Landtag von Baden-Württemberg Antrag Stellungnahme

Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 6866
15. Wahlperiode
07. 05. 2015
Antrag
der Abg. Dr. Bernhard Lasotta u. a. CDU
und
Stellungnahme
des Ministeriums für Integration
Situation der Aramäer und anderer Flüchtlinge aus Syrien
und dem Irak
Antrag
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. wie sie die Lage der Menschen mit aramäischem, armenischem und jesidischem
Hintergrund in Syrien und im Irak nach ihrer Kenntnis beurteilt und insbesondere ob ihr Erkenntnisse über eine systematische Verfolgung dieser Bevölkerungsgruppen vorliegen;
2. inwieweit sie sich der Auffassung anschließt, dass es sich bei der Verfolgung um
Völkermord handelt;
3. inwiefern ihr bekannt ist, wie viele Aramäer, Armenier und Jesiden aus Syrien
und dem Irak sich seit Ausbruch des Krieges (2011) in Baden-Württemberg und
Deutschland befinden;
4. ob und wenn ja, auf welche Weise sie sich auf Bundesebene für die Aramäer,
Armenier und Jesiden in Syrien und im Irak explizit eingesetzt hat;
5. welche Möglichkeiten sie ergriffen hat bzw. sie ergreifen wird, um gezielt Opfer
von Gewalttaten und politischer Verfolgung aus diesem Personenkreis in BadenWürttemberg aufzunehmen;
6. ob es besondere Kontingente für medizinische Notfälle aus den Kriegsgebieten gibt;
7. welche Pläne sie für Kinder und Jugendliche hat, die durch Verfolgung bzw. die
Kriegsereignisse zu Waisen oder Halbwaisen geworden sind;
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Eingegangen: 07. 05. 2015 / Ausgegeben: 08. 06. 2015
Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet
abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente
Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“.
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Drucksache 15 / 6866
8. wie viele Frauen und Mädchen mit aramäischem, armenischem und jesidischem
Hintergrund sich unter den aufgenommenen Frauen und Mädchen aus dem Irak
und Syrien befinden, für die sie ein Sonderkontingent eingerichtet hat.
06. 05. 2015
Dr. Lasotta, Dr. Engeser, Pauli, Paal, Schütz CDU
Begründung
Zu den Aramäern gehören vor allem syrisch-orthodoxe, syrisch-katholische, melkitisch-griechische, melkitisch-griechisch-katholische, assyrische und chaldäischkatholische Christen. Daneben sind auch Armenier von den Taten betroffen, die
sich konfessionell in armenisch-apostolische und armenisch-katholische Christen
unterteilen. Alle zusammen machen ca. zehn Prozent der syrischen Bevölkerung
aus, im Irak sind es ca. fünf Prozent. Diese Bevölkerungsgruppen sehen sich im
Bürgerkrieg in beiden Ländern, insbesondere seitens des sogenannten Islamischen
Staats, besonderer Verfolgung und Gewalt ausgesetzt. Daher sucht ein Großteil Zuflucht im benachbarten Ausland oder in Europa. Mit dem vorliegenden Antrag wird
die Landesregierung um Auskunft gebeten, inwieweit sie sich für diese besonders
betroffenen Bevölkerungsgruppen eingesetzt hat und welche Möglichkeiten für die
Aufnahme und Betreuung im Land sie ergriffen hat.
Stellungnahme
Mit Schreiben vom 1. Juni 2015 Nr. 2-0141.5/15/6866 nimmt das Ministerium für
Integration in Abstimmung mit dem Staatsministerium, dem Innenministerium und
dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren zu
dem Antrag wie folgt Stellung:
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. wie sie die Lage der Menschen mit aramäischem, armenischem und jesidischem
Hintergrund in Syrien und im Irak nach ihrer Kenntnis beurteilt und insbesondere ob ihr Erkenntnisse über eine systematische Verfolgung dieser Bevölkerungsgruppen vorliegen;
2. inwieweit sie sich der Auffassung anschließt, dass es sich bei der Verfolgung um
Völkermord handelt;
Zu 1. und 2.:
Zu diesen Fragen ist zunächst auf die Zuständigkeit des Bundes zu verweisen. Das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat mitgeteilt, dass davon ausgegangen
wird, dass in allen Landesteilen Syriens Verfolgung in hohem Maße stattfindet.
Abhängig davon, wer in den jeweiligen Landesteilen die Vorherrschaft besitzt,
gehen Verfolgungsmaßnahmen entweder vom Assad-Regime oder von den Rebellen aus. Daneben wird angenommen, dass nach längerem Auslandsaufenthalt
bei Rückkehrern eine oppositionelle, regimefeindliche Haltung unterstellt wird.
