaldis
Stiftung Chance zum Leben
27
niemand in Deutschland kann die Augen vor der Not von
Menschen in Fluchtsituationen verschließen. Sie nicht und
auch wir als Diakoniewerk Kirchröder Turm nicht! Keine
Nachrichtensendung, kein Printmedium mehr, das sich nicht
mit dieser Thematik befassen würde. Trotz der unglaublichen Menge von Flüchtlingen ist das Massenphänomen
aber immer zugleich auch gekoppelt an das Schicksal einzelner Menschen.
Obwohl wir uns als christliches Werk dieser Problematik
mit unseren Diensten bisher nicht schwerpunktmäßig gewidmet haben, möchten wir aus Respekt vor dem Mut und den
dramatischen Biographien diese Ausgabe von s.o. allen
Menschen auf der Flucht widmen. Wir haben keine Antwort
auf das Leid der gesamten Welt, aber wir leiden mit den
Schutzbedürftigen unserer Erde.
Zugleich wird in den unterschiedlichsten Bezügen
unserer Gesellschaft deutlich, dass Flucht auch in völlig
anderen Kontexten ein großes Thema zu sein scheint, das
uns irgendwie angeht. Frauen fliehen vor der Gewalt ihrer
Ehemänner in Schutzhäuser – sinnentleertes Leben wird
kompensiert durch die Flucht in virtuelle Welten – Ehemänner suchen Zuflucht bei Prostituierten – Menschen in
Schmerz und Krankheitsnöten sehen als letzten Ausweg den
Freitod… weg von dem, was nicht mehr zu ertragen ist, hin
zu mehr Leichtigkeit. Jeder wird im eigenen Leben Situationen kennen, denen er sich nicht mehr gewachsen fühlt und
lieber entrinnen würde.
Wir möchten sensibilisieren für den Umgang mit Leidenden und nicht wegschauen. Nicht alles Schwere kann
verbannt werden, doch es wird leichter, wenn jemand beim
Tragen hilft. Das können Länder, Kommunen, soziale Institutionen, Vereine, aber auch Einzelne tun. Jede echte Geste
des Verstehens ist ein kleiner Beitrag. Das Paradies können wir nicht zurückerobern, aber es ist keine vergebliche
Liebesmühe, es dennoch zu versuchen. „I have a dream…“
Menschen guten Willens können helfen, dass andere, die
keine Träume mehr haben, aus ihrem Albtraum erwachen
und neue Hoffnung schöpfen.
Bitte lassen Sie uns zusammen Fantasie entwickeln. Wir
möchten nicht, dass unsere Enkelkinder uns eines Tages
fragen müssen: „Weshalb habt ihr wider besseren Wissens
nicht gehandelt?“ Etwas Ähnliches hatten wir in unserer
Geschichte bereits. Jesus würde sagen: „Was ihr getan habt
einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt
ihr mir getan.“ Himmel und Erde, Paradies und Verlorenheit,
Heiliges und Säkuläres finden sich.
Herzlich verbunden,
Jürgen Scheidt Hans-Peter Pfeifenbring
(Vorstandsvorsitzender im
(Vorstandsvorsitzender im
DiakoniewerkDiakoniewerk
Kirchröder Turm)
Kirchröder Turm)
4 siehe oben Juni 2015
Juni 2015 siehe oben 5
Wer als Flüchtling nach
Deutschland kommt, hat oft
eine lange und harte Odyssee
hinter sich. Abdi und Noushin
haben es geschafft – und
brauchten dennoch lang, um
wirklich anzukommen.
S
Fotos: Philip Zintarra, Hannover
Das Ende
einer Reise
ein Zimmer verrät ihn. In diesem Raum, das
ist unverkennbar, lebt ein Mensch, der das
Wort schätzt. Bücher stapeln sich auf dem
kleinen Tisch, der umgeben ist von mehreren großen Sofas. Deutsch als Fremdsprache, Wortschatzarbeit Englisch, Kurzgeschichten, Krimis – hier
wird gelernt, akribisch. Abdis Muttersprache, das Arabische, lässt sich dagegen ringsherum nirgends entdecken. Sein kleines Reich hat der junge Syrer ganz auf
seine Leidenschaft für fremde Sprachen und Kulturen
ausgerichtet. Er hat es gut hier in seiner Wohngemeinschaft im Flüchtlingswohnheim.
Leider hat auch das Grauen in seinem Leben viel mit
einem kleinen Raum zu tun. 35 Tage steckte er in einer
winzigen Zelle fest, zusammen mit 25 anderen Männern. Festgenommen, weil er den Kriegsdienst verweigert hatte. Ohne Verhandlung, ohne Chance. Sie wussten nicht, ob Tag oder Nacht ist. Bekamen sehr unregelmäßig und sehr wenig Essen, oft nur einen kleinen
Topf Reis für alle. Sie schliefen abwechselnd, die eine
Hälfte wachte währenddessen. Und mitten unter ihnen
waren drei, die im Krieg angeschossen worden waren
und nun ohne Behandlung einen langsamen Tod starben. Die Leichen lagen zwischen den Lebenden, tagelang. Abdi sieht sie bis heute in seinen Träumen.
Und nun ist er also hier, in Hannover. Zum Gespräch
im Flüchtlingswohnheim an der Hildesheimer Straße
sitzt er am Tisch, die Hände am Wasserglas. Es ist viel
Freude in Abdis Blick, Neugierde, aber da ist auch eine
Schwere, die so gar nicht passen mag zu einem jungen Kerl, der doch eigentlich gerade dabei sein müsste,
die Welt zu erobern. Dass er seit Monaten im Traumazentrum therapeutische Unterstützung bekommt, ahnt
man durchaus auf den zweiten Blick.
Abdi hat viel von der Welt gesehen, sein Weg
führte ihn aus Syrien in den Libanon, in die Türkei, nach
Bulgarien, weiter in die Niederlande, kurz Schweden
und schließlich nach Finnland, bis er 2014 dann nach
Hannover kam. Überall musste er erleben, dass er nicht
erwünscht war, dass er seine Zelte wieder abbrechen
musste, kaum dass er anfing, zarte Wurzeln zu schlagen. Wie ein Hohn klingt es angesichts solcher Fluchtgeschichten, dass sich Flüchtlinge integrieren sollten,
um sich der Mehrheitsgesellschaft anzunähern. Für
ein Jahr war auch Abdis Leben ganz heil: Mit sei-
nem gerade erworbenen Abitur zog er als 17-Jähriger in den Libanon, studierte dort Wirtschaftswissenschaft und Journalismus. Er lebte seinen Traum. Doch
dann streckte der Krieg seine langen Arme nach ihm
aus. Er musste vor dem Militärdienst fliehen, lebte in
Bulgarien acht Monate auf der Straße. „Das war das
Schlimmste“, sagt er, und atmet schwer. Es folgte eine
Odysee, die ihn schließlich in die niedersächsische
Landeshauptstadt führte. Seine Familie lebt inzwischen überwiegend im Libanon. Zurück kann er nicht
mehr, seine Freunde sind alle tot, einige Verwandten
auch.
Abdi ist 21. Und hat schon unglaublich viel erlebt:
Seine Erfahrungen könnten ganze Leben füllen. In die
Blüte seiner Jugend krachte der Krieg wie eine Rakete.
Nun lebt er seit neun Monaten in Deutschland,
hat gute Aussichten auf Anerkennung seines Antrags.
Als Syrer mit seiner Vorgeschichte ist er geradezu
der Prototyp eines Aylberechtigen. Beinahe
unglaublich und mit Sicherheit auch förderlich ist, dass er schon ein feines, wohl
Sie schliefen
überlegtes Deutsch spricht. Seine leise,
abwechselnd, die
manchmal fast flüsternde Stimme vereine Hälfte wachte
rät, dass er sich unbedingt gut ausdrücken möchte. Manche Worte haucht
währenddessen. Und
der junge Mann förmlich, lässt sie auf
mitten unter ihnen
der Zunge zergehen. Deutsch ist ganz
bestimmt nicht die letzte Sprache, die
waren drei, die im
er lernt. Aber Deutschland ist hofKrieg angeschossen
fentlich das Ende seiner Flucht.
Es gibt viele Abdis. Sie kommen zu
worden waren
Hunderttausenden nach Europa, nach
und nun ohne
Deutschland. Flucht ist das bestimBehandlung einen
mende Thema im Leben von Millionen
von Menschen in Afrika und im Nahen
langsamen Tod
Osten. Sehr häufig ist sie keine Episode,
starben.
keine Bewegung von einem Punkt zum anderen. Stattdessen wird das Vorübergehende zur
Normalität, ist der Ausnahmezustand ihr Alltag.
Finnland hätte Abdi sich auch gut als neue Heimat
vorstellen können. Auch hier lernte der junge Mann
rasend schnell die Sprache. Und nicht nur das: Der
sportbegeisterte Syrer verband eine alte libanesische
Leidenschaft, das Inlineskating, mit dem neuen Land
im kalten Norden. Und begann, Eishockey zu spie-
len. Der schmächtige Syrer auf finnischen Kufen - eine
Kombination, wie sie nur die Flucht hervorbringen
kann. Seinen neuen Sport würde Abdi auch gern in
Hannover weiterspielen - wenn er nur nicht so teuer
wäre.
Wöchentlich trifft er sich nun mit einem pensionierten Lehrer, der sich ehrenamtlich als Pate für ihn
einsetzt. Diese Beziehung zu einem gebildeten, ihm
zugewandten Menschen – für Abdi ist sie wie ein
Strom Wasser in der Wüste. Er lebt von diesen Begegnungen, vom Austausch über Sprache, Kultur, das
Leben in Deutschland. Dann wird seine Welt wieder
ein Stück heiler. „Die größte Ressource, die Freiwillige
unseren Bewohnern geben können, ist Zeit“, bestätigt Irene Wegener, die Leiterin des Flüchtlingswohnheims.
Noushin ist eine von diesen Freiwilligen. Seit fünf
Jahren lebt sie in Deutschland, ist selbst hierher geflohen und hat im Flüchtlingswohnheim Halt gefunden. Über ihren verschlungenen Weg nach Europa
möchte die junge Iranerin lieber nicht mehr sprechen.
Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen, als senke sich
eine dunkle Wolke auf die 32-Jährige. Sie schwenkt
schnell um zu den Gründen für ihre Flucht, blickt entschlossen und zupackend: „In meinem Land herrscht
eine islamische Diktatur“, sagt sie. „Zu Hause kann
man über alles reden, aber draußen kann es ganz
schnell vorbei sein, wenn du den Mund aufmachst.“
In ihrer persischen Heimat gehörte sie zur Minderheit
im Nordwesten des Landes, die Aserbaidschanisch
spricht. Die Sprache ihrer Großmutter darf nicht in der
Schule gelehrt werden, auch ein eigenes Fernsehprogramm wird unterdrückt.
Keine Freiheit, keine Menschenrechte, erst recht
keine Frauenrechte – für Noushin war ihr Land ein
Gefängnis, aus dem sie fliehen musste, um wieder
atmen zu können. Drei Jahre wohnte sie im Flüchtlingswohnheim, bekam dort viel Unterstützung, verdiente sich zudem Geld als Verkäuferin bei einem
Fruchtsaftstand. Auch wenn es anfangs eine Qual
war, den Mund aufzumachen – der tägliche Kontakt
mit den Kunden half ihr enorm beim Deutschlernen:
„Es hilft einfach, rauszugehen und loszulegen.“ Noushin kann heute eine positive Bilanz ziehen: Sie hat es
„Wir zeigen,
was möglich ist.“
Irene Wegener leitet ein Flüchtlingswohnheim in Hannover,
das bundesweit als Vorzeigeprojekt gilt.
Frau Wegener, überall im Land werden im
Augenblick provisorische Containerdörfer
installiert. Seit Jahren leiten Sie ein Flüchtlingswohnheim im Süden Hannovers, an
der Hildesheimer Straße. Allerdings ist es
so ziemlich das Gegenteil eines Provisoriums.
Das stimmt, hier gibt es keine Container,
sondern eine feste Bauweise, noch dazu
energetisch hochwertig. Das Flüwo gibt es
aber auch schon seit 1993, damals kamen
bekanntlich schon einmal Hunderttausende
Flüchtlinge nach Deutschland. Zunächst
war es noch auf der anderen Straßenseite.
Die Gemeinde am Döhrener Turm hat das
jetzige Gebäude dann selbst errichtet und
an die Stadt Hannover verpachtet. Danach
wurde es mehrfach erweitert.
Die Straßenseite des Hauses hat einen grünen Anstrich, der Innenhof ist lichtdurchflu-
tet und bepflanzt. Es sieht beinahe aus wie
ein schickes Studentenwohnheim.
