Das Achtzehnbittengebet (Schmone esre – Amidah – ha

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Das Achtzehnbittengebet (Schmone esre – Amidah – ha-Tefilla)
Gott, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde. (Ps 51,17)
1. Gepriesen bist du, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter, Gott Abrahams,
Gott Isaaks und Gott Jakobs, großer starker und furchtbarer Gott, der du
beglückende Wohltaten erweisest und Eigner des Alls bist, der du der
Frömmigkeit der Väter gedenkst und einen Erlöser bringst ihren Kindeskindern
um deines Namens willen in Liebe. König, Helfer, Retter und Schild!
Gepriesen bist du, Ewiger, Schild Abrahams!
2. Du bist mächtig in Ewigkeit, Herr, belebst die Toten, du bist stark zum Helfen.
Du ernährst die Lebenden mit Gnade, belebst die Toten in großem Erbarmen,
stützest die Fallenden, heilst die Kranken, befreist die Gefesselten und hältst
die Treue denen, die im Staube schlafen. Wer ist wie du, Herr der Allmacht,
und wer gleichet dir, König, der du tötest und belebst und Heil aufsprießen
lässt. Und treu bist du, die Toten wieder zu beleben. Gepriesen bist du,
Ewiger, der du die Toten wieder belebst!
3. Du bist heilig, und dein Name ist heilig, und Heilige preisen dich jeden Tag.
Sela! Gepriesen bist du, Ewiger, heiliger Gott!
4. Du begnadest den Menschen mit Erkenntnis und lehrst den Menschen
Einsicht, begnade uns von dir mit Erkenntnis, Einsicht und Verstand.
Gepriesen bist du, Ewiger, der du mit Erkenntnis begnadest!
5. Führe uns zurück, unser Vater, zu deiner Lehre, und bringe uns, unser König,
deinem Dienst nahe und lass uns in vollkommener Rückkehr zu dir
zurückkehren. Gepriesen bist du, Ewiger, der du an der Rückkehr
Wohlgefallen hast!
6. Verzeihe uns, unser Vater, denn wir haben gesündigt, vergib uns, unser
König, denn wir haben gefrevelt, denn du vergibst und verzeihst. Gepriesen
bist du, Ewiger, der du gnädig immer wieder verzeihst!
7. Schaue auf unser Elend, führe unseren Streit und erlöse uns rasch um deines
Namens willen, denn du bist ein starker Erlöser. Gepriesen bist du, Ewiger,
der du Israel erlösest!
8. Heile uns, Ewiger, dann sind wir geheilt, hilf uns, dann ist uns geholfen, denn
du bist unser Ruhm, und bringe vollkommene Heilung allen unseren Wunden,
denn Gott, König, ein bewährter und barmherziger Arzt bist du. Gepriesen bist
du, Ewiger, der du die Kranken deines Volkes Israel heilst!
9. Segne uns, Ewiger, unser Gott, dieses Jahr und alle Arten seines Ertrages
zum Guten, gib Segen der Oberfläche der Erde, sättige uns mit deinem Guten
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und segne unser Jahr wie die guten Jahre. Gepriesen bist du, Ewiger, der du
die Jahre segnest!
10. Stoße in das große Schofar zu unserer Befreiung, erhebe das Panier, unsere
Verbannten zu sammeln, und sammle uns insgesamt von den vier Enden der
Erde. Gepriesen bist du, Ewiger, der du die Verstoßenene deines Volkes
Israel sammelst!
11. Bringe uns unsere Richter wieder wie früher und unsere Ratgeber wie
ehedem, entferne uns von Seufzen und Klage, regiere über uns, Ewiger, allein
in Gnade und Erbarmen und rechtfertige uns im Gericht. Gepriesen bist du,
Ewiger, König, der du Gerechtigkeit und Recht liebst!
12. Den Verleumdern sei keine Hoffnung, und alle Ruchlosen mögen im
Augenblick untergehen, alle mögen sie rasch ausgerottet werden, und die
Trotzigen schnell entwurzle, zerschmettre, wirf nieder und demütige sie
schnell in unseren Tagen. Gepriesen bist du Ewiger, der du die Feinde
zerbrichst und die Trotzigen demütigst!
13. Über die Gerechten, über die Frommen, über die Ältesten deines Volkes, des
Hauses Israel, über den Überrest ihrer Gelehrten, über die frommen
Proselyten und über uns sei dein Erbarmen rege, Ewiger, unser Gott, gib
guten Lohn allen, die auf deinen Namen in Wahrheit vertrauen, und gib
unseren Anteil mit dem ihrigen zusammen in Ewigkeit, dass wir nicht
zuschanden werden, denn auf dich vertrauen wir. Gepriesen bist du, Ewiger,
Stütze und Zuversicht der Frommen!
14. Nach deiner Stadt Jerusalem kehre in Erbarmen zurück, wohne in ihr, wie du
gesprochen, erbaue sie bald in unseren Tagen als ewigen Bau, und Davids
Thron gründe schnell in ihr. Gepriesen bist du, ewiger, der du Jerusalem
erbaust!
15. Den Sprössling deines Knechtes David lass rasch emporsprießen, sein Horn
erhöhe durch deine Hilfe, denn auf deine Hilfe hoffen wir den ganzen Tag.
Gepriesen bist du, Ewiger, der das Horn der Hilfe emporsprießen lässt!
16. Höre unsere Stimme, Ewiger, unser Gott, schone und erbarme dich über uns,
nimm mit Erbarmen und Wohlgefallen unser Gebet an, denn Gott, der du
Gebete und Flehen erhörst, bist du, weise uns, unser König, nicht leer von dir
hinweg. Denn du erhörst das Gebet deines Volkes Israel in Erbarmen.
Gepriesen bist du, Ewiger, der du das Gebet erhörst!
17. Habe Wohlgefallen, Ewiger, unser Gott, an deinem Volke Israel und ihrem
Gebete, und bringe den Dienst wieder in das Heiligtum deines Hauses, und
die Feueropfer Israels und ihr Gebet nimm in Liebe auf mit Wohlgefallen, und
zum Wohlgefallen sei beständig der Dienst deines Volkes Israel. Und unsere
Augen mögen schauen, wenn du nach Zion zurückkehrst in Erbarmen.
Gepriesen bist du, Ewiger, der seine Majestät nach Zion zurückbringt!
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18. Wir danken dir, denn du bist der Ewige, unser Gott und der Gott unserer
Väter, immer und ewig, der Fels unseres Lebens, der Schild unseres Heils bist
du von Geschlecht zu Geschlecht. Wir wollen dir danken und deinen Ruhm
erzählen für unser Leben, das in deine Hand gegeben, und unsere Seelen, die
dir anvertraut, und deine Wunder, die uns täglich zuteil werden, und deine
Wundertaten und Wohltaten zu jeder Zeit, abend, morgens und mittags.
Allgütiger, dein Erbarmen ist nie zu Ende, Allbarmherziger, deine Gnade hört
nie auf, von je hoffen wir auf dich. Für alles sei dein Name gepriesen und
gerühmt, unser König, beständig und immer und ewig. Alle Lebenden danken
dir, Sela, und rühmen deinen Namen in Wahrheit, Gott unserer Hilfe und
unseres Beistandes, Sela! Gepriesen bist du, Ewiger, Allgütiger ist dein Name,
und es ist schön, dir zu danken!
19. Verleihe Frieden, Glück und Segen, Gunst und Gnade und Erbarmen uns und
ganz Israel, deinem Volke, segne uns, unser Vater, uns alle vereint durch das
Licht deines Angesichts, denn im Lichte deines Angesichtes, gabst du uns,
Ewiger, unser Gott, die Lehre des Lebens und die Liebe zum Guten, Heil und
Segen, Barmherzigkeit, Leben und Frieden, und gut ist es in deinen Augen,
dein Volk Israel zu jeder Zeit und jeder Stunde mit deinem Frieden zu segnen.
Gepriesen bist du, Ewiger, der du dein Volk Israel mit Frieden segnest!
Quelle: S. Bamberger, Sidur Sefat Emet (Jüdisches Gebetsbuch), Basel 1989, S.4049.
