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unglaublich
hanseatisch
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unglaublich hanseatisch –
HBI: Die Hansestadt Bielefeld
Bielefeld war Hansestadt – sicherlich nicht ein Mitglied ersten Ranges, sondern auf
den hinteren Plätzen. Und dennoch: Hansetypische Waren wie Pelze, Salz, Stockfisch
oder Wachs gelangten aus Europa nach Bielefeld, umgekehrt exportierten die Bielefelder Händler Produkte in den Hanseraum oder trieben nach ihrer Niederlassung in
den Hansezentren erfolgreich Handel.
Dr. Jochen Rath
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unglaublich hanseatisch
Die Hanse – jeder kennt sie dem Namen (vom althochdeutschen hansa = Gruppe, Gefolge, Schar) nach. Verbreitete Vorstellungen werden von romantisierenden Reflexionen, populären Projektionen und touristischen Interessen (Störtebecker!) geprägt.
Das Phänomen Hanse entzieht sich jedoch vielen einer klaren Definition.
Die über fünf Jahrhunderte bis 1669 existente Hanse war eine Organisation niederdeutscher Fernkaufleute und zugleich ein Verband von etwa 70 – nach damaligen
Maßstäben – großen und 100 bis 130 kleinen Städten, in denen eben jene Kaufleute
ein Bürgerrecht besaßen. Eine verbindliche Liste ihrer Mitgliedsstädte hat die Hanse,
dem wiederholten Drängen der Monarchen und Landesherren zum Trotz, niemals
vorgelegt. Sie verfolgte wirtschaftliche Ziele, indem sie ihren Handel durch europäische Monarchen gegenüber Konkurrenten privilegieren ließ, und politische Absichten, um städtische Autonomie gegen die sich verdichtenden Landesherrschaften im
Reich zu behaupten. Diese doppelte Dichotomie (so Rolf Hammel-Kiesow) charakterisiert die Hanse.
Die Hansekaufleute kamen aus einem Raum von den Küsten der Niederlande bis
in das Baltikum, von der Ostseeinsel Gotland bis nach Köln, Erfurt und Krakau. Ihr
Handelsgebiet kann mit der Lage der vier Hansekontore grob umrissen werden, die
im flandrischen Brügge, in London (Stalhof), Bergen in Norwegen (Deutsche Brücke
– „Bryggen“) und im russischen Nowgorod (Peterhof) lagen. Vereinfacht dargestellt,
beruhte der Hansehandel auf dem Tausch von Waren: Rohstoffe, Halbfertigprodukte
und Lebensmittel aus Nord und Ost gegen gewerbliche Fertigprodukte aus dem Westen. Exportiert wurde über See zunächst mit Koggen und Holk und über Land.
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Wappen der Hansekontore
Brügge
Nowgorod
London
Bergen
aus: Georg Sartorius,
Geschichte des Hanseatischen Bundes, 3 Bde.,
Göttingen 1802/03/08,
hier Bd. 2 (Ratsgymnasium Bielefeld, 2240)
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Der Bremer Koggen
von 1380
Am 8. Oktober 1962 wurde bei Baggerarbeiten für die Hafenerweiterung im Weserschlamm bei Bremen-Rablinghausen das Wrack eines Koggen (landläufig „die Kogge“) entdeckt. Dieser wichtigste Schiffstyp der Hanse bis 1400 war zuvor nur von
Siegelabbildungen und Stichen bekannt. Dendrochronologische Untersuchungen
datierten das Schiff anhand der festgestellten Jahresringe des Eichenholzes auf etwa
1380. Der Bremer Koggen selbst war offensichtlich noch vor seiner Fertigstellung
durch Sturm und/oder Hochwasser weserabwärts abgetrieben worden und gesunken.
Werkzeuge und Baumaterial am Fundort und der unvollendete Ausbau des Schiffs
unterstützen diese These.
