Standards Jugendhilfeplanung - Landesamt für Gesundheit und

In der geänderten Fassung (sh. BV 01/19/05) der 19. Sitzung des 4. LJHA am 15.12.2005
Landesjugendamt
Mecklenburg-Vorpommern
Landesjugendhilfeausschuss M-V
Unterausschuss Jugendhilfeplanung
Standards Jugendhilfeplanung
Einführung
Jugendhilfeplanung hat sich als ein Teil von Sozialplanung vor allem in den
letzten 25 Jahren entwickelt. Im Kinder- und Jugendhilfegesetz wurde die
Jugendhilfeplanung Anfang der neunziger Jahre als Steuerungsinstrument
konkretisiert. War zu diesem Zeitpunkt ein planerisches Verständnis
vorherrschend, dass eher vom Erstellen eines Planes ausging, so hat
Jugendhilfeplanung zunehmend in den letzten Jahren eine Wandlung
dahingehend erfahren, als insbesondere der prozesshafte Charakter und der
hierfür erforderlich Diskurs ins Bewusstsein gerückt wurde. Dabei wurde deutlich,
dass Kommunikationsprozesse andere Denkungsweisen erfordern. Planung sollte
auch als kommunikativ verlaufende Irritation sozialer Systeme verstanden
werden.
1. Planungsansätze
1.1. Wissenschaftlich-technologische Planungskonzepte gehen davon aus, zu
möglichst objektiv gesicherten Kenntnissen über das jeweilige soziale Feld,
bestehende Probleme und erforderliche Maßnahmen zu kommen. Unter
diesem Ansatz fallen bedarfsorientierte und sozial-ökologische Ansätze und
Konzepte outputorientierter Steuerung (KGSt 1994).
1.2. Kommunikativ-partizipative Planungskonzepte gehen von einer Anzahl nicht
objektivierbarer,
politischer
Auswahl-,
Interpretationsund
Entscheidungsprozesse im Rahmen der Planungsvorgänge aus, die sich nur
kommunikativ unter Einbeziehung der Betroffenen gestalten lassen.
Wissenschaftliche Erhebungen und Daten dienen nur der Qualifizierung der
örtlichen Diskussions- und Entscheidungsprozesse. Unter diesen Ansätzen
fallen der bedürfnisorientierte Ansatz, der Ansatz „kommunikative Planung“
und Ansätze, die die gesellschaftliche Geschlechterhierarchie in den
Mittelpunkt des Interesses stellen.
2. Forderungen an die Jugendhilfeplanung (qualitative Standards)
2.1. Zum Verhältnis von Bedarf und Bedürfnis
Kernaufgabe der Jugendhilfeplanung ist die Bedarfsbestimmung. In § 80 SGB
VIII hat der Gesetzgeber den Auftrag formuliert, dass die Träger der
öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen ihrer Planungsverantwortung den Bedarf
unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen
Menschen und der Personensorgeberechtigten für einen mittelfristigen
Zeitraum zu ermitteln haben. Aus dieser Formulierung wird deutlich, dass
Bedarf nicht mit individuellem Bedürfnis gleichzusetzen ist, wohl aber beides
in Beziehung zueinander steht.
2
Bedürfnisse sind „Mangelgefühle des Menschen, die durch seine physische, psychische und
soziokulturelle Existenz verursacht werden. Menschliche Bedürfnisse werden in diesem Sinne
häufig als Spannungszustände interpretiert, die aus einer subjektiv erlebten Mangellage
(materieller oder immaterieller Art) resultieren und nach Ausgleich dieser physischpsychischen Ungleichgewichte drängen.“1
„Bedarfe werden als Dienste oder Leistungen, die zur Befriedigung von Bedürfnissen – also
zur Beseitigung des Mangels – für erforderlich gehalten werden oder die auf Grund
gesellschaftstheoretischer und politischer Vorstellungen zur Gestaltung des gesellschaftlichen
Zusammenlebens für notwendig erachtet werden. Bedarf ist demnach die politische
Verarbeitung von Bedürfnissen. Es ist die Eingrenzung von Bedürfnissen auf das auf Grund
politischer Entscheidungen für erforderlich und gleichzeitig für machbar Gehaltene.“2
2.2. Bestimmung und Festlegung von Bedarfen
Dies erfolgt differenziert in fünf Arbeitsschritten
a) Auswahl der planungsrelevanten Frage- und Problemstellung und
Festlegung des passenden Planungskonzeptes:
Welche Probleme und Themen sind wichtig genug um planerisch
bearbeitet zu werden, mit welchem Planungsansatz und welchen Zielen?
b) Ermittlung der Wissensbasis, die zur Klärung der ausgewählten
Problemstellung für erforderlich gehalten wird
- Bedürfnisse und Interessen der vom gewählten Themenkontext
betroffenen Kinder, Jugendlichen, Familie
- Lebensbedingungen und Problemlagen dieser Zielgruppen
- Bestand an Angeboten und Einrichtungen
- Kenntnisse / Wissen der im Kontext tätigen haupt- und
ehrenamtlichen Kräfte
- Rechtliche Vorgaben
- Erkenntnisse der aktuellen Fachdiskussion, die auf die örtliche
Situation übertragbar sind
c) Interpretation und Gewichtung der Wissensbasis mit relevanten Akteuren
(Träger, politische Entscheidungsträger, Adressaten etc.) durch eine
demokratische Öffnung der Bedarfsermittlung.
d) Übersetzung des durch die Interpretation und Gewichtung der
Wissensbasis ermittelten Bedarfes in Angebote der Jugendhilfe, ggs.
durch Umsteuerung bei bestehenden Angeboten.
e) Festlegung eines Evaluationsverfahrens
2.3 Finanzierung
Sicherstellung der Finanzierung in einer Finanzierungsform, die einen
optimalen Ressourceneinsatz sicherstellt. Finanzierungsformen haben die
Aufgabe, Qualität und Menge eines Leistungsangebotes optimal zu steuern.
