Alles Wichtige braucht Hingabe - Predigt über 1. Korinther 9,24-27 Oberstenfeld, 24. Januar 2016 Der Blick zunächst nach unten gerichtet, auf die Finger, die den Körper in dem Moment tragen, in dem die Füße sich in den Startblock einpassen. Es sind wieder Olympische Spiele. Dann wandert der Blick vom Boden nach vorne, über die ganze Bahn bis hinüber, wo die Ziellinie ist. Dort krallt er sich fest. Ein lauer Abend, die Sonne ist hinter der Stadt untergegangen. Jeder Muskel spannt sich an. Ein letztes Ausatmen. Das Stadion ist innen hell erleuchtet, der Jubel zehntausender Menschen hallt in den Abendhimmel hinauf. Fanfaren ertönen, die Siegeshymne schallt über die Ränge: Siegerehrung. Der Körper ist plötzlich nach vorne geschnellt: Startschuss! Meter für Meter drückt er sich nach vorn. Die Hände schneiden durch die Luft. Im Zentrum des Flutlichtes auf grünem Rasen steht das Siegertreppchen, alle Augen ruhen auf ihm. Und auf dem Sportler, der ganz oben steht. Makelloser Trainingsanzug, Jubel brandet auf, als ihm die Medaille um den Hals gehängt wird. Und dann ist der Moment da: die Höchstgeschwindigkeit ist erreicht. Aus dem Flug wird ein Ringen. Die Muskeln brennen, zu atmen schmerzt, die Zeit wird plötzlich zäh. Aber der Ruf der Ziellinie zwingt die Beine zu mehr, als möglich. Durchhalten. Dem Impuls, sich nur ein wenig zu schonen, widerstehen. Der Körper sagt: „Bis hierher und nicht weiter. Zwing mich nicht.“ Er lächelt, breit und strahlend: „Ich hab’s geschafft! Diesen Moment darf ich nie vergessen. Das ist mein Tag.“ Doch der Ruf der Ziellinie ist stärker. Sieg. Wie war es noch gewesen, am Vormittag? Da sah alles ganz anders aus. Die Qual wird überholt und hinter sich gelassen. Die Ziellinie jagt heran, immer näher. Jetzt noch einmal schneller! Über alle Widerstände hinaus. Voraus die Linie – dahinter der Ruf des Siegertreppchens! Tiefstart. Augen auf. Noch vor einem halben Jahr hätte er diese Leistung nie geschafft. Es war dunkel und kalt. In den meisten Häusern brannte noch kein Licht. Er war früh aufgestanden. „Viel zu früh!“ sagten die Augen. Aber dieser unerbittliche Tagesablauf war fest eintrainiert. Das Essen war „mittelgut“ gewesen. Es schmeckte nach Papier, aber dem Körper tat’s gut. Es auch ohne Spaß zu tun, das heißt Disziplin. Die Freunde hatte er schon länger nicht mehr gesehen. Vor allem die witzigen Partykumpels, denen das gemeinsame Zeitvergeuden das Wichtigste ist. Sich wieder und wieder sagen: „Heute diesen einen Schritt. Wer gleich alles will, schafft nichts.“ Stück um Stück wachsen, das heißt Training. Zwischendurch fragte er sich manchmal, ob es die ganze Mühe wert ist. Die Plackerei, die unerbittliche Disziplin gegen sich selbst. Aber das Siegertreppchen ruft. Und das gute Gefühl, sich selbst überwunden zu haben. Unzählige Male ist er gelaufen. Und auf jeden Lauf kam es für ihn an. Das Siegertreppchen ruft. Es ruft stärker, als die Couch und stärker als das warme Bett, hier morgens um fünf in der kalten Sporthalle. Sport, zumal Leistungssport, das heißt: Hingabe. Wer erfolgreich sein will, muss richtig kämpfen und diszipliniert sein. Nicht nur auf der Laufbahn, sondern im gesamten Leben. Mehrmals in der Woche trainieren, aufs Essen achten, genug schlafen, auf vieles verzichten, was die anderen machen. Das ganze Leben ist auf das Ziel, den Sieg, hin ausgerichtet. Millionen Menschen schauen Sport. Fast jeder ist fasziniert, von dieser Hingabe, die die Sportler antreibt. Aber es gibt auch andere, die genauso hart kämpfen, um ihren Siegespreis. Es sind die Menschen, die ihren Ehepartner oder die Eltern pflegen. Mit eiserner Disziplin. Sie geben alles, damit sie zuhause bleiben können. Diese Aufgabe erfordert viel Kraft. Und auch Verzicht auf vieles. Aber was wichtig ist, braucht Hingabe. Wer eine chronische Krankheit hat, muss die Kräfte genau einteilen, Medikamente pünktlich einnehmen, auf die Ernährung achten – genau nach Anweisung des Arztes. Damit die Krankheit unter Kontrolle bleibt. Aber was wichtig ist, braucht Hingabe. Wer Familie und Kinder hat, opfert manche Nacht. Er ordnet seine Karriere der Familie unter. Nimmt in Kauf, dass sich Freundschaften ändern und vom Geld weniger übrig bleibt. Aber was wichtig ist, braucht Hingabe. So sagt es auch der heutige Predigttext. Er steht im 1.Korintherbrief. Ich lese nach der Basisbibel. 