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KLETTERMAXE
In den 1960ern boomten die ebenso offroadwie straßentauglichen Scrambler-Modelle. Honda
handelte also nur logisch und konsequent, als
sie den 305-cm2-Motor aus dem Straßensportler
CB 77 Super Hawk ins Fahrwerk der bereits
bekannten 250er CL 72 pflanzten und so die
CL 77 erschufen.
Text: Gerhard Eirich; Fotos: Jacek Bilski
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Untertreibung: Die Honda hat fünf Kubikzentimeter mehr Hubraum als auf dem Tanklogo
­ausgewiesen. Wer am weit herausge­zogenen
Einfüllstutzen Öl nachkippen will, riskiert,
sich bei heißem Motor trotz Hitzeschutzblech
am Auspuff die Finger zu verbrennen
Mit dem 305-cm³Motor der CL 77
konnte man den
britischen 500erTwins Paroli
bieten
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Im Sattel der
Scrambler muss
der Spaß nicht am
Ende asphaltierter
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Das auf den beiden Rohren aufgeschweißte Auspuff-Endstück
­belegt, dass es sich um eine späte Version der von 1965 bis 1968
gebauten CL 77 handelt. Der drehfreudige 180-Grad-Zwei­zylinder
atmet über zwei 26er-Keihin-Vergaser ein und gilt als ungemein
zuverlässig. Die bis 100 Meilen/Stunde reichende Tacho-Skala
wird bei Höchstgeschwindigkeit nahezu ausgenutzt
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ne Size fits all – eine
Größe passt für alle.
Amerikaner mögen es
gern universell. Deshalb baute man bei Honda ein Bike für
­alle Einsatzgebiete – straßen-, gelände-,
einfach alltagstauglich. Nicht nur, aber
vor allem für die USA. Die Scrambler-­
Modelle kamen gut an, und mit der CL 77
hatte man eine kräftige Version am Start –
mit dem 305-cm³-Motor der Straßen-­
Version CB 77. Die Motor-Spenderin war
das sportliche Topmodell im Programm
mit 305 cm³, wenn auch die Plakette auf
dem Tank nur 300 cm³ ausweist. Die auch
als Super Hawk bekannte CB 77 war klar
­europäisch beeinflusst und hatte die bri­
tischen 500er im Visier, mit denen sie es
auch in Sachen Power und Fahrleistungen
durchaus aufnehmen konnte.
Honda CL 77 Scrambler
Ein Bike zum Pferdestehlen
MOTOR: luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Motor, 180 Grad
Hubzapfenversatz, zwei Ventile pro Zylinder, Bohrung 60 mm,
Hub 54 mm, 305 cm³, Verdichtung 9,5 : 1, 28,5 PS bei 9000/
min, zwei 26er-Keihin-Vergaser, Mehrscheiben-Ölbadkupplung,
Vierganggetriebe, Kettenantrieb
Die Scrambler-Variante CL 77 hingegen
hat klar amerikanische Wurzeln, gebaut
für die weiten Landstriche, die Schotterpisten und die Offroadwege der USA. Im
Grunde ist die 305er nur eine vergrößerte
Version der bereits drei Jahre zuvor, also
1962, erschienenen CL 72 Scrambler mit
250 cm³. Auch die CL 72 stellte eine
offroad­
­
taugliche Variante der Straßen­
maschine dar, in diesem Fall der CB 72
Hawk. Wobei Honda nie eine reine CrossMaschine im Sinne hatte, vielmehr sollten
FAHRWERK: Einschleifen-Rohrrahmen, Teleskopgabel vorn,
Zweiarmschwinge hinten, Duplex-Trommelbremse vorn und
hinten, Reifen vorn 3.00-19, hinten 3.50-19, Radstand 1330
mm, Trockengewicht 145 kg
BAUZEIT: 1965 bis 1968
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Ein Lenkungsdämpfer war Mitte der 1960er noch eine Sensation. Rechts-links-Schwäche?