2.4 Weitere zentrale fachliche Standards
a) die partizipative Gestaltung der Planungsprozesse
b) die geschlechterdifferenzierende Planung
c) sozialraumbezogene Planung
1
Deutscher Verein 1986, zitiert nach Jordan/Schone „Handbuch Jugendhilfeplanung“, Seite 110, 1998
Votumverlag, Münster
2
Jordan/Schone/a.a.O. Seite 185 mit weiteren Nachweisen
3
einschließlich deren Verbindung mit Planungen der sozialen Stadt-, Kreis- und
Stadtteilentwicklung
„Ausgangspunkt eines sozialraumorientierten Planungsansatzes liegt weder in den
gegebenen Aufgabenfeldern der Jugendhilfe, noch in einem abstrakten Ziel- und
Wertekatalog. Methodisch wird hier vielmehr von einer „sozialräumlichen Analyse“
ausgegangen, um dadurch in differenzierter und regionalisierter Form Informationen über
Lebenslagen, Sozialisationsbedürfnisse, Handlungspotentiale und Defizitlagen von Kindern,
Jugendlichen und ihren Familien zu erhalten.“3
2.5 Jugendhilfeplanung und Qualitätsentwicklung in der Jugendhilfe
Die Aufgabe, bedarfsgerechte Jugendhilfe und Infrastruktur zu gestalten, stellt
die Jugendhilfeplanung ins Zentrum der Qualitätsdebatte vor Ort im Hinblick
• auf die Definition qualitativer Kriterien für die Gestaltung des
Versorgungssystems insgesamt (Infrastrukturqualität),
• bei der Definition von Qualitätsmaßnahmen für die Arbeit in
Einrichtung und Diensten sowie
• bei der Evaluation der Wirkungen einzelner Angebote und von
Effekten
der
Jugendhilfeplanung
selbst
(Merchel:
Qualitätsentwicklung durch Jugendhilfeplanung. In: Merchel [Hg.]
Qualität in der Jugendhilfe, Münster 1998).
3. Qualitätskriterien für die eigene Arbeit der Jugendhilfeplaner/innen
a.) Strukturqualität der Jugendhilfeplanung
• Fachlich, kompetente Jugendhilfeplanung erfordert
− Fachkompetenz in Arbeitsfeldern der Jugendhilfe
− Planungskompetenz
− Kommunikationskompetenz
− persönlichkeitsbezogene Kompetenz: Toleranz und Bereitschaft
für offene Prozessverläufe; sich von anderen Positionen und
normativen Bezügen in Frage stellen lassen;
Reflexionsfähigkeit
• Transparente
und
klare
Rollendefinition
der
Jugendhilfeplanungsstellen
im
Jugendamt;
nicht
als
Erfüllungsgehilfe der Amtsleitung, sondern mit Eigenständigkeit
• Ansiedlung der Stelle bei der Leitungsebene mit Eigenständigkeit
(entweder Amtsleitung oder Beigeordnetenebene)
• Interne Kommunikationsstruktur, die die Kommunikation mit allen
Organisationseinheiten im Jugendamt sicherstellt
• Ausstattung des Arbeitsplatzes
− PC mit entsprechender Software
− Eigener kleiner Etat (für Untersuchungen ggf. in Kooperation mit
wissenschaftlichen Instituten)
− Rückgriffmöglichkeiten auf erforderliche Daten, auch anderer
Ämter
b.) Prozessqualität der Jugendhilfeplanung
y prozesshafte Ausgestaltung der Jugendhilfeplanung:
3
Jordan/Schone/a.a.O. Seite 90
4
y
y
y
y
− institutionalisierter, kontinuierlicher Prozess des fachlichen
Bewertens, der Reflektion und Auswertung von Daten und
Erkenntnissen
− Planung als fortlaufende, institutionalisierte Evaluation
Beteiligung und Gestaltung der Kommunikation zwischen allen
Beteiligten in angemessenen Formen, u. a. durch zielgerichtete
Moderation und unter Integration der aktuellen fachlichen
Perspektiven
Gestaltung des fachlichen Prozesses und Beratung der Politik bei
der Aushandlung von Problemdefinitionen und Prioritätensetzung
Impulse zur Organisationsentwicklung in den Institutionen der
Jugendhilfe
Entwicklung von tragfähigen Kooperationsformen zwischen Trägern
der Jugendhilfe
c.) Ergebnisqualität der Jugendhilfeplanung
• Produktion handhabbarer, konkreter Ergebnisse in angemessenem
Zeitraum,
bei
Bewältigung
der
Spannung
zwischen
Kommunikationsund
Prozessorientierung
einerseits
und
Ergebnisorientierung andererseits;
• Balance zwischen Planung als eigenem Handlungsansatz und dem
mit dem Jugendhilfealltag verbundenen Handeln
• Realisierung der Planungsergebnisse mit Finanzierungsformen, die
einen optimalen, ergebnisorientierten Einsatz der Ressourcen sicher
stellt.
Literatur:
Merchel, J.: Kooperative Jugendhilfeplanung, Opladen 1994
Merchel, J.: Qualitätsentwicklung durch Jugendhilfeplanung, In: Merchel, J. (Hg)
Qualität in der Jugendhilfe, Münster 1998
Hermann, F.: Jugendhilfeplanung, In: Schroer, Struck, Wolff (Hg), Handbuch Kinderund Jugendhilfe, Weinheim, München 2002
Jordan/Schone „Handbuch Jugendhilfeplanung“ Votum-Verlag, Münster1998