i n e g n I e i D d n i s eure die s r a t s Rock t r i der W n o v t schaf Die Welt braucht mehr Ingenieurinnen und Ingenieure Auf den Kommandobrücken der weltweit tätigen Unternehmen und Organisationen stehen heute viele Ingenieurinnen und Ingenieure. Sie verfügen über das nötige Know-how, komplexe Zusammenhänge zu analysieren, und die technische Kompetenz, innovative Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Obwohl die Studierendenzahlen an der ETH Zürich weiter steigen, ist die Nachfrage nach guten Ingenieuren und Ingenieurinnen nach wie vor sehr gross. Das vor Ihnen liegende Magazin richtet sich deshalb an eine junge Leserschaft. Wir hoffen damit, Maturandinnen und Maturanden dazu zu motivieren, sich näher mit dem Ausbildungsangebot der ETH Zürich auseinanderzusetzen. Im Magazin kommen Menschen zu Wort, die an der ETH studiert haben. Sie alle sind beruflich unterschiedliche Wege gegangen. Trotzdem haben sie etwas gemeinsam: Das Studium an der ETH Zürich hat sie optimal auf das Berufsleben vorbereitet und ihnen die international anerkannte Plattform geboten, um ihre Berufskarriere nach ihren eigenen Wünschen zu gestalten. Initiiert wurde dieses Magazin von Martin Bosshardt, dem CEO der Open Systems AG. Auch er hat, wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen, an der ETH Zürich studiert. Im globalen Wettbewerb um Talente sind Open Systems und zahlreiche andere Schweizer Unternehmen auf die ETH Zürich angewiesen. Oder um es mit den Worten von Martin Bosshardt zu sagen: «Wir differenzieren uns im Markt nicht über Technologie, sondern über unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.» Für Unternehmen wie Open Systems ist die ETH als Ausbildungs- und Forschungsinstitution mit Weltruf von zentraler Bedeutung. «Deshalb liegt uns am Herzen», so Bosshardt, «dass wir nicht nur von der ETH profitieren, sondern auch etwas zurückgeben.» Diese Verbundenheit zur ETH und das damit einhergehende Engagement freuen uns sehr. Die ETH Zürich Foundation versteht sich als Brückenbauerin. Wir bringen interessierte Privatpersonen, Unternehmen und Stiftungen mit der ETH Zürich an einen Tisch. Die grosszügige Unterstützung der Donatoren schafft − in Ergänzung zu der soliden Grundfinanzierung durch den Bund − Freiräume, um neue, vielversprechende Wege einzuschlagen, wichtige Themen sofort anzupacken und aussergewöhnliche Menschen zu fördern. In diesem Sinne danke ich allen herzlich, die dieses Magazin möglich gemacht haben, und wünsche Ihnen eine spannende und inspirierende Lektüre. Herzlichst Dr. Donald Tillman Geschäftsführer ETH Zürich Foundation Herausgeberin Open Systems AG, Räffelstrasse 29, 8045 Zürich Design/Art Direction Peter Kostelac, Open Systems AG Fotografie Noë Flum, Ornella Cacace Photography (Titel, Seite 25/29) Satz und Druck Köpfli & Partner AG Kontakt [email protected], Tel +41 58 100 10 10, www.open.ch Prof. Dr. Lino Guzzella Präsident der ETH Zürich «Eine gute Hochschule lehrt nicht primär Wissen, sondern Denken.» Seite 1 Prof. Dr. Bernhard Plattner Communications Systems Group ETH Zürich «Es ist unsere Aufgabe, das Neue zu finden.» Seite 9 Fred Kindle Partner, Clayton, Dubilier & Rice «Mir ist es wichtig, zu gestalten.» Seite 17 Urs Hölzle Senior VP for Technical Infrastructure Google «Informatik ist eigentlich keine sehr enge Karriere-Wahl, sondern lässt einem viele Möglichkeiten offen.» Seite 25 Martin Bosshardt CEO, Open Systems AG «Wir differenzieren uns im Markt nicht über Technologie, sondern über unsere Mitarbeitenden.» Seite 33 Jessica Genta Master-Studentin, ETH Zürich «Ich fühle mich verantwortlich, einen Beitrag dazu zu leisten, Lösungen zu finden.» Seite 41 Lennart Elsen Security Engineer, Open Systems AG «Ich will die Welt, in der wir leben, besser verstehen.» Seite 43 1 «Eine gute Hochschule lehrt nicht primär Wissen, sondern Denken.» Prof. Dr. Lino Guzzella Präsident der ETH Zürich 2 Die Ausbildung zum Ingenieur ist eine ausgezeichnete Grundlage für den beruflichen Erfolg, ist Prof. Dr. Lino Guzzella, Präsident der ETH Zürich, überzeugt. Für ihn ist klar: Wer die Ausbildung an der ETH erfolgreich absolviert, dem stehen alle Türen offen. Nicht nur in der Forschung, sondern auch im Management. «Wer sich intensiv mit Technologie auseinandersetzt und dadurch ihr Potenzial besser versteht, hat aus meiner Sicht einen Vorteil – nicht nur in der Forschung, sondern auch im Top-Management eines Unternehmens.» Prof. Dr. Lino Guzzella, Präsident der ETH Zürich 3 Herr Prof. Guzzella, die Ingenieursausbildung der ETH Zürich geniesst weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Ingenieur aus? Ein guter Ingenieur besitzt vor allem die Fähigkeit, Probleme richtig zu erfassen. Viele Leute meinen, die grosse Kunst liege in der Problemlösung. Ich bin der Überzeugung, dass die wirkliche Kompetenz darin besteht, Probleme zu erkennen und in der richtigen Art zu erfassen. Das müssen Sie uns jetzt aber näher erklären … Ein Problem zu lösen scheint mir einfacher, als ein Problem richtig zu erfassen. Natürlich merkt man rasch, wenn irgendwo Probleme auftreten. Ein Kunde hat sich beschwert, eine Maschine läuft nicht gut, die Mitarbeiter sind unzufrieden. Man entwickelt schnell einmal ein Bauchgefühl, wenn etwas nicht stimmt. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ein Problem zu lösen ist natürlich schwierig und schlussendlich auch ein wichtiges Ziel. Die wahre Kunst besteht aber aus meiner Sicht darin, ein Problem zu identifizieren und in allen Dimensionen genau zu erfassen. Nur so können Sie die richtige Lösung anwenden, um ein Problem wirksam zu beseitigen. Welche Fähigkeiten sind Ihrer Meinung nach für die Problemerkennung wichtig? Die wichtigste Fähigkeit überhaupt ist, dass Sie richtig denken können. Konzeptionell, abstrakt und systematisch. Eine gute Hochschule lehrt ihren Studentinnen und Studenten nicht primär Wissen, sondern eine bestimmte Art zu denken. Es ist mir deshalb übrigens sehr wichtig zu betonen, dass das nicht nur für die Ingenieure gilt, sondern für die Studierenden aller 16 Departemente der ETH Zürich. Und wie lernt man «richtiges Denken» konkret? Wenn Sie das intellektuelle Potenzial haben, müssen Sie dieses über Jahre an vielen Beispielen − also konkreten Problemfällen − schärfen. Zudem ist es ganz entscheidend, dass Sie nicht alles glauben, was man Ihnen erzählt. Sie meinen, man muss die Erfahrungen selber machen, um wirklich zu lernen? Davon bin ich überzeugt. Denn es kommt sicher einer, der Ihnen sagt, die Maschine funktioniere nicht, weil zum Beispiel dieser Bolzen an der Maschine verklemmt sei. Das kann ja sein. Aber wenn Sie das einfach so annehmen und sagen «Jawohl, der Bolzen klemmt», haben Sie vielleicht ein Problem, aber nicht unbedingt das Problem gelöst. Natürlich müssen Sie genau zuhören, um wichtige Informationen zu sammeln. Ich er achte aber die Fähigkeit, das Problem selber und aus einer gewissen Distanz kritisch zu analysieren, als wirklich entscheidend. Nur so sind Sie in der Lage, sich eine eigene Meinung zu bilden und dem Problem wirklich auf den Grund zu gehen. Wie sorgt die ETH dafür, dass die Studierenden diese Fähigkeiten entwickeln können? Erstens, indem wir sie während ihrer Ausbildung immer wieder mit ungelösten Prob- lemstellungen konfrontieren. Und zweitens, weil wir ihnen kompetente und erfahrene Menschen zur Seite stellen, die sie im Dialog mit den Problemen − in der persönlichen Auseinandersetzung − unterstützen. Dabei geht es auf keinen Fall darum, ihnen die Probleme und deren Lösungen auf dem Silber tablett zu servieren, sondern vielmehr darum, sie auf ihrem eigenen Weg zu begleiten und zu unterstützen, aber auch zu fordern. Wir Menschen lernen im Wesentlichen über den Dialog. Über die Beziehung Meister und Schüler. Das ist die zentrale Lernpaarung, die immer noch sehr gut funktioniert. Sie sprechen von den aktuell rund 500 Professorinnen und Professoren der ETH … Nicht nur von den Professorinnen und Professoren, sondern auch von den vielen Doktoranden, Post-Doktoranden und den Lernassistenten. Die ETH bietet den Studierenden ein intensives Netzwerk, das die persönliche Interaktion ermöglicht und fördert. Der entscheidende Erfolgsfaktor ist also schlussendlich der Mensch und nicht die Technologie? Jawohl, davon bin ich überzeugt. Und dabei ist es sekundär, ob es sich um Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften oder Architektur handelt? Ja. Selbstverständlich unterscheiden sich die Arbeitsfelder und vor allem auch die Tools, die für die Forschung und Problem analyse angewendet werden. «Die ETH macht den Studierenden ein sehr interessantes Angebot: Wir sind bereit, den Studierenden sehr viel zu geben und sie zu fördern. Wer an der ETH studiert, trifft viele höchst begabte und sehr engagierte Menschen, die sich persönlich dafür einsetzen werden, dass man eine fantastische Ausbildung bekommt.» Prof. Dr. Lino Guzzella, Präsident der ETH Zürich Welche Rolle spielt in der Ausbildung die Grundlagenforschung, die an der ETH ja einen sehr hohen Stellenwert geniesst? Die Grundlagenforschung bietet uns die ideale Übungsanlage für unsere Studierenden. Wir wollen unsere Leute nicht an irgendwelchen Scheinproblemen ausbilden, für die wir die Lösung bereits kennen. Unsere Studierenden sollen über Forschungsfragen ihr Denken schärfen. Und gleichzeitig leisten sie damit einen entscheidenden Beitrag an eine der wichtigsten Aufgaben einer Hochschule. fördern. Wer an der ETH studiert, trifft viele höchst begabte und sehr engagierte Menschen, die sich persönlich dafür einsetzen werden, dass man eine fantastische Ausbildung bekommt. Aber im Gegenzug fordern wir auch sehr viel. Passives Konsumieren ist bei uns nicht gefragt. Studierende an der ETH müssen bereit sein, viel zu leisten. Und die wäre? Durch Grundlagenforschung letztendlich die Welt besser zu verstehen. Und neue Erkenntnisse daraus für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Erkenntnisse aus dieser Art von Forschung können Sie aber nicht erzwingen, denn sie ist mit Risiken und Unsicherheiten behaftet und als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler brauchen Sie einen langen Atem. Genau das zeichnet die Universitäten aus und unterscheidet uns von der Industrie. Grundlagenforschung findet heute fast ausschliesslich an den Hochschulen und Universitäten statt. Das sind die Brutstätten der radikalen Durchbrüche. Und weshalb würden Sie jemandem die Ingenieurwissenschaften empfehlen? Die Fachrichtung Ingenieurwissenschaften schärft das Denken der Studierenden im Bereich Technologie. Da wir heute in einer Wissenschafts- und Technologiegesellschaft leben, halte ich diese Ausbildung für sehr spannend und eine ausgezeichnete Grundlage für den beruflichen Erfolg. Die Technologie wird in Zukunft in unserem Leben eine noch viel grössere Bedeutung haben. Die Vernetzung der physikalischen Welt mit der Informationswelt ist bereits heute allgegenwärtig und wird in Zukunft noch viel wichtiger. Wer sich intensiv mit Technologie auseinandersetzt und dadurch ihr Potenzial besser versteht, hat aus meiner Sicht einen Vorteil − nicht nur in der Forschung, sondern auch im Top-Management eines Unternehmens. Wenn es um die Wahl der richtigen Ausbildung geht, sind viele angehende Studierende unsicher. Warum sollte man aus Ihrer Sicht auf die Karte ETH setzen? Die ETH macht den Studierenden ein sehr interessantes Angebot: Wir sind bereit, den Studierenden sehr viel zu geben und sie zu Sie selber haben am Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik studiert, Ihr Spezialgebiet ist die Thermotronik. Was fasziniert Sie persönlich an den Ingenieurwissenschaften? Als Forscher habe ich mich zusammen mit meinem Team auf die Grundlagenforschung in der Systemdynamik und in der Regelung von Energiewandlungssystemen konzentriert. Unser Fokus lag dabei auf der Systemmodellierung, der dynamischen Optimierung und der Reduktion des Verbrauchs sowie der Schadstoffemissionen von Antriebssystemen. Durchbrüche in diesen Bereichen sind für unsere Gesellschaft immens wichtig, weil die Mobilität einer der grössten Segen für unsere Gesellschaft ist, gleichzeitig aber auch grosse Herausforderungen in Bezug auf die Ökologie mit sich bringt. Ich nehme nicht an, dass Sie sich schon als Maturand für Systemmodellierung und Schadstoffreduktion interessiert haben … Sicher nicht so konkret … Was ich aber schon immer in mir hatte, war diese Neugier, die Welt ein wenig besser verstehen zu wollen. Das Schöne an unserem Tätigkeitsfeld ist ja, dass es ein paar wenige Punkte gibt, auf die man sich wirklich verlassen kann. Ich meine damit die Naturgesetze, an denen es nichts zu rütteln gibt. Der erste Hauptsatz der Thermodynamik zum Beispiel. Oder das pythagoreische Gesetz. Viele Studierenden befassen sich natürlich auch damit, wie sie nach der Ausbildung im Berufsleben Fuss fassen können. Welche Perspektiven bieten sich ihnen nach der ETH? Es stehen ihnen alle Türen offen. Und zwar nicht nur in der Maschinenindustrie und in IT-Unternehmen, sondern beispielsweise auch in der Retail- und Finanzindustrie oder in der Unternehmensberatung. 