Photogrammetrische Aufnahme des Bremer Koggen, aus: Jörgen
Bracker/Volker Henn/Rainer Postel (Hg.), Die Hanse – Lebenswirklichkeit und Mythos, Hamburg 1989, S. 568
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Mehr als 2.000 Einzelteile wurden bis 1965 geborgen und anschließend wieder
zusammengesetzt – sieben Jahre puzzelten Fachleute an der Rekonstruktion, wobei
nicht alle Teile erfolgreich zugeordnet werden konnten. Das Zusammensetzen war
auch eine körperliche Herausforderung, da eine relative Luftfeuchtigkeit von 97 %
nicht unterschritten werden durfte, um das mehr als 600 Jahre alte Holz nicht einem
rapiden Austrocknungs- und Zerfallsprozess auszusetzen. Die Konservierung des
Koggen im Deutschen Schiffahrtsmuseum vollzog sich in einem zweistufigen langwierigen Tränkverfahren. 17 Jahre lang lag die Kogge nacheinander in zwei unterschiedlichen Polyethylenglykol-Bädern. Erst im Jahr 2000, also 38 Jahre nach seiner
Entdeckung, war der Koggen – mühsam befreit von erstarrten Kunstwachs-Krusten
– schließlich unverstellt zu sehen.
Foto: Stadtarchiv Bielefeld
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Bielefeld langer Weg
in die Hanse
Erst 1540 stieß Bielefeld endgültig zur Hanse, sehr spät im Vergleich zu den Nachbarstädten Minden, Herford und Lemgo, die schon im 15. Jahrhundert Hansetage
besucht hatten. Bielefeld zählte danach zu den westfälischen Prinzipalstädten, deren
Bürger direkt von den hansischen Privilegien profitierten, die Beiträge leisteten und
zu Tagfahrten verschiedenster Ebenen geladen wurden. Unter den Hansestädten
rangierte Bielefeld auf einem der hinteren Ränge, was sich in der mangelnden Teilnahme an den Versammlungen und in der geringen Beitragshöhe niederschlägt.
Und dennoch: Hansetypische Waren wie Salz, Stockfisch, Wachs, Tuche oder Pelze
gelangten nach Bielefeld, umgekehrt exportierten die Bielefelder Händler Bier, Garn
und Leinwand in den Hanseraum oder trieben nach ihrer Niederlassung in den Hansezentren erfolgreich Handel. Bielefeld profitierte lange Zeit von der Hanse, ohne
Mitglied zu sein – für ein „HBI“-Kennzeichen reicht es so nicht.
Folgenlos blieb Bielefelds Listung unter den Städten, die auf Anordnung des
Lübecker Hansetages 1473 von Münster und Dortmund über bevorstehende Friedensverhandlungen mit England unterrichtet werden und eigene Stellungnahmen
abgeben sollten. 1506 war Bielefeld auf dem Weg, Prinzipalstadt zu werden, als es in
den Matrikeln der neu verhandelten Tohopesate („Zusammensetzung“ – Pakt gegen
landesherrliche Übergriffe) von 1494 mit einem Beitrag von 10 Rheinischen Gulden
genannt wurde – schon 1443 war Bielefeld in einem Entwurf aufgeführt worden.
Noch bevor es zu einer Vollmitgliedschaft kommen konnte, stufte der Hansetag von
1518 Bielefeld wieder herab, so dass es zwar von Hanseprivilegien profitieren, aber
zu Hansetagen nicht geladen werden sollte.
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Tatsächlich darf Bielefeld erst ab 1540 definitiv zur Hanse gezählt werden, als der
Verband seinen Zenit bereits überschritten hatte. Die vom schwach besuchten Hansetag beschlossene Hanseordinanz erwähnte sechs neue Städte in Westfalen, darunter Bielefeld. 1549 wurde die Stadt auch mit einem Beitrag eingestuft.
