Wir blickten inden Abgrund

22 UNTERNEHMEN & MÄRKTE
MONTAG, 6. JULI 2015, NR. 126
SHIGETAKA KOMORI
„Wir blickten in den Abgrund“
Der Chef von Fujifilm
über dramatische
Einbrüche, radikale
Strategieschwenks
und die Frage, weshalb
Antifaltencremes
heute zu seinem
Geschäft gehören.
Z
um Interview hat Shigetaka
Komori die Top-Digitalkamera
X-T1 von Fujifilm im Retrolook
im Gepäck. DasVorzeigestück
des Konzerns. Dabei macht
das Geschäft mit Fotoapparaten und Filmen heute nur noch einen kleinen Teil
des Konzerns aus. Unter Komori hat die
Firma, die umgerechnet 18 Milliarden
Euro Umsatz macht, mit Pharma und
Kosmetika neue Märkte erobert. Nur so
konnte sie verhindern, ein Opfer der Digitalisierung zuwerdenwie die einstigen
Konkurrenten Kodak oder Agfa. Vor allem im Pharmageschäft will Fujifilm
wachsen und kauft munter Firmen zu.
Herr Komori, wann haben Sie zuletzt
mit einer klassischen Filmkamera ein
Foto geschossen?
Das ist bestimmt zwei, drei Jahre her.
Ich mag die Fotografie, aber mir fehlt
die Zeit dafür.
Bei den meisten Menschen dürfte das
nochviel länger zurückliegen. Ist der Fotofilm überhaupt noch ein nennenswertes Geschäft für Sie?
Es gibt Menschen, die nach wie vor Fotofilme nutzen, vor allem im Profisegment. Wir wollen diese Wurzel unseres
Unternehmens behalten, auch wenn wir
damit kaum Geld verdienen.
Der Fotofilm ist eines der ersten Beispiele dafür, wie ganze Geschäftsmodelle
von Unternehmen durch die Digitalisierung hinweggefegtwurden.Wie stark ist
Fujifilm davon getroffen worden?
Das war dramatisch. Im Jahr 2000
machten wir 60 Prozent des Umsatzes
mit fotografischen Filmen, heute sind es
weniger als ein Prozent. Das Geschäft
brach nach dem Jahr 2002 erst um
zehn, dann um 20 und dann um 30 Prozent jährlich ein. Stellen Sie sich das so
vor, als wenn Toyota plötzlich keine Autos mehr verkauft. Wir blickten in den
Abgrund.
Wie haben Sie reagiert?
Ich wollte das Unternehmen unbedingt
in seiner Größe erhalten. Natürlich
mussten wir im Fotogeschäft hart eingreifen und viele Menschen entlassen,
was sehr schmerzhaft war. Aber wir
mussten einen Weg finden, die Zukunft
der Tausende anderen Mitarbeiter zu sichern.
Wie sah der aus?
Wir haben auf das geschaut, was unseren Kern ausmacht, und das ist vor allem Technologie, Wissen, gute Forscher.
Die Frage war: Können wir mit der Technik, die wir bisher für das Fotogeschäft
nutzen, ganz andere und neue Märkte
erschließen? Daraus entstand zum Beispiel der Einstieg ins Kosmetikgeschäft.
Wir entwickelten Anti-Aging-Produkte.
Komori beim
Interview in
Düsseldorf:
„Wir kennen
keine Angst.“
Was hat das denn mit dem Filmgeschäft
zu tun?
Sehr viel. Kollagen ist der wichtigste Bestandteil von Fotofilmen. Und die
menschliche Haut besteht zu 70 Prozent
aus Kollagen. Sie kennen es vermutlich,
wenn Fotos mit der Zeit immer mehr
verblassen.
Davon haben wir jede Menge zu Hause
in der Schublade.
Weil wir uns jahrelang mit dieser Thematik beschäftigt haben, besitzen wir
heute eine Datenbank von 4 000 Antioxidantien. Der natürliche Alterungsprozess der Haut ist vergleichbar mit dem
Verblassen von Fotos und wir haben daher das Know-how diesen Verfall zu
bremsen. Unsere Stärke ist die Beschichtung von Materialien und Know-
how in der Chemie. Wir setzten unsere
Technik nicht mehr nur für Filme ein,
sondern für CTP Platten, für digitale Radiografie, für LCD-Folien oder auch für
Pharmawirkstoffe, deren künstliche
Hülle sich im Körper zum richtigen Zeitpunkt auflöst.
schaffen zu können. Letztlich entscheidend ist aber etwas anderes.
Und das wäre?
Man muss, komme was wolle, erfolgreich sein. (lacht).
Klingt bestechend einfach.
