der gelbe dienst - Vincentz Berlin

DER GELBE DIENST
Gesundheits- und Sozialpolitik
Nachrichten, Analysen, Hintergrund
Ärzte tagen
• Rhapsody in Blue
• „Klebeeffekt“
Ausgabe 10/2015
21. Mai 2015– 33. Jahrgang – ISSN 0945-3059
Der Gelbe Dienst — Vincentz Network 2
Inhalt
Titelthema: Ärzte
GKV-Reform:
tagen „Goldgräber vor Ort”
Spielraum in
Rhapsody
fürBlue
Rechenkünstler
ZI-Honorarstudie
118.
Ärztetag von unterbreitet
Dr. med. Erich
Wunschkatalog
Schröder..........................................................................3
der Kassenärzte...............................................3
Nachsitzen
„Klebeeffekt“
vdek versucht Quadratur des Kreises zur Finanzsituation des Krankenkassen............................7
Hausarztmedizin.............................................................................................................5
Kaum Bremsspuren
VDGH zeigt sich robust gegen GKV-Irritationen....................................................................9
Ein Bahnhof zu Streikzeiten
ASV..............................................................................................................................7
Wider die Golfplatzideologen
Schnäppchenjagd?
FVDZ-Presseseminar......................................................................................................11
KKH-Dialog....................................................................................................................9
Traurig im Norden
Ungebremste
Freude
TK-Depressionsatlas......................................................................................................
13
Hochschulambulanzen....................................................................................................11
Modernisierungsschub
German
Angst
Arzneimittelversorgung..................................................................................................
14
BMC-Fachtagung.......................................................................................................... 12
Personalien.............................................................................................................. 16
Per aspera ad astra
Apotheke 2015............................................................................................................. 14
Pflege
Laumann:
„Es
läuft etwas falsch!”
Personalien
............................................................................................................ 16
Verdienste in Pflegeberufen............................................................................................ 17
Pflege
eHealth inside
DBfK-Manifest
Die Gefahr kommt von außen
Aktion.
........................................................................................................................ 17
Datenschutz.................................................................................................................
19
Meldungen
Niedersachsen wird aktiv
Qualifizierte
Laboranforderung
Tarifpläne....................................................................................................................
18
Telemedizin bleibt Zankapfel..........................................................................................20
eHealth inside
Mehr Regulierung?
mHealth...................................................................................................................... 19
Der Gelbe Dienst 3
118. Ärztetag
Rhapsody in Blue
dgd – Eine Serie insgesamt eher sanfter Melodien, meint dgd-Korrespondent Dr.
med. Erich Schröder, der von seinen Eindrücken beim 118. Deutschen Ärztetag in
Frankfurt berichtet.
Der 118. Deutsche Ärztetag begann mit einer
peinlichen Provokation: vor dem Eingang zur
Paulskirche, in der die feierliche Eröffnung
stattfand, hatte eine Ärztegruppe eine Skulptur
„Der Sterbe-Klempner“ installiert. Das von dem
Gestalter des Düsseldorfer Rosenmontagszug,
Jacques Tilly, geschaffene „Kunstwerk“ stellte den Präsidenten der Bundesärztekammer,
Professor Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, vor einem liegenden Patienten mit einer
WC-Saugglocke auf dem Gesicht dar. Es sollte wohl eine Kritik an einer früheren, etwas
unbedachten Äußerung des Ärztepräsidenten
ausdrücken, der seine strikte Ablehnung jeglicher Sterbehilfe einmal so formuliert hatte:
„Lassen Sie das doch den Klempner machen!“
Wohl (hoffentlich!) nicht bedacht hatten auch
die Akteure, dass die Paulskirche ständig Ziel
internationaler Touristengruppen ist, die dann
irritiert und verwundert, ohne die Aussage
einordnen zu können, dieses geschmacklose
Machwerk fotografierten.
Würdiger Rahmen
Die Paulskirche selbst, zweifellos ein würdiger
Ort für die Jahrestagung des Ärzteparlaments,
war natürlich viel zu klein, um allen Ärzten
Einlass zu gewähren, die gern an der Eröffnung teilgenommen hätten. Platz fanden nur
die Delegierten, zahlreiche Funktionäre, einige
Gäste und eine limitierte Anzahl von Journalisten. Und selbst von den Eingelassenen mussten
viele die Eröffnung im Stehen verfolgen. Diese
Fixierung auf Funktionäre spiegelte sich dann
auch – wie jedes Jahr – in der Ehrung der Verstorbenen wider, geehrt wurden im Wesentlichen Ärzte mit besonderen wissenschaftlichen
Karrieren oder klinischen Leitungsfunktionen.
Die gleichen Kriterien finden sich dann auch bei
der Verleihung der Paracelsus-Medaille wieder,
immerhin der höchsten ärztlichen Auszeichnung. Warum nicht auch einmal ein Arzt, der
sein Leben für seine Patienten einsetzt, zum
Beispiel im Ebola-Einsatz, oder eine Hausärztin
mit ganz besonderen Verdiensten? Dass zwei
der vier Geehrten Duzfreunde des Präsidenten
waren, gab der Auswahl, ohne die Leistungen
der Geehrten damit herabwürdigen zu wollen,
noch ein leichtes Geschmäckle.
...mit Hilfestellung
Ein weiteres Detail sorgte für Befremden: auf
jedem Sitzplatz in der Paulskirche lag – neben dem Programm der Eröffnung – ein Zettel
mit dem Text der deutschen Nationalhymne.
Darf man von diesem Teilnehmerkreis wirklich
nicht erwarten, dass sie den Text der eigenen
Nationalhymne kennen? Die Gäste aus dem
Ausland werden dies mit Verwunderung registriert haben. Eher lustig war dagegen die kleine Episode, dass Präsident Montgomery nach
der Verleihung der Paracelsus-Medaillen dann
den 118. Deutschen Ärztetag für beendet erklärte – und dies natürlich nach aufkommender
Heiterkeit sofort wieder korrigierte. Die Stellungnahme zu der erneut in die Diskussion ge-
Der Gelbe Dienst 4
kommene Thematik Sterbehilfe überließ Montgomery dann allerdings dem Gastgeber, Dr.
Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, Präsident der Landesärztekammer Hessen, in dessen Begrüßungsansprache. Selbstverständlich
kam auch von ihm ein klares Nein zur Sterbehilfe, dem Beschluss des Deutschen Ärztetages
2011 folgend.
Politischer Dialog
Im Mittelpunkt der Eröffnung stand der Dialog der Ansprachen des BÄK-Präsidenten Frank
Ulrich Montgomery und des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe. Montgomery
betonte erneut die Bedeutung der ärztlichen
Freiberuflichkeit: „Freiberuflichkeit ist für Ärzte viel mehr als wirtschaftliche Unabhängigkeit oder Garantie für die Versorgungswerke.
Freiberuflichkeit sichert freie medizinische Entscheidungen. Sie sichert die Unabhängigkeit
des Patient-Arzt-Verhältnisses. Sie sichert damit Patientenrechte.“ Dies bedeute für Ärzte
zugleich Verantwortung: „Freiheit und Verantwortung sind unteilbar.“ Montgomery warnte
vor einer schleichenden Aushöhlung der ärztlichen Freiberuflichkeit durch staatliche Überregulierung. Dazu gehören die GKV-VSG geplante
Regelung für Zwangsstilllegungen von Arztpraxen ebenso wie die geplanten Terminservicestellen. Als Erfolg bezeichnet es Montgomery,
dass der Gesetzgeber die von der Ärzteschaft
vorgeschlagene Verschärfung des Paragrafen
136 A (Bonusverträge für leitende Ärzte) in
das Gesetz übernehmen will. Dies verhindere
falsche ökonomische Anreize in der Medizin.