Der hansische Handelsraum
aus: Johann Angelius Werdenhagen, De rebus publicis Hanseaticis et earum celeberrimae confoederationis societate, Tractatus primus, Leiden 1641 (Ratsgymnasium Bielefeld, E II 298)
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Waren aus dem Hanseraum
Der Hansehandel verbreitete Bielefelder Produkte in ganz Norddeutschland und im
gesamten Nord- und Ostseeraum. Tuche (seit 1309 verfügten die Bielefelder Kaufleute über ein Privileg, das ihnen allein den Zuschnitt erlaubte) waren die typisch
Bielefelder Ware, die auf den Handelswegen Verbreitung fand. Umgekehrt flossen
Waren in die Stadt, die innerhalb ihrer Mauern und im Umland nicht oder in nicht
ausreichenden Mengen oder gewünschter Qualität produziert wurden:
Pelze: Der Luxusartikel der Kaufleute wurde aus Osteuropa importiert. Eichhörnchen,
Hermelin und Nerz waren attraktiver als der heimische Fuchs. Pelz war Statussymbol,
das nicht nur wegen des Preises einflussreichen und vermögenden Bevölkerungsgruppen vorbehalten blieb. Kleiderordnungen regelten über Jahrhunderte hinweg
die textile Ausstattung einer ständisch gegliederten, geschichteten Gesellschaft:
Farbe, Knöpfe und eben auch Pelzapplikationen.
Salz: Kam aus dem Lüneburger Raum und würzte Lebensmittel, macht sie vor allem
aber über längere Zeiträume haltbar. Das „Weiße Gold“ sicherte Lüneburg über Jahrhunderte hinweg eine prominente Position innerhalb der Hanse. Die auf einer reichen Salzsole gegründete Stadt gehörte zu den letzten Kommunen, die Hansetage
besuchten.
Stockfisch: Das leicht konservierbare Lebensmittel – vor allem Kabeljau aus Norwegen – versorgte die Bevölkerung besonders in den religiös verpflichtenden Fastenperioden.
Bernstein: Das versteinerte Harz kommt an der Ostsee vor. Die fossile Steine – Einzelexemplare wiegen bis zu 10 kg! – wurden zu Gebetskränzen und anderen religiösen
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und liturgischen Gegenständen verarbeitet, die in einer gottesfürchtigen Gesellschaft massenhaft Absatz fanden, um das Seelenheil zu sichern.
Wachs: Für die Kerzenherstellung war Wachs elementar. Kerzen dienten einerseits
der Beleuchtung von Gebäuden (Wohn- und Geschäftshäuser, Kirchen), andererseits
dem Totengedenken. Zahlreiche Testamente des Mittelalters halten fromme Stiftungen von Wachs fest.
Bernstein (geschliffen / ungeschliffen);
NAMU, Bielefeld
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Bielefeld und die
Tagfahrten
Zu den seit 1356 stattfindenden Hansetagen versammelten sich Städtevertreter
mitunter mehrmals im Jahr – Bielefeld war hier nicht ein einziges Mal vertreten.
Allerdings besuchten auch die großen westfälischen Hansestädte, die „Vororte“
Münster, Soest, Osnabrück und Dortmund keineswegs jede Tagfahrt. Dieses war kein
Desinteresse, sondern lag am vereinbarten Procedere, dem zufolge die Vororte und
andere Städte nach einem schriftlichen Beteiligungsverfahren und Vorgesprächen
mit ausdifferenzierten Instruktionen bevollmächtigt wurden, um die Gesamtvertretung und Einzelinteressen wahrzunehmen. Die Hanse unterteilte sich aus organisatorischen Gründen in Drittel, wobei Bielefeld dem „Kölner Drittel“ (ab 1554 „Kölner
Quartier“) zugerechnet wurde. Auch bei den „Drittelstagen“, zu denen Köln einlud,
ließ sich Bielefeld regelmäßig durch Lemgo oder Herford vertreten. Ein einziges
Mal übernahm Bielefeld die
Mitvertretung anderer Städte: 1557 reiste der in Herford geborene und seit etwa
1532 in Bielefeld wohnhafte Bürgermeister Jobst von
Rintelen (ca. 1503-1586)
zum Drittelstag. Zum damaligen Konföderations-ProInstruktion für Jobst von Rintelen, 1557
jekt gab der studierte
Stadtarchiv von Lemgo, A3314
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Jurist keine abschließende Stellungnahme
ab. Dieses berührte
nämlich das Verhältnis zu den jeweiligen
Territorialherren,
und gerade Bielefeld profitierte seit
Jahrhunderten vom
lässigen Zugriff des
Herzogs. Vielleicht
bestand auch vor
dem Hintergrund der
gerade durchgesetzten Reformation kein
direkter Anlass, mit
einem Bündnis Argwohn zu provozieren.
