Folien Fall 5 Haft

Universitätseinheit
Übungen im Öffentlichen Recht I
Gruppen A–C und N–P
Fall 5 Haft
lic. iur. Arlette Meienberger
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Kriterien zur Bewertung von schriftlichen Fällen
1. Formelles
• Einhaltung der formellen Vorgaben, Zitierweise
• Sprache
• Gestaltung, Aufbau
2. Materielle Behandlung
• Problemerfassung, Behandlung der relevanten Fragen,
Schwerpunktbildung
• Korrekte Lösung des Falles
3. Wissenschaftlichkeit
• Verarbeitung der wichtigsten Rechtsprechung
• Verarbeitung der wichtigsten Literatur
• Eigenständige Leistung
• Zahl und Dichte der Belege
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Häufige Fehler in schriftlichen Fallbearbeitungen
• Formell: Zitierweise, sowohl Einträge im Literaturverzeichnis
wie Kurzzitate
• Zu oberflächliche Verarbeitung der Quellen oder zu wenige
Quellen
• Zu pauschale und oberflächliche Darstellung der
dogmatischen und theoretischen Grundlagen
• Unsaubere Fertigstellung: Grammatik, Interpunktion,
Rechtschreibung, Flüchtigkeitsfehler
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Universitätseinheit
Themen der heutigen Übung
• Prüfung der Anwendbarkeit von Grundrechten auf einen
Sachverhalt
• Grundrechtskonkurrenz
• Einschränkung von Grundrechten – Kerngehaltsgarantie
• Elemente und Aufbau einer Argumentation
• Schutzpflichten des Staates
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Frage 1
Sie werden X als Pflichtverteidiger zugeteilt.
Welche Grundrechte sind auf die Situation von X
anwendbar?
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Anwendbare Grundrechte
• Menschenwürde (Art. 7 BV; Art. 3 EMRK)
• Persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV; Art. 5 EMRK)
• Verbot unmenschlicher Behandlung (Art. 10 Abs. 3 BV; Art. 3
EMRK)
• Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV; Art. 8 EMRK)?
• Freiheitsentzug (Art. 31 Abs. 1 BV)?
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Persönlicher Schutzbereich von Art. 7 und 10 BV
• Art. 7 BV: Alle natürlichen Personen
• Art. 10 BV: Alle natürlichen Personen
Fazit
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Sachliche Schutzbereich von Art. 7 BV
Menschenwürde
• Leitgrundsatz; «bildet als innerster Kern zugleich die Grundlage der
Freiheitsrechte und dient daher deren Auslegung und Konkretisierung»
(BGE 127 I 6)
• «Anerkennung des Einzelnen in seiner eigenen Werthaftigkeit und
individuellen Einzig- und allfälligen Andersartigkeit» (BGE 132 I 49)
• Konkretisiert den Kerngehalt der persönlichen Freiheit und verbietet
Folter und jede grausame oder unmenschliche Behandlung oder
Bestrafung.
• Besonders grosse Bedeutung im Bereich von Haftstrafen,
Administrativhaft, Unterbringung im Rahmen des Kindes- und
Erwachsenenschutzes.
Duldet der Staat Bedingungen, die zu menschenunwürdigen Zuständen
führen, oder unterlässt er die nötigen Massnahmen zum Schutz vor Gewalt,
so ist die Menschenwürde betroffen.
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Universitätseinheit
Sachlicher Schutzbereich von Art. 10 Abs. 2
Persönliche Freiheit
• Körperliche und psychische Integrität, Bewegungsfreiheit
• alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der
Persönlichkeitsentfaltung darstellen
• Freiheitsentzug stellt stets einen schweren Eingriff in die persönliche
Freiheit dar
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Sachlicher Schutzbereich von Art. 10 Abs. 3
Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder
Bestrafung
• Absoluter Charakter des Verbots, Kerngehalt
• Gemäss Rechtsprechung des EGMR können auch menschenunwürdige
Haftbedingungen, z.B. in überfüllten Anstalten mit übergelegten Zellen
(vgl. BGE 140 I 125 E.3.1–3.5), mit prekären sanitären Verhältnissen
eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen.
