Die Ingenieure sind die Rockstars der Wirtschaft von heute

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Die Welt braucht mehr
Ingenieurinnen und Ingenieure
Auf den Kommandobrücken der weltweit tätigen Unternehmen und
Organisationen stehen heute viele Ingenieurinnen und Ingenieure.
Sie verfügen über das nötige Know-how, komplexe Zusammenhänge
zu analysieren, und die technische Kompetenz, innovative Lösungen
zu entwickeln und umzusetzen. Obwohl die Studierendenzahlen an
der ETH Zürich weiter steigen, ist die Nachfrage nach guten Ingenieuren und Ingenieurinnen nach wie vor sehr gross.
Das vor Ihnen liegende Magazin richtet sich deshalb an eine junge
Leserschaft. Wir hoffen damit, Maturandinnen und Maturanden dazu
zu motivieren, sich näher mit dem Ausbildungsangebot der ETH
Zürich auseinanderzusetzen. Im Magazin kommen Menschen zu Wort,
die an der ETH studiert haben. Sie alle sind beruflich unterschiedliche
Wege gegangen. Trotzdem haben sie etwas gemeinsam: Das Studium
an der ETH Zürich hat sie optimal auf das Berufsleben vorbereitet und
ihnen die international anerkannte Plattform geboten, um ihre Berufskarriere nach ihren eigenen Wünschen zu gestalten.
Initiiert wurde dieses Magazin von Martin Bosshardt, dem CEO der
Open Systems AG. Auch er hat, wie viele seiner Kolleginnen und
Kollegen im Unternehmen, an der ETH Zürich studiert. Im globalen
Wettbewerb um Talente sind Open Systems und zahlreiche andere
Schweizer Unternehmen auf die ETH Zürich angewiesen. Oder um es
mit den Worten von Martin Bosshardt zu sagen: «Wir differenzieren
uns im Markt nicht über Technologie, sondern über unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.» Für Unternehmen wie Open Systems ist
die ETH als Ausbildungs- und Forschungsinstitution mit Weltruf von
zentraler Bedeutung. «Deshalb liegt uns am Herzen», so Bosshardt,
«dass wir nicht nur von der ETH profitieren, sondern auch etwas
zurückgeben.»
Diese Verbundenheit zur ETH und das damit einhergehende Engagement freuen uns sehr. Die ETH Zürich Foundation versteht sich als
Brückenbauerin. Wir bringen interessierte Privatpersonen, Unternehmen und Stiftungen mit der ETH Zürich an einen Tisch. Die grosszügige Unterstützung der Donatoren schafft − in Ergänzung zu der
soliden Grundfinanzierung durch den Bund − Freiräume, um neue,
vielversprechende Wege einzuschlagen, wichtige Themen sofort
anzu­packen und aussergewöhnliche Menschen zu fördern.
In diesem Sinne danke ich allen herzlich, die dieses Magazin möglich
gemacht haben, und wünsche Ihnen eine spannende und inspirierende Lektüre.
Herzlichst
Dr. Donald Tillman
Geschäftsführer ETH Zürich Foundation
Herausgeberin Open Systems AG, Räffelstrasse 29, 8045 Zürich
Design/Art Direction Peter Kostelac, Open Systems AG Fotografie Noë Flum,
Ornella Cacace Photography (Titel, Seite 25/29) Satz und Druck Köpfli & Partner AG
Kontakt [email protected], Tel +41 58 100 10 10, www.open.ch
Prof. Dr. Lino Guzzella
Präsident der ETH Zürich
«Eine gute Hochschule lehrt nicht
primär Wissen, sondern Denken.»
Seite 1
Prof. Dr. Bernhard Plattner
Communications Systems Group
ETH Zürich
«Es ist unsere Aufgabe, das Neue
zu finden.»
Seite 9
Fred Kindle
Partner, Clayton, Dubilier & Rice
«Mir ist es wichtig, zu gestalten.»
Seite 17
Urs Hölzle
Senior VP for Technical Infrastructure
Google
«Informatik ist eigentlich keine sehr enge
Karriere-Wahl, sondern lässt einem viele
Möglichkeiten offen.»
Seite 25
Martin Bosshardt
CEO, Open Systems AG
«Wir differenzieren uns im Markt
nicht über Technologie, sondern
über unsere Mitarbeitenden.»
Seite 33
Jessica Genta
Master-Studentin, ETH Zürich
«Ich fühle mich verantwortlich, einen Beitrag
dazu zu leisten, Lösungen zu finden.»
Seite 41
Lennart Elsen
Security Engineer, Open Systems AG
«Ich will die Welt, in der wir leben,
besser verstehen.»
Seite 43
1
«Eine gute Hochschule
lehrt nicht primär Wissen,
sondern Denken.»
Prof. Dr. Lino Guzzella
Präsident der ETH Zürich
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Die Ausbildung zum Ingenieur ist eine ausgezeichnete Grundlage für den beruflichen Erfolg, ist
Prof. Dr. Lino Guzzella, Präsident der ETH Zürich,
überzeugt. Für ihn ist klar: Wer die Ausbildung an
der ETH erfolgreich absolviert, dem stehen alle
Türen offen. Nicht nur in der Forschung, sondern
auch im Management.
«Wer sich intensiv mit Technologie auseinandersetzt und dadurch ihr Potenzial besser
versteht, hat aus meiner Sicht einen Vorteil –
nicht nur in der Forschung, sondern auch im
Top-Management eines Unternehmens.»
Prof. Dr. Lino Guzzella, Präsident der ETH Zürich
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Herr Prof. Guzzella, die Ingenieursausbildung der ETH Zürich geniesst weltweit
einen ausgezeichneten Ruf. Was macht aus
Ihrer Sicht einen guten Ingenieur aus?
Ein guter Ingenieur besitzt vor allem die
Fähigkeit, Probleme richtig zu erfassen. Viele
Leute meinen, die grosse Kunst liege in der
Problemlösung. Ich bin der Überzeugung,
dass die wirkliche Kompetenz darin besteht,
Probleme zu erkennen und in der richtigen
Art zu erfassen.
Das müssen Sie uns jetzt aber näher
erklären …
Ein Problem zu lösen scheint mir einfacher,
als ein Problem richtig zu erfassen. Natürlich
merkt man rasch, wenn irgendwo Probleme
auftreten. Ein Kunde hat sich beschwert, eine
Maschine läuft nicht gut, die Mitarbeiter sind
unzufrieden. Man entwickelt schnell einmal ein
Bauchgefühl, wenn etwas nicht stimmt. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ein Problem zu
lösen ist natürlich schwierig und schlussendlich
auch ein wichtiges Ziel. Die wahre Kunst besteht aber aus meiner Sicht darin, ein Problem
zu identifizieren und in allen Dimensionen genau zu erfassen. Nur so können Sie die richtige
Lösung anwenden, um ein Problem wirksam zu
beseitigen.
Welche Fähigkeiten sind Ihrer Meinung
nach für die Problemerkennung wichtig?
Die wichtigste Fähigkeit überhaupt ist,
dass Sie richtig denken können. Konzeptionell,
abstrakt und systematisch. Eine gute Hochschule lehrt ihren Studentinnen und Studenten
nicht primär Wissen, sondern eine bestimmte
Art zu denken. Es ist mir deshalb übrigens
sehr wichtig zu betonen, dass das nicht nur für
die Ingenieure gilt, sondern für die Studierenden aller 16 Departemente der ETH Zürich.
Und wie lernt man «richtiges Denken»
konkret?
Wenn Sie das intellektuelle Potenzial haben, müssen Sie dieses über Jahre an vielen
Beispielen − also konkreten Problemfällen −
schärfen. Zudem ist es ganz entscheidend,
dass Sie nicht alles glauben, was man Ihnen
erzählt.
Sie meinen, man muss die Erfahrungen
selber machen, um wirklich zu lernen?
Davon bin ich überzeugt. Denn es kommt
sicher einer, der Ihnen sagt, die Maschine
funktioniere nicht, weil zum Beispiel dieser
Bolzen an der Maschine verklemmt sei. Das
kann ja sein. Aber wenn Sie das einfach so
annehmen und sagen «Jawohl, der Bolzen
klemmt», haben Sie vielleicht ein Problem,
aber nicht unbedingt das Problem gelöst.
Natürlich müssen Sie genau zuhören, um
wichtige Informationen zu sammeln. Ich er­
achte aber die Fähigkeit, das Problem selber
und aus einer gewissen Distanz kritisch zu
analysieren, als wirklich entscheidend. Nur
so sind Sie in der Lage, sich eine eigene
Meinung zu bilden und dem Problem wirklich
auf den Grund zu gehen.
Wie sorgt die ETH dafür, dass die Studierenden diese Fähigkeiten entwickeln können?
Erstens, indem wir sie während ihrer Ausbildung immer wieder mit ungelösten Prob-
lemstellungen konfrontieren. Und zweitens,
weil wir ihnen kompetente und erfahrene
Menschen zur Seite stellen, die sie im Dialog
mit den Problemen − in der persönlichen
Auseinandersetzung − unterstützen. Dabei
geht es auf keinen Fall darum, ihnen die Probleme und deren Lösungen auf dem Silber­­­­
tablett zu servieren, sondern vielmehr darum,
sie auf ihrem eigenen Weg zu begleiten und
zu unterstützen, aber auch zu fordern. Wir
Menschen lernen im Wesentlichen über den
Dialog. Über die Beziehung Meister und
Schüler. Das ist die zentrale Lernpaarung,
die immer noch sehr gut funktioniert.
Sie sprechen von den aktuell rund
500 Professorinnen und Professoren
der ETH …
Nicht nur von den Professorinnen und
Professoren, sondern auch von den vielen
Doktoranden, Post-Doktoranden und den
Lernassistenten. Die ETH bietet den Studierenden ein intensives Netzwerk, das die persönliche Interaktion ermöglicht und fördert.
Der entscheidende Erfolgsfaktor ist also
schlussendlich der Mensch und nicht die
Technologie?
Jawohl, davon bin ich überzeugt.
Und dabei ist es sekundär, ob es sich um
Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften oder Architektur handelt?
Ja. Selbstverständlich unterscheiden sich
die Arbeitsfelder und vor allem auch die
Tools, die für die Forschung und Problem­
analyse angewendet werden.
«Die ETH macht den Studierenden ein sehr interessantes Angebot: Wir sind bereit, den Studierenden sehr viel zu geben und sie
zu fördern. Wer an der ETH studiert, trifft viele höchst begabte
und sehr engagierte Menschen, die sich persönlich dafür einsetzen werden, dass man eine fantastische Ausbildung bekommt.»
Prof. Dr. Lino Guzzella, Präsident der ETH Zürich
Welche Rolle spielt in der Ausbildung die
Grundlagenforschung, die an der ETH ja
einen sehr hohen Stellenwert geniesst?
Die Grundlagenforschung bietet uns
die ideale Übungsanlage für unsere Studierenden. Wir wollen unsere Leute nicht an
irgendwelchen Scheinproblemen ausbilden,
für die wir die Lösung bereits kennen. Unsere
Studierenden sollen über Forschungsfragen
ihr Denken schärfen. Und gleichzeitig leisten
sie damit einen entscheidenden Beitrag an
eine der wichtigsten Aufgaben einer Hochschule.
fördern. Wer an der ETH studiert, trifft viele
höchst begabte und sehr engagierte Menschen, die sich persönlich dafür einsetzen
werden, dass man eine fantastische Ausbildung bekommt. Aber im Gegenzug fordern
wir auch sehr viel. Passives Konsumieren ist
bei uns nicht gefragt. Studierende an der
ETH müssen bereit sein, viel zu leisten.
Und die wäre?
Durch Grundlagenforschung letztendlich die Welt besser zu verstehen. Und neue
Erkenntnisse daraus für die Gesellschaft
nutzbar zu machen. Erkenntnisse aus dieser
Art von Forschung können Sie aber nicht
erzwingen, denn sie ist mit Risiken und Unsicherheiten behaftet und als Wissenschaftlerin
oder Wissenschaftler brauchen Sie einen
langen Atem. Genau das zeichnet die Universitäten aus und unterscheidet uns von der
Industrie. Grundlagenforschung findet heute
fast ausschliesslich an den Hochschulen und
Universitäten statt. Das sind die Brutstätten
der radikalen Durchbrüche.
Und weshalb würden Sie jemandem die
Ingenieurwissenschaften empfehlen?
Die Fachrichtung Ingenieurwissenschaften schärft das Denken der Studierenden im
Bereich Technologie. Da wir heute in einer
Wissenschafts- und Technologiegesellschaft
leben, halte ich diese Ausbildung für sehr
spannend und eine ausgezeichnete Grundlage für den beruflichen Erfolg. Die Technologie wird in Zukunft in unserem Leben
eine noch viel grössere Bedeutung haben.
Die Vernetzung der physikalischen Welt
mit der Informationswelt ist bereits heute
allgegenwärtig und wird in Zukunft noch viel
wichtiger. Wer sich intensiv mit Technologie
auseinandersetzt und dadurch ihr Potenzial
besser versteht, hat aus meiner Sicht einen
Vorteil − nicht nur in der Forschung, sondern
auch im Top-Management eines Unternehmens.
Wenn es um die Wahl der richtigen Ausbildung geht, sind viele angehende Studierende unsicher. Warum sollte man aus Ihrer
Sicht auf die Karte ETH setzen?
Die ETH macht den Studierenden ein sehr
interessantes Angebot: Wir sind bereit, den
Studierenden sehr viel zu geben und sie zu
Sie selber haben am Departement für
Maschinenbau und Verfahrenstechnik
studiert, Ihr Spezialgebiet ist die Thermotronik. Was fasziniert Sie persönlich an den
Ingenieurwissenschaften?
Als Forscher habe ich mich zusammen mit
meinem Team auf die Grundlagenforschung
in der Systemdynamik und in der Regelung
von Energiewandlungssystemen konzentriert.
