Anwaltsprüfung Sommer 2015 Privatrecht / Zivilprozessrecht / SchKG Zur Verfügung stehende Rechtsquellen: ZGB, OR, ZPO, BGG, SchKG, IPRG, LugU und JusG Sie können davon ausgehen, dass Ihnen alle für die Lösung der Aufgaben benötigten Rechts- quellen zur Verfügung stehen. Es ist aber nicht unbedingt so, dass Sie für die Lösung der Aufgaben alle Ihnen zur Verfügung gestellten Rechtsquellen auch tatsächlich benötigen. Ausländische Rechtsquellen liegen nicht auf: Falls Sie in einer Aufgabe zum Schluss kommen, es sei materielles oder prozessuales ausländisches Recht anwendbar oder es sei eine ausländisehe Zuständigkeit gegeben, gehen Sie für die weitere Beantwortung der Frage (trotzdem) von der Anwendung schweizerischen Rechts und der Zuständigkeit schweizerischer Behörden und Gerichte aus. Es wird erwartet, dass Sie Ihre Antworten und Ausführungen begründen und soweit möglich auf die einschlägigen Gesetzesbestimmungen verweisen. Die Gewichtung der Aufgaben (Punktezahlen) finden Sie im Titel der jeweiligen Aufgabe bzw. Teilaufgabe Wir wünschen Ihnen viel Erfolg! Aufgabe 1 Der folgende Sachverhalt bildet die Grundlage für die in dieser Aufgabe gestellten 2 Fragen (unten Fragen 1. 1.-1. 2). Die Gewichtung der einzelnen Fragestellungen ersehen Sie aus den bei den 2 Fragen genannten möglichen Punktezahlen. Der damals 21-jährige Luzerner Fridolin Küng begegnete im Jahr 1985 auf dem Oktoberfest in München der damals 20-jährigen Münchnerin Mathilde Peter. Nach einer anfänglichen Fernbeziehung zogen sie im Jahr 1987 zusammen in eine 3-Zimmer-Mietwohnung in Luzern. Beide waren weiterhin erwerbstätig; Mathilde Peter als Hotelrezeptionistin, Fridolin Küng als leitender Bankangestellter. Im Jahr 1990 heirateten sie. Damals hatte Fridolin Küng auf seinen Bankkonti und Depots bei der UBS einen Betrag von Fr. 20'000. ~, Mathilde Küng-Peter auf ihren Bankkonti und Depots bei der Münchner Hypothekenbank (MHB) einen solchen von Fr. 30'QOO.-. Fridolin Küng besass nebst seinem bescheidenen Junggesellenhaushalt zwei Oldtimer der Marke Fiat, die er von sei- nen Eltern geschenkt bekommen hatte und die heute geschätzt je Fr. 40'000. ~ wert sind. IVIathilde Küng-Peter besass zwei wertvolle antike Standuhren, die ihr der Grossvater mütterlicherseits vermacht hatte und die heute einen Schätzwert von je Fr. 20'000. - haben, sowie die aus ihrer Wohnung in München mitgebrachten bescheidenen Haushaltsgegenstände. Nachdem Fridolin Küng im Jahr 1992 das elterliche Zweifamilienhaus in Luzern geerbt hatte, zogen Fridolin und Mathilde Küng-Peter noch im gleichen Jahr zusammen in die dortige 7-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss, währenddem die 5-Zimmerwohnung im Obergeschoss weiterhin vermietet blieb. Im Zuge dieser Erbschaftsangelegenheit kam es zu einer heftigen prozessualen Auseinandersetzung zwischen Fridolin Küng und seiner Schwester, mit der er seither keinen Kontakt mehr hat. Der Bruder von Fridolin Küng hatte sich damals neutral verhalten, und die beiden (Fridolin Küng und sein Bruder) stehen in gutem Kontakt. Im April 1995 kamen die Zwillinge Anna und Silvia Küng zur Welt. Mathilde Küng-Peter ist seit- her nicht mehr erwerbstätig. Im Januar 1997 wurde Jonas Küng geboren. Seit rund fünf Jahren besucht Mathilde Küng-Peter regelmässig für längere Zeit ihre pflegebedürftige Mutter im Altersheim in München, um ihr persönlich beizustehen. Mit ihrem Vater hat sie seit der Trennung und Scheidung der Eltern vor gut 20 Jahren keinen persönlichen Kontakt mehr. Die Liebhaberei von Fridolin Küng für Oldtimer wurde über die Jahre zur gemeinsamen Leidenschaft der beiden Eheleute. Inzwischen besitzen sie nebst den bereits erwähnten zwei Oldtimern der Marke Fiat noch sechs Oldtimer der Marke Mercedes Benz (aktuelle Schätzwerte je Fr. 90'000. -). Sie stehen alle in einer Einstellhalle in Kriens und werden von den Eheleuten gemeinsam und einzeln bei besonderen Gelegenheiten benutzt. Als Halter aller Fahrzeuge ist Fridolin Küng eingetragen. Zwei der Oldtimer Mercedes Benz (A+B) hat Fridolin Küng nachweislich aus den Mietzinseinnahmen für die enwähnte 5-Zimmerwohnung gekauft, einen (C) hat er aus seinem Erwerbseinkommen bezahlt. Mathilde Küng-Peter hat einen Oldtimer