Spätestens seit 1556
kamen Herforder,
Lemgoer und Bielefelder Vertreter in
Schötmar zusammen,
um hansische Themen zu erörtern und
aus: Luise von Winterfeld, Das westfälische Hansequartier, in: Hermann
Aubin/Franz Petri (Hg.), Der Raum Westfalen, Bd. 2.1, Münster 1955,
Vorabsprachen zu
S. 255-352
treffen – ein letzter
Regionaltag fand 1651 statt.
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Kosten-Nutzen-Rechnung
Immer wieder brachten die Gesandten das von ihren Städten empfundene Missverhältnis zwischen Vorteilen aus der Hanse und den hierfür zu leistenden Kontributionen an. Die negative Kosten-Nutzen-Rechnung führte dazu, dass Bielefeld – und auch
die anderen Städte – wiederholt über einen Austritt nachdachte und sogar einen
möglichen Ausschluss (Verhansung) akzeptiert hätte.
Als das angeblich finanzschwache Bielefeld 1557 eine Ermäßigung seiner Kontribution von 10 Reichstalern beantragte, musste es sich von Köln belehren lassen, dass
keine Stadt weniger als 5 Reichstaler bezahle – tatsächlich bezahlte keine Stadt unter 10 Reichstaler. Mit Bielefeld standen Anklam, Buxtehude, Einbeck, Golnow, Kulm,
Lippstadt und Uelzen am Ende der Beitragsskala. Allerdings handelte es sich hierbei seit 1579 um einen Mindestbeitrag, der durch das Votum eines Hansetages bei
konkreten Anlässen vervielfacht werden konnte. 1574 zogen Herford und Lemgo ihre
Austrittsdrohungen auf Bitten Osnabrücks zurück, Bielefeld jedoch nicht, was jedoch
keine Konsequenzen hatte.
1591 beispielsweise wurde eine 40fache Kontribution ausgeschrieben, womit Bielefelds Beitrag 400 Reichstaler betragen sollte. Bielefeld zählte mit dieser Beitragsvariablen, wie alle anderen westfälischen Städte, noch zu den vollstimmberechtigten Mitgliedern, während die anderen einen einfachen Satz bezahlten, aber auf ihr
Stimmrecht verzichteten.
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Hansische Kontributions-
liste 1591
(40fache Kontribution)
Münster
Osnabrück
Dortmund
Soest
Minden
Hamm
Unna
Paderborn
Warburg
Herford
Lemgo
Bielefeld
Lippstadt
1600
1200
1200
1400
1200
1000
800
800
600
600
600
400
400
aus: Johann Angelius Werdenhagen, De rebus publicis Hanseaticis et earum
celeberrimae confoederationis societate, Tractatus primus, Leiden 1641
(Ratsgymnasium Bielefeld, E II 298)
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Bielefelder Hanseaten
Trotz des verbandsorganisatorisch ernüchternden Befundes haben Kaufleute mit
Bielefelder Wurzeln Handel getrieben, nachdem sie oder ihre Vorfahren in die großen Handelszentren abgewandert waren. Familiennamen wie Byleveld, Bilvelt etc.
verweisen auf deren Herkunft. So ist ein Bergenfahrer namens Johann Bylevelt 1440
ausdrücklich als Bielefelder nachgewiesen. Der vermutlich in Westfalen geborene,
wegen seiner umfangreichen Korrespondenz und Handelsbücher berühmte Hansekaufmann Hildebrand Veckinchusen (um 1370-1425) betrieb Handel mit Hans Byleveld aus Köln und einem Hermann Byleveld.
