Employment Law Newsletter (Ausgabe 4/2015)

D as alte J ah r g eh t, d i e
G eri c h tsentsc h ei d u ng en
b lei b en
Z u G u ter Letz t
A k tu elle R ec h tsprec h u ng
A us g ab e 24 | 4. Quartal 2015
Employment Law
3
Newsletter
5 W e lc h e V e rg ü tun g s b e s tan d te i le
k ö n n e n auf d e n M i n d e s tlo h n an g e re c h n e t w e rd e n ?
7
U rlaub s g e w ä h run g n ac h f ri s tlo s e r
K ü n d i g un g
2: 1 f ü r d i e F alls c h i rm lö s un g b e i v e rd e c k te r A rb e i tn e h m e rü b e rlas s un g
10 M i tb e s ti m m un g s re c h tli c h e B e rü c k s i c h ti g un g v o n i m A us lan d tä ti g e n
A rb e i tn e h m e rn
12 B A G : V e rtrag li c h v e rs us g e s e tz li c h –
W e lc h e K ü n d i g un g s f ri s t g e w i n n t?
14 N ac h k ü n d i g un g w e g e n K o n k urre n z tä ti g k e i t n i c h t i m m e r g e re c h tf e rti g t
15 E i n N i c k e rc h e n auf A rb e i t?
J a, ab e r n ur un g e p lan t.
16
V e ran s taltun g e n & V e rö f f e n tli c h un g e n
Editorial
Blickt man aus arbeitsrechtlicher Sicht auf das abgelaufene Jahr 2015 zurück, so kann man mit Fug und Recht von einem
spannenden Jahr sprechen.
Das liegt zum einen an der Zunahme europarechtlicher Einflüsse, insbesondere in Gestalt der EuGH-Rechtsprechung. Mittlerweile gehen viele deutsche Gesetze auf europarechtliche Vorgaben in Form von Richtlinien zurück. Kommt es nun zu Auslegungsfragen bezüglich solcher Gesetze, so werden diese aufgrund des europarechtlichen Hintergrundes auch immer häufiger
dem EuGH zur (Vorab-)Entscheidung vorgelegt. Bei seinen Entscheidungen schert sich der EuGH nicht um etablierte Ansichten
des BAG oder die herrschende Meinung in Deutschland – mit den bindenden Hinweisen des EuGH ist das BAG zunehmend
gezwungen, sich von althergebrachten Grundsätzen im deutschen Arbeitsrecht zu lösen. Ein Beispiel hierfür ist die Entscheidung des BAG zur Urlaubsgewährung nach fristloser Kündigung.
Seit dem 1. Januar gilt der Mindestlohn von 8,50 Euro brutto nach dem Mindestlohngesetz. Dabei blieben allerdings viele
Einzelheiten ungeklärt, die nunmehr teilweise auf dem Verordnungswege geregelt bzw. von den Instanzgerichten nach
und nach entschieden werden. Eine der Hauptfragen ist dabei die Anrechenbarkeit von Vergütungsbestandteilen auf den
Mindestlohnanspruch, zu der wir in dieser Ausgabe zwei Entscheidungen aufgenommen haben.
Weiterhin nicht abschließend entschieden ist der hausinterne Streit beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zu der
Frage der Auffangwirkung einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bei Vorliegen einer sogenannten verdeckten Arbeitnehmerüberlassung (sog. „Fallschirmlösung“). Letzter Stand ist, dass die 3. Kammer in einer weiteren Entscheidung ihre
Ansicht zu einer Fallschirmlösung wiederholt hat. Inwieweit das Landgericht Frankfurt mit seiner Entscheidung, Mitarbeiter
ausländischer Tochterunternehmen – entgegen der bisher ganz herrschenden Ansicht – bei der Bestimmung der Mitarbeiterschwellenwerte im Rahmen der unternehmerischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat in Deutschland mitzuzählen, ebenfalls
eine Rechtsprechungsänderung herbeiführen wird, bleibt abzuwarten.
Angesichts solcher grundsätzlicher Streitfragen, die eine rechtlich wasserdichte Lösung im
Einzelfall schwierig machen, beruhigt es, wenn das BAG in anderen Bereichen seine generellen Leitlinien beibehält oder konkretisiert. Dies gilt nicht nur für den Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglichen und gesetzlichen Kündigungsfristen sowie
die Frage einer Nachkündigung wegen Wettbewerbsverstoßes bei Unwirksamkeit der ursprünglichen Kündigung, sondern
auch für das Nickerchen am Arbeitsplatz.
Eine anregende Lektüre dieser Ausgabe, eine trotz Jahresendhektik besinnliche Vorweihnachtszeit, entspannte Weihnachtsfeiertage und einen guten Rutsch ins Neue Jahr 2016
wünscht Ihnen
Ihr EY Law Arbeitsrechtsteam
A k tu elle R ec h tsprec h u ng
Urlaubsgewährung nach
fristloser Kündigung
K e h
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e d e s B un d e s arb e i ts g e ri c h ts
ü g li c h d e r A n f o rd e run g e n an
g s w i rk un g d e r U rlaub s an re c h e r F re i s te llun g s e rk lä run g .
I n e i n e r ak tue lle n E n ts c h e i d un g ( U rte i l
v o m 10. F e b ruar 2015 – 9 A Z R 455/ 13 )
b e s c h ä f ti g t s i c h d as B A G m i t d e r F rag e d e r
U rlaub s g e w ä h run g n ac h f ri s tlo s e r K ü n d i g un g . D i e s h at w e i tre i c h e n d e A us w i rk un g e n
auf d i e G e s taltun g d e r F re i s te llun g s e rk lä run g f ü r e i n e h i lf s w e i s e e rk lä rte o rd e n tli c h e
K ü n d i g un g .
S ac h v erh alt
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem
1. Oktober 1987 beschäftigt. Mit Schreiben
vom 19. Mai 2011 kündigte die Beklagte
das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit
sofortiger Wirkung und hilfsweise fristgemäß zum 31. Dezember 2011. Im Kündigungsschreiben heißt es: „Im Falle der
Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen
Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubsund Überstundenansprüche unwiderruflich
von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung
freigestellt.“ Im Rahmen eines Kündigungsschutzstreits einigten sich die Parteien
sodann gütlich auf eine Beendigung des
Arbeitsverhältnisses zum Ablauf des
30. Juni 2011. Streitig war im Nachgang
daran aber, ob der noch bestehende Urlaubsanspruch des Klägers bereits erfüllt
war oder ob die Freistellungserklärung
vorliegend ins Leere ging, so dass dem Kläger – nunmehr – ein Urlaubsabgeltungsanspruch zustand.
I nstanz g eri c h tli c h e Entsc h ei d u ng en
Das Arbeitsgericht hat die Klage zunächst
abgewiesen, mit welcher der Kläger die
Abgeltung von 15,5 Urlaubstagen verlangte
(Arbeitsgericht Dortmund, Urteil vom
29.03.2012 – 6 Ca 4596/11). Es stünde
dem Kläger kein Urlaubsabgeltungsanspruch zu, weil ihm der zustehende Erholungsurlaub vollständig in natura gewährt
und von ihm genommen worden sei. Das
Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm (Urteil
vom 14. März 2013 – 16 Sa 763/12) änderte das Urteil des Arbeitsgerichts jedoch
(teilweise) ab und verurteilte die Beklagte
zur Urlaubsabgeltung des nach Auffassung
des LAG Hamm noch nicht erfüllten Urlaubsanspruchs. Entscheidungserheblich war,
dass die in der Kündigung enthaltene Freistellungserklärung nicht zu einer Erfüllung
des Anspruchs auf Abgeltung der Urlaubsansprüche geführt habe. Das LAG Hamm
stützte seine Argumentation dabei darauf,
dass der Urlaubsanspruch – entgegen der
bisher vom BAG vertretenen Auffassung –
ein einheitlicher Anspruch sei. Dies folge
aus den europarechtlichen Vorgaben. Nach
der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) zu Art. 7 der Richtlinie
2003/88/ EG (Arbeitszeitrichtlinie) bzw.
der Vorgängerrichtlinie 93/104/EG gelte die
sogenannte Einheitstheorie. Der EuGH
behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub
und den Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen
einheitlichen Anspruchs. Daraus folgen
strenge Anforderungen an die Erfüllung
des Urlaubsabgeltungsanspruchs. Beide
Komponenten des Urlaubsanspruchs
müssten bedient werden, sowohl die Freistellung als auch die Zahlung des Urlaubsentgelts. Anderenfalls komme eine den
Urlaubsanspruch erfüllende Freistellung
nicht in Betracht.