Gut so! Hier leben ja auch Menschen in
Wohngemeinschaften - in 2er, 4er und 6erGruppen, insgesamt sind es 30 Wohneinheiten. Dennoch hat jeder ein Einzelzimmer. Das Flüwo hat 148 Plätze, von denen
aktuell 127 besetzt sind. Das liegt auch
daran, dass nicht alle Plätze belegt werden,
wenn eine Familie kommt.
Für die meisten Menschen ist Flüchtlingswohnheim ein äußerst negativer Begriff.
Sie denken vor allem an einen ungemütlichen, unpersönlichen Ort. Was würden
Sie denen entgegnen?
Ich würde sie einladen, einmal vorbeizukommen. Das Flüwo ist kein Lager, kein
Heim, keine Unterkunft. Es ist ein Zuhause.
Wir wollen eine offene Atmosphäre, ein
Haus mit niedrigen Schwellen. Vor allem
„Eines Tages wird
du wach und merkst: Du
hast keine Familie, keine Freunde,
keinen Job, kein Geld. Ich wollte gar nicht
geschafft, ist längst
mehr aus der Wohnung rausgehen.
in der deutschen
Gesellschaft
verAber genau das war letztlich das
wurzelt, hat Freunde,
Wichtigste.“
eine Perspektive. Doch
Juni 2015 siehe oben 7
an ihre ersten Wochen und
Monate erinnert sie sich mit Schrecken: „Eines Tages wird du wach und merkst: Du hast
keine Familie, keine Freunde, keinen Job, kein Geld.
Ich wollte gar nicht mehr aus der Wohnung rausgehen. Aber genau das war letztlich das Wichtigste.“
Seit einiger Zeit coacht sie nun selbst Flüchtlinge,
nimmt sie an die Hand. Passenderweise studiert sie
nun Gesundheit und Soziale Arbeit. „Ich würde gern
weitergeben, wie man sich zurechtfindet“, strahlt sie.
Fotos: Philip Zintarra, Hannover
6 siehe oben Juni 2015
Alexander Nortrup ist
Journalist aus Wennigsen
bei Hannover. Er besuchte
Noushin und Abdi im Flüwo.
aufgrund der Dauer der Asylverfahren
leben unsere Bewohner im Schnitt zwei
Jahre hier. Schon allein deshalb sind bei uns
viele Dinge auf Nachhaltigkeit angelegt.
Tatsächlich ist das Angebot riesig: Es gibt
wöchentliche Kleiderspenden, die Hannoversche Tafel beliefert Sie, es gibt Musikpartnerschaften und vieles mehr. Wie
gelingt es, diese Vielfalt zu schaffen?
Sicher haben wir durch unsere Erfahrung
und viele Unterstützer besondere Bedingungen. Das ist aber auch das Ergebnis
harter Arbeit von vielen Menschen. Wir
haben 20 Mitarbeiter, dazu 30 Ehrenamtliche – und alle sind kompetent und engagiert. Wir sind schon gut. Über die Jahre
hat sich das Wohnheim zu einem Pilotprojekt entwickelt. In den neuen Auflagen zum
Bau von Gemeinschaftsunterkünften in der
Stadt werden wir als Standard genannt, an
dem man sich orientieren soll. Das zeigt
uns: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Wenn sie ein Dach über dem Kopf haben,
fehlen vielen Flüchtlingen aber immer noch
Sprachkenntnisse. Wie können Sie da helfen?
Sprache lernen ist das A und O. Ehrenamtliche bieten Deutschkurse hier im Wohnheim
an, dazu läuft ein Alphabetisierungskurs in
der Gemeinde am Döhrener Turm, gleich
nebenan. Den Kurs organisiert die Volkshochschule Hannover – als Anfängerunterricht. Was hier im Haus stattfindet, kann
auch von Müttern besucht werden, weil
dann andere Bewohner die Kinderbetreuung übernehmen. Unser Ziel ist es, dass
alle Bewohner durch die Teilnahme an
einem zertifizierten Kurs ihren Spracherfolg belegen können. Diese Kurse kosten
Geld. Dafür haben wir einen Spendenfonds
eingerichtet.
Das breite Engagement, das Sie schildern,
spiegelt auch die momentane Hilfsbereitschaft in der gesamten Gesellschaft wider,
oder?
Absolut. Wir erleben im Moment, dass sich
Dinge bewegen. Menschen willkommen
zu heißen, ist regelrecht zu einem Hype
geworden. Ich finde es toll, das zu erleben.
Gibt Ihnen das Mut, weiter dicke Bretter
zu bohren? Schließlich ist Ihre Leitungsaufgabe kein normaler Job, sondern auch
eine Berufung. Und nicht immer einfach.
Das ist so. Ich möchte, wir möchten, dass
Leben gelingt. Jeder Flüchtling ist ein
Geschöpf Gottes, und wir können durch
Menschlichkeit und Freundschaft ein
wenig Leid lindern. Und unsere Aufgabe
ist es, eine Marke zu setzen. Um Politikern
zu zeigen, was möglich ist. Und ich kann
jedem Interessierten nur Mut machen:
Geht auf die Einrichtungen in eurem Stadtteil zu und fragt, wie ihr helfen könnt.
Zur Person: Irene Wegener leitet seit 1993 das Flüchtlingswohnheim („Flüwo“)
Hannover-Südstadt. Sie ist Diplom-Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin und hat einen
Master in Sozialmanagement. Die 51-Jährige ist ehrenamtlich Mitglied im Aufsichtsrat
des Diakoniewerks Kirchröder Turm.
Aktuelle Infos und Kontaktdaten
unter www.efgadt.de/fluewo
8 siehe oben Juni 2015
Juni 2015 siehe oben 9
Flucht vor 70 Jahren
Krieg, Entwurzelung, mühsame Neuanfänge – gerade die
ältere Generation weiß, was Flüchten bedeutet. Während
des Zweiten Weltkrieges mussten Millionen Deutsche ihre
Heimat verlassen.
1944: Noch haben die „Maiden“
Gelegenheit, ihre Freizeit zu genießen.
Danzig und Umgebung; auf der Flucht
vor der herannahenden Roten Armee
haben sie ihre Heimat verlassen.
Ankunft von Flüchtlingen aus den Ostgebieten
des Deutschen Reiches in Heide/Holstein.
Evakuierung auf Anordnung der Amerikaner:
Ein Junge bewegt mit seiner Mutter (hinter dem
Wagen) alle Habseligkeiten hinaus aus Uerdingen,
das durch deutsches Bombardement gefährdet ist.
Fotos: Bundesarchiv, Bild 146-1996-030-01A / Höber, Brigitte / CC-BY-SA, https://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%BCchtlinge_in_Schleswig-Holstein_%281945%29,
Department of Defense. Department of the Army. Office of the Chief Signal Officer. (09/18/1947 - 02/28/1964), istockphoto.com, privat
Deutsche Zivilisten im Februar 1945 in
Februar 1945. In Rotenburg/Lausitz macht sich
eine Frau auf den Weg nach Westen. Margarete
Bauer. Will der heranrückenden Roten Armee und den
befürchteten Gräueln entgehen. Mit dabei drei Kinder.
Ein Junge, vier Monate alt, liegt im Kinderwagen. Sein
Bruder – nicht einmal zwei – sitzt auf den mitgenommenen Bettsachen. Die große Schwester, gerade mal
dreineinhalb, muss laufen. Mit dabei ist eine Freundin
mit etwas größeren Jungs. Zu Fuß, mit LKW und Bus
geht es gen Westen. In der ersten Nacht kampieren sie
in einer Scheune bei Dresden. Und erleben die verheerenden Bombenangriffe aus der Ferne mit.
Sie flüchteten gen Westen – zu Fuß,
mit LKWs, in Pritschenwagen.
So ist sie mit ihren Kindern am Leben geblieben. Meine
Mutter. Schließlich in Osterode/Harz gelandet bei ihren
Schwiegereltern. Sie hatte ein Ziel. Millionen andere
mussten sich ohne Ziel auf den Weg machen. Millionen andere müssen sich heute auf den Weg machen,
ohne zu wissen, ob sie an ihrem Ziel willkommen sind.
Sie kommen mit dem Flugzeug. Oder eingepfercht
in einem geschlossenen LKW – tagelang unterwegs.
Mancher läuft zu Fuß vom Iran bis nach Europa. 6000
Kilometer mindestens. Sie schippern mit wackeligen
Booten über das Mittelmeer. Tausende lassen dabei ihr
Leben.
Sie flüchten nach Europa – zu Fuß, mit
dem Flugzeug, übers Mittelmeer.
Sie kommen – wenn sie es überhaupt schaffen – in
ein Land, das seit 70 Jahren im Frieden lebt. In dem
unglaublicher Reichtum herrscht. Und Frieden, Sicherheit, Freiheit. Darum geht es ihnen: Aus dem Bürgerkrieg in den Frieden, aus Unterdrückung in Freiheit, aus
Verfolgung in Sicherheit, aus Elend in wirtschaftliche
Absicherung. Was vielleicht die meisten der Migranten gar nicht wissen: Vor 70 Jahren war die Situation
in Europa und besonders in Deutschland ganz anders.
Frieden, Sicherheit, Freiheit waren damals so etwas wie
Fremdworte. Deutschland war eine Trümmerwüste, in
der Millionen Menschen unterwegs waren, die Hals
über Kopf ihre Heimat verlassen und sich irgendwo
ein neues Zuhause suchen mussten. Menschen, die
Deutschland war eine Trümmerwüste.
nahe Angehörige verloren hatten, Haus und Hof
zurücklassen mussten. Und auch für diese Zeit und
diese Menschen gilt: Tausende haben dabei ihr Leben
verloren in der Folge eines Krieges, der geschätzt 50
Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Eine
Weltkatastrophe mit unvorstellbarem Ausmaß.
Heute sind die überlebenden Opfer des Krieges
und von Flucht und Vertreibung, die sich noch erinnern können, mindestens Mitte 70. Viele leben inzwischen in Seniorenheimen, auch
im Diakoniezentrum Jägerallee in
Springe. Zwei von ihnen, Haide
Lange und Brigitte Opitz haben
uns ihre Erlebnisse der letzten
Kriegstage und der Zeit danach
geschildert. Zwei Schicksale,
die unterschiedlicher nicht sein
könnten.
Brigitte Opitz ist bei Kriegsausbruch gerade einmal 5
Jahre alt (Bild rechts). Ihr Vater
dient während des Angriffs
auf Polen in der Wehrmacht.
Danach kehrt er auf den heimischen Hof in Ostpreußen
zurück. Ihr älterer Bruder
ist Soldat. Der Krieg kommt
in ihr Leben, als die ers-
Da war die Welt noch
fast in Ordnung:
Brigitte Opitz mit
ihren Eltern 1943
vor der Veranda des
elterlichen Hofes.
10 siehe oben Juni 2015
Juni 2015 siehe oben 11
Folgen des 2. Weltkriegs:
Flucht und Vertreibung
12 Millionen Displaced Persons nach dem
Krieg in Deutschland: Kriegsgefangene,
Zwangsarbeiter, ehemalige KZ-Insassen.
2,7 Millionen Zuwanderer aus der DDR
in die Bundesrepublik.
den die Familie 1944 verlassen musste.
Sie versuchen, wieder nach Ostpreußen
Auf dem brüchigen Eis steht eiskaltes
Wasser. Die Angst geht mit im Treck.
eiskaltes Wasser. Die Angst geht mit im Treck. Als die
beiden Wagen die rettende Nehrung erreichen, erweist
sich das zusätzliche Pferd als Segen. Bei einem Soldaten wird es gegen die Genehmigung eingetauscht,
über die Nehrung zu fahren und einen Verwundeten
aufzunehmen. Er ist der „Passierschein“ auf dem Weg
nach Pillau. Dort erreicht die Familie Opitz ein Schiff.
In zwei Etappen geht es bis Swinemünde. Aber ihre
Habseligkeiten, Pferd und Wagen müssen sie zurücklassen. Nur noch Handgepäck können sie mitnehmen.
Auf den Schiffen fährt die Angst mit unter den zusammengepferchten Flüchtlingen und Verwundeten. Denn
das Schicksal der Wilhelm Gustloff hatte sich herum-
zu kommen. Eine fatale Entscheidung.
fatale Entscheidung. Schon in der nächsten Nacht werden sie von sowjetischen Soldaten ausgeraubt, die
Frauen vergewaltigt. Brigitte selbst bleibt verschont,
aber die Erinnerung bleibt.
Und Ostpreußen, die Heimat, erreichen sie auch
nicht. Schon die Oder ist ein unüberwindbares Hindernis. Ostern 1945 feiern sie in einem Kuhstall. Weihnachten des Jahres sind sie wieder in Plau. Und finden über das Rote Kreuz den Vater, der in Thüringen
gelandet ist. Auch der Bruder findet zur Familie zurück.
Happy End? Nein, noch lange nicht. Aber die Familie
hatte sich wieder.
