Ein zweifacher Lohn

«Erfahrungen in weit entfernten Berufsfeldern
tragen oft zu einem frischen Blick und
innovativen Lösungs­ansätzen bei und können
ebenso wertvoll sein.»
Lukas Vonesch, Leiter Campus Recruiting und Young Talents Credit Suisse
Arbeiten neben dem Studium
Ein zweifacher Lohn
Geld zu verdienen neben dem Studium, ist für die meisten ­
Studierenden eine Notwendigkeit. Doch selbst wenn
sich d
­ adurch der Abschluss verzögere, zahle sich die b
­ erufliche ­
Tätigkeit nicht nur finanziell aus – sagen Arbeitgeber.
Text Kujtim Sabani
«Sie verfügen über Berufspraxis», heisst es
häufig in Stelleninseraten. Oft wird sogar
eine mehrjährige Erfahrung verlangt. Anfor­
derungen, die für Studienabgänger in der
Regel eine hohe Hürde darstellen. Wer unter
ihnen arbeitslos und beim RAV angemeldet
ist und sich nur für Stellen bewirbt, für die
keine Erfahrung verlangt wird, dürfte nur
schwer auf die erforderliche Zahl monat­
licher Arbeitsbemühungen kommen. Besser
sieht es für jene Hochschulabgänger aus,
die eines oder mehrere im Rahmen ihres
­Studiums absolvierte Praktika im Lebens­
lauf aufführen können. Mehr Chancen kann
sich jedoch ausrechnen, wer während des
«Arbeiten war
für mich auch eine
­Abwechslung
zum Unialltag.»
Anita Arnold,
Master in Psychologie
Stu­diums gemachte berufliche Erfahrungen
vorweisen kann. Und das ist in der Schweiz
immerhin eine Mehrheit der Studenten.
«Mehr als drei Viertel der Studierenden
sind während des Studiums erwerbstätig.
Die grosse Mehrheit davon arbeitet auch
­während des Semesters», bestätigt Claudia
Bötschi, ­Leiterin des Fachbereichs Studienund ­Laufbahnberatung des Kantons Bern.
Arbeiten neben dem Studium – eine
Selbstverständlichkeit
Die Studienberaterin verweist auf eine
­neuere Studie des Bundesamtes für Statistik
(BFS). Aus dieser geht hervor, dass über
6
der arbeitsmarkt 4_2011
80 Prozent der Studierenden der Geistesund Sozialwissenschaften arbeiten; bei
den ­exakten und Naturwissenschaften
sowie den technischen Wissenschaften sind
es knapp 65 Prozent. Bei Letzteren erschwe­
ren straffer organisierte Studien­pläne eine
Erwerbs­tätigkeit. Die meisten ­Studierenden
arbeiten rund 20 Prozent.
Ermira Islami war sogar 15 bis 18 Stunden
die Woche als Call-Agentin tätig. «Im ersten
Jahr hatte ich grosse Schwierigkeiten, Arbeit
und Studium unter einen Hut zu bringen»,
erinnert sie sich. Sie musste schlechte Noten
in den Prüfungen hinnehmen. Mit der
Zeit habe sie die Situation aber in den Griff
bekommen und ihr Studium der Medienund Kommunikationswissenschaft im
­Rahmen der dafür vorgesehenen Semester
abgeschlossen.
Das gelinge jedoch nicht allen Studieren­
den gleich gut, weiss Studienberaterin
­Bötschi. «Viele erleben es als Belastung. Nicht
immer lässt sich der Studienplan problemlos
mit dem Job kombinieren, und jedes Semes­
ter muss wieder neu jongliert werden.» Eine
arbeitsbedingte Verzögerung des Abschlusses
sei oft unumgänglich, aber «nicht weiter
­tragisch».
Geld verdienen – aber nicht nur
Personalverantwortliche teilen Bötschis
­Einschätzung grösstenteils. Ein Verzug des
Studiums spiele bei Bewerbungen nach dem
Abschluss eine untergeordnete Rolle, «so­
lange nicht wie früher ‹ewige› Studenten
­daraus ­erkennbar sind», sagt zum Beispiel
Sybil Schweiss, HR-Verantwortliche beim
Depar­tement für Wirtschaft, Soziales und
Umwelt Basel-Stadt und mit ihrem Team
für rund 1100 Mitarbeitende zuständig.
­Wichtiger seien ­Eigeninitiative, ­Motivation,
Foto: Simone Gloor
Arbeitswelt
«Mir ging es um
Selbständigkeit; ich
wollte wissen,
was es heisst, zu
arbeiten und selber
Geld zu verdienen.»
Sarah Binz, Lizentiat
in Rechtswissenschaften
Unab­h ängigkeit und schliesslich auch
­Berufserfahrung.