Zugleich forderte er eine auskömmliche Finanzierung des stationären Sektors und kritisierten
die fehlende Investitionsbereitschaft der Länder in Krankenhäuser, die inzwischen zu einem
Fehlbetrag von mehr als 30 Milliarden € geführt
habe. Der Präsident forderte die Bundesregierung abschließend auf, das geplante Tarifein-
heitsgesetz zurückzuziehen, es würde die Belegschaften der Krankenhäuser gegeneinander
aufhetzen. „Noch ist es dafür nicht zu spät“, so
Montgomery. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe begrüßte die gegenseitige Wertschätzung zwischen der BÄK und seinem Haus
ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten in
einzelnen Fragen, dies sei ein starkes gemeinsames Fundament. Er betonte den Wert der
Wirtschaftlichkeit als Qualitätsmerkmal, insbesondere für die Nachhaltigkeit. Die Ökonomie
müsse allerdings „stets dienstbarer Geist bleiben“. Kurz griff der Minister das Thema Sterbehilfe auf: primär sei die bestmögliche Hilfe für
den Patienten zu leisten. Er verwies in diesem
Zusammenhang auf das gerade von der Bundesregierung beschlossene Hospiz- und Palliativgesetz. Das Ziel sei „eine Begleitung im
Sterben und nicht eine Hilfe zum Sterben“.
Das Thema Praxisaufkauf sieht Gröhe entspannt. Die Bedarfsplanung sei Aufgabe der
Selbstverwaltung und keine staatliche Vorgabe.
Es gebe auch keinen automatischen Aufkauf
von Praxen bei einer Überversorgung in Höhe
von 140 %. Die Entscheidung über einen Praxisaufkauf werde dann im Zulassungsausschuss
getroffen, ohne die Stimmen der Ärzte könne
es dort keinen Praxisaufkauf geben. Ebenso
entspannt wiederholte der Minister sein ständiges Plädoyer für die Terminservicestellen. Gröhe verwies auch auf einen (!) jungen Facharzt
aus seinem Wahlkreis, der ihn aufgefordert
habe in dieser Frage hart zu bleiben. Er würde gern einer Terminservicestellen seine freien Termine anbieten. Das milde Gelächter des
Auditoriums hatte sich der Minister mit dieser
eminenzbasierten Darstellung redlich verdient.
Dieser eher milde „Schlagabtausch“ zwischen
BMG und BÄK machte deutlich, dass bis auf
die erwähnten Punkte die Ärzteschaft mit dem
kommenden GKV-Versorgungsstärkungsgesetz
recht gut leben kann, was auch von beiden
Seiten letztlich bestätigt wurde. Der Gelbe Dienst 5
Tag der Hausarztmedizin
„Klebeeffekt“
dgd (hg) – Der Nachwuchsmangel treibt die Hausärzte um. Bricht die Infrastruktur
der Versorgung auf dem Lande zusammen, verliert die Arztgruppe damit ihr gesundheitspolitisches Alleinstellungsmerkmal gegenüber den Facharztgruppen, die
ebenfalls in der Grundversorgung arbeiten. Für den Hausärzteverband ist dies der
Grund dafür, verstärkt für die Niederlassung junger Mediziner im Fach Allgemeinmedizin zu trommeln.
Der bundesweite Tag der Hausarztmedizin am
7. Mai 2015 richtete in diesem Jahr sein Augenmerk auf die Beantwortung der Frage, wie es
gelingen kann, wieder mehr junge Menschen
für den Beruf des Hausarztes zu begeistern und
so sicherzustellen, dass auch zukünftig eine
qualitativ hochwertige und flächendeckende
Versorgung gewährleistet werden kann. In Berlin fand dazu als zentrale Veranstaltung eine
Diskussionsrunde zu dem Thema „Aus- und
Weiterbildung in der Allgemeinmedizin“ statt.
Teilnehmer waren unter dem Vorsitz von Ulrich
Weigeldt (BHÄV), die gesundheitspolitischen
Sprecher Jens Spahn, CDU, und Professor Karl
Lauterbach, SPD, Professor Dr. Joachim Szecsenyi, Ärztlicher Direktor am Lehrstuhl Allgemeinmedizin der Universitätsklinik Heidelberg,
sowie die Präsidentin der Bundesvertretung der
Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd),
Naomi Lämmlin.
Mehr Sicherheit
Es ist wie verhext! Zu Beginn des Studiums streben noch 40 Prozent der angehenden Mediziner den Hausarztberuf an. Aktuell
aber absolvieren nur knapp zehn Prozent der
Nachwuchsärzte ihre Weiterbildung in der Allgemeinmedizin. Deshalb wirbt der Hausärzteverband mit Nachdruck um die Wechsler.
„Wir haben den Fokus des diesjährigen Tages
der Hausarztmedizin auf das Thema Nachwuchssicherung gelegt, weil wir davon überzeugt sind, dass es sich dabei um eine der
zentralen Herausforderungen im deutschen
Gesundheitswesen handelt“, so Weigeldt zur
Einführung ins Thema. Einschneidendes Hindernis ist für Szecsenyi die unverhältnismäßig lange Ausbildungsdauer von bis zu acht
Jahren. Durch strukturierte Programme – so
der Versorgungsforscher – könnte diese Zeit
auf nunmehr sechs Jahre verkürzt werden.
Dem stehe aber als weitere Hürden die fehlende Finanzierung des Praktischen Jahres in
niedergelassenen Praxen gegenüber und das
schlechte Image, das den Studenten während
der klinikzentrierten Weiterbildung gegenüber
dem Allgemeinarzt vielfach eingeimpft werde.
Weniger Zwang
Lauterbach stimmt dieser Einschätzung zu,
mit seiner eigenen Erfahrung, dass klinische Fachgebiete mit naturwissenschaftlicher
Orientierung überschätzt würden. Trotzdem,
über die Hälfte will anschließend im Forschungsbereich bleiben – „eine Entwicklung
ähnlich wie in den USA“. Diesem „Klebeeffekt“
will Spahn mit der Einrichtung von mehr Lehrstühlen für Allgemeinmedizin entgegenwirken.
Das Geld zur Einrichtung von Kompetenzzentren soll mit einer fünf Prozent-Förderung aus
Der Gelbe Dienst 6
dem Weiterbildungsfonds fließen. Doch Geld
allein ist kein Patentrezept um die Kollegen
aufs Land zu locken, wie Nachwuchsmedizinerin Lämmlin klarmacht. Vielmehr schreckt
der bürokratische Aufwand und das finanzielle Risiko stark ab. Unter diesem Aspekt findet
der Vorschlag Lauterbachs einer fünfjährigen
Zwangsverpflichtung zum Landarzt mit anschließend freier Standortwahl in der Runde
kaum Zustimmung. Auch wenn Lauterbach
versichert, bei dieser Pflichtrotation bleibe die
Hälfte der Ärzte anschließend freiwillig auf
dem Lande. Lämmlin gibt hier der Freiwilligkeit den Vorzug.
Viele Ideen
Szecsenyi will eine grundlegende Änderung
der Weiterbildungsordnung. Die als Zuhörerin
anwesende stellvertretende KBV-Vorsitzende
Regina Feldmann umreißt das Dilemma mit
Zahlen aus Stellenannoncen zum PJ: Hier
stünden 4000 Angeboten für Klinikinternisten
gerade mal 1.110 für Allgemeinmedizin gegenüber. Weigeldt hofft trotz aller Widerstände
auf einen Umschwung: „Unser Ziel ist es, insbesondere jungen Studierenden die herausfordernden, aber auch die erfüllenden Seiten
des Hausarztberufes zu zeigen. Wenn es uns
gelingt deutlich zu machen, dass der Hausarztberuf nicht nur einen besonders intensiven und
vertrauensvollen Kontakt mit den Patienten
mit sich bringt, sondern gleichzeitig auch ein
medizinisch hoch anspruchsvolles Tätigkeitsfeld ist, dann werden sich auch wieder mehr
junge Leute für diesen Beruf entscheiden“.
Als „klares Signal“, dass die hausärztliche
Versorgung innerhalb der Bundesärztekammer „keine Rolle mehr spielt“, zeigt sich der
Hausärztechef deshalb besonders erzürnt über
eine überraschende Fronde gegen den Verband
durch das Ärzteparlament. Der Deutsche Ärztetag in Frankfurt hatte auf Antrag des Vorstandes
entschieden, die Akademie für Allgemeinmedizin abschaffen zu wollen. Die Entscheidung –
im Rahmen der Haushaltsberatungen getroffen
– ist in den Augen Weigeldts eine „rein politische“, da die Finanzierung größtenteils durch
die Landesärztekammern erfolgt.
Der Hausärztechef Ulrich Weigelt
ist sauer über die Entscheidung
der Bundesärztekammer, die
Weiterbildungsakademie für Allgemeinmedizin einzusparen.