95 Prozent unserer Absolventinnen und Absolventen finden 4 Prof. Dr. Lino Guzzella studierte an der Abteilung für Maschineningenieurwesen (heute Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik) der ETH Zürich. Nach seiner Promotion 1986 arbeitete er in leitenden Funktionen in der Forschung in zwei Industrieunternehmen. 1993 wurde er als Assistenzprofessor ans Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich berufen und 1999 zum ordentlichen Professor für Thermotronik befördert. Insbesondere im Bereich umweltschonender Technologien hat er sich national und international als Wissenschaftler grosse Anerkennung verschafft. Lino Guzzella setzt sich stark für die Zusammenarbeit mit der Industrie und für den Wissens- und Technologietransfer ein. Innerhalb der ETH Zürich hat er verschiedene Führungsaufgaben in der akademischen Selbstverwaltung übernommen, so als Instituts- und Departementsvorsteher sowie von 2012 bis 2015 als Rektor der Hochschule. Anfangs 2015 wurde Prof. Lino Guzzella vom Bundesrat zum neuen Präsidenten der ETH Zürich gewählt. 5 sofort nach Abschluss eine Stelle. Und das ist nicht zufällig so. Die Unternehmen brauchen die Fähigkeiten, die wir ausbilden. Das tech nische Wissen, kombiniert mit der Art zu denken, die kritische Haltung, die Fähigkeit, selber zu analysieren und Vernetzungen herzustellen. Das sind Qualitäten, die heute überall in der Wirtschaft sehr gefragt sind. In den Köpfen vieler Maturandinnen und Maturanden herrscht die Meinung, dass man als Ingenieur in der Arbeitswelt keine Karriere machen kann, sondern irgendwo in der Forschung und Entwicklung stecken bleibt. Das verstehe ich nicht und es entspricht meiner Ansicht nach auch nicht der Realität. Sehr viele unserer Alumni sind im Management oder sogar in der Geschäftsleitung von Unternehmen tätig. Selbstverständlich gibt es auch diejenigen, die ihr Berufsleben einem Bereich widmen und keine Karriereabsichten im klassischen Sinne haben. Sie leisten in der Entwicklungsabteilung oder in der Forschung von Unternehmen wertvolle Arbeit. Und das ist auch gut so. Vermittelt das ETH-Studium auch die für eine Management-Karriere notwendigen Kompetenzen? Das Wirtschaftsleben läuft ja nicht immer nach den Naturgesetzen ab … Studierenden, die Interesse an Management-Themen haben, bieten wir sehr viele interessante Angebote. Zum Beispiel die Möglichkeit, sich in Fokusprojekten mit drei oder vier Studierenden zusammenzutun, um eine Innovationsfirma zu gründen. In erster Linie geht es im ETH-Studium aber darum, sich intensiv mit den Kernelementen − also Mathematik, Physik und den verschiedenen Tools − auseinanderzusetzen. Die Zeit an der ETH ist für Studierende knapp. Noch knapper ist meiner Meinung nach die menschliche Aufnahmefähigkeit. Da müssen wir uns schon fokussieren. Das heisst, die Management-Kompetenz muss man sich vor allem «on-the-job» oder in einem Nachdiplomstudium aneignen? Beides sind für mich persönlich ausgezeichnete Möglichkeiten. Es kommt wie immer sehr auf die Person an. Es gibt auch hier keine Patentrezepte. Sie haben die beschränkte menschliche Aufnahmefähigkeit angesprochen. Wie hat sich aus Ihrer Sicht das Lernen in den vergangenen Jahren verändert? Ich glaube nicht, dass sich das Lernen grundsätzlich verändert hat. Es sind vielmehr gewisse Aspekte des Lernens, die sich gewandelt haben: Früher hat man mit einem Buch gelernt, das man sich gekauft oder in der Bibliothek ausgeliehen hat. Heute lädt man sich im Internet ein PDF herunter und nutzt es auf einem Tablet. Und anstatt eine komplexe Grafik zu studieren, sieht man sich heute vielleicht eher ein YouTube-Video zum Thema an. Diese Veränderungen sind stark spürbar und werden auch in Zukunft die Werkzeuge, die wir für das Lernen nutzen, beeinflussen. Was sich hingegen nicht verän- 6 dert hat, ist der Prozess des Lernens. Der ist seit 40 000 Jahren gleich geblieben und wird sich auch in Zukunft nicht verändern. 7 Was meinen Sie damit genau? Lernen ist und bleibt mühsame Arbeit. Man muss sich über längere Zeit hinsetzen und konzentriert an einem Thema dranbleiben. Da führt kein Weg dran vorbei. Geht das überhaupt in der heutigen Multitasking-Gesellschaft? Das ist eine berechtigte Frage. Das Multi tasking, das sich immer mehr verbreitet − und sozial durchaus akzeptiert und gesellschaftlich teilweise sogar als gut angeschaut wird − hat sicher seine Vorteile in gewissen Bereichen. Aber ich garantiere Ihnen: Beim Lernen − beim echten, scharfen, substanziellen Lernen − funktioniert das nicht. Lernen bedingt die Fähigkeit, sich hinzusetzen, um konzentriert etwas zu tun. Und das über eine längere Zeit. Das war natürlich früher schon nicht einfach. Aber ich befürchte, dass diese Fähigkeit eher noch am abnehmen ist. Viele Studierenden leben heute in der Illusion, man könne gleichzeitig über Kopfhörer Musik hören, mit dem Mobiltelefon SMS schreiben und dabei noch Integralrechnen lernen. Das geht aber nicht. Die ETH arbeitet eng mit der Wirtschaft zusammen. Was glauben Sie, können Unternehmen von den Hochschulen lernen? Ich denke von der engen Zusammenarbeit profitieren beide Seiten stark. Wenn ich etwas nennen müsste, wäre es wahrscheinlich die Fehlerkultur, die aus meiner Sicht vielen Unternehmen abhanden gekommen zu sein scheint. Sie meinen die Art und Weise, wie man mit Fehlern umgeht? Ja genau. Aber vielleicht noch vorher das Selbstverständnis, dass ohne Fehler kein Fortschritt möglich ist. Fehler sind nur dann schlecht, wenn man sie nachlässig oder aus Dummheit macht. Wer aber nicht akzeptiert, dass man ab und zu Fehler machen und Niederschläge einstecken muss, dem werden nie wirkliche Durchbrüche gelingen. Ich bin davon überzeugt, dass man von Fehlschlägen genau so viel − wenn nicht noch mehr − lernen kann wie von den Erfolgen. Sie sind seit anfangs Jahr Präsident der ETH Zürich. Welche strategischen Ziele verfolgen Sie in Ihrer Amtszeit? Eine Hochschule ist kein Unternehmen. Wenn wir wüssten, wo die guten Forschungsresultate und die innovativen Lernmethoden sind, könnten wir unsere Arbeit besser planen. Dann könnte ich als Präsident eine Strategie entwickeln, die man dann gemeinsam im Team umsetzt. Unsere Welt funktioniert aber nicht so. Wir geniessen allgemein grosses Vertrauen, weil die ETH in den vergangenen 160 Jahren ihrer Existenz immer wieder bewiesen hat, dass sie sich mit aller Kraft dafür einsetzt, systematisch an den echten Durchbrüchen zu arbeiten, die uns als Gesellschaft weiterbringen. Wir haben einen Bildungsauftrag in diesem Land, den wir sehr ernst nehmen, und gleichzeitig wollen wir uns als forschungsbasierte Universität mit den Besten der Welt messen. Damit uns das weiterhin gelingt, setze ich drei Prioritäten: Erstens müssen wir die Attraktivität der ETH als Arbeitgeberin und Ausbildungsstätte weiter stärken, damit wir Menschen bei uns willkommen heissen können, welche die Fähigkeit haben, Durchbrüche in der Grundlagenforschung zu generieren. Zweitens müssen wir intern die Kultur, Strukturen und Maschinen bieten, damit diese Menschen optimal forschen und experimentieren können. Und drittens müssen wir mit aller Energie unseren Anspruch an Exzellenz hochhalten und wenn möglich ausbauen. Vor allem das sehe ich als eine meiner wichtigsten Aufgaben als Präsident: dass wir in der Qualität nicht ein Jota nachgeben. «Die Unternehmen brauchen die Fähigkeiten, die wir ausbilden. Das technische Wissen, kombiniert mit der Art zu denken, der kritischen Haltung, der Fähigkeit, selber zu analysieren und Vernetzungen herzustellen. Das sind Qualitäten, die heute überall in der Wirtschaft sehr gefragt sind.» Prof. Dr. Lino Guzzella, Präsident der ETH Zürich 9 «Es ist unsere Aufgabe, das Neue zu finden.» Prof. Dr. Bernhard Plattner Communications Systems Group ETH Zürich 10 Als Ingenieur, sagt Prof. Dr. Bernhard Plattner, habe man die Möglichkeit, in vielen verschiedenen Bereichen einen grossen Beitrag zu leisten, auch wenn diese auf den ersten Blick nichts mit Elektrotechnik zu tun haben. Der Professor für Technische Informatik im Departement Elektrotechnik weiss: Wenn man genauer hinschaut, steckt eben überall Elektrotechnik drin. «An der ETH kommt keine Routine auf.» Prof. Dr. Bernhard Plattner, Communications Systems Group, ETH Zürich 11 Bernhard Plattner, Sie haben an der ETH Zürich studiert, assistiert und doktoriert. Seit 1988 sind Sie Professor für Technische Informatik im Departement Elektrotechnik. Haben Sie schon als Maturand mit dem Gedanken gespielt, Professor zu werden? Ja, das war von Anfang an eine Option für mich. Deshalb war es für mich auch ein ganz natürlicher Schritt, dass ich mich nach meinem Abschluss als Elektroingenieur 1975 einem Professor angeschlossen habe, der Doktoranden gesucht hat. Nach Ihrer Dissertation haben Sie dann allerdings die ETH verlassen … Ich hatte die Möglichkeit, als Dozent am Neuen Technikum in Buchs die Informatik-Abteilung aufzubauen. Das war eine Herausforderung, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Wie kamen Sie zurück an die ETH? Über einen Umweg über die Uni Zürich. Wir haben uns in Buchs intensiv mit dem damals jungen Betriebssystem UNIX auseinandergesetzt. Wir nutzten es im Unterricht, um anwenderorientierte Szenarien durchzuspielen. Um dieses neue Betriebssystem in der Schweiz weiter bekannt zu machen, haben wir eine Interessensgemeinschaft gegründet, deren Mitglieder sich regelmässig im Hauptbahnhof Zürich getroffen haben. Dort habe ich Professor Rudolf Marti kennengelernt, der an der Universität Zürich Informatik lehrte. Irgendwann hat er mich gefragt, ob ich als Oberassistent an sein Institut wechseln möchte. Da in Buchs der Grundstein für die Informatik-Ausbildung gelegt war, sagte ich zu. Und von der Uni aus habe ich mich dann nach einiger Zeit für eine Professur an der ETH beworben. Das war 1985. Ich kam also gerade rechtzeitig, um an der ETH die Geburt und die ersten Schritte des Internets mitzuerleben. Das klingt nach einem ausgezeichneten Timing … Das kann man wohl sagen. Die ETH Zürich war damals in drei richtungsweisende Projekte involviert. Richtig los ging es in der Schweiz mit einem Impulsprogramm des Bundes, das zum Ziel hatte, die Informatik-Forschung und -Ausbildung in der Schweiz zu fördern. Ein wichtiges Element dieses Programms war der Supercomputer, der später in Manno im Tessin installiert wurde und allen Schweizer Universitäten zur Verfügung stehen sollte. 