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Theologische Fakultät Paderborn
Lehrstuhl für NeuesTestament
Prof. Dr. Maria Neubrand MC
WS 2014/15
Israel, die Völker und die Kirche
6.7 Das Achtzehnbittengebet (Teffila; Amida): Jüdische Glaubensidentität
Nachdem ich mit Ihnen ausführlich das Unser Vater-Gebet behandelt habe, das
wichtigste Gebet für jeden, für alle Christen (gleich welcher Konfession(!), gleich ob
es sich um jüdische oder nichtjüdische Christusanhänger handelt (!)). Ich habe
dieses Gebet so ausführlich besprochen, weil es wie kein anderes Gebet die
Verwurzelung des Christentums im Judentum zeigt. Weil es in den einzelnen Bitten
den Kern der Botschaft Jesu beinhaltet und weil es uns Christen auch zutiefst mit
dem jüdischen Glauben Jesu verbindet.
Nun möchte ich noch kurz auf das wichtigste Gebet des jüdischen Gottesdienstes,
sei es beim Privatgebet, sei es beim synagogalen Gemeinschaftsgebet eingehen.
Nämlich auf das so genannte Achtzehnbittengebet.
( lesen!)
1. Zur Entstehung und zu den Bezeichnungen des Gebets
Das so genannte Achtzehnbitten-Gebet ist das wichtigste Gebet im Judentum (neben
Glaubensbekenntnis natürlich). Deshalb hat es im Judentum den Namen ha-Tefilla,
das Gebet
–
das Gebet schlechthin. Dieses Gebet ist wie das Vater Unser ein
Bittgebet, das aus unterschiedlichen Bitten besteht, die jeweils mit einer Lobpreisung
Gottes abgeschlossen werden, mit einer Beracha (pl. Berachot), wörtlich einer
„Segnung“: Gott wird für etwas gepriesen, was er seinem Wesen nach ist und für
das, was er tut.
Die Entstehung dieses Gebets im Einzelnen ist nicht ganz klar, einzelne Bitten
dürften bis in die Zeit des jüdischen Tempels in Jerusalem zurückgehen. Die
Ordnung des Gebetes und die Abfolge der Themen dürfte in die Zeit Ende des 1.
5
Jh./Anfang des 2. Jh. nach Christus zurückgehen, also in die Zeit nach der
Zerstörung
des
Jerusalemer
Tempels
(Böckler,
Gottesdienst
26).
Das
Achtzehnbittengebet als das Gebet tritt an die Stelle des täglichen Opfers im Tempel.
Im Babylonischen Talmud, Berachot 32b steht: „Das Gebet steht höher als das
Opfer“. Für die Tefilla gilt deshalb auch die Bestimmung für die beiden täglichen
Opfer am Tempel am Morgen und am Nachmittag/Abend. Dementsprechend soll
auch das Achtzehnbittengebet zweimal am Tag gebetet werden, am Morgen und am
Nachmittag/Abend.
Im Einzelnen waren zwar wohl schon früh die Themen und die Abfolge der Bitten
festgelegt, aber die einzelnen Bitten waren in den Formulierungen wohl nicht fixiert.
Bis ins Mittelalter hinein gab es unterschiedliche Versionen, eine palästinische
Version und eine babylonische Version und verschiedene Versionen in den
verschiedenen Strömungen des Judentums. So ist es bis heute. Der älteste
schriftliche Text des Gebetes stammt aus dem 8. Jahrhundert und wurde im 19. Jh.
in einer Kairoer Synagoge gefunden in einem Aufbewahrungsort für unbenutzbar
gewordene religiöse Schriften (Genisa).
Dieses Gebet hat auch seinen festen Ort im Synagogengottesdienst, es wird
unmittelbar nach dem Glaubensbekenntnis, dem Schma Israel gebetet. Es ist also
engstens mit dem Glaubensbekenntnis Israels verbunden.
Dieses Gebet wird privat und in der Synagoge im Stehen gesprochen, daher auch
der Name „Amidah“. Dieser Name kommt vom hebräischen Wort amad = stehen
(dm{[) und verweist eben auf diese Gebetspraxis (bBer 26b). Sonst sitzt man in der
Synagoge. „Amad bezeichnet in biblischen Hebräisch auch ein dienstbares Sich-zurVerfügung-Stellen für einen Mächtigeren. Vor Gott stehen bedeutet eine besondere
Nähe zu Gott.“ (Böckler, Gottesdienst 24). Diese Gebetshaltung entspricht auch der
Vorstellung, dass im himmlischen Gottesdienst die Engel um den Thron Gottes
stehen (vgl. Offb 7,11), und auch die Priester versahen ihren Dienst im Heiligtum des
Tempels stehend. Das Stehen vor Gott drückt also eine besondere Nähe zu Gott
aus.
Schließlich gibt es für dieses Gebet schon im Talmud die Bezeichnung „Schmone
Esre“, „achtzehn“ auf Hebräisch. So im Deutschen dann die Bezeichnung als
„Achtzehnbittengebet“ oder Achtzehngebet. So wird es meist auch von Christen
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bezeichnet. Die Zahl achtzehn bezieht sich auf die Zahl der Bitten, die dieses Gebet
ursprünglich hatte.
Nach der Zerstörung des Tempels, als man das tägliche Opfer mit dem Gebet
ersetzte, forderte Rabbi Gamliel im 2. Jh. n. Chr., dass das zweimalige tägliche
Gebet 18 Bitten umfassen sollte. Rabbi Jehoschua dagegen war der Meinung, dass
man eine Zusammenfassung aller Gebete mit nur einer Bitte finden sollte.
Durchgesetzt hat sich die Forderung von Rabbi Gamliel. Im Privatgebet kann das
Gebet allerdings auch gekürzt gebetet werden.
Wenn man die heute übliche Form des Gebetes betrachet, kommt man allerdings
nicht auf 18, sondern auf 19 Bitten. Vermutlich kam im 3. Jh. in den babylonischen
Gemeinden noch eine neunzehnte Bitte hinzu, nämlich der heutige 15. Abschnitt mit
der Bitte um das Kommen des Messias. (Ursprünglich war 14. und 15. Abschnitt wohl
nur ein Abschnitt). Jedenfalls dürfte die Bitte um das Kommen des Messias die
jüngste
Bitte
sein,
und
es
darf
spekuliert
werden,
ob
dies
schon
in
Auseinandersetzung mit und in Abgrenzung von Christen geschah.
Im Talmud gibt es auch noch eine andere Erklärung für die Anzahl der neunzehn
Bitten: Dass nämlich Abschnitt 12 erst nachträglich hinzugefügt wurde, nämlich der
Abschnitt über die Verleumder/Abtrünnigen und Sektierer (ha-minim). Diese
Talmudmeinung besagt, dass diese Bitte erst bei der Neuorganisation des
Judentums nach der Zerstörung des Tempels hinzugefügt wurde auf der
Versammlung in Jawne/Jamnia: Diese Bitte richtet sich gegen die Minim. „Es ist
unklar, wer mit den Minim gemeint war. Das Wort Min bedeutet ursprünglich „Art“.
Eine sprachlich äquivalente Übersetzung wäre „Sektierer“. Ob damit Christen
gemeint waren oder Gnostiker oder sonst eine Gruppe ist umstritten.“ (Böckler,
Gottesdienst 25). Vermutlich aber gehörte diese Bitte schon zum ursprünglichen
Bestand und ist dann nicht speziell gegen „Christen“ gerichtet.
In jedem Fall drückt diese Bitte eine Abgrenzung von anderen „jüdischen Sektierern“
aus, die man nicht für rechtgläubig hält. So könnten z. B. Sadduzäer die zweite Bitte,
die von der Totenauferweckung spricht, diese Bitte nicht mitbeten. Die 15. Bitte, die
mit dem Kommen eines davidischen Messias rechnet, könnte von den Samaritanern
nicht mitgesprochen werden, weil sie die davidische Messiashoffnung nicht teilen.
Manchmal bezeichnet man diese Bitte auch als „Ketzersegen“, aber die „Ketzer“
werden ja gerade nicht gesegnet („Birkat ha-Minim). Als Christen muss uns jedoch
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auch stets klar sein, dass wir unseren Glauben an den dreieinen Gott so zu leben
und zu bekennen haben, dass die Einzigkeit Gottes der monotheistische Glaube
nicht angetastet wird. Andernfalls wären wir Ketzer. Wir haben einen trinitarischen
Monotheismus, aber eben einen Monotheismus.
Der Namen Schmone Esre – Achtzehnbittengebet hat sich trotz der 19 Bitten jedoch
erhalten.
