unglaublich hanseatisch 1 unglaublich hanseatisch – HBI: Die Hansestadt Bielefeld Bielefeld war Hansestadt – sicherlich nicht ein Mitglied ersten Ranges, sondern auf den hinteren Plätzen. Und dennoch: Hansetypische Waren wie Pelze, Salz, Stockfisch oder Wachs gelangten aus Europa nach Bielefeld, umgekehrt exportierten die Bielefelder Händler Produkte in den Hanseraum oder trieben nach ihrer Niederlassung in den Hansezentren erfolgreich Handel. Dr. Jochen Rath 2 unglaublich hanseatisch Die Hanse – jeder kennt sie dem Namen (vom althochdeutschen hansa = Gruppe, Gefolge, Schar) nach. Verbreitete Vorstellungen werden von romantisierenden Reflexionen, populären Projektionen und touristischen Interessen (Störtebecker!) geprägt. Das Phänomen Hanse entzieht sich jedoch vielen einer klaren Definition. Die über fünf Jahrhunderte bis 1669 existente Hanse war eine Organisation niederdeutscher Fernkaufleute und zugleich ein Verband von etwa 70 – nach damaligen Maßstäben – großen und 100 bis 130 kleinen Städten, in denen eben jene Kaufleute ein Bürgerrecht besaßen. Eine verbindliche Liste ihrer Mitgliedsstädte hat die Hanse, dem wiederholten Drängen der Monarchen und Landesherren zum Trotz, niemals vorgelegt. Sie verfolgte wirtschaftliche Ziele, indem sie ihren Handel durch europäische Monarchen gegenüber Konkurrenten privilegieren ließ, und politische Absichten, um städtische Autonomie gegen die sich verdichtenden Landesherrschaften im Reich zu behaupten. Diese doppelte Dichotomie (so Rolf Hammel-Kiesow) charakterisiert die Hanse. Die Hansekaufleute kamen aus einem Raum von den Küsten der Niederlande bis in das Baltikum, von der Ostseeinsel Gotland bis nach Köln, Erfurt und Krakau. Ihr Handelsgebiet kann mit der Lage der vier Hansekontore grob umrissen werden, die im flandrischen Brügge, in London (Stalhof), Bergen in Norwegen (Deutsche Brücke – „Bryggen“) und im russischen Nowgorod (Peterhof) lagen. Vereinfacht dargestellt, beruhte der Hansehandel auf dem Tausch von Waren: Rohstoffe, Halbfertigprodukte und Lebensmittel aus Nord und Ost gegen gewerbliche Fertigprodukte aus dem Westen. Exportiert wurde über See zunächst mit Koggen und Holk und über Land. 3 Wappen der Hansekontore Brügge Nowgorod London Bergen aus: Georg Sartorius, Geschichte des Hanseatischen Bundes, 3 Bde., Göttingen 1802/03/08, hier Bd. 2 (Ratsgymnasium Bielefeld, 2240) 4 Der Bremer Koggen von 1380 Am 8. Oktober 1962 wurde bei Baggerarbeiten für die Hafenerweiterung im Weserschlamm bei Bremen-Rablinghausen das Wrack eines Koggen (landläufig „die Kogge“) entdeckt. Dieser wichtigste Schiffstyp der Hanse bis 1400 war zuvor nur von Siegelabbildungen und Stichen bekannt. Dendrochronologische Untersuchungen datierten das Schiff anhand der festgestellten Jahresringe des Eichenholzes auf etwa 1380. Der Bremer Koggen selbst war offensichtlich noch vor seiner Fertigstellung durch Sturm und/oder Hochwasser weserabwärts abgetrieben worden und gesunken. Werkzeuge und Baumaterial am Fundort und der unvollendete Ausbau des Schiffs unterstützen diese These. Photogrammetrische Aufnahme des Bremer Koggen, aus: Jörgen Bracker/Volker Henn/Rainer Postel (Hg.), Die Hanse – Lebenswirklichkeit und Mythos, Hamburg 1989, S. 568 5 Mehr als 2.000 Einzelteile wurden bis 1965 geborgen und anschließend wieder zusammengesetzt – sieben Jahre puzzelten Fachleute an der Rekonstruktion, wobei nicht alle Teile erfolgreich zugeordnet werden konnten. Das Zusammensetzen war auch eine körperliche Herausforderung, da eine relative Luftfeuchtigkeit von 97 % nicht unterschritten werden durfte, um das mehr als 600 Jahre alte Holz nicht einem rapiden Austrocknungs- und Zerfallsprozess auszusetzen. Die Konservierung des Koggen im Deutschen Schiffahrtsmuseum vollzog sich in einem zweistufigen langwierigen Tränkverfahren. 