Wilfried Dickhoff The Death of James Lee Byars Lives? (2003) “Announce the perfect until it appears.“ James Lee Byars James Lee Byars sah seine Kunst als Eröffnung einer “Ersten Total Positiven Fragenden Philosophie“ (J.L.B.). Er schuf gezielt paradoxe visuelle Abgesänge auf etwas, das er “Con. Art“ nannte, eine begriffliche Schwebe zwischen Conceptual und Contemporary Art: “The Epitaph of Con. Art is which Questions have disappeared?“ (J.L.B.). Der Frage nach den ideologisch überspielten und zum Verschwinden gebrachten Fragen galt seine besondere Aufmerksamkeit. Seine Arbeiten lassen sich als (im)materielle Frage-Zeichen sehen, die die Eliminierung von Fragen in der Gegenwartskunst de-konstruktiv einholen und die Frage nach der Gegenwart in der Kunst infragestellen: “Ich versuche im wesentlichen 1 Fragen mit Fragen zu lösen.“ Viele in Frage gestellte Aussagen wie “Die Philosophie ist die eine Frage?“, “Was kann ich für Sie tun, ich schenke Ihnen Beachtung?“ oder “Machen Sie eine Frage zu Ihrer Autobiographie?“ tauchen auf, als Titel, aber auch als materielle Einschreibungen. Damit beabsichtigte Byars, Aussagen von “der einschließenden und 2 einschränkenden Unruhe der Antwort“ zu befreien, so daß die in ihnen unterdrückten Fragen in Ruhe in Erscheinung treten können. James Lee Byars zielte auf eine Kunst selbständiger Fragen, die Fragen fragend lösen, nicht auflösen, sondern auslösen, “der Unbestimmtheit und Offenheit zum 3 Universum hin“ aussetzen und derart freisetzen. Fragen als (im)materielle Begriffs-Bilder, die in der vollkommenen Schönheit ihrer Frag-Würdigkeit für sich stehen, das war seine Ambition. Eine solche materielle Präsenz von Vollkommenheit scheint vermessen, ja unerreichbar zu sein. Byars war sich dessen bewußt, aber er war nicht bereit, sich mit dieser Unerreichbarkeit abzufinden. Sein Werk ließe sich als eine Kette unnachgiebiger “Dennochs“ sehen, die von dem Willen getragen sind, das Unerreichbare im Erreichbaren erscheinen zu lassen. 4 James Lee Byars hielt das Begehren des Unmöglichen für vernünftig und ist in seiner Kunst immer aufs “Ganze“ gegangen, zum Beispiel auf materielle Perfektion nicht metaphysischer Begriffsbilder oder auf die Paradoxie einer nicht harmonisierenden, die Möglichkeit einer neuen Ordnung avantgardistisch herausfordernden Schönheit: “Beauty goes Avantgarde“ (J.L.B.). Das konnte ein kleines Absolutes sein, provoziert im flüchtigen Augenblick einer Performance, das konnte in Form anmaßend prachtvoller Installationen wie “The Book of the Hundred Perfects“ (New York 1985) auftreten oder sich in einer goldenen Kugel konzentrieren, die er “The Monument to Language“ nannte (Paris 1995). Einen großen Teil seines Lebens widmete er dem Projekt eines (bis heute) unverwirklicht gebliebenen goldenen Turms, einer 333 Meter hohen goldenen Nadel, die mitten in Berlin errichtet werden sollte, so daß sie über den Wolken in den Himmel sticht, aber in eins als goldener Strahl aus dem Himmel zu uns herunterfährt. “Announce the perfect until it appears.“ (J.L.B.), das war das Motto der insistierenden Haltung James Lee Byars’. Wir verdanken ihr Augenblicke unverhoffter Vollkommenheiten, kompromisslose Subversionen des Nicht-Widerspruchs, die unverhofft auch politisch angehen könnten. Zum Beispiel “The Perfect Tear“, “The Perfect Thought“, “The Perfect Question“, “The Perfect Love Letter“, “The Perfect Quiet“, “The Perfect Book“, “The Perfect Sigh“, “The Perfect Doubt“, “The Perfect Kiss“, “The Perfect Death“ und schließlich und endlich “The Perfect Death of James Lee Byars“ (Brüssel 1994). Ein Parieren des Todes spielt besonders in den letzten Jahren seines Lebens eine zentrale Rolle in seinen Arbeiten. “Ich praktiziere den Tod“, 5 sagte James Lee Byars. In Anspielung auf eine Philosophie des Sterbenlernens wollte er den Tod “als eine ästhetische Idee, die Teil 6 meines Lebens ist“ denken. Viele seiner theatralischen Auftritte und raumgreifenden Konstellationen inszenieren dieses Denken. Zum Beispiel ein weißes Buch, auf dem sich eine lebendige weiße Cobra aalt oder die Aktion “The Play of Death“ (Köln 1976): “Byars mietet dreizehn Balkonzimmer im Dom-Hotel mit Blick auf den Domplatz. Um 12 Uhr Mittag erscheinen Byars und zwölf Doktoren, alle in Schwarz gekleidet, auf den Balkonen ihrer Zimmer. Byars haucht den Laut “th“ (für “thanatos“, Tod). 