Mercedes Benz (D) aus ihrem seinerzeitigen Erwerbseinkommen bezahlt, einen (E) kaufte sie sich mit einern von ihrer Mutter dafür geschenkten Betrag. Vom ersten angeschafften Oldtimer Mercedes Benz (F) kann mangels Belegen nicht mehr eruiert werden, wie und von wem er gekauft und bezahlt wurde; beide Eheleute behaupten, er bzw. sie hätte ihn aus dem vor der Ehe vorhandenen Vermögen gekauft und bezahlt. Mathilde Küng-Peter geht im Übrigen davon aus, einen der Oldtimer, die Fridolin Küng aus den Mietzinseinnahmen bezahlt habe (A), habe er ihr zu ihrem 40. Geburtstag geschenkt; davon will Fridolin Küng nichts wissen, und es existieren dazu keine Belege. Die Eheleute verfügen heute je über verschiedene Konti und Depots bei der Luzerner Kantonalbank (LUKB), welche sie nach der Heirat eröffneten und über die seither die wesentlichen Geldflüsse gingen. Auf den Namen von Mathilde Küng-Peter bestehen Konti und Depots im Wert von Fr. 150'QOO. -, die sie im Wesentlichen in der Zeit ihrer Erwerbstätigkeit äufnete. Fridolin Küng hat verschiedene auf seinen Namen lautende Konti und Depots im Wert von Fr. 250'000. ~, die er ebenfalls im Wesentlichen in der Zeit der Erwerbstätigkeit beider Eheleute äufnete. Zudem lauten ein Mietzinskonto von Fr. 100'DOO.- betreffend die vermietete 5-Zimmerwohnung und ein Privat-/Lohnkonto von Fr. 50'000. ~ auf seinen Namen. Die Konti und Depots von Fridolin Küng bei der UBS und von Mathilde Küng-Peter bei der Münchner Hypothekenbank (MHB) blieben im Bestand und Wert seit der Heirat praktisch gleich. Das erwähnte Zweifamilienhaus hat aktuell einen Verkehrswert von Fr. 2'500'OQO. -. Schliesslich bestehen ein Bankkonto/-depot der gebundenen Vorsorge (Säule 3a), lautend auf Fridolin Küng, eröffnet im Jahr 1990, mit einem aktuellen Vorsorgekapital von Fr. 200'000. ~ (Einzahlungen jeweils ab dem Privat-/Lohnkonto von Fridolin Küng), und ein Freizügigkeitskonto der beruflichen Vorsorge (2. Säule), lautend auf Mathilde Küng-Peter, im Betrag von Fr. 100'OOQ. -, beide bei der Luzerner Kantonalbank (LUKB). Die Austrittsleistung der beruflichen Vorsorge (2. Säule) von Fridolin Küng beträgt gemäss Ausweis der Pensionskasse Fr. 1 'SOO'OOO. -. Die Kinder verfügen nicht über eigenes Vermögen. Frage 1. 1 (AusganQslage Sachverhalt oben Fridolin Küng möchte wissen, was mit dem Vermögen der Eheleute Küng-Peter geschehen würde, wenn er versterben würde. Stellen Sie ihm die Sach- und Rechtslage in Form einer Aktennotiz dar. Dabei können Sie den Hausrat und die persönlichen Gegenstände der Eheleute ver- nachlässigen. Stellen Sie die Sach- und Rechtslage möglichst umfassend dar, inkl. ziffernmässiger Berechnung der den einzelnen Personen zukommenden Anteile. Fraae 1. 2 (Ausoanaslage Sachverhalt ober Fridolin Küng möchte zudem wissen, was mit dem Vermögen der Eheleute Küng-Peter geschehen würde, wenn bei einem Flugzeugabsturz beide Eheleute und die drei Kinder gleichzeitig versterben würden, und ob er und/oder seine Ehefrau aufgrund der dargestellten konkreten Familienkonstellation (vgl. Ausgangslage Sachverhalt) für eine solche Situation allenfalls etwas vorzukehren hätten bzw. vorkehren könnten; er äussert sich dazu in dem Sinn, dass man in ei- nern solchen Fall ja schon möchte, dass das Vermögen an die "richtigen" Verwandten gehen würde. Stellen Sie ihm in Form einer Aktennotiz kurz die Rechtslaoe dar, ohne dass Sie die den einzelnen Personen zukommenden Anteile konkret und ziffernmässig berechnen (nur je Benen- nung der Erbquoten und der Möglichkeiten für die von Fridolin Küng angesprochenen Vorkehren, die die Eheleute Küng-Peter treffen könnten, damit das Vermögen an die "richtigen" Verwandten gehen würde). Aufgabe 2 Der folgende Sachverhalt bildet die Grundlage für die in dieser Aufgabe gestellten 3 Fragen (unten Fragen 2. 1. -2. 