24 Ihr wisst doch: Im Stadion laufen alle Läufer schnell, aber nur einer gewinnt den Preis. Lauft wie der, der ihn gewinnt! 25 Alle Wettkämpfer üben im täglichen Leben Verzicht. Sie tun es, um einen vergänglichen Siegeskranz zu gewinnen. Aber wir tun es für einen unvergänglichen Siegeskranz. 26 So führt mein Wettlauf nicht ins Ungewisse und meine Fausthiebe gehen nicht in die Luft. 27 Im Gegenteil: Meine Schläge treffen meinen eigenen Körper und bringen ihn in meine Gewalt. Ich will nicht anderen etwas verkünden, bei dem ich selbst versage. Paulus spornt uns an. „Lauft und ringt!“ Was wichtig ist, braucht Hingabe. Ihm geht es dabei aber nicht um Goldmedaillen oder Siegertreppchen. Er spricht vom Christsein und darum, wie ich es auslebe: es geht ihm um die vielen kleinen und großen Kämpfe, in denen sich das Christsein bewährt. Mit dem eigenen Leben einzustimmen in Gottes Reich: das ist der unvergängliche Siegeskranz. Was wir schon sind – Kinder Gottes, Geliebte, Angenommene – das sollen wir auch werden: Menschen, die zu Gott „Papa“ sagen, die ihn und die Geschwister lieben, die sich selbst und andere so annehmen, wie sie sind. „Lauft und ringt, dass ihr einstimmt in Gottes Reich.“ Als Christen laufen wir auf solche Ziele zu. Und wir sollen alles tun, um diese Ziele zu erreichen, wie die Leistungssportler. Das meint nicht – und das ist mir ganz wichtig – dass wir uns den Himmel verdienen könnten. So, wie sich ein Leistungssportler seinen Sieg durch Disziplin und Training erkämpft. Nein, das können wir nicht! Deinen Platz im Himmel, der wurde dir schon geschenkt und was man schon hat, kann man nicht mehr erringen. Gottes Liebe kriegen wir ohne Training, ohne Kampf, ohne Plackerei. Einfach so! Das ist uns schon in der Taufe zugesprochen. „Fürchte dich nicht. Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!“ Wir gehören zu Gott. Wir sind seine Kinder. Das können wir uns nicht erarbeiten, weil wir es schon sind. Aber das können und sollen wir ausdrücken. Paulus gibt seiner Gemeinde mit auf den Weg: Arbeitet an eurem Christsein im Alltag. Richtet euer ganzes Leben auf ein Ziel aus. Und dieses Ziel ist: Gott. Mein Leben soll von Gottes Liebe durchtränkt werden. In jeden Winkel meines Lebens will sie strömen. Ich will Gott erleben, Gott begegnen und erfahren: er ist da für mich: sei es im Lobpreis oder dadurch, dass ich in der Bibel auf einmal Gottes Stimme lese, die mich erklärt, mich entfaltet. Da lese ich uralte Zeilen und die passen auf einmal genau für meine Situation: ich bin hier gemeint. Und wie in einem Gespräch mit einem Freund eröffnet sich wie aus dem Nichts ein neuer Weg für mich. Das sind Szenen wie oben auf dem Siegertreppchen. Christsein heißt: Der Glaube macht meinen Alltag reich! Alles, was wichtig ist, braucht Hingabe. Christsein macht erst dann Sinn, wenn man es lebt. Wenn ich nun meinen Alltag anschaue, dann sehe ich, was ihn prägt, woran ich mich hingebe. Wie führe ich mein Leben? Wie gestalte ich meine Woche? Zum Glauben gehört das Leben. Zum Christsein gehört das Tun. Alles Wichtige braucht Hingabe. Für einen Sportler heißt Hingabe, den Alltag auf das Ziel hin auszurichten. Für einen Christen heißt es das genauso. Hier hinkt aber das Bild vom Sportler. Denn er weiß nie, ob er sein Ziel auch erreicht. Alles hängt von ihm ab: ist er gut genug, opfert er genug? In unserem Christsein hängt alles Gelingen aber von Gott ab. Wenn wir uns selber ändern könnten, dann bräuchten wir Gott nicht. Aber uns selber neu machen: das ist weit außerhalb unserer Möglichkeiten. Wenn wir Menschen uns verbessern könnten, sähen die täglichen Nachrichten ganz anders aus. Nein: nur Gott verändert uns. Und Gott ist