Die ganze Krise hat unsere heutige Unternehmenskultur geprägt. Wir kennen
keine Angst. Und wir kämpfen. Wenn
man das verinnerlicht, kann man immer wieder auferstehen.
Besinnung auf die Kernkompetenzen –
ist das Ihr Ratschlag an Manager, deren
Unternehmen heutevon der Digitalisierung erschüttert werden?
Das war unser Ausgangspunkt, ja. Aber
Sie brauchen auch einen genauen Zukunftsplan, möglichst mit konkreten
Umsatz- und Gewinnzielen. Dann zählt
die Kommunikation. Sehen Sie es wie einen Frontbericht im Krieg: Sie müssen
Ihre Mitarbeiter beruhigen, ihnen Orientierung und das Gefühl geben, es
Fuji: Zurück zu alter Profitabilität
Umsatz in Mrd. US-Dollar
Nettoergebnis in Mio. US-Dollar
Aktienkurs in Yen
30
1 200
6 000
22,8 Mrd. US$
25
800
20
400
1 084 Mio. US$
4 457 Yen
5 000
4 000
3 000
15
10
2000
Handelsblatt
0
2014
-400
2 000
2000
2014
1 000
1.1.2000
3.7.2015
Quelle: Bloomberg
Ihnen ist das gelungen. Doch muss sich
nicht die gesamte Wirtschaft Japans
wandeln, um global zu bestehen? Wie
weit sehen Sie das Land auf diesem
Weg?
In Japan gibt es die Tendenz, dass viele
nötige Entscheidungen nicht getroffen
werden oder die Entschlüsse allzu populistisch und ineffektiv sind. Das liegt
daran, dass in Japan ein wenig zu viel
Rücksicht auf die Schwachen genommen wird. Bei wichtigen Entscheidungen wird es aber immer Opfer geben.
Ministerpräsident Abe ist jedoch entscheidungsfreudig.
Was müsste seine Regierung denn angehen?
Am nötigsten ist es, die Staatsfinanzen
wieder in die Balance zu bringen. Entweder durch mehr Einnahmen, also etwa Steuererhöhungen. Oder durch die
Verringerung von Ausgaben, also Kürzungen im Sozialbereich oder durch
den Abbau von Staatsbediensteten.
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MONTAG, 6. JULI 2015, NR. 126
VITA
SHIGETAKA KOMORI
Der Manager Der 75-Jährige gilt als einer der angesehensten Firmenchefs Japans. Er hat seine komplette Karriere im
Konzern verbracht, darunter vier Jahre
als Chef des Europageschäfts in
Deutschland. Seit 2003 ist er CEO, seit
2012 zusätzlich Chairman. Seine Beziehung zu Deutschland hat Komori gehalten, er ist Präsident des Verbands Japanisch-Deutscher Gesellschaften. Er war
früh ein Unterstützer des heutigen japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe
und ist Mitglied einer Gruppe konservativer Topmanager namens KirschblütenVereinigung, die Abe förderte.
Rudolf Wichert für Handelsblatt
Das Unternehmen Die Produktpalette
ist breit: Fotoapparate und Kopierer, Diagnosegeräte und Antifaltencremes. Im
vergangenen Jahr kam der Konzern mit
knapp 80 000 Beschäftigten auf einen
Umsatz von umgerechnet 17,9 Milliarden Euro und einen Nettogewinn von
853 Millionen Euro.
Das ist nicht leicht umzusetzen. Ministerpräsident Abe kann es aber schaffen.
Sie sind ein Unterstützer Abes. Er hat Japan mit den Abenomics – Geldschwemme, Konjunkturprogrammen und
Strukturreformen – ins Gespräch zurückgebracht. Die Staatsausgaben aber
steigen weiter. Sind es die richtigen
Schritte?
Ich halte Abenomics für sehr erfolg-
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reich. Nach der Lehman-Pleite ist der
Yen stark nach oben geschnellt, weil die
anderen Länder ihre Geldpolitik so
stark gelockert haben. Das hat die Deflation verstärkt und die produzierenden
Unternehmen belastet. Jetzt sind wir
ungefähr auf dem Niveau von vor der
Lehman-Krise. Das ist in meinen Augen
eine faire Bewertung. Die Abenomics
haben die Deflation in Japan bekämpft,
und die Wirtschaft insgesamt ist revitalisiert worden.
Einstigen Ikonen der japanischenWirtschaftwie Sony und Sharp geht es allerdings immer noch schlecht. Ist das ein
Zeichen dafür, dass derWandel der japanischenWirtschaft bei den bestehenden
Unternehmen einfach einige Opfer fordert?
Der Wettbewerb aus Südkorea und China ist sehr stark. Die Lohnkosten sind
viel niedriger, in Japan sind sie im Vergleich zu China deutlich höher. Dagegen
können wir nur mit innovativen Produkten punkten.