3). Bei der Beantwortung dieser 3 Fragen interessieren die materiellen Aspekte nicht, sondern es geht einzig um die prozessualen Gesichtspunkte. Die Gewichtung der einzelnen Fragestellungen ersehen Sie aus den bei den 3 Fragen genannten möglichen Punktezahlen. Sie vertraten als unentgeltlicher Rechtsbeistand bzw. Rechtsbeiständin den 55-jährigen Anton Gassmann in einem Eheschutzverfahren. Die erste Instanz legte im Entscheid vom 5. März 2015 für die Dauer der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts einen persönlichen Unterhaltsbeitrag Ihres Klienten an die Ehefrau von Fr. 1'200. - pro Monat fest, wie es diese im Gesuch gestützt auf Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB beantragt hatte. Mit dem Gesuch hatte sie verschiedene Belege eingereicht, insbesondere den Wohnungsmietvertrag, die Krankenkassenpolice und Lohnabrechnungen betreffend ihrer Vollzeitanstellung bei der Zentrum AG von August bis Oktober 2014. Sie hatten für Ihren Klienten seinerzeit die Abweisung des entsprechenden Antrags der Ehefrau beantragt. In der Berufung beantragt die Ehefrau einen Unterhaltsbeitrag von Fr. 2'800. - pro Monat. Sie führt dazu aus, sie sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, das seinerzeitige, damals auch für die Zukunft erhoffte und der Berechnung vor Vorinstanz zu Grunde gelegte Einkommen zu erzielen, was sich aus den Arztzeugnissen vom 3. Februar und 7. April 2015 ergäbe, die ihre auf 50% reduzierte Arbeitsfähigkeit seit Dezember 2014 belegen. Einen solchen Unterhaltsbeitrag lehnt ihr Klient kategorisch ab, nachdem er sich mit dem von der ersten Instanz festgelegten Unterhaltsbeitrag von Fr. 1'200. - nach Kenntnisnähme der Entscheidbegründung abgefunden hatte. Er bittet Sie, alles zu unternehmen, damit eine solche Erhöhung des Unterhaltsbeitrages verhindert werde (erstes und Hauptanliegen Ihres Klienten). Wenn er es sich im Übrigen heute nochmals überlege, komme er zum Ergebnis, dass er auf seinen Entschluss betreffend Nichtanfechtung des erstinstanzlichen Entscheids zurückkommen und wieder den ursprünglichen Antrag auf gänzliche Abweisung des Antrags der Ehefrau betreffend Unterhalt verfolgen möchte (zweites Anliegen Ihres Klienten). Sie werden vom Kantonsgericht zur Berufungsantwort aufgefordert. Frage 2. 1 (Ausaanaslaae Sachverhalt oben: Was führen Sie in Ihrer Berufungsantwort zum Antrag und zur Begründung der Gegenpartei unter prozessualen Gesichtspunkten (vgl. Ingress der Aufgabe) aus? Fraae 2. 2 (Ausaanaslacie Sachverhalt oben; Können Sie für Ihren Klienten bezüglich seines zweiten Anliegens etwas vorkehren? Was unternehmen Sie diesbezüglich konkret bzw. warum können Sie für ihn in Bezug auf dieses Anliegen allenfalls nichts unternehmen? Fraae 2. 3 (Ausganaslage Sachverhalt oben: Wie lauten Ihre vollständigen Anträge in Ihrer/n Eingabe/n? Aufgabe 3 Der folgende Sachverhalt bildet die Grundlage für die in dieser Aufgabe gestellten 2 Fragen (unten Fragen 3. 1. -3. 2). Die Gewichtung der einzelnen Fragestellungen ersehen Sie aus den bei den 2 Fragen genannten möglichen Punktezahlen. Vor einiger Zeit las der 75-jährige rüstige Hans Bühlmann aus Hochdorf in der Neuen Luzerner Zeitung (NLZ) ein Inserat, in dem die Firma Kaufreisen AG mit Sitz in Lindau/Deutschland zu ganztägigen Ausflugsfahrten an den Bodensee einlud. Dabei seien die Busreise von Luzern nach Lindau und zurück sowie sämtliche Verpflegungen, Besichtigungen und Führungen kostenlos. Nach dem Mittagessen finde eine kurze Werbe- bzw. Verkaufsveranstaltung statt. Hans Bühlmann meldete sich sofort über die im Inserat angegebene Internetadresse an. Am 3. März 2015 genoss er die Ausflugsfahrt im luxuriösen Bus der Kaufreisen AG an den Bodensee. In Lindau liess er sich nach dem Mittagessen von den dort angebotenen Matratzen begeistern und kaufte zwei Stück ä Fr. 3'500. -. Fr. 3'000. ~ bezahlte er als Anzahlung sofort vor Ort mit seiner Kreditkarte, weitere Fr. 3'000. - bezahlte er vertragsgemäss 10 Tage danach mit einem Bankauftrag. Am 24. April 2015 wurden die Matratzen geliefert, wie im Vertrag geregelt mit einer Rechnung über die restlichen Fr. 1'000. - zur Bezahlung innert zehn Tagen. Im Vertrag vom 3. März 2015 stand gut sichtbar und fett gedruckt, Gerichtsstand für sämtliche Streitigkeiten aus diesem Vertrag sei Lindau/Deutschland und es sei deutsches Recht anwendbar. Weiter sei der Vertrag mit Unterzeichnung für beide Parteien verbindlich und es sei unter Vorbehalt zwingender gesetzlicher Bestimmungen jegliche Gewährleistung ausgeschlossen. Heute kommt Herr Bühlmann zu Ihnen ins Anwaltsbüro und schildert Ihnen den oben genannten Sachverhalt. Er sei in den letzten Tagen zum Schluss gekommen, dass er die beiden Matratzen nicht (mehr) wolle. Einerseits würden sie ihm nicht passen und er brauche keine neuen, er habe sie nicht einmal ausgepackt, andererseits übersteige der Kauf eigentlich seine finanziellen Möglichkeiten. Er habe der Kaufreisen AG vor drei Tagen ein entsprechendes Mail geschickt und um die Rücknahme der Matratzen gegen Rückerstattung des bezahlten Betrages von Fr. 6'000.