Haide Lange wird in diesem Jahr 90. Sehr präsent
sitzt sie vor mir, hat schon ein kleines Album mit Fotos
auf den Tisch gelegt. Haide ist nicht Flüchtling wie so
viele andere, die ihre Heimat in Ostpreußen, Schlesien oder Wolynien verlassen mussten. Sie wohnte im
Ruhrgebiet. Bis sie der Krieg nach Buckowin verschlagen hat. Einem kleinen Nest in Sichtweite der ehemaligen deutsch-polnischen Grenze in Ostpommern. Der
Reichsarbeitsdienst hatte sie dorthin geschickt. 30
Maiden und die entsprechende Zahl von Führerinnen
bewohnten das ehemalige Zollhaus. Haide, gelernte
Chemielaborantin, war als Aushilfslehrerin in der Dorf-
Haide mit ihren Kameradinnen vor
der Unterkunft des Reichsarbeitsdienstes in Buckowin.
OSTSEE
50 000
NORDSEE
Litauen
170 000
60 000
16 000
1,5 Mio.
12 000
290 000
2 Mio.
50 000
17 000
30 000
40 000
430 000
177 000
DEUTSCHLAND
UdSSR
3,5 Mio.
CSR
1,9 Mio.
483 000
150 000
10 000
80 000
213 000
40 000
1 Mio.
33 000
Ukraine
35 000
165 000
UNGARN
ÖSTERREICH
240 000
350 000
65 000
3 Mio.
2 Mio.
Weißrußland
274 000
3,2 Mio.
SCHWEIZ
80 000
POLEN
688 000
1,9 Mio.
(Quelle: wikipedia und
Bundeszentrale für politische Bildung)
20 000
30 000
60 000
253 000
40 000
73 000
RU
40 000
MÄNIEN
298Familie
000ihre
000
men. Haide 17
hat
schließlich gefunden.
Auch
130
für000
sie gab es kein Happy End: Ihr Vater überlebte das
400 000
OSLAWIEN
Kriegsende nur
umJUG
Monate.
Und auch ihre jüngere
Schwester ist bald verstorben. Für sich hat Haide eine
neue Heimat in Hameln gefunden. Seit 2000 ist sie in
BULGAR
Springe. Ihre 15. Station. Von ihrem Zimmer blickt sie IEN
eauf Erdbeerfelder. Noch ein paar Maz
Wochen,
dann gibt es
donien
Erdbeeren im Überfluss.
Überfluss
–
das
gilt
auch120für
ALBANIEN
000
30 000
000Kriegsmich als Nachgeborenem, der 60
die
und Nachkriegsjahre nicht erlebt hat. Es gilt für
meine GeneVergangenheit wird zur Verpflichtung.
700 000
0
100
200 ration.
Die
heute
konfrontiert
ist
mit
einer
Welle von
300 km
TÜRKEI
25 000
Grenzen von 194
Menschen,
die
sich
aus
Not
auf
den
lebensgefährliGRIECHENLAND
7
chen Weg nach Europe, Deutschland machen. Und die
für die Lagerführerinnen. Im Januar 1945 wird dann ihr
gefordert ist, sich einzumischen. Für mich persönlich
Lager geräumt. Für die Maiden heißt es alles anzuzieheißt es, dass ich mich einsetze für Flüchtlinge. Aktuhen, was möglich ist. Haide gehört zur Nachhut, kümTUNESIEN
ell für einen Christen aus Afghanistan, den wir in meiMITTELMEER
mert sich noch darum, dass die Kasse ordentlich überner Gemeinde vor Abschiebung schützen. Und für eine
geben wird. Mit allem, was möglich ist,
versuchen
sie
Quelle: Die Flucht. Übe
Gruppe
von Iranern, die uns vor „die Füße gefalr die Vertganze
reibung der
Deutschen, S.183.
Richtung Westen zu kommen. In Berlin erwischen die
© ZMSBw
len sind“.
057 41- 07
Mädchen einen Güterzug mit Flugzeugen. Die Piloten
nehmen sie in den Kanzeln mit durch die Nacht auf
dem Weg nach Leipzig.
Haide erreicht mit ihren Kameradinnen ein RADLager in Thüringen. Willkommen sind sie nicht, denn
für die Neuen gibt es nicht zusätzliche Verpflegung.
Dann erreicht sie eine Nachricht ihres Vaters: „KümDiakoniezentrum Jägerallee Springe
mere dich nicht mehr um Vorgesetzte. Sieh zu, dass
www.diakoniezentrum-springe.de
du zur Mutter nach Schulenburg/Leine kommst.“ Haide
macht sich auf den Weg, schleppt sogar den Koffer der
Wolfgang Bauer sprach mit Brigitte Opitz und Haide
Lagerführerin mit, die sich auf dem Staub gemacht hat.
Lange. Sie wohnen im Diakoniezentrum Jägerallee in
Und sie bleibt eigenartig bewahrt – wie sie heute weiß.
Springe. Wolfgang Bauer ist Redakteur und Pastor in
Essen holten sie sich aus verlassenen RAD-Lagern, mitNortheim. Seine Mutter machte sich im Februar 1945 mit
genommen wurden sie schonmal von amerikanischen
drei kleinen Kindern auf die Flucht aus der Lausitz.
Soldaten – trotz brauner Uniform. Und sind mindestens
zweimal unbeschadet durch die Kampflinie gekom-
schule eingesetzt: Lesen, Schreiben und Geografie
sollte die junge Frau den Grundschülern der 1. bis 4.
Klasse beibringen. Natürlich alle in einem Raum.
Buckowin – das war für die Mädchen das Ende der
ITALIEN
Welt. Aber ein idyllisches Ende. Vom Krieg haben sie
nicht viel mitbekommen. Von der aus Osten heranrückenden Front wussten sie nichts. Radios gab es nur
Fotos: privat; shutterstock/Vitalii Tiagunov
ten Flüchtlinge aus Litauen mit Pferd und Wagen kommen und auf dem Hof Station machen auf dem Weg
„heim ins Reich“. Wenig später sind es Ausgebombte
aus Königsberg, die auf dem Hof aufgenommen werden. Im Oktober 1944 hat der Vormarsch der Roten
Armee schon die Grenzen Ostpreußens überschritten.
Und die Eltern von Brigitte handeln. Hastig wird das
nötigste Hab und Gut auf einen Pferdewagen geladen.
Dann geht es auf den Weg Richtung Süden. Wertsachen haben die Eltern auf dem Hof vergraben. Sie rechnen mit einer Rückkehr.
Doch die Lage spitzt sich zu. Als die sowjetischen
Truppen die Ostsee bei Elbing erreichen, sitzen die Ostpreußen in der Falle. Der Landweg Richtung Westen ist
versperrt und die feindlichen Truppen kommen immer
näher. In ihrer Verzweiflung versuchen die Menschen,
über das zugefrorene Frische Haff zu entkommen. Auch
Brigittes Eltern machen sich auf den gefährlichen Weg.
Mit dabei ist ihr Onkel, der an seinem Wagen noch ein
zweites Pferd mitführt.
Aus Furcht vor Tieffliegern wagen sie sich nachts
auf den Weg, der gesäumt ist von Leichen, toten Pferden, versunkenen Wagen. Auf dem brüchigen Eis steht
DÄNEMARK
Grafik in der Collage aus: Bundeszentrale für politische Bildung, Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen, S.183
Foto: Shutterstock/LiliGraphie
Tief verschneit der ostpreußische Hof,
14 Millionen Flüchtlinge, Deportierte und
Vertriebene deutscher Staatsangehörigkeit.
7 Millionen aus ehemals deutschen
Gebieten östlich von Oder und Neiße.
3 Millionen aus der Tschechoslowakei,
1,4 Millionen aus Polen, 300.000 aus Danzig,
300.000 aus Jugoslawien, 200.000 aus Ungarn,
130.000 aus Rumänien. 1 Million Menschen
werden in die UdSSR deportiert.
2 Millionen Menschen überleben
Flucht und Vertreibung nicht.
gesprochen. 9000 Menschen kamen bei ihrem Untergang Ende Januar 1945 ums Leben. Von Swinemünde
aus geht es mit dem Zug nach Plau am See in Mecklenburg, wo die Flüchtlinge bei einem Bäcker unterkommen: Sieben Menschen in einem Zimmer. Es ist eine
Zeit des Aufatmens. Trotz Kopfläusen und Dank der
Lebensmittelkarten geht es im Haus des Bäckers relativ
gut. Das ändert sich auch nicht, als die Rote Armee die
Stadt einnimmt. Keine Spur von Gewaltexzessen. Und
die Flüchtlinge machen sich auf den Weg gen Osten,
versuchen wieder nach Ostpreußen zu kommen. Eine
Kontine
(Umsiedlungen in Mi nt der Vertreibungen
ttel- und Osteuropa
1944 bis 1952)
12 siehe oben Juni 2015
Juni 2015 siehe oben 13
Wer Flüchtlingen hilft, stärkt
die Demokratie.
2013: Mitmachkonzert des Chores „Gospelcontact“
im Flüchtlingswohnheim am Döhrener Turm.
Fotos: gospelcontact
Doris Schröder-Köpf über gelingende Integration.
In Deutschland werden bis zum Ende des Jahres 2015
nach einer Prognose des Bundesamtes für Migration
und Flüchtlinge voraussichtlich 400.000 Asylerstanträge
erwartet. Menschen flüchten zu uns, die in Deutschland
und Niedersachsen Zuflucht und Schutz suchen. Neben
Bund und Land leisten die Kommunen in Niedersachen
einen großen Beitrag bei der Aufnahme, Unterbringung
und Versorgung dieser Menschen. Die anhaltend hohen
bzw. noch steigenden Zugangszahlen an aufzunehmenden Schutzbedürftigen stellen die niedersächsischen
Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung dieser
Menschen vor zunehmende Schwierigkeiten, die immer
stärkere finanzielle und organisatorische Anstrengungen
erfordern. Das Land Niedersachen entlastet die Kommunen daher mit einer zusätzlichen Soforthilfe von 40 Millionen Euro noch für dieses Jahr.
Überall in Niedersachsen gibt es eine große Offenheit
und Bereitschaft, auf Flüchtlinge zuzugehen und zu helfen. Mir begegnen Menschen, die ganz selbstverständlich
und kein Aufhebens davon zu machen, Flüchtlingen bei
ihren ersten Schritten in unserem Land helfen. Ehrenamtlich Aktive arbeiten für und mit den Menschen, die in Niedersachsen angekommen sind und hier eine neue Heimat
finden möchten.
Nach meiner festen Überzeugung helfen sie damit
nicht nur den betroffenen Menschen, sondern auch unserer Demokratie. Ehrenamtliches Engagement schafft Vertrauen und sichert den Zusammenhalt des Gemeinwesens.
Willkommenskultur und soziales Engagement unterstützen die Teilhabechancen aller und sorgen damit auch für
die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Deutschland oder Niedersachsen können sicherlich
nicht allein das ganze Leid in der Welt beseitigen. Dies entbindet uns aber nicht von der Verpflichtung, durch konkrete Maßnahmen hier in Niedersachsen Flüchtlingen zu
helfen und Menschen, die in ihrem Heimatland vom Tode
bedroht sind, beizustehen. Dies wird auch zukünftig Richtschnur unseres Handelns sein.
Kirchen und Wohlfahrtsverbände sind wichtige
Akteure in der ehrenamtlichen Arbeit. Ehrenamtlich engagierte Menschen leisten großartige Arbeit und einen
unschätzbaren Beitrag für die Gesellschaft. Sie bieten
Sprachunterricht oder Nachhilfe an, begleiten die Menschen auf Behördengängen und kümmern sich um Klei-
dungs- und Sachspenden. Bürgerschaftliches Engagement muss allerdings in eine Struktur eingebettet sein und
koordiniert werden. Wichtig ist, dass Ehrenamtliche und
Hauptamtliche an einem Strang ziehen. Dieses hilft den
Menschen, für die man sich einsetzen und denen man helfen möchte.
Sehr gut funktioniert dies auf der Ebene der qualifiDoris Schröder-Köpf
zierten Integrationslotsen, die im Rahmen der durch das
Landtagsabgeordnete
Land Niedersachsen geförderten Schulungen über ein
(SPD),
Fundament an Wissen verfügen, das ihnen ein sinnvolLandesbeauftragte für
les und wirklich unterstützendes Engagement ermögMigration und Teilhabe
licht. Gleichzeitig wird der Einsatz der Integrationslotsen
koordiniert und bleibt nicht zufällig oder willkürlich. Hier
kommt den mittlerweile fast landesweit eingerichteten
Koordinierungsstellen Migration und Teilhabe eine wichtige Bedeutung zu. Die Bewerbungen für den Niedersächsischen Integrationspreis mit dem Titel „Zuflucht Niedersachsen“ im vergangenen Juni zeigten mir als Juryvorsitzende erneut die riesige Bandbreite des zivilgesellschaftlichen Engagements hier in unserem Land. Da sorgen sich
Braunschweiger Kleingärtner um Flüchtlingskinder und
legen mit ihnen Beete an. Pensionierte Lehrerinnen bieten
in Dinklage Flüchtlingen Sprachkurse mit Kinderbetreuung an.