Unser Fokus lag dabei auf der Systemmodellierung, der dynamischen Optimierung
und der Reduktion des Verbrauchs sowie der
Schadstoffemissionen von Antriebssystemen.
Durchbrüche in diesen Bereichen sind für
unsere Gesellschaft immens wichtig, weil die
Mobilität einer der grössten Segen für unsere
Gesellschaft ist, gleichzeitig aber auch grosse
Herausforderungen in Bezug auf die Ökologie mit sich bringt.
Ich nehme nicht an, dass Sie sich schon als
Maturand für Systemmodellierung und
Schadstoffreduktion interessiert haben …
Sicher nicht so konkret … Was ich aber
schon immer in mir hatte, war diese Neugier,
die Welt ein wenig besser verstehen zu wollen. Das Schöne an unserem Tätigkeitsfeld
ist ja, dass es ein paar wenige Punkte gibt,
auf die man sich wirklich verlassen kann. Ich
meine damit die Naturgesetze, an denen es
nichts zu rütteln gibt. Der erste Hauptsatz
der Thermodynamik zum Beispiel. Oder das
pythagoreische Gesetz.
Viele Studierenden befassen sich natürlich
auch damit, wie sie nach der Ausbildung im
Berufsleben Fuss fassen können. Welche Perspektiven bieten sich ihnen nach der ETH?
Es stehen ihnen alle Türen offen. Und zwar
nicht nur in der Maschinenindustrie und in
IT-Unternehmen, sondern beispielsweise auch
in der Retail- und Finanzindustrie oder in
der Unternehmensberatung. 95 Prozent unserer Absolventinnen und Absolventen finden
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Prof. Dr. Lino Guzzella studierte an der Abteilung für Maschineningenieurwesen (heute Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik) der ETH Zürich. Nach seiner Promotion 1986
arbeitete er in leitenden Funktionen in der Forschung in zwei Industrieunternehmen. 1993 wurde
er als Assistenzprofessor ans Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich berufen und 1999 zum ordentlichen Professor für Thermotronik befördert. Insbesondere im
Bereich umweltschonender Technologien hat er sich national und international als Wissenschaftler grosse Anerkennung verschafft. Lino Guzzella setzt sich stark für die Zusammenarbeit mit
der Industrie und für den Wissens- und Technologietransfer ein. Innerhalb der ETH Zürich hat er
verschiedene Führungsaufgaben in der akademischen Selbstverwaltung übernommen, so als Instituts- und Departementsvorsteher sowie von 2012 bis 2015 als Rektor der Hochschule. Anfangs
2015 wurde Prof. Lino Guzzella vom Bundesrat zum neuen Präsidenten der ETH Zürich gewählt.
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sofort nach Abschluss eine Stelle. Und das ist
nicht zufällig so. Die Unternehmen brauchen
die Fähigkeiten, die wir ausbilden. Das tech­
nische Wissen, kombiniert mit der Art zu
denken, die kritische Haltung, die Fähigkeit,
selber zu analysieren und Vernetzungen
herzustellen. Das sind Qualitäten, die heute
überall in der Wirtschaft sehr gefragt sind.
In den Köpfen vieler Maturandinnen und
Maturanden herrscht die Meinung, dass man
als Ingenieur in der Arbeitswelt keine Karriere
machen kann, sondern irgendwo in der Forschung und Entwicklung stecken bleibt.
Das verstehe ich nicht und es entspricht
meiner Ansicht nach auch nicht der Realität.
Sehr viele unserer Alumni sind im Management oder sogar in der Geschäftsleitung von
Unternehmen tätig. Selbstverständlich gibt
es auch diejenigen, die ihr Berufsleben einem
Bereich widmen und keine Karriereabsichten
im klassischen Sinne haben. Sie leisten in der
Entwicklungsabteilung oder in der Forschung
von Unternehmen wertvolle Arbeit. Und das
ist auch gut so.
Vermittelt das ETH-Studium auch die für
eine Management-Karriere notwendigen
Kompetenzen? Das Wirtschaftsleben läuft ja
nicht immer nach den Naturgesetzen ab …
Studierenden, die Interesse an Management-Themen haben, bieten wir sehr viele
interessante Angebote. Zum Beispiel die
Möglichkeit, sich in Fokusprojekten mit drei
oder vier Studierenden zusammenzutun, um
eine Innovationsfirma zu gründen. In erster
Linie geht es im ETH-Studium aber darum,
sich intensiv mit den Kernelementen − also
Mathematik, Physik und den verschiedenen
Tools − auseinanderzusetzen. Die Zeit an der
ETH ist für Studierende knapp. Noch knapper
ist meiner Meinung nach die menschliche
Aufnahmefähigkeit. Da müssen wir uns schon
fokussieren.
Das heisst, die Management-Kompetenz
muss man sich vor allem «on-the-job» oder
in einem Nachdiplomstudium aneignen?
Beides sind für mich persönlich ausgezeichnete Möglichkeiten. Es kommt wie
immer sehr auf die Person an. Es gibt auch
hier keine Patentrezepte.
Sie haben die beschränkte menschliche
Aufnahmefähigkeit angesprochen. Wie
hat sich aus Ihrer Sicht das Lernen in den
vergangenen Jahren verändert?
Ich glaube nicht, dass sich das Lernen
grundsätzlich verändert hat. Es sind vielmehr gewisse Aspekte des Lernens, die sich
gewandelt haben: Früher hat man mit einem
Buch gelernt, das man sich gekauft oder in
der Bibliothek ausgeliehen hat. Heute lädt
man sich im Internet ein PDF herunter und
nutzt es auf einem Tablet. Und anstatt eine
komplexe Grafik zu studieren, sieht man sich
heute vielleicht eher ein YouTube-Video zum
Thema an. Diese Veränderungen sind stark
spürbar und werden auch in Zukunft die
Werkzeuge, die wir für das Lernen nutzen,
beeinflussen. Was sich hingegen nicht verän-
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dert hat, ist der Prozess des Lernens. Der ist
seit 40 000 Jahren gleich geblieben und wird
sich auch in Zukunft nicht verändern.
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Was meinen Sie damit genau?
Lernen ist und bleibt mühsame Arbeit.
Man muss sich über längere Zeit hinsetzen
und konzentriert an einem Thema dranbleiben. Da führt kein Weg dran vorbei.
Geht das überhaupt in der heutigen Multitasking-Gesellschaft?
Das ist eine berechtigte Frage. Das Multi­
tasking, das sich immer mehr verbreitet −
und sozial durchaus akzeptiert und gesellschaftlich teilweise sogar als gut angeschaut
wird − hat sicher seine Vorteile in gewissen
Bereichen. Aber ich garantiere Ihnen: Beim
Lernen − beim echten, scharfen, substanziellen Lernen − funktioniert das nicht. Lernen
bedingt die Fähigkeit, sich hinzusetzen, um
konzentriert etwas zu tun. Und das über eine
längere Zeit. Das war natürlich früher schon
nicht einfach. Aber ich befürchte, dass diese
Fähigkeit eher noch am abnehmen ist. Viele
Studierenden leben heute in der Illusion, man
könne gleichzeitig über Kopfhörer Musik
hören, mit dem Mobiltelefon SMS schreiben
und dabei noch Integralrechnen lernen. Das
geht aber nicht.
Die ETH arbeitet eng mit der Wirtschaft
zusammen. Was glauben Sie, können Unternehmen von den Hochschulen lernen?
Ich denke von der engen Zusammenarbeit profitieren beide Seiten stark. Wenn ich
etwas nennen müsste, wäre es wahrscheinlich
die Fehlerkultur, die aus meiner Sicht vielen
Unternehmen abhanden gekommen zu sein
scheint.
Sie meinen die Art und Weise, wie man mit
Fehlern umgeht?
Ja genau. Aber vielleicht noch vorher
das Selbstverständnis, dass ohne Fehler kein
Fortschritt möglich ist. Fehler sind nur dann
schlecht, wenn man sie nachlässig oder aus
Dummheit macht. Wer aber nicht akzeptiert,
dass man ab und zu Fehler machen und
Niederschläge einstecken muss, dem werden
nie wirkliche Durchbrüche gelingen. Ich bin
davon überzeugt, dass man von Fehlschlägen
genau so viel − wenn nicht noch mehr − lernen kann wie von den Erfolgen.
Sie sind seit anfangs Jahr Präsident der
ETH Zürich. Welche strategischen Ziele
verfolgen Sie in Ihrer Amtszeit?
Eine Hochschule ist kein Unternehmen.
Wenn wir wüssten, wo die guten Forschungsresultate und die innovativen Lernmethoden sind, könnten wir unsere Arbeit besser
planen. Dann könnte ich als Präsident eine
Strategie entwickeln, die man dann gemeinsam im Team umsetzt. Unsere Welt funktioniert aber nicht so.
Wir geniessen allgemein grosses Vertrauen,
weil die ETH in den vergangenen 160 Jahren
ihrer Existenz immer wieder bewiesen hat,
dass sie sich mit aller Kraft dafür einsetzt,
systematisch an den echten Durchbrüchen
zu arbeiten, die uns als Gesellschaft weiterbringen. Wir haben einen Bildungsauftrag in
diesem Land, den wir sehr ernst nehmen, und
gleichzeitig wollen wir uns als forschungsbasierte Universität mit den Besten der Welt
messen. Damit uns das weiterhin gelingt,
setze ich drei Prioritäten: Erstens müssen
wir die Attraktivität der ETH als Arbeitgeberin und Ausbildungsstätte weiter stärken,
damit wir Menschen bei uns willkommen
heissen können, welche die Fähigkeit haben,
Durchbrüche in der Grundlagenforschung
zu generieren. Zweitens müssen wir intern
die Kultur, Strukturen und Maschinen bieten,
damit diese Menschen optimal forschen und
experimentieren können. Und drittens müssen wir mit aller Energie unseren Anspruch an
Exzellenz hochhalten und wenn möglich ausbauen. Vor allem das sehe ich als eine meiner
wichtigsten Aufgaben als Präsident: dass wir
in der Qualität nicht ein Jota nachgeben.
«Die Unternehmen brauchen die Fähigkeiten, die
wir ausbilden. Das technische Wissen, kombiniert
mit der Art zu denken,
der kritischen Haltung,
der Fähigkeit, selber zu
analysieren und Vernetzungen herzustellen. Das
sind Qualitäten, die heute
überall in der Wirtschaft
sehr gefragt sind.»
Prof. Dr. Lino Guzzella, Präsident der ETH Zürich
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«Es ist unsere Aufgabe,
das Neue zu finden.»
Prof. Dr. Bernhard Plattner
Communications Systems Group
ETH Zürich
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Als Ingenieur, sagt Prof. Dr. Bernhard Plattner,
habe man die Möglichkeit, in vielen verschiedenen
Bereichen einen grossen Beitrag zu leisten, auch
wenn diese auf den ersten Blick nichts mit Elektrotechnik zu tun haben. Der Professor für Technische
Informatik im Departement Elektrotechnik weiss:
Wenn man genauer hinschaut, steckt eben überall
Elektrotechnik drin.
«An der ETH kommt keine Routine auf.»
Prof. Dr. Bernhard Plattner, Communications Systems Group, ETH Zürich
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Bernhard Plattner, Sie haben an der ETH
Zürich studiert, assistiert und doktoriert.
Seit 1988 sind Sie Professor für Technische
Informatik im Departement Elektrotechnik. Haben Sie schon als Maturand mit dem
Gedanken gespielt, Professor zu werden?
Ja, das war von Anfang an eine Option
für mich. Deshalb war es für mich auch ein
ganz natürlicher Schritt, dass ich mich nach
meinem Abschluss als Elektroingenieur 1975
einem Professor angeschlossen habe, der
Doktoranden gesucht hat.
Nach Ihrer Dissertation haben Sie dann
allerdings die ETH verlassen …
Ich hatte die Möglichkeit, als Dozent am
Neuen Technikum in Buchs die Informatik-Abteilung aufzubauen. Das war eine Herausforderung, die ich mir nicht entgehen lassen wollte.
Wie kamen Sie zurück an die ETH?
Über einen Umweg über die Uni Zürich.
Wir haben uns in Buchs intensiv mit dem
damals jungen Betriebssystem UNIX auseinandergesetzt. Wir nutzten es im Unterricht,
um anwenderorientierte Szenarien durchzuspielen. Um dieses neue Betriebssystem in
der Schweiz weiter bekannt zu machen, haben
wir eine Interessensgemeinschaft gegründet, deren Mitglieder sich regelmässig im
Hauptbahnhof Zürich getroffen haben. Dort
habe ich Professor Rudolf Marti kennengelernt, der an der Universität Zürich Informatik
lehrte. Irgendwann hat er mich gefragt, ob
ich als Oberassistent an sein Institut wechseln
möchte. Da in Buchs der Grundstein für die
Informatik-Ausbildung gelegt war, sagte ich
zu. Und von der Uni aus habe ich mich dann
nach einiger Zeit für eine Professur an der ETH
beworben. Das war 1985. Ich kam also gerade
rechtzeitig, um an der ETH die Geburt und die
ersten Schritte des Internets mitzuerleben.
Das klingt nach einem ausgezeichneten
Timing …
Das kann man wohl sagen. Die ETH
Zürich war damals in drei richtungsweisende Projekte involviert. Richtig los ging es
in der Schweiz mit einem Impulsprogramm
des Bundes, das zum Ziel hatte, die Informatik-Forschung und -Ausbildung in der
Schweiz zu fördern. Ein wichtiges Element
dieses Programms war der Supercomputer,
der später in Manno im Tessin installiert
wurde und allen Schweizer Universitäten zur
Verfügung stehen sollte. 1986 startete dann
das Programm IDA. Das stand für «Informatik
dient allen» und sollte Informatikmittel für die
spezifischen Bedürfnisse der Lehre bereitstellen und deren Nutzung für ein verbessertes
Lernen fördern. Das dritte Projekt wurde mit
einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen
gestartet. Wir hatten das Ziel, den Supercomputer im Tessin mit den Universitäten
und Hochschulen, aber auch die Hochschulen
untereinander zu vernetzen. Der Austausch
mit internationalen Kollegen war für alle diese
Projekte sehr wichtig, und so war es nicht er­
staunlich, dass wir die ETH sehr schnell auch
über die Landesgrenzen hinweg zu vernetzen
begannen. Diese Aktivitäten, unterstützt
durch das Impulsprogramm, führten 1987 zur
Gründung der Stiftung SWITCH durch den
Bund und die damaligen Hochschulkantone.