~ gebeten. Die Kaufreisen AG habe ihm umgehend mitgeteilt, eine Rücknahme der Matratzen komme aufgrund der Verbindlichkeit des Vertrages nicht in Frage und er habe die Restanz von Fr. 1'000. - vertragsgemäss zu bezahlen. Herr Bühlmann möchte von Ihnen wissen, ob und wenn ja wie er den Vertrag rückgängig machen könne. Er wolle sein Geld zurück und sei selbstverständlich bereit, die Matratzen zurück zu geben, allenfalls übernehme er die entsprechenden Transportkosten. Frage 3. 1 (Ausgangslage Sachverhalt oben.,, Stellen Sie in einer Aktennotiz für Ihren Klienten die Rechtslage und die mögliche/n Vorgehensweise/n dar. Aussern Sie sich dabei auch konkret (aber kurz) zur Frage, an welche Behörde/n bzw. welche/s Gerichüe Herr Bühlmann nötigenfalls gelangen könnte. Frage 3. 2 (Ausganaslaae Sachverhalt oben Machen Sie gedanklich einen Zeitsprung und nehmen Sie an, Sie hätten ein rechtskräftiges Urteil erlangt, in dem Herrn Bühlmann eine Forderung von Fr. 6'000. - zugesprochen worden wäre. Herr Bühlmann fragt Sie in diesem (hypothetischen) Zeitpunkt, wie es denn mit der Vollstreckung seines Anspruchs aussehe und ob man in dieser Hinsicht etwas Wirksames vorkehren könne. Seine Internet-Recherchen hätten über die Kaufreisen AG in finanzieller Hinsicht "Nichts Gutes" ergeben. Auf der Homepage der Kaufreisen AG habe er gelesen, dass diese kürzlich in Willisau ein Verteilzentrum eröffnet habe. Darüber sei in der Luzerner Zeitung (NLZ) berichtet worden. Die dortige Abbildung habe einen grossen Warenbestand an Einrichtungsgegenständen gezeigt. Stellen Sie in einer Aktennotiz für Ihren Klienten kurz die im Hinblick auf die Vollstreckung gegebenen (wirksamen, wie er sagt) Möglichkeiten dar (oder - wenn Sie solche Möglichkeiten verneinen -warum solche nicht gegeben sind). Dr. iur. Marianne Heer Kantonsrichterin Prüfung Strafrecht/Strafprozessrecht Sommer 2015 Zur Verfügung stehende Gesetzeserlasse: StGB, StPO, ZGB und EG ZGB Sachverhalt Am 16. September 2011 schnitt der Gärtner Urs W. im Auftrag des Beschuldigten Hugo S. zwei auf dem Grundstück von Peter M. stehende Birken zurück. Die polizeilichen Ermittlungen hatten ergeben, dass die seit über zwanzig Jahre alten Bäume in einem Abstand von 6 Metern zur Gren- ze des Grundstücksvon Hugo S. standen. Die Schnitte an den Asten sollen hauptsächlichin Richtung des Grundstücks von Oliver l. vorgenommen worden sein, der das Vorgehen von Hugo S. nicht beanstandete. In Richtung des Grundstücks von Hugo S. überragten nur einzelne Zweige die Grenze. Zuvor hatte Hugo S. den Nachbarn Peter M. schriftlich darauf aufmerksam gemacht, dass die Bäume innert 20 Tagen zurückgeschnitten werden müssten. Er drohte an, bei Säumnis des Nachbarn diese Arbeiten selbst vorzunehmen, was er ja denn auch in der Tat später umsetzen liess. Nachdem Peter M. Strafantrag gestellt hatte, erging ein unbegründeter Strafbefehl gegen Hugo S. Fragen 1. Wie lautet der Schuldspruch gemäss Strafbefehl? 2. Hugo S. sucht Sie als Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin auf. Er will sich mit dem Strafbe- fehl nicht abfinden und lässt sich von Ihnen erklären, wie die Sache rein verfahrensmässig bis zu einem erstinstanzlichen Urteil weitergehen könnte. ) 3. Hugo S. weist Sie darauf hin, dass nicht er, sondern der Gärtner Urs W. die Birke zurück- 4. geschnitten hat. Kann er sich damit entlasten? Wie ist Hugo S. zu qualifizieren? ~ ~ ) Zeigen Sie Ihrem Klienten auf, wie ein Freispruch durch das Gericht im Einzelnen begründet werden könnte. Gehen Sie detailliert auf die relevanten Tatbestandsvoraussetzungen ein und zeigen Sie Ihrem Klienten die Chancen eines Erfolgs auf Sachverhalt Das Gericht erachtet eine Strafbarkeit von Hugo S. als gegeben und fällt eine Geldstrafe von 10 Tagessätzenä Fr. 300.00 aus. Währendder Staatsanwaltund der Privatklägersich dem Urteil anschliessen können, zieht Hugo S. in Erwägung, die Sache weiterzuziehen. Fragen 5. Mit welchem Rechtsmittel ist das Urteil anzufechten? Welche Schritte sind im Einzelnen vorzunehmen? 