Der vor 1460 nach Lübeck verzogene Kaufmann Hinrick Snydewind stammte aus
einer alten Bielefelder Familie, sein Vater war der Ratsherr Ludeke Snydewind. Um
1467 waren Hinrick, dem Bielefelder Everd Kerssenbrock und zwei weiteren lübeckischen Kaufleuten von Markgraf Friedrich II. von Brandenburg eine Ladung Heringe in
Frankfurt/Oder abgenommen worden.
1467 bedachte Snydewind in seinem Testament Armenhäuser in Lübeck und das
Siechenhaus in Bielefeld. Aus einem beim Bielefelder Ratsherrn Hinrik Marenstert
hinterlegten Depot sollte Nichten und Neffen Geld zufließen. Seiner Mutter vermachte er einen – wohl nicht unbedeutenden – Schuldbrief, seiner mit dem Bielefelder
Richter Wessel Eggerdinck verheirateten Schwester eine silberne Schale und seiner
Ehefrau 2.000 Mark und Schmuck. Im Testament sind weitere Bielefelder namentlich genannt: sein Handelspartner und zum Vormund und Testamentsvollstrecker
bestimmter und späterer Ratsherr und Bürgermeister Bielefelds Everd Kerssenbrock
und Bernd Wenemer.
Vier Neffen Kerssenbrocks wiederum waren als Kaufleute in Livland niedergelassen, eine Nichte heiratete einen Schöning aus Bielefeld, die im 17. Jahrhundert
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Handel trieben. Ein Hans Wenemer war um 1456 an einem Handelsunternehmen
des Lübecker Kaufmanns Hillebrand Losekinck finanziell beteiligt, weshalb sich der
Bielefelder Rat bei seinem lübeckischen Pendant für eine Auszahlung des Anteils
von 55 Mark verwandte, nachdem Losekinck verstorben war. Zwei Jahre später wurde
dort ein Handelsstreit zu seinen Gunsten entschieden, nachdem ihm in Memel Waren abgenommen worden waren. Sein Verwandter Albrecht Wennemar trat 1484 in
Rostock in die Landfahrer-Krämer-Compagnie ein, die Kaufleute aus dem gesamten
Hanseraum vereinigte.
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Hansespuren im Stadtbild
Altstädter Nicolaikirche
Die im Stadtbild auffälligste Verbindung zur Hanse stellt die Altstädter Nicolaikirche
dar. Die zahlreichen Legenden um Nikolaus von Myra (zwischen 270 und 286 – 326,
345, 351 oder 365) machten ihn zum Schutzheiligen etlicher Berufsstände. Seefahrer, Binnenschiffer, Kaufleute und auch Getreidehändler riefen ihn als Schutzpatron
an, da ihm u. a. die Stillung eines Seesturmes und die Rettung eines Ertrunkenen
zugesprochen wurden.
Wenn die Altstadt Bielefeld als Stadt der Kaufleute galt und die Neustadt als die der
Handwerker, so macht ein Nikolaus-Patrozinium in der Altstadt Sinn, zumal dieses
in den Hansestädten verbreitet war. Als eigene Kirche für die Stadt Bielefeld war sie
1236 vom Kirchspiel Heepen abgepfarrt, später der 1293 eingerichteten Neustädter
Stiftskirche (St. Marien) inkorporiert wurde. An die Stelle der ursprünglichen Kapelle
trat in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine gotische Hallenkirche, deren Nikolaus-Patrozinium 1317 ersterwähnt ist. Die „Altstädter Nicolai“ war über Jahrhunderte hinweg die Hauptkirche der Stadt, die Kirche der Bürger – auch nach der Reformation blieb die Verbindung zum Patron der bürgerlichen Kaufleute, dem Heiligen
Nikolaus erhalten.
