7 T 433/15 Landgericht Lübeck Beschluss vom - PsychKG

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Landgericht Lübeck 7 T 433/15
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7 T 433/15
Landgericht Lübeck
Beschluss vom 21.08.2015
Zur Anordnung einer Zwangsbehandlung im Eilverfahren
Aus den Gründen:
I.)
Die Verfahrenspflegerin wendet sich mit ihrer Beschwerde vom 13.08.2015 gegen
den Beschluss des Amtsgerichts … vom 12.08.2015 über die einstweilige Anordnung
einer ärztlichen Zwangsmaßnahme nach § 14 Abs. 4, 5 PsychKG.
Der Betroffene leidet an einer paranoiden Schizophrenie mit Kontrollverlust und
mangelnder Steuerungsfähigkeit.
Der Betroffene ist untergebracht (Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts … vom
04.08.2015 mit einer Unterbringungsdauer bis längstens zum 14.09.2015). Hiergegen
hat die Verfahrenspflegerin Beschwerde erhoben. Das Beschwerdverfahren ist bei
der Beschwerdekammer unter dem Aktenzeichen 7 T 432/15 anhängig.
Am 12.08.2015 hat die Beteiligte zu 3. beantragt, eine einstweilige Anordnung für
eine ärztliche Zwangsmaßnahme zu erlassen. Auf den Antrag nebst Anlage wird
Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 13.08.2015 persönlich angehört. Auf den
Anhörungsvermerk wird Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 13.08.2015 eine ärztliche
Zwangsmaßnahme einstweilen angeordnet. Auf den Inhalt des Beschlusses wird
Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Verfahrenspflegerin mit ihrer Beschwerde vom 13.08.2015.
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Das Amtsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 14.08.2015 nicht
abgeholfen.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
II.)
Die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung für eine ärztliche
Zwangsmaßnahme nach § 14 Abs. 4, 5 PsychKG S.-H. in Verbindung mit § 331 FamFG
liegen nicht vollständig vor.
Insbesondere fehlt es einem dringenden Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden.
Nach § 331 S. 1 FamFG darf eine einstweilige Anordnung nur erlassen werden, wenn
ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht und deswegen die
Herbeiführung einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren nicht abgewartet
werden kann. Mit dem Aufschub der ärztlichen Zwangsmaßnahme muss somit
aufgrund konkreter Umstände eine Eigen- oder Fremdgefährdung für den
Betroffenen verbunden sein, deren Abwendung hinsichtlich der ärztlichen
Zwangsmaßnahme keinen Aufschub duldet (Budde in: Keidel, 18. Aufl. (2014), § 331
FamFG, Rn. 7). Die Gefahr muss in überschaubarer Zukunft hinreichend
wahrscheinlich oder wegen der Unberechenbarkeit des Betroffenen zwar
unvorhersehbar, aufgrund besonderer Umstände aber jederzeit zu erwarten sein.
Dabei reicht nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht irgendeine Gefahr
aus. Vielmehr rechtfertigt nur eine Gefahr eine einstweilige Anordnung, die bei
Abwägung der zu erwartenden Nachteile für den Betroffenen bei Unterbleiben der
ärztlichen Zwangsmaßnahme mit den mit der ärztlichen Zwangsmaßnahme
verbundenen Einbußen des Betroffenen das sofortige Tätigwerden des
Betreuungsgerichts erfordert. Trotz fehlender Krankheitseinsicht ist bei einem
psychisch Kranken eine einstweilige Anordnung nicht erforderlich, wenn konkrete
Gefahren, die keinen Aufschub dulden, nicht ersichtlich sind.
Daran gemessen besteht kein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden.
Ein dringendes Bedürfnis ergibt sich nicht aus dem Verhalten des Betroffenen in der
Klinik, in der der Betroffene untergebracht ist. Die Antragstellerin hat in ihrem
Schriftsatz erörtert, wie sich der Betroffene gegenüber Ärzten, Klinikpersonal und
Patienten verhält. Indes ist zu berücksichtigen, dass das Ziel der ärztlichen
Zwangsmaßnahme nur die Beseitigung der Unterbringung hat (vgl. § 14 Abs. 4
PsychKG S.-H.). Eine Zwangsbehandlung kommt aber nicht in Betracht, wenn sie
dazu dienen soll, die Ordnung oder Sicherheit am Unterbringungsort aufrecht zu
erhalten (Dornis/Petit, SchlHA 2015, 209 (213)). Insofern kann ein dringendes Bedürfnis
nicht auf Umstände gestützt werden, deren Beseitigung außerhalb der Zielsetzung
der ärztlichen Zwangsmaßnahme liegt.
Die Gründe, die ein sofortiges Tätigwerden für die Anordnung einer vorläufigen
Unterbringung gerechtfertigt haben, können nicht für ein sofortiges Tätigwerden in
Bezug auf eine ärztliche Zwangsmaßnahme herangezogen werden. Denn die
abzuwehrende Eigen- und Fremdgefährung wird durch die vorläufige Unterbringung
selbst bereits beseitigt (vgl. Dornis/Petit, SchlHA 2015, 209 (213)).
Ein dringendes Bedürfnis ergibt sich auch nicht daraus, dass sich ohne ein sofortiges
Tätigwerden die Unterbringungsdauer für den Betroffenen verlängern würde. Im
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Rahmen der Güterabwägung ist daraus aber nicht der Schluss zu ziehen, dass
deshalb die ärztliche Zwangsmaßnahme keinen Aufschub duldet. Denn gesetzlicher
Regelfall für die Anordnung der ärztlichen Zwangsmaßnahme ist die Durchführung
eines Hauptsacheverfahrens. Die damit einhergehende Verlängerung ist im Rahmen
der Abwägung der Grundrechte des Betroffenen (Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit und der freien Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1, 2 GG)
hinzunehmen (Dornis/Petit, SchlHA 2015, 209 (213)).
Ein dringendes Bedürfnis ergibt sich ebenso nicht schon allgemein daraus, dass der
Betroffene unbehandelt in seiner Krankheit belassen wird. Dies ist im Grundsatz als
Folge des gesetzgeberischen Abwägungsprozesses hinzunehmen. Über den Willen
eines Betroffenen, unbehandelt zu bleiben, darf sich der Staat nur dann
hinwegsetzen, wenn die gesetzlichen Vorschriften für eine ärztliche
Zwangsmaßnahme eingehalten sind. Das Bundesverfassungsgericht hat der
ärztlichen Zwangsbehandlung von Menschen nämlich enge Grenzen gesetzt und in
besonderem Maße den Grundrechtsschutz der kranken Menschen hervorgehoben
(vgl. BVerfG NJW 2011, 2113; BVerfG NJW 2011, 3571). An diese Vorgaben hat sich
der Landesgesetzgeber bei der gesetzlichen Umsetzung eng gehalten (vgl. LT-Drs.
18/1363).
Weiter hinzutretende Gesichtspunkte aus dem konkreten Krankheitsbild des
Betroffenen, die ein sofortiges Tätigwerden notwendig machen, sind nicht ersichtlich.