2. Jüdische Lobpreisung – Beracha
Jede der Bitten schließt ab mit einer Lobpreisung mit einer Beracha, einer „Segnung“
– Benediktion, Lobpreis.
Die jüdische Religion kennt unzählige Benediktionen, Berachot, Segensgebete. Sie
sind von der Form her gesehen immer gleich und lauten: „Gepriesen/gesegnet bist
du, Herr unser Gott, König der Welt, der ...“ und dann folgt, wofür Gott gepriesen
wird: Z. B..: „Gepriesen bist du, Herr, der Tote belebt“, „der Israel mit Frieden
segnet“, „der Erkenntnis verleiht“. Gott wird also für etwas ganz Konkretes gepriesen.
Wir haben in unserer Liturgie die übliche jüdische Form der Lobpreisung über Brot
und Wein am Sabbatbeginn übernommen: „Gepriesen bist du, Herr unser Gott,
Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der
menschlichen Arbeit ... Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr unser Gott.“ Im Judentum
heißt es: „Gepriesen bist du Herr, König der Welt, der Brot aus der Erde
hervorbringt“, „der die Frucht des Weinstockes erschaffen hat.“
Diese jüdische Gebetspraxis spiegelt sich auch im Neuen Testament wider. So
beginnt das Gebet des Zacharias, das Benediktus, wie der Name schon sagt, mit
einer Benediktion, einem Segen, einem Lobpreis: „Gepriesen ist der Herr, der Gott
Israels“ – und dann wird gesagt, was Gott alles getan hat, wofür er also gepriesen
wird. (Lk 1,68-79). Ebenso preist Paulus Gott: „Gepriesen ist/sei der Gott und Vater
Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater des Erbarmens und des Trostes“ (2 Kor 1,3-4).
Und Mk 14,22 sagt Markus , als Jesus mit seinen Schülern sein letztes Mahl hält:
Und Jesus nahm das Brot und sprach den Lobpreis (euvlogh,saj) (über das Brot).
Oder bei der Brotvermehrung heißt es, dass Jesus die Lobpreisung über einige
Fische spricht (Mk 8,7) oder bei der ersten Brotvermehrung spricht er den Lobpreis
über die fünf Brote und zwei Fische (Mk 6,41).
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Zu beachten ist, dass der Schluss jedes Abschnittes mit einem Lobpreis im Präsens
endet. Gott also als den Gegenwärtigen, gegenwärtig Handelnden preist. Alle
Berachot-Segenssprüche im Judentum stehen im Präsens! Du – der die Tora gibt;
Du – der Brot aus der Erde hervorbringt; Du – der das Gebet hört usw.
Worum geht es:
„Der Sinn für die „Wunder, die täglich um uns sind“, der Sinn für die „unaufhörlichen
Wunder“ ist die Quelle des Gebetes. Es gibt keine Anbetung, keine Musik, keine
Liebe,
wenn
wir
die
Segnungen
oder
die
Niederlagen
des
Lebens
für
selbstverständlich halten ... Wir werden dazu erzogen, unser Gefühl des Staunens
lebendig zu erhalten durch das Gebet, das wir vor dem Genuß der Nahrung
sprechen. Jedesmal, wenn wir ein Glas Wasser trinken wollen, rufen wir uns das
ewige Geheimnis der Schöpfung ins Gedächtnis: „Gesegnet seist Du, ... durch
dessen Wort alle Dinge ihr Leben erhalten.“ Ein alltägliches Tun und ein Hinweis auf
das höchste Wunder! Beim Genuß von Brot und Früchten, bei der Freude an einem
schönen Duft oder an einem Glas Wein, wenn wir zum ersten Mal wieder eine Frucht
der Jahreszeit genießen, beim Anblick eines Regenbogens und des Ozeans, beim
Anblick blühender Bäume, wenn wir einen Weisen der Tora oder der weltlichen
Wissenschaft treffen, beim Vernehmen guter oder schlechter Nachrichten – wir sind
gelehrt worden, Seinen hohen Namen anzurufen und uns Seiner bewußt zu sein.
Selbst wenn wir eine physiologische Funktion erfüllen, sagen wir: „Gesegnet seist Du
... Du heilst alles Fleisch und tust Wunder.“ Dies ist eins der Ziele der jüdischen
Lebensweise: alltägliches Tun als ein geistliches Abenteuer zu erfahren, die in allen
Dingen verbogene Liebe und Weisheit zu fühlen.“ (Abraham Joshua Heschel, Gott
sucht den Menschen S. 40, zitiert nach: van der Sluis u.a.; Alle Morgen neu 35).
Eine Beracha spricht man auch, wenn einem Schlimmes widerfährt, bei Unfällen oder
Katastrophen. Alles in der Welt soll mit Gott in Zusammenhang gebracht werden.
Das Erstaunen über das Gute oder die Annahme von Katastrophen.
3. Zur Struktur des Gebetes:
Das Achtzehnbittengebet wird eröffnet mit der Bitte um das rechte Betenkönnen. Es
ist ein Vers aus Ps 51,17: Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob
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verkünde. Dieser Eröffnungsruf macht deutlich, dass auch das Gebet Geschenk ist,
dass das Gebet immer schon Antwort des Glaubens ist auf die Taten Gottes. Auch
wenn es ein Bittgebet ist. Gibt es in der Synagoge einen Vorbeter, so spricht er
diesen Eröffnungsvers. So wird deutlich, dass man Gott darum bittet, dass das Wort
nicht Routine wird, sondern Lob Gottes immer neu sein soll.
Traditionell betet jeder Einzelne das Gebet leise für sich aus dem Gebetsbuch. Das
kann auch in der jeweiligen Landessprache sein. In der Synagoge verliest dann der
Vorbeter das Gebet nochmals laut auf Hebräisch. In den meisten liberalen
Synagogen wird die Amidah nur einmal laut gesagt, und das in der jeweiligen
Sprache.
Die neunzehn Bitten des Gebets betreffen persönliche und spezifisch israelbezogene Anliegen. Das Achtzehnbittengebet artikuliert also spezifisch jüdische
Identität. Ein Nichtjude kann es sich deshalb nicht zu eigen machen. Auch von
jüdischer Seite wird das so gesehen. Ist ein Nichtjude in der Synagoge beim
Gottesdienst, darf er das Gebet nicht mitbeten. Es gilt: „Nichtjuden sollen keine
jüdischen Gebete rezitieren. Nichtjuden wurde von Gott nicht geboten, zweimal
täglich dem Gott Israels ein Opfer darzubringen. Anders als im Christentum ist das
jüdische Gebet nicht nur die spirituelle Angelegenheit eines Individuums, sondern die
Handlung einer Gemeinschaft.“ (Böckler, Gottesdienst 42). „Durch das Zitieren von
Texten werden frühere Generationen geistig anwesend. Jüdisches Beten ist
Bekunden der Zugehörigkeit zum Judentum.“ (Böckler, Gottesdienst 160).
Ähnliches gilt heute auf christlicher Seite für das Beten des Vater Unsers: Zwar gibt
das Vater Unser Einblick in die grundsätzlichen jüdischen Gebetsanliegen, aber es
ist doch das Gebet der Jesus Christus-Anhängerschaft und Ausdruck ihrer Identität,
die beten „wie es Jesus gelehrt hat“. Sie stehen damit in der christlichen Tradition,
auch wenn die Gebetsinhalte typisch jüdischen Gebetsinhalten entsprechen. Wenn
Christen die Psalmen beten, „verchristlichen“ sie diese durch das „Ehre sei dem
Vater“, das man anhängt.
Dass Nichtjuden „durch Christus“ zum Gott Israels sprechen – dass ist richtig. Juden
brauchen das nicht!
Der vorliegende Text ist als Basistext zu sehen. Es gibt verschiedene Varianten und
auch Ergänzungen an bestimmten Tagen, Festen. Auch werden am Sabbat oder in
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bestimmten Situationen nicht alle Bitten gebetet (4-16 werden dann durch eine
einzelne Bitte ersetzt, so dass am Sabbat nur 7 Berachot gesprochen werden).
Die ersten drei Berachot (Segenssprüche) sind keine Bitten im eigentlichen Sinn, sie
sind reiner Lobpreis Gottes: Der Lobpreis Gottes dafür, dass Gott sich den Vätern
(und Müttern) Israels gezeigt hat, sich ihrer angenommen hat (1. Abschnitt), der
Lobpreis Gottes für seine mächtigen und lebensspendenden Taten (2. Abschnitt)
sowie der Lobpreis der Heiligkeit Gottes und der Heiligkeit seines Namens (3.