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Schöningh-Leuchter
Altstädter Nicolaikirche
Ein „nachhansisches“ Objekt ist der 1678 gestiftete Schöning-Leuchter in der Altstädter Nicolaikirche. Die Stiftung erfolgte neun Jahre nach dem letzten Hansetag
1669 in Lübeck. Freilich war dieses Faktum den Gesandten seinerzeit nicht bewusst,
da die Hanse formell niemals aufgelöst wurde.
Der filigran gestaltete Kronleuchter entstand wahrscheinlich im schwedischen Skultuna, wo seit 1630 aufwendige
Leuchter produziert wurden.
Die Darstellung eines Schiffs
mit sturmgeblähten Segeln,
drei gestikulierenden Menschen und einer an der Reling
herabgelassenen Leiter verweist auf den Stiftungsanlass:
Schöning war aus Seenot
errettet worden – Nikolaus sei
Dank. Aufgrund der Herkunft
des Leuchters wird eine Handelsreise nach Schweden oder
überhaupt in die Ostsee angenommen.
Foto: Andreas Zobe, Bielefeld
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Die Kugelinschrift des 30-flammigen Kronleuchters lautet:
IVRGEN HINRICH SCHÖNING HAT DIESE KRONEN ZV GOTTES EHREN / VND DIESER KIRCHEN ZIERATH IN GROSSER WASSERS-GEFAHR VEREHRET / 1678.
Das Schiff ist als Fleute zu identifizieren. Dieser im 17. Jahrhundert stark verbreitete
Handelsschiffstyp zeichnete sich durch ein auffälliges (hier überdeutlich sichtbares)
Rundgatt am Heck, eine bauchige Rumpfform und ein schmales Deck aus. Die Flaggen wurden bislang als rot-weiß gestreift und damit als Lübecker Flaggen gedeutet,
allerdings ist diese genau umgekehrt: weiß-rot. Bei der Ausstellungsvorbereitung
zeigte sich, dass die Flaggen durchgängig rot-weiß-rot-weiß ausgeführt sind – verschiedene Gemälde anderer Hanseschiffe bestätigen mehrfache Farbwechsel bei
der Bemalung der Aufbauten. Möglicherweise handelt es sich um ein Versehen des
Malers oder um eine nichthansestädtische Flagge.
Die seit 1405 in Bielefeld nachweisbare Familie Schöning stellte zwischen 1456 und
1560 drei Ratsherren und einen Bürgermeister, von 1558 bis 1598 den Richter und
gehörte bis 1662 mit zwei Zwölfherren dem Zwölfherrenkollegium an. Jürgen Hinrich Schöning war 1657 geboren, ein Jürgen Schöning war 1688 Bürgermeister im
holsteinischen Lütjenburg.
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Innenhof des Alten
Rathauses
Das Haus Niedernstr. 23 entstand
1532, seine wahrscheinlich erst
1566 im Renaissancestil neu
gefasste, reiche Frontfassadengestaltung ist über Fotos mehrfach
dokumentiert. Die hansische
Verbindung wird durch einen
Holk, einen hansischen Schiffstyp,
hergestellt, der als Reliefarbeit
im Volutengiebel zu erkennen ist.
Der Giebel entstand wahrscheinlich 1566, als der Kaufmann und
Händler Arnd Rhode das Haus
renovieren ließ – der Hintergiebel
zeigt ein 1566.
Arnd Rohde war laut einem Nachweis in Hanseurkunden in Tallin
(früher Reval) 1566 Miteigentümer eines Holks. Eine Datierung
auf 1532 wird inzwischen zurückgewiesen, da RenaissanceElemente vor 1555 in Bielefeld
untypisch sind.