6. Hugo S. fürchtet sicn, dass er nicht nur mit weiteren Kosten, sondern auch mit einer höhe- 7. ren Strafe belegt werden könnte. Wie äussern Sie sich ihm gegenüber? '' ' Können Sie sich Besonderheiten bei der Ausgestaltung des Rechtsmittelvertahrens vorstel- len? . .) 8. Sie als Verteidiger können sich mit der Kürzung Ihrer Kostennote durch das erstinstanzli- ehe Gericht nicht abfinden. Können Sie das geltend machen? Wie gehen Sie vor? . Sachverhalt Hugo S. erinnert sich nach Kenntnisnahmedes erstinstanzlichen Urteils plötzlichdaran, dass im Juli 2011 im Rahmen einer Einsprache gegen ein kleineres Bauvorhaben von Peter M. unter Mit- Wirkung des zuständigenGemeinderats ein Augenschein stattgefunden hat. Der Gemeinderat Xaver R. soll ihm versichert haben, dass er die fraglichen Birken bedingungslos zurückschneiden dürfe. Fragen 9. Können Sie jetzt noch beantragen, Xaver R. sei als Zeuge einzuvernehmen? Begründen Sie Ihre Meinung kurz. 10. Welche prozessualen Besonaerheiten würden sich bei einer Einvernähme von Xaver R. als Zeugen ergeben? Sachverhalt Anlässlich des erwähnten Augenscheins hatte sich eine verbale Auseinandersetzung zwischen Hugo S. und Peter M. ergeben. Dies hatte den ängstlichen Gemeinderat Xaver R. veranlasst, die Polizei beizuziehen. Der PrivatklägerPeter M. beantragt, die damals anwesendePolizeibeamtin Klara T. als Zeugin einzuvernehmen. Das Gerichterachtet die entsprechenden Beweisthemen nicht als relevant und teilt Ihnen mittels einer Beweisverfügung mit, dass auf eine Einvernähme der Zeugin Klara T. verzichtet werde. Fragen 11. Hätten sich bei einer Einvernähme von Klara T. die selben prozessualen Probleme ergeben wie bei Xaver R. ? Begründen Sie Ihre Meinung.' 12. KönnenSie gegen die fragliche Beweisverfügungetwas unternehmen? Welches Rechtsmittel wäre allenfalls geeignet? Begründen Sie Ihre Meinunp 1. Mai2015/hem 1. Mai 2015 AnwaltsprüfungSommer 2015 (3}.docx Seite 2/2 Anwaltsprüfung Sommer 2015 / Staats- und Verwaltungsrecht Vorbemerkuna . Es sind beide Fälle zu bearbeiten, wobei das Schwergewicht auf dem ersten Fall liegt. . Geben Sie die anwendbaren Rechtsnormen präzise an. . Beschränken Sie sich auf das sachlich Notwendige und halten Sie Ihre Ausführungen kurz und prägnant(Zeitmanagement). Erlasse Bundesverfassung (BV, SR 101) Bundesgerichtsgesetz (BGG, SR 173. 110) Bundesgesetz über die universitären Medizinalberufe (MedBG, SR 811. 11) Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege (VRG, SRL Nr. 40 ) Justizgesetz (SRL Nr. 260) Gesundheitsgesetz des Kantons Luzern (GesG. SRL Nr. 800) Verordnung über die universitären Medizinalberufe (uniMed-VO, SRL Nr. 801) Strassenverkehrsverordnung (SRL Nr. 777) Fall 1 Frau Dr. med. Kümmerii (geb. 1957) ist seit Jahren als Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe mit eigener Praxis in der Stadt Luzern tätig. In den Jahren 2011, 2013 und 2014 kam es bei drei von ihr operierten Patientinnen zu erheblichen Komplikationen. Im ersten Fall aus dem Jahre 2011 trat im Rahmen einer Bauchspiegelung eine massive Blutung auf, im Jahre 2013 und 2014 führtenwährendder Operation entstandene Risse am Gebärmutterhals bzw. an der Gebärmutterwand ebenfalls zu starken Blutungen. In allen drei Fällen konn- ten die Blutungen nur durch eine Notfalloperation im Kantonsspital Luzern gestoppt werden. Das Gesundheits- und Sozialdepartementdes Kantons Luzern liess die Vorfälledurch den unabhängigen Experten Prof. Dr. med. Beyeler untersuchen. Vor der Begutachtung erhielt Frau Dr. med. Kümmerli die Gelegenheit, Einwände gegen den Gutachter und die Fragen an ihn vorzubringen. Sie machte davonjedoch keinen Gebrauch; stattdessen reichte sie zu den Vorfällen eine inhaltliche Stellungnahme ein, worauf die Behörde dem Gutachter Ergänzungsfragen unterbreitete. DieAbklärungen ergaben Folgendes: . Bezüglichdes ersten Vorfalls (2011) kam Gutachter Prof. Dr. med. Beyeler zum Schluss, zwar könne Frau Dr. med. Kümmerli kein ärztlicher Kunstfehler bei der Durchführung