Abschnitt).
Die Berachot 4-16 sind ausnahmslos Bitten um etwas Konkretes und für die
einzelnen Beter und für das Volk Israel selbst, während sich die Abschlussbitten 1719 auf die Gemeinschaft Gottes mit den Menschen und die Dankbarkeit ihm
gegenüber beziehen und im jüdischen Verständnis insgesamt als Danksagungen
verstanden werden.
Man kann die Struktur des Achtzehnbittengebets also grob in drei Teile gliedern:
Anfang:
3 Lobpreisungen
Mitte:
13 Bitten (am Sabbat und im privaten Kurzgebet durch eine ersetzt)
Schluss:
3 Danksagungen
( Folie)
Ein weiteres: Alle Bitten stehen in der Wir-Form und verweisen auf die Gemeinschaft
der Beter des Volkes Israel.
Das Achtzehngebet ist ein Gebet Israels und für Israel werden Gottes Gaben
erbeten. „Aber es ist zugleich auch ein Gebet Israels als eines Teils der
Völkergemeinschaft, der eine besondere Aufgabe in der Welt zu erfüllen hat. Der
Beter erbittet in der Tat göttliche Gaben für eben dieses Volk – jedoch erst, nachdem
deutlich wurde: Er ist König der ganzen Welt, Er ist es, der Tod und Leben gibt und
das Leben erhält, der Kranke heilt und Gebundene befreit. Er ist es, der „den
Menschen“ mit Bewußtsein, mit Erkenntnis begnadet. Dies aber gilt für alle
Menschen. Und darum bittet die Gemeinde Israels um zweierlei:
11
(1)
auch Anteil haben zu dürfen an dem, was Er allen Menschen schenkt und wofür
auch Israel als Sein Volk Ihn loben will;
(2)
um das, woran es Israel fehlt, damit es seine besondere Aufgabe in der Welt
erfüllen kann: Gottes Namen in der Welt zu bezeugen, Ihn als König der ganzen
Welt zu bezeugen.“ (van der Sluis 45).
Die einzelnen Segenssprüche in Auswahl
Erste Beracha: „Väter“ (vorlesen)
Die erste Strophe ist ein einziger Lobpreis Gottes. Hier wird die normale Einleitung
eines Segensspruches „Gepriesen bist du, Herr unser Gott“, ergänzt und präzisiert.
„Unsere“ Beziehung zu Gott wird verbunden mit der Geschichte, in der sich das
Handeln Gottes gezeigt hat, es geht um die Geschichte des Gottesvolkes Israels. Mit
den Vätern begann die Geschichte des Volkes Israels. Es folgen Aufzählungen von
Gottes Handeln, von Gott, der Wohltaten (hesed) vollbringt. Er hat „Benennungen“
(nicht: Namen): König, Helfer, Befreier, Schild (=Schutz). Zugleich bringt der erste
Lobpreis die jüdische Gemeinschaft in ihrer Identität zur Sprache: Nur sie kann Gott
anreden als „unser Gott“ und „Gott unserer Väter (und Mütter) Abraham, Isaak und
Jakob.“ Das Gebet bringt dadurch auch das jüdische Selbstverständnis zum
Ausdruck, von Gott erwählt (nicht: bevorzugt) zu sein, und jeder Einzelne ist damit
Teil der jüdischen von Gott erwählten Gemeinschaft. Zum Ausdruck kommt damit
auch,
dass
man
im
jüdischen
Denken
nicht
durch
eine
individuelle
Glaubensentscheidung zum jüdischen Volk gehört, sondern dass das jüdische Volk
konstituiert wird durch die Erwählung Gotte selbst. Gott ist „Eigner des Alls“, also
Schöpfer der ganzen Welt, aber er hat sich ein Volk erwählt.
Die erwähnte Gestalt des Erlösers dürfte auf den kommenden Messias verweisen.
Auch hier ein Unterschied zum Christentum, das sich zu Jesus als dem schon
gekommenen Messias bekennt. Vgl. 15. Benediktion mit der Bitte, dass der
Nachkomme Davids bald zur Rettung komme. Auch diese Bitte drückt jüdisches
Glauben und Hoffen aus – auch hier jüdische Glaubensidentität, die sich von
christlicher Glaubensidentität unterscheidet. Im Judentum wird der Messias, der
Rettung/Heil bringt („jeschna“) nicht mit Jesus Christus identifiziert.
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Dennoch gilt auch für das Christentum, dass das endgültige messianische Reich
noch nicht errichtet ist. Erst mit der endzeitlichen Wiederkunft Christi wird es zur
„Wiederherstellung“ von allen kommen.
Zweite Beracha: Mächtige Taten (vorlesen)
Inhalt ist: Gott bringt Leben – und zwar allen Menschen, der ganzen Welt und auch
der Natur. Diese Strophe macht auch deutlich, welche Aufgabe der Mensch als „Bild
Gottes“ hat: Der Mensch ist Mitarbeiter am Vollenden der Schöpfung (tiqqun haolam), d.h. auch der Mensch kann Leben bringen, befreien, Gefallene stützen,
heilen, befreien, retten. Und: Der Mensch soll Gott nachahmen! In den ältesten
Textversionen dürfte diese Benediktion einer innerjüdischen Position entsprechen
und die Grundlagen des pharisäisch-rabbinischen Judentums zum Ausdruck bringen,
das in der antisadduzäischen Opposition liegt. Es geht hier um eine innerjüdische
Abgrenzung gegen die Sadduzäer, die eine Auferweckung der Toten leugnen. Das
Achtzehnbittengebet bekennt sich zur Hoffnung auf die Auferweckung der Toten. Sie
hat mit der Treue – Gemeinschaftstreue Gottes zu tun. „Der Gott Israels erweist
seine Macht den Glaubenden durch die geschichtlichen Revolutionen, die er imitiert,
in der Erhaltung des täglichen Lebens durch Tau und Regen gleichsam als einer
Creatio continua, aber nach dem allen und endgültig durch die endzeitliche
Auferweckung
der
Toten.
Sie
bleibt
die
Vollendung
aller
geschichtlichen
Revolutionen Gottes und seines Schöpfungswerkes.“ (Kellermann, Das AchtzehnBitten-Gebet 69). Die Auferstehungshoffnung gehört zu den Grundlagen des
rabbinischen Judentums bis heute.
Dritte Beracha: Heiligung des Namens (vorlesen)
Während die ersten beiden Strophen deutlich machten, wie eng und stark Gott mit
der konkreten Wirklichkeit verbunden ist, betont der dritte Abschnitt, wie
grundsätzlich erhaben Gott über die Wirklichkeit ist.
Du bist heilig und dein Name ist heilig. Gottes Name steht nicht nur für Gott selbst,
sondern auch für sein „Programm“, in dem Israel eine besondere Rolle spielt: Es ist
das Programm der Befreiung.
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Die Heiligkeit Gottes wird in der kürzesten Bitte der Tefillah zum Ausdruck gebracht.
Die Akklamation „Du bist heilig“ ist begründet in der biblischen Tradition. (Jes 6): Gott
ist der Heilige, der ganz andere, und sein Name ist heilig. Der Name Gottes steht für
ihn selbst, für sein Wesen und Wirken. „Heiliger“ ist eine Nennung Gottes, um seine
„Andersheit“ bezeichnet. „Heilige“ preisen seinen Namen, also solche, die den
Bereich Gottes zugeordnet sind. (Paulus redet seine Adressaten auch als „Heilige“
an!). Heilige ist hier sicherlich als Würdename Israels zu verstehen, als Bezeichnung
des erwählten Volkes, das an der Heiligkeit Gottes teilhaben soll: „Seid heilig, denn
ich bin heilig.“ (Lev 19,2).
Allein Gott ist heilig. Und niemand sonst! 1 Sam 2,2: „Niemand ist heilig wie der Herr,
denn außer dir gibt es keinen Gott.“ „Heilige“ sind dann diejenigen, die auf der Seite
Gottes stehen, des einen Gottes. Diese Benediktion ist damit zugleich auch ein
Bekenntnis zum einen Gott. Dem Judentum in Geschichte und Gegenwart hat das
Bekenntnis zur Alleinigkeit Gottes den Vorwurf der Verachtung der Religionen und
der antiken Götter und damit auch den Hass der Völker eingebracht. Vlg.
