Wie bin ich? - Ein Versuch zu eine ehrliche Selbstreflektion I.H., 31. Oktober 2015 Dieser Text widmet sich bewusst der Frage „Wie bin ich?“ und nicht der Frage „Wer bin ich“, weil es das wie ist, das mein Leben prägt und nicht das wer. Ich habe intensive und starke Gefühle, die ich auf Grund einer Störung nur schwer regulieren kann, so dass ich auch sehr emotional bin. Zwar versuche ich über meinem Verstand, meine emotionale Reaktionen immer wieder zu dämpfen indem ich mir selbst jedes Mal deutlich mache, dass alles nicht so extrem ist wie ich es erlebe, an meinen eigentlichen Gefühlen ändert das leider nichts, und die wollen einen Ausdruck finden. Ich kann sie oft (nicht immer!) eine Weile unterdrücken, aber wenn ich mir nicht rechtzeitig genug Zeit nehme sie raus zu lassen, oder wenn zu viel zu schnell kommt, dann brechen sie aus mir heraus. Das kann vor allem dann sehr schnell passieren, wenn mir die Kraft und Energie für das Dämpfen bzw. Unterdrücken fehlt. Im Gegensatz zu meinen Gefühlen, spüre ich Grundbedürfnisse wie Durst, Hunger und Schlaf in der Regel viel zu spät, und nicht mal immer dann. Wenn es mir gut geht, bin ich selbstdiszipliniert genug um trotzdem dafür zu sorgen, dass ich regelmäßig trinke, esse, und – trotz Schlafstörungen – ausreichend schlafe. Wenn es mir jedoch schlecht geht, schaffe ich es meistens nicht diese Selbstdisziplin aufrecht zu halten. Außerdem bin ich dann oft mir selbst die Mühe nicht wert. Mein Aussehen interessiert mich kaum, mein Körper oft nur insoweit er funktioniert oder auch nicht, mir vieles ermöglicht oder mir Grenzen setzt. Ich weiß, dass meine Körperpflege und Kleidung Einfluss darauf haben, welchen Eindruck ich auf Andere mache. Und wenn es, z.B. bei der Arbeit, wichtig ist einen guten Eindruck zu machen, dann versuche ich auf mein Äußeres zu achten. Wenn ich keinen Arbeitseinsatz habe, kann es jedoch schnell passieren, dass ich mich 1-2 Wochen nicht wasche oder die Zähnen putze. Die Kontrolle über meine Emotionen zu behalten und dafür zu sorgen, dass mein Körper bekommt was es braucht und ich einen „gepflegten“ Eindruck auf andere mache, kostet mir Kraft, viel Kraft. Kraft und Energie die ich in der Regel reichlich habe, wenn ich mich gut fühle, die mir aber fehlt, wenn es mir schlecht geht. Ob es mir gut oder schlecht geht, hängt sehr davon ab, welches Bild ich gerade von mir selbst habe, und das wiederum wird stark beeinflusst durch das was anderen mir sagen oder wie sie mich behandeln, bzw. mit mir umgehen. Auch ob ich gerade Erfolge oder Misserfolge erlebe spielt eine Rolle, aber auch diese Einstufung ist oft verbunden mit den Reaktionen von Anderen. Selbst wenn die Außenwelt den Eindruck hat, ich habe mich verbal (und wenn nötig auch körperlich) gut wehren können, oder den Feedback abgeblockt, wirkt sich das Erlebte / Gehörte trotzdem auf mein Selbstbild aus. Dabei wirkt Negatives viel mehr, schneller und starker als Positives. Da mein Selbstwertgefühl, mein Selbstvertrauen usw. so stark unter dem Einfluss meiner sozialen Umwelt stehen, fühle ich mich diesem sehr oft ausgeliefert, und das nimmt mir – mal mehr, mal weniger die Lust am Leben. Die „Jagd“ nach Positivem kann außerdem leicht zur Aufopferung verführen. Mein größtes Problem ist wohl, dass es mir sehr schwer fällt mich selbst zu lieben. Wenn es mir gut geht, kann ich akzeptieren, dass ich so bin wie ich bin, und auch gegenüber Anderen dazu stehen. Dann würde ich sogar sagen, dass ich lebenswert bin, auch mit meinen Macken und Schwächen, aber mich lieben, mich selbst bedingungslos annehmen, dass gelingt mir selbst dann meistens nicht… Wenn es mir schlecht geht, bin ich voller Selbsthass und ein Meister darin mich selbst völlig zu zerfleischen. Es heißt, dass man sich selbst lieben muss, bevor man gesunde Beziehungen mit Anderen haben kann. Das scheint auch in meinem Fall zu stimmen. Wenn es mir gut geht, fällt es mir ganz leicht Kontakte zu knüpfen und auch zu pflegen, aber etwas scheint mich daran zu hindern mich wirklich auf eine Beziehung einzulassen bzw. mich darauf zu verlassen. Eine gesunde Beziehung über längere Zeit aufrecht erhalten zu können, das hört sich für mich wie ein Hauptgewinn im Lotto an. Wenn es mir schlecht geht, ist selbst an Kontakte knüpfen und pflegen nicht zu denken. In der Lage zu sein gesunde Beziehungen zu haben, ist meine stärkste