Entsc h ei d u ng d es B A G
Der 9. Senat des BAG bestätigte in seiner
Revisionsentscheidung – in Abkehr von
seiner bisherigen Rechtsprechung – das
Urteil des LAG Hamm. Bisher vertrat das
BAG in ständiger Rechtsprechung, dass der
Urlaubsanspruch gerade kein einheitlicher
Anspruch sei. Er richte sich (lediglich) auf
die Befreiung von der Arbeitspflicht (vgl.
BAG, Urteil vom 14. August 2007 – 9 AZR
934/06). Der 9. Senat des BAG geht indes
nun davon aus, dass der gesetzliche (Mindest-)Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers
gemäß § 1 des Bundesurlaubsgesetzes
(BUrlG) auf zwei Komponenten gerichtet
ist; zum einen die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung zu entbinden, und zum anderen
die Verpflichtung, das vereinbarte Urlaubsentgelt zu zahlen. Der Senat vertritt
damit ausdrücklich die vormals abgelehnte
Einheitstheorie. Ein Arbeitgeber gewähre
deshalb durch die Freistellungserklärung in
einem Kündigungsschreiben „nur dann
wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer
die Urlaubsvergütung vor Antritt des
Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.“
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A k tu elle R ec h tsprec h u ng
P rax i sh i nwei s
Die Entscheidung des BAG vom 10. Februar
2015 bedeutet zunächst eine Kehrtwende
im Verständnis des BAG vom Urlaubsanspruch
des Arbeitnehmers gemäß § 1 BUrlG: Seit
1982 vertrat das BAG die Ansicht, dass der
Urlaubsanspruch aus § 1 BUrlG lediglich auf
Freistellung gerichtet sei, ohne eine Pflicht
des Arbeitgebers zur Zahlung von Entgelt zu
begründen (vgl. BAG, Urteil vom 28. Januar
1982 – 6 AZR 571/79). Das Urteil des BAG
vom 10. Februar 2015 zwingt nun zum Um­
denken bei Arbeitgebern. Verfährt man wie
bisher, fehlt die neben der Freistellung nötige
vorbehaltlose Zusage von Urlaubsentgelt.
Ohne dieses Urlaubsentgelt gibt es aber
keine Erfüllungswirkung: „Deshalb gewährt
ein Arbeitgeber durch die Freistellungser­
klärung in einem Kündigungsschreiben nur
dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeit­
nehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt
des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt“.
Damit wird Einklang mit der Rechtsprechung
des EuGH zum bezahlten Mindestjahres­
urlaub und dessen Abgeltung bei Ende des
Arbeitsverhältnisses hergestellt. Ein Urlaub
im Sinne des BUrlG liegt demnach überhaupt
nur vor, wenn ein Arbeitnehmer Freizeit und
gleichzeitig das nach § 11 Abs. 2 BUrlG unab­
dingbare Urlaubsgeld erhält.
Im Fall einer ordentlichen Kündigung wird
der Arbeitgeber nunmehr den Kündigungs­
termin – soweit erforderlich – um die noch
offenen Urlaubstage hinausschieben und
dann unwiderruflich freistellen (Anrechnung
des Urlaubs während der ordentlichen Kündi­
gungsfrist). Im Fall einer außerordentlichen,
hilfsweise ordentlichen Kündigung ist aller­
dings kaum anzunehmen, dass der Arbeit­
geber, der das Arbeitsverhältnis aus wich­
tigem Grund beenden will, dem Arbeitnehmer
rein vorsorglich noch ein Urlaubsentgelt
für den Fall zahlt, dass die außerordentliche
Kündigung möglicherweise nicht wirksam
ist. Wäre die Pflicht zur tatsächlichen vorhe­
rigen Zahlung des Urlaubsentgelts demnach
Voraussetzung, um die Erfüllungswirkung
des Urlaubsanspruchs während der unwider­
ruflichen Freistellung zu erzielen, ließe sich
dieses Ziel kaum erreichen. Allerdings bleibt
es weiter möglich, Urlaubsabgeltung zu
vermeiden: Sofern das BAG darauf abstellt,
dass durch die Freistellungserklärung in
einem Kündigungsschreiben nur dann wirk­
sam Urlaub gewährt wird, wenn der Arbeit­
geber dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergü­
tung vor Antritt des Urlaubs (1) zahlt oder
(2) vorbehaltlos zusagt, lässt sich auf Basis
der zweiten Alternative die Erfüllungswir­
kung der Freistellungserklärung dennoch her­
beiführen. Es muss bei der Freistellungs­
erklärung im Rahmen der hilfsweise ausge­
sprochenen ordentlichen Kündigung darauf
geachtet werden, dass die Freistellung nicht
nur ausdrücklich unwiderruflich erfolgt,
sondern auch darauf, dass die Zahlung des
Urlaubsentgelts ausdrücklich und vorbe­
haltlos zugesagt wird (für den Fall, dass die
außerordentliche Kündigung nicht wirk­
sam erfolgt sein sollte). Ferner sind in der
Freistellungserklärung sowohl der Grund
der Freistellung (Erfüllung des Anspruchs
auf Urlaub) als auch der konkrete Frei­
stellungszeitraum (Resturlaubstage) anzu­
geben. Nur so kann eine Urlaubsabgeltung
abgewendet werden. Bei einer (ausschließ­
lich) außerordentlichen fristlosen Beendi­
gung des Arbeitsverhältnisses muss es nach
dieser Entscheidung dagegen bei noch offe­
nen Ansprüchen folgerichtig immer zu einer
finanziellen Urlaubsabgeltung kommen. I I I
A u tori nnen:
M arti na S . B u h r
Rechtsanwältin
Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf
Telefon +49 211 9352 28164
[email protected]
D omi ni k a K u ß mau l
Rechtsanwältin
Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
Telefon + 49 711 9881 26303
[email protected]
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A k tu elle R ec h tsprec h u ng
Welche Vergütungsbestandteile
können auf den Mindestlohn
angerechnet werden?
B e z ü g li c h d e r F rag e d e r A n re c h e n b ark e i t
v o n V e rg ü tun g s b e s tan d te i le n s i n d i n d e n
le tz te n M o n ate n e rs te E n ts c h e i d un g e n
e rg an g e n
Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland der Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG). Seitdem haben
grundsätzlich alle Arbeitnehmer bundesweit Anspruch auf einen allgemeinen
gesetzlichen Mindestlohn. Das bedeutet:
Sie dürfen nicht weniger als 8,50 Euro
brutto pro Stunde verdienen. Daneben gibt
es branchenspezifische Mindestlöhne, die
meist in Tarifverträgen festgelegt sind und
den gesetzlichen Mindestlohn grundsätzlich nicht unterschreiten dürfen. Obwohl es
nun eine Lohnuntergrenze für alle Arbeitnehmer gibt, sind viele Detailfragen, u. a.
welche Vergütungsbestandteile auf den
Mindestlohn angerechnet werden können,
noch ungeklärt.
I . Entsc h ei d u ng d es A rb ei tsg eri c h t
B au tz en
Das Arbeitsgericht Bautzen hat mit Urteil
vom 25. Juni 2015 (AZ: 1 Ca 1094/15)
entschieden, dass ein tariflich gezahltes
Urlaubsgeld sowie ein Nachtarbeitszuschlag nicht auf den Mindestlohnanspruch
anzurechnen ist.