Foto:© Svea Pietschmann
Der Gelbe Dienst 7
Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung
Ein Bahnhof zu Streikzeiten
dgd (jg) – Schwerfällig, ein stumpfes Schwert, Bürokratiemonster – drei Jahre nach
Einführung fällt das Urteil über die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV)
vernichtend aus. Gerade einmal 27 zugelassene interdisziplinäre Teams gibt es derzeit bundesweit. Die ASV ist eine Großbaustelle. Seit drei Jahren in Kraft, kommt
sie nicht richtig in Gang, so das Resümee von Experten beim X. Kongress für Gesundheitsnetzwerker.
Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz im
Jahre 2012 wurde neben den ambulanten
Krankenhausleistungen praktisch ein neuer Sektor geschaffen. Der bestehende § 116b
SGB V ist dafür komplett umgestaltet worden,
damit die Regelungen für Krankenhäuser und
niedergelassene Ärzte sowie Medizinische Versorgungszentren gleichermaßen gelten. Die
Richtlinien sollen vom Gemeinsamen Bundesausschuss erarbeitet werden. Im Blick hat der
Gesetzgeber mit der neuen Regelung Krankheiten mit besonders schwerem Verlauf, seltene Erkrankungen sowie hochspezialisierte
Leistungen. Was sind die leichten Fälle, fragt
man sich hier schon. Die Grenzziehung ist
schwierig und auch umstritten, weil jeder Einzelfall gesondert betrachtet werden muss.
Kritik am Dauerbestandsschutz
„Die ASV als Leistungsbereich mit eigenen
Spielregeln war die Morgenröte, um aus einem
verkrusteten System rauszukommen“, sagt Dr.
Wolfgang Abenhardt, Onkologe in München
und stellvertretender Vorstandsvorsitzender
des Bundesverbandes ASV. Unter- und Fehlversorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen soll die ASV abdecken, die Grenzen
von stationär und ambulant dabei überwinden.
Doch davon ist derzeit nichts zu sehen. Gegenwärtig erinnere Abenhardt die ASV jedoch an
„Bahnhöfe zu Streikzeiten“: Erst für zwei Indikationen liegen abschließende Regelungen vor
– Tumoren der Bauchhöhle sowie Tuberkulose
und atypische Mykobakteriose.
Nach Aussage der Medizinrechtlerin Katja
Held arbeiten zwei Vorschriften gegeneinander.
Zum einen der Dauerbestandsschutz für jene
Krankenhäuser, die an der ambulanten Behandlung nach §116b (alt) SGB V teilgenommen haben und damit ihre ambulante Versorgung weiter sicherstellen können. „Diese Kliniken haben
gar kein Interesse an der ASV“, sagt Held.
Keine Honorar-Regelung
Und wer sich dafür entscheidet, kämpft an anderen Fronten. Die Vergütung ist nach ihrer
Aussage zwar „charmant“, weil außerhalb des
Budgets und die Kassenärztlichen Vereinigungen damit raus sind. Doch wie wird die einzelne Leistung denn nun bezahlt. Wählt man die
DRG-Fallpauschalen, das wäre sinnvoll, so Juristin Held. „Bei der Vergütung ist derzeit nichts
strukturiert“, so die Anwältin. Eine eigene Gebührenordnung soll her, doch an der wird noch
gearbeitet – das Ergebnis lässt auf sich warten.
Die Gewinner der ASV sind laut Abenhardt jene
Ärzte, die nicht „an die strengen Vorgaben“ gebunden sind, wie Pathologen und Labormediziner. Und auch die Frage der Mindestmengen
sei ein Problem, hier vor allem der Nachweis
Der Gelbe Dienst 8
der fachlichen Befähigungen der teilnehmenden Ärzte, betont Juristin Held. Hinzu kommt
die Sichtweise: Mindestmengen pro Team oder
pro Quartal. Die Abrechnungen für erbrachte
Leistungen seien schwer einschätzbar, die ASV
damit ein „Bürokratiemonster“, ergänzt Abenhardt. Aus juristischer Sicht ist auch das Thema Haftung bei möglichen Behandlungsfehlern
ungeklärt. „Sind die Versicherungen überhaupt
darauf vorbereitet“, fragt Medzinrechtlerin Held
und kann mit einer Antwort auch nicht aufwarten.
Die Genehmigungspraxis kann unterschiedlicher nicht sein, so ihre Aussage. In Schleswig-Holstein sei dies sehr einfach gestaltet, in
Rheinland-Pfalz „eine Katastrophe“. Misslich
sei für die Juristin, dass keine niedergelassenen
Privatärzte vorgesehen sind.
Berlin ohne ASV-Team
In Berlin gibt es derzeit noch gar keinen Antrag
von einem ASV-Team, berichtet Dr. Peter Velling, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes
MVZ und Mitglied im erweiterten Landesausschuss Berlin. Er entscheidet über die Zulässigkeit von ASV-Teilnahmen. Die bisherige Einschätzung von Velling fällt kritisch aus: „Durch
die ASV wird es in den Praxen nicht besser.“
Die Planung sei ohne die Patienten gemacht
worden.
Für Velling würde diese Versorgung vor allem in Kliniken stattfinden müssen. „Über die
Hälfte der Praxen in Berlin sind nicht barrierefrei, also für die Patienten mit schweren
Erkrankungen gar nicht zu erreichen“, sagt
Velling. Er vermisst auch festgelegte Kooperationen unter anderem mit Sozialdiensten und
der Selbsthilfe.
Wer trägt die Verantwortung?
„Die Frage ist auch, wer hat in den ASV-Teams
den Hut auf, gibt es ein gemeinsames Vorgehen bei Diagnostik und Therapie“, so Velling,
der sich dagegen ausspricht, dass ein Chefarzt
aus dem kooperierenden Krankenhaus die Entscheidungen verantwortet. Wie weit dürfen die
beteiligten Mediziner überhaupt miteinander
kooperieren, beschäftigt ebenso die Anwältin.
Ungeklärt ist beispielweise, ob alle in einer
ASV-Richtlinie beschriebenen Leistungen tatsächlich auch vorgehalten werden müssen. Und
wie erreicht man eine größere Teilnehmerbereitschaft von Krankenhäusern. Und auch die
EDV-Vernetzung muss geregelt werden.
Kritisch sehen die Experten, dass nach dem
Willen des Gesetzgebers auch Hochschulambulanzen für jene Patienten zu öffnen, die
„wegen Art, Schwere oder Komplexität ihrer
Erkrankung eine Untersuchung oder Behandlung“ dort bedürfen, so ist es zumindest im
aktuellen Versorgungsstärkungsgesetz vorgesehen. Die geplante Neufassung des Paragraph
117 richtet sich damit genau an jene Patienten,
die auch von der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung profitieren sollen.
Historische Chance
Grundsätzlich halten Juristen und Ärzte, die
ASV für Krankheiten mit schwerem Verlauf für
wichtig und notwendig. Um das neue Angebot den Beteiligten schmackhaft zu machen,
schlägt Onkologe Abenhardt vor, die ASV an
einem Standort mit einer Finanzierung zu etablieren: „Ich bin ein Anhänger der ASV und sie
bietet eine historische Chance, Verkrustungen
im Gesundheitswesen zu lösen.“
Der Gelbe Dienst 9
KKH-Dialog
Schnäppchenjagd?
dgd (hg) – Die Integrierte Versorgung (IV) führt jenseits einer oft zaghaften und
kurzatmigen Förderung ein Schattendasein. Zurecht! Denn … “ein Produkt, das
gut ist braucht keine Anschubfinanzierung“, meint Ingo Kailuweit, Vorstandschef
der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) beim 18. Berliner Dialog mit Gesundheitspolitikern.
„Langfristiges Denken für Krankenkassen lohnt
sich derzeit nicht“, so Kailuweit eingangs. „Investitionen in sinnvolle Versorgungsangebote
werden zurückgehalten, um den Beitragssatz
so niedrig wie möglich zu drücken.“ Diese
Entwicklung sei eine logische Folge der politischen Rahmenbedingungen. Die KKH fürchtet deshalb um die Versorgungsqualität. Die
Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens
führen unter den Kassen verstärkt zu einem
Wettbewerb um den günstigsten Preis, bei
dem neue und sinnvolle Angebote für Kranke
auf der Strecke bleiben, so lautet die Diagnose
am IV-Krankenbett.