Als Konsequenz dieser Bewertung wird in Folge des Zusammenwirkens dieser
unterschiedlichen Maßnahmen grundsätzlich Flüchtlingsschutz bzw. Asyl für Antragsteller aus Syrien festgestellt. Hiervon sind damit auch die angesprochenen
Personengruppen umfasst.
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Auch in Bezug auf den Irak vertritt das Bundesamt eine großzügige Schutzpraxis
bei Angehörigen von religiösen Minderheiten. So wird bei Jeziden, Christen und
Mandäern grundsätzlich von einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgegangen, die im Regelfall Flüchtlingsschutz bzw. Asyl zur Folge hat.
Für Angehörige anderer religiöser Minderheiten gilt, dass bei einem glaubhaften
Vorbringen ebenfalls Flüchtlingsschutz bzw. Asyl zuerkannt wird. Das Bestehen
interner Schutzmöglichkeiten in einem anderen Landesteil Iraks wird nur im Einzelfall angenommen.
Der Landesregierung liegen keine weitergehenden eigenen Erkenntnisse über die
Lage der Menschen mit aramäischem und armenischem Hintergrund in Syrien und
im Irak und über die Verfolgungssituation dieser Bevölkerungsgruppen vor. Der
Zentralrat der Jeziden in Deutschland sowie Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und humanitärer Nichtregierungsorganisationen haben der Landesregierung
Baden-Württemberg bei verschiedenen Anlässen die Situation insbesondere von
Kindern und Frauen aus dem Irak und Syrien vorgetragen, die im Zuge der kriegerischen Konflikte von ihren Familien getrennt wurden, teilweise engste Angehörige verloren haben und zu Opfern von traumatisierenden Erfahrungen und Gewalt
wurden.
Diese Angaben werden auch von den Vereinten Nationen bestätigt, die von systematischen Angriffen gegen bestimmte ethnische und religiöse Gruppierungen (darunter Jesiden, Kurden, Turkmenen und Christen) mit dem Ziel, diese zu vernichten, berichten (vergleiche: Human Rights Office of the High Commissioner for
Human Rights and United Nations Assistance Mission for Iraq Unami, Human
Rights Office Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict in Iraq
11 September to 10 December 2014).
Ob es sich bei der Verfolgung der vorgenannten ethnischen und religiösen Minderheiten durch staatliche und nichtstaatliche Akteure um Völkermord im völkerrechtlichen Sinne handelt, entzieht sich dem Urteil der Landesregierung.
3. inwiefern ihr bekannt ist, wie viele Aramäer, Armenier und Jesiden aus Syrien
und dem Irak sich seit Ausbruch des Krieges (2011) in Baden-Württemberg und
Deutschland befinden;
Zu 3.:
Beim Land und beim Bund liegt hierüber kein belastbares Zahlenmaterial vor, da
in den Statistiken in der Regel nur die jeweilige Staatsangehörigkeit erfasst wird.
Im Rahmen des Zensus vom 9. Mai 2011 bzw. des jährlichen Mikrozensus werden
in der amtlichen Statistik Bevölkerungsdaten nach Staatsangehörigkeiten nachgewiesen. Beide Erhebungen liefern jedoch keine landes- bzw. bundesweiten Angaben zu den religiösen bzw. ethischen Minderheiten.
Im Ausländerzentralregister des Bundes, das ebenfalls die Staatsangehörigkeiten
ausweist, erfolgt die Speicherung der Religionszugehörigkeit nur auf freiwilliger
Basis. Volkszugehörigkeiten werden hingegen nicht gespeichert. Insoweit liegen
zu Aramäern, Armeniern und Jesiden aus Syrien und dem Irak keine validen Zahlen vor.