17 Jahre lang lag die Kogge nacheinander in zwei unterschiedlichen Polyethylenglykol-Bädern. Erst im Jahr 2000, also 38 Jahre nach seiner Entdeckung, war der Koggen – mühsam befreit von erstarrten Kunstwachs-Krusten – schließlich unverstellt zu sehen. Foto: Stadtarchiv Bielefeld 6 Bielefeld langer Weg in die Hanse Erst 1540 stieß Bielefeld endgültig zur Hanse, sehr spät im Vergleich zu den Nachbarstädten Minden, Herford und Lemgo, die schon im 15. Jahrhundert Hansetage besucht hatten. Bielefeld zählte danach zu den westfälischen Prinzipalstädten, deren Bürger direkt von den hansischen Privilegien profitierten, die Beiträge leisteten und zu Tagfahrten verschiedenster Ebenen geladen wurden. Unter den Hansestädten rangierte Bielefeld auf einem der hinteren Ränge, was sich in der mangelnden Teilnahme an den Versammlungen und in der geringen Beitragshöhe niederschlägt. Und dennoch: Hansetypische Waren wie Salz, Stockfisch, Wachs, Tuche oder Pelze gelangten nach Bielefeld, umgekehrt exportierten die Bielefelder Händler Bier, Garn und Leinwand in den Hanseraum oder trieben nach ihrer Niederlassung in den Hansezentren erfolgreich Handel. Bielefeld profitierte lange Zeit von der Hanse, ohne Mitglied zu sein – für ein „HBI“-Kennzeichen reicht es so nicht. Folgenlos blieb Bielefelds Listung unter den Städten, die auf Anordnung des Lübecker Hansetages 1473 von Münster und Dortmund über bevorstehende Friedensverhandlungen mit England unterrichtet werden und eigene Stellungnahmen abgeben sollten. 1506 war Bielefeld auf dem Weg, Prinzipalstadt zu werden, als es in den Matrikeln der neu verhandelten Tohopesate („Zusammensetzung“ – Pakt gegen landesherrliche Übergriffe) von 1494 mit einem Beitrag von 10 Rheinischen Gulden genannt wurde – schon 1443 war Bielefeld in einem Entwurf aufgeführt worden. Noch bevor es zu einer Vollmitgliedschaft kommen konnte, stufte der Hansetag von 1518 Bielefeld wieder herab, so dass es zwar von Hanseprivilegien profitieren, aber zu Hansetagen nicht geladen werden sollte. 7 Tatsächlich darf Bielefeld erst ab 1540 definitiv zur Hanse gezählt werden, als der Verband seinen Zenit bereits überschritten hatte. Die vom schwach besuchten Hansetag beschlossene Hanseordinanz erwähnte sechs neue Städte in Westfalen, darunter Bielefeld. 1549 wurde die Stadt auch mit einem Beitrag eingestuft. Der hansische Handelsraum aus: Johann Angelius Werdenhagen, De rebus publicis Hanseaticis et earum celeberrimae confoederationis societate, Tractatus primus, Leiden 1641 (Ratsgymnasium Bielefeld, E II 298) 8 Waren aus dem Hanseraum Der Hansehandel verbreitete Bielefelder Produkte in ganz Norddeutschland und im gesamten Nord- und Ostseeraum. Tuche (seit 1309 verfügten die Bielefelder Kaufleute über ein Privileg, das ihnen allein den Zuschnitt erlaubte) waren die typisch Bielefelder Ware, die auf den Handelswegen Verbreitung fand. Umgekehrt flossen Waren in die Stadt, die innerhalb ihrer Mauern und im Umland nicht oder in nicht ausreichenden Mengen oder gewünschter Qualität produziert wurden: Pelze: Der Luxusartikel der Kaufleute wurde aus Osteuropa importiert. Eichhörnchen, Hermelin und Nerz waren attraktiver als der heimische Fuchs. Pelz war Statussymbol, das nicht nur wegen des Preises einflussreichen und vermögenden Bevölkerungsgruppen vorbehalten blieb. Kleiderordnungen regelten über Jahrhunderte hinweg die textile Ausstattung einer ständisch