Religionsverfolgung
unter
Antiochus
IV.
Epiphanes:
„religiös
motivierter
Antijudaismus“ – Verbot der Ausübung der jüdischen Religion, weil sie die
griechischen Götter verachtete. Hier wird in der Makkabäerzeit erstmals in der
Geschichte greifbar, dass das Bekenntnis zum einen Gott oder die Heiligung des
Namens (Kiddusch HaSchem) durchgehalten werden soll bis zum Tod, also bis zum
Martyrium.
Die vierte Benediktion ( lesen) redet davon, dass Gott Menschen Erkenntnis
schenkt. Die Vernunft und die Einsicht des Menschen (!) wird hier betont.
Im jüdischen Kontext geht es primär um das Verstehen der Tora. Bildung und
Einsicht sind zentrale Elemente des Judentums. Vor allem in der Zeit der Aufklärung
konnte sich dieser Gedanke stark durchsetzen. (Moses Mendelsohn). Im
rabbinischen Judentum gelten als Quelle für Erkenntnis neben der Tora auch der
Talmud, das Studium von Mischna und Gemara und die Diskussion als Grundlagen.
Diese Grundlagen sind ausschließlich jüdische Tradition – und oft genug in der
christlichen
Judenfeindschaft
wurde
das „talmudische
Judentum“
oder
der
„Talmudjude“ verunglimpft. (Vgl. Bischof Konrad Martin!). Man hat das Judentum,
das sich um Auslegung und Aktualisierung der Tora in Diskussionen bemühte, als
14
„Vergesetzlichung“, „vergesetzlichte Religion“ verstanden, in den Dreck gezogen
durch aus dem Kontext gerissener Zitate. Was könnte man nicht alles mit christlichen
„Gesetzestexten“ tun, z. B. dem Index der katholischen Kirche – was hier alles
verboten war: die arabische „Null“, die Eisenbahn, das kopernikanische Weltbild, die
Evaluationstheorie....
Die fünfte und sechste Benediktion ( lesen) handeln von der Bitte um „Rückkehr“,
„Hinkehr“ (christlich: „Umkehr“) – teschuwa und von der Vergebung, dem Erlassen
von Sünden (slicha).
Teschuwa meint die Rückkehr zur Tora, zur Weisung Gottes und damit zu Gott
selbst, und die Bitte um Vergebung (slicha – loslassen) weiß davon, dass man
schuldig wird und darauf angewiesen ist, dass dies „erlassen“ wird.
Die Nähe zum Vaterunser ist nicht zu übersehen.
Die 7. Benediktion ( lesen) zeigt wieder, dass das Achtzehnbittengebet ein
jüdisches Gebet ist. Es wird um die Erlösung Israels gebetet (das hießt nicht, dass
nicht auch andere erlöst werden sollen. Im Vater Unser heißt es auch: Erlöse uns).
Aber wieder wird deutlich, dass ein Gebet aus einer Gemeinschaft kommt, in die man
sich nicht einfach einklinken kann. Das kann ich mir nicht einfach zu Eigen machen.
– Problem der „Komparativen Theologie“!).
Es folgen drei Bitten um materiell notwendige Güter (vgl. Brotbitte im Vater Unser),
um Errettung vor äußerer Bedrängnis (vgl. Erlösungsbitte im Vater Unser) und
Sicherung der Lebensgrundlage.
Die nächsten acht Benediktionen sind mit Bitten für das Volk Israel verbunden. Die
10. Benediktion beinhaltet die Bitte um die Sammlung der Verstreuten Israel, in der
11. Bitte geht es um die Wiederherstellung einer eigenen Rechtssprechung nach der
Sozialordnung der Tora. Die Bitte um die Vernichtung von Feinden (12. Bitte) richtet
sich
zunächst
Judenchristen?).
und
ursprünglich
Es folgen
die
gegen
Bitten
für
jüdische
die
Selektier
Gerechten,
(Samaritaner;
die
Proselyten
eingeschlossen, sowie die Bitte um den Wiederaufbau Jerusalems (hier ist die
Zerstörung des Tempels und Jerusalems vorausgesetzt). Sodann (15. Benediktion)
die Bitte um das Kommen der Rettung/des Heils durch den Messias. Die 16. Bitte
15
schließlich bittet darum, dass das Gebet von Gott erhört werde – und man bringt wie
bei allen anderen Bitten/Benediktionen die glaubende Zuversicht zum Ausdruck,
dass Gott dies tun wird – Gott, auf den man dieses Vertrauen setzt eben in einem
Lobpreis Gottes.
Die letzten drei Benediktionen sind schon zum Abschluss des Achtzehnbittengebetes
zu rechnen und führen zur Danksagung und zur Bitte um den Segen Gottes. Die 17.
Benediktion enthält die Bitte um die Rückkehr der Schechinah zum Zion als
Vollendung der eschatologischen Wiederherstellung des endzeitlichen Jerusalems.
(vgl. Offenbarung des Johannes, Offb 21,1-27: „neues Jerusalem“ – das aber ganz
ohne Tempel ist, denn Gott schafft einen neuen Himmel und eine neue Erde und im
„neuen Jerusalem“ ist Gottes Präsenz bei den Menschen: „Siehe, das Zelt Gottes mit
den Menschen! Und er wird mit ihnen zelten ( = wohnen) und sie werden seine
Völker (laoi. auvtou/) sein und er selbst, der Gott wird mit ihnen sein.“).
Es geht in dieser Bitte um die noch ausstehende Heilszeit, wie sie von vielen
Propheten gezeigt und erhofft wird. Man bittet darum, die Heilszeit mit eignen Augen
sehen zu dürfen.
Nach Mt 13,16f preist Jesus seine Jünger „selig“, weil sie durch Jesus schon den
Anbruch der Heilszeit „sehen“: „Selig sind eure Augen, weil sie sehen, und eure
Ohren, weil sie hören. Amen, ich sage euch: Viele Propheten und Gerechte sehnten
sich danach zu sehen, was ihr seht – und sie sahen es nicht, und zu hören, was ihr
hört – und sie hörten es nicht.“
Die 18. Benediktion formuliert den Dank Gott gegenüber für seine Wohltaten und
Zuwendung zu jeder Zeit, abends, morgens und mittags, und zwar für die Wohltaten,
die man schon erfahren hat. Auch das ist ein wichtiges Thema des jüdischen
Glaubens: Die Kultur der Erinnerung im Sinne der Vergegenwärtigung. Sie ist ein
wichtiges Element der jüdischen Frömmigkeit und ist Ausdruck eines Glaubens an
einen
geschichtsmächtigen
und
mitgehenden
Gott.
Die
Erinnerungskultur
kennzeichnet das religiöse Judentum. Dabei geht es nicht nur um ein Denken an die
Vergangenheit, sondern darum, diese zu vergegenwärtigen. So gibt es z.B. für das
Grundfest des jüdischen Volkes, das Pessachfest, für die Feiernden die Regel: „Ein
jeder, eine jede, die dieses Fest feiert (und sich des Auszugs aus der Unfreiheit in die
Freiheit erinnert), soll sich so betrachten, als wäre er/sie heute aus Ägypten
ausgezogen.“
16
In dieser Benediktion finden sich wieder zahlreiche Benennungen (nicht: Namen)
Gottes, die sein Wesen und seine Eigenschaften (middot) zum Ausdruck bringen. Es
sind biblisch Metaphern. „Fels“ ist Gott, weil er sicheres und festes Fundament für
das Leben ist, auf das man sich verlassen kann. „Schild“ ist er, weil er als
beschützend erfahren und bekannt wird.
Der Schlusssatz greift Ps 92,2f auf: „Gut, schön ist es, dem Herrn zu danken, deinem
Namen, du Höchster, zu singen, am Morgen deine Huld zu verkünden und in den
Nächten deine Treue“ (emunah – avlh,qeia Ps 91,3).
Gott zu danken wird dabei als Lobpreis Gottes verstanden. „danken“ und „preisen“
haben im Hebräischen die gleiche Verbwurzel. Gotteslob ist Ziel des Dankes (todah)
(hdy).
Das Sprechen des Achtzehnbittengebetes tritt so an die Stelle des Dankopfers im
spirituellen Sinne.
Den Abschluss des Achtzehnbittengebetes, der Tefillah, der Amidah bildet die Bitte
um Frieden und Segen durch Gott für ganz Israel.