Motivation um an mir zu arbeiten, innerhalb und außerhalb der Therapie. Manchmal sagen Menschen die mich schon etwas länger kennen, dass sie Fortschritten sehen, und wenn es mir gut geht sehe ich die manchmal auch, und dann hoffe ich, dass ich meinem Ziel irgendwann erreichen werde. Wenn es mir schlecht geht, sehe ich nur wie langsam ich voran komme (oder auch gar keine bleibende Fortschritt), und glaube ich nicht, dass ich mein Ziel je erreichen werde, selbst nicht wenn ich 100 Jahren alte werden sollte. Meine Versuche das dann zu akzeptieren, schlagen immer fehl, weil ein Leben ohne wenigstens eine gesunde Beziehung für mich wenig bis gar kein Wert hat. Und so schwankt mein Leben ständig zwischen zwei Extremen: Wenn es mir gut geht, kann ich gut für mich selbst sorgen, traue ich mich viel zu, habe ich viel Kraft und Schaffens-Energie. Ich kann mich, meine eigene Entwicklung und meine Arbeit wertschätzen, sehe so einen Sinn in meinem Leben, habe dadurch ein gewisses Maß an Selbstakzeptanz und kann deshalb, und auch dank der Hoffnung es könnte noch besser werden, das Leben aushalten. Wenn es mir schlecht geht, vernachlässige ich mich selbst, habe das Gefühl, dass es nichts gibt, dass jemand Anderem nicht besser tun könnte, und dass ich alles nur noch schlimmer, komplizierter und schwerer mache und die Welt ohne mich besser dran wäre. Meine Arbeit erscheint mir erfolgs-, sinn- und wertlos. Ich hasse mich selbst, habe keine Hoffnung, dass das Leben irgendwann leichter und erfüllender werden könnte, und sehne den Tod herbei. Mit diesen beiden Extremen zu leben ist eine große Herausforderung. Mir bewusst zu sein, zu akzeptieren, und auch gegenüber Anderen zuzugeben oder sogar zu zeigen, dass es beide Extremen gibt, war für mich ein wichtiger erster Schritt. Verantwortung dafür zu übernehmen, dass mein Körper keinen Schaden nimmt wenn es mir schlecht geht, eine weitere. Keine Unterstützung zu suchen, würde einem Suizid auf Raten gleichen, der – so befürchte ich – mit viel körperlichem Leiden und Schmerzen verbunden sein würde. Nicht gerade eine attraktive Aussicht. Da wäre ein schneller Tod mir doch lieber. Es gibt aber mehrere Gründe weshalb ein aktiver Suizid für mich nicht in Betracht kommt. Wäre das nicht der Fall, wäre ich heute wohl nicht mehr da. Aber ich bin da, und damit ich das Leben nicht umsonst aushalte, bzw. es überhaupt aushalten kann, möchte ich es – nein, muss ich ihm sogar - einem Sinn gebe. Diesen Sinn finde ich, indem ich mich für etwas (eine bessere Welt) einsetze. In den letzten Jahren waren das meine (fachpolitische) Aktivitäten in Bereich der psychiatrische und psychosoziale Versorgung, aber auch früher habe ich mich immer schon für etwas eingesetzt, auch wenn mir das warum damals nicht klar war – es war mir einfach wichtig. Das Wer ich bin ergibt sich also aus dem Wie ich bin. Es ist also nicht das Wer aber das Wie, dass für mein eigenes Leben ausschlaggebend ist. Allerdings mag das Wer an sich nicht wichtig sein, die Erfahrungen die ich mache in der Arbeit die ich leiste, haben jedoch einen großen Einfluss darauf welche Seite meines Wie ich bin gerade in Erscheinung tritt und somit auf der Gestaltung meines Lebens und darauf wie ich es erlebe. Und da mir nicht egal ist, ob es mir gut oder schlecht geht, strebe ich immer positive Erfahrungen und Feedback an. Und so beschäftigen mich vor fast jeder Offenbarung drei Fragen: 1) Werde ich mit dieser Offenbarung Stigma und Vorurteile abbauen und somit meine Arbeit voran bringen, oder werden die Menschen das Vertrauen in meine Arbeit, bzw. in meine Fähigkeiten die Arbeit zu machen, verlieren? 2) Wie Hilfebedürftig/Schwach und gleichzeitig/abwechselnd leistungsfähig/Stark darf ich in diese Gesellschaft und/oder bei dieser Arbeit sein? 3) Wie versteckt muss das Wie bleiben um das Wer bleiben zu können und in wie ferne bin ich bereit dieses Versteckspiel zu spielen, bzw. welchen Preis bin ich bereit für das Wer zu bezahlen? Und ja, auch vor dieser Offenbarung, habe ich mir diese Fragen gestellt. Nun bleibt mir nur noch abzuwarten ob, und wenn ja, was passiert. Ich habe meine Stärken und meine Schwächen und ich möchte mit beiden gesehen werden. Nur wenn das möglich ist kann ich eine ganze Person und ich selbst sein. Alles andere tut mir – auf Dauer - nicht gut.
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