Vom rechts montierten Bremspedal wird die Kraft per Achse nach links verlagert und dort per
Seilzug an die hintere Trommelbremse weitergegeben. Der wenig filigrane Bremslichtschalter
gibt das Signal an das zeitgenössisch elegant gestylte Rück-/Bremslicht weiter
die Scrambler dieser Zeit Allroundmotor­
räder sein, die einfach überall durch­
kamen, und die sowohl im Alltag für den
Weg zur Arbeit taugen sollten als auch für
den Ausflug am Wochenende, ohne dass
der Spaß mit dem Ende der asphaltierten
Straßen aufhören musste. Was macht aber
den Unterschied zur Straßenversion ei­
gentlich aus: Nun, schon der EinschleifenRohrrahmen mit den dickeren Rahmen­
rohren sorgte angesichts des verstärken­
den Unterzugs für mehr Stabilität. Weil
das Rahmenrohr dort entlangführte, wo
bei der Straßenversion der E-Starter Platz
fand, verzichtete man, auch um Gewicht
zu sparen, auf den Elektrostarter und
beschränkte sich auf den guten alten
­
Kickstarter. Für mehr Bodenfreiheit soll­
ten auch die hochgezogenen Krümmer
und die linksseitig hoch verlegte Auspuff­
anlage sorgen. Ebenso für Geländetaug­
lichkeit wie auch die „Universals“, etwas
grob­
stolligere Reifen, die 19 Zoll (vorn
und hinten) anstelle der 18 Zoll bei der
CB 77 maßen. Gekürzte Schutzbleche und
Faltenbälge an der Gabel sind weitere Er­
kennungsmerkmale der Scrambler, eben­
so der breite Endurolenker mit Zwischen­
strebe. Gewicht sparen sollte schließlich
noch der kleinere Benzintank.
Unser wenig gefahrenes, unrestaurier­
tes Foto-Bike wurde uns freundli­
cher­
weise von Klassiker-Spezialist PREMIUM­
MOTORRAD in Böblingen (www.premi­
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ummotorrad.de) zur Verfügung gestellt
(an dieser Stelle nochmals herzlichen
Dank dafür). Dort steht sie zum Verkauf,
denn Besitzer Jürgen Sartori möchte sich
aus gesundheitlichen Gründen von seiner
Sammlung trennen, die unter anderem
auch C 110, CB 92, CB 450 (K0 und K1) so­
wie eine seltene Fünfgang-Version der CB
77 umfasst. Der 68-Jährige hat die Scram­
bler einst in den USA mit geringer Lauf­
leistung gekauft, seither sind nicht all­zu
viele Meilen hinzugekommen. Auch ihn
hat stets der tolle Sound des vor allem in
der Mitte spürbar kräftigeren 305er-Motors
begeistert, der mittels vergrößerter Boh­
rung (von 54 auf 60 mm) von 247 auf 305
cm³ getrimmt wurde und so zusammen
mit den größeren Vergasern (26 statt 22
mm) mehr Leistung und Dreh­moment lie­
fert. Dank 180 Grad Kurbelwellenversatz
gibt sich der Zweizylinder bei enormer
Drehfreude auch relativ kultiviert, und
erst bei hohen Drehzahlen im Bereich der
Höchstleistung bei 9000 Touren stellt sich
das berühmte feine Kribbeln in den Lenker­
enden ein.
Schnell und standfest – perfekt
Gutes Fahrwerk, starker Motor, hohe Zu­
verlässigkeit – dies schienen damals auch
geeignete Voraussetzungen für Rennein­
sätze zu sein. So errangen die beiden Fah­
rer Larry Berquist und Gary Preston mit
einem Honda-Scrambler (mit der 350er-
Nachfolgerin) 1968 einen grandiosen Sieg
bei der Baja 1000, einem der härtesten
Offroad-Rennen der Welt. Dies unter­
mauerte den Ruf der Honda-ScramblerModelle als ausdauernde, offroadtaug­
liche Bikes.
Stichwort Zuverlässigkeit: Es ist wohl
auch kein Zufall, dass Autor Robert M.
­Pirsig auf seiner zweimonatigen Motor­
rad-Reise durch die USA, welche die Basis
für sein weltberühmtes Buch „Zen und
die Kunst, ein Motorrad zu warten“ war,
ausgerechnet auf die zuverlässige Honda
CB 77 vertraut hatte. Apropos Berühmt­
heiten: Ebenso wie Schauspielerlegende
Steve McQueen untrennbar mit dem Na­
men T
­ riumph verbunden bleibt, hat auch
die Honda CL 77 (weitere) prominente Be­
sitzer vorzuweisen. Jim Morrison, legen­
därer Sänger der Doors, besaß eine, für
die zuletzt um die 75 000 Dollar geboten
­worden sein sollen. Bei Auktionen wur­
den für dieses Bike zuvor schon höhere
Preise aufgerufen, jedoch nicht erzielt.
Die hierzulande seltener als in den
USA anzutreffenden CL 77-Exemplare
dürften kaum zu solchen Summen gehan­
delt werden. Preise im oberen vierstelli­
gen Bereich sind wohl eher realistisch.
Auch Besitzer Sartori ist sich darüber im
Klaren. Wobei er sicher nichts dagegen
hätte, wenn die Gebote für seinen HondaKlettermaxe in maximale Regionen klet­
tern würden.
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