44 feuilleton F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TAG S Z E I T U NG , 2 4 . JA N UA R 2 0 1 6 , N R . 3 Es geht nur um Hingabe Westbam, 50, mit bürgerlichem Namen Maximilian Lenz, ist DJ, Produzent und hat das Buch „Die Macht der Nacht“ veröffentlicht (Ullstein). Dirk Zingler, 51, ist Unternehmer und Präsident von Union Berlin. In der Bar des Pauly-Saals in Berlin-Mitte Ist Fußball mehr als ein Sport? Ein Gespräch mit Dirk Zingler, Präsident von Union Berlin, und mit dem DJ Westbam Herr Zingler, der Fußballverein 1. FC Union Berlin feiert seinen 50. Geburtstag an der Volksbühne. Was macht Sie zum Mitspieler in der Hochkultur? Zingler: Irgendjemand hat neulich gesagt: „Ein Rattenverein im Rattentheater – das passt hervorragend.“ Westbam: (Lacht.) Zingler: Das Theater wurde mit dem sogenannten Arbeitergroschen gebaut. Es gehörte gewissermaßen seinem Publikum. Mit unserem Stadion ist es, wie Sie vielleicht wissen, so ähnlich. Die Vereinsmitglieder haben den Umbau mitfinanziert und mitgeholfen. Zudem ist die Volksbühne nicht sehr bequem. In jeder Hinsicht. Das passt zu uns. Gehen Sie manchmal ins Theater? Zingler: Zu meiner Schande muss ich zugeben, dass ich in den letzten zehn Jahren kaum im Theater war. Auf dem Fußballplatz war ich öfter. Westbam: Wenn der Eidinger den Hamlet in der Schaubühne gibt, pilgere ich schon mal hin. Sie legen auf bei der Party, Herr Westbam. Was verbindet die DJ-Kultur mit dem Fußball? Westbam: Der Ursprung von beidem, dem Fußball-Erlebnis und dem TechnoErlebnis, ist die Suche nach Glaube, Liebe, Hoffnung. Religion ist wohl das Original. Zingler: Man muss die Leute für sich gewinnen. Fußball bieten auch die 34 anderen Vereine. Hört sich an, als ob so ein Verein auch eine Sekte wäre. Zingler: Man wirft uns das manchmal vor, dass wir sektenähnliche Züge haben. Das stimmt zum Teil. Wenn wir die Menschen für uns gewinnen wollen, dann wollen wir sie ganz haben. Dann wird zusammengestanden, dann zieht man sich zurück, und wenn man angegriffen wird, kapselt man sich ab. Man hat ein bisschen Angst vor Leuten, die anders sind, weil man Angst hat vor der Aufweichung. Westbam: Es ist postreligiös. Foto Jens Gyarmaty Zingler: Eine Religion ohne Gott. Westbam: Es ist die Gemeinschaft, die sich versammelt, die zusammen singt. Es geht um Hingabe. Man entkommt den Fesseln von Herkunft, Status, indem man sich hingibt und der Gemeinschaft unterwirft. Aber man wird auch gefährlich. Niemand lässt sich leichter manipulieren. Westbam: Das ist eine klassische deutsche Sorge. Man geht in der Masse auf und schreit mit den anderen mit. Damit hat man in diesem Land schlechte Erfahrungen gemacht. Ich glaube, es verhält sich mit dieser Hingabe wie mit den sogenannten Sekundärtugenden, Pünktlichkeit, Sauberkeit, Ordnungsliebe. Du wirst nicht zum Nazi, bloß weil du pünktlich bist. Und wenn du dich gemeinsam mit anderen begeisterst, für die Musik, den Fußball, dann ist das erst mal weder gut noch schlecht. Zingler: Wer ist gefährlicher: ein Mensch, der völlig bindungslos ist? Oder einer, der nach Orientierung sucht und sich an seinen Verein bindet? Der Verein hat da eine hohe Verantwortung. Wir teilen Werte, wir haben eine politische Haltung, wir nehmen Flüchtlinge im Fanhaus auf. Wir sagen: Freunde, hier ist nicht nur Fußball, und wer zu uns kommt, muss wissen, zu wem er da geht. Unsere Verantwortung ist viel höher als die von Karl-Heinz Rummenigge. Die Religion des FC Bayern ist der Erfolg. Wenn es dem Erfolg dient, fahren sie zum Training nach Qatar. Hat mit Politik nichts zu tun, sagen sie. Das finde ich unverantwortlich. Spüren Sie auch deshalb eine höhere Verantwortung, weil Sie problematische Fans haben? Der Osten des Ostens, Oberschöneweide, Köpenick . . . Zingler: Kann es sein, dass die Summe der Hafttage der Union-Fans niedriger ist als die der Führungskräfte mancher Vereine oder Fußballverbände? (Lacht.) Herr Westbam, Sie haben den Sound von West-Berlin geprägt. Herr Zingler, Sie verkörpern den Osten der Stadt. Spüren Sie noch die Differenz? Westbam: Als DJ ist man Teil einer dialogischen Kunst. Du machst Vorschläge, das Publikum antwortet darauf, so werden die Differenzen überwunden. Abgesehen davon hat das Herz von Rave und Techno eher im Osten als im Westen geschlagen. ANZEIGE auf an, in welcher Straße dein Fußballklub sitzt. Wenn ich sage, Union ist ein Ost-Verein, dann meine ich das geographisch: Natürlich gibt es eine große Mauer zwischen Köpenick und dem Wedding, wo Hertha gegründet wurde. In Hamburg oder München stellen sich solche Fragen nicht. Berlin sein. Wer für ganz Berlin sprechen will, ist . . . . . . ein Provinzler? Zingler: Er ist jedenfalls verloren. Doch. Zingler: Aber nicht politisch. KARLSRUHE Klassische Moderne und Gegenwartskunst 18. – 