Presseartikel Stuttgart, 06. Oktober 2015 Strenge Abgasregelungen haben weltweit Gewichtsreduktion bei Pkw zur Folge – Hersteller in Deutschland setzen beim Leichtbau auf intelligenten Materialmix – Grundsätzlich steht ein Paradigmenwechsel an In den vergangenen Jahren galt im deutschen Automobilbau die Carbonfaser als das Maß der Dinge. Doch der Trend geht jetzt auch hierzulande wie in den Vereinigten Staaten zum Aluminium. Anders als in den USA setzen die deutschen Hersteller aber in der Serienfertigung überwiegend auf einen intelligenten Materialmix aus Stahl, Aluminium und Carbon. In Deutschland brachte Audi vor 20 Jahren mit dem Space Frame eine Innovation in Sachen Aluminium-Leichtbau auf den Markt. Der US-amerikanische Hersteller Ford ist mit der Aluminium-Version des Ford F-150 aber in eine ganz neue Dimension im automobilen Leichtbau mit Aluminium vorgestoßen. Im ersten Produktionsjahr sollen 700.000 Exemplare gebaut werden. Ford ist damit zum weltweit größten Hersteller von Aluminium-Karosserien avanciert und produziert in diesem Segment in Serie mehr als alle anderen Hersteller zusammen. Es gibt dadurch einen großen Bedarf an Leichtmetall-Know-how, von dem es viel in Deutschland und speziell im Bundesland Baden-Württemberg gibt. Dass bei den Fahrzeugen das Gewicht sinkt, hat seinen guten Grund. Überall auf der Welt haben die Gesetzgeber strenge Abgasnormen erlassen. In der Europäischen Union muss der Flottenausstoß von aktuell 130,4 g/km bei den Neuzulassungen bis 2020 auf 95 Gramm sinken. Den Herstellern steht bei der Gewichtsreduktion eine große Aufgabe bevor. Entsprechend hoch wird wohl die Nachfrage nach Leichtbau-Werkstoffen ausfallen. Laut der "2015 North American Light Vehicle Aluminum Content Study" des US-amerikanischen ConsultingUnternehmens Ducker worldwide hat sich in den USA das Gewicht des verwendeten Aluminiums in Fahrzeugen seit 1975 von knapp 50 auf aktuell 175 Kilogramm gesteigert. Ducker schätzt, dass sich dieser Wert bis 2025 noch mal auf 275 Kilogramm erhöht. In Deutschland sehen die Prognosen ähnlich aus. Lag der Aluminiumanteil bei Fahrzeugen europäischer Produktion 1978 bei 32 Kilogramm und 2002 schon bei 120 Kilo, soll er 2015 im Durchschnitt auf 160 Kilo anwachsen, schätzt der Gesamtverband der Aluminiumindustrie (GDA). Europa geht allerdings in puncto Aluminium bisher einen anderen Weg und setzt auf einen Mix aus Aluminium und Stahl. In Deutschland sind nahezu reine Aluminium-Chassis aktuell eher noch eine Angelegenheit für das Premium-Segment: Beim neuen Sportwagen Mercedes-AMG GT besteht der gewichtsoptimierte Spaceframe zu über 90 Prozent aus Aluminium-Komponenten, was zu 1 PM Fahrzeugvergleich Leichtbau V02R03_kurzversion Mirko Hertrich einem niedrigen Leergewicht des Gesamtfahrzeugs von 1540 Kilogramm führt. Mit Hilfe der Topologieoptimierung wurden die Gusskomponenten gezielt gewichtsoptimiert. Doch auch in der Serie setzt Mercedes-Benz im Materialmix auf Aluminium. Dank intelligentem und innovativem Leichtbau ist das neue C-Klasse T-Modell mit Aluminium-Hybridkarosserie sowie Vorderkotflügel, Motorhaube, Heckklappe, Türen, Rückwandtür und der DachBeplankung aus Aluminiumblech um etwa 65 Kilogramm leichter als sein vergleichbares Vorgängermodell. Audi ist in Deutschland der Pionier im Aluminium-Leichtbau, doch auch dieses Unternehmen setzt auf den Materialmix – wie beispielshaft am neuen Q7 zu sehen ist. Um bis zu 325 Kilogramm konnte das Gewicht des neuen Modells im Vergleich zur Vorgängerbaureihe reduziert werden. Den Kraftstoffverbrauch des Q7 haben die Audi-Ingenieure um bis zu 28 Prozent (TFSI) beziehungsweise 23 Prozent (TDI) gesenkt. Der bayerische Automobilhersteller BMW machte in der jüngeren Vergangenheit in Sachen Leichtbau vor allem durch den Einsatz von Carbon in seinen Modellen i3 und i8 von sich Reden. Die Karosseriestruktur des leichten Elektrofahrzeugs BMW i3 besteht