7 Dann ziehen sich die Akteure in ihre Zimmer zurück.“ Die Installation “The Perfect Death of James Lee Byars“ (Brüssel 1994) zeigt einen vollkommen mit Blattgold belegten Raum, in dem sich eine goldene Truhe und einige Funken sprühende Diamanten befinden. Byars 8 beschrieb diese Arbeit als “Einübung in meinen eigenen Tod“. Eine konkrete, materielle Inszenierung (s)eines Schongestorbenseins, die das Leben im Lichte des Todes als vollkommene materielle Form erscheinen lassen möchte: “Der goldene Raum zeigte, daß der Tod in letzter 9 Konsequenz die Vollkommenheit des Äußerlichen bewirkt.“ In der Performance “The Perfect Smile“ (Köln 1994) beschränkt sich Byars darauf, ein kaum eine Sekunde dauerndes Lächeln zu zeigen. Das wissende Lächeln eines Wiedergängers, das aus dem Reich des Todes zu kommen scheint? Der Augenblick eines orphischen Lächeln, das die Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig ankauft. Eine begehrenswerte Unmöglichkeit, durch Byars’ Insistenz in den Einzugsbereich des Möglichen entführt. James Lee Byars hat der Vergeblichkeit flüchtige Apparitionen eines Dennoch entwendet. Das ist das “total Positive“ seiner “fragenden Philosophie“. Diese zeigt sich in vermessen deplazierten Konstellationen aus goldenen Bildern, weißen Sätzen und schwarzen Aktionen: nicht positive Affirmation, die Frage-Zeichen entstehen lassen, wo Aura herrschte. James Lee Byars hat kleine fragile Absolutheiten hinterlassen, aufblitzende Schönheiten, Augenblicke, in denen Möglichkeiten des Unmöglichen überrascht haben könnten. Viele seiner inszenierten Konstellationen erschienen zu seinen Lebzeiten aus der Perspektive eines gelebten Todes – als ob er tot wäre. Was nach seinem faktischen Tod bleibt, sind Ephemera flüchtiger Augenblicke, die von der anderen Seite des Todes, aus dem Reich der Nicht-Toten, zu kommen scheinen – als ob er nicht tot wäre. Könnte man Byars’ Kunst des Sterbenlernens nicht als ein Angebot sehen, unser nicht gelebtes Leben vom Gesichtspunkt eines denkend angenommenen und ästhetisch gelebten Todes aus neu zu gewinnen? Könnte nicht darin die Schönheit seiner Spielformen von “Überlebenstod“ 10 bestehen? Kunst als ein Parieren des Todes, das Öffnungen einer unvordenklichen Lebenskunst atmet? Könnte eine solche Fragen stellende Kunst nicht Figurationen einer Aporie generieren, in der der Tod – wie Jacques Derrida nahelegt – an die Stelle von all dem treten kann, was nur möglich ist als das Unmögliche: Liebe, Freundschaft, Gerechtigkeit, 11 Anderer, Gabe, etc.? Der Tod von James Lee Byars lebt? Anmerkungen 1 James Lee Byars (im Gespräch mit Joachim Satorius), Kunst Heute Nr. 16, herausgegeben von Wilfried Dickhoff und Gisela Neven Du Mont, Köln 1996, Seite 47. 2 James Lee Byars, ebd., Seite 48. 3 Ebd., Seite 48. 4 Siehe Heinrich Heil, “Auf der Schwelle der Vollkommenheit“, in: James Lee Byars, Kestner Gesellschaft, Hannover 1999, Seite 44. 5 James Lee Byars, ebd., Seite 16. 6 Ebd., Seite 17. 7 James Elliott, “Biographie“, in: James Lee Byars, Kestner Gesellschaft, Hannover 1999, Seite 179. 8 James Lee Byars, ebd., Seite 20. 9 Ebd.. 10 Ebd., Seite 24. 11 Siehe Jacques Derrida, Aporien (Sterben – Auf die “Grenzen der Wahrheit“ gefaßt sein), München 1998, Seite 77 ff und Seite 126.
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