Diese Bitte lehnt sich eng an den so genannten Priester – oder Aaronssegen in Num
6,24-26 an, an die Segensworte, mit denen die Priester das Volk Israel segnen
sollen:
„Der Herr sprach zu Mose: Sag zu Aaron und seinen Söhnen: So sollt ihr die
Israeliten segnen; sprecht zu ihnen: Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr
lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein
Angesicht dir zu und schenke dir Heil/Frieden/Schalom.
So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, und ich werde sie segnen.“
(Num 6,22-27).
Frieden, Schalom wird zum Oberbegriff für alles, was Gott seinem Volk schenkt.
Paulus schließt seinen Brief an die Galater ab mit:
„Friede und Erbarmen über alle und über das Israel Gottes“ (Gal 6,16).
Schalom ist „Friede“ im umfassenden Sinn: Es meint ein umfassendes Heil-Sein, das
nur Gott schenken kann. Der Segen Gottes ist Frieden. dieser ist gebunden an die
17
Zuwendung Gottes, was mit dem „Leuchten deines Angesichts“ zum Ausdruck
gebracht wird. Es bedeutet „Gutes sehen“.
Wohl gemerkt: Dies ist die Grundform des Achtzehnbittengebetes. Je nach Festen
oder Wochentagen werden in der synagogalen Praxis Bitten weggelassen oder
ergänzt.
Ergänzt wird das Achtzehnbittengebet aber auch durch privates Gebet und private
Bitten, in denen dann z. B. formuliert wird, in welcher konkreten Form man Frieden
erbittet.
Beim Achtzehnbittengebet kommt es mehr auf die Themen an als auf die
Formulierung (entstehungsgeschichtlich standen zunächst die Themen fest, eine
schriftliche Fixierung gab es erst später und dies in unterschiedlichen Versionen).
Auch in den verschiedenen religiösen Richtungen des Judentums gibt es
verschiedene Versionen und unterschiedliche Übersetzungen.
Im gegenwärtigen Judentum unterschiedet man im Wesentlichen zwei oder drei
Richtungen: Die Orthodoxen (nicht zu verwechseln mit den Ultraorthodoxen!), die
Konservativen und das Reformjudentum bzw. das liberale oder progressive Reform Judentum. Dieses kennt z. B. auch Rabbinerinnen (gibt es jetzt wieder in
Deutschland) und passt auch das Achtzehnbittengebet an die gegenwärtige Situation
an. Das liberale Judentum fordert für den Gemeindegottesdienst auch keinen Minjan
bzw. zählt auch Frauen mit. Das liberale Reformjudentum hat auch keine Trennung
von Männern und Frauen in der Synagoge. Die Geschichte des liberalen Judentums
ist aufs engste also auch mit der Liturgiereform verbunden (Abraham-Geiger-Institut
in Potsdam). Auf die Ästhetik des Gottesdienstes wird großer Wert gelegt, Musik,
Orgel und auch Chor sollen den Gebetsgottesdienst mitgestalten. Die erste
Benediktion des Achtzehnbittengebetes lautet in der liberalen jüdischen Gemeinde
Deutschlands: „Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter und
Mütter, Gott Abrahams und Gott Saras, Gott Isaaks und Gott Rebekkas, Gott Jakobs
und Gott Rachels und Gott Leas.“ Im liberalen Judentum sind Frauen religiös
gleichberechtigt.
Das konservative Judentum geht zwar von der orthodoxen rabbinischen Halacha
aus, interpretiert sie aber von modernen Gesichtspunkten her und hat auch eine
moderne Haltung zur Stellung der Frau. Das konservative Judentum lässt z. B, im
Synagogengottesdienst auch eine Orgel zu.
18
Dies lehnt das orthodoxe Judentum ab.
Alle Richtungen des Judentums haben dementsprechend auch ihre eigenen
Gebetsbücher („Siddur“).
Allen Richtungen des Judentums gemeinsam ist, dass die gemeinsamen
Gottesdienste reine Wortgottesdienste sind, die in den Synagogen stattfinden.
Deshalb noch einen kurzen Blick in die Geschichte des jüdischen Gottesdienstes.
Solche Wortgottesdienste gab es im antiken Israel nicht erst seit der Zerstörung des
Tempels.
Es ist für die Antike eine Besonderheit, dass es in der Tradition
Israels auch
gemeinschaftliche Gottesdienste ohne Opferkult oder magische Rituale gab. „Denn
auch das Studium religiöser Texte hatte gottesdienstlichen Charakter. Die ältesten
Zeugnisse über einen außerhalb des Tempels ohne Opferkult stattfindenden
Gottesdienst überliefert die Bibel selbst“ (Böckler, Gottesdienst 154). So ist Dtn
31,11-12 zu entnehmen, dass sich Männer, Frauen, Kinder, Alte und Fremde am
Ende des Laubhüttenfestes versammeln sollen um die Tora zu hören, sie
(auswendig) zu lernen, um sie befolgen zu können. Geschrieben sind diese
Weisungen im Exil in Babylon oder später. Ein anderer alttestamentlicher Hinweis auf
einen Gottesdienst ohne Kulthandlung findet sich in Neh 8,1-8.
„EIN Neh 8,1 Das ganze Volk versammelte sich geschlossen auf dem Platz vor dem
Wassertor und bat den Schriftgelehrten Esra, das Buch mit dem Gesetz des Mose zu
holen, das der Herr den Israeliten vorgeschrieben hat. 2 Am ersten Tag des siebten
Monats brachte der Priester Esra das Gesetz vor die Versammlung; zu ihr gehörten
die Männer und die Frauen und alle, die das Gesetz verstehen konnten. 3 Vom
frühen Morgen bis zum Mittag las Esra auf dem Platz vor dem Wassertor den
Männern und Frauen und denen, die es verstehen konnten, das Gesetz vor. Das
ganze Volk lauschte auf das Buch des Gesetzes. 4 Der Schriftgelehrte Esra stand
auf einer Kanzel aus Holz, die man eigens dafür errichtet hatte. Neben ihm standen
rechts Mattitja, Schema, Anaja, Urija, Hilkija und Maaseja, und links Pedaja,
Mischaël, Malkija, Haschum, Haschbaddana, Secharja und Meschullam.
5 Esra
öffnete das Buch vor aller Augen; denn er stand höher als das versammelte Volk. Als
er das Buch aufschlug, erhoben sich alle. 6 Dann pries Esra den Herrn, den großen
Gott; darauf antworteten alle mit erhobenen Händen: Amen, amen! Sie verneigten
sich, warfen sich vor dem Herrn nieder, mit dem Gesicht zur Erde. 7 Die Leviten
19
[Jeschua, Bani, Scherebja, Jamin, Akkub, Schabbetai, Hodija, Maaseja, Kelita,
Asarja, Josabad, Hanan und Pelaja erklärten] dem Volk das Gesetz; die Leute
blieben auf ihrem Platz.
8 Man las aus dem Buch, dem Gesetz Gottes, in
Abschnitten vor und gab dazu Erklärungen, so daß die Leute das Vorgelesene
verstehen konnten.“
Dieser Text stammt aus der Zeit nach dem Ende des Exils, vermutlich 4. Jh. v. Chr.
Er beschreibt, wie der Priester und Schriftgelehrte Esra das Buch der Tora dem
versammelten Volk, Männern und Frauen und alle, die die Tora verstehen konnten
(8,3) vorlas von einem Pult (erhöhten Platz) aus. Auf die Verlesung hin erhoben sich
alle, Esra preist Gott und alle antworten mit erhobenen Händen: Amen, amen! (8,6).
Im Anschluss daran erklären die Leviten dem Volk das Gesetz: „Man las aus dem
Buch, dem Gesetz/der Tora Gottes, in Abschnitten vor und gab dazu Erklärungen, so
dass die Leute das Vorgelesen verstehen konnten“ (8,8).