S ac h v erh alt
Die Parteien stritten über die richtige
Berechnung des der Klägerin zustehenden
Entgelts für Januar 2015, insbesondere
die Berechnung des von der Beklagten gewährten Nachtzuschlags von 25 % sowie
die Anrechnung von gewährtem, zusätz-
lichem Urlaubsgeld auf den der Klägerin
ab dem 1. Januar 2015 zustehenden
Mindestlohn.
Die Klägerin erhielt einen Stundenlohn
in Höhe von 7,00 Euro (brutto). Gemäß
anwendbarem Tarifvertrag war ein Nachtzuschlag in Höhe 25 % zu zahlen. Ferner
hatte sie Anspruch auf ein Urlaubsgeld in
Höhe des 1,5-fachen durchschnittlichen
Arbeitsverdienstes. Im Monat Januar
2015 erhielt die Arbeitnehmerin eine
„Zulage nach MiLoG“; hierauf rechnete
die Arbeitgeberin ein Urlaubsgeld
für einen Urlaubstag in Höhe von ca.
34,00 Euro an.
Zwei kürzlich ergangene Urteile zeigen
eine erste Stoßrichtung der Gerichte, welche
Anrechnungsmöglichkeiten den Arbeitgebern in Bezug auf den Mindestlohn zur Verfügung stehen oder nicht.
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A k tu elle R ec h tsprec h u ng
Ferner legte die Arbeitgeberin der Berechnung des Nachtzuschlages einen Stundenlohn von 7,00 Euro zu Grunde. Die Klägerin
verlangte mit ihrer Zahlungsklage Auszahlung des (zusätzlichen) Urlaubsgeldes sowie
die Berechnung des Nachtzuschlages auf
Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns
in Höhe von 8,50 Euro (brutto).
Entsc h ei d u ng
Das Arbeitsgericht Bautzen gab der Klage
vollumfänglich statt:
Das Urlaubsgeld sei auf den Mindestlohnanspruch nach § 1 Abs. 2 MiLoG nicht
anrechenbar, denn dieses werde nicht für
die Normalleistung des Arbeitnehmers
gezahlt. Das „zusätzliche“ Urlaubsgeld diene
vielmehr der Kompensation der Zusatzkosten, die während der Erholung im Urlaub
entstünden. Das Urlaubsgeld sei damit
funktional auf die Wiederherstellung der
Arbeitskraft des Arbeitnehmers während
des Urlaubs gerichtet, nicht jedoch als Vergütung der Normalleistung zu betrachten.
Die Berechnung des Nachtzuschlages habe
auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohnes zu erfolgen. Dies ergebe sich bereits
aus dem anwendbaren Tarifvertrag, wonach
Grundlage für die Berechnung des Nachtzuschlages der Stundenverdienst sei, wofür
nur der zu gewährende Mindestlohn in Betracht komme. Auch nach dem Arbeitszeitgesetz sei im Übrigen Anknüpfungspunkt
bei der Berechnung von Nachtzuschlägen
das zu zahlende Bruttoarbeitsentgelt.
Zudem werde mit dem Nachtzuschlag die
besondere Beschwerlichkeit der Nachtarbeit kompensiert, nicht jedoch die Normalleistung.
I I . Entsc h ei d u ng d es A rb ei tsg eri c h t
D ü sseld orf
Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat mit
Urteil vom 20. April 2015 (AZ: 5 Ca
1675/159) entschieden, dass alle Zahlungen, die als Gegenleistung für die
erbrachte Arbeitsleistung mit Entgeltcharakter gezahlt werden, beim Mindestlohn zu berücksichtigen sind. Dies gilt
auch für einen vom Arbeitgeber gezahlten
Leistungsbonus.
S ac h v erh alt
Die Parteien stritten über die Frage, auf
welche Gehaltsbestandteile der gesetzliche Mindestlohn nach dem MiLoG anwendbar ist. Die Klägerin wurde bei der
beklagten Arbeitgeberin zunächst mit
einer Grundvergütung von 8,10 Euro
brutto pro Stunde vergütet. Daneben
zahlte die Arbeitgeberin einen „freiwilligen Brutto/Leistungsbonus von max.
1,00 Euro brutto, der sich nach der jeweilig gültigen Bonusregelung“ richtete.
Anlässlich der Einführung des MiLoG teilte
die Arbeitgeberin der Klägerin mit, die
Grundvergütung betrage weiter 8,10 Euro
brutto pro Stunde, der Brutto/Leistungsbonus max. 1,00 Euro brutto pro Stunde.
Vom Bonus würden allerdings 0,40 Euro
brutto pro Stunde fix gezahlt. Die Klägerin
hat geltend gemacht, der Leistungsbonus
dürfe in die Berechnung des Mindestlohns
nicht einfließen. Er sei zusätzlich zu einer
Grundvergütung in Höhe von 8,50 Euro
brutto pro Stunde zu zahlen.
Entsc h ei d u ng
Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat die
Klage abgewiesen. Die Arbeitnehmerin
habe im Januar insgesamt eine Vergütung
in Höhe von 9,10 Euro brutto pro Stunde
erhalten; der gesetzliche Mindestlohn sei
damit nicht unterschritten. Der Leistungsbonus dürfe bei Berechnung des Mindestlohns einfließen, weil dieser Bonus einen
unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung
aufweise und es sich damit um „Lohn im
eigentlichen Sinne“ handele. Zweck des
MiLoG sei es, dem Vollzeitbeschäftigten
durch eigenes Einkommen die Sicherung
eines angemessenen Lebensunterhalts
zu ermöglichen. Es komme – unabhängig
von der Bezeichnung einzelner Leistungen –
allein auf das Verhältnis zwischen dem
tatsächlich an den Arbeitnehmer gezahlten
Lohn und dessen geleisteter Arbeitszeit
an. Mindestlohnwirksam seien daher alle
Zahlungen, die als Gegenleistung für die
erbrachte Arbeitsleistung mit Entgeltcharakter gezahlt würden. I I I
Das Mindestlohngesetz selbst spricht nur von einer Mindestvergütung von 8,50 Euro
brutto pro Zeitstunde und enthält keine Regelungen zur Anrechnung anderer Vergütungsbestandteile. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Gerichte der bislang
gelebten Praxis von anrechenbaren Vergütungsbestandteilen treu bleiben werden.
Dies haben die ersten erstinstanzlichen Urteile gezeigt. Demnach sind solche Leistungen anrechenbar, die funktional gleichwertig mit dem Zweck des Mindestlohns
sind. Das sind alle Zahlungen, die als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung
mit Entgeltcharakter gezahlt werden, was z.B. bei einem Leistungsbonus der Fall
ist. Nicht anrechenbar sind hingegen Vergütungsbestandteile, die einen ganz anderen
Zweck verfolgen und anderen Bindungen unterfallen. Dies sind z. B. Überstundenzuschläge sowie und Nacht- und Schmutzzulagen. Auch bei einer Anrechenbarkeit
ist allerdings zusätzlich die Fälligkeit des Mindestlohnes zu beachten, so dass ein
Vergütungsbestandteil zwar grundsätzlich anrechenbar ist, aber außerdem monatlich ausgezahlt werden sollte, um Anrechenbarkeitsstreitigkeiten im Einzelfall zu
vermeiden.
A u tori nnen:
Li sa B ornemann
Rechtsanwältin
Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf
Telefon +49 211 9352 20011
[email protected]
D r. S onj a M ü ller
Rechtsanwältin
Ernst & Young Law GmbH, München
Telefon + 49 89 14331 23499
[email protected]
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A k tu elle R ec h tsprec h u ng
2:1 für die Fallschirmlösung bei
verdeckter Arbeitnehmerüberlassung
D i e 3 . K am m e r d e s L an d e s arb e i ts g e ri c h ts
( L A G ) B ad e n - W ü rtte m b e rg b e s tä ti g t i n
i h re m U rte i l v o m 9 . A p ri l 2015 ( A Z : 3 S a
53 / 14) i h re E n ts c h e i d un g v o m 18 . D e z e m b e r 2014 ( A Z : 3 S a 3 3 / 14) , w o n ac h e i n e
v e rd e c k t p rak ti z i e rte A rb e i tn e h m e rü b e rlas s un g b e i V o rli e g e n e i n e r A rb e i tn e h m e rü b e rlas s un g s e rlaub n i s auc h i m E i n z e lf all
un te r k e i n e n U m s tä n d e n z u e i n e m A rb e i ts v e rh ä ltn i s z w i s c h e n d e m E n tle i h e r un d
d e m v e rd e c k t ü b e rlas s e n e n L e i h arb e i tn e h m e r f ü h re n k an n . A n d e rs h atte i m D e z e m b e r 2014 d i e 4. K am m e r d e s L A G B ad e n W ü rtte m b e rg ( U rte i l v o m 3 . D e z e m b e r
2014 – A Z : 4 S a 41/ 14) e n ts c h i e d e n .