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Frage 2
In welchem Verhältnis stehen die betroffenen
Grundrechte zueinander?
24.03.2016
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Grundrechtskonkurrenz
Unechte Konkurrenz
Ein staatlicher Akt berührt
mehrere Grundrechte,
deren Schutzbereiche sich
überschneiden
Echte Konkurrenz
Ein staatlicher Akt berührt
mehrere Grundrechte,
deren Schutzbereiche sich
nicht überschneiden
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Grundrechtskonkurrenz: Vorgehen
Bei echter Grundrechtskonkurrenz
• Einzelprüfung der allenfalls tangierten Grundrechte, da diese
nebeneinander gelten.
Bei unechter Grundrechtskonkurrenz
• Geprüft wird zuerst das speziellere Grundrecht.
• Der Schutz des allgemeinen Grundrechts ist subsidiär: Nur prüfen, wenn
nicht alle Sachverhaltselemente durch speziellere Grundrechte gedeckt
sind.
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Grundrechtskonkurrenz
Betroffene Grundrechte: Art. 7 und 10 BV
unechte Konkurrenz
Subsidiarität? Spezialität?
beide dienen primär als Auffanggrundrechte
Im Rahmen der Überprüfung von Haftbedingungen sind
jedoch beide massgeblich und können alternativ angerufen
werden
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Frage 3
Sie bereiten eine Rechtsschrift vor, um X seinen
Wunsch zu erfüllen. Dabei entscheiden Sie sich,
eine Verletzung von Art. 10 BV geltend zu machen.
Wie argumentieren Sie?
24.03.2016
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Fragestellung
• Bewegungsfreiheit?
• Einschränkungen der persönlichen Freiheit inhaftierter
Personen
• Menschenwürde
• Verbot von Folter und von grausamer, unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung
• Zulässige Haftbedingungen
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Ziel der Argumentation
• Ziel: Verbesserung der Haftbedingung
• Mittel: Darlegung einer Verletzung von Art. 7 und Art. 10 Abs.
3 BV
• Absolute Geltung von Art. 7 und Art. 10 Abs. 3 BV
• Keine Einschränkung, keine Güterabwägung
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Zulässige Haftbedingungen
Informationsquellen:
• Gesetze, Richtlinien, Gefängnisreglements (i.c. keine Angaben im
Sachverhalt)
• Entscheide des Bundesgerichts: I.c. insbesondere BGE 140 I 125,
Haftbedingungen in Champs-Dollon
• Dokumente internationaler Organisationen, z.B. des Europarats:
Recommandation Rec(2006)2 du Comité des Ministres aux Etats
membres sur les Règles pénitentiaires européennes vom 11. Januar
2006, erhältlich unter http://www.coe.int/fr/web/human-rights-rule-oflaw/news/-/asset_publisher/qI77sHb3q28L/content/combating-illtreatment-in-prison
• Entscheide internationaler Gerichte, insbesondere EGMR
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Zulässige Haftbedingungen
Kriterien:
• Hygienischer Zustand
• Klimatische Verhältnisse (Temperatur, Frischluft)
• Lichtverhältnisse (künsltiches oder natürliches Licht?)