Auch für Peter ­Gautschi ist Arbeitser­
fahrung ein Plus. Für den Leiter der Fach­
stelle Grundlagen und Strategien sowie
­stell­ver­­tre­tenden Leiter Kantons- und
­Stadt­entwicklung Basel-Stadt punkten Stu­
dienab­gänger – ­sofern sie das gewünschte
An­forderungsprofil ­erfüllen – aber auch mit
ihrer «Frische und Unvoreingenommenheit».
Lukas Vonesch, Leiter Campus Recruiting und
Young Talents der Credit Suisse, legt Wert
auf eine gute Balance: «Sowohl ein zügiger
Studienabschluss als auch Berufserfahrung
neben dem Studium zeugen von hoher Moti­
vation, Disziplin und Organisationstalent
der Kandidaten und sind somit positive
­Vorzeichen.»
Für viele Studierende dient Arbeit primär
dazu, das Studium mitzufinanzieren. Aber
nicht nur. Anita Arnold, Master in Psycholo­
gie, hat während des Studiums eine Vielzahl
von Jobs ausgeübt. Sie war Animatorin,
­Mitarbeitende an einer Museumskasse, Lern­
hilfe für Kinder und Jugendliche und Promo­
torin. Durchs Arbeiten habe sie das Studium
mitfinanziert, «die Tätigkeiten waren für mich
jedoch auch eine Abwechslung zum Uniall­
tag», betont sie. Sarah Binz, Lizentiat in Rechtswissenschaften, arbeitete in der Schreinerei
«Im ersten Jahr
hatte ich grosse
Schwierigkeiten,
Arbeit und Studium
unter einen Hut zu
bringen.»
Ermira Islami, Lizentiat in Medien- und
Kommunikationswissenschaften
4_2011 der arbeitsmarkt
7
«Die Studierenden sollen sich
getrauen, bereits nach dem Bachelor ins
Berufsleben einzutauchen.»
neben dem Studium sei bei Vorstellungs­
gesprächen wohlwollend aufgenommen
worden, erinnert sich Sarah Binz. Und ­Ermira
Islami sagt, Arbeitgeber hätten ihre Arbeit
im Verkauf gewürdigt.
Peter Gautschi, Leiter der Fachstelle Grundlagen und Strategien und
stellvertretender Leiter Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt
ihres Onkels, wo sie sich von der Buchhaltung
über das Platzieren von Inse­raten bis hin zur
Montage betätigte. Danach arbeitete sie als
Bibliothekarin in einer ­Anwaltskanzlei, hatte
einen kurzen Einsatz als Contractor bei Price­
waterhouseCoopers und ist seit 2003 Mitglied
des Wahlbüros in Schlieren. «Ich war nicht
auf das Geld angewiesen. Mir ging es um Selb­
ständigkeit; ich wollte wissen, was es heisst,
zu arbeiten und selber Geld zu verdienen»,
sagt die Anwältin. Es sei eine Frage der Erzie­
hung gewesen; sie habe von klein auf in den
Schulferien ­gearbeitet.
Welche Arbeit ist gefragt?
Auf Kompetenzen, die sich dank ­Arbeits­praxis
gewinnen lassen, legen Firmen grossen
Wert. Im Idealfall haben stellensuchende
­Absolventen in ihrem zukünftigen ­Berufsfeld
gearbeitet. «Aus unserer Beratungs­erfahrung
können wir es klar bejahen», sagt ­Claudia
Bötschi. «Wer während des Studiums Erfah­
rungen in relevanten Arbeitsfeldern gesam­
melt hat, punktet beim Bewerbungsver­
fahren.» Je mehr die Erwerbs­tätigkeit neben
dem Studium mit dem angestrebten Beruf
zu tun hat, desto hilfreicher sei dies für
die Stellensuche nach dem ­A bschluss.
Denn dabei sammelten die Studierenden
nicht nur branchenspezifische Kenntnisse
und Kompetenzen, sondern «erwerben rele­
vante Arbeitszeugnisse und können das
­Kontaktnetz für die Stellensuche ­verwenden».
Nur lässt sich häufig keine passende
­Arbeit finden. Oft gelinge es erst im ­Verlaufe
des Studiums, auf Jobs zu wechseln, die
­einen inhaltlichen Bezug zu diesem ­haben,
gibt Bötschi zu bedenken. «Etwa die Hälfte
der Studierenden arbeiten in Jobs, die keine spezifische Ausbildung voraussetzen,
in Hilfsjobs.» Während des Studiums zu
­arbeiten, lohnt sich für den Einstieg ins
­Berufsleben dennoch, weiss die Fachfrau
für Laufbahnberatung. Für Stellensuchende
nach dem Hochschulabschluss zahle sich
eine ­vorangegangene berufliche Tätigkeit
aus. «Sie zeigt, dass man fähig ist, mit
­Belastungen umzugehen. Zudem sind Er­
fahrungen in der Arbeitswelt wichtig, weil
dort der Umgang mit Hierarchien oder mit
Vorgaben gelernt wird.»
Das bestätigen Personalverantwortliche.