1986 startete dann das Programm IDA. Das stand für «Informatik dient allen» und sollte Informatikmittel für die spezifischen Bedürfnisse der Lehre bereitstellen und deren Nutzung für ein verbessertes Lernen fördern. Das dritte Projekt wurde mit einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen gestartet. Wir hatten das Ziel, den Supercomputer im Tessin mit den Universitäten und Hochschulen, aber auch die Hochschulen untereinander zu vernetzen. Der Austausch mit internationalen Kollegen war für alle diese Projekte sehr wichtig, und so war es nicht er staunlich, dass wir die ETH sehr schnell auch über die Landesgrenzen hinweg zu vernetzen begannen. Diese Aktivitäten, unterstützt durch das Impulsprogramm, führten 1987 zur Gründung der Stiftung SWITCH durch den Bund und die damaligen Hochschulkantone. SWITCH betreibt bis heute das Internet für die Schweizer Hochschulgemeinschaft. Wie hat sich das genau abgespielt? Am Anfang fand die Vernetzung nur unter Universitäten und Hochschulen statt. Das war ein reines Forschungsnetz. Die USA waren schon damals das Zentrum dieser Entwicklungen. Deshalb war es für uns natürlich von grosser Bedeutung, genau zu wissen, was dort geforscht und entwickelt wurde. Wir waren immer bestrebt, bei der Implementierung von neuen Technologien von Beginn weg mit dabei zu sein. So haben wir zum Beispiel an der ETH sehr früh den neu entwickelten Standard X.400 für E-Mail implementiert. Das waren meines Wissens die ersten E-Mail-Systeme in der Schweiz, welche organisations- und technologieübergreifend eingesetzt werden konnten. Stimmt es, dass Sie der offizielle Besitzer der Schweizer Top-Level-Domain .ch waren? Ja, aber nur für ein paar Wochen. In unseren E-Mail-Adressen verwendeten wir «Es ist unsere Aufgabe, das Neue zu finden. Und unsere Arbeit besteht nicht nur darin, diese neuen Dinge zu entdecken, sondern auch deren Nutzen für die Gesellschaft herauszuarbeiten. Wir müssen mit unserer Arbeit konkrete Resultate liefern.» Prof. Dr. Bernhard Plattner, Communications Systems Group, ETH Zürich zunächst «chunet» als die Landesbezeichnung – «das schweizerische Universitätsnetz». Die international normierte Bezeichnung (mit zwei Buchstaben) für die Schweiz ist jedoch «ch» und diese Norm wird im Internet auch für die Top-Level-Domains der Länder verwendet. Es war daher naheliegend, .ch für unser Netz zu reservieren, was ganz einfach war. Eine E-Mail an den damaligen Leiter der Internet Assigned Numbers Authority (IANA), Jon Postel, genügte. Nach wenigen Wochen war ich der «Besitzer», das heisst administrativ Verantwortliche für .ch und mein damaliger Doktorand Hannes Lubich der technische Kontakt. Die Domain .ch wurde am 20. Mai 1987 offiziell registriert. Als ich etwas später im gleichen Jahr interimistischer Direktor von SWITCH wurde, habe ich sie auf SWITCH übertragen. Das war wirklich eine aufregende Zeit. Wenn man das so hört, erstaunt es nicht, dass Sie der ETH über all die Jahre treu geblieben sind … Ja, ich denke der Grund dafür liegt schon in der Tatsache, dass an der ETH keine Routine aufkommt. Die Freiheit, die ich bei meiner Arbeit geniesse, empfinde ich als grosses Privileg. Ich kann mit meinem Team jeden Tag eigene Ideen und Pläne verwirklichen. Die ETH unterstützt uns Forscher, Lehrpersonen und Studierende, indem Sie uns den Freiraum und die Werkzeuge zur Verfügung stellt, die wir für unsere Arbeit und die Ausbildung brauchen. Ich finde es aber wichtig, dass wir diese Freiheit auch als Verantwortung wahrnehmen. Wir müssen mit unserer Arbeit konkrete Resultate liefern. So können wir auch einen Beitrag dazu leisten, dass die ETH wie seit Jahrzehnten als eine national und international attraktive Forschungs- und Ausbildungsinstitution wahrgenommen wird. Das zieht internationale Talente an unsere Hochschule und ermöglicht den globalen Dialog mit Wissenschaft und Industrie auf höchstem Niveau. Wenn ich Sie richtig verstehe, sind es also die Menschen, die Sie an der ETH begeistern? Ja, genau. Die Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich täglich zusammenarbeiten und Neues entdecken kann, und die Studierenden und Doktorierenden, die mich immer wieder fordern und mir neue Impulse geben. Aber auch die Hochschulleitung und die Administration, die unsere exzellenten Rahmenbedingungen schaffen. Sie sprechen den Austausch mit jungen Menschen an: Wie arbeiten Sie konkret mit den Studierenden im Alltag zusammen? Die Vorlesungen im Bachelorstudium sind mit ungefähr 140 Studierenden relativ gross. Obwohl ich schon versuche, die Studierenden ein wenig herauszufordern und ihnen Fragen stelle, kann da natürlich kein richtiger Dialog entstehen. Richtig interessant diesbezüglich wird es aber in den Praktika und Seminaren, wo wir in einem wesentlich kleineren Kreis von etwa 15 Studierenden praktische Übungen machen. In diesem Semester stellen wir zum Beispiel mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Hard- und Software für Zugangsrouter und Firewalls selber her. Ich versuche dabei, die Theorie auf ein Minimum zu beschränken, weil es in solchen Kursen meiner Meinung nach nicht darum geht, dass die Studierenden an mathematische Formeln denken, sondern dass sie «hands on» etwas machen können. Diese Veranstaltung nutze ich intensiv für den Dialog. Es ist für mich deshalb auch nicht erstaunlich, dass ich in solchen Praktika einige meiner späteren Doktoranden kennengelernt habe. Die Studierenden können sich auch gut einbringen und haben sehr schnell die Möglichkeit, mit ihren Ideen die Praktika zu gestalten und weiterzuentwickeln. Das heisst, Sie binden die Studierenden früh in konkrete Projekte mit ein? Aber natürlich. Das ist ja das Tolle an un serem System. Unsere Studierenden machen ab der Master-Stufe ihre Arbeiten selbständig und werden − im Unterschied zu den amerikanischen Universitäten − von unseren Assistenten und Doktoranden betreut. Die Aufgaben, die ihnen gestellt werden, 12 13 Prof. Dr. Bernhard Plattner studierte an der Abteilung für Elektrotechnik der ETH Zürich. Seit 1994 ist er ordentlicher Professor für Technische Informatik im Departement Elektrotechnik der ETH Zürich. Seit 2014 ist er Vorsteher des Departements Informationstechnologie und Elektrotechnik. Von 2005 bis 2007 amtete er als Vize-Rektor der ETH Zürich. Durch seine langjährige und intensive Forschungstätigkeit erlangte Prof. Plattner mit Publikationen aus seiner Forschungsgruppe – unter anderem auch als Co-Autor und Herausgeber von mehreren Büchern – internationale Bekanntheit. Bernhard Plattner ist Mitglied in zahlreichen renommierten internationalen Gremien und Verbänden. Als langjähriges Mitglied des Stiftungsrats von SWITCH und als dessen Vizepräsident war er massgeblich am Aufbau des Internet für die Schweizer Hochschulen beteiligt. Als Vorsitzender von Programmausschüssen war Prof. Plattner für den wissenschaftlichen Inhalt einer grossen Zahl von internationalen Konferenzen verantwortlich. Ende Juli 2015 wird Prof. Bernhard Plattner die Leitung des Departements abgeben und den Lehrstuhl für Technische Informatik im Departement Elektrotechnik der ETH Zürich an seinen Nachfolger übergeben. sind oftmals Teilaufgaben aus den Themen der Dissertationen der Doktoranden. So werden die Studierenden sehr schnell mit Forschungsfragen konfrontiert, was ich auch für sehr wichtig halte. Wenn ich Sie vorhin so von der Pionierzeit des Internets erzählen hörte, könnte man meinen, die spannende Zeit sei jetzt vorbei … Mit dieser Aussage bin ich natürlich überhaupt nicht einverstanden. Das Internet war nur der Anfang. Es wird auch in Zukunft viele spannende, ja sogar revolutionäre Themen geben, mit denen wir uns an der ETH beschäftigen werden. Es ist richtig, dass wir heute noch nicht genau wissen, was uns morgen technologisch weiterbringt. Aber um genau das geht es ja gerade: Es ist unsere Aufgabe, das Neue zu finden. Und unsere Arbeit besteht nicht nur darin, diese neuen Dinge zu entdecken, sondern auch deren Nutzen für die Gesellschaft herauszuarbeiten. Sie haben also keine Angst, dass den Ingenieuren die Arbeit ausgeht? Auf keinen Fall. Denken Sie nur, in wie vielen Bereichen an der ETH geforscht wird. Unser Departement «Informationstechnologie und Elektrotechnik», intern D-ITET genannt, umfasst alleine 17 Institute mit vier Forschungsschwerpunkten im weiten Bereich der Elektro- technik: Elektronik und Photonik, Information und Kommunikation, Energie sowie Biomedizinische Technik und Neuroinformatik. Im D-ITET befassen wir uns mit einer Vielzahl von Themen, von integrierten Schaltungen bis zu Computer-Netzwerken, von Signalverarbeitung bis zur drahtlosen Kommunikation, von der Regelungstechnik bis zur Leistungselektronik. Ausserdem sind wir stark in biomedizinischer Technik, mit einem Fokus auf medizinischer Bildgebung und neuronaler Informationsverarbeitung. Können Sie uns einen kurzen Überblick geben, was in den einzelnen Bereichen geforscht wird? Am D-ITET arbeiten rund 35 Professorinnen und Professoren und 400 Doktorandinnen und Doktoranden. Sie betreiben sowohl Grundlagenforschung als auch angewandte Forschung, oft in Zusammenarbeit mit der Industrie. Im Bereich Elektronik und Photonik suchen und erproben wir neue Ansätze für die Komponenten- und Systementwicklung von Technologien für zukünftige elektronische Anwendungen. Unsere Forschung umfasst die Miniaturisierung und Leistungssteigerung von elektronischen und photonischen Komponenten sowie den Einsatz neuer Materialien und Prozesse. In der Systementwicklung konzentrieren wir uns auf die Realisierung der integrierten Elektronik und intelligente Umgebungen. Der Bereich Information und Kommunikation 14 15 widmet sich den immer besseren Kommunikationsmöglichkeiten, die − vor allem über das Internet betrieben − die Entwicklung neuer Netzwerk- und Computertechnologien antreiben. Forschungsschwerpunkte in diesem Bereich sind die Signal- und Bildverarbeitung, Regelungstechnik, Informationstheorie, Distributed Computing, drahtlose Netzwerke und zukünftige Internet-Technologien. Die nachhaltige Energieversorgung und die dazugehörigen Technologien werden aus unserer Sicht für ein gutes Wirtschaftswachstum und die Sicherheit im 21. Jahrhundert und darüber hinaus entscheidend sein. Deshalb geniesst dieser Bereich in unserem Departement eine hohe Priorität. Forschungsschwerpunkte sind die Entwicklung von Smart Grids für eine effiziente Energieversorgung und -verteilung sowie für die Integration erneuerbarer Energiequellen und die Grundlagenforschung in Photovoltaik und neuartigen Batterien. Last, but not least der Bereich biomedizinische Technik, der sich mit dem übergeordneten Ziel der Förderung des Gesundheitswesens beschäftigt. Die Resultate der Zusammenarbeit von Ingenieuren und klinischen Forschern sind von wesentlicher Bedeutung für alle Bereiche der Medizin, von der Prävention und Diagnose bis zur Therapie und Rehabilitation. Wir fokussieren uns auf die Interaktion zwischen biologischen und technischen Systemen, mit den Schwerpunkten Bioimaging, bildbasierte Modellierung und Bioelektronik. Das klingt besonders spannend. Was aber hat Biomedizin mit Elektronik zu tun? Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel: Unsere Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Biomedizinische Technik und Neuroinformatik haben eine Spritze entwickelt, mit der man Stoffe in eine einzelne Körperzelle einspritzen kann. Die Herausforderung besteht darin, die Zellwand zu durchdringen, und zwar mit einer so gezielten Kraft, dass die Zelle nicht zerstört wird. Das befähigt die Medizin, ein paar Nanogramm eines Wirkstoffes direkt in die Zelle einzubringen. Das ist beeindruckend … Wenn sie mich fragen, ist das eine wahre Meisterleistung und der Beweis dafür, dass Sie als Ingenieur die Möglichkeit haben, in vielen verschiedenen Bereichen einen grossen Beitrag zu leisten − auch wenn diese auf den ersten Blick überhaupt nichts mit Elektrotechnik zu tun haben. Wenn man nämlich genauer hinschaut, steckt eben überall Elektrotechnik drin. «Das Internet war nur der Anfang. Es wird auch in Zukunft viele spannende, ja sogar revolutionäre Themen geben, mit denen wir uns an der ETH beschäftigen werden. Als Ingenieur haben Sie die Möglichkeit, in vielen verschiedenen Bereichen einen grossen Beitrag zu leisten.» Prof. Dr. Bernhard Plattner, Communications Systems Group, ETH Zürich 17 «Mir ist es wichtig, zu gestalten.» Fred Kindle Partner, Clayton, Dubilier & Rice 18 Die ETH sei in der faktenbasierten, akademischen Ausbildung allen anderen Ausbildungen, die er aus erster Hand kenne, überlegen, sagt Fred Kindle, der als Berater, CEO, Verwaltungsrat und aktiver Investor international Karriere gemacht hat. Ganz wichtig ist ihm aber die Erkenntnis, dass die Ausbildung allein, nicht erfolgsentscheidend ist. Kindle ist überzeugt: Um sich im globalen Wettbewerb der Talente durchzusetzen, muss man sich durch Charakter und Engagement profilieren. «Das Ingenieurstudium hat mir erlaubt, offen zu bleiben. Vielleicht hat es mir damals auch etwas an Entschlusskraft gefehlt. Aber ich konnte mich einfach nicht von verschiedenen Themen trennen, die mich interessiert haben.» Fred Kindle, Partner, Clayton, Dubilier & Rice 19 Herr Kindle, Sie haben an der ETH Zürich studiert. Wie kam Ihr Entscheid damals zustande? Obwohl das ja schon ein paar Jahre her ist, kann ich mich gut an diese Zeit erinnern. Es war kein einfacher Prozess, denn ich habe mich für viele Themen interessiert. Ich hätte mir einige Studienrichtungen vorstellen können − angefangen von Germanistik, Medizin und Architektur bis hin zu den wirklichen Naturwissenschaften wie Physik oder Mathematik. Ich habe dann anhand eines Kriterienkatalogs versucht, die Auswahl zu minimieren. Am Schluss waren es noch zwei: Architektur und Maschinenbau. Sie haben sich für die Ingenieurwissenschaften entschieden. Weshalb? Das Ingenieurstudium hat mir erlaubt, offen zu bleiben. Vielleicht hat es mir damals auch etwas an Entschlusskraft gefehlt. Aber ich konnte mich einfach nicht von verschiedenen Themen trennen, die mich interessiert haben. Zu meiner Zeit war das Maschinenbaustudium so strukturiert, dass es neben den allgemeinen Fächern zwei Kernausrichtungen gab, zwischen denen man auswählen konnte. Ich habe mich für die Betriebswissenschaften entschieden, mit Fächern wie BWL, Recht, Arbeitspsychologie und Lösungsmethodik. Dazu wählte ich Operation Research, also im Prinzip angewandte Mathematik. Vielleicht entscheidend für mich war, dass ich das Gefühl hatte, im Laufe des Ingenieurstudiums noch ein wenig nach links und rechts abweichen zu können. Das ist interessant. Viele Maturandinnen und Maturanden studieren Rechtswissenschaften, wenn sie sich über ihre berufliche Zukunft nicht ganz sicher sind … Das kam für mich nicht in Frage. Die Naturwissenschaften haben mich schon sehr fasziniert, insbesondere die Mathematik. Und mir war vor allem schon damals klar, dass die ETH einen ausgezeichneten Ruf hat und die Qualität der Ausbildung überdurchschnittlich ist. Ich war mir sicher: Was immer ich auch an der ETH studiere, eine Ausbildung an dieser Institution hat Hand und Fuss. Und, wurden Ihre Erwartungen erfüllt? Auf jeden Fall. Die Kombination der Fächer war für mich ideal und ich hatte eine ausgezeichnete Basis, um ins Berufsleben einzusteigen. Was bei Ihnen nicht der klassische Weg eines Ingenieurs war … Ich entschied mich für einen Einstieg in die Marketing-Abteilung beim Werkzeughersteller Hilti. Für die damalige Zeit war das sicher ungewöhnlich. Bleiben wir noch kurz bei der ETH. Professor Guzzella sagt, dass man an der ETH denken lernt. Würden Sie das bestätigen? Ja, das würde ich auf jeden Fall bestätigen. Wir haben uns während des Studiums intensiv mit dem strukturierten Denken und problemorientierten Lösungsansätzen auseinandergesetzt. Es ging darum, die Fähigkeit zu entwickeln, ein Problem zuerst mit gewissen Modellen und Methodiken zu analysieren und sauber zu strukturieren. Erst in einem zweiten Schritt wurden dann Lösungsansätze entwickelt, beurteilt und priorisiert, um letztlich zu entscheiden, welchen Weg man wählt. Das hat mir schon sehr geholfen. Und zwar ganz grundsätzlich − auch später im Berufsleben. Was hat Sie an der Marketing-Stelle bei Hilti gereizt? Ich hatte nach der ETH das Gefühl, dass ich das gute Rüstzeug, das ich mir als Ingenieur auf der naturwissenschaftlichen Seite erarbeitet hatte, mit etwas ergänzen wollte, was mich befähigt, im Management aktiv zu werden. Hilti war schon damals ein sehr innovatives Unternehmen. Für Martin Hilti, den Unternehmensgründer, stand der Markt im Zentrum. Das ganze Unternehmen war voll auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtet. Seine Aussage, dass Marktbesitz wichtiger sei als Fabrikbesitz, war für diese Zeit neu. Das hat mich sehr fasziniert. Sie haben dann einen MBA in den USA gemacht. War das ein bewusster Karriereentscheid oder hatten Sie das Gefühl, dass Ihnen nach der ETH im Ausbildungs-Rucksack etwas fehlte? Sowohl als auch. Dazu kam, dass es mir in Liechtenstein und der Schweiz mit der Zeit einfach etwas zu eng wurde. Ich wollte ins Ausland, um neue Kulturen kennenzulernen «Business ist heute global und es ist aus meiner Sicht entscheidend, dass man andere Kulturen kennenlernt. Wer auf der internationalen Bühne spielen will − also in einem globalen Unternehmen Karriere machen und Verantwortung übernehmen will −, muss sich hinauswagen.» Fred Kindle, Partner, Clayton, Dubilier & Rice und weitere Impulse für die Gestaltung meiner beruflichen Zukunft zu erhalten. Durch die ETH hatte ich eine sehr gute akademische Basisausbildung. Gleichzeitig habe ich bei Hilti «on the job» sehr viel Neues gelernt. Ich war mir sicher, dass mir ein MBA an einer amerikanischen Universität das nötige Management-Rüstzeug bieten würde. Dass sich ein MBA an einer angesagten amerikanischen Uni im CV gut macht, war mir natürlich auch bewusst. Ich bewarb mich deshalb an der Northwestern University in Chicago − in Bezug auf die Ausbildungsqualität und die internationale Reputation sozusagen das Pendant zur ETH im Bereich der MBA-Ausbildung. Zurück in der Schweiz haben Sie bei der Unternehmensberatung McKinsey & Company angeheuert. Offenbar konnten Sie sich immer noch nicht auf eine Industrie festlegen? Das ist richtig, bei McKinsey hatte ich auch ein sehr breites Kundenportfolio. Wenn Sie bei einem solchen Unternehmen arbeiten, geht die Lernkurve ungebremst weiter nach oben. Aber nach vier Jahren spannender Projekte wurde der Wunsch nach Veränderung immer stärker. Die Anfrage eines Headhunters kam deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt. Was geschah dann? Das Angebot des Headhunters regte mich an, mich im Markt umzusehen. Nach kurzer Zeit hatte ich verschiedene Angebote auf dem Tisch. Ich wollte unbedingt eine Herausforderung, bei der ich gestalten konnte. Ich habe mich deshalb für eine spannende Aufgabe beim Industrieunternehmen Sulzer entschieden … Dessen CEO Sie 1999 wurden … Genau. Bei meinem Wechsel von McKinsey zu Sulzer 1992 übernahm ich aber zuerst die P&L-Verantwortung für einen global tätigen Bereich, der mit operativen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Diese Zeit war sehr intensiv und ich konnte in kurzer Zeit ungeheuer viele Erfahrungen sammeln. Entscheidend für mich war aber wie bereits erwähnt, dass ich die Chance hatte, zu gestalten. So haben wir zum Beispiel gegen grossen internen Widerstand in Polen und in Shanghai neue Fabriken eröffnet. Das war risikoreich, wirtschaftlich aber ein grosser Erfolg. Sie haben dann als CEO Sulzer und später ABB geführt, zwei sehr bekannte, global tätige Industriekonzerne in hart umkämpften Märkten. Welche Fähigkeiten waren für Sie in diesen Positionen besonders wichtig? Ich bin überzeugt, dass das Wichtigste für einen CEO seine Glaubwürdigkeit ist. Nicht nur nach aussen, sondern vor allem auch nach innen und gegenüber sich selber. Glaubwürdig zu sein heisst für mich, dass man mit aller Kraft versucht, das Richtige zu tun. Und das wiederum setzt für mich voraus, dass man basierend auf Fakten handelt. Nicht aus dem hohlen Bauch heraus oder weil man den Applaus der Aktionäre, der Börse oder der Medien sucht. Als CEO fällt man täglich Entscheide, die Konsequenzen haben − für das Business, aber vor allem auch für Menschen. Das muss man sich immer bewusst sein. Deshalb ist es entscheidend, dass man glaubwürdig ist. Dass das, was man macht, wirtschaftlich und moralisch richtig und notwendig ist. Und das wiederum heisst in letzter Konsequenz, dass man nicht spekuliert, sondern faktenorientiert arbeitet. Jemand, der an der ETH studiert hat, ist gewohnt, basierend auf Fakten zu entscheiden. Seit 2008 sind Sie Partner von Clayton, Dubilier & Rice, einem renommierten Unternehmen für Private Equity. Investieren Sie in dieser Rolle nicht oft auch in Menschen mit visionären Ideen und weniger auf Fakten basierend? Das ist richtig, wobei das eine das andere nicht ausschliesst. Der entscheidende Punkt liegt darin, dass im Management je nach Situation zwei unterschiedliche Rollen gefragt sind: Die des Managers und die des Leaders. Der Leader muss die Gabe besitzen, Menschen für ein Ziel zu begeistern, sie dazu motivieren, einen Sprung ins Ungewisse zu machen und dabei gewisse Risiken einzugehen. Der Manager auf der anderen Seite muss mit Hilfe von Fakten Sicherheit und Planbarkeit herstellen. Dann setzt er diese Pläne um, kon- 20 Fred Kindle ist Doppelbürger der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein. Er studierte von 1979 bis 1984 Maschinenbau und Verfahrenstechnik an der ETH Zürich. Von 1984 bis 1986 war er Projektleiter im Marketing bei Hilti, 1986 bis 1988 folgte die Ausbildung zum Master of Business Administration an der North Western University in Chicago. Es folgten vier Jahre bei McKinsey & Company, 1992 wechselte er zu Sulzer, wo er 1999 CEO der Sparte Industries und ab 2001 CEO des ganzen Sulzer-Konzerns wurde. Von 2005 bis 2008 war Fred Kindle CEO der ABB, bevor er Partner bei Clayton, Dubilier & Rice wurde. Fred Kindle lebt mit seiner Frau in London. trolliert laufend, wo das Unternehmen steht, und greift korrigierend ein, wenn es negative Abweichungen gibt. 21 Beide Rollen sind für das Unternehmen enorm wichtig. Der Manager ist eher der Technokrat, analysiert faktenbasiert, entscheidet, kontrolliert und interveniert. Der Leader spricht den Bauch an, weckt Emotionen, begeistert Leute. Eine wirklich gute Führungsperson, die auch langfristig am Erfolg eines Unternehmens interessiert ist, muss mit dieser Schizophrenität umgehen können, diese beiden unterschiedlichen Rollen in sich vereinigen und situativ leben können. Das scheint mir sehr anspruchsvoll zu sein. Kann man das lernen oder muss man dazu geboren sein? Ich glaube schon, dass man das teilweise lernen kann. Die ETH ist in der faktenbasierten, akademischen Ausbildung − also in der Substanz − allen anderen Ausbildungen, die ich aus erster Hand kenne, überlegen. Die Ausbildung in den USA war aber in Bezug auf Leadership sicherlich ein entscheidender Impuls für mich. Das Umfeld war geprägt von Dynamik, Begeisterung und Energie. Das hat bei mir auch etwas bewirkt und die Freude am Gestalten und am Unternehmertum geweckt. Mittlerweile spüren wir in der Schweiz auch mehr von dieser positiven Energie. Ich denke aber, dass in dieser Beziehung ein Ausland aufenthalt − heute zum Beispiel in Asien − nach wie vor sehr empfehlenswert ist. Sie würden also einem Studierenden empfehlen, Berufserfahrung im Ausland zu sammeln? Auf jeden Fall. Ich glaube fest an den Nutzen von dem, was früher als Lehr- und Wanderjahre bezeichnet wurde. Obwohl wir in der Schweiz in einem sehr internationalen Umfeld leben, ist es enorm wichtig, dass man ausserhalb der eigenen Landesgrenzen Erfahrungen sammelt. Business ist heute global und es ist aus meiner Sicht entscheidend, dass man andere Kulturen kennenlernt. Wer auf der internationalen Bühne spielen will − also in einem globalen Unternehmen Karriere machen und Verantwortung übernehmen will −, muss sich hinauswagen. Diesbezüglich sind wir Schweizer vielleicht etwas zu schüchtern oder vielleicht sogar zu bequem. Als aktiver Investor arbeiten Sie heute sehr eng mit dem Management Ihrer Portfolio-Unternehmen