Sinnvolle Investition
Wie sinnvoll die Entwicklung neuer Versorgungsangebote aus Sicht der Betroffenen ist,
zeigen Erfahrungen der KKH mit der so genannten integrierten Versorgung. Dabei ist die Zielrichtung eindeutig: Versicherte mit komplexen
Krankheiten wie Migräne oder Depressionen
profitieren von einem speziellen Programm,
welches Ärzte, Therapeuten und andere Leistungserbringer aus verschiedenen Sektoren
vernetzt. Dadurch verkürzen sich Wartezeiten,
die ganzheitliche Betrachtungsweise sorgt für
ein besseres Behandlungsergebnis. Gleichzeitig ist die integrierte Versorgung ökonomisch
sinnvoll. So rechnet die KKH damit, dass bei
Versicherten mit akuten psychischen Erkran-
kungen, die an einem entsprechenden Programm teilgenommen haben, die Ausgaben für
Krankengeld und Krankenhausaufenthalte um
30 Prozent sinken.
Achillesferse Pflege
„Das neue Versorgungsstärkungsgesetz hat
die Rahmenbedingungen für integrierte Versorgung zwar verbessert, geht aber nicht weit
genug“, kritisiert der KKH Chef Kailuweit. „So
müssen Kassen, die entsprechende Angebote
entwickeln, weiterhin finanziell in Vorleistung
treten.“ Ein weiterer Aspekt der zukünftigen
Versorgungsqualität ist die Tatsache, dass es
bei der Betreuung Pflegebedürftiger – nicht
zuletzt durch den demographischen Wandel –
einen enormen Handlungsbedarf geben werde.
„Pflegebedürftigkeit stellt sehr komplexe Anforderungen an die medizinische, pflegerische,
hauswirtschaftliche und soziale Versorgung“,
nimmt Helmut Wallrafen-Dreisow, Geschäftsführer der Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach und ausgewiesener Pflegeexperte die
Politiker ins Gebet. „Bisherige Maßnahmen wie
die Möglichkeit für Pflegeheime, einen Arzt
einzustellen, reichen bei weitem nicht aus.“
Vielmehr müssten vernetzte Angebote in Pflegeeinrichtungen analog zur integrierten Versorgung entwickelt werden. Denkbar sind hierbei
neben einer multidisziplinären medizinischen
Versorgung auch ein Arzneimittelmanagement
Der Gelbe Dienst 10
zur Vermeidung von unerwünschten Nebenwirkungen und organisierte Präventionsangebote
wie Gedächtnistraining und Spazierengehen.
Um die qualitativ hochwertige Betreuung
einer wachsenden Zahl an Pflegebedürftigen
sicherzustellen, sind laut KKH klare Voraussetzungen notwendig. „Insbesondere muss die
Politik den rechtlichen Rahmen für die bessere
Verzahnung von Pflege- und Krankenversicherung schaffen“, so Kailuweit. Ferner müssten
Qualität und Transparenz der Pflegeeinrichtungen weiter verbessert werden.
Seltener Kontakt
Der Arzt macht sich rar. Obwohl viele Bewohner an chronischen Erkrankungen leiden besteht gerade zu Fachärzten nur selten Kontakt.
(siehe Schaubild). Laut KKH-Erhebung tendieren insbesondere Hausbesuche von Diabetologen und Kardiologen „gegen Null“. Ob ein
Heimarzt diese Lücke schliessen könnte, diese Frage bleibt in der Diskussion offen, auch
wenn die Vorteile auf der Hand liegen. Kurzfristige Krankenhauseinweisungen blieben den
Bewohnern erspart. Gleichzeitig könnten Niedergelassene entlastet werden. Das Pflegepersonal hätte einen festen ärztlichen Ansprechpartner, denn die medizinische Verantwortung
läge damit in einer Hand. Allerdings würde
mit einem Exklusivvertrag die freie Arztwahl
ausgehebelt. Umgekehrt fehlt es in kleineren
Einrichtungen oft an der Wirtschaftlichkeit derartiger Alleinverträge. Darüber hinaus sind die
rechtlichen Ausführungen im Verhältnis zwischen Kostenträgern und den beteiligten KVen
gerade mit Blick auf die Vergütung vielfach ungeklärt. Noch komplexer ist aus Sicht der KKH
die Versorgungssituation in der ambulanten
Pflege zu handeln. Der Innovationsfonds biete
dazu eine „einmalige Chance“ hofft Kaliuweit
auf Mittel aus der Versorgungsforschung.
Stationäre Pflege: Arztkontakte sind eine Seltenheit
*nur weibliche Personen wurden in die Berechnung einbezogen
Quelle: KKH, 18. Berliner Dialog
Der Gelbe Dienst 11
VUD
Ungebremste Freude
dgd (hg) – Hochschulambulanzen erfreuen sich großer Beliebtheit bei Patienten.
Dies löst aber nicht nur Freude bei den Krankenhäusern aus. Denn finanziell ist die
Behandlung für viele Unikliniken ein Draufzahlergeschäft wie Vertreter aus dem
Bundesministerium für Gesundheit (BMG), GKV-Spitzenverband und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) mögliche Auswirkungen der vorgesehenen gesetzlichen Neuregelung diskutieren.
Nach Angaben des GKV-Spitzenverbands lag
die Zahl der medizinischen Behandlungen in
den Hochschulambulanzen der 33 Deutschen
Universitätsklinika 2013 bei rund 3,5 Millionen.
Die Ausgaben dafür sind von 490,35 Millionen
Euro im Jahr 2013 auf 523,24 Millionen Euro
im Jahr 2014 gestiegen. Das ist ein Zuwachs
von rund 12 Prozent. Prof. Michael Albrecht
als Vorsitzender des VUD freut sich zwar über
den ungebrochen großen Zulauf bei den Hochschulambulanzen. Hierauf müsse allerdings
sowohl strukturell als auch finanziell reagiert
werden, so Albrecht.
Mehrbedarf
Christian Leber, Referatsleiter im BMG, betont in seinem Vortrag, dass die Neuregelungen zu den Hochschulambulanzen im VSG zur
finanziellen Entlastung der Hochschulmedizin beitragen sollen und das vor der geplanten Krankenhausreform. Nach Schätzungen
zum Mehrbedarf für eine adäquate Finanzierung geht die Bund-Länder AG davon aus,
dass Hochschulambulanzen bis zu 265 Millionen Euro mehr bekommen. Auch Anja Simon,
kaufmännische Direktorin des Universitätsklinikums Würzburg, weist auf die wachsende
Bedeutung der Hochschulambulanzen in der
Versorgung hin. Allein am Uniklinikum Würzburg habe es im Jahr 2013 236.000 Behand-
lungsfälle gegeben, die zu knapp einer halben
Million (486.000) Patientenbesuchen geführt
hätten. Die Kosten würden von den Kassen oft
nur zu einem geringen Teil übernommen.
Mehr Konzentration
KBV-Vorstandsvorsitzender Andreas Gassen
betont, dass dies aus seiner Sicht keine Rolle
für die medizinische Versorgung spielen müsste. Stattdessen sollten sich die Unikliniken
wieder auf ihre Rolle für Forschung und Lehre
konzentrieren. Simon hält dem entgegen, dass
die Arbeit der Hochschulambulanzen als sinnvolle Ergänzung der Niedergelassenen gesehen
werden müsse. 80 Prozent der Patienten kämen mit einer Überweisung des Facharztes in
die Hochschulambulanz, so Simon. Dr. WulfDietrich Leber, Abteilungsleiter Krankenhäuser
des GKV-Spitzenverbandes, übt Kritik an den
uneinheitlichen Abrechnungen von Leistungen
und der niedrigen Transparenz der Hochschulambulanzen. Er schlug eine eigene Gebührenordnung für Hochschulambulanzen vor. Grundlage dafür müsse eine entsprechende „saubere“
Codierung sein.
Aufgrund dieser Meinungsverschiedenheiten
bleibt abzuwarten, ob es angesichts derart konträrer Auffassungen gelingen wird, den gesetzlichen Auftrag umzusetzen und in der Selbstverwaltung sinnvolle Regelungen zu treffen.
Der Gelbe Dienst 12
BMC-Fachtagung
German Angst
dgd (hg) – In der Diskussion um die ambulante Versorgung geht das Gespenst der
„German Angst“ um. Diesen Eindruck gewinnt der Zuhörer bei der Fachtagung des
Bundesverbandes Managed Care (BMC) mit dem Titel „Ambulante Versorgung: Vom
Arztnetz bis zum großen MVZ nach dem GKV-VSG“.