der Bauchspiegelung selbst vorgeworfen werden; doch sei die Wahl der Umgebung fürdie Operation (eigene Praxisräumlichkeiten) inadäquatgewesen, und die Arztin habe diesbezüglich eine Sorgfaltspflichtsverletzung begangen: So dürfe aufgrund der bekannten (Blutungs-)Risiken bei einer Bauchspiegelung ein solcher Eingriff nur vorgenommen werden, wenn bei Eintritt einer Blutung vor Ort sehr schnell ein Bauchschnitt durchgeführt und auf die hierfür erforderlichen Spitalbedin- gungen umgestellt werden könne; dies sei in der Praxis von Frau Dr. med. Kümmerli nicht gewährleistet gewesen. . Bezüglich der Fälle aus den Jahren 2013/2014 führte der Experte Prof. Dr. med. Beyeler aus, die von Frau Dr. med. Kümmerli behauptete Ursache für die Geweberisse - vorbestehende Gewebeschäden ('Narbengewebe') - sei "absolut unwahr- scheinlich";auch handle es sich bei den Rissen nicht um bekannte Komplikationen, mit denenjeweils gerechnetwerden muss. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die blutungsverursachenden Geweberisse durch eine inadäquate, mangelhafte Operationstechnik der Arztin entstanden seien (Kunstfehler). Gestütztauf die erwähntengutachteriichen Einschätzungenerliess die zuständigeDienststelle des Gesundheits- und Sozialdepartements (GSD) am 29. Mai 2014 vorsorglich und am 19. August 2014 definitiv ein Operationsverbot gegen Frau Dr. med. Kümmerli. Der Ärztin wurde die Tätigkeit als 'Erste-Hand-Operateurin'und die selbstständige Durchführungjeglicher operativer Eingriffe untersagt. Einer allfälligen Beschwerdedagegen wurde die aufschiebende Wirkung entzogen. Die damals nicht anwaltlich vertreten gewesene Frau Dr. med. Kümmerli unterliess es, gegen das verfügte Operationsverbot rechtlich vorzugehen. Am 3. November 2014 wurde gegen Frau Dr. med. Kümmerii ein Disziplinarverfahren ein- geleitet und eine Praxisinspektion durchgeführt. Mit Verfügung vom selben Tag entzog ihr die zuständige Dienststelle des Gesundheits- und Sozialdepartements für die Dauer des Disziplinarverfahrensdie Bewilligung zur Ausübungder selbstständigen Berufstätigkeit, unter Androhung einer Busse im Widerhandlungsfall und unter Entzug der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels. Gegen den Entzug der aufschiebendenWirkung wehrte sich Frau Dr. med. Kümmerli durch alle kantonalen Instanzen erfolglos. Im Rahmen der disziplinarischenAbklärungenerhielt das Gesundheits- und Sozialdepartement Kenntnis davon, dass Frau Dr. med. Kümmerli seit Erlass des Operationsverbots und dem Entzug der Bewilligung zur Ausübungder selbständigenBerufstätigkeitfür die Dauer des Disziplinarverfahrens abermals berufliche Verfehlungen begangen hatte, so folgende: mehrfache Missachtung des behördlichen Operationsverbots (gemäss Verfügung vom 19. 08. 14) Ausübung selbstständigerärztlicherTätigkeiten nach Entzug der Bewilligung (gemäss Verfügung vom 03. 11. 14) Vornähme eines Schwangerschaftsabbruches nach der 12. Woche trotz Nichterfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen (medizinische Indikation oder seelische Notläge der Schwangeren) Vornähme eines Schwangerschaftsabbruchs vor der 12. Woche unter Missachtung der formellen Erfordernisse (schriftliches Gesuch der Schwangeren und Aushändigung des Leitfadens durch die Arztin) Verletzung der Aufbewahrungspflichtenvon Betäubungsmittelngemäss BetmG Verletzungen des Verbots der direkten Medikamentenabgabe ohne behördliche Bewilligung und ausserhalb der Erst- und Notfallversorgung (sog. Selbstdispensationsverbot). In der Folge verfügte die zuständige Dienststelle des Gesundheits- und Sozialdepartements am 21. April 2015 ein definitives (unbefristetes) Verbot der selbstständigen Berufsausübung und zusätzlich eine Busse von CHF 3'OOQ. OO. Aufgabe 1 Frau Dr. med. Kümmerii sucht Sie heute verzweifelt in Ihrer Anwaltskanzlei auf. Sie bestreitet die Vorkommnisse zwar nicht grundsätzlich. Gleichwohl erachtet sie die verfügten behördlichen Massnahmen und insbesonderedas Verbot der selbständigen Berufsausübungals ungerechtfertigt, zumal damit ihre ganze berufliche Existenz ruiniert werde. - Sie sichern der Klientin zu, Ihr demnächstBescheid überdie Beschwerdemöglichkeitund Erfolgschancen eines Rechtsmittels zu geben (s. nachfolgende