S ac h v erh alt
Der Kläger – Mitglied der IG Metall – war
vom 1. Juli 2000 bis zum 14. Mai 2014
als Ingenieur im Betrieb der Beklagten,
die Mitglied im Verband der Metall- und
Elektroindustrie Baden-Württemberg e. V.
(Südwestmetall) ist, tätig. Während
des Tätigkeitszeitraums hatte er mehrere,
wechselnde Arbeitgeber, die ihn im Rahmen eines Werkvertrages bei der Beklagten einsetzten. Alle seine Arbeitgeber
sind und waren im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Am 20. Mai
2012 trat ein zwischen der Südwestmetall
und der IG Metall geschlossener Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit (TV LeiZ) in Kraft. Er
bestimmt u. a., dass der Entleiher dem
Leih-/Zeitarbeitnehmer nach 24 Monaten
Überlassung ab dem Inkrafttreten des
Tarifvertrags einen unbefristeten Arbeitsvertrag anzubieten habe. Auf Wunsch der
Beklagten wurde der Kläger am 15. Mai
2014, also kurz vor Ablauf der 24 Monate,
von der Tätigkeit beim Kläger abgezogen
und anderweitig eingesetzt.
Der Kläger beantragte mit seiner Klage die
Feststellung eines Arbeitsverhältnisses mit
der Beklagten. Im Wesentlichen begründete
er dies damit, dass er umfassend in den
Betrieb der Beklagten eingegliedert gewesen sei und Weisungen von der Beklagten
erhalten habe. Es habe daher eine verdeckte, unzulässige Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen. Es sei rechtsmissbräuchlich, sich in den Fällen verdeckter Arbeitnehmerüberlassung auf die erteilte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu berufen.
Hilfsweise beantragte der Kläger den Beklagten zu verpflichten, ihm den Abschluss
eines unbefristeten Arbeitsvertrags im
Sinne des Tarifvertrags anzubieten. Der
Austausch des Klägers kurz vor Vollendung
der 24 Monate sei rechtsmissbräuchlich
und diene dazu, seinen Anspruch zu
unterlaufen.
lassungserlaubnis verfügende Werkunternehmer, der als Verleiher auftrete, entzöge
sich der vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bezweckten Seriositätskontrolle
gerade nicht, weshalb keine Veranlassung
bestehe, ihn als prinzipiell unzuverlässig
anzusehen. Es könne daher zwischen dem
Entleiher und dem verdeckt überlassenen
Leiharbeitnehmer kein Arbeitsverhältnis
begründet werden, wenn eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vorläge.
Das Arbeitsgericht Stuttgart wies die Klage
in erster Instanz ab.
Entsc h ei d u ng
Die 3. Kammer des LAG Baden-Württemberg sah die Berufung als unbegründet
an und berief sich auf seine Entscheidung
vom 18. Dezember 2014 (3 Sa 33/14).
Danach entfalte eine sogenannte „Vorratserlaubnis“ zunächst Legalisierungswirkung
und der über eine Arbeitnehmerüber-
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A k tu elle R ec h tsprec h u ng
Bei einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung verhindert das Vorliegen einer
Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis die Entstehung
eines Arbeitsverhältnisses
mit dem Entleiher.
Durch das Vortäuschen eines Werkvertrages und Verschleierung der tatsächlich vorliegenden verdeckten Arbeitnehmerüberlassung wären dem betroffenen Arbeitnehmer
lediglich seine Rechte nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), insbesondere aus dem Equal-Pay-Grundsatz, versagt
worden.
Er müsse nach Treu und Glauben vertraglich nur so gestellt werden, als hätte er von
vornherein seine Rechte als Leiharbeitnehmer wahrnehmen können. Ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher werde jedoch
nicht begründet.
Die 3. Kammer lehnte die Rechtsauffassung
der 4. Kammer als nicht überzeugend ab.
Die 4. Kammer ging in ihrem Urteil vom
3. Dezember 2014 (AZ: 4 Sa 41/14) davon
aus, dass sich die Vertragspartner von verdeckter Arbeitnehmerüberlassung wegen
widersprüchlichen Verhaltens nicht auf die
Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis berufen dürften. Deshalb stelle sich der Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer gem. § 9 Nr. 1 AÜG als unwirksam
heraus. Als gesetzliche Rechtsfolge wird
das Arbeitsverhältnis zum Entleiher fingiert.
Hierzu führte die 3. Kammer aus, dass
dem betroffenen Arbeitnehmer gegen seinen Willen sein von ihm frei gewählter Arbeitgeber genommen und deshalb gegen
einen anderen ausgetauscht werde, weil
sein frei gewählter Arbeitgeber und dessen
Vertragspartner sich treuwidrig verhalten
hätten. Der Entzug des gewählten Arbeitgebers durch Gesetz stelle jedoch einen
Eingriff in die durch Art. 12 Grundgesetz
geschützte Rechtsposition des Arbeitnehmers dar. Den Hilfsantrag des Klägers
lehnte die 3. Kammer ebenfalls ab, weil die
24-monatige Überlassungsdauer nicht erfüllt war. Das Vorbringen des Klägers, dass
das Vorgehen der Beklagten rechtsmissbräuchlich wäre und nur dazu diene, seine
Ansprüche aus dem Tarifvertrag zu unterlaufen, teilte das LAG ebenfalls nicht. Die
Absicht, die Ablösung zu bewirken, um zu
verhindern, dass der Leiharbeitnehmer
die 24-monatige Beschäftigungszeit zurücklegen kann, reiche für einen Rechtsmissbrauch alleine nicht aus. Insofern übe der
Entleiher nur die durch den Tarifvertrag
nicht eingeschränkte Freiheit aus, zu entscheiden, in welchem Umfang und für
welche Dauer er welchen Leiharbeitnehmer einsetzen möchte.
P rax i sh i nwei s
Nach dieser Entscheidung steht es bei der Frage, ob bei einer verdeckten Arbeitnehmer­
überlassung das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis als Fallschirm dienen
und das Entstehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer
verhindern kann, innerhalb des LAG Baden­Württemberg 2:1 für die Fallschirmregelung. Die
abweichende Entscheidung der 4. Kammer sorgt jedoch für eine gewisse Rechtsunsicher­
heit – der Fallschirm der auf Vorrat gehaltenen Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis ist löchrig.
Klärung wird das Bundesarbeitsgericht (BAG) bringen. Gegen die abweichende Entschei­
dung der 4. Kammer wurde beim BAG Revision eingelegt (AZ: 9 AZR 51/15). Zusätzlich
sieht der Koalitionsvertrag eine Gleichstellung der verdeckten mit der illegalen Arbeitneh­
merüberlassung vor. Es wurde eine Neuregelung angekündigt (die jetzt mit dem
Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vorliegt), wonach eine
Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nur noch bei einer offen vereinbarten Arbeitnehmerü­
berlassung greifen solle. Spätestens bei Umsetzung dieser Pläne wird der bisherige Fall­
schirm endgültig in die Brüche gehen. Unternehmen tun angesichts dieser prekären Situa­
tion gut daran, beim Einsatz von Fremdpersonal genauestens zu prüfen, ob die bisher
gewählte Vertragsform auch der tatsächlich praktizierten Zusammenarbeit entspricht. I I I
A u tori nnen:
I ri s T au th
Rechtsanwältin
Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
Telefon + 49 711 9881 12862
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X eni a R u pp
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A k tu elle R ec h tsprec h u ng
EWG Framework
Externe und interne
Anforderungen
Stakeholder
B e d arf b e s c h re i b e n
un d p rü f e n
Arbeitsrecht
Vorstand
Gremien
Sozialversicherungsrecht
Steuerrecht
Strafrecht
E i n tri tt,
E i n s atz
un d
A us tri tt
EWG
Strategie
Fachliche
Stakeholder
L i e f e ran t
aus w ä h le n ,
p rü f e n un d
b e s te lle n
Personalabteilung
Einkauf
Datenschutz
Finanzabteilung
Gesetzliche
Mindestbestimmungen
Interne Vorgaben
Compliance
F re m d k raf t p rü f e n
Rechtsabteilung
Interne Revision
L e i s tun g s e rb ri n g un g d urc h E x te rn e –
D as R i s i k o v o n G e s e tz e s v e rs tö ß e n s te i g t!