Ehrenamtliche des Refugiums
Wesermarsch statten Flüchtlinge
Wichtig ist, dass
aus aller Welt mit gebrauchEhrenamtliche und
ten Möbeln aus, um für sie ein
Hauptamtliche an einem
gemütliches neues Zuhause zu
schaffen. Andere Gruppen, wie
Strang ziehen.
der Unterstützerkreis für Flüchtlingsunterkünfte in Hannover,
dessen Schirmherrin zu sein ich
die Ehre habe, bemühen sich, Vorurteile zu zerstreuen und
Begegnungen zwischen Anwohnern und Flüchtlingen zu
ermöglichen.
Das Land Niedersachsen, die Kommunen und die
ehrenamtlich engagierten Menschen leisten hervorragende Arbeit in der Flüchtlingspolitik. Wir sind bereit
noch mehr zu tun. Flüchtlingspolitik ist eine gesamtstaatliche Aufgabe von Europäischer Union, Bund, Ländern und
Kommunen. Ich wünsche mir, dass der Bund und die Europäische Union noch mehr Engagement in der Flüchtlingspolitik zeigen.
14 siehe oben Juni 2015
Juni 2015 siehe oben 15
Beratungsstelle Kirchröder Turm
Wo soll ich fliehen hin? – Flucht als Thema
in Beratung und Therapie
Vier Werte prägen die Arbeit des
Diakoniewerkes Kirchröder Turm: Kompetenz,
Mut, Barmherzigkeit und Heimat.
Wie können sie konkret Gestalt gewinnen?
Diakoniewerk Kirchröder Turm
Diakonie – eine Haltung: Wir bieten Heimat.
Ralph Zintarra,
Vorstand
Diakoniewerk
Kirchröder Turm,
Leiter Dienste
in Israel
Wer bedürftigen und in Not geratenen Menschen eine Zuflucht bieten
will, muss selbst einen solchen Ort
haben. Denn wir können nur das mit
anderen teilen, was wir selbst glaubwürdig leben, was wir sind und haben.
Kürzlich bin ich einem Baum
begegnet, den ich mit dem Stichwort
„Zuflucht“ verbinde. Dieser Baum
steht in Jerusalem, in der Gedenkstätte Yad Vashem. Dort in der „Allee
der Gerechten“ werden Menschen
geehrt, die in der NS-Zeit Juden das
Leben gerettet und sich dabei selber in Lebensgefahr gebracht haben.
Dieser Baum wurde für die Holländerin Corrie ten Boom und ihre Familie
gepflanzt.
Über 4 Jahre versteckte und versorgte Corrie ten Boom mit ihrer Familie mehrere jüdische Menschen in
ihrem Haus. Das war höchst gefährlich. Im April 1944 wurden die Ten
Booms denunziert und verhaftet.
Der Vater der Familie starb noch in
der Haft. Corrie ten Boom wurde
zusammen mit ihrer Schwester ins KZ
Ravensbrück deportiert. Anders als
ihre Schwester Betsie überlebte sie die
Qualen.
Mit einer Bibel, die sie bei ihrer
Einlieferung ins Lager an der Kontrolle vorbei einschmuggeln konnten,
hielten die Schwestern im Lager heimlich Bibelstunden und stärkten damit
die Hoffnung und den Überlebenswillen vieler Mitgefangener. Ihre bewegende Autobiographie trägt in Anlehnung an das Versteck im Hause ten
Boom den Namen „Die Zuflucht“.
Woher nimmt ein Mensch, eine
Familie die Kraft, so unerschrocken zu
sein und zu handeln? Etwa 40 Jahre
nach diesen Ereignissen ist ein Lied
entstanden in Anlehnung an Psalm
90,1, das eine Antwort gibt: Du bist
mein Zufluchtsort. Ich berge mich in
deiner Hand, denn du schützt mich,
Herr. Wann immer mich Angst befällt,
traue ich auf dich!
Einen Zufluchtsort haben, Schutz
und Hilfe erleben – das zieht sich auch
wie ein roter Faden durch die unterschiedlichen Hilfefelder, in denen wir
als Diakoniewerk Kirchröder Turm
tätig sind: „L!fe Concepts Kirchröder Turm“ hieß vormals „Kinderheimat Gifhorn“. Im Diakoniezentrum
Springe gibt es „yocas“ – ein „Zuhause
für junge Pflegebedürftige“ oder auch
die „Heimatstube“, ein beschützter
gerontopsychiatrischer Bereich für
Menschen mit Demenz. Die „Casa
della vita“ auf dem Gelände in Hannover will ein „sicherer Ort“ für traumatisierte Kinder und Jugendliche sein.
Die Volontäre von „Dienste in Israel“
haben in Jerusalem eine Anlaufstelle,
wo sie Begleitung und Freundschaft
erleben – einen Rahmen der Geborgenheit.
In der Handreichung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Diakoniewerkes Kirchröder Turm heißt es:
Heimat ist ein sicherer Ort, an dem wir
Identität finden, Geborgenheit erleben und aktiv zur Gestaltung unseres
Lebens beitragen können. Wir bieten
dem Hilfebedürftigen einen äußeren
Raum des Vertrauens und Vertrauten,
in dem er in seiner Not zu einer inneren Sicherheit gelangen kann.
In der Gegenwart solcher Menschen fühlen wir uns gut aufgehoben!
Ich habe großen Respekt vor Corrie
ten Boom und ihrer Familie – großen
Respekt davor, wie unerschrocken
sie und weitere Menschen in ihrem
Umfeld ihren Glauben gelebt und sich
für Juden eingesetzt haben.
Ich habe großen Respekt vor den
Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in
unserem Diakoniewerk, die auf ihre
Weise heimat-gebend und glaubwürdig leben. Und ich habe großen
Respekt vor all den Menschen, die sich
gegenwärtig unerschrocken für die
Belange von Flüchtlingen einsetzen.
sie jüdische Mitbürger. Sie überlebte die KZ-Haft und
wurde zu einer Botschafterin der Versöhnung. In Israel
erinnert ein Gedenk-Baum an sie und ihre Familie.
Fotos: Diakoniewerk; Corrie-Ten-Boom-House
Vorbild Corrie ten Boom: Während der NS-Zeit rettete
Wenn man das Wort Flucht nachschlägt, trifft man auf zwei Bedeutungen: Erstens bezeichnet „Flucht“ das
unerlaubte und heimliche Verlassen
eines Landes oder Ortes und zweitens
das Ausweichen aus einer als unangenehm empfundenen oder nicht zu
bewältigenden Lebenssituation.
Für Menschen, die sich zurzeit zu
Tausenden auf die Flucht machen, gilt
sicher beides. Wenn sie hier ankommen und traumatisiert sind brauchen
sie fachspezifische Hilfe, die in Hannover z.B. das Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen
anbietet (s. Kasten). Als Beratungsstelle arbeiten wir mit solchen und
anderen Fachstellen zusammen. Wir
wären auch in der Lage, dem einen
oder anderen direkt zu helfen, wenn
dafür Gelder zur Verfügung gestellt
würden. Sollten solche Anfragen vermehrt auf uns zu kommen, müssten
wir ein Konzept entwickeln, wie wir
Flüchtlingen helfen können.
Zurzeit begegnen uns in der Beratungsstelle eher Menschen, für die
die zweite Definition zutrifft. Die
Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein. Der Liederdichter Gerhard Schöne beschreibt es so: Wo soll
ich fliehen hin, wenn ich mir selbst
nichts bin? Fühl ich mich überflüssig,
des Lebens überdrüssig, dann möcht
ich mich verkriechen, nichts sehen,
hören, riechen.1 Eine Folge kann die
Flucht in die Einsamkeit sein, aus der
sich eine soziale Phobie entwickeln
kann. Oder die Flucht in eine Sucht,
die nichts anderes ist als die Sehnsucht
nach Erfüllung. Flucht kann auch das
Versinken in eine Traumwelt bedeuten. Da die Realität scheinbar nichts
Gutes bietet, schaffe ich mir eben eine
andere Welt.
Flight or Fight? Ursache von
Trauma-Folgestörungen
Ein weiterer Aspekt, mit dem wir
es häufig zu tun haben, kommt aus
dem Bereich der Traumatherapie unter
der Überschrift: Fight or Flight. Die
übliche Reaktion auf eine Bedrohung
oder Gefahr ist Kampf oder Flucht.
Diese reflexartige Reaktion sichert das
Überleben des Menschen in Situationen, in denen es um Leben oder Tod
gehen kann. Ist es möglich, sich gegen
einen Angreifer erfolgreich zu wehren oder sich durch Flucht in Sicherheit
zu bringen, wird ein solches Erlebnis
in aller Regel gut verarbeitet werden
können.
Wenn weder mit Kampf noch
mit Flucht auf eine lebensgefährliche
Bedrohung reagiert werden kann, entsteht ein Trauma. Das Gehirn kann das
Geschehen bei einem Trauma nicht als
Gesamtheit verarbeiten und als Erinnerung speichern, sondern zerlegt es
in „Einzelteile“. Einzelne Bilder oder
auch Bruchstücke davon, Gefühlsqualitäten und Sinneseindrücke werden
als Fragmente „zwischengelagert“
und vom Tagesbewusstsein abgespaltet. Das führt zu den Symptomen von
Trauma-Folgestörungen.
Kriegsenkel: Traumata aus dem
Zweiten Weltkrieg
Und dann gibt es natürlich bei uns
noch immer die Gruppe der Menschen,
die ganz konkret als Kinder Flucht und
Vertreibung infolge des zweiten Weltkriegs erlebt haben. Die oft zitierte
„vergessene Generation“, über deren
Verlusterfahrungen einfach hinweggegangen wurde. Wie wir heute wissen, leiden sie bis ins Alter an diesen
unverarbeiteten Folgen, die man bei
manchen durchaus als posttraumatische Belastungsstörungen bezeichnen würde. Auch ihre Kinder, die s.g.
Kriegsenkel kommen erst im Laufe von
Therapiegesprächen auf Themen wie
tiefe Verletzungen, seltsame Fremdheitsgefühle und häufig ein überstarkes Verantwortungsbewusstsein zu
sprechen, deren Ursache Flucht und
Vertreibung ihrer Eltern sind. Flucht
als Thema in Beratung und Therapie –
was brauchen Flüchtlinge, um wieder
Fuß fassen zu können? Orte, wo sie
ankommen können, zwischenlanden,
neue Bewältigungsstrategien entwickeln, um wieder ein Zuhause finden
zu können, innerlich und äußerlich.
Väterliche und mütterliche Menschen,
die ihnen ein Stück „Zuhause“ anbieten. Das entspricht unserem Wert im
Diakoniewerk, wenn wir sagen: „Wir
bieten Heimat.“
Sabine Mascher,
Leiterin Beratungsstelle
Kirchröder Turm
„Wir sind für das Überleben
gemacht.“
Der international anerkannte
Trauma- und Krisenspezialist Georg
Pieper sagt: „Wir sind für das Überleben gemacht! Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die ureigenen Fähigkeiten und Kräfte des Menschen – nämlich, sich anzupassen, Herausforderungen anzupacken, Schwierigkeiten,
Rückschläge, Schicksalsschläge nicht
nur hinzunehmen, sondern sie auch
bewältigen können.“2
Und manchmal mag der/die eine
oder andere Ratsuchende dann vielleicht auch die letzte Strophe von Gerhard Schönes Lied für sich buchstabieren: Ich hab es satt zu fliehn. Komm zu
mir, Herr des Lebens, dass ich nicht leb
vergebens. Mach mich und andre Leichen zu deinem Lebenszeichen.3
Infos und Anmeldung:
beratungsstelle-am-kirchroeder-turm.de
Traumatisierten Flüchtlingen helfen
Das Netzwerk für traumatisierte Flüchtlinge in
Niedersachsen (NTFN) mit Sitz in Hannover arbeitet mit
Dolmetschern, macht Krisenintervention und vermittelt
weiter an Therapeuten, Ärzte, Rechtsanwälte. Die
Beratung ist kostenlos.
NTFN e.V., Marienstr. 28, 30171 Hannover, ntfn.de
1: Gerhard Schöne, 1990: Lebenszeichen, Liederbuch, Baiersdorf 1991, 3: ebendort
2: Überleben oder Scheitern. Die Kunst, Krisen zu bestehen und daran zu wachsen, Knaus-Verlag 2012, S. 13ff)
16 siehe oben Juni 2015
return Fachstelle Mediensucht
Fachstelle return plant wissenschaftliche Studie
Schleichender Exit: Flucht in virtuelle Welten
Massive Probleme durch Pornokonsum:
Jugendliche werden beziehungsunfähig.
Sie wollen einfach nur weg aus einer Welt, für die
sich der Einsatz ihrer Ansicht nach nicht lohnt.