„Die Opferlosigkeit des hier beschriebenen Gottesdienstes ist für den Alten Orient
einmalig, denn gewöhnlich wurde jeder Kontakt zu Gott von einer Kulthandlung
begleitet. In Neh 8 steht anstelle der Opferhandlung die Verlesung eines Textes, die
durch das Gebet des Lesenden und der Hörenden gerahmt wird, wie dies sonst bei
Opfern geschieht. In Neh 8 finden sich bereits einige der Elemente, die sich bis heute
im Gottesdienst erhalten haben: Menschen versammeln sich, um gemeinsam Gott zu
loben und aus der Tora zu hören, ein Schriftgelehrter steigt auf eine hölzerne Kanzel
(vgl. die Bima) und liest aus der Tora vor. Rechts und links neben ihm stehen
Männer, die die Lesung begleiten. Das Gelesene wird von mehreren Leuten erklärt
(vgl. heute die Drascha (Predig) oder den Schiur (Lernstunde).“ (Böckler,
Gottesdienst 155).
Vermutlich hat sich bereits im Babylonischen Exil so etwas wie ein Gottesdienst bzw.
eine gottesdienstliche Versammlung herausgebildet unter den Exilierten, aber auch
bei denen, die nach der Zerstörung des Tempels in Palästina verblieben. Davon
haben wir aber keine schriftlichen oder ikonografischen Nachrichten.
Hinweise auf jüdische Gebetsgottesdienste finden wir dann wieder in hellenistischrömischer Zeit. Im Buch Daniel (Dan 6,11) aus dem Jahr 165 v. Chr., in der Zeit der
Religionsverfolgung unter Antiochus IV Epiphanes, werden Gebetszeiten erwähnt.
Das Danielbuch ist eine fiktionale Erzählung, das zur Erbauung und zur
Glaubensstärkung in einer Verfolgungszeit verhelfen will. Es ist – wie apokalyptische
20
Literatur überhaupt – „Untergrundliteratur“ die verschlüsselt zum Durchhalten und
Festhalten am jüdischen Glauben aufruft. In der erzählerischen Fiktion befindet sich
der jüdisch-glaubenstreue Daniel am Hof des babylonischen Königs. Und es wird
erzählt, dass er dreimal am Tag betet, das Gesicht in Richtung Jerusalem gewendet.
Man hat darin einen Hinweis gesehen, dass es bereits in dieser Zeit zur
Herausbildung von festen Gebetszeiten außerhalb des Tempelgottesdienstes kam.
Zur Synagoge:
Vermutlich ist die Synagoge in hellenistischer Zeit entstanden. Das Wort Synagoge –
sunagogh, leitet sich her vom griechischen suna,gein, zusammenführen, versammeln,
sich versammeln. Synagoge bedeutet also zunächst einmal die Versammlung. In der
Septuaginta wird es verwendet zur Übersetzung des hebräischen edah ( hd[) (Num
16,3; 17,7) oder qahal (lhq) (Num 20,4), womit das um Gott bzw. um das Bundeszelt
versammelte Volk gemeint ist. Daraus entwickelte sich dann ab hellenistsicher Zeit
die Verwendung des Wortes „Synagoge“ auch für den Ort der Versammlung. Dafür
gibt das Wort im Neuen Testament und auch der jüdische Historiker Flavius
Josephus Hinweise. Synagoge ist also die religiöse Versammlung und der religiöse
Versammlungsort. Einer der späteren rabbinischen Bezeichnungen für „Synagoge“
ist „beit ha-knesseth“ – Versammlungshaus. Hier ist dann ganz klar der Ort, das
Haus gemeint, wo die religiöse Versammlung stattfindet. Archäologische Zeugnisse
für religiöse Versammlungsorte haben wir aus Israel aus dem 1. Jh. n. Chr. (Gamlah;
Massada; vermutlich Magdala). Der älteste literarische Beleg und Hinweis auf eine
Synagoge in Jerusalem (!) ist die so genannte Theodotos-Inschrift an einem
Gebäude in Jerusalem aus der Zeit vor 70 n. Chr. Diese griechische (!) Inschrift
erwähnt den Erbauer des Gebäudes und gibt auch die Funktionen des
Synagogengebäudes an:
„ Theodotos, des Vettenus Sohn, Priester und Synagogenvorsteher, Sohn eines
Synagogenvorstehers, Enkel eines Synagogenvorstehers, erbaute die[se]
Synagoge zur Verlesung des Gesetztes und zum Unterricht in den Geboten,
ebenso auch das Fremdenhaus und die Kammern und die Wasseranlagen für
die [Pilger] aus der Fremde, die eine Herberge brauchen. Den Grundstein dazu
hatten seine Väter und die Ältesten und Simonides gelegt.“
21
Das Synagogengebäude scheint also sehr verschiedeneFunktionen gehabt zu
haben. Vom jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien (10 v. Chr. bis 45 n. Chr.)
wissen wir, dass es in Alexandrien in den Stadtteilen Alexandriens viele Synagogen
gab. Und auch die Apostelgeschichte weiß von Synagogen in den großen Städten
der jüdischen Diaspora (Korinth, Ephesus).
Das heißt: Sowohl in Palästina, Jerusalem und Galiläa als auch in der hellenistischen
Diaspora des 1. Jh. war die Synagoge wohl eine feste Institution – und zwar noch zu
Zeiten des Tempels. Hier versammelten sich Juden und Nichtjuden, so genannte
Gottesfürchtige, am Sabbat. Das Neue Testament macht deutlich, dass hier am
Gottesdienst am Sabbat die Tora verlesen wurde und dann die Propheten und dass
es dazu eine Auslegung, eine Predigt gab (Lk 4,16-21; Apg 13,14-41).
Interessanterweise gehören zu den ältesten literarischen Hinweisen auf diese
jüdische Gebetspraxis die Schriften des Neuen Testaments. Die Jüdin Anette Böckler
in ihrer Einführung in den jüdischen Gottesdienst betont das ausdrücklich. Und in der
Tat ist das Neue Testament sowie frühchristliche Literatur eine wichtige Quelle für
das Frühjudentum!
Wie gesagt, nach der Zerstörung des Tempels bildete sich aus der pharisäischen
Richtung allmählich das rabbinische Judentum heraus. Neben der Zerstörung des
Tempels im Jahre 70 n. Chr. war ein weiterer schwerer Einschnitt der so genannte
Bar-Kochba-Aufstand von 132-135 n. Chr. Hier versuchte man sich nochmals gegen
die römische Besatzungsmacht unter Kaiser Hadrian aufzulehnen und die
Eigenständigkeit zu erlangen. Dies misslang und es kam zu rigorosen Maßnahmen
gegen Juden unter Kaiser Hadrian. Jerusalem wurde römische Stadt, (colonia) „aelia
Capitolina“; Juden durften die Stadt nicht mehr betreten, die Ausübung der jüdischen
Religion in Judäa wurde bei Todesstrafe verboten. Die Hoffnung auf einen
Wiederaufbau des Tempels war vorbei und man musste sich auf eine Religionspraxis
ohne Tempel einstellen. Das große Problem, das sich einem Judentum ohne Tempel
stellte: Wie kann es Sühne geben ohne Opfer?
In talmudischer Zeit (200-600 n. Chr.) trat das Gebet an die Stelle der Opfer, und
zwar insbesondere das Achtzehnbittengebet mit seinen bestimmten Themen.
„An die Stelle der beiden täglichen Opfer im Tempel traten nun die täglichen
Gebetszeiten Schacharit (Morgen) und Mincha (Abenddämmerung). An die Stelle
22
des Opferrituals am Versöhnungstag trat ein Tag des Gebets und dieser Tag schafft
die Sühne, wie man Levitikus 16,30 verstehen kann: „Durch diesen Tag (ba-jom
hase) wird euch Sühne geschaffen ...“ (vgl. Joma 85b).“ (Böckler, Gottesdienst 163).
Die ältesten rabbinischen Quellen über den Gottesdienst finden sich in der Mischna,
ca. 200 n. Chr. Der Lehrer der Mischna, Tannaiten halten Gebetsthemen sowie
Gebetszeiten fest, nicht aber Gebete selbst. Im Talmud wird die Grundstruktur des
jüdischen Gebetsgottesdienstes festgehalten, es wurde diskutiert über Gebetszeiten,
über die Sprache. Aber auch „über Vorschriften und Strukturen [was also allen
gemeinsam sein sollte], über das Verhältnis von Spiritualität und halachischer
Vorschrift sowie über das Ausmaß von Spontaneität (Kawwana [=freies persönliches
Gebet]) oder Formalität (Kewa [= geprägtes Gebet]) im Gebet und ob einzelne
Gebete aufgeschrieben werden dürfen oder besser inoffiziell bleiben sollten.“
(Böckler, Gottesdienst 164).