SWITCH betreibt bis heute das Internet für die
Schweizer Hochschulgemeinschaft.
Wie hat sich das genau abgespielt?
Am Anfang fand die Vernetzung nur unter
Universitäten und Hochschulen statt. Das war
ein reines Forschungsnetz. Die USA waren
schon damals das Zentrum dieser Entwicklungen. Deshalb war es für uns natürlich von
grosser Bedeutung, genau zu wissen, was dort
geforscht und entwickelt wurde. Wir waren
immer bestrebt, bei der Implementierung von
neuen Technologien von Beginn weg mit dabei zu sein. So haben wir zum Beispiel an der
ETH sehr früh den neu entwickelten Standard
X.400 für E-Mail implementiert. Das waren
meines Wissens die ersten E-Mail-Systeme in
der Schweiz, welche organisations- und technologieübergreifend eingesetzt werden konnten.
Stimmt es, dass Sie der offizielle Besitzer der Schweizer Top-Level-Domain .ch
waren?
Ja, aber nur für ein paar Wochen. In
unseren E-Mail-Adressen verwendeten wir
«Es ist unsere Aufgabe, das Neue zu finden. Und unsere Arbeit
besteht nicht nur darin, diese neuen Dinge zu entdecken, sondern auch deren Nutzen für die Gesellschaft herauszuarbeiten.
Wir müssen mit unserer Arbeit konkrete Resultate liefern.»
Prof. Dr. Bernhard Plattner, Communications Systems Group, ETH Zürich
zunächst «chunet» als die Landesbezeichnung – «das schweizerische Universitätsnetz».
Die international normierte Bezeichnung
(mit zwei Buchstaben) für die Schweiz ist
jedoch «ch» und diese Norm wird im Internet
auch für die Top-Level-Domains der Länder
verwendet. Es war daher naheliegend, .ch für
unser Netz zu reservieren, was ganz einfach
war. Eine E-Mail an den damaligen Leiter der
Internet Assigned Numbers Authority (IANA),
Jon Postel, genügte. Nach wenigen Wochen
war ich der «Besitzer», das heisst administrativ Verantwortliche für .ch und mein damaliger Doktorand Hannes Lubich der technische
Kontakt. Die Domain .ch wurde am 20. Mai
1987 offiziell registriert. Als ich etwas später
im gleichen Jahr interimistischer Direktor
von SWITCH wurde, habe ich sie auf SWITCH
übertragen. Das war wirklich eine aufregende
Zeit.
Wenn man das so hört, erstaunt es nicht,
dass Sie der ETH über all die Jahre treu
geblieben sind …
Ja, ich denke der Grund dafür liegt schon
in der Tatsache, dass an der ETH keine Routine aufkommt. Die Freiheit, die ich bei meiner
Arbeit geniesse, empfinde ich als grosses
Privileg. Ich kann mit meinem Team jeden
Tag eigene Ideen und Pläne verwirklichen.
Die ETH unterstützt uns Forscher, Lehrpersonen und Studierende, indem Sie uns den
Freiraum und die Werkzeuge zur Verfügung
stellt, die wir für unsere Arbeit und die Ausbildung brauchen.
Ich finde es aber wichtig, dass wir diese
Freiheit auch als Verantwortung wahrnehmen. Wir müssen mit unserer Arbeit konkrete
Resultate liefern. So können wir auch einen
Beitrag dazu leisten, dass die ETH wie seit
Jahrzehnten als eine national und international attraktive Forschungs- und Ausbildungsinstitution wahrgenommen wird. Das zieht
internationale Talente an unsere Hochschule
und ermöglicht den globalen Dialog mit Wissenschaft und Industrie auf höchstem Niveau.
Wenn ich Sie richtig verstehe, sind es
also die Menschen, die Sie an der ETH
begeistern?
Ja, genau. Die Kolleginnen und Kollegen,
mit denen ich täglich zusammenarbeiten und
Neues entdecken kann, und die Studierenden
und Doktorierenden, die mich immer wieder
fordern und mir neue Impulse geben. Aber
auch die Hochschulleitung und die Administration, die unsere exzellenten Rahmenbedingungen schaffen.
Sie sprechen den Austausch mit jungen
Menschen an: Wie arbeiten Sie konkret mit
den Studierenden im Alltag zusammen?
Die Vorlesungen im Bachelorstudium sind
mit ungefähr 140 Studierenden relativ gross.
Obwohl ich schon versuche, die Studierenden
ein wenig herauszufordern und ihnen Fragen
stelle, kann da natürlich kein richtiger Dialog
entstehen. Richtig interessant diesbezüglich
wird es aber in den Praktika und Seminaren, wo wir in einem wesentlich kleineren
Kreis von etwa 15 Studierenden praktische
Übungen machen. In diesem Semester stellen
wir zum Beispiel mit den Teilnehmerinnen
und Teilnehmern die Hard- und Software für
Zugangsrouter und Firewalls selber her. Ich
versuche dabei, die Theorie auf ein Minimum
zu beschränken, weil es in solchen Kursen
meiner Meinung nach nicht darum geht, dass
die Studierenden an mathematische Formeln
denken, sondern dass sie «hands on» etwas
machen können. Diese Veranstaltung nutze
ich intensiv für den Dialog. Es ist für mich deshalb auch nicht erstaunlich, dass ich in solchen
Praktika einige meiner späteren Doktoranden
kennengelernt habe. Die Studierenden können
sich auch gut einbringen und haben sehr
schnell die Möglichkeit, mit ihren Ideen die
Praktika zu gestalten und weiterzuentwickeln.
Das heisst, Sie binden die Studierenden
früh in konkrete Projekte mit ein?
Aber natürlich. Das ist ja das Tolle an un­
serem System. Unsere Studierenden machen
ab der Master-Stufe ihre Arbeiten selbständig und werden − im Unterschied zu den
amerikanischen Universitäten − von unseren
Assistenten und Doktoranden betreut.
Die Aufgaben, die ihnen gestellt werden,
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13
Prof. Dr. Bernhard Plattner studierte an der Abteilung für Elektrotechnik der ETH Zürich. Seit
1994 ist er ordentlicher Professor für Technische Informatik im Departement Elektrotechnik der
ETH Zürich. Seit 2014 ist er Vorsteher des Departements Informationstechnologie und Elektrotechnik. Von 2005 bis 2007 amtete er als Vize-Rektor der ETH Zürich. Durch seine langjährige und
intensive Forschungstätigkeit erlangte Prof. Plattner mit Publikationen aus seiner Forschungsgruppe – unter anderem auch als Co-Autor und Herausgeber von mehreren Büchern –
internationale Bekanntheit. Bernhard Plattner ist Mitglied in zahlreichen renommierten internationalen Gremien und Verbänden. Als langjähriges Mitglied des Stiftungsrats von SWITCH
und als dessen Vizepräsident war er massgeblich am Aufbau des Internet für die Schweizer
Hochschulen beteiligt. Als Vorsitzender von Programmausschüssen war Prof. Plattner für den
wissenschaftlichen Inhalt einer grossen Zahl von internationalen Konferenzen verantwortlich.
Ende Juli 2015 wird Prof. Bernhard Plattner die Leitung des Departements abgeben und den
Lehrstuhl für Technische Informatik im Departement Elektrotechnik der ETH Zürich an seinen
Nachfolger übergeben.
sind oftmals Teilaufgaben aus den Themen
der Dissertationen der Doktoranden. So
werden die Studierenden sehr schnell mit
Forschungs­fragen konfrontiert, was ich auch
für sehr wichtig halte.
Wenn ich Sie vorhin so von der Pionierzeit des Internets erzählen hörte, könnte
man meinen, die spannende Zeit sei jetzt
vorbei …
Mit dieser Aussage bin ich natürlich
überhaupt nicht einverstanden. Das Internet
war nur der Anfang. Es wird auch in Zukunft
viele spannende, ja sogar revolutionäre
Themen geben, mit denen wir uns an der
ETH beschäftigen werden. Es ist richtig, dass
wir heute noch nicht genau wissen, was uns
morgen technologisch weiterbringt. Aber
um genau das geht es ja gerade: Es ist
unsere Aufgabe, das Neue zu finden. Und
unsere Arbeit besteht nicht nur darin, diese
neuen Dinge zu entdecken, sondern auch
deren Nutzen für die Gesellschaft herauszuarbeiten.
Sie haben also keine Angst, dass den
Ingenieuren die Arbeit ausgeht?
Auf keinen Fall. Denken Sie nur, in wie
vielen Bereichen an der ETH geforscht wird.
Unser Departement «Informationstechnologie
und Elektrotechnik», intern D-ITET genannt,
umfasst alleine 17 Institute mit vier Forschungsschwerpunkten im weiten Bereich der Elektro-
technik: Elektronik und Photonik, Information
und Kommunikation, Energie sowie Biomedizinische Technik und Neuroinformatik. Im D-ITET
befassen wir uns mit einer Vielzahl von Themen,
von integrierten Schaltungen bis zu Computer-Netzwerken, von Signalverarbeitung bis zur
drahtlosen Kommunikation, von der Regelungstechnik bis zur Leistungselektronik. Ausserdem
sind wir stark in biomedizinischer Technik, mit
einem Fokus auf medizinischer Bildgebung und
neuronaler Informationsverarbeitung.
Können Sie uns einen kurzen Überblick
geben, was in den einzelnen Bereichen
geforscht wird?
Am D-ITET arbeiten rund 35 Professorinnen
und Professoren und 400 Doktorandinnen und
Doktoranden. Sie betreiben sowohl Grundlagenforschung als auch angewandte Forschung,
oft in Zusammenarbeit mit der Industrie.
Im Bereich Elektronik und Photonik suchen
und erproben wir neue Ansätze für die
Komponenten- und Systementwicklung von
Technologien für zukünftige elektronische
Anwendungen. Unsere Forschung umfasst die
Miniaturisierung und Leistungssteigerung von
elektronischen und photonischen Komponenten sowie den Einsatz neuer Materialien und
Prozesse. In der Systementwicklung konzentrieren wir uns auf die Realisierung der integrierten
Elektronik und intelligente Umgebungen.
Der Bereich Information und Kommunikation
14
15
widmet sich den immer besseren Kommunikationsmöglichkeiten, die − vor allem über
das Internet betrieben − die Entwicklung
neuer Netzwerk- und Computertechnologien
antreiben. Forschungsschwerpunkte in diesem
Bereich sind die Signal- und Bildverarbeitung,
Regelungstechnik, Informationstheorie, Distributed Computing, drahtlose Netzwerke und
zukünftige Internet-Technologien.
Die nachhaltige Energieversorgung und die
dazugehörigen Technologien werden aus unserer Sicht für ein gutes Wirtschaftswachstum
und die Sicherheit im 21. Jahrhundert und darüber hinaus entscheidend sein. Deshalb geniesst dieser Bereich in unserem Departement
eine hohe Priorität. Forschungsschwerpunkte
sind die Entwicklung von Smart Grids für eine
effiziente Energieversorgung und -verteilung
sowie für die Integration erneuerbarer Energiequellen und die Grundlagenforschung in
Photovoltaik und neuartigen Batterien.
Last, but not least der Bereich biomedizinische Technik, der sich mit dem übergeordneten Ziel der Förderung des Gesundheitswesens beschäftigt. Die Resultate
der Zusammenarbeit von Ingenieuren und
klinischen Forschern sind von wesentlicher
Bedeutung für alle Bereiche der Medizin, von
der Prävention und Diagnose bis zur Therapie
und Rehabilitation. Wir fokussieren uns auf
die Interaktion zwischen biologischen und
technischen Systemen, mit den Schwerpunkten Bioimaging, bildbasierte Modellierung
und Bioelektronik.
Das klingt besonders spannend. Was aber
hat Biomedizin mit Elektronik zu tun?
Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel:
Unsere Kolleginnen und Kollegen vom Institut
für Biomedizinische Technik und Neuroinformatik haben eine Spritze entwickelt, mit
der man Stoffe in eine einzelne Körperzelle einspritzen kann. Die Herausforderung
besteht darin, die Zellwand zu durchdringen,
und zwar mit einer so gezielten Kraft, dass
die Zelle nicht zerstört wird. Das befähigt die
Medizin, ein paar Nanogramm eines Wirkstoffes direkt in die Zelle einzubringen.
Das ist beeindruckend …
Wenn sie mich fragen, ist das eine wahre
Meisterleistung und der Beweis dafür, dass
Sie als Ingenieur die Möglichkeit haben, in
vielen verschiedenen Bereichen einen grossen
Beitrag zu leisten − auch wenn diese auf den
ersten Blick überhaupt nichts mit Elektrotechnik zu tun haben. Wenn man nämlich genauer
hinschaut, steckt eben überall Elektrotechnik
drin.
«Das Internet war nur der
Anfang. Es wird auch in
Zukunft viele spannende,
ja sogar revolutionäre Themen geben, mit denen wir
uns an der ETH beschäftigen werden. Als Ingenieur
haben Sie die Möglichkeit,
in vielen verschiedenen
Bereichen einen grossen
Beitrag zu leisten.»
Prof. Dr. Bernhard Plattner, Communications Systems Group, ETH Zürich
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«Mir ist es wichtig, zu gestalten.»
