Loic Wacquant: Das Janusgesicht des Ghettos und andere Essays, Basel 2006, Birkhäuser Verlag, 208 S., ISBN-10: 3764374616, 24,90 Euro „Das kritische Denken muss mit Eifer und Härte die falschen Allgemeinplätze auseinandernehmen, die Täuschungen offen legen, die Lügen demaskieren und die logischen und praktischen Widersprüche des Diskurses über den König Markt und des triumphierenden Kapitalismus aufzeigen, der sich als Folge des brutalen Zusammenbruchs der bipolaren Welt seit 1989 und der Erstickung des sozialistischen Projektes (und dessen Verhunzung durch angeblich linke Regierungen, die de facto zur neoliberalen Ideologie konvertiert sind) überall durch die Kraft der Selbstevidenz verbreitet. Kritisches Denken muss unermüdlich die Frage stellen nach den sozialen Kosten und dem Nutzen der Politik der ökonomischen Deregulierung und des sozialen Abbaus, die inzwischen als sicherer Weg zu ewigem Wohlstand und höchstem Glück unter der Ägide von ‚individueller Verantwortung’ präsentiert werden – bloß eine andere Bezeichnung für kollektive Verantwortungslosigkeit und merkantilen Egoismus“ (S. 199). In diesen Sätzen ist der Anspruch formuliert, den der Soziologe Loic Wacquant an die zeitgenössischen kritischen Sozialwissenschaften stellt. Wacquant, derzeit Professor für Soziologie an der Universität von Berkeley und ehemaliger Schüler und Mitarbeiter Pierre Bourdieus, erlangte internationale Berühmtheit in wissenschaftlichen Kreisen durch seine teilnehmende ethnographische Studie über Boxer in den Chicagoer Ghettos. Auch im vorliegenden Buch befasst sich Wacquant wieder mit den Lebensbedingungen in den marginalisierten Quartieren der ‚westlichen’ Welt und bestätigt damit gleichzeitig seinen Ruf als einer der derzeit bedeutendsten Kritiker der neoliberalen Ordnung. Gegenstand von Wacquants Buch ist die Analyse des Zusammenhangs von sozialer und städtischer Marginalität, ethnorassischer Trennung und staatlicher Politik. Wacquant beobachtet eine zunehmende Bestrafung der Armut als Strategie der Regierungen der Gesellschaften des fortgeschrittenen Kapitalismus im Umgang mit städtischer Marginalität. In den insgesamt elf Aufsätzen des Buches formuliert Wacquant zum Ersten eine Kritik des inflationär gebrauchten Ghettobegriffs, dem er eine fundierte soziologische Definition gegenüberstellt, zum Zweiten analysiert er das Ghetto als ein Instrument ethnorassischer Schließung am Beispiel des ‚schwarzen Ghettos’ in den USA und liefert letztlich zum Dritten eine kritische Beschreibung des Endes des Wohlfahrtstaates einerseits und des Erblühens des strafenden Staates andererseits. Die vorliegende Aufsatzsammlung ist gerade für Studentinnen und Studenten, die sich u. a. für die Themen der räumlichen Segregation und der ethnorassischen Trennung interessieren, sehr empfehlenswert. Martin Spetsmann-Kunkel LG Interkulturelle Erziehungswissenschaft FernUniversität Hagen
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