zusammen. Sind Sie dabei mehr Leader oder mehr Manager? In erster Linie sehen wir uns als Unternehmer. In allen Firmen, in denen ich investiert bin, sitze ich im Verwaltungsrat − den ich in den meisten Fällen auch präsidiere. Somit bin ich nicht direkt für das operative Geschäft verantwortlich, arbeite aber sehr eng mit dem CEO zusammen. Wir tragen eine grosse Verantwortung, weil wir in den meisten Fällen hundert Prozent der Aktien − oder sicher die Aktienmehrheit − halten. Die Intensität der Zusammenarbeit ist natürlich unterschiedlich. Wenn ein Geschäft 22 23 sehr stabil läuft und man wenig eingreifen muss, habe ich weniger intensiven Kontakt. Im anderen Fall beschäftige ich mich fast täglich mit einem Unternehmen. Auch hier liegt mir viel daran, zu gestalten. Das heisst vor allem gemeinsam mit dem Management Visionen und neue Geschäftschancen zu entdecken und umzusetzen. Das beinhaltet alle klassischen Bereiche von Kostensenkung und Produktivitätssteigerung über organisches Wachstum und geographische Expansion bis zu Übernahmen. Deshalb habe ich auch nach sieben intensiven Jahren Private Equity nach wie vor sehr viel Freude an meiner Position. Sie sind Vater von fünf Kindern, die alle die Matura gemacht haben. Was haben Sie ihnen bezüglich ihrer Studienwahl empfohlen? Das Wichtigste ist, dass sie sich darüber im Klaren sind, welchen Beruf sie später einmal ausüben wollen. Wenn man sich für den Beruf entschieden hat, kommt die Frage nach der besten Ausbildung und der dafür richtigen Universität oder Hochschule. Wenn sich jemand für Naturwissenschaften und Technologie interessiert, empfehle ich die ETH aus tiefster Überzeugung. Was einem da im Studium mitgegeben wird, ist von grossem Gehalt. Zusätzlich zum Erlernten öffnet einem ein Diplom der ETH weltweit Tür und Tor. Wenn jemand sich für Medizin, Wirtschaft oder die Jurisprudenz entscheidet, stehen natürlich andere Institutionen im Vordergrund. Raten Sie Ihren Kindern auch zu einem Nachdiplomstudium, zum Beispiel einem MBA? Für uns ist es grundsätzlich wichtig, dass unsere Kinder irgendwann Zeit im Ausland verbringen − sei es für eine Ausbildung oder einfach nur, um eine ihnen fremde Kultur kennen zu lernen. Einen MBA braucht man aus meiner Sicht nicht zwingend, um im Management tätig zu sein. Es ist aber nach wie vor so, dass einem diese Ausbildung hilft, seinen Horizont zu erweitern und wichtiges Fachwissen in den Bereichen Finanz, Marketing oder Organisationstheorie dazuzulernen. Zudem eröffnet einem das Studium an einer Eliteuniversität zusätzliche Berufschancen. Ganz wichtig ist aus meiner Sicht die Erkenntnis, dass die Ausbildung allein nicht erfolgsentscheidend ist. Sie können in ihrem Leben noch so viele Studien erfolgreich absolviert haben, das wird ihnen nur bedingt helfen, sich im globalen Wettbewerb der Talente durchzusetzen. Am Schluss − und davon bin ich zutiefst überzeugt − müssen Sie sich auch durch ihren Charakter und ihr Engagement profilieren und die Optionen, die Ihnen das Leben bietet, mit viel Initiative und Herzblut realisieren. «Wenn sich jemand für Naturwissenschaften und Technologie interessiert, empfehle ich die ETH aus tiefster Überzeugung. Was einem da im Studium mitgegeben wird, ist von grossem Gehalt. Zusätzlich zum Erlernten öffnet einem ein Diplom der ETH weltweit Tür und Tor.» Fred Kindle, Partner, Clayton, Dubilier & Rice 25 «Informatik ist eigentlich keine enge Karriere-Wahl, sondern lässt einem viele Möglichkeiten offen.» Urs Hölzle Senior VP for Technical Infrastructure Google 26 Als Topmanager von Google prägt Urs Hölzle mit seiner Arbeit nicht nur die globale Technologie landschaft, sondern auch das Leben von Millionen von Menschen. Einen guten Manager zeichnen aus seiner Sicht vor allem drei Dinge aus: ein fundiertes Technologieverständnis basierend auf einer soliden Ausbildung, die Fähigkeit, zu kommunizieren, und eine gewisse Lockerheit in der Karriereplanung. «Informatik ist Teamwork. Deshalb empfinde ich Kommunikation als wichtigen Erfolgsfaktor – und zwar nicht nur in der akademischen Welt, sondern vor allem auch im Berufsleben.» Urs Hölzle, Senior VP for Technical Infrastructure, Google 27 Herr Hölzle, Sie haben 1983 Ihr Studium begonnen. Weshalb haben Sie sich damals für die ETH entschieden? Ich wollte Informatik studieren und dafür gab es zu dieser Zeit praktisch nur einen Ort: die ETH in Zürich. Von dem her gesehen, war die Wahl für mich sehr einfach. Was haben Sie aus Ihrer Zeit an der ETH mitgenommen? Das Departement war gerade einmal zwei Jahre alt. Deshalb war die Ausbildung damals noch sehr breit, sicher ein wenig breiter als das heutige Angebot. Wir hatten damals viel mehr Mathematik als Informatik. Mir hat vor allem das Umfeld gefallen. Ich konnte Vorlesungen oder Vorträge besuchen, die mich zum Denken angeregt haben. Da ging es nicht nur um Informatik, sondern um allgemein spannende Themen aus der Wissenschaft. Und was mir natürlich auch sehr gut gefallen hat an der ETH ist, dass es eine internationale Universität ist. Ich hatte sehr viel Kontakt zu Menschen aus anderen Kulturen und Ländern. Weshalb wollten Sie Informatik studieren? Das Thema hat mich sehr interessiert. Zudem war mir bewusst, dass ich nach meiner Ausbildung etwa 40 Jahre lang arbeiten werde. Die Informatik gab mir diesbezüglich eine ungeheure Flexibilität. Ich würde zwar 40 Jahre lang in der Informatik tätig sein, könnte aber wählen, in welcher Industrie oder in welchem Spezialgebiet. Informatiker braucht es überall – in der Medizin, in der Biologie oder im Energiewesen. In diesem Sinne ist Informatik eigentlich keine sehr enge Karrierewahl, sondern lässt einem viele Möglichkeiten offen. Hatten Sie von Anfang an das Ziel, nach dem Studium im Ausland zu doktorieren? Nein, eigentlich nicht. Ich wusste auch gar nicht, ob ich wirklich doktorieren will. Das hat sich alles so ergeben. Ich habe das von Jahr zu Jahr so genommen. Eigentlich so richtig Gedanken darüber gemacht habe ich mir erst im letzten Jahr des Studiums. In die USA wollte ich schlussendlich, weil das Thema, für das ich mich interessiert habe, in der Schweiz oder sogar in Europa gar nicht stattfand. Ich habe mich damals intensiv mit objektorientierten Programmiersprachen beschäftigt. Die Forscher, die sich damit befasst haben, sassen praktisch alle in den USA. Die Universität Stanford habe ich wegen meines späteren Doktorvaters ausgewählt. Als ich seine Veröffentlichungen gelesen habe, wusste ich, dass ich mich bei ihm bewerben wollte. An der ETH zu doktorieren war also nie eine Option für Sie? Nein, ich wollte ja nicht einfach doktorieren, um den Titel zu bekommen, sondern um mich auf einem bestimmten Gebiet, das mich faszinierte, weiterzuentwickeln. Von dem her gesehen habe ich mir nicht den Ort ausge- sucht, sondern die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten wollte. Waren Sie mit Ihrem ETH-Abschluss gut auf die Standford University vorbereitet? Absolut, die ETH gehörte bereits damals zu den besten Institutionen der Welt. Die Aufnahmeprüfung an die Stanford University habe ich mit einem sehr geringen Aufwand bewältigt. Aber dann tauchten Sie wahrscheinlich in eine andere Welt ein, oder? Ja, der Unterschied ist wirklich riesig, ins besondere, was den Betrieb angeht. Stanford war schon damals weniger eine Schule, sondern viel mehr ein Treffpunkt für Gleichgesinnte. Die Universität hatte schon früh einen sehr engen Kontakt zur Industrie und es war nicht ungewöhnlich, dass Professoren sich aktiv in Start-ups engagierten. An der ETH war die Ausrüstung viel besser. Auch die, die uns Studierenden zur Verfügung stand. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir an der ETH Apple Macintosh Computer und Sun Workstations nutzen konnten. In Stanford waren es 24 × 80 Pixel grosse Terminals, ohne graphische Oberfläche. Als Doktorand musste man sich einer Forschungsgruppe anschliessen. Dort war dann das Geld vorhanden und die Ausrüstung besser. Der Entscheid, in welche Forschungsgruppe man einsteigen will, musste man sich «Es ist eine der Stärken von Google, dass wir von den Managern ein grosses Technologieverständnis verlangen. Ein Manager muss die Technologie und die daraus entstandenen Daten und Fakten, die als Entscheidungsbasis dienen, verstehen.» Urs Hölzle, Senior VP for Technical Infrastructure, Google selber erarbeiten. Ich brauchte fast zwei Jahre, um herauszufinden, zu welchem Thema ich doktorieren wollte. Gab es etwas, was Sie in der Ausbildung an der ETH nicht oder zu wenig vermittelt bekamen? Der grösste Unterschied zur Schweiz war damals, dass die amerikanischen Unis die Studierenden viel mehr darauf vorbereitete, ihre Ideen zu kommunizieren. Egal ob man einen Vortrag machte oder eine Arbeit schrieb, die Erwartungen in Bezug auf die Kommunikation und Präsentation der erarbeiteten Inhalte waren enorm hoch und wurden dann entsprechend auch geübt. Das war sicher etwas, was zu meiner Zeit an der ETH noch nicht so hoch gewichtet wurde. Ich persönlich empfinde Kommunikation als wichtigen Erfolgsfaktor – und zwar nicht nur in der akademischen Welt, sondern vor allem auch im Berufsleben. Ich habe das Gefühl, in der Schweiz lernt man das eher «on the job» und in den USA in der Schule – und zwar noch vor der Uni. Das hat sich in den letzten 25 Jahren sicher auch an der ETH stark geändert. Trotzdem gehören in den internationalen Meetings die Präsentationen der Amerikaner immer noch zu den besten. Können Sie etwas konkreter erklären, weshalb für Sie Kommunikation so wichtig ist? Weil Informatik Teamwork ist. Es gibt in der Informatik ganz wenige Bereiche, wo Sie heute als Einzelperson einen ganz grossen Impact machen können, zum Beispiel in der Kryptologie oder Kompressionstechnik. Dort kommt es vor allem auf den Algorithmus an. Da kann eine einzelne Person schon wegweisende Fortschritte machen. Aber normalerweise sind es Teams von mindestens zwei oder drei Ingenieuren, die eng zusammenarbeiten und gemeinsam etwas bewegen. Deshalb ist es entscheidend, dass man seine Ideen und die Arbeit, die man macht, anderen Menschen vermitteln kann. Wenn sie immer wissen, was das Richtige wäre, aber es den anderen im Team oder im Unternehmen nicht vermitteln können, wird das Richtige nie passieren. Deshalb kann aus meiner Sicht jemand, der sich nicht klar ausdrücken kann, nie erfolgreich sein. Das heisst, wer bei Google Karriere machen will, muss neben der fachlichen Kompetenz vor allem gut kommunizieren können? Auf jeden Fall. Wie andere Unternehmen auch unterscheiden wir bei Google für die berufliche Karriere zwischen einem Technical Track und einen Management Track. Das heisst, sie haben zwei verschiedene Möglichkeiten, sich bei Google beruflich zu entwickeln: Durch das Führen von Menschen oder das vertiefte technische Wissen. In beiden Bereichen ist die Kompetenz, zu kommunizieren, erfolgsentscheidend. Das scheint auf den ersten Blick für einen Manager verständlicher als für einen Tech-Lead. Aber gerade als Ver- antwortlicher für die Technologieentscheide müssen Sie sicherstellen, dass alle in der Organisation verstehen, was Sie entschieden haben und aus welchen Überlegungen heraus. Es ist fundamental wichtig, dass alle die technische Ausrichtung des Unternehmens kennen und die Gründe dafür verstehen. Verhält es sich ähnlich mit dem technischen Wissen? Müssen Manager bei Google auch ein tiefes Technologieverständnis haben? Ja, ich denke das ist eine der Stärken von Google, dass wir auch von den Managern ein grosses Technologieverständnis verlangen. Auch wenn sie die technische Entscheidung nicht fällen, ist es wichtig, dass Manager und Tech-Lead eng zusammenarbeiten. Dafür muss ein Manager die Technologie und die daraus entstandenen Daten und Fakten, die als Entscheidungsbasis dienen, auch verstehen. In den Fragestellungen, mit denen wir uns beschäftigen, gibt es oftmals kein einfaches Ja oder Nein und kein einfaches A oder B. Wenn der Tech-Lead am Schluss einen «Judgment Call» fällt, muss auch der Manager das Gesamtbild verstehen, und das beinhaltet neben dem wirtschaftlichen und organisatorischen Teil eben auch die technologischen Aspekte. Deshalb entwickeln sich die Leute bei uns normalerweise zuerst zum Tech-Lead, auch wenn sie später Managementaufgaben übernehmen wollen. Sie kommen sozusagen als Ingenieure weiter und wechseln dann ins Management. 