gegliederten, geschichteten Gesellschaft: Farbe, Knöpfe und eben auch Pelzapplikationen. Salz: Kam aus dem Lüneburger Raum und würzte Lebensmittel, macht sie vor allem aber über längere Zeiträume haltbar. Das „Weiße Gold“ sicherte Lüneburg über Jahrhunderte hinweg eine prominente Position innerhalb der Hanse. Die auf einer reichen Salzsole gegründete Stadt gehörte zu den letzten Kommunen, die Hansetage besuchten. Stockfisch: Das leicht konservierbare Lebensmittel – vor allem Kabeljau aus Norwegen – versorgte die Bevölkerung besonders in den religiös verpflichtenden Fastenperioden. Bernstein: Das versteinerte Harz kommt an der Ostsee vor. Die fossile Steine – Einzelexemplare wiegen bis zu 10 kg! – wurden zu Gebetskränzen und anderen religiösen 9 und liturgischen Gegenständen verarbeitet, die in einer gottesfürchtigen Gesellschaft massenhaft Absatz fanden, um das Seelenheil zu sichern. Wachs: Für die Kerzenherstellung war Wachs elementar. Kerzen dienten einerseits der Beleuchtung von Gebäuden (Wohn- und Geschäftshäuser, Kirchen), andererseits dem Totengedenken. Zahlreiche Testamente des Mittelalters halten fromme Stiftungen von Wachs fest. Bernstein (geschliffen / ungeschliffen); NAMU, Bielefeld 10 Bielefeld und die Tagfahrten Zu den seit 1356 stattfindenden Hansetagen versammelten sich Städtevertreter mitunter mehrmals im Jahr – Bielefeld war hier nicht ein einziges Mal vertreten. Allerdings besuchten auch die großen westfälischen Hansestädte, die „Vororte“ Münster, Soest, Osnabrück und Dortmund keineswegs jede Tagfahrt. Dieses war kein Desinteresse, sondern lag am vereinbarten Procedere, dem zufolge die Vororte und andere Städte nach einem schriftlichen Beteiligungsverfahren und Vorgesprächen mit ausdifferenzierten Instruktionen bevollmächtigt wurden, um die Gesamtvertretung und Einzelinteressen wahrzunehmen. Die Hanse unterteilte sich aus organisatorischen Gründen in Drittel, wobei Bielefeld dem „Kölner Drittel“ (ab 1554 „Kölner Quartier“) zugerechnet wurde. Auch bei den „Drittelstagen“, zu denen Köln einlud, ließ sich Bielefeld regelmäßig durch Lemgo oder Herford vertreten. Ein einziges Mal übernahm Bielefeld die Mitvertretung anderer Städte: 1557 reiste der in Herford geborene und seit etwa 1532 in Bielefeld wohnhafte Bürgermeister Jobst von Rintelen (ca. 1503-1586) zum Drittelstag. Zum damaligen Konföderations-ProInstruktion für Jobst von Rintelen, 1557 jekt gab der studierte Stadtarchiv von Lemgo, A3314 11 Jurist keine abschließende Stellungnahme ab. Dieses berührte nämlich das Verhältnis zu den jeweiligen Territorialherren, und gerade Bielefeld profitierte seit Jahrhunderten vom lässigen Zugriff des Herzogs. Vielleicht bestand auch vor dem Hintergrund der gerade durchgesetzten Reformation kein direkter Anlass, mit einem Bündnis Argwohn zu provozieren. Spätestens seit 1556 kamen Herforder, Lemgoer und Bielefelder Vertreter in Schötmar zusammen, um hansische Themen zu erörtern und aus: Luise von Winterfeld, Das westfälische Hansequartier, in: Hermann Aubin/Franz Petri (Hg.), Der Raum Westfalen, Bd. 2.1, Münster 1955, Vorabsprachen zu S. 255-352 treffen – ein letzter Regionaltag fand 1651 statt. 