• Grösse der Zelle
• Grösse der Fenster (Frischluft, natürliches Licht)
• Zur Verfügung stehender persönlicher Raum
• Zustand von Zelle und Einrichtung
• Sauberkeit
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Zulässige Haftbedingungen
Kriterien:
• Sanitäre Einrichtungen (Zustand, Sauberkeit, Zugang)
• Bewahrung der Initimität bei Benutzung sanitärer Anlagen
• Eigenes Bett für jeden Insassen, Sauberkeit
• Mahlzeiten (Häufigkeit, hygiensiche Zubereitungsart)
• Jederzeitiger Zugang zu Trinkwasser
• Bewegung an der frischen Luft
24.03.2016
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Zulässige Haftbedingungen
„Le Tribunal fédéral a enfin insisté sur l'appréciation
globale de toutes les conditions concrètes de détention
[...]. En ce qui concerne la violation de l'art. 3 CEDH, il a
relevé qu'un traitement dénoncé doit atteindre un
minimum de gravité: l'appréciation de ce minimum
dépend de l'ensemble des données de la cause et
notamment de la nature et du contexte du traitement ainsi
que de sa durée [...]. Cette durée est en effet susceptible de
rendre incompatible avec la dignité humaine une situation
qui ne le serait pas nécessairement sur une courte
période.“ BGE 140 I 125 E. 3.3 (Übersetzung in: Die Praxis
103 (2014) Nr. 82)
24.03.2016
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Verletzung von Art. 7 und Art. 10 Abs. 3 BV
• Nicht jede freiheitsbeschränkende Massnahme stellt eine
Verletzung dar
• Gewisses Leiden und gewisse Entwürdigung zulässig
• Mindestmass an Schwere erforderlich:
• Einschränkung übersteigt den Rahmen des Üblichen
• Einschränkung geht weiter als das, was unausweichlich
mit einem Freiheitsentzug verbunden ist
• Gesamtbeurteilung der Haftbedingungen, inkl. Dauer des
Zustandes
24.03.2016
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Verletzung von Art. 7 und Art. 10 Abs. 3 BV:
Argumente:
• Starke Überbelegung: drei anstatt sechs Insassen
• Luftqualität: doppelt so viele Menschen wie gedacht, extreme
Hitze während längerer Zeit
• Ausgang: nur zweimal die Woche eine Stunde
• Kein Bett, nur Matratze
Fazit
24.03.2016
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Frage 4
Welche Gegenargumente könnten Ihnen die
Verantwortlichen von G entgegenhalten?
24.03.2016
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Argumentation
Ziel:
Keine Verletzung von Art. 7 und Art. 10 Abs. 3 BV
Mittel:
• Darlegen, dass Haftbedingungen sich im Rahmen des
Üblichen und Zulässigen befinden
• Darlegen, dass X’s Leiden dem entspricht, was
unausweichlich mit einem Freiheitsentzug verbunden ist
24.03.2016
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Argumentation
Gesamtwürdigung?
Argumente:
• Hygienischer Zustand
• Gewährleistete Intimsphäre
• Eigenes Bett
• Gewisse Unannehmlichkeiten sind hinzunehmen
• Unvorhersehbarkeit der extremen klimatischen
Bedingungen
24.03.2016
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Frage 5
Nehmen Sie an, die Angehörigen von Y würden
Sie als Anwalt/Anwältin wählen, um gegen die
Verantwortlichen von G vorzugehen. Sie
entscheiden sich erneut für Art. 10 BV als
Grundlage Ihrer Rechtsschrift. Wie argumentieren
Sie?
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Recht auf Leben
Art. 10 Abs. 1 BV; Art. 2 Abs. 1 EMRK
• Abwehrrecht
• Schutzpflichten
• Schutzpflichten gegenüber Personen im Strafvollzug
Voraussetzungen für positive Schutzpflicht:
• Kenntnis der Gefahr
• Möglichkeit zum Ergreifen vernünftiger
Schutzmassnahmen
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Kenntnis der Gefahr
Konnten oder mussten die Verantwortlichen von G die Gefahr
kennen, die von X ausging?
Chronologie:
• X leitet rechtliche Schritte ein
• Reaktion nach erstinstanzlichem Entscheid
• X verlangt eine Betreuungsperson
• X „kann für nichts mehr garantieren“
• Anwalt weist auf Aggressionspotential seines Klienten hin
• X reisst Matratze in Stücke
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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Schutzmassnahmen
Hatten die Verantwortlichen von G die Möglichkeit, vernünftige
und zumutbare Schutzmassnahmen zu ergreifen, um die von
X ausgehende Gefahr einzudämmen?
• Seelische Betreuungsperson
• Isolierung
Fazit
24.03.2016
Titel der Präsentation, Autor
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