Der dargestellte Streit beim LAG Baden-Württemberg dürfte
allerdings bald hinfällig sein, denn der Gesetzgeber plant eine
Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). Ein
Eckpunkt des am 16. November vorgelegten Referentenentwurfes ist, dass im Falle einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung das vorsorgliche Vorhalten einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr hilft. Ein Berufen auf diese
Erlaubnis für den Fall, dass tatsächlich kein Werkvertrag, sondern eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, wird ausdrücklich ausgeschlossen. Damit gehört die sog. Fallschirmlösung
als Mittel zur Risikoverringerung der Vergangenheit an.
Der Einsatz von Externen muss daher vor einer Beauftragung
noch genauer überprüft werden. Schon bisher drohten in diesem Umfeld erhebliche rechtliche Konsequenzen. Die möglichen rechtlichen Konsequenzen sind dabei vielfältig: So kann
das Vorliegen einer ‚Scheinselbständigkeit‘ oder ‚illegalen
Arbeitnehmerüberlassung‘ nicht nur zur Fiktion eines Anstellungsverhältnisses mit dem betroffenen Unternehmen oder zu
hohen Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen führen, sondern sogar persönliche strafrechtliche Konsequenzen
für Geschäftsführer oder Vorstände haben. Zur Vermeidung
dieser Risiken bietet sich der von EY entwickelte External
Workforce Governance (EWG) Ansatz an. Mit ihm kann die
Leistungserbringung durch Externe während aller Stadien –
von der Personalstrategie über die Einhaltung der bestehenden
Governance-Strukturen bis hin zur operativen Umsetzung in
Prozessen und IT-Systemen – gesteuert werden.
Ausgangspunkt ist eine Analyse des Status Quo, wobei neben
der IST-Situation insbesondere die Felder identifiziert werden,
auf denen Handlungsbedarf besteht. Anschließend werden
genaue Beauftragungsszenarien und -profile für die Leistungserbringung durch Fremdkräfte definiert. Gleichzeitig werden
die notwendigen Strukturen und Prozesse für eine ganzheitliche und effiziente Steuerung der Beauftragung von Externen
entwickelt.
Darüber hinaus hat EY eine IT-Lösung entwickelt, die Unternehmen bei der ganzheitlichen Steuerung der Beauftragung von
Externen unterstützt. Mit ihrer Hilfe können auf unkomplizierte
und schnelle Weise vor jeder einzelnen Beauftragung rechtliche
Risiken aufgedeckt und vermieden werden. Das Risiko der
erheblichen Konsequenzen einer „Scheinselbständigkeit“ oder
„illegalen Arbeitnehmerüberlassung“ kann durch diese ITLösung dabei entscheidend verringert werden.
Employment Law Newsletter 4. Quartal 2015 |
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A k tu elle R ec h tsprec h u ng
Mitbestimmungsrechtliche
Berücksichtigung von im
Ausland tätigen Arbeitnehmern
S i n d i n g re n z ü b e rs c h re i te n d e n K o n z e rn s truk ture n A rb e i tn e h m e r aus lä n d i s c h e r
T o c h te run te rn e h m e n b e i d e r E rm i ttlun g
d e r f ü r d i e A n w e n d un g d e r n ati o n ale n
M i tb e s ti m m un g s g e s e tz e m aß g e b li c h e n
S c h w e lle n w e rte f ü r d i e M i tb e s ti m m un g
i m A uf s i c h ts rat m i t z u b e rü c k s i c h ti g e n ?
H i nterg ru nd
Nach ganz herrschender Auffassung finden
auf Arbeitnehmer, die bei einem ausländischen Tochterunternehmen oder einer ausländischen Niederlassung eines im Inland
ansässigen Unternehmens beschäftigt und
dort nicht nur vorübergehend eingegliedert sind, nationale Mitbestimmungsgesetze
keine Anwendung. So sind diese Arbeitnehmer bei der Berechnung der mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerte nicht
mitzuzählen. Als Begründung wird oftmals
das sog. Territorialprinzip herangezogen,
wonach sich die deutsche Rechts- und
Sozialordnung nicht auf das Hoheitsgebiet
anderer Staaten erstreckt. Entgegen dieser
Praxis entschied das Landgericht Frankfurt
am Main (LG Frankfurt) am 16. Februar
2015 (AZ: 3-16 O 1/14) überraschend,
dass sich eine Konzernmuttergesellschaft
für die Mitbestimmung im Aufsichtsrat
auch die bei ausländischen Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer zurechnen lassen muss.
S ac h v erh alt
Im entschiedenen Fall ging es um die
korrekte Besetzung des Aufsichtsrats der
Deutsche Börse AG, die herrschendes
Unternehmen der Gruppe Deutsche Börse
ist. Insgesamt beschäftigte der Konzern
3.800 Arbeitnehmer, davon 1.600 in
Deutschland und 1.750 im europäischen
Ausland. Da die deutschen Arbeitnehmer
für sich genommen nicht den nach dem
Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) maßgeblichen Schwellenwert von 2.000 regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern überschritten, wandte die Deutsche Börse AG
das MitbestG nicht an. Der Aufsichtsrat
wurde vielmehr nach Maßgabe des Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbG) zu einem
Drittel mit Arbeitnehmervertretern besetzt
und war nicht – wie es das MitbestG vorsieht – paritätisch besetzt. Hiergegen wendete sich ein Professor für Arbeitsrecht
in seiner Stellung als Aktionär im Rahmen
eines sog. Statusverfahrens nach § 98 AktG.
Er führte an, der Aufsichtsrat sei fehlerhaft
besetzt; die Arbeitnehmerbeteiligung im
Aufsichtsrat habe komplett zu entfallen, da
das DrittelbG wegen der Beschränkung
des Wahlrechts auf inländische Arbeitnehmer gegen EU-Recht verstoße. Hilfsweise
machte er geltend, dass das MitbestG
Anwendung finde.
Entsc h ei d u ng
Das LG Frankfurt gelangt in dem Verfahren
zu der Überzeugung, dass der Aufsichtsrat
in der Tat nicht nach den gesetzlichen Vorschriften besetzt sei. Dies jedoch nicht im
Sinne eines gänzlichen Entfalls der arbeitnehmerseitigen Mitbestimmung, sondern
vielmehr in einer Erweiterung derselben.
Es stellte fest, dass vorliegend das MitbestG
Anwendung finde, da auch die Arbeitnehmer ausländischer Konzernunternehmen
bei der Berechnung der Schwellenwerte
der §§ 1 Abs. 1 und 5 Abs. 1 MitbestG miteinzubeziehen seien. Der Aufsichtsrat sei
daher angesichts der Größe des Konzerns
und unter Einbeziehung der ausländischen
Arbeitnehmer paritätisch zusammenzusetzen.
Im Rahmen der Begründung setzte sich das
LG Frankfurt auch mit den Gesetzesmaterialien zum MitbestG auseinander. Nach der
Gesetzbegründung sollten „im Ausland
gelegene Tochtergesellschaften und deren
Betriebe im Inland […] bei der Errechnung
der maßgeblichen Arbeitnehmerzahl nicht
mit[zählen]“ (BT-Drs. 7/4845, S. 4). Nach
Ansicht des LG Frankfurt ergibt sich hieraus
aber keine zwingende Auslegung, vor allem
weil eine solche Einschränkung im Gesetz
selber keinen Ausdruck gefunden habe.