12 Kosten-Nutzen-Rechnung Immer wieder brachten die Gesandten das von ihren Städten empfundene Missverhältnis zwischen Vorteilen aus der Hanse und den hierfür zu leistenden Kontributionen an. Die negative Kosten-Nutzen-Rechnung führte dazu, dass Bielefeld – und auch die anderen Städte – wiederholt über einen Austritt nachdachte und sogar einen möglichen Ausschluss (Verhansung) akzeptiert hätte. Als das angeblich finanzschwache Bielefeld 1557 eine Ermäßigung seiner Kontribution von 10 Reichstalern beantragte, musste es sich von Köln belehren lassen, dass keine Stadt weniger als 5 Reichstaler bezahle – tatsächlich bezahlte keine Stadt unter 10 Reichstaler. Mit Bielefeld standen Anklam, Buxtehude, Einbeck, Golnow, Kulm, Lippstadt und Uelzen am Ende der Beitragsskala. Allerdings handelte es sich hierbei seit 1579 um einen Mindestbeitrag, der durch das Votum eines Hansetages bei konkreten Anlässen vervielfacht werden konnte. 1574 zogen Herford und Lemgo ihre Austrittsdrohungen auf Bitten Osnabrücks zurück, Bielefeld jedoch nicht, was jedoch keine Konsequenzen hatte. 1591 beispielsweise wurde eine 40fache Kontribution ausgeschrieben, womit Bielefelds Beitrag 400 Reichstaler betragen sollte. Bielefeld zählte mit dieser Beitragsvariablen, wie alle anderen westfälischen Städte, noch zu den vollstimmberechtigten Mitgliedern, während die anderen einen einfachen Satz bezahlten, aber auf ihr Stimmrecht verzichteten. 13 Hansische Kontributions- liste 1591 (40fache Kontribution) Münster Osnabrück Dortmund Soest Minden Hamm Unna Paderborn Warburg Herford Lemgo Bielefeld Lippstadt 1600 1200 1200 1400 1200 1000 800 800 600 600 600 400 400 aus: Johann Angelius Werdenhagen, De rebus publicis Hanseaticis et earum celeberrimae confoederationis societate, Tractatus primus, Leiden 1641 (Ratsgymnasium Bielefeld, E II 298) 14 Bielefelder Hanseaten Trotz des verbandsorganisatorisch ernüchternden Befundes haben Kaufleute mit Bielefelder Wurzeln Handel getrieben, nachdem sie oder ihre Vorfahren in die großen Handelszentren abgewandert waren. Familiennamen wie Byleveld, Bilvelt etc. verweisen auf deren Herkunft. So ist ein Bergenfahrer namens Johann Bylevelt 1440 ausdrücklich als Bielefelder nachgewiesen. Der vermutlich in Westfalen geborene, wegen seiner umfangreichen Korrespondenz und Handelsbücher berühmte Hansekaufmann Hildebrand Veckinchusen (um 1370-1425) betrieb Handel mit Hans Byleveld aus Köln und einem Hermann Byleveld. Der vor 1460 nach Lübeck verzogene Kaufmann Hinrick Snydewind stammte aus einer alten Bielefelder Familie, sein Vater war der Ratsherr Ludeke Snydewind. Um 1467 waren Hinrick, dem Bielefelder Everd Kerssenbrock und zwei weiteren lübeckischen Kaufleuten von Markgraf Friedrich II. von Brandenburg eine Ladung Heringe in Frankfurt/Oder abgenommen worden. 1467 bedachte Snydewind in seinem Testament Armenhäuser in Lübeck und das Siechenhaus in Bielefeld. Aus einem beim Bielefelder Ratsherrn Hinrik Marenstert hinterlegten Depot sollte Nichten und Neffen Geld zufließen. Seiner Mutter vermachte er einen – wohl nicht unbedeutenden – Schuldbrief, seiner mit dem Bielefelder Richter Wessel Eggerdinck verheirateten Schwester eine silberne Schale und seiner Ehefrau 2.000 Mark und Schmuck. Im Testament sind weitere Bielefelder namentlich genannt: sein Handelspartner und zum Vormund und Testamentsvollstrecker bestimmter und späterer Ratsherr und Bürgermeister Bielefelds Everd Kerssenbrock und Bernd Wenemer. Vier Neffen Kerssenbrocks wiederum waren als Kaufleute in Livland niedergelassen, eine Nichte heiratete einen Schöning aus Bielefeld, die im 17. Jahrhundert 15 Handel trieben. Ein Hans Wenemer war um 1456 an einem Handelsunternehmen des Lübecker Kaufmanns Hillebrand Losekinck finanziell beteiligt, weshalb sich der Bielefelder Rat bei seinem lübeckischen Pendant für eine Auszahlung des Anteils von 55 Mark verwandte, nachdem Losekinck verstorben war. Zwei Jahre später wurde dort ein Handelsstreit zu seinen Gunsten entschieden, nachdem ihm in Memel Waren abgenommen worden waren. Sein Verwandter Albrecht Wennemar trat 1484 in Rostock in die Landfahrer-Krämer-Compagnie ein, die Kaufleute aus dem gesamten Hanseraum vereinigte. 