Zukunftsangst statt Reformfreude durchweht
nach Meinung der Veranstalter derzeit das
Parlament, wenn es um die Reform im Versorgungsstärkungsgesetz geht. Man zieht sich
auf das Althergebrachte zurück und malt vorsorglich schon einmal den Teufel an die Wand.
Nicht selten führt das zu einer gewissen Handlungsträgheit oder Blockadehaltung. Gerade
die Sicherstellung der ambulanten Versorgung
dreht sich im Kreis. Doch Dr. Ulrich Orlowski,
Ministerialdirigent im Bundesministerium für
Gesundheit (BMG), weigert sich den Schwarzen
Peter anzunehmen. Er beruhigt die Ängstlichen
mit der Botschaft, dass der weit überwiegende
Teil der ambulanten Versorgung noch immer
von Ärzten in Einzel- und Gemeinschaftspraxen
erbracht werde und diese somit auch weiterhin
im Hauptfokus der Politik stehen werden. Doch
angesichts des demografischen Wandels sei die
Sicherstellung der Versorgung in einigen Regionen nach diesem Muster zukünftig schwer zu
bewerkstelligen.
Pauluserlebnis
Dr. Andreas Köhler, Ehrenpräsident des SpiFa scheint hiermit seinem Ausscheiden aus
dem Amt des KBV-Chefs offenbar ein Pauluserlebnis gehabt zu haben. Er bezeichnet es
als „Denkfehler“, den freien Beruf des Arztes
fürderhin mit wirtschaftlicher Selbständigkeit
gleichzusetzen. Der Trend junger Ärzte zur Anstellung dürfe nicht „verteufelt“ werden, so
Köhler zerknirscht. Vielmehr gehe es darum,
diese Entwicklung wahrzunehmen, zu akzeptieren und daraus eine sinnvolle Versorgungslösung zu gestalten. Köhler will, dass sich Ärzte
auf die tatsächlich kranken Patienten konzentrieren. Das impliziere ein radikales Überdenken der Vergütungsstrukturen, denn die quartalsweise Abrechnung setze deutliche Fehlanreize für die ambulanten Leistungserbringer. In
diesem Zusammenhang bedauert er auch den
Wegfall der Praxisgebühr als Korrektiv auf Patientenseite.
Den Befürchtungen vieler Niedergelassener,
dass Krankenhäuser sich durch Ermächtigungen, Institutsambulanzen und KrankenhausMVZ ein zu großes Stück des Vergütungskuchens abschneiden könnten, setzt Dr. Monika
Schliffke, Vorstandsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein, entgegen, dass es nicht darum
gehen dürfe, in Sektoren und Budgets zu denken, sondern von den Versorgungserfordernissen her, die stets nur regional und im Einzelfall
zu beurteilen sind.
Einfalt in Vielfalt
Eine Antwort auf die Sicherstellungsfrage
sieht Dr. Ursula Hahn, Geschäftsführerin der
OcuNet Gruppe, in sogenannten Ambulanten
Versorgungsunternehmen (AVU), deren Stärkung eine Projektgruppe im BMC voranbringen
möchte. Zu solchen AVU gehören etwa große
MVZ, Arztnetze, überörtliche Berufsausübungs-
Der Gelbe Dienst 13
gemeinschaften, Praxiskliniken und weitere
ambulante Kooperationsformen. Angesiedelt
zwischen einzelner Arztpraxis und Krankenhaus
können sie beispielsweise durch Filialisierung
oder multiple Standorte bei gleichzeitiger Zentralisierung des Managements zur Versorgung in
der Fläche beitragen. Darüber hinaus bieten sie
jungen Ärztinnen und Ärzten das gewünschte
Arbeitsumfeld in Anstellung und ohne unternehmerisches Risiko. Was diesen neuen Organisationsformen jedoch fehle, so Hahn, sei
die Rückendeckung durch den Gesetzgeber.
Denn letztendlich – das unterstrichen auch die
Kassenvertreter Boris von Maydell, Leiter der
Abteilung Ambulante Versorgung beim vdek,
und Susanne Hertzer, Leiterin der Landes-
vertretung Berlin/Brandenburg der Techniker
Krankenkasse, habe aus Patientensicht jedes
Angebot seine Berechtigung, das bessere Versorgung biete bzw. Versorgungslücken schließe. Insofern liegt die Lösung offenbar in der
Vielfalt der Angebotsstrukturen.
Als Fazit bleibt: Etwas weniger German
Angst und etwas mehr Offenheit für neue Lösungsansätze täte gut. Dafür ist jedoch notwendig, dass die Akteure bereit sind, alte
Strukturen und Handlungsmuster zu hinterfragen. Einen Beitrag zur Modernisierung der Versorgungsstrukturen und -prozesse erhofft sich
der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands
Managed Care, Prof. Dr. Volker Amelung, auch
vom Innovationsfonds.
Meldungen
WIdO: Immer mehr IGeL
Niedergelassene Vertragsärzte bieten laut
WIdO-Umfrage immer häufiger sogenannte
„Individuelle Gesundheitsleistungen“ (IGeL) an.
So hat jeder dritte gesetzlich Versicherte innerhalb von zwölf Monaten ein entsprechendes
Angebot erhalten. Die IGeL-Quote ist damit erneut deutlich gestiegen: von 29,9 Prozent im
Jahr 2012 auf mittlerweile 33,3 Prozent. „Damit haben rund 20 Millionen GKV-Versicherte
im letzten Jahr Erfahrung mit privaten Zusatzleistungen gemacht. Diese Expansion des IGeLMarktes hat sich vor allem beim Angebot für
Frauen vollzogen“, erläutert WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber. IGeL werden Frauen
wesentlich häufiger angeboten als Männern
(41,8 Prozent zu 23,2 Prozent). Mit Abstand am häufigsten werden Ultraschalluntersuchungen (24,8 Prozent), im Wesentlichen
zur Krebsfrüherkennung bei Frauen, und Leistungen im Rahmen der Glaukom-Früherkennung
(17,6 Prozent) angeboten. Rund 11 Prozent der
Angebote entfallen auf Medikamente, Heil- und
Hilfsmittel (11,4 Prozent) sowie Blutuntersuchungen und Laborleistungen (11,2 Prozent). In 8,2
Prozent der Fälle werden Frauen weitere ergänzende Krebsfrüherkennungen angeboten.
Rund drei von vier IGeL-Angeboten (71,8
Prozent) kommen von fünf Facharztgruppen.
IGeL-Spitzenreiter sind die Frauenärzte. Auf sie
entfallen rund 30,1 Prozent der privatärztlichen
Leistungen. Danach folgen Augenärzte mit einem
Anteil von 20,5 Prozent, Orthopäden (10,9 Prozent), Hautärzte (5,7 Prozent) und Urologen (4,6
Prozent). Praktische Ärzte und Allgemeinmediziner erreichen 19,1 Prozent. Bei Berücksichtigung
der Größe der einzelnen Arztgruppen zeigt sich,
dass Fachärzte deutlich häufiger „igeln“ als Praktische Ärzte und Allgemeinmediziner.
Der Gelbe Dienst 14
Apotheke 2015
Per aspera ad astra?
dgd (ps) – Die Blütenträume der Apotheker sind nicht gereift, das VSG sieht weder
eine regelmäßige Überprüfung, noch gar eine Anpassung der Fixvergütung vor. Von
einer Erhöhung der Vergütung für Rezepturen ist ebenso wenig die Rede wie von
einer Anhebung der Gebühren für Betäubungsmittelrezepte und den Nacht- und
Notdienst. Wie steht es also um die wirtschaftliche Lage der Apotheken? Antwort
gibt die ABDA-Broschüre „Zahlen Daten Fakten“.
Wer zählt die Völker,
nennt die Namen
2014 gab es auf dem nationalen AM-Markt sage
und schreibe 99.768 verkehrsfähige Produkte.