Fred Kindle
Partner, Clayton, Dubilier & Rice
18
Die ETH sei in der faktenbasierten, akademischen
Ausbildung allen anderen Ausbildungen, die er aus
erster Hand kenne, überlegen, sagt Fred Kindle,
der als Berater, CEO, Verwaltungsrat und aktiver
Investor international Karriere gemacht hat. Ganz
wichtig ist ihm aber die Erkenntnis, dass die Ausbildung allein, nicht erfolgsentscheidend ist. Kindle
ist überzeugt: Um sich im globalen Wettbewerb
der Talente durchzusetzen, muss man sich durch
Charakter und Engagement profilieren.
«Das Ingenieurstudium hat mir erlaubt, offen zu bleiben.
Vielleicht hat es mir damals auch etwas an Entschlusskraft
gefehlt. Aber ich konnte mich einfach nicht von verschiedenen Themen trennen, die mich interessiert haben.»
Fred Kindle, Partner, Clayton, Dubilier & Rice
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Herr Kindle, Sie haben an der ETH Zürich
studiert. Wie kam Ihr Entscheid damals
zustande?
Obwohl das ja schon ein paar Jahre her
ist, kann ich mich gut an diese Zeit erinnern.
Es war kein einfacher Prozess, denn ich habe
mich für viele Themen interessiert. Ich
hätte mir einige Studienrichtungen vorstellen
können − angefangen von Germanistik,
Medizin und Architektur bis hin zu den wirklichen Natur­wissenschaften wie Physik oder
Mathe­matik. Ich habe dann anhand eines
Kriterienkatalogs versucht, die Auswahl zu
minimieren. Am Schluss waren es noch zwei:
Architektur und Maschinenbau.
Sie haben sich für die Ingenieurwissenschaften entschieden. Weshalb?
Das Ingenieurstudium hat mir erlaubt, offen
zu bleiben. Vielleicht hat es mir damals auch
etwas an Entschlusskraft gefehlt. Aber ich
konnte mich einfach nicht von verschiedenen
Themen trennen, die mich interessiert haben.
Zu meiner Zeit war das Maschinenbaustudium
so strukturiert, dass es neben den allgemeinen
Fächern zwei Kernausrichtungen gab, zwischen
denen man auswählen konnte. Ich habe mich
für die Betriebswissenschaften entschieden,
mit Fächern wie BWL, Recht, Arbeitspsychologie und Lösungsmethodik. Dazu wählte ich
Operation Research, also im Prinzip angewandte Mathematik. Vielleicht entscheidend für
mich war, dass ich das Gefühl hatte, im Laufe
des Ingenieurstudiums noch ein wenig nach
links und rechts abweichen zu können.
Das ist interessant. Viele Maturandinnen
und Maturanden studieren Rechtswissenschaften, wenn sie sich über ihre berufliche
Zukunft nicht ganz sicher sind …
Das kam für mich nicht in Frage. Die
Naturwissenschaften haben mich schon sehr
fasziniert, insbesondere die Mathematik. Und
mir war vor allem schon damals klar, dass die
ETH einen ausgezeichneten Ruf hat und die
Qualität der Ausbildung überdurchschnittlich
ist. Ich war mir sicher: Was immer ich auch an
der ETH studiere, eine Ausbildung an dieser
Institution hat Hand und Fuss.
Und, wurden Ihre Erwartungen erfüllt?
Auf jeden Fall. Die Kombination der
Fächer war für mich ideal und ich hatte eine
ausgezeichnete Basis, um ins Berufsleben
einzusteigen.
Was bei Ihnen nicht der klassische Weg
eines Ingenieurs war …
Ich entschied mich für einen Einstieg in
die Marketing-Abteilung beim Werkzeughersteller Hilti. Für die damalige Zeit war das
sicher ungewöhnlich.
Bleiben wir noch kurz bei der ETH. Professor Guzzella sagt, dass man an der ETH
denken lernt. Würden Sie das bestätigen?
Ja, das würde ich auf jeden Fall bestätigen. Wir haben uns während des Studiums
intensiv mit dem strukturierten Denken und
problemorientierten Lösungsansätzen auseinandergesetzt. Es ging darum, die Fähigkeit
zu entwickeln, ein Problem zuerst mit gewissen Modellen und Methodiken zu analysieren
und sauber zu strukturieren. Erst in einem
zweiten Schritt wurden dann Lösungsansätze entwickelt, beurteilt und priorisiert, um
letztlich zu entscheiden, welchen Weg man
wählt. Das hat mir schon sehr geholfen. Und
zwar ganz grundsätzlich − auch später im
Berufsleben.
Was hat Sie an der Marketing-Stelle bei
Hilti gereizt?
Ich hatte nach der ETH das Gefühl, dass
ich das gute Rüstzeug, das ich mir als Ingenieur auf der naturwissenschaftlichen Seite
erarbeitet hatte, mit etwas ergänzen wollte,
was mich befähigt, im Management aktiv
zu werden. Hilti war schon damals ein sehr
innovatives Unternehmen. Für Martin Hilti,
den Unternehmensgründer, stand der Markt
im Zentrum. Das ganze Unternehmen war
voll auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtet.
Seine Aussage, dass Marktbesitz wichtiger
sei als Fabrikbesitz, war für diese Zeit neu.
Das hat mich sehr fasziniert.
Sie haben dann einen MBA in den USA
gemacht. War das ein bewusster Karriereentscheid oder hatten Sie das Gefühl, dass
Ihnen nach der ETH im Ausbildungs-Rucksack etwas fehlte?
Sowohl als auch. Dazu kam, dass es mir
in Liechtenstein und der Schweiz mit der Zeit
einfach etwas zu eng wurde. Ich wollte ins
Ausland, um neue Kulturen kennenzulernen
«Business ist heute global und es ist aus meiner Sicht entscheidend, dass
man andere Kulturen kennenlernt. Wer auf der internationalen Bühne
spielen will − also in einem globalen Unternehmen Karriere machen und
Verantwortung übernehmen will −, muss sich hinauswagen.»
Fred Kindle, Partner, Clayton, Dubilier & Rice
und weitere Impulse für die Gestaltung meiner beruflichen Zukunft zu erhalten. Durch
die ETH hatte ich eine sehr gute akademische Basisausbildung. Gleichzeitig habe ich
bei Hilti «on the job» sehr viel Neues gelernt.
Ich war mir sicher, dass mir ein MBA an
einer amerikanischen Universität das nötige
Management-Rüstzeug bieten würde. Dass
sich ein MBA an einer angesagten amerikanischen Uni im CV gut macht, war mir natürlich
auch bewusst. Ich bewarb mich deshalb an
der Northwestern University in Chicago − in
Bezug auf die Ausbildungsqualität und die
internationale Reputation sozusagen das
Pendant zur ETH im Bereich der MBA-Ausbildung.
Zurück in der Schweiz haben Sie bei der
Unternehmensberatung McKinsey &
Company angeheuert. Offenbar konnten
Sie sich immer noch nicht auf eine Industrie
festlegen?
Das ist richtig, bei McKinsey hatte ich
auch ein sehr breites Kundenportfolio. Wenn
Sie bei einem solchen Unternehmen arbeiten, geht die Lernkurve ungebremst weiter
nach oben. Aber nach vier Jahren spannender
Projekte wurde der Wunsch nach Veränderung
immer stärker. Die Anfrage eines Headhunters
kam deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt.
Was geschah dann?
Das Angebot des Headhunters regte mich
an, mich im Markt umzusehen. Nach kurzer
Zeit hatte ich verschiedene Angebote auf
dem Tisch. Ich wollte unbedingt eine Herausforderung, bei der ich gestalten konnte.
Ich habe mich deshalb für eine spannende
Aufgabe beim Industrieunternehmen Sulzer
entschieden …
Dessen CEO Sie 1999 wurden …
Genau. Bei meinem Wechsel von McKinsey
zu Sulzer 1992 übernahm ich aber zuerst die
P&L-Verantwortung für einen global tätigen
Bereich, der mit operativen Schwierigkeiten
zu kämpfen hatte. Diese Zeit war sehr intensiv und ich konnte in kurzer Zeit ungeheuer
viele Erfahrungen sammeln. Entscheidend für
mich war aber wie bereits erwähnt, dass ich
die Chance hatte, zu gestalten. So haben wir
zum Beispiel gegen grossen internen Widerstand in Polen und in Shanghai neue Fabriken
eröffnet. Das war risikoreich, wirtschaftlich
aber ein grosser Erfolg.
Sie haben dann als CEO Sulzer und später
ABB geführt, zwei sehr bekannte, global tätige Industriekonzerne in hart umkämpften
Märkten. Welche Fähigkeiten waren für Sie
in diesen Positionen besonders wichtig?
Ich bin überzeugt, dass das Wichtigste
für einen CEO seine Glaubwürdigkeit ist.
Nicht nur nach aussen, sondern vor allem
auch nach innen und gegenüber sich selber.
Glaubwürdig zu sein heisst für mich, dass
man mit aller Kraft versucht, das Richtige
zu tun. Und das wiederum setzt für mich
voraus, dass man basierend auf Fakten
handelt. Nicht aus dem hohlen Bauch heraus
oder weil man den Applaus der Aktionäre,
der Börse oder der Medien sucht. Als CEO
fällt man täglich Entscheide, die Konsequenzen haben − für das Business, aber vor
allem auch für Menschen. Das muss man sich
immer bewusst sein. Deshalb ist es entscheidend, dass man glaubwürdig ist. Dass das,
was man macht, wirtschaftlich und moralisch
richtig und notwendig ist. Und das wiederum heisst in letzter Konsequenz, dass man
nicht spekuliert, sondern faktenorientiert
arbeitet. Jemand, der an der ETH studiert
hat, ist gewohnt, basierend auf Fakten zu
entscheiden.
Seit 2008 sind Sie Partner von Clayton,
Dubilier & Rice, einem renommierten
Unternehmen für Private Equity. Investieren Sie in dieser Rolle nicht oft auch in
Menschen mit visionären Ideen und
weniger auf Fakten basierend?
Das ist richtig, wobei das eine das andere nicht ausschliesst. Der entscheidende
Punkt liegt darin, dass im Management je
nach Situation zwei unterschiedliche Rollen
gefragt sind: Die des Managers und die des
Leaders. Der Leader muss die Gabe besitzen, Menschen für ein Ziel zu begeistern, sie
dazu motivieren, einen Sprung ins Ungewisse zu machen und dabei gewisse Risiken
einzugehen.
Der Manager auf der anderen Seite muss mit
Hilfe von Fakten Sicherheit und Planbarkeit
herstellen. Dann setzt er diese Pläne um, kon-
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Fred Kindle ist Doppelbürger der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein. Er studierte von
1979 bis 1984 Maschinenbau und Verfahrenstechnik an der ETH Zürich. Von 1984 bis 1986 war er
Projektleiter im Marketing bei Hilti, 1986 bis 1988 folgte die Ausbildung zum Master of Business
Administration an der North Western University in Chicago. Es folgten vier Jahre bei McKinsey &
Company, 1992 wechselte er zu Sulzer, wo er 1999 CEO der Sparte Industries und ab 2001 CEO
des ganzen Sulzer-Konzerns wurde. Von 2005 bis 2008 war Fred Kindle CEO der ABB, bevor er
Partner bei Clayton, Dubilier & Rice wurde. Fred Kindle lebt mit seiner Frau in London.
trolliert laufend, wo das Unternehmen steht,
und greift korrigierend ein, wenn es negative
Abweichungen gibt.
21
Beide Rollen sind für das Unternehmen enorm
wichtig. Der Manager ist eher der Technokrat,
analysiert faktenbasiert, entscheidet, kontrolliert und interveniert. Der Leader spricht den
Bauch an, weckt Emotionen, begeistert Leute.
Eine wirklich gute Führungsperson, die auch
langfristig am Erfolg eines Unternehmens interessiert ist, muss mit dieser Schizophrenität
umgehen können, diese beiden unterschiedlichen Rollen in sich vereinigen und situativ
leben können.
Das scheint mir sehr anspruchsvoll zu sein.
Kann man das lernen oder muss man dazu
geboren sein?
Ich glaube schon, dass man das teilweise
lernen kann. Die ETH ist in der faktenbasierten, akademischen Ausbildung − also in der
Substanz − allen anderen Ausbildungen, die
ich aus erster Hand kenne, überlegen.
Die Ausbildung in den USA war aber in Bezug
auf Leadership sicherlich ein entscheidender
Impuls für mich. Das Umfeld war geprägt von
Dynamik, Begeisterung und Energie. Das hat
bei mir auch etwas bewirkt und die Freude am
Gestalten und am Unternehmertum geweckt.
Mittlerweile spüren wir in der Schweiz auch
mehr von dieser positiven Energie. Ich denke
aber, dass in dieser Beziehung ein Ausland­
aufenthalt − heute zum Beispiel in Asien −
nach wie vor sehr empfehlenswert ist.
Sie würden also einem Studierenden
empfehlen, Berufserfahrung im Ausland
zu sammeln?
Auf jeden Fall. Ich glaube fest an den
Nutzen von dem, was früher als Lehr- und
Wanderjahre bezeichnet wurde. Obwohl wir
in der Schweiz in einem sehr internationalen
Umfeld leben, ist es enorm wichtig, dass man
ausserhalb der eigenen Landesgrenzen Erfahrungen sammelt. Business ist heute global
und es ist aus meiner Sicht entscheidend,
dass man andere Kulturen kennenlernt. Wer
auf der internationalen Bühne spielen will −
also in einem globalen Unternehmen Karriere
machen und Verantwortung übernehmen
will −, muss sich hinauswagen. Diesbezüglich
sind wir Schweizer vielleicht etwas zu schüchtern oder vielleicht sogar zu bequem.
Als aktiver Investor arbeiten Sie heute
sehr eng mit dem Management Ihrer Portfolio-Unternehmen zusammen. Sind Sie
dabei mehr Leader oder mehr Manager?