21. Februar 2016 Messe Karlsruhe | www.art-karlsruhe.de Herr Zingler, gab es in Ihrem Leben Berührungspunkte zu dieser Welt? Wären Sie auf die Idee gekommen, bei der Love Parade . . . Westbam: . . . halbnackt herumzuhüpfen? Zingler: Nein, als die tanzten, habe ich meine Firma aufgebaut. Aber ich fand es cool, weil es eine Szene war, die keine Aggressivität ausstrahlte. Abgesehen davon finde ich es ernüchternd, wenn heute noch die Frage nach Ost und West gestellt wird. Der Fußball befasst sich damit nicht, Fußball lebt von der Abgrenzung. In London kommt es dar- Die Bayern sind ursprünglich der Boheme-Verein, der jüdische Verein. Die 60er sind proletarischer. Und haben eine üblere Vergangenheit. Zingler: Wo lebt Fußball am meisten von Emotionen? In London, weil es da so viele Vereine gibt, die miteinander konkurrieren. Es braucht die Rivalität, damit die Emotionen heißlaufen. Westbam: Auch Musik braucht Abgrenzung. Es wird ja immer die vereinigende Kraft der Musik beschworen. Aber man braucht eine Musik, die die Eltern nicht verstehen. Ich höre Stones und nicht die Beatles, Techno und nicht Hip-Hop. Wenn die Leute durch die Musik erfahren: Das sind wir, dann heißt das zugleich: Und das sind wir eben nicht. Alle Welt redet von Integration, und Sie preisen das Gegenteil. Zingler: Wir haben 15 Jahre damit verbracht, den Leuten in Berlin klarzumachen, dass wir nicht ein Ganzberliner Verein werden wollen. Man hat uns gesagt: Rutscht in die Mitte, ihr seid doch ein Verein für ganz Berlin. Wir wollen kein Verein für ganz Entscheidet man sich für einen Verein? Oder wird man da hineingeboren oder -geworfen? Zingler: Dass man hineingeboren würde, ist selten geworden. Es gibt diese stabilen Milieus nicht mehr. Aber es ist eine Entscheidung fürs Leben. Wer aus Bremen kommt und eigentlich WerderFan ist und dann nach Berlin zieht und versucht, Hertha-Fan zu werden, der verwässert die ganze Sache. Herr Westbam, als Sie sich für OstBerlin entschieden haben: haben Sie da diesen Teil der Stadt in seiner Eigenart wahrgenommen? Oder ging es darum, dass man den Ort wie ein leeres Blatt Papier genommen hat, das man selber beschriften durfte? Westbam: Das kann man so sehen. Im Osten gab es eben die leeren Häuser. Es ist aber nicht nur eine Immobilienfrage. Es waren die Kids aus dem Osten, es war deren Begeisterung, es waren sie, die am intensivsten spürten, dass eine völlig neue Zeit vor ihnen lag. So einen Moment habe ich nur einmal erlebt, es war der Moment nach der Wiedervereinigung. Ein DJ ist ja immer ein . . . . . . Weltempfänger, wie Rainald Goetz das nennen würde? Westbam: Ein Vampir der Stimmung. Das geht durch mich durch. Und diese Befreiung, die spürte man im Osten. In Berlin, aber auch in Polen, in Russland. Jetzt sind wir doch bei den Unterschieden zwischen Ost und West. Ihr Verein, Herr Zingler, hat sich sehr für Flüchtlinge engagiert. Kann es sein, dass die Härte, mit der in dieser Frage die Positionen aufeinanderkrachen, damit zu tun hat, dass es noch nicht einmal gelungen ist, Ost- und Westdeutsche zu integrieren? Zingler: Nein, man sollte das Thema nicht in dieser Weise überhöhen. Am Ende geht es darum, was man an dem Ort tut, an dem man etwas tun kann. Ich kann nicht den Krieg in Syrien beenden. Aber ich kann ein Fest veranstalten und Flüchtlinge einladen und dann sagen: So, jetzt redet nicht übereinander, redet lieber miteinander. Herr Westbam, ist die Musik, die Sie machen, nur die Folklore der westlichen Welt, oder ist es mehr? Westbam: Wenn ich, zum Beispiel, in Japan bin, dann ist es für mich oft sehr schwer zu verstehen, wie eine Bemerkung gemeint ist, auch wenn ich den Wortsinn kenne. Aber dann geht das Bummbummbumm der Musik los, der Dialog zwischen dem DJ und dem Publikum, und dann ist diese Kommunikation kein Problem mehr. Nein, diese Musik ist kein westliches Phänomen. Was folgt daraus? Die Leute verstehen die Musik, sie haben Freude am Fußball. Dann hört die Musik auf, das Spiel wird abgepfiffen, und man ist sich wieder so fremd wie zuvor? Westbam: Man soll sich nicht hinsetzen nach einer Party oder einem Spiel und aufschreiben, was man alles gelernt hat dabei. Ich glaube, der große Philosoph Ludwig Wittgenstein hat geschrieben: „Die Lösung der Probleme des Lebens bemerkt man an ihrem Verschwinden.“ Zingler: Ihre Frage kann man nur bejahen, wenn man den Fußball auf das reine Spiel reduziert. Wir sehen das anders. Wer zu Union gehen will, muss sich für eine Haltung entscheiden. Wer erfolgreichen Fußball will, geht zu den Bayern. Wer einen Verein mit Haltung will, geht zum 1. FC Union Berlin. Interview Claudius Seidl Kunsthandel − Auktionen − Galerien KONTAKT London +44 20 7468 8328 [email protected] Auktion am Donnerstag, 4. 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