Die nachstehende Tabelle nennt irakische und syrische Staatsangehörige, die seit
dem 1. Januar 2011 eingereist sind:
Irak
Syrien, Arabische
Republik
Summe
Deutschland – gesamt
32.067
119.718
151.785
Baden-Württemberg
3.890
10.547
14.437
Quelle: Ausländerzentralregister zum Stichtag 30. April 2015
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4. ob und wenn ja, auf welche Weise sie sich auf Bundesebene für die Aramäer,
Armenier und Jesiden in Syrien und im Irak explizit eingesetzt hat;
5. welche Möglichkeiten sie ergriffen hat bzw. sie ergreifen wird, um gezielt Opfer
von Gewalttaten und politischer Verfolgung aus diesem Personenkreis in BadenWürttemberg aufzunehmen;
6. ob es besondere Kontingente für medizinische Notfälle aus den Kriegsgebieten gibt;
Zu 4., 5. und 6.:
Die Landesregierung hat sich bei der Bundesregierung erfolgreich dafür eingesetzt,
dass in Baden-Württemberg ein Sonderkontingent für besonders schutzbedürftige
Frauen und Kinder aus dem Nordirak eingerichtet werden konnte. Baden-Württemberg ist das erste und bislang einzige Bundesland, das ein solches humanitäres
Hilfsprogramm durchführt. Im Zuge dieses Sonderkontingents erklärte sich die
Landesregierung bereit, über die sonstigen Aufnahmeverpflichtungen des Landes
hinaus bis zu 1.000 derzeit in der Region Kurdistan-Irak lebende Betroffene aufzunehmen und ihnen damit auch bei Bedarf die Möglichkeit einer therapeutischen
Begleitung anzubieten. Voraussetzung für die Aufnahme in das Sonderkontingent
ist, dass es sich um alleinstehende Frauen, ggf. mit ihren minderjährigen Kindern,
sowie Minderjährige handelt, die sich derzeit im Gebiet der Region Kurdistan
(Irak) aufhalten und Opfer traumatisierender Erfahrungen (insbesondere sexueller
Gewalt) im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Syrien und im Irak
geworden sind. In besonders begründeten Einzelfällen können auch weitere Familienangehörige oder sonstige Begleitpersonen einbezogen werden. Die ethnische
oder religiöse Zugehörigkeit ist jedoch für die Aufnahme in dieses Sonderkontingent aufgrund des staatlichen Neutralitätsprinzips nicht relevant.
Darüber hinaus hat das Innenministerium in den Jahren 2013 und 2014 zwei Aufnahmeanordnungen für jeweils bis zu 500 syrische Staatsangehörige erlassen, die
aufgrund des Bürgerkriegs in Syrien fliehen mussten und zu ihren in Baden-Württemberg lebenden deutschen oder syrischen Verwandten nachziehen konnten; ein
Aufnahmekontingent speziell für Aramäer, Armenier und Jesiden gibt es nicht.
Zusätzlich nimmt Baden-Württemberg im Rahmen der insgesamt 20.000 Personen umfassenden Bundesaufnahmeprogramme syrische Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel auf. Von diesen Programmen umfasst ist auch ein Anteil von
Schwerstkranken.
7. welche Pläne sie für Kinder und Jugendliche hat, die durch Verfolgung bzw. die
Kriegsereignisse zu Waisen oder Halbwaisen geworden sind;
Zu 7.:
Kinder und Jugendliche aus Syrien und dem Irak, die unbegleitet nach BadenWürttemberg einreisen, sind gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) vom jeweils örtlich zuständigen Jugendamt in Obhut zu
nehmen. Die Inobhutnahme umfasst die Befugnis, das Kind oder den Jugendlichen
bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen
Wohnform vorläufig unterzubringen. Das Jugendamt hat während der Inobhutnahme für das Wohl des Kindes zu sorgen und dabei den notwendigen Lebensunterhalt
und die Krankenhilfe sicherzustellen. Darüber hinaus ist unverzüglich die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers zu veranlassen. Während der Inobhutnahme ist
das Jugendamt berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des
Kindes oder Jugendlichen notwendig sind. Die Inobhutnahme umfasst insbesondere auch den sog. Clearing-Prozess, in dessen Rahmen die weiteren Hilfebedarfe
geklärt werden. In aller Regel schließt sich an die Inobhutnahme eine Hilfe zur
Erziehung nach den §§ 27 ff. SGB VIII an, die meist als Vollzeitpflege oder Heimerziehung geleistet wird. Die Fallkosten für die unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlinge werden den Jugendämtern gemäß § 89 d SGB VIII erstattet.
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Soweit Kinder und Jugendliche aus Syrien und dem Irak nach Baden-Württemberg einreisen, die von einer personensorge- oder erziehungsberechtigten Person
(z. B. der verwitweten Mutter) begleitet werden, unterfallen sie dem allgemeinen
Flüchtlingsaufnahmerecht. Davon ausgehend, dass der Aufenthalt rechtmäßig bzw.
geduldet ist, kann die personensorge- oder erziehungsberechtigte Person die im
Einzelfall erforderlichen Leistungen der Jugendhilfe nach dem SGB VIII in Anspruch nehmen.
8. wie viele Frauen und Mädchen mit aramäischem, armenischem und jesidischem
Hintergrund sich unter den aufgenommenen Frauen und Mädchen aus dem Irak
und Syrien befinden, für die sie ein Sonderkontingent eingerichtet hat.
Zu 8.:
Hierüber liegen der Landesregierung keine detaillierten Informationen vor, da die
ethnische oder religiöse Zugehörigkeit der Frauen und Kinder, die in das Sonderkontingent aufgenommen werden, nicht erfasst wird.
Öney
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