beispielsweise vollständig aus Carbonfasern. In den ersten sechs Monaten 2015 verkaufte der Konzern laut Medienberichten mehr als 12.500 i-Fahrzeuge, etwa jedes zehnte davon in Deutschland. Damit sind die E-Fahrzeuge weit einer Serienfertigung entfernt, im Gegensatz zur neuen 7erReihe. BMW hat bei dem neuen Premium-Modell nach eigenen Angaben "zum ersten Mal im industriellen Maßstab" auf eine Mischbauweise aus Stahl, Aluminium und Karbon gesetzt. Insgesamt spart BMW im Vergleich zum Vorgänger netto 200 Kilo ein. 70 Kilo hat der nächste 7er durch neue Assistenz- und Komfortfeatures wieder zugelegt, weshalb am Ende eine "Minus 130" auf der Waage steht. Porsche setzt beim 918 Spyder ganz auf Carbon. Dank seines geringen Gewichts und einer Systemleistung von insgesamt 887 PS verbraucht der bis zu 345 km/h schnelle HybridSupersportwagen kombiniert nur rund 3 Liter pro 100 Kilometer. Das entspricht einem CO2Ausstoß von 70 Gramm je Kilometer. Das Leichtbau-Know-how soll jetzt auf das neue Modell Porsche Mission E übertragen werden. Bei allen Werkstoff-Tendenzen zu Aluminium und Carbon sowie Multi-Material-Design (MMD) sollte man Stahl aber nicht vergessen. Pierre Labat, Vice President und General Manager Automotive von Novelis, sagte jüngst in einem Interview: "Stahl spielt weiterhin eine große Rolle, dort schläft man nicht und bringt laufend innovative Produkte auf den Markt. Per 2015 werden rund 80 Millionen Tonnen Stahl und 1 Million Tonne Aluminium in Autos verbaut, unsere Prognose geht für 2020 von 2,2 Millionen Tonnen Alu aus. Aluminium wird an Bedeutung gewinnen, aber den Stahl keineswegs verdrängen." Welchem Werkstoff die Zukunft gehört, ist noch offen. Heinrich Timm, geistiger Vater des Audi Space Frame, sagte: "Es werden auch zukünftig funktionsabhängig alle verfügbaren Leichtbautechnologien benötigt. Entscheidend ist, dass der Wettbewerb zwischen den Materialien bestehen bleibt, da dies den Standort Deutschland zum Vorteil aller weiter voranbringt." 2 PM Fahrzeugvergleich Leichtbau V02R03_kurzversion Mirko Hertrich Das Multimaterialdesign – die Bezeichnung nimmt es schon vorweg – rückt die wechselseitige Kompatibilität unterschiedlicher Werkstoffe in den Fokus. Dabei steigt die Bedeutung von Verbindungs- und Fügetechniken. Doch mit dem Zusammenfügen unterschiedlicher Materialien muss gleichzeitig immer in die Betrachtung eingeschlossen sein, wie sie sich wieder trennen lassen. Schließlich verfolgt der Leichtbau das Ziel Ressourcen zu schonen und Stoffkreisläufe zu schließen. Der Vergleich der verwendeten Werkstoffe in den aktuellen Automobilen zeigt, dass die Hersteller, national wie international, unterschiedliche Richtungen einschlagen und sich bisher kein eindeutiger herauskristallisiert hat. Möchte man dennoch zumindest eine Tendenz formulieren, so lässt sich sicher sagen, dass produzierte Stückzahlen sowie Preis, den der Endkunde für das Produkt berappt, einen Einfluss auf die Materialauswahl haben. Im PkwPremiumsegment, bei kleinen Stückzahlen und hochpreisigen Fahrzeugen wird tendenziell auch Carbonfaser verbaut (werden). In der Großserie und bei vergleichsweise geringen Preisen für das Endprodukt werden die Autobauer wohl auch mittel- und langfristig auf Metall setzen. Der Wettbewerb der Werkstoffe wird uns also noch ein Weilchen erhalten bleiben. Gleichzeitig zeichnet sich am Horizont ein neuer Trend im Leichtbau ab: der Übergang von Leichtbau als "Materialschlacht" hin zu intelligenten Produkt- oder Funktionskonzepten. Erste Beispiele dafür sind von der Automobilindustrie bereits auf die Straße gebracht worden; in Zukunft werden wir davon wesentlich mehr sehen. Leichtbau kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Lücke zu den Vorgaben der gesetzlichen Abgas-Normen zu schließen. 3 PM Fahrzeugvergleich Leichtbau V02R03_kurzversion Mirko Hertrich
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