In erster Linie sehen wir uns als Unternehmer. In allen Firmen, in denen ich investiert
bin, sitze ich im Verwaltungsrat − den ich in
den meisten Fällen auch präsidiere. Somit bin
ich nicht direkt für das operative Geschäft
verantwortlich, arbeite aber sehr eng mit
dem CEO zusammen. Wir tragen eine grosse
Verantwortung, weil wir in den meisten Fällen
hundert Prozent der Aktien − oder sicher die
Aktienmehrheit − halten.
Die Intensität der Zusammenarbeit ist natürlich unterschiedlich. Wenn ein Geschäft
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sehr stabil läuft und man wenig eingreifen
muss, habe ich weniger intensiven Kontakt.
Im anderen Fall beschäftige ich mich fast
täglich mit einem Unternehmen. Auch hier
liegt mir viel daran, zu gestalten. Das heisst
vor allem gemeinsam mit dem Management
Visionen und neue Geschäftschancen zu
entdecken und umzusetzen. Das beinhaltet
alle klassischen Bereiche von Kostensenkung und Produktivitätssteigerung über
organisches Wachstum und geographische
Expansion bis zu Übernahmen. Deshalb
habe ich auch nach sieben intensiven Jahren
Private Equity nach wie vor sehr viel Freude
an meiner Position.
Sie sind Vater von fünf Kindern, die alle die
Matura gemacht haben. Was haben Sie ihnen
bezüglich ihrer Studienwahl empfohlen?
Das Wichtigste ist, dass sie sich darüber
im Klaren sind, welchen Beruf sie später
einmal ausüben wollen. Wenn man sich für
den Beruf entschieden hat, kommt die Frage
nach der besten Ausbildung und der dafür
richtigen Universität oder Hochschule. Wenn
sich jemand für Naturwissenschaften und
Technologie interessiert, empfehle ich die
ETH aus tiefster Überzeugung. Was einem
da im Studium mitgegeben wird, ist von
grossem Gehalt. Zusätzlich zum Erlernten
öffnet einem ein Diplom der ETH weltweit
Tür und Tor. Wenn jemand sich für Medizin,
Wirtschaft oder die Jurisprudenz entscheidet, stehen natürlich andere Institutionen im
Vordergrund.
Raten Sie Ihren Kindern auch zu einem
Nachdiplomstudium, zum Beispiel einem
MBA?
Für uns ist es grundsätzlich wichtig, dass
unsere Kinder irgendwann Zeit im Ausland
verbringen − sei es für eine Ausbildung oder
einfach nur, um eine ihnen fremde Kultur kennen zu lernen. Einen MBA braucht man aus
meiner Sicht nicht zwingend, um im Management tätig zu sein. Es ist aber nach wie vor
so, dass einem diese Ausbildung hilft, seinen
Horizont zu erweitern und wichtiges Fachwissen in den Bereichen Finanz, Marketing oder
Organisationstheorie dazuzulernen. Zudem
eröffnet einem das Studium an einer Eliteuniversität zusätzliche Berufschancen.
Ganz wichtig ist aus meiner Sicht die Erkenntnis, dass die Ausbildung allein nicht erfolgsentscheidend ist. Sie können in ihrem Leben
noch so viele Studien erfolgreich absolviert
haben, das wird ihnen nur bedingt helfen, sich
im globalen Wettbewerb der Talente durchzusetzen. Am Schluss − und davon bin ich zutiefst
überzeugt − müssen Sie sich auch durch ihren
Charakter und ihr Engagement profilieren und
die Optionen, die Ihnen das Leben bietet, mit
viel Initiative und Herzblut realisieren.
«Wenn sich jemand für
Naturwissenschaften und
Technologie interessiert,
empfehle ich die ETH aus
tiefster Überzeugung.
Was einem da im Studium
mitgegeben wird, ist von
grossem Gehalt. Zusätzlich zum Erlernten öffnet
einem ein Diplom der ETH
weltweit Tür und Tor.»
Fred Kindle, Partner, Clayton, Dubilier & Rice
25
«Informatik ist eigentlich keine
enge Karriere-Wahl, sondern lässt
einem viele Möglichkeiten offen.»
Urs Hölzle
Senior VP for Technical Infrastructure
Google
26
Als Topmanager von Google prägt Urs Hölzle mit
seiner Arbeit nicht nur die globale Technologie­
landschaft, sondern auch das Leben von Millionen
von Menschen. Einen guten Manager zeichnen aus
seiner Sicht vor allem drei Dinge aus: ein fundiertes
Technologieverständnis basierend auf einer soliden
Ausbildung, die Fähigkeit, zu kommunizieren, und
eine gewisse Lockerheit in der Karriereplanung.
«Informatik ist Teamwork. Deshalb empfinde ich
Kommunikation als wichtigen Erfolgsfaktor –
und zwar nicht nur in der akademischen Welt,
sondern vor allem auch im Berufsleben.»
Urs Hölzle, Senior VP for Technical Infrastructure, Google
27
Herr Hölzle, Sie haben 1983 Ihr Studium
begonnen. Weshalb haben Sie sich damals
für die ETH entschieden?
Ich wollte Informatik studieren und dafür
gab es zu dieser Zeit praktisch nur einen Ort:
die ETH in Zürich. Von dem her gesehen, war
die Wahl für mich sehr einfach.
Was haben Sie aus Ihrer Zeit an der ETH
mitgenommen?
Das Departement war gerade einmal
zwei Jahre alt. Deshalb war die Ausbildung
damals noch sehr breit, sicher ein wenig
breiter als das heutige Angebot. Wir hatten
damals viel mehr Mathematik als Informatik.
Mir hat vor allem das Umfeld gefallen. Ich
konnte Vorlesungen oder Vorträge besuchen,
die mich zum Denken angeregt haben. Da
ging es nicht nur um Informatik, sondern
um allgemein spannende Themen aus der
Wissenschaft. Und was mir natürlich auch
sehr gut gefallen hat an der ETH ist, dass es
eine internationale Universität ist. Ich hatte
sehr viel Kontakt zu Menschen aus anderen
Kulturen und Ländern.
Weshalb wollten Sie Informatik studieren?
Das Thema hat mich sehr interessiert.
Zudem war mir bewusst, dass ich nach meiner
Ausbildung etwa 40 Jahre lang arbeiten
werde. Die Informatik gab mir diesbezüglich
eine ungeheure Flexibilität. Ich würde zwar
40 Jahre lang in der Informatik tätig sein,
könnte aber wählen, in welcher Industrie
oder in welchem Spezialgebiet. Informatiker
braucht es überall – in der Medizin, in der
Biologie oder im Energiewesen. In diesem
Sinne ist Informatik eigentlich keine sehr
enge Karrierewahl, sondern lässt einem viele
Möglichkeiten offen.
Hatten Sie von Anfang an das Ziel, nach
dem Studium im Ausland zu doktorieren?
Nein, eigentlich nicht. Ich wusste auch gar
nicht, ob ich wirklich doktorieren will. Das hat
sich alles so ergeben. Ich habe das von Jahr
zu Jahr so genommen. Eigentlich so richtig
Gedanken darüber gemacht habe ich mir
erst im letzten Jahr des Studiums. In die USA
wollte ich schlussendlich, weil das Thema, für
das ich mich interessiert habe, in der Schweiz
oder sogar in Europa gar nicht stattfand. Ich
habe mich damals intensiv mit objektorientierten Programmiersprachen beschäftigt.
Die Forscher, die sich damit befasst haben,
sassen praktisch alle in den USA. Die Universität Stanford habe ich wegen meines späteren Doktorvaters ausgewählt. Als ich seine
Veröffentlichungen gelesen habe, wusste ich,
dass ich mich bei ihm bewerben wollte.
An der ETH zu doktorieren war also nie
eine Option für Sie?
Nein, ich wollte ja nicht einfach doktorieren, um den Titel zu bekommen, sondern um
mich auf einem bestimmten Gebiet, das mich
faszinierte, weiterzuentwickeln. Von dem her
gesehen habe ich mir nicht den Ort ausge-
sucht, sondern die Menschen, mit denen ich
zusammenarbeiten wollte.
Waren Sie mit Ihrem ETH-Abschluss gut
auf die Standford University vorbereitet?
Absolut, die ETH gehörte bereits damals
zu den besten Institutionen der Welt. Die
Aufnahmeprüfung an die Stanford University
habe ich mit einem sehr geringen Aufwand
bewältigt.
Aber dann tauchten Sie wahrscheinlich in
eine andere Welt ein, oder?
Ja, der Unterschied ist wirklich riesig, ins­
besondere, was den Betrieb angeht. Stanford
war schon damals weniger eine Schule, sondern viel mehr ein Treffpunkt für Gleichgesinnte. Die Universität hatte schon früh einen
sehr engen Kontakt zur Industrie und es war
nicht ungewöhnlich, dass Professoren sich
aktiv in Start-ups engagierten.
An der ETH war die Ausrüstung viel besser.
Auch die, die uns Studierenden zur Verfügung
stand. Ich kann mich noch gut daran erinnern,
dass wir an der ETH Apple Macintosh Computer und Sun Workstations nutzen konnten. In
Stanford waren es 24 × 80 Pixel grosse Terminals, ohne graphische Oberfläche.
Als Doktorand musste man sich einer Forschungsgruppe anschliessen. Dort war dann
das Geld vorhanden und die Ausrüstung
besser. Der Entscheid, in welche Forschungsgruppe man einsteigen will, musste man sich
«Es ist eine der Stärken von Google, dass wir von den Managern ein grosses
Technologieverständnis verlangen. Ein Manager muss die Technologie und
die daraus entstandenen Daten und Fakten, die als Entscheidungsbasis
dienen, verstehen.»
Urs Hölzle, Senior VP for Technical Infrastructure, Google
selber erarbeiten. Ich brauchte fast zwei
Jahre, um herauszufinden, zu welchem Thema ich doktorieren wollte.
Gab es etwas, was Sie in der Ausbildung
an der ETH nicht oder zu wenig vermittelt
bekamen?
Der grösste Unterschied zur Schweiz war
damals, dass die amerikanischen Unis die Studierenden viel mehr darauf vorbereitete, ihre
Ideen zu kommunizieren. Egal ob man einen
Vortrag machte oder eine Arbeit schrieb, die
Erwartungen in Bezug auf die Kommunikation und Präsentation der erarbeiteten Inhalte
waren enorm hoch und wurden dann entsprechend auch geübt. Das war sicher etwas, was
zu meiner Zeit an der ETH noch nicht so hoch
gewichtet wurde. Ich persönlich empfinde
Kommunikation als wichtigen Erfolgsfaktor –
und zwar nicht nur in der akademischen Welt,
sondern vor allem auch im Berufsleben. Ich
habe das Gefühl, in der Schweiz lernt man das
eher «on the job» und in den USA in der Schule – und zwar noch vor der Uni. Das hat sich
in den letzten 25 Jahren sicher auch an der
ETH stark geändert. Trotzdem gehören in den
internationalen Meetings die Präsentationen
der Amerikaner immer noch zu den besten.
Können Sie etwas konkreter erklären, weshalb für Sie Kommunikation so wichtig ist?
Weil Informatik Teamwork ist. Es gibt in
der Informatik ganz wenige Bereiche, wo Sie
heute als Einzelperson einen ganz grossen
Impact machen können, zum Beispiel in der
Kryptologie oder Kompressionstechnik.
Dort kommt es vor allem auf den Algorithmus an. Da kann eine einzelne Person schon
wegweisende Fortschritte machen. Aber
normalerweise sind es Teams von mindestens
zwei oder drei Ingenieuren, die eng zusammenarbeiten und gemeinsam etwas bewegen. Deshalb ist es entscheidend, dass man
seine Ideen und die Arbeit, die man macht,
anderen Menschen vermitteln kann. Wenn sie
immer wissen, was das Richtige wäre, aber es
den anderen im Team oder im Unternehmen
nicht vermitteln können, wird das Richtige
nie passieren. Deshalb kann aus meiner Sicht
jemand, der sich nicht klar ausdrücken kann,
nie erfolgreich sein.
Das heisst, wer bei Google Karriere
machen will, muss neben der fachlichen
Kompetenz vor allem gut kommunizieren
können?
Auf jeden Fall. Wie andere Unternehmen
auch unterscheiden wir bei Google für die
berufliche Karriere zwischen einem Technical
Track und einen Management Track. Das
heisst, sie haben zwei verschiedene Möglichkeiten, sich bei Google beruflich zu entwickeln: Durch das Führen von Menschen oder
das vertiefte technische Wissen. In beiden
Bereichen ist die Kompetenz, zu kommunizieren, erfolgsentscheidend. Das scheint auf den
ersten Blick für einen Manager verständlicher
als für einen Tech-Lead. Aber gerade als Ver-
antwortlicher für die Technologieentscheide
müssen Sie sicherstellen, dass alle in der Organisation verstehen, was Sie entschieden haben
und aus welchen Überlegungen heraus. Es ist
fundamental wichtig, dass alle die technische
Ausrichtung des Unternehmens kennen und
die Gründe dafür verstehen.
Verhält es sich ähnlich mit dem technischen
Wissen? Müssen Manager bei Google auch
ein tiefes Technologieverständnis haben?
Ja, ich denke das ist eine der Stärken von
Google, dass wir auch von den Managern ein
grosses Technologieverständnis verlangen.
Auch wenn sie die technische Entscheidung
nicht fällen, ist es wichtig, dass Manager und
Tech-Lead eng zusammenarbeiten. Dafür
muss ein Manager die Technologie und die
daraus entstandenen Daten und Fakten, die
als Entscheidungsbasis dienen, auch verstehen. In den Fragestellungen, mit denen
wir uns beschäftigen, gibt es oftmals kein
einfaches Ja oder Nein und kein einfaches
A oder B. Wenn der Tech-Lead am Schluss
einen «Judgment Call» fällt, muss auch der
Manager das Gesamtbild verstehen, und
das beinhaltet neben dem wirtschaftlichen
und organisatorischen Teil eben auch die
technologischen Aspekte. Deshalb entwickeln sich die Leute bei uns normalerweise
zuerst zum Tech-Lead, auch wenn sie später
Management­aufgaben übernehmen wollen.