28 29 Urs Hölzle kommt ursprünglich aus Liestal im Kanton Basel-Land. Er studierte von 1983 bis 1988 Informatik an der ETH Zürich, promovierte 1994 an der Stanford University und arbeitete als Assistenz-Professor of Computer Science an der University of California. Zu Google stiess Hölzle 1999, als das Unternehmen noch auf wenigen Quadratmetern mit 30 PCs in Regalen arbeitete. Heute ist er Google Fellow und als Senior Vice President global für die technische Infrastruktur zuständig. Mit seinem Team setzt er sich konsequent für eine Reduktion des Energieverbrauchs der Google-Rechenzentren ein und hat dadurch den Gesamtverbrauch der Google-Infrastruktur auf die Hälfte der marktüblichen Werte gesenkt. Urs Hölzle ist Mitglied im Board of Directors des WWF. Er ist verheiratet und lebt in Palo Alto. Sein Hund Yoshka, der ihn in den Anfangsjahren regelmässig zur Arbeit begleitete, ging als «first dog» in die Firmengeschichte von Google ein. Die Technologisierung der Welt schreitet mit grossen Schritten voran. Ist es heute im Business von Vorteil, Ingenieur zu sein? Ich denke schon, denn Ingenieure können in aller Regel die Möglichkeiten des Internets viel besser einschätzen und nutzen. Das Internet ist aus meiner Sicht die wahre Revolution. Ein Ingenieur, der das Internet zu seinen Gunsten nutzt, kann überall arbeiten, also in jeder Branche und physisch an jedem Ort. viel Kapital, um Investitionen in die Produktion oder in ein Verteilernetzwerk zu machen. Können Sie das etwas genauer erklären? Das Internet hat die Welt viel mehr verändert, als dass die Welt technischer gewor den wäre. Die Welt war auch vor 20 Jahren schon technisch. Die Elektrizität, das Telefon, das Auto – das waren alles innovative Technologien, entwickelt von ausgezeichneten Ingenieuren. Diesen Ingenieuren wäre es aber im Gegensatz zu heute nie möglich gewesen, mit einer guten Idee so schnell ein globales Publikum – und dadurch einen globalen Markt – zu erreichen. Software und das Internet haben diese Revolution erst möglich gemacht. Selbstverständlich ist es nach wie vor ungeheuer schwierig, eine gute Idee zu finden und die dann technisch umzusetzen. Dank Software und dem Internet können Sie als Ingenieur heute aber mit einem relativ kleinen Aufwand Ihre Idee global verteilen. Sie können in kleinen Teams Dinge entwickeln und mit dem Erfolg sehr rasch skalieren. Sie brauchen am Anfang auch nicht Was würden Sie einer Maturandin oder einem Maturanden sagen, der sich mit seiner Karriereplanung auseinandersetzt? Ich würde ihr oder ihm sagen, dass ich nichts von Karriereplanung halte. Wenn ich so zurückblicke, lag ich während meiner Ausbildung und meinen ersten Berufsjahren mit allen meinen Prognosen, was ich die nächsten zwei Jahre machen würde, ziemlich stark daneben. Und ich muss sagen, dass ich das eigentlich sehr gut finde. Man darf sich nicht zu viele Sorgen um die Zukunft machen. Ich finde es wichtiger, sich auf die Sache zu konzentrieren, die man gerade macht. Wenn man das, was man macht, nämlich gut macht, ergibt sich die nächste Chance wie von selbst. 30 Wenn Sie früher etwas ausgetüftelt haben, konnten Sie das nicht einfach in einem Warenhaus in die Gestelle legen und verkaufen. Im Internet kann jeder alles anbieten und verkaufen. Der globale Zugriff auf Ideen ist dank dem Internet viel einfacher geworden. Und weil Sie sich die Ideen auch durchsetzen können, sind sie viel bedeutender. Sie sagen also, kein Plan ist der bessere Plan? Natürlich war mir klar, dass es nicht schädlich ist, nach Stanford zu gehen, um dort zu doktorieren. Wenn Sie mich damals aber Google verfügt über eine lange Tradition der Zusammenarbeit mit weltweit führenden Bildungsund Forschungseinrichtungen. In Zürich befindet sich Googles grösstes Entwicklungszentrum im Raum Europa, Mittlerer Osten und Afrika. Google und die ETH Zürich arbeiten schon seit vielen Jahren in den strategischen Fokusbereichen Informationssicherheit, Computer Vision und Verteilte Systeme eng zusammen. Dank dieser Partnerschaft ist es Google und der ETH gelungen, die Lücke zwischen forschungsorientierten Universitäten und anwendungszentrierten Privatunternehmen zu schliessen. Mit dem Faculty Research Award und dem European Doctoral Fellowship Programme unterstützt Google zudem junge Talente in ihrer akademischen Arbeit. Darüber hinaus engagiert sich Google aktiv, junge Talente für die ETH zu gewinnen und die nach wie vor geringe Anzahl an Frauen in technischen Studienfächern zu steigern. Die Beteiligung als Mitveranstalter am Schnupperstudium Informatik der ETH und die Weiterentwicklung der namhaften «RISE Awards» und «Women in Tech Travel and Conference Grants» haben dazu beigetragen, einen ausgewogenen und generationenübergreifenden Mix aus weiblichen Computerexperten zu fördern. 31 gefragt hätten, wäre ich überzeugt gewesen, dass ich nach vier Jahren in die Schweiz zurückkehren werde, um etwas anderes zu machen. Das kam ja überhaubt nicht so heraus. Meine Dissertation in Stanford, meine Zeit an der University of California, mein erstes Start-up, die Zeit bei Sun Microsystems oder die Begegnung mit Larry und Sergey. Das war alles nicht geplant, das hat sich einfach so ergeben. Hatten Sie diese Gelassenheit auch, weil Sie gewusst haben, dass Sie mit der ETH den optimalen Start gehabt haben? Wenn man einen Beruf lernt, der auf dem Markt begehrt ist, und man die Ausbildung an einer so renommierten Institution gemacht hat, muss man sich wirklich keine Sorgen machen. Sie dürfen nur nicht nervös werden, wenn es bei einer Arbeitsstelle einmal nicht klappt. Wenn Sie an einem Ort arbeiten, wo es Ihnen nicht gefällt, wartet eine andere Stelle auf Sie. Das ist hier im Silicon Valley natürlich einzigartig. Wenn man hier einen Fehler macht, ist das «no big deal». Wichtig ist, dass Sie den gleichen Fehler nicht zweimal machen. Hier im Silicon Valley ist man dann erfolgreich, wenn man immer neue Fehler macht, anstatt die gleichen Fehler zu wiederholen. Diese Kultur macht es natürlich wesentlich einfacher, locker zu bleiben … Das stimmt schon. Auf der anderen Seite denke ich aber, dass Sie als Ingenieur und insbesondere als Informatiker die besten Voraussetzungen für den beruflichen Erfolg haben. Das Wissen und die Fähigkeiten von guten Ingenieuren werden immer gebraucht. Man muss nur offen sein und den Mut haben, Veränderungen im Leben als Herausforderung anzunehmen, und Chancen, die sich einem auf diesem Weg bieten, zu packen. Die Welt wird sich auch in Zukunft rasant verändern. Damit muss man einfach umgehen können. «Als Ingenieur haben Sie die besten Voraussetzungen für den beruflichen Erfolg. Das Wissen und die Fähigkeiten von guten Ingenieuren werden immer gebraucht. Man muss nur offen sein und den Mut haben, Veränderungen im Leben als Herausforderung anzunehmen, und Chancen, die sich einem auf diesem Weg bieten, zu packen.» Urs Hölzle, Senior VP for Technical Infrastructure, Google 33 «Wir differenzieren uns im Markt nicht über Technologie, sondern über unsere Mitarbeitenden.» Martin Bosshardt CEO Open Systems AG 34 Der Unternehmer Martin Bosshardt wehrt sich gegen das Vorurteil, dass man als ETH-Absolvent beruflich in einem dunklen Forschungslabor endet. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen fokussiert er sich auf die Frage, wie global tätige Organisationen Sicherheitstechnologie effizienter, automatisierter und skalierbarer einsetzen können. Die ETH Zürich ist in diesem Zusammenhang für Bosshardt von zentraler Bedeutung: Sie bildet die Ingenieurinnen und Ingenieure aus, die Bosshardt für die ServiceQualität und das zukünftige Wachstum seines Unternehmens dringend braucht. «Die ETH verfügt über ein hervorragendes internationales Netzwerk und ermöglicht es den Studierenden und Doktoranden sehr direkt, davon zu profitieren.» Martin Bosshardt, CEO, Open Systems AG 35 Herr Bosshardt, wann haben Sie den Entscheid gefällt, Ingenieur zu werden? Das wusste ich eigentlich schon während meiner Zeit auf dem Gymnasium. Obwohl ich mich nicht als typischen Bastler beschreiben würde, experimentierte ich bereits damals leidenschaftlich gerne mit Elektronikbaukästen, baute Alarmanlagen zusammen und zerlegte Radios. Gab es für Sie einen Schlüsselmoment? Ich denke das war der Tag, an dem unser Nachbar mit einer Bananenschachtel vor der Türe stand. In der Schachtel lag − fein säuberlich in Einzelteile zerlegt − ein Mofa. Dass ich das Gefährt eines Tages wirklich fahren würde, schien meinen Eltern bei der Betrachtung des Durcheinanders in der Kiste eher unwahrscheinlich. Trotzdem beharrten sie zur Sicherheit darauf, dass ich im Falle eines Erfolges ultimative Helmtragepflicht hätte. Und wie ging die Geschichte aus? Etwa eine Woche später kaufte mir meine Mutter einen Helm, den ich dann auf meiner Siegesrunde durch’s Dorf auch tatsächlich trug. Sie haben nach der Matura an der ETH Elektrotechnik studiert. Wie sind Sie damals auf die ETH aufmerksam geworden? Die ETH war natürlich schon damals die erste Adresse für eine Ausbildung zum Ingenieur. Mein Vater hat ebenfalls an der ETH studiert und der Zufall wollte es, dass Professor Georg Epprecht, Professor für Elektrotechnik an der ETH Zürich, unser Nachbar war. Er beobachtete mich eines Tages, wie ich einen Radio auseinandernahm. Er meinte, wenn ich lernen wolle, wie man den wieder zusammenbaut, solle ich Elektrotechnik studieren. Und das habe ich dann auch gemacht. Wie haben Sie das Studium an der ETH erlebt? Ich habe die Zeit an der ETH sehr genossen. Es gab unglaublich viel Tolles zu sehen, zu tun und zu lernen. Ich war voller Leidenschaft für die Materie, engagierte mich intensiv an der Entwicklung eines Elektromobils und verbrachte natürlich so viel Zeit wie möglich an den Computern der ETH. Sie ermöglichten mir den Zugang zu einer neuen Welt − der Welt der globalen Netzwerke. Das Beste an der ETH waren aber aus meiner Sicht die vielen gleichgesinnten Menschen, die alle richtig gut Bescheid wussten. Zwei davon haben mein Leben besonders stark geprägt. Das klingt aber spannend. Wer waren diese zwei Menschen? An erster Stelle kommt natürlich meine Frau Daniela, die damals an der ETH Pharmazie studierte. Wir haben 2004 geheiratet und sind heute glückliche Eltern von zwei Söhnen − Lino und Jon. Die andere Person, die mein Leben stark und sehr positiv beeinflusst hat, ist Florian Gutzwiller. Mit dem Sie heute gemeinsam die Open Systems AG führen … Richtig, Florian Gutzwiller, der Gründer der Open Systems AG, ist heute als aktiver Verwaltungsratspräsident stark in die Entwicklung und die globale Expansion unseres Unternehmens involviert. Bevor er 1990 das Unternehmen gründete, war er für den Betrieb der wichtigsten Kommunikationsrechner der ETH verantwortlich. Er war es, der mir damals meinen ersten Account auf dem Bernina-Grossrechner eröffnete, der damals mächtigsten Kommunikationsmaschine der ETH. Man kann also sagen, dass er es war, der mir den Zugriff auf die globalen Netzwerke, die später einmal das World Wide Web sein sollten, ermöglichte. Sie haben während des Studiums für einige Monate als Praktikant in Japan gearbeitet. Wie kam es dazu und was genau haben Sie dort gemacht? Die ETH verfügt über ein hervorragendes internationales Netzwerk und ermöglicht es den Studierenden und Doktoranden, sehr direkt davon zu profitieren. Das Angebot wollte ich nutzen und unbedingt Auslanderfahrung sammeln. Über ein Studentenaustausch-Programm bekam ich ein Praktikum bei einem japanischen Technologieunternehmen in Tokyo. Während dieses Praktikums hatte ich über die ETH auch Kontakt zur