Employment Law Newsletter 4. Quartal 2015 | 10
A k tu elle R ec h tsprec h u ng
Laut dem LG Frankfurt muss
sich eine deutsche Muttergesellschaft die Arbeitnehmer ihrer
ausländischen Tochtergesellschaft bei der Schwellenwertberechnung im Rahmen der
Unternehmensmitbestimmung
zurechnen lassen.
Diesem könne an keiner Stelle entnommen
werden, dass im Ausland tätige Arbeitnehmer nicht zu berücksichtigen sind. Vielmehr enthalte das MitbestG einen Verweis
auf den aktienrechtlichen Konzernbegriff
des § 18 Abs. 1 Aktiengesetz (AktG).
Dieser erfasse aber anerkanntermaßen auch
ausländische Konzernunternehmen. Ein
eigenständiger mitbestimmungsrechtlicher
Konzernbegriff, welcher Mitarbeiter ausländischer Konzernunternehmen von der
Mitbestimmung ausnehme, existiere dagegen nicht.
A u toren:
A rne D annemann
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a.M.
Telefon +49 6196 996 25764
[email protected]
S oph i a H au s
Rechtsanwältin
Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a.M.
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P rax i sh i nwei s
Die Entscheidung des LG Frankfurt stellt insofern eine Überraschung dar, als sie mit dem
auch im Mitbestimmungsrecht tradierten Territorialprinzip bricht. Sie ist bislang nicht
rechtskräftig, Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist eingelegt. Es bleibt
abzuwarten, wie dort die Weichen für die zukünftige Rechtsanwendung gestellt werden.
Gegen die Entscheidung des LG Frankfurt spricht, dass sich aus den Gesetzgebungsmaterialien
zum MitbestG ergibt, dass dessen Anwendungsbereich auf das Gebiet der Bundesrepublik
beschränkt sein soll. Die Entscheidung widerspricht jedoch dieser gesetzgeberischen Intention.
Sollte sich die Lesart des LG Frankfurt durchsetzen, so hätte dies für grenzüberschreitende
Konzernstrukturen eine erhebliche Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung zur Folge.
In vielen nicht mitbestimmten, mittelständischen Muttergesellschaften müsste erstmalig ein
nach dem DrittelbG oder direkt nach dem MitbestG mitbestimmter Aufsichtsrat gebildet werden.
Betroffene Unternehmen sollten die Entwicklung im Auge behalten; Vorstände bzw. Geschäfts­
führer trifft nach § 97 AktG die Pflicht, unverzüglich eine Bekanntmachung zu veröffentlichen
bzw. ein Statusverfahren einzuleiten, soweit sie der Ansicht sind, dass der Aufsichtsrat nicht
mehr nach den gesetzlichen Vorschriften errichtet ist. Anderenfalls kann ihnen dabei im
Extremfall eine Schadensersatzpflicht nach § 93 AktG drohen.
Insgesamt ist festzustellen, dass die Rechtsprechung zur Besetzung von Aufsichtsräten im
Wandel begriffen ist: So sind nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
(BAG) bei der Bestimmung mitbestimmungsrelevanter Schwellenwerte auch wahlberechtigte
Leiharbeitnehmer auf Stammarbeitsplätzen zu berücksichtigen (BAG, Beschluss vom
4.11.2015 – 7 ABR 42/13); das Kammergericht Berlin (KG) hat darüber hinaus dem EuGH
die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob auch den bei ausländischen Konzerngesellschaften
bzw. in Auslandsbetrieben beschäftigten Arbeitnehmern ein Wahlrecht bei der Besetzung
des Aufsichtsrats zusteht (KG, Beschluss vom 16.10.2015 – 14 W 89/15). Ein solches
Wahlrecht würde das schon bisher aufwendige Wahlverfahren für Arbeitnehmervertreter
weiter erschweren. I I I
Employment Law Newsletter 4. Quartal 2015 | 11
A k tu elle R ec h tsprec h u ng
BAG: Vertraglich versus gesetzlich –
Welche Kündigungsfrist gewinnt?
M i t U rte i l v o m 29 . J an uar 2015 ( A Z : 2
A Z R 28 0/ 14) h at d as B un d e s arb e i ts g e ri c h t ( B A G ) e n ts c h i e d e n , d as s s i c h e i n e
v e rtrag li c h e K ü n d i g un g s f ri s t g e g e n d i e
m aß g e b li c h e g e s e tz li c h e K ü n d i g un g s f ri s t
g e m ä ß § 6 22 A b s . 2 B G B n ur d an n d urc h s e tz e n k ö n n e , w e n n s i e i n j e d e m F all z u
e i n e r s p ä te re n B e e n d i g un g d e s A rb e i ts v e rh ä ltn i s s e s f ü h re . E s g e n ü g e n i c h t, d as s
d i e v e rtrag li c h e R e g e lun g f ü r d i e lä n g e re
Z e i t i n n e rh alb e i n e s K ale n d e rj ah re s d e n
b e s s e re n S c h utz g e w ä h re .
S ac h v erh alt
Die Beklagte erbringt medizinische Dienstleistungen im Bereich der Radiographie;
sie beschäftigt in ihrem Betrieb weit mehr
als zehn Arbeitnehmer. Die Klägerin war
seit 1976 bei der Beklagten – zuletzt als
Leiterin Qualitätssicherung – beschäftigt.
In ihrem Arbeitsvertrag war geregelt: „Die
Kündigungsfrist beträgt beiderseits sechs
Monate zum 30. Juni oder 31. Dezember
des Jahres.“ Die Beklagte kündigte
das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom
19. Dezember 2012 zum 30. Juni 2013
„unter Wahrung der arbeitsvertraglichen
Kündigungsfrist“. Zum Zeitpunkt der Kündigung war die Klägerin bereits mehr als
20 Jahre bei der Beklagten beschäftigt. Die
gesetzliche Kündigungsfrist beträgt gemäß
§ 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB in diesem Fall sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats. Die Klägerin ist der Auffassung, dass
diese Kündigungsfrist hätte eingehalten
werden müssen. Die ausgesprochene Kündigung könne auch nicht in eine Kündigung
zum 31. Juli 2013 umgedeutet werden.
Das Arbeitsgericht Berlin (AZ: 44 Ca 332/
13) hat die Kündigungsschutzklage im
Wesentlichen abgewiesen, jedoch festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis bis zum
31. Juli 2013 bestanden habe. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (AZ:
15 Sa 1552/13) wies die Klage ebenfalls
ab, nahm jedoch eine Beendigung bereits
zum 30. Juni 2013 an.
Entsc h ei d u ng
Mit Urteil vom 29. Januar 2015 (AZ: 2 AZR
280/14) stellte das BAG fest, dass das
Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2013 beendet worden sei.