Leiter von return
Fachstelle Mediensucht,
Hannover
sen ihre Heimat. Manchmal geplant,
oft genug aber auch Hals über Kopf.
Viele Jugendliche und auch Erwachsene, die unsere Beratungsstelle aufsuchen, sind auch auf einer Flucht. Sie
alle erzählen uns aber ganz andere
Fluchtgeschichten, als die, die wir normalerweise mit dem Wort „Flucht“
verbinden. Sie leiden keinen Hunger,
sie werden nicht mit dem Tod bedroht,
auch nicht staatlich verfolgt, weil sie
bestimmte Ansichten vertreten.
Sie wollen einfach nur weg, weg
aus einer Welt, für die sich der Einsatz
ihrer Ansicht nach nicht lohnt. Schule,
Ausbildung, Partnerschaft, Familie – in
solche Ziele investieren sie schon mehr
oder weniger lange keine Zeit und
Kraft mehr.
Ihre Entscheidung, in die virtuellen
Welten von Computerspielen zu flüchten, haben sie in der Regel nie bewusst
getroffen. Vielen ist noch nicht einmal
wirklich klar, dass sie sich auf einer
Flucht befinden – auf einer Flucht vor
sich selbst und den Realitäten ihres
Lebens. Ihr Fluchtprozess kommt viel-
Leben zu gestalten und ihm eine neue
mehr schleichend in Gang. Sie haben
Richtung zu geben. In Gesprächen mit
sich zunächst einfach anstecken lasJugendlichen erleben wir jedoch, dass
sen von den faszinierenden Möglichsehr viele von ihnen, insbesondere die
keiten und Erfahrungen in phantastiJungen, noch eine ganz andere Flucht
schen Online-Spielewelten, den tollen
antreten.
Gefühlen von Wettkampf, Sieg und
Wir sind erschüttert von einer
Heldentum. Die Vernachlässigung des
regelrechten Massenflucht, deren
eigenen Lebens, die damit Stück für
Zeuge wir werden. Ein Beispiel: Ein
Stück einhergeht, haben sie zunächst
Student der eigentlich wegen exzesgar nicht wirklich realisiert, obwohl
siven Computerspielens zu uns kommt,
Mitmenschen sie meist schon früh
berichtet in der Beratung ganz ehrlich
darauf aufmerksam gemacht haben.
davon, dass er seit Jahren mehrmals
Viele von ihnen lassen sich leider
pro Woche Pornografie im Internet
jahrelang nicht von ihrer Flucht abhalkonsumiert.
ten. Eltern versuchen in dieser Zeit oft
Seine Beziehungen zu Frauen sind
verzweifelt, alles in ihrer Macht steoberflächlich und immer nur von kurhende zu tun, um ihre heranwachsenzer Dauer. Er gesteht, dass er bereits
den Kinder zum Anhalten, zum Innnezu Beginn einer neuen Beziehung das
halten, zum Umkehren zu bewegen.
baldige Aus vor Augen hat. Er kann
Nicht selten braucht es einen
starken Impuls, eine
gescheiterte
AusbilWir sind erschüttert von einer regelrechten
dung, den Verlust des
Massenflucht, deren Zeuge wir werden.
Arbeitsplatzes oder massive körperliche Folgen,
und will sich gar nicht wirklich auf eine
die dem Betroffenen deutlich machen,
Frau einlassen. Er flüchtet vor Verbinddass er nicht auf der Flucht in ein beslichkeit, Tiefe, echter Intimität und verseres, freieres Land ist, sondern sich
letzt sich und andere damit. Die Porauf dem Weg in eine zunehmende
nos geben ihm ganz einfach und jederAbhängigkeit und Unfreiheit befindet.
zeit einen schnellen Kick, eine Illusion
Wir Mitarbeiter von return nehvon Nähe. Er begreift im Gespräch die
men uns Zeit für solche Menschen.
Zusammenhänge zwischen seinem
Wir helfen ihnen, sich wieder heiKonsum und der Sicht auf Frauen, den
misch zu fühlen bei sich selbst, bieten
Fluchtmechanismus und beginnt, sich
ein Stück Heimat an in unseren Räumit den langfristigen Konsequenzen
men und fordern sie heraus, nicht länauseinanderzusetzen. Ein Einzelfall?
ger vor den Realitäten ihres Lebens zu
Leider nicht.
flüchten, sondern sich zu stellen, ihr
Eberhard Freitag
Wenn Jugendliche in Workshops
unserer Fachstelle gefragt werden,
wie viele ihrer Klassenkameraden ihrer
Meinung nach Pornografie konsumieren, antworten sie: „Schätzungsweise zwischen 80 und 100 Prozent“.
Falls dies der Realität entspricht, hat
Deutschland ein massives Problem.
Denn Pornokonsum schädigt nachhaltig die Beziehungsfähigkeit junger Menschen. Partnerschaften und
Familien der nächsten Generation sind
gefährdet.
Wir wollen die tatsächliche Häufigkeit des Konsums mittels einer Studie exakt erfragen, weil es keine aktuellen Zahlen dazu in Deutschland gibt.
Denn wir wollen nicht mit Vermutungen und Verdächtigungen argumentieren, sondern mit Fakten. Die
Wissenschaft zeigt bislang wenig Inte-
resse an diesem Thema. Studien aus
dem Jahr 2008, die wir mangels aktuellerer Zahlen verwenden, stammen
aus einer Zeit, in der das mobile Internet in der Hosentasche noch kaum
verbreitet war.
Gegenwärtig sind wir im Gespräch
mit einem Forschungsinstitut, um eine
repräsentative Befragung mit ca 2.000
Jugendlichen zu deren Konsummustern und -folgen durchzuführen.
Wir sind davon überzeugt, dass
wir dadurch Ergebnisse werden präsentieren können, die der Beschäftigung mit dieser Problematik einen
starken Schub verleihen und unser
Anliegen weiter voranbringen werden. Die Kosten einer solchen Studie
(ca. 20.000 €) können wir nicht aus
eigener Kraft stemmen, sondern wir
sind darauf angewiesen, dass Men-
schen dieses Anliegen mit auf ihr Herz
nehmen und uns dabei unterstützen.
Dürfen wir Sie für dieses Projekt um
eine Spende bitten?
return Fachstelle Mediensucht
www.return-mediensucht.de
Spenden zur Realisierung der Studie bitte
an return Fachstelle Mediensucht
Eberhard Freitag, Leiter return
Spar- und Kreditbank Bad Homburg
IBAN: DE05 5009 2100 0001 1189 00
BIC: GENODE51BH2
Verwendungszweck: Studie return
Pornos sind nicht harmlos
Fotos: Dietrich Riesen, Hannover
Menschen flüchten in der Regel
nicht freiwillig, sondern weil ihre
Lebensverhältnisse
unerträglich
geworden sind. Sie treffen irgendwann und irgendwo eine klare Entscheidung, brechen auf und verlas-
Eberhard Freitag
Juni 2015 siehe oben 17
Kinder und Jugendliche brauchen Hilfe, um die Auswirkungen von Pornokonsum zu durchschauen und eine fundierte Haltung dazu zu gewinnen.
Das innovative Lehrmaterial »Fit for Love?« vermittelt eine beziehungsorientierte
Sexualpädagogik.
Weitere Infos und Bestellung unter
www.fit-for-love.org
18 siehe oben Juni 2015
Juni 2015 siehe oben 19
Mit Kreativität und
Wertschätzung Fluchthelfer sein
Riesige Flüchtlingsströme, Menschen jeden Alters verlassen ihre
angestammte Heimat, um wenigstens
das nackte Leben zu retten. Schon
lange war abzusehen, dass solche
Massenbewegungen einsetzen würden, wenn die reichen Länder nicht
eigene Gewohnheiten überdenken
und notwendiges Knowhow, Sachund Finanzmittel, Kompetenzen und
umfängliche Unterstützung zur Verfügung stellen. Nirgendwo scheint man
angemessen vorbereitet zu sein auf
dieses große Elend, die Einzelschicksale und adäquate und würdevolle
Hilfen.
Riesige Flüchtlingsströme.
Sind wir vorbereitet?
Auch bei L!FE CONCEPTS haben
wir uns dieser Entwicklung zu stellen. Erste unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind vorübergehend
in
unsere
Inobhutnahmegruppe
ENTRADA eingezogen. Wundervolle junge Menschen mit Träumen
und Sehnsüchten. Die KollegInnen
dort geben ihr Bestes. Aber das ist
nicht wirklich viel in Relation zu dem,
was den Einzelnen widerfahren ist.
Manches lässt sich nur erahnen, aber
nicht wirklich verstehen. Es scheitert
bereits an sprachlichen Barrieren, weil
wir nicht die verschiedenen Muttersprachen beherrschen und unsere
Gäste weder deutsch noch englisch
sprechen. Dolmetscher stehen nicht
zur Verfügung. Durch Andeutungen,
Gesten oder auch nächtliche Alpträume lässt sich im Ansatz ermessen, welche Traumatisierungen hinter ihnen liegen. Aber auch wenn
Unbegleitete Minderjährige
Flüchtlinge bei l!fe concepts
die eigentlichen Traumaerlebnisse
der Vergangenheit angehören, sind
die Erinnerungen nicht einfach ausgelöscht, sondern haben schlimme
Narben in den Seelen hinterlassen.
Bisher hatten unsere neuen
Bewohner kaum Gelegenheiten zu
Beratung, Therapie oder auch nur
zum Verbalisieren all der schlimmen
Erfahrungen vor empathischen Zuhörern. Niemand versteht sie. Trotzdem hilft es schon ein wenig, einfach
da zu sein, ihnen ausreichend Nahrung, Kleidung, eine äußeren Ort der
Sicherheit, Zeit zur Verfügung zu stellen, einen ermunternden Blick zuzuwerfen, eine spontane herzliche Geste
zu verschenken… Von den jungen
Menschen selbst bekommen wir viel
zurück. Sie verhalten sich unglaublich freundlich, höflich und aufmerksam. Sie sind interessiert und wissbegierig, hilfsbereit und sofort zur Stelle,
wenn die PädagogInnen ihre Handreichungen benötigen.
Wir wissen, dass es sich bei
unserem derzeitigen Einsatz lediglich um einen Tropfen auf den heißen
Stein handelt und weitaus mehr Fragen als Antworten vorhanden sind.
Trotzdem wollen wir auf diesem Feld
offen sein für Herausforderungen
und mit unseren Ideen zu kleinen
Lösungen und zur Verbesserung einzelner Lebenssituationen beitragen.
Aber das Thema Flucht begegnet uns auch in anderen Kontexten aus völlig anderen Perspektiven:
Wenn unsere Kolleginnen im Rahmen unseres Projektes SODISTRA die
Sexarbeiterinnen in ihren Liebesmobilen besuchen, haben wir es dort
mit Frauen zu tun, die auf der Flucht
sind. Keine der Liebesdienerinnen hält
sich dort auf, weil sie käufliche Liebe
so attraktiv fände, sondern es ist aus
subjektiver Warte oft die einzige Möglichkeit aus unglaublicher Armut zu
fliehen. Selbst die Freier könnte man
unser dem Aspekt Flucht betrachten;
Flucht aus einem Alltag, in dem innere
und äußere Sehnsüchte nicht gestillt
werden, in dem Partnerschaft und
Sexualität nicht die erhoffte Erfüllung
bringen, in dem Überforderungen
über wenige Momente körperlicher
Lust kompensiert werden.
Oder da sind die von uns betreuten
Familien, die aufgrund von Arbeitslosigkeit, fehlender Bildung und anderer Faktoren zu wenig Geld besitzen, um ihren Alltag effizient meistern zu können. Trotzdem schaffen
sie es häufig innerhalb ihres persönlichen Wohnumfeldes irgendwie eine
Konsum als Flucht, um
die eigene Bedürftigkeit nicht so
intensiv zu spüren
„Medienvollausstattung“ mit großem
Flachbild-TV, teuren PCs, Anlagen für
Musik und DVDs etc. zu ergattern,
um sich unerreichbare Traumwelten
wenigstens über virtuelle und andere
technische Möglichkeiten zu erschließen. Auch für Zigaretten, Alkohol und
andere Rauschmittel ist gelegentlich Geld vorhanden – Fluchtmöglichkeiten, um die eigene Bedürftigkeit
nicht so intensiv zu spüren.
Wenn unsere BewohnerInnen der
CASA DELLA VITA von ihrer Umwelt
vielfach als aggressive, abweisende,
destruktive, unmögliche jugendliche Regelverletzer wahrgenommen
werden, gibt es aus persönlicher
Sicht jeweils gute Gründe dafür, sich
genauso zu verhalten. Aus ehemaligen „Opfern“ werden Menschen,
die nie wieder Opfer sein wollen und
sich deshalb über die gezeigte Härte
vor erneuten Verletzungen schützen.