Aufgabe 2). Vorab verschaffen Sie sich im Rahmen einer Aktennotiz Klarheit über folgende Fragen: 1. Zu den Verfügungen vom 29. Mai 2014 und vom 19. August 2014: Welche Dienststelle hat das vorsorgliche und definitive Operationsverbot erlassen, und auf welche Rechtsgrundlagen stützen sich die Verfügungen? Worum handelt es sich beim Operationsverbot rechtlich? Hätte sich Frau Dr. med. Kümmerli gegen die Verfügung vom 29. Mai 2014 und gegen jene vom 19. August 2014 überhaupt mit einem Rechtsmittel zur Wehr setzen können? Falls ein Rechtsmittel offen stand: Wie wären die Erfolgschancen eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und wie die Chancen einer materiellen Beschwerdegutheissungzu beurteilen gewesen (Kurzbegründung)? 2. Zur Verfügung vom 3. November 2014: War die damalige Verfügung in allen Teilen rechtmässig (Kurzbegründung)? 3. Zur Verfügung vom 21. April 2015: Welche Dienststelle hat die Verfügung erlassen? Wie kann sich Frau Dr. med. Kümmerli gegen die Verfügung zur Wehr setzen (alle Instanzen, inkl. Rechtsmittelfristen)? Welche prozessualen und materiellen Anträge stellen Sie für Ihre Klientin vor der ersten Rechtsmittelinstanz (vollständig und präzise)? Aufgabe 2 Legen Sie Ihrer Klientin in einem Brief unter Würdigung aller relevanten Umstände - einschliesslich der konkreten Auswirkungen des Berufsausübungsverbots- die materiellen Erfolgschancen einer Beschwerde gegen die Verfügung vom 21. April 2015 dar. Fall 2 Herr Dr. med. Müller führt als Augenarzt FMhl eine eigene Augenarztpraxis in der Stadt Luzern. Er verfügt über eine bis Ende Mai 2015 gültige "Bewilligung für eine Parkierungserleichterung fürArztinnen und Arzte im Notfalldienst", welche das Strassenverkehrsamt jeweils für ein Jahr erteilt (für Dr. med. Müller erstmals im Jahre 2008 ausgestellt und seither jährlich). Die Bewilligung wird in der Regel einen Monat vor Ablauf der Gültigkeitsdauer erneuert. Anfangs April 2015 reichte Dr. med. Müller das entsprechende Antragsformular für eine Parkierungserleichterung (mit Gültigkeit ab Juni 2015) ein. In der Folge erbat das Strassenverkehrsamt - für Herrn Dr. med. Müller etwas überraschend - eine eingehendere schriftliche Begründung des Gesuchs um eine Parkierungserleichterung. In seinem Schreiben vom 15. April 2015 gab Dr. med. Müller an, er betreibe zwar eine Augenarztpraxis am Platz X. in Luzern, operiere aber einen Teil seiner Patienten in der Augenklinik in Sursee. Er hole diese gelegentlich in seiner Praxis in Luzern ab und bringe sie wieder zurück, manchmal sogar bis vor ihre Haustür. Zudem mache er mehrmals im Jahr Hausbesuche. Er transportiere überdies seine Patienten in die Praxis, wenn diese infolge ihrer Augenverletzung nicht mehr fahrfähig seien und Bekannte oder Verwandte den Fahrdienst nicht übernehmen könnten. Sodann betreue er eine schwerbehinderte Patientin, welche er mehrmals im Jahr bei ihr zu Hause abhole und sie anschliessend wieder zurückbringe. Ferner leiste er als Augenarzt Notfalldienst, wie der beiliegenden Bestätigung der Herren Dr. med. B. (Präsident der Vereinigung der Zentralschweizerischen Augenärzte) und Dr. med. C., FMH Ophthalmologie, zu entnehmen sei. Die Behandlungen - auch jene des Notfalldienstes - würden zu mindestens 90% in seiner Praxis stattfinden. Mit Schreiben vom 30. April 2015 lehnte das Strassenverkehrsamt das Gesuch von Herrn Dr. med. Müller um Parkierungserleichterung ab. In der Begründung führte es aus: "Das Strassenverkehrsrecht des Bundes (Bundesgesetz vom 19. Dezember 1958 über den Strassenvarkehr, SR 741. 01 [SVG]; Signalisationsverordnung, SR 741. 