Knapp die Hälfte davon war verschreibungs-,
ein weiteres Fünftel apothekenpflichtig. Also
mussten fast zwei Drittel aller in Deutschland
zugelassenen AM in den Apotheken abgegeben
werden. Den GKV-Honorarkuchen von netto
4,73 Mrd. EUR (2,3 % der GKV-Gesamtausgaben) teilten sich 20.441 Apotheken. Bei 13.223
Apotheken handelte es sich um die „klassische
Einzelapotheke“ ohne Filialen, 3.046 Hauptapotheken wurden mit einer Filialapotheke
bzw. zwei oder drei Filialapotheken betrieben.
Seit 2009 nimmt die Anzahl der Apotheken ab.
Dieser Trend hat 2014 angehalten, es gab 221
Apotheken weniger als im Vorjahr. Die Anzahl
der Apotheken entspricht jetzt wieder derjenigen der frühen 1990er Jahre. Der kontinuierliche Rückgang dürfte sowohl dem Wettbewerb
zwischen den Apotheken, als auch den rechtlichen Rahmenbedingungen, zumal aber dem
Einfrieren des fixen Apothekenzuschlags von
8,10 EUR für zehn Jahre, geschuldet sein. Auch
nach Auffassung der ABDA ist die flächendeckende AM-Versorgung derzeit aber gleichwohl
noch nicht gefährdet. Alle Vorzeichen deuten
darauf hin, dass die Anzahl der Apotheken in
den nächsten Jahren weiter abnehmen wird.
Das ist jedoch kein Grund zur Sorge. Denn
das Beispiel mehrerer anderer EU-Staaten belegt, dass eine effektive Versorgung der Bevölkerung mit weitaus weniger Apotheken bewerkstelligt werden kann. Deutschland liegt mit
25 Apotheken auf 100.000 Einwohner zwar
schon um 19 % unter dem EU-Durchschnittswert von 31 Apotheken je 100.000 Einwohner, unsere Nachbarn in Österreich, den Niederlanden und Dänemark kommen aber mit 16
und 12 bzw. sogar nur sechs Apotheken pro
100.000 Einwohner aus. Sie unterschreiten
den EU-Durchschnitt demgemäß um 49,4 %
und 61,3 % bzw. sogar um 80,6 %. In den
Ballungsräumen wird die flächendeckende und
wohnortnahe Versorgung auch bei einer weiteren Verringerung der Apothekendichte gewährleistet sein. Außerhalb der Ballungsräume wird
der sich abzeichnende Wegfall von Präsenzapotheken wohl vor allem durch Ausweitung
der Botendienste (zurzeit 250.000 je Arbeitstag) sowie in zweiter Linie durch den AM-Versandhandel und aufgefangen werden.
Mit 99 Apotheken auf 100.000 Einwohner
verfügt Griechenland übrigens über das engmaschigste Apothekennetz aller EU-Staaten.
Das Land leistet sich mithin den Luxus einer
Apothekendichte, die mit mehr als dem Dreifachen des EU-Durchschnittswertes weit jenseits
von Gut und Böse liegt.
Der Gelbe Dienst 15
Feminisierung der Apotheke
In den öffentlichen Apotheken arbeiteten
152.750 Personen. Rund ein Drittel davon waren approbierte Apotheker, zwei Drittel waren
pharmazeutisch-technische Assistenten (PTA)
oder pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte (PKA). Bei einer Frauenquote von 89,1
% stellten Frauen sowohl bei den approbierten
Apothekern, als auch bei den PTA und den PKA
mehr als drei Viertel aller Beschäftigten. Die öffentliche Apotheke ist also Sache der Frauen. In
der Berufs- und Standespolitik haben indes nach
wie vor die Männer die Hosen an. Das ergibt ein
interessantes Gesamtbild: Einerseits prägen die
Frauen den Berufsalltag in der Apotheke, andererseits ist die Berufs- und Standespolitik – und
damit die Repräsentation der Apotheker gegenüber der Politik, den Medien und der Öffentlichkeit – noch immer eine Domäne der Männer.
Es ist nicht alles Gold,
was glänzt
Die durchschnittliche Apotheke hat 2014 einen
Netto-Umsatz von 2,024 Mio. EUR (ohne Umsatzsteuer und Apothekenabschlag) gemacht
und vor Steuern einen Gewinn von 129.000
EUR erzielt. Von diesem Betrag muss der Apotheker seine Steuern bezahlen und seine Investitionen sowie seine Altersvorsorge finanzieren. Die Umsatzrendite der durchschnittlichen
Apotheke be­lief sich mithin auf 6,4 %. Das ist
nicht gerade üppig. Allein drei Viertel des Umsatzes entfielen auf den Wareneinsatz. Der Anteil des GKV-Umsatzes betrug im Mittel 79 %.
Dass der Durchschnittswert für den Umsatz
und der aus ihm abgeleitete durchschnittliche
Gewinn indes eine heile Welt nur vorspiegelt,
macht bereits ein flüchtiger Blick hinter die Kulissen deutlich. Satte 60 % der Apotheken haben diesen Umsatz nämlich nicht erreicht. Dafür
haben 17,3 % der Apotheken Umsätze von mindestens 3 Mio. EUR generiert. Umsätze von weniger als 0,75 Mio. EUR haben 4,3 % der Apotheken verbucht, demgegenüber verzeichneten
2,4 % der Apotheken Umsätze von mehr als 5
Mio. EUR. Es liegt auf der Hand, dass Apotheken mit hohen Umsätzen sorgenfrei leben und
optimistisch in die Zukunft blicken können. Sie
werden nicht nur vom Großhandel mit Rabatten verwöhnt, sondern sie profitieren auch von
der „economy of scales“. Ihr GKV-Umsatz dürfte
eher unterdurchschnittlich, ihr Umsatzanteil im
lukrativen „apothekenüblichen Ergänzungssortiment“ hingegen mehr oder minder deutlich über
dem Mittelwert von 10 % des Umsatzes liegen.
Aus der Pulle „apothekenübliches Ergänzungssortiment“, die 2014 mit 3,1 Mrd. EUR gefüllt
war, haben die Apotheken mit überdurchschnittlichem Umsatz mit Sicherheit einen gehörigen
Schluck genommen. Die Apotheken mit geringem Umsatz leben hingegen von der Hand in
den Mund. Sie dürften ihre Existenz nicht zuletzt
der Selbstausbeutung ihres Inhabers verdanken.
Dieser Typus von Apotheke ist betriebswirtschaftlich in jeder Hinsicht im Nachteil. Das reicht von
Mini-Rabatten über miese Fixkostenwerte bis
hin zu Umsätzen im „apothekenüblichen Ergänzungssortiment, die kaum der Rede wert sind.
Unter der Oberfläche des Durchschnittsumsatzes von 2,024 Mio. EUR lauern also viele Untiefen, auf denen voraussichtlich noch so manches
„Apotheken-Schiff“ stranden wird.
2014 schlug der Apothekenabschlag mit
1,091 Mrd. EUR zu Buche. Die Apotheken
setzten 18.600 Rabattverträge um, die 15.700
AM (Pharmazentralnummern) betrafen. 31 %
der rabattierten verschreibungspflichtigen AM
waren von der Zuzahlung freigestellt. Die AMZuzahlungen beliefen sich auf 2,027 Mrd. EUR,
im Durchschnitt wurden 2,70 EUR pro Packung
zugezahlt. Von der Zuzahlung befreit waren
2013 9,9 % der GKV-Versicherten.
Der Gelbe Dienst — Personalien 16
Personalien
Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr.
Klaus Reinhardt, ist von den Delegierten des
118. Deutschen Ärztetages 2015 in Frankfurt in
den Vorstand der Bundesärztekammer gewählt
worden. Der 54-jährige Hausarzt aus Bielefeld
setzte sich im zweiten Wahlgang gegen Dr. Susanne Johna aus Kiedrich durch.
Die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen
(ÄKN), Dr. med. Martina Wenker, wurde auf
dem 118. Deutschen Ärztetag in Frankfurt am
Main in ihrem Amt als Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK) bestätigt. Ebenfalls bestätigt wurden Professor Dr. med. Frank Ulrich
Montgomery als Präsident sowie Dr. med. Max
Kaplan als weiterer Vizepräsident.
Der Präsident der Bundesärztekammer Prof. Dr.
Frank Ulrich Montgomery ist neuer stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes. Zuvor war er Schatzmeister des Weltärztebundes.
Der amtierende Generalsekretär der Deutschen
Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) Professor Dr.
med. Dr. h.c. Hans-Joachim Meyer wurde bei
der Mitgliederversammlung des Bundesverbandes Deutscher Chirurgen (BDC) in München zum
neuen Präsidenten gewählt.