Sie fliehen aus einer passiven in eine
aktive Rolle, die in der Regel zwar
nicht das Wohlbefinden erzeugt, nach
dem gesucht wird; aber das ist immer
noch besser, als dauerhaft hilflos zu
bleiben.
Wir können immer wieder beobachten, wie Kinder aus Verwahrlosungssituationen sich extrem früh
als sexuelle Wesen begreifen. Damit
ist nicht die normale Neugierde und
gesunde Lust am Entdecken des
eigenen Geschlechts und der eigenen Sexualität gemeint – das darf
und soll so sein. Aber weil sie selbst
nicht die erforderlichen, sicheren Bindungen erfahren haben, flüchten sie
sehr schnell in unterschiedlichste und
wechselnde sexuelle Kontakte, um
darüber Wärme, Zuwendung, Akzeptanz, Nähe und scheinbare Liebe zu
geben und zu erhalten.
Ich entsinne mich an eine Situation, in der mir ein Mädchen aus
Sehnsucht nach Geborgenheit mal
erzählte, dass sie ganz früh eine Partnerschaft zu einem Mann eingehen
wolle. Der könne sie dann auch ruhig
schlagen, Hauptsache es sei ihr eigener Mann. Unreife Partnerschaft als
Fluchtmöglichkeit aus empfundener
eigener Kälte. Es wäre schön, wenn
„Flüchtende“ wahrnehmen und
wertschätzend begleiten
Jürgen Scheidt,
Geschäftsführer von
jeder von uns im persönlichen,
beruflichen oder sonstigen Umfeld
einen Blick für „flüchtende“ Menschen erhalten oder entwickeln
würde, um mit Kreativität und
Wertschätzung „Fluchthelfer“ zu
sein. Dazu braucht man einfach
ein offenes Herz. Wir könnten es
trainieren: Das „Herzenhören“…
L!FE CONCEPTS,
dem Zentrum
der Kinder-, Jugend-,
Familien- und
Lebenshilfe in Gifhorn.
Jürgen Scheidt ist
Vorstandsvorsitzender
im Diakoniewerk
Kirchröder Turm.
Mehr Informationen:
www.lifeconcepts-kt.de
Manchmal statte ich unserer
Psychologin Sandra Mielau eine kurze
Stippvisite ab, wenn sie gerade ein
Kind zur Spieltherapie bei sich hat.
Dort können sich die Kleinen oder
auch Größeren im Rollenspiel, im
szenischen Auftritt, im Agieren über
Playmobil-Figuren ganz verlieren,
einfach bei sich sein und über solche
Mittel einen Zugang zu ihrer inneren
Problematik erlangen. Die „Flucht“
ins therapeutische Spielen erschließt
noch Optionen, wo Worte nicht sein
dürfen oder zu sehr schmerzen.
Fotos: Stefan Simonsen, Hannover
L!FE CONCEPTS
Antisemitismus, Terror, Verfolgung – während der Nazidiktatur wurden Millionen
20 siehe oben Juni 2015
Juni 2015 siehe oben 21
Juden von Deutschen ermordet. Dieses Schild – ein Beispiel für den massiven
v. links: Pastor Peter Jörgensen
gesellschaftlichen Druck – wurde im April 1987 bei Erdarbeiten
(Beauftragter am Sitz der Bundes-
von Mitarbeitern der Bildungsstätte Kirchröder Turm gefunden.
regierung für die Vereinigung Evangelischer Freikirchen VEF), vordere Reihe:
Daniela Schadt (Lebensgefährtin des
Bundespräsidenten Joachim Gauck und
Mitglied im Kuratorium der Stiftung
Deutsch-Israelisches Zukunftsforum),
Egon und Fridegart Maschke
(Gründer Dienste in Israel),
Juden nicht erwünscht?
Juden hochwillkommen!
Jubiläum 40 Jahre Dienste in Israel
Es ist durchaus nicht selbstverständlich, dass Juden überall willkommen sind. In den Jahren vor 1945
waren sie zum Beispiel in der Kirchröder Straße 46 in Hannover ausdrücklich nicht erwünscht. Damals
war dort das Café-Restaurant Kirchröder Turm. Seit der Gründung im Jahr 1975 befindet sich genau an
diesem Ort die Geschäftsstelle von „Dienste in Israel“. Erstaunlich, nicht wahr? Der Ort der Ausgrenzung
ist zu einem Ort der Begegnung geworden.
Denn in der Kirchröder Straße 46 haben wir erst kürzlich wieder unsere jüdischen Freunde willkommen
geheißen, beherbergt und gemeinsam mit ihnen
gefeiert. Anlass dafür war das 40jährige Jubiläum
unseres Freiwilligendienstes. Das Motto: „Einander
begegnen – Gemeinsam Zukunft bauen!“ Mit großer
Dankbarkeit veröffentliche ich an dieser Stelle eine
Auswahl der Grußworte unserer jüdischen Freunde
und Partner.
Ralph Zintarra, Leiter Dienste in Israel
Liebe
Brückenbauer,
ich kenne eure Organisation seit vielen Jahren, habe
einiges mit euch miterlebt
und war sehr positiv überrascht von eurer Arbeit.
Ich hatte das Glück,
einige von den Leitern kennen zu lernen und auch
einige Volontäre. Jugendliche kommen nach Israel und
lernen. Die Vorbereitung für diese jungen Menschen für
ihr Leben ist euch gelungen. Sie gewinnen eine neue
Perspektive durch Begegnungen und Beziehungen
hier im Land und bringen ihre Talente ein. Diese Beziehungen hinterlassen lebenslang Eindrücke und bringen
Hoffnung – Hoffnung, welche die jungen Menschen
weitergeben und die hoffentlich auch Früchte trägt.
Jehuda Bacon, Auschwitz-Überlebender
Ich bin unsagbar traurig, dass ich
an der 40-Jahrfeier in Hannover aus
gesundheitlichen Gründen nicht teilhaben kann. 40 Jahre sind in der Bibel
immer eine lange Zeit und nun feiert ihr
40 Jahre gesegnete Dienste in Israel.
In einer Zeit, in der Israel sehr verleumdet wird und viele ihre Freundschaft aufgesagt haben, bleibt ihr Israel
treu. Hiermit fördert ihr den jüdisch-christlichen Dialog, der mir
immer ein Anliegen war, und die deutsch-israelischen Beziehungen.
Mit Freude und Dankbarkeit verfolge ich die Arbeit der Volontäre hier im Land und freue mich über die vielen guten Begegnungen, die wir haben. Der HERR segne euch von Zion aus! In
Dankbarkeit und Liebe grüßt euch Avital
Avital Ben-Chorin, „Außenministerin“ von DiI
Foto: Philip Zintarra, Hannover
hintere R.: Pastor Ralph Zintarra (Leiter
Dienste in Israel), Pastor Hans-Detlef
Sass (stellv. Aufsichtsratsvorsitzender des
Diakoniewerkes), Hans-Peter Pfeifenbring
(Vorstandsvorsitzender Diakoniewerk),
ganz rechts: Viola Steinberg
(Aufsichtsratsvorsitzende Diakoniewerk)
Hoher Besuch aus Berlin zu Gast bei Dienste in Israel
Mit einer dreitägigen Veranstaltungsreihe beging der Freiwilligendienst
„Dienste in Israel“ Mitte Juni in Hannover sein 40jähriges Bestehen. Unter dem
Motto „Einander begegnen – Gemeinsam
Zukunft bauen“ waren über 300 Gäste
aus Deutschland und Israel zusammengekommen, unter ihnen Daniela Schadt,
Lebensgefährtin des Bundespräsidenten
Joachim Gauck. Sie ist Mitglied im Kuratorium der Stiftung Deutsch-Israelisches
Zukunftsforum.
Mehr als 1.200 Volontärinnen und Volontäre von „Dienste in Israel“ haben seit
1975 soziale Einrichtungen in Israel mit
ihrer Arbeit unterstützt. Sie wirken in
israelischen Altenheimen und Behinderteneinrichtungen als „Hagoshrim“, das
bedeutet „Brückenbauer“ und ist die
hebräische Bezeichnung von Dienste in
Israel. Viele Holocaustüberlebende haben
dabei die tätige Liebe gespürt und so versöhnliche Erfahrungen mit Deutschen
machen können.
Im Jahr 2015 begehen der
Staat Israel und die Bundesrepublik Deutschland den 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer
Beziehungen. Aufgrund der Shoa
sind und bleiben unsere Beziehungen einzigartig und es ist nicht
selbstverständlich, dass sie heute
so vielfältig, vertrauensvoll und
dynamisch sind. Deutsche Freiwilligendienste haben innerhalb unserer Beziehungen von Beginn an eine wichtige Rolle
gespielt. Seit 40 Jahren bauen Dienste in Israel nun schon Brücken zwischen unseren Ländern und unseren Völkern.
Im Mittelpunkt stehen dabei immer die Begegnungen von
Menschen und das gegenseitige Kennenlernen, und so sind im
Lauf der Jahre viele Partnerschaften und Freundschaften entstanden. Es sind diese Begegnungen von Mensch zu Mensch,
die unsere Beziehungen tragen und sie so lebendig machen.
Ich danke allen Brückenbauern herzlich für ihren Einsatz
und gratuliere Dienste in Israel zum 40. Jubiläum!
Yakov Hadas-Handelsman, Israelischer Botschafter in Berlin
„Das ist beeindruckend und macht mich
froh“, sagte Daniela Schadt beim Festakt
am Samstagvormittag in den Räumen
der Freikirchlichen Elim-Gemeinde in
Hannover. Sie drückte Dankbarkeit und
Stolz über diese Arbeit aus und bekräftigte die große Bedeutung des Versöhnungsdienstes für die Verbindung zwischen Israel und Deutschland, die erst
1965 diplomatische Beziehungen zueinander aufgenommen hatten.
Ulrike Landt
Liebe Freiwillige, als deutscher Botschafter freue ich
mich in diesem Jahr besonders
über das 50-jährige Jubiläum
der deutschisraelischen diplomatischen Beziehungen. Aber
was wäre der rege Austausch
auf Regierungsebene ohne die
Menschen, die diese Beziehungen mit Leben füllen? Seit 40 Jahren bauen Sie Brücken
zwischen Deutschland und Israel: Durch Ihr Engagement
und Ihren freiwilligen Dienst erschaffen Sie Möglichkeiten
des Austauschs, in denen Menschen zueinander finden und
sich freundschaftlich begegnen. Ich beglückwünsche Sie zu
diesem Jubiläum, das Ihre Arbeit ehrt und danke Ihnen von
Herzen!
Andreas Michaelis, Deutscher Botschafter in Tel Aviv
Mehr Informationen:
dienste-in-israel.de
22 siehe oben Juni 2015
Juni 2015 siehe oben 23
Biblisch-Theologisches Institut Hanover
Nach der Wahrheit fragen:
Biblisch-theologische Fortbildung im Alltag
und die eigene religiöse Sozialisation zu reflektieren und zu erweitern,
bewusster und gezielter mit Fragen
der Bibel und des Glaubens umzugehen und Erkenntnisse in den Alltag zu integrieren. Das Institut ist ein
gezieltes Angebot für Menschen, die
sich alltagsbegleitend im biblisch-theologischen Bereich fortbilden möchten. Zum Leitungsteam des Institutes
gehören Pastor Hartmut Bergfeld,
Pastor Siegfried Müller, Pastor Ralph
Zintarra und Kristina Hasenpusch.
Im Wintersemester beginnen die
neuen Kurse. Beim Grundkurs geht
es um einen Einblick in verschiedene
Telefon: 0511/95498-0
E-Mail: [email protected]
Alle Kurse starten am 12. Sept. 2015.
Kosten: je EUR 250,00
(Ratenzahlung möglich)
Ambulanter Hospizdienst
Todeswünsche zulassen und zur Sprache bringen
Studientage des BTI Hannover
Grundkurs, donnerstags, 19:00 bis 21:30 h
(30 Abende, Starttag, 3 Studientage)
im Diakoniewerk Kirchröder Turm
Aufbaukurs, dienstags, 09:30 bis 12:00 h
(30 Vormittage, Starttag, 3 Studientage)
in der EFG Hann.-Walderseestraße
Griechischkurs, dienstags, 19:30 bis 21:00 h
Konferenzraum Diakoniewerk Kirchröder Turm
Prophetisch leben –
prophetisch dienen
27. Februar 2016
Pastor Dr. Heinrich Christian Rust
(Braunschweig)
Systemische Seelsorge
04. Juni 2016
Pastor Michael Borkowski und
Pastor Hartmut Bergfeld (Hannover)
Fotos: Stefan Simonsen, Hannover; Ulrike Landt
Biblisch-Theologisches
Institut Hannover
baukurs, Module 3 + 4
dientage
mesterbibelschule
ekt Offenbarung des Johannes
ührung in das theologische Englisch
Schwerkranke fühlen sich oft überflüssig. Wir wollen den Ängsten eine
Perspektive der Fürsorge und des Miteinanders entgegensetzen.