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Arnd Rhode war Händler und in der Tuchherstellung und/oder -veredelung tätig,
denn 1568 ergänzte er seinen Bleichplatz
um einen weiteren, der er bei der Dammmühle ankaufte. Die Rhodes war im 16./17.
Jahrhundert im Bielefelder Rat vertreten.
Hierzu gehörte auch Hermann Rhode, der
mit einem regionalen Kornhandel vermutlich zum vermögendsten Bielefelder des
17. Jahrhunderts aufstieg.
1907 wurde der Giebel in die Nordfassade
des Stadttheaters integriert und vermittelt
lediglich noch eine Anmutung des alten
Gebäudekorpus. Zu sehen ist er heute im
Innenhof zwischen Altem Rathaus und
Stadttheater. Im Rahmen der Theatersanierung war Anfang des 21. Jahrhunderts
zwischenzeitlich geplant, ihn an die Obernstraße zu translozieren. Der schmuckarme
Nachfolgebau in der Niedernstr. 23 erhielt bemerkenswerterweise den Namen „Hansehaus“.
Der Holk löste um 1400 den stets einmastigen und landläufig als erstes mit der
Hanse verbundenen Koggen vollständig ab und blieb bis in das 16. Jahrhundert der
dominierende Schiffstyp im hansischen Fernverkehr (Seesalzroute). Den Siegeszug
des Holk ebnete wahrscheinlich seine bessere Seetüchtigkeit vor allem für die Langfahrten in unterschiedlichen Gewässern und Klimazonen. Die Bielefelder Holk-Darstellung mit drei Masten gehört in die Spätphase dieses Schiffstyps, der erst im 16.
Jahrhundert mehrmastig gefahren wurde – auch das spricht für eine spätere Datierung des Giebels.
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Planke und Dübel des Bremer Koggens von 1380.
Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven
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Münzen verschiedener Hansestädte (13. – 17. Jahrhundert);
Lübeck
Schilling
15. Jh.
Campen
Taler
1597
Bremen
Sware
2. Hälfte 14. Jh.
Osnabrück
12 Pfenning
1570
Hameln
Taler
1554
Wismar
Schilling
1. Hälfte 15. Jh.
Münster
3 Schilling
1602
Rostock
Witten
14. Jh.
Lüneburg
Taler
1547
Dortmund
Reinoldigroschen
15. Jahrhundert
Hameln
Hannover
Groschen
Mariengroschen
1669
1549
(Jahr des letzten Hansetages)
Greifswald
Witten
14. Jh.
Hamburg
Taler
1635
Soest
2 Schilling
1620
Hamburg
Schilling
nach 1432
Herford
Halbtaler
1640
Braunschweig Braunschweig
Brakteat/
Annengroschen
Hohlpfenning
1540
vor 1430
Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,12/Münzen und Papiergeld
Privatbesitz
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Nicht allein das Siegel der Hansestadt Lübeck zeigt eine stilisierte Darstellung des
Koggens. Bis zum Koggenfund 1962 beruhten alle Rekonstruktionen auf diesen Wappen und Siegeln.
Archiv der Hansestadt Lübeck (Abguss)
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Das 1467 aufgesetzte Testament des Lübecker Kaufmanns Hinrick Snydewind
bedachte Verwandte und das Siechenhaus in seiner Heimatstadt Bielefeld.
Archiv der Hansestadt Lübeck,
Bestand 7.2, Nr. 1467.07.21, Snydewind (Reproduktion)
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Schulwandkarten illustrierten in den Klassenzimmern Weltgeschichte. Die 1890
gefertigte Karte „Hansekogge im Kampf mit Piraten“ von Alexander Zick offenbart
historische Ungenauigkeiten: So fuhr der Koggen niemals mehrmastig, sondern erst
sein Nachfolger, der Holk.
Ratsgymnasium Bielefeld
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