Die Mitgliederversammlung der Agentur deutscher Arztnetze hat Dr. Veit Wambach einstimmig als Vorstandsvorsitzenden im Amt bestätigt.
Ebenfalls wiedergewählt wurde der stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes, Dr. Carsten
Jäger. Den neuen Vorstand komplettieren die
beiden Beisitzer Dr. Hans-Jürgen Beckmann
sowie Dr. Christian Flügel-Bleienheuft.
Seit Mai ist Nina Lösche (37) Leiterin Öffentlichkeitsarbeit und Internet im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Sie folgt auf
Heike Zirden.
Der 42-jährige Prof. Dr. Heiner Fangerau ist
neuer Leiter des Instituts für Geschichte und
Ethik der Medizin an der Uniklinik Köln. Er tritt
die Nachfolge von Prof. Dr. Dr. Klaus Bergdolt
an, der das Institut 19 Jahre geleitet hat und in
den Ruhestand ging.
Der Arbeitgeberverband Pflege trennt sich von
seinem bisherigen Geschäftsführer Dr. Florian
Bauckhage-Hoffer. Herr Dr. Bauckhage-Hoffer
hatte im November 2013 die Geschäftsführung
von Herrn Dr. Helmut Braun übernommen,
der zu diesem Zeitpunkt in den Ruhestand gewechselt ist.
Der Bundesverband Katholischer Vorsorge- und
Rehabilitationseinrichtungen für Kinder und Jugendliche e.V. hat einen neuen Vorstand gewählt und Dr. Monika Stolz einstimmig zur
Vorsitzenden bestimmt. Dr. Monika Stolz ist
Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg
und war fünf Jahre Sozialministerin des Landes.
Till Wahnbaeck (43) ist seit dem 1. Mai hauptamtlicher Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe. Er folgt auf Wolfgang Jamann, der
zum Direktor von Care International in Genf
ernannt wurde.
Die Universität Witten/Herdecke hat Prof. Dr.
Andreas Schulte (59) auf den bundesweit ersten Lehrstuhl für Behindertenorientierte Zahnmedizin berufen.
Der Gelbe Dienst — Pflege 17
Aktion
DBfK legt Manifest vor
dgd (mz) – Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hat mit einem
„Manifest der Pflegeberufe“ eine neue Aktion gestartet. Damit fordert der Verband
eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Das Manifest – als Instrument
politischer Kommunikation – zeigt auf, was Pflegende tun und leisten – und was sie
deshalb in ihrem Beruf erwarten und voraussetzen.
„Beruflich Pflegende sind in den vergangenen
Jahren von der Politik und von vielen Arbeitgebern schlecht behandelt worden. Ihr ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein wurde teilweise sträflich ausgenutzt. Aus ökonomischen
Gründen wurde immer mehr Arbeit auf immer
weniger Schultern verteilt. Arbeitsverdichtung
und Arbeitstempo haben inzwischen Dimensionen erreicht, die längst nicht mehr leistbar sind.
Auch Verstöße gegen geltendes Recht sind so
häufig, dass sie zur Normalität werden und
scheinbar kaum noch auffallen. Krankenstände
sind in Pflegeberufen alarmierend hoch, Grund
zur Sorge geben vor allem hohe Zuwachsraten
bei stressbedingten psychischen Erkrankungen“, erklärt DBfK-Präsidentin Prof. Christel
Bienstein zum Hintergrund der Initiative.
Pflege – ein „eigentlich wundervoller, erfüllender, vielseitiger Beruf mit großen Perspektiven“ – sei so beinahe ruiniert worden, Pflege
habe noch nie über ein so großes Wissen, so
viele gute Konzepte wie heute verfügt; Wissen
und Konzepte, die Antworten auf die drängenden Fragen um Gesundheit, Pflegebedürftigkeit und Krankheit bieten können.
Klare Erwartungen
Mit dem „Manifest der Pflegeberufe“ will der
DBfK deshalb bundesweit das Missverhältnis
zwischen dem, was Pflegefachpersonen leisten
(könnten) und dem, was ihnen an Rahmen-
bedingungen geboten wird, aufzeigen und mit
konkreten Forderungen verknüpfen.
Dazu werden sechs Kernaussagen formuliert,
erläutert und mit klaren Erwartungen an die
Politik sowie die Entscheiderebene der Einrichtungen verbunden:
• Ich bin ein Leistungsfaktor und kein Kostenfaktor. … Ich will, dass der Wert meiner
Leistung anerkannt wird.
• Ich sorge für Würde im Alter – wenn man
mir die Chance gibt. … Ich will, dass mehr
Zeit für die Pflege des Einzelnen bleibt.
• Ich sorge für Nachhaltigkeit – wenn man
mich lässt. … Ich will, dass andere von meinem Wissen profitieren.
• Ich setze mein Wissen ein, aber nicht zum
Dumpinglohn. … Ich will, dass meine Arbeit
mit guten Arbeitsbedingungen und angemessener Vergütung gewürdigt wird.
• Ich bringe vollen beruflichen Einsatz – im
Dienst. … Ich will, dass auch mir Respekt
entgegengebracht wird.
• Ich bilde den Berufsnachwuchs aus – nur so hat Pflege eine Zukunft. … Ich will, dass die
Pflegeausbildung attraktiver wird.
Der Gelbe Dienst — Pflege 18
Tarifpläne
Niedersachsen wird aktiv
dgd (mz) – „Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen deutlich verbessert werden“, sagt Niedersachsens Sozial- und Gesundheitsministerin Cornelia Rundt: „Das
sind wir erstens den Pflegebedürftigen, die mehr als eine Minutenpflege verdienen,
und den engagierten Pflegekräften schuldig, zweitens ist das ein unerlässlicher
Schritt zur Fachkräftegewinnung in der Pflege.“ Rundt forderte anlässlich des „Internationalen Tags der Pflege“ die Tarifparteien dazu auf, endlich einen Tarifvertrag
Soziales für Niedersachsen zu verabschieden.
Vor diesem Hintergrund begrüßt sie ausdrücklich die aktuell angelaufenen Verhandlungen
von AWO und Diakonie mit ver.di um einen
Tarifvertrag für Pflegekräfte, denen sich nun
auch die übrigen Verbände anschließen sollten. Gleichzeitig nimmt die Sozialministerin die
Pflegekassen in die Pflicht, diese müssten eine
tarifgerechte Bezahlung durch höhere Pflegesätze ermöglichen. Mit dem schon erfolgten
Tarifabschluss zwischen der Diakonie und ver.
di und mit dem im Februar abgeschlossenen
ersten Tarifvertrag für Altenpflegeschülerinnen
und -schüler sei Niedersachsen bundesweit
Vorreiter auf dem Weg zu einem einheitlichen
Tarifvertrag Soziales.
Bei der Höhe der Löhne und Pflegesätze
sei Niedersachsen hingegen leider immer noch
Schlusslicht, so die Ministerin: „Die Studie des
Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
zeigt, dass in keinem westdeutschen Bundesland die Arbeit einer Fachkraft in der Altenpflege so schlecht entlohnt wird wie hier in Niedersachsen. Fachkräfte in der Altenpflege in
Niedersachsen verdienen heute durchschnittlich rund 23 Prozent weniger als vergleichbare Berufsgruppen.“ Rundt warnt, dass es bei
derart unterdurchschnittlicher Bezahlung kaum
möglich sein werde, den großen Fachkräftebedarf in der Pflege zu decken. Nach aktuellen
Prognosen (Cima-Gutachten) müssen bis 2030
gut 21.000 Vollzeitstellen besetzt werden, um
die Fachkräftelücke zu schließen, ausscheidende Fachkräfte zu ersetzen und neue Bedarfe
zu decken. Das bedeutet einen Bedarf von bis
zu 41.000 Nachwuchskräften. Bis 2020 würden nach den vorliegenden Berechnungen bereits 6.500 Nachwuchskräfte fehlen.