Interreligiöser Dialog –
Möglichkeiten und Grenzen
28. November 2015
Pastor Dr. Michael Kisskalt (Elstal)
BTI
e Bibel
was mit dem Weitere Infos und Anmeldung
unter www.bti-hannover.de
ndkurs
Bücher der Bibel, um Grundfragen
der Ethik, um Bibelverständnis und
Dogmatik. Im Aufbaukurs werden
vertiefend über mehrere Abende hinweg verschiedene Bücher der Bibel
bearbeitet. Darüber hinaus werden
Theologische Schwerpunktthemen,
aber auch Psychologie und Seelsorge
behandelt.
Fotos: frikadella / iStockphotos
„Wir wollen nach dem Grundkurs
unbedingt mit dem Aufbaukurs das
Bibelstudium fortsetzen“, so zwei Teilnehmer des Grundkurses 2014/2015
des Biblisch-Theologischen Institutes
Hannover. Wir sind im zehnten Jahr
des Biblisch-Theologischen Institutes
Hannover; das elfte Jahr ist bereits
geplant!
Das Biblisch-Theologische Institut Hannover, BTI, bietet die Möglichkeit, sich über einen längeren Zeitraum intensiver mit der Bibel und
ihren Inhalten auseinander zu setzen. Das BTI ermöglicht neue Einblicke und hilft, den eigenen Glauben
Bundestagsdebatten, Gesetzesentwürfe und aufrüttelnde Zeitungsartikel rücken das Thema immer mehr
in den Vordergrund: die Angst vor
einem unwürdigen Lebensende. Die
Themen Tod und Sterben scheinen
gerade durch die Debatte über die
Sterbehilfe in aller Munde zu sein.
Trotzdem herrscht eine große Unsicherheit. Wir als Hospizdienst, die
ehrenamtlichen Mitarbeiter sowie
ich als Leitung und Koordinatorin des
Dienstes möchten nicht vor der Auseinandersetzung mit diesen Themen
flüchten, sondern uns aktiv damit
auseinandersetzen und mit Menschen darüber ins Gespräch kommen.
Die Gründe für den Wunsch eines
Freitods sind vielfältig. Uns im ambulanten Hospizdienst beschäftigt dieses Thema insbesondere im Zusammenhang mit Krankheitsleiden und
Alter. In der Charta zur Betreuung
schwerstkranker und sterbender
Menschen in Deutschland1 heißt
es, dass jeder Mensch ein Recht hat
auf Sterben unter würdigen Bedingungen.
Die Charta „formuliert auf der
Grundlage der Situation der betroffenen Menschen und der ihnen Nahestehenden und auf der Grundlage der
bisher gemachten Erfahrungen innerhalb der Hospizarbeit und der palliativen Pflege und Medizin Aufgaben,
Ziele und Handlungsbedarf in der
Betreuung schwerstkranker und ster-
bender Menschen“2. Für die Hospizbewegung heißt das „insbesondere
den Bestrebungen nach einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen
durch eine Perspektive der Fürsorge
und des Miteinanders entgegenzutreten“3. Genau das beschäftigt uns im
Kreis der Mitarbeiter.
Zehn ehrenamtliche Mitarbeiter
aus unserem Dienst hatten Ende April
die Gelegenheit, an der 18. Loccumer
Hospiztagung zum Thema „Begleitung an der Grenze - Todeswünsche
zulassen und zur Sprache bringen“
teilzunehmen. Dabei haben sie hochkarätige Fachreferenten zum Thema
gehört sowie sich in Arbeitsgruppen
persönlich der Thematik gestellt.
Bei meiner Weiterbildung zur Palliative Care Fachkraft bin ich mit vielen Pflegefachkräften ins Gespräch
gekommen. Der Satz: „Schwester,
können Sie mir nicht einfach eine Pille
geben“, war nur einer, zu dem wir uns
kollegial und interdisziplinär ausgetauscht haben.
Wir wollen eine Atmosphäre
schaffen, in der über dahinterliegende Ängste und Befürchtungen
gesprochen werden kann. Durch die
Begegnung von Mensch zu Mensch
wollen wir Würde und Wertschätzung kommunizieren, Todeswünsche
ernstnehmen und zur Linderung des
Leidens beitragen. Bischof Heinrich
Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der
Evangelischen Kirche in Deutschland,
sagte in einem Interview im Diakonie-Magazin Spezial 2015: „Wir müssen in Erinnerung rufen, dass jeder
Mensch in jeder Lebenslage ein gutes
Geschöpf Gottes mit Würde jenseits
aller Produktivität und ökonomischen
Überlegungen ist.“4 An genau diesem
Punkt setzt die hospizliche Begleitung
durch ehrenamtliche Mitarbeiter an.
Wir vom ambulanten Hospizdienst beraten und begleiten Sie gern
bei allen Fragen und Anliegen rund
um das Thema Tod und Sterben!
Birthe Möller,
Leiterin und
Koordinatorin,
Der Ambulante
Hospizdienst
1www.charta-zur-betreuung-sterbender.de
2 aus der Präambel der Ergebnisse der Arbeitsgruppen
Charta Langfassung Stand 7.5.2010, S.3
3 Ergebnisse der Arbeitsgruppen - Charta Langfassung Stand 7.5.2010, S.4
4 Diakonie magazin Spezial 2015 – Was am Ende gut tut –
Sterbebegleitung. Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband,
Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V., S. 25
Weitere Infos:
ambulanter-hospizdienst-hannover.de
Birthe Möller
Kirchröder Str.46
30559 Hannover
Tel.: 0511 9549857
E-Mail: [email protected]
24 siehe oben Juni 2015
Juni 2015 siehe oben 25
Diakoniezentrum Jägerallee Springe
Kinderkrippe „Die Vivaldis“
Annika Schaefer: Neu im Bereich
Seelsorge und geistliches Leben
Wechsel unter den Mitarbeiterinnen
Nachdem Pastor Markus Frank im
Februar 2015 aus dem Dienst verabschiedet worden ist, hat Annika Schaefer den Bereich Seelsorge und geistliches Leben im Diakoniezentrum
Jägerallee Springe übernommen. Auf
die Bedürfnisse der
Bewohner angemessen einzugehen, ist ihr
ein besonderes Anliegen.
Annika
Schaefer
arbeitet seit zehn Jahren in verschiedenen
Bereichen des Diakoniezentrums Jägerallee, unter anderem im
Betreuten Wohnen. „Ich bin persönlich vor Ort ansprechbar, wenn Menschen das Gespräch suchen“, fasst die
42-Jährige ihre neue Aufgabe zusammen. Oft gehe es dabei um existenzielle Fragen: Seelsorge, Trauerbegleitung, Sterbebegleitung. Auch die jungen Pflegebedürftigen haben oft traumatische Erfahrungen gesammelt, die
aufgearbeitet werden müssen.
Dass Annika Schaefer gerade
dabei ist, eine psychotherapeutische
Ausbildung abzuschließen, hilft bei
dieser wichtigen Arbeit. Die studierte Theologin koordiniert zudem
den Sonntagsgottesdienst und die
alle zwei Wochen stattfindende Bibel-
Es ist viel in Bewegung, im Mitarbeiterinnen-Team der Kinderkrippe
Die ViWALDIS! Schon wieder steht
ein Wechsel bevor. Carola Moske, die
seit Januar 2010, dem Start der Kinderkrippe, mit im Erzieherinnen-Team
war, verließ uns leider vor den Sommerferien 2014. Da Anette Hoffmeyer,
die auch dem Start-Team der ViWALDIS angehörte, eine zweite Krippe in
Badenstedt gegründet hatte, konnte
Carola die leitende Stelle von Anette
in Stöcken übernehmen. Nach vielen
Bewerbungsgesprächen und Gebeten wurde am 1. September 2014
Mareike Dose als neue Mitarbeiterin
stunde, organisiert Prediger und Referenten. „Oft sind das auch Ehrenamtliche, was ich besonders schön finde“,
sagt sie.
Ökumene ist dabei wichtig für
sie. Das Diakoniezentrum habe zwar
eine enge Verbindung zur Baptistengemeinde Kreuzkirche in Springe.
Aber auch die Zusammenarbeit mit
den Pastoren der evangelischen und
katholischen Kirche sei gut und wichtig. Menschen unterstützen und auf
der letzten Wegstrecke begleiten –
das ist eben keine Frage der Konfession.
krippe „Die ViWALDIS“ ist ein Gemeinschaftsprojekt. Betreiber ist die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Hannover-Walderseestraße, Träger ist das
Diakoniewerk Kirchröder Turm.
Alexander Nortrup
Siftung Chance zum Leben
Unter Flüchtlingen besonders betroffen:
Mütter mit kleinen Kindern
Kita Arche Noah unterm Regenbogen
Zum Schluss ergänzt er: „Das veränderte neue Deutschland, welches sich
in den letzten 70 Jahren entwickelt
hat, ist leider noch nicht in allen Teilen und Köpfen dieser Welt angekommen, und dies sollte viel mehr von
hier positiv herausgestellt werden.“
20 Jahre in der Kita
Am 01. April konnte unsere Erzieherin Jacqueline Yilmaz (Bild rechts) ihr
20-jähriges Dienstjubiläum in der Kindertagesstätte feiern. „Als ich damals
hier anfing, hätte ich nie gedacht,
dass es mal 20 Jahre werden würden“, sagte sie erinnernd.In unserer
schnelllebigen Zeit sind Beständigkeit, Verlässlichkeit und Vertrauen
gerade für unsere jüngste Generation
und auch deren Eltern eine wichtige
Grundlage für gelingende Beziehung
und Erziehung. 20 Jahre an einem
verantwortungsvollen
Arbeitsplatz
tragen mit dazu bei und sind ein positives Zeichen einer Identifikation mit
sich selbst und auch mit der Einrichtung.
Andreas Maschke, Leiter der Kita
Foto: iStock/annedde
vergleichsweise eine große Freiheit
des Denkens und Handelns, politische
Meinungsfreiheit, Arbeit und ein
gutes Gesundheitssystem. Wir sind
froh, dass wir in Deutschland sind. Ich
kann arbeiten und meine Frau kann
jetzt einen Deutschkurs besuchen, da
die Kinder betreut werden. Wir sind
glücklich hier zu sein und Deutschland kann stolz darauf sein, dass hier
Menschen aus fast 190 Ländern mit
unterschiedlichen Religionen und
Kulturen friedlich zusammenleben,
weil die Akzeptanz funktioniert.“
Fotos: Andreas Maschke, Kita
Familie aus Ägypten / 20jähriges Dienstjubiläum
Seit letztem Jahr ist Familie Mansy
mit ihrer Tochter Nermin und jetzt mit
ihrer 2. Tochter Limar in unserer Einrichtung (Bild links). Als Anfang 2011
in Ägypten die Revolution mit vielen Demonstrationen und damit verbunden auch vielen getöteten Zivilisten begann und auch kein Ende
abzusehen war und weitere Entwicklungen sehr ungewiss waren, hat Herr
Mansy, der schon in Deutschland war,
seine Familie Ende 2011 aus Ägypten
nach Deutschland geholt. Herr Mansy
erklärt: „Hier in Deutschland gibt es
begrüßt und hat das ErzieherinnenTeam wieder vervollständigt. Nun ist
Mareike Dose schwanger und verlässt
die ViWALDIS vorübergehend Anfang
Juni 2015.
Schon wieder musste eine neue
Erzieherin gefunden werden. Keine
leichte Aufgabe in dieser Zeit. Doch
wir spürten, Gott hat uns im Blick und
es lohnt sich, ihm zu vertrauen! Jetzt
sind wir erleichtert und freuen uns
sehr auf Sabrina von Hopffgarten, die
am 1. Juni 2015 als Schwangerschaftsvertretung bei den ViWALDIS eingestiegen ist und sind gespannt auf die
Zusammenarbeit mit ihr. Die Kinder-
Die Generation unserer Eltern
kann es noch ermessen, was es heißt,
auf der Flucht zu sein mit kleinen Kindern, nicht zu wissen, wohin man
kann und wovon man leben soll. Aber
sie hatte trotz Not, Zerstörung und
Elend den Vorteil, sich gut verständigen zu können und nicht in eine völlig
fremde Kultur zu flüchten.