Als Paradebeispiel für die Probleme gilt
Sony.
Die waren ja eigentlich technologisch
gut darauf vorbereitet, mit Smartphones einen wirklich innovativen Sprung
zu schaffen. Aber Sony hat ist in alten
Strukturen und Verbindungen zu den
Netzbetreibern wie NTT in Japan gefangen geblieben. Apple hat einen ganz anderen und letztlich erfolgreicheren Weg
der Vermarktung beschritten. Diesen
Weg hätte auch Sony gehen sollen.
Fujifilm setzt künftig stark auf das Gesundheitsgeschäft. Sie starteten vor
Jahrzehnten mit Diagnosegeräten, stiegen dannvor zehn Jahren in die Präventionsmedizin ein und wollen nun verstärkt innovative Arzneien entwickeln.
Wie wollen Sie sich gegen die großen
Pharma-Anbieter aus den USA und Europa durchsetzen?
Es gibt viele medizinische Bereiche, die
noch ungelöst sind und in denen es
noch keine wirksame Therapie gibt. Im
Pharmageschäft ist nicht die Masse entscheidend, sondern die Intelligenz und
Qualität der Forscher. Die haben wir.
Wir testen derzeit beispielsweise ein
vielversprechendes Mittel gegen Alzheimer in der zweiten Phase. Ich gehe davon aus, dass wir es in vier bis fünf Jahren auf den Markt bringen können.
Die Wirkstoffentwicklung ist aber ein
sehr risikoreiches Geschäft.
Wir stehen auf mehreren Beinen. Unser
zweiter großer Fokus liegt auf der regenerativen Medizin. Dabei geht es um die
industrielle Herstellung voll funktionsfähiger menschlicher Zellen und Gewebezüchtung. Damit kann die Entwicklung
von Arzneien verkürzt werden, es sind
weniger Tests am Menschen nötig. Das
ist ein großer Fortschritt.
ImWesten fokussieren sich gegenwärtig
viele Unternehmen, weil sie Kraft und
Geld für ihr wichtigstes Geschäft brauchen. Sie hingegen produzieren Digitalkameras, Spezialfolien, Drucker und Gesundheitsprodukte. Wann spaltet sich
Fujifilm auf?
Das werden wir nicht tun. Der Pharmabereich wird sicher in Zukunft einen höheren Anteil am Umsatz leisten. Aber
wir wollen die Diversifikation behalten.
Mit Filmen aber haben Arzneien nicht
mehrviel zu tun.Würde ein neuer oder
veränderter Firmenname nicht besser
zur neuen Strategie passen?
Das sehe ich anders. Fujifilm ist eine
weltweit bekannte und verwurzelte
Marke. Wir werden ihr treu bleiben.
Herr Komori,vielen Dank für das Interview.
Das Gespräch führten Nicole Bastian
und Bert Fröndhoff.
KONKURRENTEN
Bei Sony läuft
es schlechter
W
ie erfolgreich Fujifilms
Wandel ist, macht ein Vergleich mit Sony klar. Beide
standen vor der Herausforderung,
das Geschäft mit Endverbrauchern
zu schrumpfen und mit Geschäftskunden auszubauen. Beide setzten
auf die Medizinsparte als neues
Wachstumsfeld. Und beide boten
um einen Einstieg beim Kamerahersteller Olympus, dem Weltmarktführer bei Sonden für Magenspiegelungen. Sony erhielt den Zuschlag –
und kommt auf keinen grünen
Zweig. 2014 fuhr der Konzern einen hohen Verlust ein. Denn Konzernchef Kazuo Hirai setzte weiter
auf Mobiltelefone und andere hart
umkämpfte Produkte für Endverbraucher. Erst jetzt wird umgesteuert. Sony nimmt rund 2,9 Milliarden Euro an frischem Kapital auf,
um das Geschäft mit Bildsensoren
auszubauen, in dem Sony Weltmarktführer ist.
Erfolgreicher auf Fujifilms Fersen
wandelt dagegen Sonys Erzrivale
Panasonic. Der Weltkonzern ist
zwar größer und damit weniger fokussiert als Fujifilm. Aber das Management sanierte radikaler als Sony. Panasonic will sich zu einem
Hersteller von energiesparenden
Haushaltsgeräten und vor allem
Bauteilen und Systemlösungen in
den Bereichen Energiemanagement, Automobil- und Flugzeugbau
transformieren. Der Etappenerfolg:
Im vergangenen Jahr konnte Panasonic im Gegensatz zu seinem Erzrivalen 2014 einen Rekordgewinn
verbuchen. Martin Kölling
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