21 [SSV]) erlaubt schriftliche Ausnahmebewilligungen von den signalisierten oder markierten Verkehrsvorschriften für EinzelPersonen. Darunter fallen auch Parkierungserleichterungen für Arzte. Die Regelung der Modalitäten ist derzeit den Kantonen überlassen, denen gemäss Art. 106 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 1958 über den Strassenverkehr (SVG) der Vollzug der Strassenverkehrsgesetzgebung des Bundes obliegt. Diesbezüglicheriiess die Interkantonale Kommission für den Strassenverkehr (IKST) am 5. Februar 1987 die "Richtlinien Parkierungserleichterungen Arzte" (nachfolgend IKST-Richtlinien). Bei der IKST handelt es sich um eine Subkommission der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Poli- zeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD). Ziel dieser Richtlinien ist es, die Gewährung von Parkierungserleichterungen an Arzte in der ganzen Schweiz zu vereinheitlichen (Ziff. 1 Abs. 2 der IKSTRichtlinien). Die IKST-Richtlinien sehen vor, dass Ausnahmen von den signalisierten oder markierten Parkierungsvorschriften auf öffentlichen Strassen (die sog. Parkierungserleichterungen) nur solchen Ärzten gewährt werden können, die häufig Patienten ausserhalb der Praxisräume behandeln und damit die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellen. Die Bewilligung gilt am Ort des Hausbesuchs nur während der Dauer des Einsatzes. Von diesen Parkierungserleichterungen ausgenommen sind Spitalärzte oder Arzte mit Privatpraxis, welche einzig an Spitälern Notfalldienst leisten. Zu- dem gelten die Erleichterungen nicht während der Tätigkeit eines Arztes am Praxisstandort (zum Ganzen: Ziff. 2. 1 der IKST-Richtlinien). Die Bewilligung gewährt Erleichterungen bei Parkzeitbeschränkungen und bei Stellen, welche mit einem Parkverbot signalisiert sind. Die Parkierungserleichterungen gelten nur soweit, als in der unmittelbaren Nähe des Abstellplatzes keine freien, zur zeitlich unbeschränkten allgemeinen Benutzung offen stehende öffentliche oder private Parkflächen zur Verfügung stehen (Ziff. 6. 1. 4 der IKST-Richtlinien). Bei Missbrauch kann die Bewilligung nach entsprechender Verwarnung entzogen werden (Ziff. 7 der IKST-Richtlinien). Das Strassenverkehrsamt hat in der Vergangenheit eine zu grosszügige Erteilungspraxis für Parkierungserleichterungan für Arzte verfolgt, indem jeweils lediglich die Grundzüge der IKST-Richtlinien beachtet worden sind, ohne deren Vorgaben konsequent einzuhalten. Seit Herbst 2014 hat das Strassenverkehrsamt - auch im Nachgang an einen Personalwechsel - seine Praxis verschärft und richtet es sich nunmehr bei der Bewilligung der Parkierungserleichterung für Arzte strikte nach den IKST-Richtlinien. Die bisherige grosszügige Bewilligungspraxis hat zu einer nur schwer kontrollierbaren Anzahl von erteilten Bewilligungen geführt; dies u. a. auch, weil Bewilligungen Ärztengewährt worden sind, welche die erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllten. Zudem ist die Zahl der praktizierenden Arztinnen und Arzte und damit auch die Anzahl der Gesuche um Parkierungserleichterungen in den Jahren nach Erlass der IKST-Richtlinien (1987) deutlich angestiegen; eine strenge und konsequente Praxis nach Massgabe der IKST-Richtlinien drängt sich daher heute umso mehr auf. Schliesslich geht es nicht zuletzt auch darum, mögliche Missbräuche der Vergangenheit künftig zu verhindern. Diese unsere strengere Praxis setzen wir konsequent gegenüber allen Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern durch. Da Sie die strengen Voraussetzungen für die Erteilung einer Parkierungserleichterung nicht erfüllen, ist Ihr Gesuch abzuweisen." Aufgabe Herr Dr. med. Müller ersucht Sie um Ihren anwaltlichen Rat. Er findet die "Kehrtwende", welche das Strassenverkehrsamt mit der Ablehnung seines Gesuchs vollzogen habe, unverständlich und unzulässig. Die Verweigerung der Parkierungserleichterung schränke ihn in seiner beruflichen Tätigkeit empfindlich ein. Sie sei auch deshalb ungerecht, weil er gehört habe, andere (ihm allerdings nicht persönlich bekannte) Augenärzte besässen nach wie vor eine Parkierungserleichterung. Dass da etwas nicht "sauber" laufe, zeige sich auch darin, dass das Schreiben vom 30. April 2015 nicht einmal eine Rechtsmittelbelehrung enthalten habe. Die Angelegenheit müsse auf jeden Fall richterlich beurteilt werden. Fragen: 1. Welches prozessuale Vorgehen raten Sie Herrn Dr. med. Müller? Begründung. 2. Gehen Sie davon aus, die Sache wäre bereits vor dem (erstinstanzlichen) Gericht rechtshängig. Sie sind Gerichtsschreiber/Gerichtsschreiberin am Gericht. Der Instruktionsrichter beauftragt Sie mit der Einschätzung der konkreten Sach- und Rechtslage. Verfassen Sie - unter Angabe der Gerichtsinstanz - eine Aktennotiz (max. zwei A4-Seiten). Viel Erfolg
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