Immer wieder hören und sehen
wir in den Nachrichten von Schwangeren und Frauen mit kleinen Kindern,
die auf den Booten aus Afrika über
das Mittelmeer aus Not, Verfolgung
und Armut fliehen. Mütter mit kleinen oder ungeborenen Kindern gehö-
ren zu den besonders verletzlichen
Personen. Die Leistung, die sie allein
erbringen müssen, ist enorm und für
uns kaum vorstellbar. Dann sind sie
hier angekommen und haben Unterkunft in einem Flüchtlingswohnheim
gefunden. Neben allem Fremden,
wie der Sprache, der Kultur mit anderen Gewohnheiten und Regeln, kommen oft noch ganz andere Schwierigkeiten auf die Frauen zu. Da ist zum
Beispiel der Aufenthaltstitel oder das
Sorgerecht noch nicht geklärt, so dass
keine Leistungen in Form von Kindergeld gezahlt werden. Dann ist der
Vater noch in Italien oder unterwegs
und nicht erreichbar, so dass das Neugeborene noch nicht krankenversichert gemeldet ist. Bei einer Frau ist
der Vater inzwischen im Heimatland
verstorben und so kann die Mutter für
das erste Kind kein Kindergeld mehr
bekommen. Bei einer anderen Familie
ist der Vater noch in Italien und kann
nicht für das Kind aufkommen, da er
arbeitslos ist – und der Asylantrag für
die Mutter ist noch nicht durch, aber
das Kind ist schon da. In all diesen Fällen mit einem „Windelgutschein“ der
Stiftung zu helfen, ist für die Frauen
eine größere Unterstützung, als wir
uns wahrscheinlich vorstellen können.
Allein zu sehen, dass es Menschen
gibt, die sich kümmern und Initiativen
kennen, die auf vielfältige Weise helfen, ist für sie ein Segen.
Wir von der Stiftung Chance zum
Leben haben in den letzten zwei Jahren deutlich mehr Hilfegesuche von
Asylsuchenden
und
Flüchtlingen
erhalten. Und das nicht nur, weil die
Gemeinde am Döhrener Turm in Hannover Träger eines Flüchtlingswohnheims ist, sondern auch, weil bundesweit einige Beratungsstellen und
Gemeinden des Bundes EvangelischFreikirchlicher Gemeinden Initiativen
für Flüchtlinge gestartet haben und
dadurch immer wieder für solche Situationen Hilfe suchen. Dass wir als Stiftung hier die Möglichkeit haben, so
konkret zu helfen, macht mich sehr
dankbar.
Hannelore Becker
Referentin „Stiftung
Chance zum Leben“,
Stiftung des Bundes
Ev.-Freikl. Gemeinden,
Träger ist das
Diakoniewerk
Kirchröder Turm e.V.
Mehr Informationen:
www.chancezumleben.de
26 siehe oben Juni 2015
Juni 2015 siehe oben 27
Haus Shalom
Raum im Zeiten der Krise und der Entwurzelung
Sommer 2011: Während ich in
einem gut klimatisierten Bus sitze auf
meiner Reise ins ehemalige Ostpreußen, der Heimat meiner väterlichen
Familie, wandern meine Gedanken
zu den längst verstorbenen Großeltern. Und ich denke an den zutiefst
beschwerlichen und traurigen Weg,
den sie mit vielen anderen zusammen
in umgekehrter Richtung nahmen:
Flucht im Winter 1945.
Gott sei´s gedankt, mir ist das
schwere Schicksal der Flucht erspart
geblieben. Allerdings kenne ich aus
meiner Lebensgeschichte das Gefühl
der Entwurzelung. Der Horizont
erscheint dunkel, die Suche nach Perspektiven ist mühselig. Und ich weiß,
wie viel Kraft das kosten kann.
Sommer 2015: an einem sicheren
guten Ort, in meiner Wohnung mitten im Diakoniewerk, umgeben von
freundlichen Menschen und wunderbarer Natur. Hier kann ich das tun, was
ich so gerne und unbedingt tun will:
Menschen die Tür öffnen, um ihnen für
eine Zeit des Umbruchs, der Entwurzelung, der Krise, der Unruhe eine Heimat zu geben.
Da ist der Gast, der nur für einige
Stunden Stille braucht und die Möglichkeit des Abschaltens. Oder derjenige,
der ganz plötzlich vor dem Zusammenbruch des Bisherigen steht. Und wird
nun eigentlich die junge Frau kommen,
die ihr überbehütendes und krankmachendes Elternhaus verlassen will und
allmählich eine eigene Zukunft bauen
wird? Und ist Platz für noch jemanden,
der nach viel Therapie sich einmal nur
dem Gebet und der Stille stellen will?
Ja, es ist Platz. Auf irgendeine
Weise ist immer genau so viel Platz da,
wie wir gerade brauchen. Und ja: es
ist auch immer wieder – in all dem vielen nötigen Tun im Haus und auf dem
Gelände – die Zeit da: zum Beten, zum
Hören, für Tränen, zum
gemeinsamen
AmFeuer-Sitzen und für
das Lachen.
„Das Lachen und
die Liebe – so wird
uns immer wieder
aufs Neue vor Augen
geführt – sind unverzichtbar für Leute,
denen niemand einen
nachvollziehbaren theologischen Erklärungsrahmen für ihre Verzweiflung
bieten kann“ (Adrian Plass).
Ich setze gerne dazu: Ein warmes,
friedevolles Haus ist unverzichtbar für
Leute, die unterwegs sind, heimatlos,
entwurzelt, sehnsüchtig, müde – egal,
ob man ihnen einen Erklärungsrahmen
bieten kann oder nicht. Not-wendig ist
es ja auch für die Mitarbeitenden hier
in den verschiedenen Bereichen und
für unsere kleine Lebensgemeinschaft:
Zeit und Raum für Stundengebete und
für das Sitzen in der Stille. So ankern
wir uns selbst immer wieder bei Gott,
in einem ewigen Haus, am Ziel unserer
Sehnsucht.
Kirchröder Institut
Fortbildung für Therapie, Seelsorge, Pädagogik
Im Raum Hannover gewinnt das
Kirchröder Institut zunehmend an
Bekanntheit. Die Bildungseinrichtung
bietet für Tätigkeitsfelder wie Seelsorge, Beratung, Therapie und Pädagogik Seminare und Fortbildungen
mit unterschiedlichen Themen und
Akzenten an.
In Zusammenarbeit mit renommierten Kooperationspartnern und
qualifizierten Referenten greifen wir
relevante aktuelle Fragestellungen auf.
Durch Selbsterfahrungsanteile und Einbeziehung eigener Praxis profitieren
die Teilnehmer sowohl für ihr persönliches Leben als auch für ihren beruflichen oder ehrenamtlichen Kontext.
Christiane Kirsch, Leiterin Haus Shalom
Mehr Infos:
hausshalom.de
Sie erweitern fachliche Kompetenzen
und „tanken“ Ruhe und Energie.
Für 2015 und 2016 konnten neue
Referenten dazugewonnen werden.
Weitere Themen in Planung: „Überlastungsprävention für pflegende Angehörige von demenziell Erkrankten“,
„S.E.L.F.-Training“; „Burn-out“; „Resilienz“; „Systemische Beratung und Seelsorge“ und „Einführung in die Energetische Psychologie“.
Das Kirchröder Institut arbeitet
auch mit anderen Aus- und Fortbildungseinrichtungen zusammen, z.B.
mit Dr. med. Michael Bohne (PEP – Prozess- und Embodiment-fokussierte Psychologie) und mit Dr. Lutz Besser vom
Zentrum für Psychotraumatologie und
Traumatherapie Niedersachsen (zptn).
Viele zeitgemäße, spannende Themen
und viele interessante Referenten! Melden Sie sich an!
Kristina Hasenpusch
Infos und Anmeldung:
Kirchröder Institut, Hannover
Ansprechpartnerin: Kristina Hasenpusch
Telefon: 0511/95498-0,
www.kirchroeder-institut.de
Seminarangebote 2015/2016
Fotos: Ulrike Landt und Kirchröder Institut
Fotos: Haus Shalom
Grundausbildung
Focusing
mit Dr. Peter Lincoln
Fünfteilige Ausbildung
Beginn: 06.–08. November
2015
Religiöser Missbrauch
mit Inge Tempelmann
13.–15. November 2015
Resilienz
mit Norbert Rönnau
18.–20. März 2016
Schluss mit dem
Burn-out
mit Jürgen Vollmann
07.–10. April 2016 und
15.–18. September 2016
Escape:
dem schleichenden
Burn-out entkommen
mit Jürgen Vollmann
18.–19. Juni 2016 und
22.–23. Oktober 2016
Einführung in die
Energetische Psychologie
mit Bettina Kilianski
Grundlagenseminar:
24.–25. Juni 2016
Level 1:
28.–29. Oktober 2016
Level 2:
18.–19. November 2016
Systemische Beratung und
Seelsorge
mit Dietmar Pfennighaus
02.–04. September 2016
Nachrichten aus dem
Juni 2015 Diakoniewerk Kirchröder Turm
Uwe Wollrabe ist
28 siehe oben Juni
2015
Arbeitspädagoge
in der
Casa della Vita in Hannover,
siehe oben 29
eine Wohngruppe zur
außerklinischen Behandlung
von Traumafolgestörungen
bei Kindern und
Foto: privat
Jugendlichen.
Zwangsversteigerung!?
Uwe Wollrabe erlebt: „Unser Papa im Himmel sorgt für uns.“
Eine ganz besondere Geschichte von so vielen in meinem Leben mit Gott: Wir mussten uns vor Jahren wohnungstechnisch vergrößern, für unsere nun sechsköpfige Familie
war die Eigentumswohnung zu klein geworden. Endlich hatten wir ein bezahlbares Haus
gefunden. Die Kaufformalitäten waren erledigt, unsere Wohnung verkauft, wir konnten
endlich umziehen. Dann die Nachricht von der Bank des Verkäufers: Unser neues Heim
wurde nicht freigegeben, da es mit ca. 70.000 DM beliehen war, um Ware des Vorbesitzers zu bezahlen. Außerdem war das Haus bei der Bank mit 80.000 DM
höher belastet, als er es uns verkauft hatte. Aus dem Grundbuch ging diese
Belastung nicht hervor, sonst hätten wir das Haus nicht genommen.
Was hatten
Inzwischen hatte ich noch einige weitere tausend Mark in Renovierungsarbeiten gesteckt und war fast pleite. Die Gläubiger wollten ihr Geld – und
wir mit den
zwar von mir. Es stand sogar eine Zwangsversteigerung an. Wir beteten wie
Schulden des
die Weltmeister und lagen Gott in den Ohren. War es doch so ungerecht!
Was hatten wir mit den Schulden des Verkäufers zu tun?
Verkäufers
Fast pleite, die Zwangsversteigerung vor Augen, die alte Wohnung verzu tun?
kauft, vier kleine Kinder, das geht an die Nerven. Aufgrund eines Tipps nahmen wir uns einen Anwalt, ohne das Geld dafür zu haben. Uns war nicht
bewusst, dass es ein Staranwalt zu der Zeit war. Gespräche mit der Bank,
dem Lieferanten folgten. Das Ganze zog sich über drei Monate hin. Trotz des anfänglichen Schocks wurde ich immer ruhiger. Ich hatte die totale Gewissheit, dass mein „Papa
im Himmel“ für uns sorgt und uns Recht verschafft. Und tatsächlich, aus „unerfindlichen Gründen“ hat die Bank den Lieferanten bezahlt, auf ihr Geld verzichtet und von
der Zwangsversteigerung abgesehen. Das Anwaltshonorar hätte laut Streitwert bei ca.
20.000 DM gelegen. Berechnet hat er uns nur 2.000 DM, unser allerletzter Notgroschen.
Aber egal, soll noch mal einer sagen, dass ein Leben als Christ langweilig ist!
Flucht
Bloß weg von hier?
Wenn Menschen ihren
Ort verlassen.
Ausgabe 1 2015
Impressum:
s.o. – siehe oben: Informationsmagazin
des Diakoniewerkes Kirchröder Turm
Herausgeber:
Diakoniewerk Kirchröder Turm e.V.
Kirchröder Straße 46, 30559 Hannover,
T. 0511.954980, [email protected],
www.diakoniewerk-kt.de
Vorstand:
Hans-Peter Pfeifenbring (Vorstandsvorsitzender), Jürgen Scheidt (Vorstandsvorsitzender), Pastor Ralph Zintarra
Diakoniestiftung Kirchröder Turm
Konto 1118900, Spar- und Kreditbank
Bad Homburg, BLZ 500 921 00
V.i.S.d.P:
Pastor Ralph Zintarra, Hannover
Aufsichtsrat:
Viola Steinberg (Vorsitzende),
Hans-Detlef Saß (stellv. Vorsitzender)
Redaktion:
Wolfgang Bauer, Northeim;
Kristina Hasenpusch, Hannover
Gestaltung und Beratung:
saatwerk Visuelle Kommunikation
(Ulrike Landt, Melina Neuber-Haase)
Titelbild: Philip Zintarra, Hannover
Das Ende einer Reise
Flüchtlinge berichten über ihre Odyssee
Wer Flüchtlingen hilft, stärkt die Demokratie.
Doris Schröder-Köpf (MdL) über mutige Helfer
Druck: diaprint, Empelde
Pornos sind nicht harmlos.
Fachstelle return spricht von Massenflucht ins Netz.