«Natürlich wird sich ein Kandidat, der ­bereits
Arbeitserfahrung in einem verwandten
­Beruf hat, etwas schneller in die Aufgaben
einarbeiten und wohl etwas besser einschät­
zen können, was das Jobprofil beinhaltet»,
sagt Lukas Vonesch von der Credit Suisse.
«Andererseits tragen gerade Erfahrungen in
weit entfernten Berufsfeldern oft zu einem
­frischen Blick und innovativen Lösungs­
ansätzen bei und können in diesem Sinne
ebenso wertvoll sein.» Um als Absolvent oder
Absolventin in das «Career Start»-Programm
der Bank aufgenommen zu werden, das
den Einstieg in die Berufswelt garantieren
soll, zählen – nebst Leistungsbereitschaft –
Eigeninitiative und Teamfähigkeit. Kom­
petenzen also, die sich auch bei einer
­unspezifischen Arbeit aneignen lassen.
Für Fachstellenleiter Peter Gautschi kann
bereits gewonnene spezifische berufliche
­Erfahrung eine wichtige zusätzliche Qualifi­
kation sein. Aber er schätze es, wenn Absol­
venten «grundsätzlich» Berufserfahrungen
gesammelt haben. «Hat jemand also, um
Geld zu verdienen, beispielsweise als Ski­
lehrer gearbeitet und möchte nun in der
«Wer schon während des Studiums
Erfahrungen in relevanten
Arbeitsfeldern gesammelt hat, punktet
beim Bewerbungsverfahren.»
Claudia Bötschi, Leiterin des Fachbereichs Studien- und
Laufbahnberatung Kanton Bern
Kantons- und Stadtentwicklung mitwirken,
zählt seine als Skilehrer erworbene Sozial­
kompetenz.» Auch Sybil Schweiss vom
­D epartement für Wirtschaft, Soziales
und Umwelt Basel-Stadt anerkennt solche
­Wer­degänge. Bewerbende würden als «engagiert, vielseitig, experimentierfreudig und
poly­valent» wahrgenommen.
Diese Einschätzung von Arbeitgeberseite
bestätigen die Absolventinnen: Ihre Tätigkeit
«Die Interessen können vielfältig
sein, trotzdem muss eine
klare Zielsetzung erkennbar sein.»
Sybil Schweiss, HR-Verantwortliche beim Departement
für Wirtschaft, Soziales und Umwelt Basel-Stadt
8
der arbeitsmarkt 4_2011
Früher in die Arbeitswelt
Es liegt also kein Widerspruch zwischen
Studieren und Arbeiten vor. Studierende
sind im Gegenteil aufgefordert, neben dem
Studium zu arbeiten. Später gelte es,
­neben dem Arbeiten sich weiterzubilden.
Immer am Ball bleiben lautet die Devise.
Zuerst aber müssen Studienabgänger an
den Ball ­beziehungsweise an den Job kom­
men. Und dafür fordern Personalverantwort­
liche weitere Kriterien. So müsse etwa die
Motivation in einer Bewerbung zum Aus­
druck kommen. «Die Interessen können viel­
fältig sein, trotzdem muss eine klare Ziel­
setzung erkennbar sein. Ansprüche dürfen
durchaus gestellt werden, sollen aber dem
Lebenslauf ent­sprechend angemessen sein»,
bringt es Sybil Schweiss auf den Punkt. ­­Zudem
sollte das Bewerbungsdossier übersichtlich
und gut strukturiert sein mit informativen
und ­präzisen Angaben zu allen ­relevanten
Daten. Und man müsse den Markt- und
­Eigenwert kennen oder zumindest im
­Ansatz einschätzen können. Lukas Vonesch
legt Wert auf ­Eigeninitiative: «Es lohnt sich
bei extrakur­rikulären Aktivitäten an der
Uni und in ­Tätigkeiten neben dem Studium,
Verantwortung zu übernehmen und, wenn
möglich, Leadership zu zeigen.»
Neben guten Abschlussnoten und Refe­
renzen wirkt für Peter Gautschi eine klare
Haltung gegenüber einer zukünftigen Arbeit
überzeugend. «Man kann sich schon ­während
des Studiums überlegen, wohin die Reise
geht, und Schwerpunkte, Seminararbeiten
und die Abschlussarbeit inhaltlich intelligent
darauf ausrichten.» Und er geht noch einen
Schritt weiter. Studierenden macht er Mut, von
den Erneuerungen, die die Bologna-Reform
mit sich gebracht hat, zu profitieren und früh
die Universität zugunsten der ­Arbeitswelt
­einzutauschen. «Die Studierenden sollen
sich getrauen, bereits nach dem Bachelor ins
­Berufsleben einzutauchen.» Und er appelliert
auch an die Arbeitgeber: «Ich habe sehr
gute Erfahrungen mit ­Bachelor-Absolventen
­gemacht und möchte ­andere Arbeitgeber
­ermutigen, dieser Form eines akademischen
Abschlusses mehr zu­zutrauen.» ❚
Arbeitswelt