Erhalten sind der Mischna aber Berachot, also Lobpreisungen in der Form
„Gepriesen seist du, Herr, unser Gott, König der Welt“. Eine rabbinische Weisung
lautet: Jede Beracha, in der nicht der Gottesname vorkommt (bei Moses Mendelsohn
mit „Ewiger“ übersetzt) und in der nicht die Königsherrschaft Gottes vorkommt, ist
keine Beracha. (vgl. Böckler 165).
Im Mittelalter hat Maimonides (12. Jh.) diese Berachot-Lobpreisungen systematisiert.
Nach Maimonides gibt es Berachot-Benediktionen über Dinge, die man isst, trinkt
oder riecht (also über Sinnesdinge wie Brot, Wein, Geruch des Meeres, erste Früchte
im Jahr etc.), Berachot, bevor man ein Gebot – eine Weisung ausführt (z. B. vor der
Lesung aus der Tora, vor dem Glaubensbekenntnis); und es gibt Berachot, mit
denen man Gott dankt, lobt oder bittet (vgl. Achtzehnbittengebet). In der langen Form
wie im Achtzehnbittengebet formuliert der Schlusssatz jeweils in einer Berachot, was
das konkrete Anliegen der vorhergehenden Bitte oder des Dankes war.
Weitere Entwicklung in der Geschichte des jüdischen Gottesdienstes
„In der Antike gab es jüdische Gemeinden überwiegend in Babylonien und dem
Mittelmeerraum. Seit der arabischen Eroberungswelle ziehen jüdische Gruppen auch
nach Westeuropa. Spanien, das Anfang des 8. Jh. unter arabische Herrschaft kam,
23
ist ihr vorrangiges Ziel. Durch die allmähliche Entwicklung von Städten und dem
aufkommenden Handel entstehen jüdische Gemeinden dann auch in christlichen
Gebieten, die bedeutendsten Gemeinden dieser Zeit bilden sich im Rheinland
(Worms, Mainz, Speyer). Die wichtigsten Schauplätze für die folgende Geschichte
der jüdischen Liturgie sind also nach wie vor Babylonien (bis Mitte des 11. Jh.),
Ägypten, Nordafrika, Eretz Israel bis zur Eroberung durch die Kreuzfahrer im 12. Jh.,
das Rheinland bis zu den Kreuzzügen, die 1096 begannen, und die spanische
Halbinsel bis zur Vertreibung der Juden aus Spanien 1492.“ (Böckler 167).
Seit dem Mittelalter unterscheidet man dann zwischen aschkenasischen Juden, das
sind die, die im Rheinland und Nordfrankreich lebten – z. B. in Deutschland, und
sephardischen Juden, das sind die, die aus Spanien kommen und sich nach der
Vertreibung durch Christen auch in anderen Ländern wie z. B. in der Türkei oder in
Osteuropa, aber auch in Amsterdam, Hamburg, England, Norditalien, Nordafrika und
im ottomanischen Reich, das sehr tolerant war, aber auch in Palästina, z. B. in Sefat,
(von Zefat aus Entstehung der Kabbala) niederließen. Und dann gibt es noch die
orientalischen Juden, z. B. aus Nordafrika oder aus dem Jemen.
Ab dem 9. Jh. ging man dann dazu über Gebetsbücher zu erstellen. Vom 9. – 15. Jh.
war Spanien ein Zentrum des Judentums. Hier lebten die wichtigsten Dichter und
Denker, Philosophen und Theologen und Kommentatoren – bis zur Vertreibung
durch die Christen im Jahr 1492. Damit wurde eine Hochkultur vertrieben, die in
bestem Austausch mit der islamischen Welt stand. Dies wurde wesentlich mit
angetrieben in der Spanischen Welt durch die islamische Umwelt. Hier bildete sich
das Kalifat heraus und man verwendete Kodizes zur Überlieferung heiliger Texte des
Islam. Solches geschah dann auch im spanischen Judentum. Um 860 verfasst der
Leiter einer jüdischen babylonischen Akademie, der „Gaon“ Amram ben Scheschna
(Raw Amram) für spanische Juden das erste Gebetsbuch, das zum Standardwerk
des jüdischen Gottesdienstes wurde. Raw Amram stammte aus der babylonischen
Diaspora, die also maßgeblich wurde. Hier findet sich die Amida, älteste Abschrift,
die erhalten ist: aus dem 14. oder 15. Jh.
Im 9. Jh. ging man auch im Judentum dazu über, Kodizes zu verwenden. Während
die Christen schon früh den Kodex für ihre heiligen Schriften übernehmen (ein
„Kennzeichen“ für Christen!), hielten Juden in Abgrenzung dazu bis ins 9. Jh. an den
24
Schriftrollen fest. „Mit dem Aufkommen von Kodizes im 8.-9.Jh. im // Islam
übernahmen nun auch einzelne jüdische Gemeinden in Gebieten unter arabischer
Herrschaft diesen Brauch. Die Überlieferung von Texten in Form von Kodizes
schaffte die Möglichkeit, alle Gebetes, des Gottesdienstes so zu überliefern, dass
man schnell vor – und zurückblättern konnte. Der Kodex bot sich als das geeignete
Mittel zur Überlieferung einer Liturgie an.“ (Böckler5 171f).
Mit der Erfindung des Buchdrucks 1440 durch Johannes Gutenberg in Mainz begann
die Verbreitung von Texten in größerem Umfang.
In der Neuzeit des 19. und 20. Jh., also mit der Aufklärung und der Zentralstellung
der Vernunft (Moses Mendelsohn) stellte man auch die überkommene Religion in
Frage. Nicht nur im Christentum, auch im Judentum. Die Religion musste nun
vernunftgemäß werden, vor der Vernunft standhalten.
Für das Judentum bedeutete es, dass es seit dem 19. Jh. eine orthodoxe und eine
liberale/progressive Richtung im Judentum gibt. Ermöglicht wurde dies durch
politische Veränderungen. Das preußische Emanzipationsedikt von 1812 und der
Wiener Kongreß 1815 stellen Juden und Jüdinnen erstmals in der deutschen
Geschichte allen anderen Staatsbürgern, zumindest rechtlich, gleich. In Deutschland
entstand die Reformbewegung, die sich auf Moses Mendelsohn stützte, der in seinen
philosophischen Schriften zu zeigen versuchte, dass Aufklärung, Vernunft und
Religion zu verbinden sind. Viele andere „emanzipierten“ sich bzw. wollten es, indem
sie sich taufen ließen und zur deutschen Staatsreligion wechselten. (Heinrich Heine:
„Der Taufschein als entreé billett zur Gesellschaft“): Genützt hat das alles nichts.
1873 Niedergang der Gründerzeit  Schuld sind die Juden. Mit dem Aufkommen
des Nationalismus Anfang des 19. JH. auch Aufkommen des Antisemitismus, der in
der
Gründerzeit
instrumentalisiert
wurde.
Juden
waren
erfahren
in
der
Betriebsleitung, Geschäften, während die zahlreichen unerfahrenen „Gründer“
bankrott wurden und verarmten.  Antisemitismus, Judenhass.
Für das Judentum dieser Zeit in Deutschland aber ist wichtig, dass es in zahlreichen
Gemeinden zu Reformen der Liturgie kam. Orgeln wurden eingeführt, z. T. auch
Glocken, eine Predigtkanzel. (Vorbild waren die lutherischen Gebetsgottesdienste,
nicht die katholische Messe!). In Hamburg gab Abraham Geiger 1854 das erste
„reformierte“ Gebetsbuch mit deutschen Gebeten und Texten heraus. Es bildeten
25
sich verschiedene Rabbinerkonferenzen. Ein „konservativer“ Flügel trat dafür ein,
dass im Gottesdienst die hebräische Sprache beibehalten werden soll.
Das liberale Judentum, die Reformbewegung in Deutschland fand ein jähes Ende.
Zwar wurde im Dezember 1935 zum ersten Mal in der Geschichte des Judentums
Regina Jonas zur Rabbinerin ordiniert, aber 1935 erließ Hitler auch die Nürnberger
Rassengesetze, 1938 brannten die Synagogen und 1942 begann die systematische
Vernichtung der europäischen Juden.
Seit den 90er Jahren des 20. Jh. gibt es in Deutschland wieder liberales
Reformjudentum und man bemüht sich hier um einen „zeitgemäßen“ Gottesdienst.
Auch in Israel und USA sind alle Richtungen vertreten.