Sie kommen sozusagen als Ingenieure weiter
und wechseln dann ins Management.
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Urs Hölzle kommt ursprünglich aus Liestal im Kanton Basel-Land. Er studierte von 1983 bis 1988
Informatik an der ETH Zürich, promovierte 1994 an der Stanford University und arbeitete als
Assistenz-Professor of Computer Science an der University of California. Zu Google stiess Hölzle
1999, als das Unternehmen noch auf wenigen Quadratmetern mit 30 PCs in Regalen arbeitete.
Heute ist er Google Fellow und als Senior Vice President global für die technische Infrastruktur zuständig. Mit seinem Team setzt er sich konsequent für eine Reduktion des Energieverbrauchs der
Google-Rechenzentren ein und hat dadurch den Gesamtverbrauch der Google-Infrastruktur auf
die Hälfte der marktüblichen Werte gesenkt. Urs Hölzle ist Mitglied im Board of Directors des
WWF. Er ist verheiratet und lebt in Palo Alto. Sein Hund Yoshka, der ihn in den Anfangsjahren
regelmässig zur Arbeit begleitete, ging als «first dog» in die Firmengeschichte von Google ein.
Die Technologisierung der Welt schreitet
mit grossen Schritten voran. Ist es heute
im Business von Vorteil, Ingenieur zu sein?
Ich denke schon, denn Ingenieure können
in aller Regel die Möglichkeiten des Internets viel besser einschätzen und nutzen.
Das Inter­net ist aus meiner Sicht die wahre
Revo­lution. Ein Ingenieur, der das Internet zu
seinen Gunsten nutzt, kann überall arbeiten,
also in jeder Branche und physisch an jedem
Ort.
viel Kapital, um Investitionen in die Produktion oder in ein Verteilernetzwerk zu machen.
Können Sie das etwas genauer erklären?
Das Internet hat die Welt viel mehr ver­ändert, als dass die Welt technischer gewor­
den wäre. Die Welt war auch vor 20 Jahren
schon technisch. Die Elektrizität, das Telefon, das Auto – das waren alles innovative
Technolo­gien, entwickelt von ausgezeichneten Ingenieuren. Diesen Ingenieuren wäre
es aber im Gegensatz zu heute nie möglich
gewesen, mit einer guten Idee so schnell
ein globales Publikum – und dadurch einen
globalen Markt – zu erreichen. Software
und das Internet haben diese Revolution erst
möglich gemacht. Selbstverständlich ist es
nach wie vor ungeheuer schwierig, eine gute
Idee zu finden und die dann technisch umzusetzen. Dank Software und dem Internet
können Sie als Ingenieur heute aber mit einem relativ kleinen Aufwand Ihre Idee global
verteilen. Sie können in kleinen Teams Dinge
entwickeln und mit dem Erfolg sehr rasch
skalieren. Sie brauchen am Anfang auch nicht
Was würden Sie einer Maturandin oder
einem Maturanden sagen, der sich mit
seiner Karriereplanung auseinandersetzt?
Ich würde ihr oder ihm sagen, dass ich
nichts von Karriereplanung halte. Wenn ich
so zurückblicke, lag ich während meiner Ausbildung und meinen ersten Berufsjahren mit
allen meinen Prognosen, was ich die nächsten
zwei Jahre machen würde, ziemlich stark
daneben. Und ich muss sagen, dass ich das
eigentlich sehr gut finde. Man darf sich
nicht zu viele Sorgen um die Zukunft machen.
Ich finde es wichtiger, sich auf die Sache zu
konzentrieren, die man gerade macht. Wenn
man das, was man macht, nämlich gut macht,
ergibt sich die nächste Chance wie von selbst.
30
Wenn Sie früher etwas ausgetüftelt haben,
konnten Sie das nicht einfach in einem
Warenhaus in die Gestelle legen und verkaufen. Im Internet kann jeder alles anbieten
und verkaufen. Der globale Zugriff auf Ideen
ist dank dem Internet viel einfacher geworden. Und weil Sie sich die Ideen auch durchsetzen können, sind sie viel bedeutender.
Sie sagen also, kein Plan ist der
bessere Plan?
Natürlich war mir klar, dass es nicht schädlich ist, nach Stanford zu gehen, um dort
zu doktorieren. Wenn Sie mich damals aber
Google verfügt über eine lange Tradition der Zusammenarbeit mit weltweit führenden Bildungsund Forschungseinrichtungen. In Zürich befindet sich Googles grösstes Entwicklungszentrum
im Raum Europa, Mittlerer Osten und Afrika. Google und die ETH Zürich arbeiten schon seit
vielen Jahren in den strategischen Fokusbereichen Informationssicherheit, Computer Vision
und Verteilte Systeme eng zusammen. Dank dieser Partnerschaft ist es Google und der ETH gelungen, die Lücke zwischen forschungsorientierten Universitäten und anwendungszentrierten
Privatunternehmen zu schliessen. Mit dem Faculty Research Award und dem European Doctoral
Fellowship Programme unterstützt Google zudem junge Talente in ihrer akademischen Arbeit.
Darüber hinaus engagiert sich Google aktiv, junge Talente für die ETH zu gewinnen und die
nach wie vor geringe Anzahl an Frauen in technischen Studienfächern zu steigern. Die Beteiligung als Mitveranstalter am Schnupperstudium Informatik der ETH und die Weiterentwicklung
der namhaften «RISE Awards» und «Women in Tech Travel and Conference Grants» haben dazu
beigetragen, einen ausgewogenen und generationenübergreifenden Mix aus weiblichen Computerexperten zu fördern.
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gefragt hätten, wäre ich überzeugt gewesen,
dass ich nach vier Jahren in die Schweiz zurückkehren werde, um etwas anderes zu machen. Das kam ja überhaubt nicht so heraus.
Meine Dissertation in Stanford, meine Zeit
an der University of California, mein erstes
Start-up, die Zeit bei Sun Microsystems oder
die Begegnung mit Larry und Sergey. Das
war alles nicht geplant, das hat sich einfach
so ergeben.
Hatten Sie diese Gelassenheit auch, weil
Sie gewusst haben, dass Sie mit der ETH
den optimalen Start gehabt haben?
Wenn man einen Beruf lernt, der auf dem
Markt begehrt ist, und man die Ausbildung
an einer so renommierten Institution gemacht
hat, muss man sich wirklich keine Sorgen
machen. Sie dürfen nur nicht nervös werden,
wenn es bei einer Arbeitsstelle einmal nicht
klappt. Wenn Sie an einem Ort arbeiten, wo
es Ihnen nicht gefällt, wartet eine andere
Stelle auf Sie. Das ist hier im Silicon Valley
natürlich einzigartig. Wenn man hier einen
Fehler macht, ist das «no big deal». Wichtig ist, dass Sie den gleichen Fehler nicht
zweimal machen. Hier im Silicon Valley ist
man dann erfolgreich, wenn man immer neue
Fehler macht, anstatt die gleichen Fehler zu
wiederholen.
Diese Kultur macht es natürlich wesentlich
einfacher, locker zu bleiben …
Das stimmt schon. Auf der anderen Seite
denke ich aber, dass Sie als Ingenieur und
ins­besondere als Informatiker die besten
Voraus­setzungen für den beruflichen Erfolg
haben. Das Wissen und die Fähigkeiten von
guten Ingenieuren werden immer gebraucht.
Man muss nur offen sein und den Mut haben,
Veränderungen im Leben als Herausforderung anzunehmen, und Chancen, die sich
einem auf diesem Weg bieten, zu packen.
Die Welt wird sich auch in Zukunft rasant
verändern. Damit muss man einfach umgehen
können.
«Als Ingenieur haben Sie
die besten Voraussetzungen für den beruflichen
Erfolg. Das Wissen und
die Fähigkeiten von guten
Ingenieuren werden immer gebraucht. Man muss
nur offen sein und den
Mut haben, Veränderungen im Leben als Herausforderung anzunehmen,
und Chancen, die sich
einem auf diesem Weg
bieten, zu packen.»
Urs Hölzle, Senior VP for Technical Infrastructure, Google
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«Wir differenzieren uns im Markt
nicht über Technologie, sondern
über unsere Mitarbeitenden.»
Martin Bosshardt
CEO
Open Systems AG
34
Der Unternehmer Martin Bosshardt wehrt sich
ge­gen das Vorurteil, dass man als ETH-Absolvent
beruflich in einem dunklen Forschungslabor endet.
Mit seinen Kolleginnen und Kollegen fokussiert er
sich auf die Frage, wie global tätige Organisa­tionen
Sicherheitstechnologie effizienter, automatisierter
und skalierbarer einsetzen können. Die ETH Zürich
ist in diesem Zusammenhang für Bosshardt von
zentraler Bedeutung: Sie bildet die Ingenieurin­nen
und Ingenieure aus, die Bosshardt für die ServiceQualität und das zukünftige Wachstum seines
Unternehmens dringend braucht.
«Die ETH verfügt über ein hervorragendes
internationales Netzwerk und ermöglicht es
den Studierenden und Doktoranden sehr
direkt, davon zu profitieren.»
Martin Bosshardt, CEO, Open Systems AG
35
Herr Bosshardt, wann haben Sie den
Entscheid gefällt, Ingenieur zu werden?
Das wusste ich eigentlich schon während
meiner Zeit auf dem Gymnasium. Obwohl ich
mich nicht als typischen Bastler beschreiben
würde, experimentierte ich bereits damals
leidenschaftlich gerne mit Elektronikbaukästen, baute Alarmanlagen zusammen und
zerlegte Radios.
Gab es für Sie einen Schlüsselmoment?
Ich denke das war der Tag, an dem unser
Nachbar mit einer Bananenschachtel vor der
Türe stand. In der Schachtel lag − fein säuberlich in Einzelteile zerlegt − ein Mofa. Dass
ich das Gefährt eines Tages wirklich fahren
würde, schien meinen Eltern bei der Betrachtung des Durcheinanders in der Kiste eher
unwahrscheinlich. Trotzdem beharrten sie
zur Sicherheit darauf, dass ich im Falle eines
Erfolges ultimative Helmtragepflicht hätte.
Und wie ging die Geschichte aus?
Etwa eine Woche später kaufte mir meine
Mutter einen Helm, den ich dann auf meiner
Siegesrunde durch’s Dorf auch tatsächlich trug.
Sie haben nach der Matura an der ETH Elektrotechnik studiert. Wie sind Sie damals auf
die ETH aufmerksam geworden?
Die ETH war natürlich schon damals
die erste Adresse für eine Ausbildung zum
Ingenieur. Mein Vater hat ebenfalls an der
ETH studiert und der Zufall wollte es, dass
Professor Georg Epprecht, Professor für Elektrotechnik an der ETH Zürich, unser Nachbar
war. Er beobachtete mich eines Tages, wie
ich einen Radio auseinandernahm. Er meinte,
wenn ich lernen wolle, wie man den wieder
zusammenbaut, solle ich Elektrotechnik studieren. Und das habe ich dann auch gemacht.
Wie haben Sie das Studium an der
ETH erlebt?
Ich habe die Zeit an der ETH sehr genossen. Es gab unglaublich viel Tolles zu
sehen, zu tun und zu lernen. Ich war voller
Leidenschaft für die Materie, engagierte mich
intensiv an der Entwicklung eines Elektromobils und verbrachte natürlich so viel Zeit
wie möglich an den Computern der ETH. Sie
ermöglichten mir den Zugang zu einer neuen
Welt − der Welt der globalen Netzwerke.
Das Beste an der ETH waren aber aus meiner
Sicht die vielen gleichgesinnten Menschen, die
alle richtig gut Bescheid wussten. Zwei davon
haben mein Leben besonders stark geprägt.
Das klingt aber spannend. Wer waren
diese zwei Menschen?
An erster Stelle kommt natürlich meine
Frau Daniela, die damals an der ETH Pharmazie studierte. Wir haben 2004 geheiratet und
sind heute glückliche Eltern von zwei Söhnen −
Lino und Jon. Die andere Person, die mein
Leben stark und sehr positiv beeinflusst hat,
ist Florian Gutzwiller.
Mit dem Sie heute gemeinsam die Open
Systems AG führen …
Richtig, Florian Gutzwiller, der Gründer
der Open Systems AG, ist heute als aktiver
Verwaltungsratspräsident stark in die Entwicklung und die globale Expansion unseres
Unternehmens involviert. Bevor er 1990
das Unternehmen gründete, war er für den
Betrieb der wichtigsten Kommunikationsrechner der ETH verantwortlich. Er war es, der
mir damals meinen ersten Account auf dem
Bernina-Grossrechner eröffnete, der damals
mächtigsten Kommunikationsmaschine der
ETH. Man kann also sagen, dass er es war,
der mir den Zugriff auf die globalen Netzwerke, die später einmal das World Wide Web
sein sollten, ermöglichte.
Sie haben während des Studiums für einige
Monate als Praktikant in Japan gearbeitet.
Wie kam es dazu und was genau haben Sie
dort gemacht?
Die ETH verfügt über ein hervorragendes
internationales Netzwerk und ermöglicht es
den Studierenden und Doktoranden, sehr direkt davon zu profitieren. Das Angebot wollte
ich nutzen und unbedingt Auslanderfahrung
sammeln. Über ein Studentenaustausch-Programm bekam ich ein Praktikum bei einem
japanischen Technologieunternehmen in
Tokyo. Während dieses Praktikums hatte ich
über die ETH auch Kontakt zur University of
Tokiyo, wo ich nach Abschluss meines Industrie-Praktikums die Gelegenheit bekam, am
Institut für Nanorobotik das Abschlusssemester und meine Diplomarbeit zu bestreiten.