16 Hansespuren im Stadtbild Altstädter Nicolaikirche Die im Stadtbild auffälligste Verbindung zur Hanse stellt die Altstädter Nicolaikirche dar. Die zahlreichen Legenden um Nikolaus von Myra (zwischen 270 und 286 – 326, 345, 351 oder 365) machten ihn zum Schutzheiligen etlicher Berufsstände. Seefahrer, Binnenschiffer, Kaufleute und auch Getreidehändler riefen ihn als Schutzpatron an, da ihm u. a. die Stillung eines Seesturmes und die Rettung eines Ertrunkenen zugesprochen wurden. Wenn die Altstadt Bielefeld als Stadt der Kaufleute galt und die Neustadt als die der Handwerker, so macht ein Nikolaus-Patrozinium in der Altstadt Sinn, zumal dieses in den Hansestädten verbreitet war. Als eigene Kirche für die Stadt Bielefeld war sie 1236 vom Kirchspiel Heepen abgepfarrt, später der 1293 eingerichteten Neustädter Stiftskirche (St. Marien) inkorporiert wurde. An die Stelle der ursprünglichen Kapelle trat in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine gotische Hallenkirche, deren Nikolaus-Patrozinium 1317 ersterwähnt ist. Die „Altstädter Nicolai“ war über Jahrhunderte hinweg die Hauptkirche der Stadt, die Kirche der Bürger – auch nach der Reformation blieb die Verbindung zum Patron der bürgerlichen Kaufleute, dem Heiligen Nikolaus erhalten. 17 Schöningh-Leuchter Altstädter Nicolaikirche Ein „nachhansisches“ Objekt ist der 1678 gestiftete Schöning-Leuchter in der Altstädter Nicolaikirche. Die Stiftung erfolgte neun Jahre nach dem letzten Hansetag 1669 in Lübeck. Freilich war dieses Faktum den Gesandten seinerzeit nicht bewusst, da die Hanse formell niemals aufgelöst wurde. Der filigran gestaltete Kronleuchter entstand wahrscheinlich im schwedischen Skultuna, wo seit 1630 aufwendige Leuchter produziert wurden. Die Darstellung eines Schiffs mit sturmgeblähten Segeln, drei gestikulierenden Menschen und einer an der Reling herabgelassenen Leiter verweist auf den Stiftungsanlass: Schöning war aus Seenot errettet worden – Nikolaus sei Dank. Aufgrund der Herkunft des Leuchters wird eine Handelsreise nach Schweden oder überhaupt in die Ostsee angenommen. Foto: Andreas Zobe, Bielefeld 18 Die Kugelinschrift des 30-flammigen Kronleuchters lautet: IVRGEN HINRICH SCHÖNING HAT DIESE KRONEN ZV GOTTES EHREN / VND DIESER KIRCHEN ZIERATH IN GROSSER WASSERS-GEFAHR VEREHRET / 1678. Das Schiff ist als Fleute zu identifizieren. Dieser im 17. Jahrhundert stark verbreitete Handelsschiffstyp zeichnete sich durch ein auffälliges (hier überdeutlich sichtbares) Rundgatt am Heck, eine bauchige Rumpfform und ein schmales Deck aus. Die Flaggen wurden bislang als rot-weiß gestreift und damit als Lübecker Flaggen gedeutet, allerdings ist diese genau umgekehrt: weiß-rot. Bei der Ausstellungsvorbereitung zeigte sich, dass die Flaggen durchgängig rot-weiß-rot-weiß ausgeführt sind – verschiedene Gemälde anderer Hanseschiffe bestätigen mehrfache Farbwechsel bei der Bemalung der Aufbauten. Möglicherweise handelt es sich um ein Versehen des Malers oder um eine nichthansestädtische Flagge. Die seit 1405 in Bielefeld nachweisbare Familie Schöning stellte zwischen 1456 und 1560 drei Ratsherren und einen Bürgermeister, von 1558 bis 1598 den Richter und gehörte bis 1662 mit zwei Zwölfherren dem Zwölfherrenkollegium an. Jürgen Hinrich Schöning war 1657 geboren, ein Jürgen Schöning war 1688 Bürgermeister im holsteinischen Lütjenburg. 19 Innenhof des Alten Rathauses Das Haus Niedernstr. 