auch dann da, wenn ich ihn ignoriere. Er arbeitet in meinem Leben auch dann, wenn ich nicht mitmache. Dass Gott etwas verändert: dafür kann ich nichts tun, denn mit nichts kann ich Gott zwingen. Aber ich brauch ihn auch gar nicht zwingen: denn er will mich verändern, er zieht mich immer in seine Nähe. Was ich nun tun kann, was ich trainieren kann, ist das: meine Hindernisse aus dem Weg räumen, meine Widerstände aufgeben. Ich kann einstimmen in das, was Gott tut und mich seiner Prägung hingeben. Wie möchte ich mit Leuten umgehen? Liebevoll? Rücksichtsvoll? So, dass die Leute mir gerecht werden? Wer mich verletzt, ist unten durch, wer mich nicht würdigt, kann gehen – wer mir nichts bringt, der bringt mir nichts. Oder wie gehe ich mit Geld um? Ist das mein verdienter Besitz, der mir allein gehört? Ich bestimme, wozu es dienen soll? Es soll allein mein Leben reich machen und mich absichern? Oder für was stehe ich ein? Was nehme ich mir vor, wenn die Freizeit gekommen ist und was mache ich stark, wenn ich mit Menschen ganz frei rede? Was sind die Themen, die mich begeistern und was sind die Probleme, über die ich schimpfe? Mir zumindest fällt dann immer wieder auf, dass viele Dinge meinen Alltag prägen – und oft genug ist das nicht mein Gott. Oft genug fange ich an, mich um Kleinigkeiten zu drehen. Oft genug fange ich an, Dingen zu dienen und sie mein Leben bestimmen zu lassen: der Anerkennung opfere ich meine Beziehungen. Dem Geld opfere ich meine Kraft und meine Kreativität. Irgendeinem Interesse opfere ich meine freie Zeit und meine Worte. Ein Sportler beginnt immer wieder, sich im Kleinen umzustellen, um das große Ziel zu erreichen. Kein Gewichtheber beginnt am Anfang der Karriere mit 300kg Gewichten, kein Läufer fängt sein Marathontraining damit an, dass er ihn läuft. Training heißt, die eigene Lage erkennen und in stetigen, kleinen Schritten immer weiter gehen. Training heißt, das tun, was man erstrebt. Und so ist da z.B. die Frau, die sich jeden Morgen, wenn die Kinder aus dem Haus sind, hinsetzt und in der Bibel liest. Nach den Losungen oder einem Bibelleseplan. Da sind die Menschen, die sich einsetzen für andere. Die sich in Gremien und Gruppen engagieren, um die Liebe Gottes fassbar zu machen. Da ist der Mann, der auf dem Weg zur Arbeit im Auto betet. Der Gott seine Sorgen anvertraut aber auch das, auf was er sich freut. Wer trainiert, wer ausprobiert und sich aufs Laufen einlässt, der wächst darin. Kein Sportler läuft am ersten Tag einen Marathon. Kein Christ dreht an einem Tag die Welt um. Kleine Schritte bringen voran. 10 Minuten Bibellesen am Anfang. Ein kurzes Gebet, vor dem Schlafen gehen oder nach dem Aufstehen. Oder einfach eine kurze Zeit still werden vor Gott. Das tun wir aber nicht, damit Gott uns liebt, sondern WEIL er uns liebt. Der Sportler wird angetrieben, weil er gewinnen will – aber nie weiß er, ob er am Ende gut genug ist. Trotzdem gibt er sich hin. Wie viel mehr haben wir Grund zur Hingabe an Christus?! Denn für ihn sind wir auf jeden Fall gut genug. Für ihn sind wir es sogar wert, zu sterben. „Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben hingibt für seine Freunde.“ Wenn ich erfahre, wie sehr Gott mich liebt. Und wenn ich begreife, wie sehr Gott auch meine Mitmenschen liebt, kann mich das nicht unberührt lassen. Diese Liebe spornt mich an. Sie gibt Kraft und Mut, etwas davon weiterzusagen und in die Welt zu tragen. Jeweils da, wo mein Platz ist und was meine Möglichkeiten sind. Unser Sieg ist es, dass wir laufen. Unser Sieg ist es, wenn wir die Wege zu Gott und zum anderen immer wieder in Angriff nehmen. Unser Sieg ist es, wenn wir nicht bei uns selbst sitzen bleiben, sondern aufstehen und laufen: zu Gott und zum Menschen vor unserer Nase. Wir laufen auf Gott zu, der uns entgegen kommt. Der mich oft schon auf halbem Wege auffängt. Wer unterwegs ist zu Gott, der kommt auch an! Er kommt an in einem neuen Leben. Denn Gott läuft uns entgegen. AMEN
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