Während das Land bei der Höhe der Pflegesätze und Löhnen keinen direkten Einfluss
nehmen kann, ist es derzeit dabei, alle von
ihm bedienbaren Stellschrauben zu drehen: So
wird beispielsweise die Zahl der Auszubildenden durch die Einführung einer Ausbildungsplatz-Umlage gesteigert, die Schulgeldfreiheit
in der Altenpflege gesetzlich abgesichert und
mit dem Projekt „Eine Stunde für die Altenpflege“ bei jungen Menschen für den Beruf
geworben. Mit der Gründung einer Pflegekammer erhalten die Pflegekräfte in Niedersachsen
eine starke Stimme. Außerdem widmet sich
der erstmals zusammengetretene niedersächsische Landesarbeitskreis Pflegedokumentation dem Abbau der Dokumentationspflichten
in der Pflege. Ziel ist die flächendeckende Einführung eines neuen Dokumentationssystems
– auch das ist ein wichtiger Schritt, um den
Beruf attraktiver zu machen. „Den Pflegekräften muss mehr Zeit zur Verfügung stehen, um
sich direkt den Pflegebedürftigen widmen zu
können“, so Rundt.
Der Gelbe Dienst — eHealth inside 19
mHealth
Mehr Regulierung?
dgd (pg) – In immer mehr Ländern nutzen medizinische Einrichtungen mobile Apps
für die Kommunikation intern und auch mit Patienten. Das ruft jetzt die ersten Regulierer auf den Plan. Doch das Feld ist alles andere als einfach. Und es gibt viele
kritische Stimmen, die davor warnen, zu früh auf die Bremse zu treten.
Die in Sachen mHealth sehr erfahrenen Analysten von Research2Guidance haben gemeinsam
mit HIMSS Europe ein EU mHealth-Ranking erstellt, basierend auf 5000 Interviews von Experten aus allen Bereichen des Gesundheitswesens
sowie von App-Entwicklern. Vorne in diesem
Ranking liegen Dänemark, Schweden und Finnland, gefolgt von Spanien, den Niederlanden und
Großbritannien. In Deutschland und Frankreich
ist die Nutzerquote dagegen „extrem niedrig“,
wobei Deutschland im Vergleich zu Frankreich
nochmal deutlich hinterher hinkt.
Besonders auffällig im Falle Deutschlands
ist der massive Kontrast zwischen sehr reifer
und produktiver Entwicklerszene und geringer
Marktdurchdringung. Das gibt es so in keinem
anderen Land. Da stellt sich – Wirtschaftsministerium sei wachsam – mit Blick auf die agile deutsche Gründerszene im Bereich mHealth
doch recht ausgeprägt die Frage der Nachhaltigkeit dieses Booms. Derzeit haben nur 36%
der in Deutschland ansässigen mHealth-Unternehmen eine positive Sicht auf die Marktbedingungen in Deutschland. In Großbritannien
liegt diese Quote bei 71%, in Schweden bei
58% und in den Niederlanden bei 64%.
Deckt CE-Zulassung alles ab?
Wie sehr mobile Apps in reifen mHealth-Märkten den Alltag bereits durchdringen, wurde bei
der Europäischen eHealthWeek in Riga deutlich. So setzt die Provinz Andalusien in Spanien
intensiv auf Apps für die Terminbuchung und
für den Datenzugriff durch Patienten. Einer der
größten Krankenhausbetreiber Israels, Assuta
Medical, hat eine eigene Abteilung für die AppEntwicklung gegründet und nutzt Apps unter
anderem für die Kommunikationen mit Patienten sowie mit mehreren hundert Belegärzten.
Der britische NHS verfügt über eine ganze AppBibliothek und – ähnlich wie Andalusien – über
ein eigenes Zertifizierungsprogramm für Apps.
Die Frage der Zertifizierung entwickelt sich
langsam zu einem Politikum. Auf den ersten
Blick scheint die Sache klar: Werden Apps für
Diagnose oder Therapie eingesetzt, brauchen
sie eine CE-Zertifizierung, sonst nicht. Aber so
einfach ist es nicht. Was ist mit Apps, die als
Datenlieferanten an Arzt- oder Kliniksysteme
angebunden werden? Was, wenn bei der Übertragung der Daten Fehler passieren, die zu falschen Therapieentscheidungen führen? Peteris Zilgalvis von der EU-Kommission regte an,
darüber nachzudenken, ob nicht die Anbindung
an professionelle IT-Systeme ein Kriterium sein
könnte, durch das auch nicht „CE-pflichtige“
Apps zertifizierungspflichtig würden. Dafür hat
er allerdings von vielen Anwendern, die im Alltag exzellente Erfahrungen mit Apps machen,
heftigen Widerspruch geerntet. Tatsächlich besteht derzeit eher die Gefahr, dass ein junger
Markt von Bedenkenträgern zu Tode reguliert
wird. Deutschland sollte sich dagegen wehren,
und gleichzeitig die Marktbedingungen im eigenen Land verbessern.
Der Gelbe Dienst — eHealth inside 20
Meldungen
Ungelöst
Den Geschäftsführer der gematik ist die Selbstverwaltung erfolgreich losgeworden. Aber alle
schönen Pressemeldungen über technische
Erfolge im Vorfeld der Online-Tests können
nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei
der Telematikinfrastruktur (TI) mit Blick auf
den angeblich in ziemlich genau einem Jahr
anstehenden Rollout des Echtbetriebs einen
relevanten Entscheidungsstau gibt. Es mag
noch angehen, gewisse Finanzierungsentscheidungen etwas aufzuschieben, zumal das
letztlich selbstverwaltungsinterne Fragen sind.
Was aber nicht die Selbstverwaltung alleine
betrifft, ist die Frage, welches Betreibermodell und welches Betriebskonzept die TI haben
soll, wenn sie denn über die beiden Testregionen hinaus in Betrieb geht. Bei Ärzten und
Krankenkassen scheint man immer noch zu
glauben, dass der Alltagsbetrieb einer Hochsicherheitsinfrastruktur irgendwie im Rhythmus monatlicher Gesellschafterversammlungen nebenher organisiert werden kann. Das
ist ein fataler Irrtum. Man kann nicht gleichzeitig das Lied der maximalen Sicherheit singen und dann denen, die fachlich in der Lage
sind, Sicherheitsbedrohungen zu beurteilen,
die Hände in Ketten legen. Das ist Hybris. Und
es ist auch politisch nicht besonders weitsichtig. Denn letztlich bringen sich KBV und GKV
damit selbst in die Schusslinie, wenn es zu
Angriffen auf die TI kommt.
Positiv
Böse Zungen werden sagen, dass die eGK
beim Deutschen Ärztetag nur deswegen so
relativ gut wegkam, weil die Parteitags- äh
Ärztetagsregie das Thema ganz ans Ende
eines warmen und sonnigen Abschlusstags
gelegt hat. Wie dem auch sei, Tatsache ist,
dass zwar das Online-Update erneut und erwartungsgemäß abgelehnt wurde, dass aber
einige andere Beschlüsse ausgesprochen
konstruktiv und vorwärtsgewandt ausgefallen sind. Geradezu sensationell ist der Aufruf
an die Bundesärztekammer, den Gesetzgeber
davon zu überzeugen, einen elektronischen
Impfpass ins E-Health-Gesetz aufzunehmen.
Schon klar, dass ist keine wahnsinnig neue
Idee. Aber nachdem sie jetzt erstmals aus
den Reihen der Ärzteschaft aktiv propagiert
wird, sollte sich die Politik diese Chance nun
wirklich nicht entgehen lassen. Zu viel loben wollen wir die Ärzte aber auch wieder
nicht. Die größte Enttäuschung des Deutschen Ärztetags 2015 aus E-Health-Sicht ist
die Schmalspurnovelle der Musterberufsordnung. Hier ist nun wirklich überhaupt nichts
zu finden, was telemedizinische oder internetmedizinische Anwendungen im deutschen
Gesundheitswesen in irgendeiner Weise voranbringen könnte.
Negativ
… fällt das Urteil der Deutschen Gesellschaft
für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin
(DGINA) zum Entwurf des E-Health-Gesetzes
aus. Zwar werden die elektronischen Notfalldaten grundsätzlich begrüßt. Ein Nebeneinander elektronischer Notfalldaten auf Offline-Speichern und eines Medikationsplans aus
Papier sei aus Sicht des Notfallmediziners aber
wenig hilfreich, so die Gesellschaft. Plädiert
wird stattdessen, man höre und staune, für
eine clinet-server-basierte Speicherlösung, die
sowohl notfallrelevante Informationen als auch
Medikationsdaten umfasst.
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