University of Tokiyo, wo ich nach Abschluss meines Industrie-Praktikums die Gelegenheit bekam, am Institut für Nanorobotik das Abschlusssemester und meine Diplomarbeit zu bestreiten. Um was ging es in Ihrer Arbeit genau? Wir erhielten den Auftrag, ein Raster tunnelmikroskop zu bauen, um eine Nadel «Das Potenzial und die Chancen für Ingenieure werden sich in Zukunft zusätzlich akzentuieren: Denken Sie nur daran, wie viele etablierte Märkte momentan durch neue Technologien revolutioniert werden und wie viele neue Opportunitäten sich aufgrund von innovativen Technologien ergeben.» Martin Bosshardt, CEO, Open Systems AG mit der Präzision eines Kohlenstoffgitters auf ein Atom genau zu positionieren. Das Thema konnte aktueller nicht sein, denn genau in diesem Jahr − 1986 − erhielten der deutsche Gerd Binnig und der Schweizer Heinrich Rohrer den Nobelpreis für Physik für die Erfindung des Rastertunnelmikroskops , mit dem sie Atome mittels Tunnelstrom sichtbar machten. Nach fünf Monaten intensiver Arbeit konnten wir das Projekt erfolgreich abschliessen. Es war ein gewaltiges Erlebnis. Ich kam mir vor, wie wenn ich bei der Erschaffung der Erde mit dabei gewesen wäre. Inwieweit spielte die ETH für diese Arbeit eine Rolle? Natürlich hielten wir stetigen Kontakt zur ETH, einerseits auf der organisatorischen Ebene und andererseits interessanterweise auch auf der technischen Ebene. Da wir in Japan keine geeignete Visualisierungs-Software zur Verfügung hatten, nutzten wir jeweils über Nacht einen Grossrechner an der ETH, um aus den erarbeiteten Daten das Bild in Zürich zu rechnen und in Tokiyo auszudrucken. Das war im Nachhinein betrachtet eine ganz erstaunliche Leistung unseres Projektes. Sie dürfen nicht vergessen, dass damals das Internet nur gerade einmal 1000 Maschinen vernetzte. Wie ging es nach Ihrem Abschluss beruflich weiter? Zurück in der Schweiz bewarb ich mich beim Technologiekonzern ABB. Im ersten Gespräch fragte mich mein damaliger Chef, wie viel Zeit ich brauchen würde, um zu packen, wenn die ABB mich in einem anderen Land brauchen würde. Ein paar Wochen später arbeitete ich in Malaysia als Inbetriebnahme-Ingenieur auf einer Grossbaustelle für ein Kombi-Kraftwerk. sowohl unser Unternehmen als auch unsere damaligen Kunden stark traf. Eine spannendere und lehrreichere Zeit, als im Management eines Service-Providers zu wirken, hätte es für mich kaum geben können. Das klingt, als ob Sie früh ins kalte Wasser gesprungen seien … Ich hatte das Glück, bei ABB früh Verantwortung übernehmen zu dürfen. Nach Malaysia ging es weiter nach Indonesien, wo ich bei einem vergleichbar grossen Projekt die Alleinverantwortung für die Inbetriebnahme der Leitsysteme trug. Wir hatten 12 Monate Zeit, die Maschine ans Netz zu bringen. Jeder Tag Verspätung hätte eine Pönale von 500 000 Franken ausgelöst. Zeitweise arbeiteten über 3000 Leute auf dem Gelände. Das Kraftwerk wurde rechtzeitig fertig. Es erzeugt heute Strom für rund 10 Millionen Menschen. Diese Projekte bewiesen mir deutlich, dass es dank Ingenieurswissenschaften möglich ist, komplexe Maschinen zu bauen, die das Verständnis eines einzelnen Menschen bei Weitem übersteigen. Kein Mensch allein ver steht ein Kraftwerk von A bis Z bis in jedes Detail. Man muss das gesamte System in beherrschbare Teilsysteme zerlegen, um es dann in spezialisierten Teams zu errichten und in Betrieb zu nehmen. Trotzdem dann 2002 der Wechsel zu Open Systems … Open Systems hat mich von Anfang an fasziniert. Es war Liebe auf den ersten Blick. Dann folgte ein Abstecher ins Consulting … Ja, das war ein sehr wichtiger Schritt für mich, denn ich tauchte intensiv in die Rolle des Dienstleisters ein. Wirtschaftlich war diese Zeit stark geprägt durch die Dotcom-Krise, die Sie sind CEO und Aktionär der Open Systems AG. Was heisst es für Sie, unternehmerisch tätig zu sein? Unternehmer zu sein heisst für mich, die Ziele der Kunden, die Ziele der Mitarbeitenden und die Ziele der Aktionäre in Einklang zu bringen. Nur so kann ein Unternehmen nachhaltig wachsen und sich langfristig im Markt etablieren. Ich habe grossen Spass daran, dieses Wachstum zu begleiten, und bin stolz, wenn ich daran denke, dass heute mehr als 130 Personen hier arbeiten. Als ich bei Open Systems anfing, waren wir gerade einmal 17 Mitarbeiter. Sie haben das starke Wachstum Ihres Unternehmens angesprochen. Was ist Ihr Erfolgsrezept? Informationstechnik ist dafür prädestiniert, automatisiert zu werden. Wir versuchen daher unsere Mitarbeitenden nicht als Teil der Maschine zu sehen, sondern als Ingenieure, die eine Maschine entwickeln und bauen und so die Möglichkeit haben, den Grad der sinnvollen Automatisierung 36 Martin Bosshardt studierte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH in Zürich und an der Todai Universität in Tokiyo und besitzt einen Abschluss als Elektroingenieur ETH. Nach seinem Studium arbeitete Martin Bosshardt als Engineer für die ABB in der Schweiz und im Ausland. 1998 übernahm er bei Futurecom Interactive, einem Beratungsunternehmen der global tätigen Young & Rubicam Group, als Mitglied der Geschäftsleitung die Verantwortung für die Beratung. Seit 2002 ist Martin Bosshardt CEO, Mitglied des Verwaltungsrates und Aktionär der Open Systems AG, einem unabhängigen Schweizer Anbieter von Enterprise Security. 2011 wurde Martin Bosshardt vom Swiss Venture Club der Unternehmerpreis für die Wirtschaftsregion Zürich verliehen. Seit 2013 ist er Mitglied des Beirats der PwC Schweiz. 37 stetig voranzutreiben. Ich bin überzeugt, dass wir einfachere, repetitive Arbeiten nicht in günstigere Regionen verlagern sollten. Wir delegieren diese, oftmals auch langweilige Arbeiten, an den Computer. Das geht in der IT besser als in jeder anderen Branche. In unserem Geschäft gibt es keine physikalischen oder geographischen Grenzen und unser Logistikaufwand ist minimal. Automation macht uns konkurrenzfähig und unsere Arbeit spannender. Zudem erreichen wir dadurch eine höhere Qualität, denn die Services werden sicherer, stabiler und auch skalierbarer. Einen hohen Automatisierungsgrad zu er reichen ist eine spannende, aber auch sehr anspruchsvolle Arbeit. Dafür brauchen wir die besten und kreativsten Ingenieure, die wir kriegen können. Dann ist für Sie Ihre Technologie also nicht das auschlaggebende Alleinstellungsmerkmal? Wir differenzieren uns im Markt nicht über Technologie, sondern über unsere Mitarbeiter und die Art und Weise, wie wir Technologie einsetzen. Unsere Mitarbeiter fokussieren sich in ihrer täglichen Arbeit auf die Frage, wie wir Sicherheitstechnologie effizienter, automatisierter und skalierbarer einsetzen können. Dadurch definieren sie auch die Art und Weise, wie wir bei Open Systems arbeiten, kontinuierlich neu. Die Rekrutierung sowie die Aus- und Weiterbildung des Teams sind deshalb von zentraler Bedeutung. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben eine ETH-Ausbildung. Selbstverständlich rekrutieren wir heute auch an vielen anderen ausgezeichneten Ausbildungsstätten. Die ETH bleibt für uns aber ein sehr wichtiger Talent-Pool. Ein weiterer ganz wichtiger Punkt ist die Tatsache, dass ein Unternehmen nur so gut ist wie seine Kunden. Wir haben das Privileg, dass wir für renommierte Organisationen arbeiten dürfen, die global sehr erfolgreich sind. Besonders interessant ist der KundenMix: Neben Konzernen aus allen Branchen sind wir im Bereich der NGOs stark verankert. Die motivierende Wirkung auf die Mitarbeitenden, renommierten NGOs zur Seite zu stehen, darf man nicht unterschätzen. Im Jahr 2011 wurde Ihnen der Unternehmerpreis für die Wirtschaftsregion Zürich verliehen … Ich habe den Preis stellvertretend für die Geschäftsleitung und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Open Systems entgegengenommen. Ich war natürlich wahnsinnig stolz und bin es heute noch. Besonders schön war für mich die Tatsache, dass bei der feier lichen Preisübergabe viele meiner Kolleginnen und Kollegen anwesend waren. Sie engagieren sich stark dafür, das Thema IT-Sicherheit in der Führungsetage zu etablieren. Ist das ein persönliches Anliegen oder einfach nur geschicktes Marketing? Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Auf jeden Fall erstaunt es mich schon, 38 dass viele Verwaltungsräte und Geschäfts leitungen das Thema IT nach wie vor an ihr IT-Departement delegieren. 39 Die wichtigste − weil disruptivste − Entwicklung in einem Unternehmen bringt die IT. Die ist für alle Game-Changer, egal in welcher Branche sie sich bewegen. Sei es Retail, Tourismus, Airlines, Banken oder Versicherungen. Selbst die Taxi-Branche wird durch die IT neu definiert. Wir alle wissen das. Und doch scheint mir der «Kodak-Effekt» nach wie vor enorm verbreitet. Für mich ist das eine der grössten Gefahren für ein Unternehmen. Die Verantwortung liegt aus meiner Sicht bei den Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten. Sie müssen sich mit den Möglichkeiten, aber auch mit den Risiken der Informationstechnologie befassen. Die ETH Zürich fördert hervorragende Studierende, die ein Masterstudium an der ETH absolvieren möchten, mit dem Excellence Scholarship & Opportunity Programme (ESOP). Die Open Systems unterstützt dieses Programm. Weshalb? Weil die ETH enorm wichtig ist. Sowohl für die Open Systems als auch für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Den besten jungen Talenten eine Chance zu geben, an einer der besten Hochschulen auf der Welt zu studieren, ist eine sehr unterstützungswürdige und wichtige Sache − für diese Studenten, aber auch für die Hochschule. Uns geht es darum, nicht nur von der ETH zu profitieren, sondern auch etwas zurückzugeben. Deshalb bieten wir auch Praktika an oder begleiten Studierende in ihrer Master-Arbeit. Open Systems hilft mit, dass die ETH auch in der Zukunft zu den Top Universitäten der Welt gehört. Insofern ist das kein Engagement, sondern fast schon eine Verpflichtung. Wie werden Sie Ihren Söhnen das Ingenieurstudium schmackhaft machen, wenn sie einmal vor der Studienwahl stehen? Ich sehe das Ingenieurstudium als ein möglicher Weg, der tausend weitere Wege öffnet. Insofern halte ich diese Ausbildung für eine grossartige Option − auch für diejenigen, die vielleicht noch nicht genau wissen, womit sie sich später einmal beruflich befassen oder in welcher Funktion sie arbeiten wollen. Ich werde aber auch versuchen, gewisse Vorurteile, die nach wie vor existieren, aus dem Weg zu räumen. Etwa dass ein Ingenieurstudium ungeheuer schwer ist. Oder dass man als Ingenieur später beruflich im dunkelsten Keller eines unwegsamen Labors endet. Das Gegenteil ist wahr: Es gibt kaum ein Studium mit so vielen tollen und praxisbezogenen Übungen und technischen «Spielzeugen» im Lehrgang. Zudem ist der Konkurrenzkampf unter Medizinern oder Juristen mindestens so hart, wenn nicht noch viel härter − auch später im Beruf. Ingenieure werden dazu ausgebildet, komplexe Systeme in beherrschbare Teile zu zerlegen, um so praktisch beliebig grosse Mechanismen zum Laufen zu bringen. Als Ingenieur lernt man auf eine ganz spezifische Art zu denken, die Welt zu betrachten. Dieses Wissen funktioniert später auf der ganzen Welt, unabhängig von Zulassungen oder Gesetzen. Diese Denkschule halte ich für eine der besten Grundlagen für einen Unternehmer oder eine Führungskraft. Unternehmen sind letztlich komplexe Systeme. Und das Potenzial und die Chancen für Ingenieure werden sich in Zukunft zusätzlich akzentuieren: Denken Sie nur daran, wie viele etablierte Märkte momentan durch neue Technologien revolutioniert werden und wie viele neue Opportunitäten sich aufgrund von innovativen Technologien ergeben. Mit einer Ausbildung zum Ingenieur − und davon bin ich zutiefst überzeugt − ist man für diese Zukunft optimal gewappnet. «Als Ingenieur lernt man, die Welt auf eine ganz spezifische Art zu betrachten. Diese Denkschule halte ich für eine der besten Grundlagen für einen Unternehmer oder eine Führungskraft. Das funktioniert auf