Um was ging es in Ihrer Arbeit genau?
Wir erhielten den Auftrag, ein Raster­
tunnel­mikroskop zu bauen, um eine Nadel
«Das Potenzial und die Chancen für Ingenieure werden sich in Zukunft zusätzlich
akzentuieren: Denken Sie nur daran, wie viele etablierte Märkte momentan durch
neue Technologien revolutioniert werden und wie viele neue Opportunitäten sich
aufgrund von innovativen Technologien ergeben.»
Martin Bosshardt, CEO, Open Systems AG
mit der Präzision eines Kohlenstoffgitters auf
ein Atom genau zu positionieren. Das Thema
konnte aktueller nicht sein, denn genau in
diesem Jahr − 1986 − erhielten der deutsche
Gerd Binnig und der Schweizer Heinrich
Rohrer den Nobelpreis für Physik für die
Er­findung des Rastertunnelmikroskops , mit
dem sie Atome mittels Tunnelstrom sichtbar
machten. Nach fünf Monaten intensiver Arbeit
konnten wir das Projekt erfolgreich abschliessen. Es war ein gewaltiges Erlebnis. Ich kam
mir vor, wie wenn ich bei der Erschaffung der
Erde mit dabei gewesen wäre.
Inwieweit spielte die ETH für diese Arbeit
eine Rolle?
Natürlich hielten wir stetigen Kontakt zur
ETH, einerseits auf der organisatorischen Ebene
und andererseits interessanterweise auch
auf der technischen Ebene. Da wir in Japan
keine geeignete Visualisierungs-Software zur
Verfügung hatten, nutzten wir jeweils über
Nacht einen Grossrechner an der ETH, um aus
den erarbeiteten Daten das Bild in Zürich zu
rechnen und in Tokiyo auszudrucken. Das war
im Nachhinein betrachtet eine ganz erstaunliche Leistung unseres Projektes. Sie dürfen
nicht vergessen, dass damals das Internet nur
gerade einmal 1000 Maschinen vernetzte.
Wie ging es nach Ihrem Abschluss beruflich
weiter?
Zurück in der Schweiz bewarb ich mich
beim Technologiekonzern ABB. Im ersten Gespräch fragte mich mein damaliger Chef, wie
viel Zeit ich brauchen würde, um zu packen,
wenn die ABB mich in einem anderen Land
brauchen würde. Ein paar Wochen später
arbeitete ich in Malaysia als Inbetriebnahme-Ingenieur auf einer Grossbaustelle für ein
Kombi-Kraftwerk.
sowohl unser Unternehmen als auch unsere
damaligen Kunden stark traf. Eine spannendere und lehrreichere Zeit, als im Management
eines Service-Providers zu wirken, hätte es für
mich kaum geben können.
Das klingt, als ob Sie früh ins kalte Wasser
gesprungen seien …
Ich hatte das Glück, bei ABB früh Verantwortung übernehmen zu dürfen. Nach Malaysia ging es weiter nach Indonesien, wo ich
bei einem vergleichbar grossen Projekt die
Alleinverantwortung für die Inbetriebnahme
der Leitsysteme trug. Wir hatten 12 Monate Zeit, die Maschine ans Netz zu bringen.
Jeder Tag Verspätung hätte eine Pönale von
500 000 Franken ausgelöst. Zeitweise arbeiteten über 3000 Leute auf dem Gelände. Das
Kraftwerk wurde rechtzeitig fertig. Es erzeugt
heute Strom für rund 10 Millionen Menschen.
Diese Projekte bewiesen mir deutlich, dass
es dank Ingenieurswissenschaften möglich
ist, komplexe Maschinen zu bauen, die das
Verständnis eines einzelnen Menschen bei
Weitem übersteigen. Kein Mensch allein ver­
steht ein Kraftwerk von A bis Z bis in jedes
Detail. Man muss das gesamte System in
beherrschbare Teilsysteme zerlegen, um es
dann in spezialisierten Teams zu errichten
und in Betrieb zu nehmen.
Trotzdem dann 2002 der Wechsel zu
Open Systems …
Open Systems hat mich von Anfang an
fasziniert. Es war Liebe auf den ersten Blick.
Dann folgte ein Abstecher ins Consulting …
Ja, das war ein sehr wichtiger Schritt für
mich, denn ich tauchte intensiv in die Rolle
des Dienstleisters ein. Wirtschaftlich war diese
Zeit stark geprägt durch die Dotcom-Krise, die
Sie sind CEO und Aktionär der Open Systems AG. Was heisst es für Sie, unternehmerisch tätig zu sein?
Unternehmer zu sein heisst für mich, die
Ziele der Kunden, die Ziele der Mitarbeitenden und die Ziele der Aktionäre in Einklang
zu bringen. Nur so kann ein Unternehmen
nachhaltig wachsen und sich langfristig im
Markt etablieren. Ich habe grossen Spass
daran, dieses Wachstum zu begleiten, und
bin stolz, wenn ich daran denke, dass heute
mehr als 130 Personen hier arbeiten. Als ich
bei Open Systems anfing, waren wir gerade
einmal 17 Mitarbeiter.
Sie haben das starke Wachstum Ihres
Unternehmens angesprochen. Was ist Ihr
Erfolgsrezept?
Informationstechnik ist dafür prädestiniert, automatisiert zu werden. Wir versuchen daher unsere Mitarbeitenden nicht
als Teil der Maschine zu sehen, sondern als
Ingenieure, die eine Maschine entwickeln
und bauen und so die Möglichkeit haben,
den Grad der sinnvollen Automatisierung
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Martin Bosshardt studierte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH in Zürich und
an der Todai Universität in Tokiyo und besitzt einen Abschluss als Elektroingenieur ETH. Nach
seinem Studium arbeitete Martin Bosshardt als Engineer für die ABB in der Schweiz und im Ausland. 1998 übernahm er bei Futurecom Interactive, einem Beratungsunternehmen der global
tätigen Young & Rubicam Group, als Mitglied der Geschäftsleitung die Verantwortung für die
Beratung. Seit 2002 ist Martin Bosshardt CEO, Mitglied des Verwaltungsrates und Aktionär der
Open Systems AG, einem unabhängigen Schweizer Anbieter von Enterprise Security. 2011 wurde Martin Bosshardt vom Swiss Venture Club der Unternehmerpreis für die Wirtschaftsregion
Zürich verliehen. Seit 2013 ist er Mitglied des Beirats der PwC Schweiz.
37
stetig voranzutreiben. Ich bin überzeugt,
dass wir einfachere, repetitive Arbeiten nicht
in günstigere Regionen verlagern sollten. Wir
delegieren diese, oftmals auch langweilige
Arbeiten, an den Computer. Das geht in
der IT besser als in jeder anderen Branche.
In unserem Geschäft gibt es keine physikalischen oder geographischen Grenzen
und unser Logistikaufwand ist minimal.
Automation macht uns konkurrenzfähig und
unsere Arbeit spannen­der. Zudem erreichen
wir dadurch eine höhere Qualität, denn die
Services werden sicherer, stabiler und auch
skalierbarer.
Einen hohen Automatisierungsgrad zu er­
rei­chen ist eine spannende, aber auch sehr
anspruchsvolle Arbeit. Dafür brauchen wir
die besten und kreativsten Ingenieure, die
wir kriegen können.
Dann ist für Sie Ihre Technologie also nicht das
auschlaggebende Alleinstellungsmerkmal?
Wir differenzieren uns im Markt nicht über
Technologie, sondern über unsere Mitarbeiter und die Art und Weise, wie wir Technologie einsetzen. Unsere Mitarbeiter fokussieren
sich in ihrer täglichen Arbeit auf die Frage,
wie wir Sicherheitstechnologie effizienter,
automatisierter und skalierbarer einsetzen
können. Dadurch definieren sie auch die
Art und Weise, wie wir bei Open Systems
arbeiten, kontinuierlich neu. Die Rekrutierung
sowie die Aus- und Weiterbildung des Teams
sind deshalb von zentraler Bedeutung. Viele
meiner Kolleginnen und Kollegen haben
eine ETH-Ausbildung. Selbstverständlich
rekrutieren wir heute auch an vielen anderen
ausgezeichneten Ausbildungsstätten. Die
ETH bleibt für uns aber ein sehr wichtiger
Talent-Pool.
Ein weiterer ganz wichtiger Punkt ist die
Tatsache, dass ein Unternehmen nur so gut
ist wie seine Kunden. Wir haben das Privileg,
dass wir für renommierte Organisationen
arbeiten dürfen, die global sehr erfolgreich
sind. Besonders interessant ist der Kun­denMix: Neben Konzernen aus allen Branchen
sind wir im Bereich der NGOs stark verankert. Die motivierende Wirkung auf die Mitarbeitenden, renommierten NGOs zur Seite
zu stehen, darf man nicht unterschätzen.
Im Jahr 2011 wurde Ihnen der Unternehmerpreis für die Wirtschaftsregion Zürich
verliehen …
Ich habe den Preis stellvertretend für die
Geschäftsleitung und alle Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Open Systems entgegengenommen. Ich war natürlich wahnsinnig
stolz und bin es heute noch. Besonders schön
war für mich die Tatsache, dass bei der feier­
lichen Preisübergabe viele meiner Kolleginnen und Kollegen anwesend waren.
Sie engagieren sich stark dafür, das Thema
IT-Sicherheit in der Führungsetage zu
etablieren. Ist das ein persönliches Anliegen
oder einfach nur geschicktes Marketing?
Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Auf jeden Fall erstaunt es mich schon,
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dass viele Verwaltungsräte und Geschäfts­
leitungen das Thema IT nach wie vor an ihr
IT-Departement delegieren.
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Die wichtigste − weil disruptivste − Entwicklung in einem Unternehmen bringt die IT. Die
ist für alle Game-Changer, egal in welcher
Branche sie sich bewegen. Sei es Retail, Tourismus, Airlines, Banken oder Versicherungen.
Selbst die Taxi-Branche wird durch die IT
neu definiert. Wir alle wissen das. Und doch
scheint mir der «Kodak-Effekt» nach wie vor
enorm verbreitet. Für mich ist das eine der
grössten Gefahren für ein Unternehmen. Die
Verantwortung liegt aus meiner Sicht bei den
Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten.
Sie müssen sich mit den Möglichkeiten, aber
auch mit den Risiken der Informationstechnologie befassen.
Die ETH Zürich fördert hervorragende
Studierende, die ein Masterstudium an
der ETH absolvieren möchten, mit dem
Excellence Scholarship & Opportunity
Programme (ESOP). Die Open Systems
unterstützt dieses Programm. Weshalb?
Weil die ETH enorm wichtig ist. Sowohl
für die Open Systems als auch für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Den besten jungen
Talenten eine Chance zu geben, an einer der
besten Hochschulen auf der Welt zu studieren, ist eine sehr unterstützungswürdige und
wichtige Sache − für diese Studenten, aber
auch für die Hochschule. Uns geht es darum,
nicht nur von der ETH zu profitieren, sondern
auch etwas zurückzugeben. Deshalb bieten
wir auch Praktika an oder begleiten Studierende in ihrer Master-Arbeit. Open Systems
hilft mit, dass die ETH auch in der Zukunft
zu den Top Universitäten der Welt gehört.
Insofern ist das kein Engagement, sondern
fast schon eine Verpflichtung.
Wie werden Sie Ihren Söhnen das Ingenieurstudium schmackhaft machen, wenn
sie einmal vor der Studienwahl stehen?
Ich sehe das Ingenieurstudium als ein
möglicher Weg, der tausend weitere Wege
öffnet. Insofern halte ich diese Ausbildung für
eine grossartige Option − auch für diejenigen,
die vielleicht noch nicht genau wissen, womit
sie sich später einmal beruflich befassen oder
in welcher Funktion sie arbeiten wollen.
Ich werde aber auch versuchen, gewisse Vorurteile, die nach wie vor existieren, aus dem
Weg zu räumen. Etwa dass ein Ingenieurstudium ungeheuer schwer ist. Oder dass man
als Ingenieur später beruflich im dunkelsten
Keller eines unwegsamen Labors endet. Das
Gegenteil ist wahr: Es gibt kaum ein Studium
mit so vielen tollen und praxisbezogenen
Übungen und technischen «Spielzeugen» im
Lehrgang. Zudem ist der Konkurrenzkampf
unter Medizinern oder Juristen mindestens
so hart, wenn nicht noch viel härter − auch
später im Beruf.
Ingenieure werden dazu ausgebildet, komplexe Systeme in beherrschbare Teile zu
zerlegen, um so praktisch beliebig grosse
Mechanismen zum Laufen zu bringen. Als
Ingenieur lernt man auf eine ganz spezifische Art zu denken, die Welt zu betrachten.
Dieses Wissen funktioniert später auf der
ganzen Welt, unabhängig von Zulassungen
oder Gesetzen. Diese Denkschule halte ich
für eine der besten Grundlagen für einen
Unternehmer oder eine Führungskraft.
Unternehmen sind letztlich komplexe Systeme. Und das Potenzial und die Chancen für
Ingenieure werden sich in Zukunft zusätzlich
akzentuieren: Denken Sie nur daran, wie viele
etablierte Märkte momentan durch neue
Technologien revolutioniert werden und wie
viele neue Opportunitäten sich aufgrund
von innovativen Technologien ergeben. Mit
einer Ausbildung zum Ingenieur − und davon
bin ich zutiefst überzeugt − ist man für diese
Zukunft optimal gewappnet.
«Als Ingenieur lernt man,
die Welt auf eine ganz spezifische Art zu betrachten.
Diese Denkschule halte ich
für eine der besten Grundlagen für einen Unternehmer oder eine Führungskraft. Das funktioniert auf
der ganzen Welt, unabhängig von Zulassungen oder
Gesetzen. Deshalb ist man
mit einer Ausbildung zum
Ingenieur für die Zukunft
optimal gewappnet.»