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses
mit einer Frist von sechs Monaten zum
30. Juni 2013 sei unwirksam, da die zwingende gesetzliche Vorschrift des § 622
Abs. 2 Nr. 7 BGB (sieben Monate) der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist
entgegenstünde. Eine einzelvertragliche
Verkürzung der Fristen des § 622 BGB
sei, vorbehaltlich der Möglichkeit des Abs. 4
(tarifvertragliche Abweichung), nicht
möglich. Gemäß § 622 Abs. 5 S. 3 BGB sei
allein die einzelvertragliche Vereinbarung
längerer Kündigungsfristen als der in § 622
Abs. 2 BGB vorgesehenen zulässig. Ob
eine längere Kündigungsfrist im Sinne des
Employment Law Newsletter 4. Quartal 2015 | 12
A k tu elle R ec h tsprec h u ng
Gesetzes vereinbart wurde, sei durch einen
so genannten Günstigkeitsvergleich zu
ermitteln, wobei die einzelvertragliche Regelung von Kündigungsfrist und Kündigungstermin regelmäßig als Einheit zu betrachten
und somit ein Gesamtvergleich vorzunehmen sei. Bei der Durchführung des Günstigkeitsvergleiches sei zudem nicht auf den
Zeitpunkt des Ausspruchs der konkreten
Kündigung abzustellen. Vielmehr sei abstrakt die vertragliche Gesamtregelung auf
ihre Vereinbarkeit mit den gesetzlichen
Bestimmungen hin zu überprüfen, d. h.
spätestens mit dem Eintritt des Arbeitnehmers in die jeweilige „Stufe“ des § 622
Abs. 2 BGB müsse feststehen, welche Regelung als die günstigere vorgehen wird. Die
einzelvertragliche Abrede sei im Ergebnis
nur dann günstiger als die gesetzliche
Vorschrift, wenn sie in jedem Fall zu einer
späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe. Es sei nicht ausreichend, dass
die vertragliche Regelung für die längere
Zeit innerhalb eines Kalenderjahres den
besseren Schutz biete. Nach § 622 Abs. 5
S. 3 BGB müssen einzelvertragliche vereinbarte Kündigungsfristen „länger“ und nicht
nur „meistens länger“ sein. Dieser Anforderung genüge die vorliegende Kündigung
nach Ansicht des BAG nicht.
Das BAG hat jedoch festgestellt, dass
die vorliegende Kündigung gemäß § 140
BGB in eine Kündigung zum 31. Juli 2013
umgedeutet werden könne. Es gäbe keine
Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte
eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses
ausschließlich zum 30. Juni 2013 gewollt
hätte.
P rax i sh i nwei s
In der Praxis findet man in Anstellungsver­
trägen immer noch Kündigungsfristen­
regelungen mit Beendigungsterminen zum
Quartals­ oder Halbjahresende. Je nach
konkretem Zeitpunkt der Kündigung kann
die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist
länger oder kürzer ausfallen als die gesetz­
lichen Fristen des § 622 Abs. 1 und 2 BGB.
Diese Mindestfristen dürfen jedoch, vorbe­
haltlich der Ausnahmetatbestände des § 622
Abs. 3, Abs. 4 S. 2 und Abs. 5 Nr. 1 und
2 BGB, nicht durch vertraglich vereinbarte
Fristen unterlaufen werden. Wie das BAG
mit der vorliegenden Entscheidung klarstellt,
ist der Günstigkeitsvergleich zwischen der
vertraglich vereinbarten und der gesetzlichen
Regelung auf abstrakter Ebene durchzufüh­
ren. Vertragliche Fristen sind dabei nur dann
wirksam, wenn sie in jedem, und nicht nur
in den meisten Fällen, zu einer späteren
(oder gleichzeitigen) Beendigung des
Arbeitsverhältnisses führen.
In der Praxis ist zu empfehlen, bei der Gestal­
tung von Kündigungsfristen entweder auf
die gesetzlich vorgesehenen zurückzugreifen
oder darauf zu achten, dass eine einzelver­
traglich vereinbarte Kündigungsfrist jedenfalls
länger ist als die gesetzlich vorgeschriebene.
Besteht im Falle einer Kündigung Unsicher­
heit in Bezug auf die zu wählende Frist, soll­
ten die vereinbarten Fristen noch einmal
unter den genannten Maßstäben geprüft
werden. Ist die vertraglich vereinbarte Frist
nicht in jedem Falle günstiger als die jeweils
gesetzlich geltende Frist, so ist mit der ge­
setzlichen Frist zu kündigen. I I I
A u toren:
Nath ali e J ä g er
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Ernst & Young Law GmbH, Hamburg
Telefon +49 40 36132 20584
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D r. Y av u z T opog lu
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Ernst & Young Law GmbH, München
Telefon: +49 89 14331 25138
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A k tu elle R ec h tsprec h u ng
Nachkündigung wegen Konkurrenztätigkeit nicht immer gerechtfertigt
E i n V e rs to ß g e g e n d as W e ttb e w e rb s v e rb o t i m ( un w i rk s am ) g e k ü n d i g te n A rb e i ts v e rh ä ltn i s i s t n i c h t i n j e d e m F all e i n w i c h ti g e r G run d f ü r d i e e rn e ute f ri s tlo s e K ü n d i g un g
Ein Arbeitnehmer, der während eines
bestehenden Arbeitsverhältnisses in Wettbewerb zu seinem Arbeitgeber tritt, verstößt
gegen seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf
die Interessen des Arbeitgebers und riskiert
damit eine außerordentliche Kündigung.
Das Wettbewerbsverbot gilt allerdings für
die gesamte rechtliche Dauer des Arbeitsverhältnisses, was auch gekündigte Arbeitsverhältnisse mit einschließt. Nun können
aber laut Bundesarbeitsgericht (BAG)
(Urteil vom 23.10.2014 – 2 AZR 644/13)
für letztere Ausnahmen entstehen.
S ac h v erh alt
Hintergrund der Entscheidung des BAG
war die Kündigungsschutzklage des seit
36 Jahren bei der Beklagten, zuletzt als
Bereichsleiter und Gutachter, beschäftigten Klägers gegen vier binnen kurzer Zeit
von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigungen. Wichtiger Grund für die Kündigungen war in zwei Fällen der Verdacht jeweils
einer Pflichtverletzung sowie die faktische
Konkurrenztätigkeit in zwei weiteren Fällen.
Entsc h ei d u ng
Im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung einer
„Nachkündigung“ wegen Konkurrenztätigkeit hob das BAG das hier typisch objektiv
vertragswidrige Verhalten beider Parteien
heraus. Die Beklagte hatte das vertragliche
Vertragsverhältnis (mehrfach) fristlos
beenden wollen, bestand aber dennoch auf
dem Wettbewerbsverbot. Der Kläger
bestreitet die wirksame Beendigung, verstößt aber gegen seine vertragliche Unterlassungspflicht, die jedoch ihrerseits mit
der gesetzlichen Pflicht, anderweitige Verdienstmöglichkeiten während der Schwebezeit wahrzunehmen, kollidieren kann. Dies
und der Umstand einer überhaupt erst
durch vorherige Kündigung herbeigeführten, nicht auf dauerhaften Wettbewerb
angelegten und einen Arbeitgeber nicht
unmittelbar schädigenden Konkurrenztätigkeit ist nunmehr bei der erforderlichen
Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.
F az i t
Zur Wirksamkeit einer Verdachtskündigung
bestätigte das BAG seine Rechtsprechung
dahingehend, dass auch zeitlich nach Kündigungsausspruch bekannt gewordene Tatsachen gerichtlich zu berücksichtigen sind,
soweit sie bei Zugang der Kündigung bereits objektiv vorlagen und die verdachtsbegründenden Vorgänge aufgrund ihrer
engen Sachverhaltsbindung in einem neuen
Licht erscheinen lassen.
A u tori nnen:
D as B A G h atte b i s lan g o f f e n g e las s e n , o b
d i e R e i c h w e i te d e s W e ttb e w e rb s v e rb o te s
i m g e k ü n d i g te n A rb e i ts v e rh ä ltn i s d e m i m
un g e k ü n d i g te n e n ts p ri c h t. I m ( un w i rk s am )
auß e ro rd e n tli c h g e k ü n d i g te n A rb e i ts v e rh ä ltn i s e rs c h e i n t d e m B A G n un d i e A uf n ah m e e i n e r K o n k urre n z tä ti g k e i t un te r
H i n z utre te n d e r w e i te re n V o raus s e tz un g e n
i n e i n e m „ m i ld e re n L i c h t“ . D am i t w i rd e i n e
w i rk s am e „ N ac h k ü n d i g un g “ i n g le i c h e n
F ä lle n d urc h I n te re s s e n ab w ä g un g un d
i n h altli c h h o h e A n f o rd e run g e n p rak ti s c h
un m ö g li c h . I I I
S ab i ne F ab i g
Rechtsanwältin
Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt a.M.
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J u li a M eyer
Rechtsanwältin
Ernst & Young Law GmbH, München
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Im Ergebnis hielt das BAG somit keine der
Kündigungen, trotz für sich genommen
teilweiser erheblicher Pflichtverletzungen,
die i. d. R. „an sich“ zur fristlosen Kündigung geeignet wären, weder fristlos noch
ordentlich, für wirksam.