der ganzen Welt, unabhängig von Zulassungen oder Gesetzen. Deshalb ist man mit einer Ausbildung zum Ingenieur für die Zukunft optimal gewappnet.» Martin Bosshardt, CEO, Open Systems AG «Ich fühle mich verantwortlich, einen Beitrag dazu zu leisten, Lösungen zu finden.» Jessica Genta, Excellence Scholarship & Opportunity Programme, ETH Zürich Jessica Genta, Sie absolvieren Ihr Masterstudium an der ETH mit einem Stipendium des «Excellence Scholarship & Opportunity Programme». Wie kam es dazu? Es war schon immer mein Traum, an der ETH in Zürich meinen Masterabschluss als Ingenieurin zu machen. Als ich von dem Stipendium erfahren habe, war ich zuerst natürlich etwas verunsichert, ob ich das überhaupt schaffen würde. Als ich mich dann aber intensiver mit den Anforderungen auseinandergesetzt habe, hatte ich durchaus das Gefühl, mit guten Chancen ins Rennen zu gehen. Schlussendlich war es auch eine spannende Herausforderung, die mich sehr gereizt hat. 41 Der Bewerbungsprozess ist extrem aufwändig und verlangt viel von den Studierenden. Haben Sie das auch so empfunden? Ja, die Anforderungen sind sehr hoch. Man muss schon topmotiviert und von der Sache begeistert sein, um die Bewerbung erfolgreich abzuschliessen. Neben sehr guten Noten zählt in allen Bereichen der Bewerbung die «Excellence», das heisst, man sollte überall unter Beweis stellen, dass man fähig ist, systematisch und rational zu denken und neue Ideen zu entwickeln. Ein wichtiger Teil der Bewerbung ist eine ausführliche Beschreibung der geplanten Masterarbeit. Das zwingt einen natürlich sehr früh − nämlich bereits im dritten Jahr des Bachelor-Studiums − konkret zu wissen, auf welches Forschungsgebiet man sich Jahre später einmal fokussieren will. Zudem muss man schon über eine hohe Fachkompetenz verfügen, um antizipieren zu können, welche Themen in den anvisierten Forschungsbereichen relevant sein werden. Ich denke, der grosse Aufwand und das harte Auswahlverfahren sind gerechtfertigt. Schliesslich ist das ja auch ein etwas spezielles Stipendium, in dem es darum geht, Talente aus aller Welt an die ETH zu holen. Die ETH unterstützt uns nicht nur finanziell, sondern fördert uns auch sonst sehr stark, zum Beispiel im Networking. Wussten Sie schon früh, dass Sie Ingenieurin werden wollten? Nicht nur dass ich Ingenieurin werden, sondern auch dass ich Materialwissenschaf- ten studieren wollte. Im Bachelorstudium zeichnete sich dann auch bald das Spezialgebiet ab: «Renewable Energy and Sustainability». Ich beurteile die Energieversorgung als eine der grössten Herausforderungen, die wir in Zukunft haben werden. Sie haben Ihr Bachelorstudium an der Politecnico di Milano in Italien abgeschlossen. Weshalb wollten Sie danach unbedingt an der ETH in Zürich studieren? Das Bachelorstudium in Mailand war sehr interessant und lehrreich. Das Grundstudium ist eher theorielastig und vermittelt Basiswissen. Im Masterstudium arbeitet man viel selbständiger und schon sehr stark in den Gebieten, auf die man sich später fokussieren will. Die ETH hat einen ausgezeichneten Ruf und man trifft dort Menschen aus aller Welt. Zudem bietet die ETH hervorragende Rahmenbedingungen für die Forschung und hat durch den engen Kontakt mit der Industrie einen sehr hohen Praxisbezug. Ich habe mir persönlich ein konkretes Ziel gesteckt und bin fest davon überzeugt, dass die ETH mich am besten unterstützen kann, dieses auch zu erreichen. Wie sieht Ihr Ziel genau aus? Ich versuche im Masterstudium verschiedene Themen im Bereich Energieumwandlung und Speicherung kennenzulernen, die für erneuerbare Energien entscheidend sind. So kann ich dann meine Dissertation in dem Thema schreiben, das mich am meisten fasziniert und wo ich dann auch beruflich einsteigen möchte. Neben der Abschlussarbeit schreiben wir im Masterstudium zwei weitere Forschungsprojekte. Das gibt uns auch die Möglichkeit, verschiedene Institute innerhalb des Departements oder der ganzen ETH kennenzulernen. Und jetzt machen Sie ein Praktikum im ABB Forschungszentrum? Genau, das Industrie-Praktikum ermöglicht es mir, während sechs Monaten einen Einblick in einen weiteren Bereich der Renewable Energies zu gewinnen − wir untersuchen hier die wichtige Rolle der Materialwissenschaft im Bereich Energie aus einem neuen Gesichtspunkt. Gleichzeitig ist es auch eine grosse Chance, mit den hochqualifizier- ten Menschen hier zu arbeiten und von ihnen zu lernen. Ich denke die Qualität der Wissenschaft ist stark von den Menschen abhängig. Für Sie ist Forschung also nicht eine Einzelgänger-Angelegenheit, bei der jeder für sich seine Forschung betreibt? Auf keinen Fall. Forschung, sowohl an der ETH als auch in einem Unternehmen wie ABB, ist reiner Team-Sport. Das ist für mich wie Basketball, das ich seit vielen Jahren sehr intensiv trainiere. Forschung auf diesem Niveau kann man nicht alleine betreiben. Der Erfolg ist sehr stark davon abhängig, dass die besten Leute ihre Ideen austauschen und gemeinsam neue Wege finden. Selber denken ist wichtig. Noch viel wichtiger ist es aber, das, was man herausgefunden hat, mit anderen zu teilen, um Feedback zu erhalten. Und Ihre Masterarbeit schreiben Sie dann wieder an der ETH? Ja, ich möchte meine Masterarbeit am Institut für Electrochemical Materials von Prof. Jennifer Rupp machen. Ich werde mich dort intensiv mit Batterien beschäftigen. Wo sehen Sie sich in zehn Jahren? Werden Sie Professorin an der ETH Zürich? Wenn Sie mich das heute fragen, glaube ich das eher nicht. Nach dem Masterabschluss will ich auf jeden Fall eine Dissertation schreiben. Danach kann ich mir gut vorstellen, in die Industrie zu wechseln. Ich finde es spannend, wenn Forschung und Produktion sehr nahe beieinander sind und eng miteinander zusammenarbeiten. Auf jeden Fall würde es mich neben der fachlichen Herausforderung stark reizen, ein eigenes Unternehmen zu gründen und zu entwickeln. Jetzt mache ich aber erst einmal einen Schritt nach dem anderen. Ich denke es macht auch keinen grossen Sinn, zu viel im Voraus zu planen. Jeder Schritt, den ich bis heute im Leben gemacht habe, hat mich weitergebracht. Ich fühle mich verantwortlich, einen Beitrag dazu zu leisten, Lösungen zu finden, wie wir in Zukunft sinnvoll und nachhaltig mit der Energie umgehen. Das motiviert mich und dafür leiste ich gerne jeden Tag 100%igen Einsatz. 42 43 «Ich will die Welt, in der wir leben, besser verstehen.» Lennart Elsen, Security Engineer, Open Systems AG Lennart Elsen, Sie kommen aus Hamburg und haben an der ETH in Zürich Ihr Studium abgeschlossen. Wieso haben Sie sich entschieden, in der Schweiz zu studieren? Ich habe mich für Elektrotechnik interessiert und mir eine Liste mit Universitäten im In- und Ausland zusammengestellt, welche dieses Studium anbieten. Die ETH stand zuoberst auf meiner Liste. Was waren für Sie die auschlaggebenden Kriterien für die Beurteilung? In erster Linie ging es mir um die Qualität der Ausbildung und den guten Ruf der Institution. Daneben musste natürlich auch die Lebensqualität der Stadt stimmen. Was hat schlussendlich für die ETH und die Schweiz gesprochen? Die ETH wurde mir von Kollegen sehr empfohlen. Als ich mir die Ausbildung näher angeschaut habe, hatte ich einfach ein gutes Gefühl. Das wissenschaftliche Niveau ist sehr hoch und die Infrastruktur ausgezeichnet. Dazu kam, dass ich bevorzugt im Ausland studieren wollte. Zürich gefällt mir als Stadt sehr gut und ist vom Flair nicht allzu weit weg von Hamburg. Es schien mir einfach ein sehr gutes Gesamtpaket zu sein. Sie haben Ihre Masterarbeit in Zusammen arbeit mit Open Systems gemacht, dem Unternehmen, bei dem Sie jetzt als Security Engineer arbeiten. Können Sie uns kurz erzählen, wie das kam? Der praktische Bezug meiner Masterarbeit war mir sehr wichtig. In diesem Sinne suchte ich die Zusammenarbeit mit der Industrie. Über einen Freund habe ich dann Open Systems entdeckt. Mit dem Thema Sicherheit und Verfügbarkeit von globalen Netzwerken habe ich mich auch im Studium beschäftigt. Nachdem ich dann die Verantwortlichen bei Open Systems kennen gelernt habe, war mir klar, dass ich diese Chance nutzen wollte. Wie sah die Zusammenarbeit konkret aus? Open Systems ist ein globaler Anbieter von Managed Security Services, der Netzwerke in über 175 Ländern sichert und betreibt. Mein Auftrag bestand darin, in sechs Monaten ein Tool zu entwickeln, um Kerndaten aus Netzwerkpaketen auszulesen, abzuspeichern und für eine spätere Analyse aufzubereiten. Das Tool soll die Security Engineers darin unterstützen, auch über einen längeren Zeit raum die Zusammensetzung des globalen Netzwerk-Verkehrs zu analysieren. Offensichtlich war das Projekt ein Erfolg und es hat Ihnen bei Open Systems gefalen … Ja, das kann man sagen. Das Analyse-Tool wird jetzt von meinen Kolleginnen und Kollegen eingesetzt, was mich natürlich sehr freut. Ich habe sehr viel positives Feedback auf meine Arbeit erhalten, zum Beispiel dass es die Problem-Analysen erleichtert und die Produktivität steigert. Und die ETH war mit dem Resultat auch zufrieden. Was will man mehr? Das klingt wirklich gut. Was hat Sie dazu bewogen, bei Open Systems anzuheuern? Während der sechs Monate meiner Masterarbeit habe ich das Unternehmen und die Menschen bei Open Systems kennen gelernt. Die Art und Weise, wie man hier miteinander umgeht, hat mir persönlich sehr gefallen. Ich will bei einem Unternehmen arbeiten, bei dem ich fachlich gefordert werde. Mir ist aber ebenso wichtig, das ich in einem Umfeld arbeite, dass mir Spass macht. Ich will mich am Morgen auf die Arbeit freuen können. Wie stellen Sie sich Ihre weitere berufliche Karriere vor? Haben Sie schon konkrete Pläne? Ich habe klare Vorstellungen, möchte jetzt aber auch erst einmal meinen Einstieg ins Berufsleben geniessen. Es ist ein gutes Gefühl, einen ETH-Abschluss in der Tasche zu haben. Ich bin mir bewusst, dass ich noch ganz am Anfang meiner beruflichen Karriere stehe. Aber die Zeit an der ETH gibt mir schon eine gewisse Sicherheit … Inwiefern? Dass ich etwas geleistet habe und dadurch eine gewisse Qualifikation geschafft habe, die mir niemand mehr wegnehmen kann. Der Abschluss an der ETH zeichnet mich aus und eröffnet mir viele Möglichkeiten in verschiedenen Industrien und überall auf der Welt. Wie haben Sie den Einstieg ins Berufsleben erlebt? Das Thema sichere und zuverlässige Konnektivität brennt vielen Unternehmen und Organisationen unter den Nägeln. Ich habe schon stark das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Aktuell fühle ich mich ein wenig, wie wenn ich einen Teil des Studiums verlängern würde. Ich kann das Wissen vom Studium anwenden und vertiefen, lerne aber auch viel Neues. Ich habe gerade die interne Ausbildung zum Mission Control Security Engineer abgeschlossen. Dadurch habe ich mir auch den Überblick über das gesamte Service-Portfolio verschafft. Das war nötig, weil ich mich während meiner Masterarbeit natürlich auf einen ganz bestimmten Teil der Services fokussiert habe. Was würden Sie heute einer Maturandin oder einem Maturanden sagen, weshalb sie oder er ein Ingenieurstudium in Betracht ziehen sollte? Ich will die Welt, in der wir leben, besser verstehen. Das Ingenieurstudium bildet mich dafür aus und bietet mir zudem die Chance, durch mein Wissen meinen Beitrag an die zukünftige technologische Entwicklung zu leisten. Wo sehen Sie sich in Zukunft: in einer Technologie-Position oder im Management? Im Management. Das ist langfristig schon mein Ziel. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass heute das eine nicht ohne das andere geht. In einer stark technologiegetriebenen Wirtschaftswelt muss ein Manager auch ein fundiertes Technologieverständnis haben. Ich sehe das als notwendige Voraussetzung, um Probleme zu identifizieren und Chancen zu erkennen. In dem Sinne will ich mir auch die Zeit nehmen, um mich richtig schlau zu machen und mir eine gute technische Grundlage zu erarbeiten. 44 www.ethz.ch
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