Martin Bosshardt, CEO, Open Systems AG
«Ich fühle mich verantwortlich, einen Beitrag
dazu zu leisten, Lösungen zu finden.»
Jessica Genta, Excellence Scholarship & Opportunity Programme, ETH Zürich
Jessica Genta, Sie absolvieren Ihr Masterstudium an der ETH mit einem Stipendium
des «Excellence Scholarship & Opportunity
Programme». Wie kam es dazu?
Es war schon immer mein Traum, an der
ETH in Zürich meinen Masterabschluss als
Ingenieurin zu machen. Als ich von dem
Stipendium erfahren habe, war ich zuerst
natürlich etwas verunsichert, ob ich das
überhaupt schaffen würde. Als ich mich
dann aber intensiver mit den Anforderungen
auseinandergesetzt habe, hatte ich durchaus
das Gefühl, mit guten Chancen ins Rennen
zu gehen. Schlussendlich war es auch eine
spannende Herausforderung, die mich sehr
gereizt hat.
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Der Bewerbungsprozess ist extrem aufwändig und verlangt viel von den Studierenden. Haben Sie das auch so empfunden?
Ja, die Anforderungen sind sehr hoch.
Man muss schon topmotiviert und von der
Sache begeistert sein, um die Bewerbung
erfolgreich abzuschliessen. Neben sehr guten
Noten zählt in allen Bereichen der Bewerbung die «Excellence», das heisst, man sollte
überall unter Beweis stellen, dass man fähig
ist, systematisch und rational zu denken und
neue Ideen zu entwickeln. Ein wichtiger Teil
der Bewerbung ist eine ausführliche Beschreibung der geplanten Masterarbeit. Das zwingt
einen natürlich sehr früh − nämlich bereits im
dritten Jahr des Bachelor-Studiums − konkret
zu wissen, auf welches Forschungsgebiet
man sich Jahre später einmal fokussieren
will. Zudem muss man schon über eine hohe
Fachkompetenz verfügen, um antizipieren zu
können, welche Themen in den anvisierten
Forschungsbereichen relevant sein werden.
Ich denke, der grosse Aufwand und das
harte Auswahlverfahren sind gerechtfertigt.
Schliesslich ist das ja auch ein etwas spezielles Stipendium, in dem es darum geht,
Talente aus aller Welt an die ETH zu holen.
Die ETH unterstützt uns nicht nur finanziell,
sondern fördert uns auch sonst sehr stark,
zum Beispiel im Networking.
Wussten Sie schon früh, dass Sie
Ingenieurin werden wollten?
Nicht nur dass ich Ingenieurin werden,
sondern auch dass ich Materialwissenschaf-
ten studieren wollte. Im Bachelorstudium
zeichnete sich dann auch bald das Spezialgebiet ab: «Renewable Energy and Sustainability». Ich beurteile die Energieversorgung als
eine der grössten Herausforderungen, die wir
in Zukunft haben werden.
Sie haben Ihr Bachelorstudium an der
Politecnico di Milano in Italien abgeschlossen. Weshalb wollten Sie danach unbedingt an der ETH in Zürich studieren?
Das Bachelorstudium in Mailand war sehr
interessant und lehrreich. Das Grundstudium
ist eher theorielastig und vermittelt Basiswissen. Im Masterstudium arbeitet man viel
selbständiger und schon sehr stark in den
Gebieten, auf die man sich später fokussieren
will.
Die ETH hat einen ausgezeichneten Ruf und
man trifft dort Menschen aus aller Welt.
Zudem bietet die ETH hervorragende Rahmenbedingungen für die Forschung und hat durch
den engen Kontakt mit der Industrie einen sehr
hohen Praxisbezug. Ich habe mir persönlich
ein konkretes Ziel gesteckt und bin fest davon
überzeugt, dass die ETH mich am besten unterstützen kann, dieses auch zu erreichen.
Wie sieht Ihr Ziel genau aus?
Ich versuche im Masterstudium verschiedene Themen im Bereich Energieumwandlung
und Speicherung kennenzulernen, die für
erneuerbare Energien entscheidend sind. So
kann ich dann meine Dissertation in dem Thema schreiben, das mich am meisten fasziniert
und wo ich dann auch beruflich einsteigen
möchte. Neben der Abschlussarbeit schreiben
wir im Masterstudium zwei weitere Forschungsprojekte. Das gibt uns auch die Möglichkeit,
verschiedene Institute innerhalb des Departements oder der ganzen ETH kennenzulernen.
Und jetzt machen Sie ein Praktikum im
ABB Forschungszentrum?
Genau, das Industrie-Praktikum ermöglicht es mir, während sechs Monaten
einen Einblick in einen weiteren Bereich der
Renewable Energies zu gewinnen − wir untersuchen hier die wichtige Rolle der Materialwissenschaft im Bereich Energie aus einem
neuen Gesichtspunkt. Gleichzeitig ist es auch
eine grosse Chance, mit den hochqualifizier-
ten Menschen hier zu arbeiten und von ihnen
zu lernen. Ich denke die Qualität der Wissenschaft ist stark von den Menschen abhängig.
Für Sie ist Forschung also nicht eine Einzelgänger-Angelegenheit, bei der jeder für
sich seine Forschung betreibt?
Auf keinen Fall. Forschung, sowohl an der
ETH als auch in einem Unternehmen wie
ABB, ist reiner Team-Sport. Das ist für mich
wie Basketball, das ich seit vielen Jahren
sehr intensiv trainiere. Forschung auf diesem
Niveau kann man nicht alleine betreiben. Der
Erfolg ist sehr stark davon abhängig, dass
die besten Leute ihre Ideen austauschen
und gemeinsam neue Wege finden. Selber
denken ist wichtig. Noch viel wichtiger ist es
aber, das, was man herausgefunden hat, mit
anderen zu teilen, um Feedback zu erhalten.
Und Ihre Masterarbeit schreiben Sie dann
wieder an der ETH?
Ja, ich möchte meine Masterarbeit am
Institut für Electrochemical Materials von
Prof. Jennifer Rupp machen. Ich werde mich
dort intensiv mit Batterien beschäftigen.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren? Werden
Sie Professorin an der ETH Zürich?
Wenn Sie mich das heute fragen, glaube
ich das eher nicht. Nach dem Masterabschluss will ich auf jeden Fall eine Dissertation schreiben. Danach kann ich mir gut
vorstellen, in die Industrie zu wechseln. Ich
finde es spannend, wenn Forschung und
Produktion sehr nahe beieinander sind und
eng miteinander zusammenarbeiten.
Auf jeden Fall würde es mich neben der
fachlichen Herausforderung stark reizen, ein
eigenes Unternehmen zu gründen und zu
entwickeln. Jetzt mache ich aber erst einmal
einen Schritt nach dem anderen. Ich denke
es macht auch keinen grossen Sinn, zu viel
im Voraus zu planen. Jeder Schritt, den
ich bis heute im Leben ge­macht habe, hat
mich weitergebracht.
Ich fühle mich verantwortlich, einen Beitrag
dazu zu leisten, Lösungen zu finden, wie wir
in Zukunft sinnvoll und nachhaltig mit der
Energie umgehen. Das motiviert mich und
dafür leiste ich gerne jeden Tag 100%igen
Einsatz.
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43
«Ich will die Welt, in der wir leben,
besser verstehen.»
Lennart Elsen, Security Engineer, Open Systems AG
Lennart Elsen, Sie kommen aus Hamburg
und haben an der ETH in Zürich Ihr Studium abgeschlossen. Wieso haben Sie sich
entschieden, in der Schweiz zu studieren?
Ich habe mich für Elektrotechnik interessiert und mir eine Liste mit Universitäten im
In- und Ausland zusammengestellt, welche
dieses Studium anbieten. Die ETH stand
zuoberst auf meiner Liste.
Was waren für Sie die auschlaggebenden
Kriterien für die Beurteilung?
In erster Linie ging es mir um die Qualität
der Ausbildung und den guten Ruf der Institution. Daneben musste natürlich auch die
Lebensqualität der Stadt stimmen.
Was hat schlussendlich für die ETH und die
Schweiz gesprochen?
Die ETH wurde mir von Kollegen sehr
empfohlen. Als ich mir die Ausbildung näher
angeschaut habe, hatte ich einfach ein gutes
Gefühl. Das wissenschaftliche Niveau ist sehr
hoch und die Infrastruktur ausgezeichnet.
Dazu kam, dass ich bevorzugt im Ausland
studieren wollte. Zürich gefällt mir als Stadt
sehr gut und ist vom Flair nicht allzu weit weg
von Hamburg. Es schien mir einfach ein sehr
gutes Gesamtpaket zu sein.
Sie haben Ihre Masterarbeit in Zusammen­
arbeit mit Open Systems gemacht, dem
Unternehmen, bei dem Sie jetzt als Security
Engineer arbeiten. Können Sie uns kurz
erzählen, wie das kam?
Der praktische Bezug meiner Masterarbeit
war mir sehr wichtig. In diesem Sinne suchte
ich die Zusammenarbeit mit der Industrie.
Über einen Freund habe ich dann Open
Systems entdeckt. Mit dem Thema Sicherheit
und Verfügbarkeit von globalen Netzwerken
habe ich mich auch im Studium beschäftigt.
Nachdem ich dann die Verantwortlichen bei
Open Systems kennen gelernt habe, war mir
klar, dass ich diese Chance nutzen wollte.
Wie sah die Zusammenarbeit konkret aus?
Open Systems ist ein globaler Anbieter
von Managed Security Services, der Netzwerke in über 175 Ländern sichert und betreibt.
Mein Auftrag bestand darin, in sechs Monaten ein Tool zu entwickeln, um Kerndaten aus
Netzwerkpaketen auszulesen, abzuspeichern
und für eine spätere Analyse aufzubereiten.
Das Tool soll die Security Engineers darin
unterstützen, auch über einen längeren Zeit­
raum die Zusammensetzung des globalen
Netzwerk-Verkehrs zu analysieren.
Offensichtlich war das Projekt ein Erfolg und
es hat Ihnen bei Open Systems gefalen …
Ja, das kann man sagen. Das Analyse-Tool
wird jetzt von meinen Kolleginnen und Kollegen eingesetzt, was mich natürlich sehr freut.
Ich habe sehr viel positives Feedback auf
meine Arbeit erhalten, zum Beispiel dass es
die Problem-Analysen erleichtert und die Produktivität steigert. Und die ETH war mit dem
Resultat auch zufrieden. Was will man mehr?
Das klingt wirklich gut. Was hat Sie dazu
bewogen, bei Open Systems anzuheuern?
Während der sechs Monate meiner Masterarbeit habe ich das Unternehmen und die
Menschen bei Open Systems kennen gelernt.
Die Art und Weise, wie man hier miteinander
umgeht, hat mir persönlich sehr gefallen.
Ich will bei einem Unternehmen arbeiten,
bei dem ich fachlich gefordert werde. Mir ist
aber ebenso wichtig, das ich in einem Umfeld
arbeite, dass mir Spass macht. Ich will mich
am Morgen auf die Arbeit freuen können.
Wie stellen Sie sich Ihre weitere berufliche
Karriere vor? Haben Sie schon konkrete
Pläne?
Ich habe klare Vorstellungen, möchte jetzt
aber auch erst einmal meinen Einstieg ins Berufsleben geniessen. Es ist ein gutes Gefühl,
einen ETH-Abschluss in der Tasche zu haben.
Ich bin mir bewusst, dass ich noch ganz am
Anfang meiner beruflichen Karriere stehe.
Aber die Zeit an der ETH gibt mir schon eine
gewisse Sicherheit …
Inwiefern?
Dass ich etwas geleistet habe und dadurch
eine gewisse Qualifikation geschafft habe,
die mir niemand mehr wegnehmen kann. Der
Abschluss an der ETH zeichnet mich aus und
eröffnet mir viele Möglichkeiten in verschiedenen Industrien und überall auf der Welt.
Wie haben Sie den Einstieg ins Berufsleben
erlebt?
Das Thema sichere und zuverlässige
Konnektivität brennt vielen Unternehmen und
Organisationen unter den Nägeln. Ich habe
schon stark das Gefühl, zur richtigen Zeit am
richtigen Ort zu sein.
Aktuell fühle ich mich ein wenig, wie wenn ich
einen Teil des Studiums verlängern würde. Ich
kann das Wissen vom Studium anwenden und
vertiefen, lerne aber auch viel Neues. Ich habe
gerade die interne Ausbildung zum Mission
Control Security Engineer abgeschlossen.
Dadurch habe ich mir auch den Überblick über
das gesamte Service-Portfolio verschafft. Das
war nötig, weil ich mich während meiner Masterarbeit natürlich auf einen ganz bestimmten
Teil der Services fokussiert habe.
Was würden Sie heute einer Maturandin
oder einem Maturanden sagen, weshalb
sie oder er ein Ingenieurstudium in Betracht ziehen sollte?
Ich will die Welt, in der wir leben, besser
verstehen. Das Ingenieurstudium bildet mich
dafür aus und bietet mir zudem die Chance,
durch mein Wissen meinen Beitrag an die zukünftige technologische Entwicklung zu leisten.
Wo sehen Sie sich in Zukunft: in einer Technologie-Position oder im Management?
Im Management. Das ist langfristig schon
mein Ziel. Ich bin aber auch davon überzeugt,
dass heute das eine nicht ohne das andere
geht. In einer stark technologiegetriebenen
Wirtschaftswelt muss ein Manager auch ein
fundiertes Technologieverständnis haben.
Ich sehe das als notwendige Voraussetzung,
um Probleme zu identifizieren und Chancen
zu erkennen. In dem Sinne will ich mir auch
die Zeit nehmen, um mich richtig schlau zu
machen und mir eine gute technische Grundlage zu erarbeiten.
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www.ethz.ch