Employment Law Newsletter 4. Quartal 2015 | 14
Z u G u ter Letz t
Ein Nickerchen auf Arbeit?
Ja, aber nur ungeplant.
D as L an d e s arb e i ts g e ri c h t ( L A G ) R h e i n lan d - P f alz h at i n s e i n e r E n ts c h e i d un g
am 16 . A p ri l 2015 ( A Z : 5 S a 6 3 7 / 14) e i n e auß e ro rd e n tli c h e K ü n d i g un g
w e g e n v o rs ä tz li c h e n S c h laf e n s w ä h re n d d e r A rb e i ts z e i t als w i rk s am an g e s e h e n .
Die Klägerin war in einem Seniorenheim
der Beklagten als Nachtwache eingesetzt.
Während einer dieser Nachtwachen wurde
sie in einem Aufenthaltsraum schlafend auf
einem Fernsehsessel mit verstellbarer
Rückenlehne und Fußteil angetroffen. Die
Tür des Aufenthaltsraums war verschlossen und das Licht ausgeschaltet. Zuvor
hatte die Klägerin die Betten zweier bettlägeriger Bewohnerinnen so verschoben,
dass es ihnen unmöglich war die Notklingel
zu betätigen. Außerdem hatte sie die
Pflegedokumentation gefälscht, indem sie
nicht erbrachte Leistungen für die Nacht
wie das Anreichen von Flüssigkeit und Lagerungswechsel im Voraus mit ihrem Handzeichen quittiert hatte.
Nach Ansicht des LAG Rheinland-Pfalz
liegt unter diesen Umständen ein planvolles Verhalten der Klägerin vor. Sie habe
gezielte Vorbereitungshandlungen getroffen, die ihr eine ungestörte „Nachtruhe“
garantieren sollten. Daher habe die Klägerin sich insgesamt vorsätzlich schlafen
gelegt. Durch das beschriebene Verhalten
habe sie das Vertrauen der Beklagten in
eine zuverlässige Erfüllung ihrer Pflichten
als Nachtwache irreparabel zerstört, so
dass eine außerordentlich fristlose Kündigung gerechtfertigt sei. Der Beklagten
sei es entgegen der Ansicht der Vorinstanz
vor allem auch nicht zuzumuten gewesen,
die Klägerin während der Nachtwache durch
stündliche, telefonische Meldung zu kontrollieren. Eine andere als Nachtwache tätige
Person habe sich um die Bedürfnisse der
Bewohner des Seniorenheims zu kümmern
und nicht als Aufsichtsperson für die Klägerin zu fungieren.
Die Entscheidung ist deswegen bemerkenswert, weil das Gericht die hohen Anforderungen, die an außerordentliche Kündigungen (ohne vorausgegangene Abmahnung)
gestellt werden, als erfüllt ansieht. Dies
dürfte allerdings vor allem an dem planvollen Vorgehen der Klägerin sowie der Tatsache liegen, dass sie gerade für die Betreuung pflegebedürftiger Personen zuständig
war, diese jedoch stattdessen in eine hilflose
Lage versetzte. In anderen Fällen des
Schlafens während der Arbeitszeit stellten
die Gerichte bisher die Unwirksamkeit der
hierauf gestützten Kündigungen fest (vgl.
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom
26. 11. 2004 – 15 Sa 463/04; Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil
vom 19. 5. 2010 – 13 Sa 19/10). Der vorliegende Fall zeigt, dass im Einzelfall trotzdem eine Kündigung erfolgreich sein kann
und schon wegen der Außenwirkung auf
andere Mitarbeiter als Option berücksichtigt
werden sollte. I I I
A u tor:
F lori an K lei n, LL. M . ( W arwi c k )
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Z u G u ter Letz t
Veranstaltungen & Veröffentlichungen
9 . D ez emb er 2 0 1 5 | S tu ttg art
Human Capital: „Entsende – und Steuerausgleichsrichtlinie
bei mittelständischen Unternehmen“
1 . – 3 . M ä rz 2 0 1 6 | H amb u rg
Dashöfer Seminar:
„Auslandsentsendung von Mitarbeitern“
9 . D ez emb er 2 0 1 5 | D resd en
Jahresendveranstaltung:
„Streifzug durch das Unternehmenssteuerrecht“
2 4 . M ä rz 2 0 1 6 | Nü rnb erg
Arbeitsrechtsfrühstück
9 . D ez emb er 2 0 1 5 | F rank f u rt | Esc h b orn
Arbeitsrechtsfrühstück: „Arbeitsrecht aktuell 2015“
2 0 . J anu ar 2 0 1 6 | F rank f u rt | Esc h b orn
Arbeitsrechtsfrühstück: „Fremdpersonaleinsatz“
2 6 . J anu ar 2 0 1 6 | D ü sseld orf
Arbeitsrechtsfrühstück: „Internal Investigation“
2 3 . – 2 5 . F eb ru ar 2 0 1 6 | D resd en
Dashöfer Seminar:
„Auslandsentsendung von Mitarbeitern“
2 5 . M ä rz 2 0 1 6 | M ü nc h en
Arbeitsrechtsfrühstück
2 0 . A pri l 2 0 1 6 | H amb u rg
Arbeitsrechtsfrühstück
1 9 . – 2 1 . A pri l 2 0 1 6 | B erli n
Dashöfer Seminar:
„Auslandsentsendung von Mitarbeitern“
2 2 . A pri l 2 0 1 6 | S tu ttg art
Arbeitsrechtsfrühstück
Employment Law Newsletter 4. Quartal 2015 | 16
I h re A n s p re c h p artn e r f ü r A rb e i ts re c h t
b e i d e r E rn s t & Y o un g L aw G m b H
M ü nc h en
S tu ttg art
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10117 Berlin
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| Assurance | Tax | Transactions | Advisory
D i e g lo b ale E Y - O rg an i s ati o n i m Ü b e rb li c k
Die globale EY-Organisation ist einer der Marktführer in der Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung,
Transaktionsberatung und Managementberatung.
Mit unserer Erfahrung, unserem Wissen und
unseren Leistungen stärken wir weltweit das Vertrauen in die Wirtschaft und die Finanzmärkte.
Dafür sind wir bestens gerüstet: mit hervorragend
ausgebildeten Mitarbeitern, starken Teams, exzellenten Leistungen und einem sprichwörtlichen
Kundenservice. Unser Ziel ist es, Dinge voranzubringen und entscheidend besser zu machen –
für unsere Mitarbeiter, unsere Mandanten und
die Gesellschaft, in der wir leben. Dafür steht
unser weltweiter Anspruch „Building a better
working world“.
Die globale EY-Organisation besteht aus den
Mitgliedsunternehmen von Ernst & Young Global
Limited (EYG). Jedes EYG-Mitgliedsunternehmen ist rechtlich selbstständig und unabhängig
und haftet nicht für das Handeln und Unterlassen
der jeweils anderen Mitgliedsunternehmen.
Ernst & Young Global Limited ist eine Gesellschaft
mit beschränkter Haftung nach englischem
Recht und erbringt keine Leistungen für Mandanten. Weitere Informationen finden Sie unter
www.ey.com.
In Deutschland ist EY an 22 Standorten präsent.
„EY“ und „wir“ beziehen sich in dieser Publikation auf alle deutschen Mitgliedsunternehmen
von Ernst & Young Global Limited.
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Diese Publikation ist lediglich als allgemeine, unverbindliche
Information gedacht und kann daher nicht als Ersatz für eine
detaillierte Recherche oder eine fachkundige Beratung oder
Auskunft dienen. Obwohl sie mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt
wurde, besteht kein Anspruch auf sachliche Richtigkeit, Vollständigkeit und/oder Aktualität; insbesondere kann diese Publikation nicht den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung
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des Lesers. Jegliche Haftung seitens der Ernst & Young Law
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Anliegen sollte ein geeigneter Berater zurate gezogen werden.
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