Platen : Ist`s möglich, ein Geschöpf in der Natur zu sein

August von Platen
Ist’ s möglich, ein Geschöpf in der Natur zu sein
Ist’s möglich, ein Geschöpf in der Natur zu sein,
Und stets und wiederum auf falscher Spur zu sein?
Ward nicht dieselbe Kraft, die dort im Sterne flammt,
Bestimmt, als Rose hier die Zier der Flur zu sein?
Was seufzt ihr euch zurück ins sonst’ge Paradies,
Um, wie das Sonnenlicht, verklärt und pur zu sein?
Was wünscht ihr schmerzbewegt euch bald im Erdenschoß,
Und über Wolken bald und im Azur zu sein?
Was forscht ihr früh und spat dem Quell des Übels nach,
Das doch kein andres ist, als – Kreatur zu sein?
Sich selbst zu schaun erschuf der Ewige das All,
Das ist der Schmerz des Alls, ein Spiegel nur zu sein!
In Gott allein ist Ruh’ , doch wir vermögen nichts,
Als bloß ein Pendelschwung der ew’gen Uhr zu sein.
Dieses Gedicht von August von Platen ist ein Ghazel, eine im klassischen Arabischen und Persischen sehr
geläufige Gedichtform, die zumeist, auch bei Platen, die Liebe zum Inhalt hat. In unserem Falle aber geht es um
Metaphysisches. Das Gedicht antwortet auf drei Fragen: Warum gibt es die Welt und nicht nur Gott allein?
Warum gibt es das Böse? Warum quält sich der Mensch damit?
Auf die erste Frage antwortet die Zeile: „Sich selbst zu schaun erschuf der Ewige das All.“ Gott stellt sich die
Welt als Spiegel gegenüber, um sich darin zu erblicken; nicht in seiner Ganzheit, das kann kein Spiegelbild
leisten, sondern in einem bestimmten Anblick, der mit zu seinen Möglichkeiten zählt, und sich deshalb
verwirklichen muss. Der Spiegel ist aber wiederum nichts anderes als Gott selbst. Darauf spielt die Zeile an:
„Ward nicht dieselbe Kraft, die dort im Sterne flammt,/ Bestimmt, als Rose hier die Zier der Flur zu sein?“
Im Islam gibt es eine auf Muhammad zurückgehende Überlieferung, in der Gott in der ersten Person spricht,
die dasselbe aussagt: „Ich war ein verborgener Schatz und wollte erkannt sein, da erschuf ich die Welt.“ Platen,
der ja des Arabischen und Persischen mächtig war und auch mit Rückert (der in seinen Gedichten ähnliche
Gedanken formuliert) zeitweilig in Kontakt stand, mag durchaus mit dieser Überlieferung vertraut gewesen sein.
Obwohl nicht notwendigerweise, denn die Spiegelmetapher ist Allgemeingut , und schon bei Augustinus steht zu
lesen, dass es in der Natur des Höchsten Gutes liege, sich mitzuteilen. Wie dem auch sei: wer Spiegel, Abbild,
„Mitteilung“, d.h. „Ausstrahlung“ sagt, sagt damit auch Distanz, Entfernung von der Quelle der Vollkommenheit, auch alles vollkommen Guten. „In Gott allein ist Ruh’“, eben weil das Abbild nicht das Abgebildete ist.
Der Quell des Übels liegt nach Platen im Schöpfungscharakter der Schöpfung selbst begründet. „Das ist der
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Schmerz des Alls, ein Spiegel nur zu sein!“ Ganz dasselbe sagt übrigens auch Rückert in der „Weisheit des
Brahmanen“: „Was ist das Böse denn? Es ist der innre Streit,/ Die Doppelheit der Welt, die sie mit Gott
entzweit./ Wohl ist, was ist, in Gott, sonst wär’ es nicht vorhanden;/ Doch ist’s auch außer ihm, sonst wär’ es
nicht entstanden./ Sofern in Gott es ruht, ist alles Leben gut,/ Und bös’ ist alles, was es für sich selber tut.“
Hier löst sich ein altes Dilemma der Theodizee, das man etwa so formulieren könnte: entweder ist Gott
allmächtig, dann ist er nicht vollkommen gut, denn er lässt das Böse zu; oder er ist vollkommen gut aber nicht
allmächtig, weil er das Böse nicht verhindert. Er kann also nicht zugleich allmächtig und gut sein. Die Crux und
der Ausgangspunkt der Lösung liegt im Begriff der Allmacht: der Wille oder die Allmacht Gottes kann sich nicht
auf sich selbst, d.h. auf die eigene Natur erstrecken; Gott hat nicht die Wahl nicht Gott zu sein! Wenn es nun zur
göttlichen Natur gehört, sich „mitzuteilen“, „zu „spiegeln“, und die dadurch bedingte „Spiegeldistanz“ das Böse
notwendig hervorbringt, dann beziehen sich die Allmacht und die Existenz des Bösen jeweils auf zwei ganz
verschiedene Ebenen, die nicht miteinander in einen ausschließenden Widerspruch gebracht werden können.
Das nimmt natürlich dem Bösen nichts von seiner brutalen Wirklichkeit; und der Schmerz und die Qual für
den Menschen liegt eben darin, dass er einerseits zwar die Spur des Unveränderlichen und Ewigen in sich trägt –
andererseits aber dazu verurteilt ist, im Veränderlichen weiterzuleben – „doch wir vermögen nichts,/ Als bloß
ein Pendelschwung der ew’gen Uhr zu sein.“ Das Böse ist ein Rätsel, und der Mensch neigt, wenn er ihm
begegnet, dazu, sich von ihm aufsaugen zu lassen, den Sinn im Sinnlosen zu suchen, während er sich zugleich ins
Paradies „zurückseufzt“, „um, wie das Sonnenlicht, verklärt und pur zu sein“. Doch der pessimistische Platen
gibt uns, jedenfalls in diesem Gedicht, keine Hoffnung, jemals dorthin zu gelangen.
© Wolfgang Neumann
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