23 entstand 1532, seine wahrscheinlich erst 1566 im Renaissancestil neu gefasste, reiche Frontfassadengestaltung ist über Fotos mehrfach dokumentiert. Die hansische Verbindung wird durch einen Holk, einen hansischen Schiffstyp, hergestellt, der als Reliefarbeit im Volutengiebel zu erkennen ist. Der Giebel entstand wahrscheinlich 1566, als der Kaufmann und Händler Arnd Rhode das Haus renovieren ließ – der Hintergiebel zeigt ein 1566. Arnd Rohde war laut einem Nachweis in Hanseurkunden in Tallin (früher Reval) 1566 Miteigentümer eines Holks. Eine Datierung auf 1532 wird inzwischen zurückgewiesen, da RenaissanceElemente vor 1555 in Bielefeld untypisch sind. 20 Arnd Rhode war Händler und in der Tuchherstellung und/oder -veredelung tätig, denn 1568 ergänzte er seinen Bleichplatz um einen weiteren, der er bei der Dammmühle ankaufte. Die Rhodes war im 16./17. Jahrhundert im Bielefelder Rat vertreten. Hierzu gehörte auch Hermann Rhode, der mit einem regionalen Kornhandel vermutlich zum vermögendsten Bielefelder des 17. Jahrhunderts aufstieg. 1907 wurde der Giebel in die Nordfassade des Stadttheaters integriert und vermittelt lediglich noch eine Anmutung des alten Gebäudekorpus. Zu sehen ist er heute im Innenhof zwischen Altem Rathaus und Stadttheater. Im Rahmen der Theatersanierung war Anfang des 21. Jahrhunderts zwischenzeitlich geplant, ihn an die Obernstraße zu translozieren. Der schmuckarme Nachfolgebau in der Niedernstr. 23 erhielt bemerkenswerterweise den Namen „Hansehaus“. Der Holk löste um 1400 den stets einmastigen und landläufig als erstes mit der Hanse verbundenen Koggen vollständig ab und blieb bis in das 16. Jahrhundert der dominierende Schiffstyp im hansischen Fernverkehr (Seesalzroute). Den Siegeszug des Holk ebnete wahrscheinlich seine bessere Seetüchtigkeit vor allem für die Langfahrten in unterschiedlichen Gewässern und Klimazonen. Die Bielefelder Holk-Darstellung mit drei Masten gehört in die Spätphase dieses Schiffstyps, der erst im 16. Jahrhundert mehrmastig gefahren wurde – auch das spricht für eine spätere Datierung des Giebels. 21 Planke und Dübel des Bremer Koggens von 1380. Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven 22 Münzen verschiedener Hansestädte (13. – 17. Jahrhundert); Lübeck Schilling 15. Jh. Campen Taler 1597 Bremen Sware 2. Hälfte 14. Jh. Osnabrück 12 Pfenning 1570 Hameln Taler 1554 Wismar Schilling 1. Hälfte 15. Jh. Münster 3 Schilling 1602 Rostock Witten 14. Jh. Lüneburg Taler 1547 Dortmund Reinoldigroschen 15. Jahrhundert Hameln Hannover Groschen Mariengroschen 1669 1549 (Jahr des letzten Hansetages) Greifswald Witten 14. Jh. Hamburg Taler 1635 Soest 2 Schilling 1620 Hamburg Schilling nach 1432 Herford Halbtaler 1640 Braunschweig Braunschweig Brakteat/ Annengroschen Hohlpfenning 1540 vor 1430 Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,12/Münzen und Papiergeld Privatbesitz 23 Nicht allein das Siegel der Hansestadt Lübeck zeigt eine stilisierte Darstellung des Koggens. Bis zum Koggenfund 1962 beruhten alle Rekonstruktionen auf diesen Wappen und Siegeln. Archiv der Hansestadt Lübeck (Abguss) 24 Das 1467 aufgesetzte Testament des Lübecker Kaufmanns Hinrick Snydewind bedachte Verwandte und das Siechenhaus in seiner Heimatstadt Bielefeld. Archiv der Hansestadt Lübeck, Bestand 7.2, Nr. 1467.07.21, Snydewind (Reproduktion) 25 Schulwandkarten illustrierten in den Klassenzimmern Weltgeschichte. Die 1890 gefertigte Karte „Hansekogge im Kampf mit Piraten“ von Alexander Zick offenbart historische Ungenauigkeiten: So fuhr der Koggen niemals mehrmastig, sondern erst sein Nachfolger, der Holk. Ratsgymnasium Bielefeld 26
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