politik Ich darf nicht mal kochen 6 F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TAG S Z E I T U NG , 2 4 . JA N UA R 2 0 1 6 , N R . 3 organisieren, sie haben ihre Reise von Syrien hierher organisiert ! Die Kreistagsfrau sagt, dass es Sache der Kreisverwaltung sei, Regeln aufzustellen. Der Wachdienst kommt ihr übergriffig vor, was sie besonders dann problematisch findet, wenn keine Sozialpädagogen vor Ort sind, sondern nur Sicherheitsleute und Flüchtlinge. Sie sagt, es sei unsäglich, dass der Wachdienst hier überhaupt mitdiskutiert. Der Mann wendet sich daraufhin ab und redet mit anderen Leuten weiter. In einer Notunterkunft in Sachsen-Anhalt machen sich Leitung und Flüchtlinge gegenseitig Vorwürfe. Die Stimmung ist mies, sie streiten um Herdplatten. Worum geht es wirklich? Von Lydia Rosenfelder E in Plattenbau steht einsam am Ortsrand, ein grauer Würfel, den irgendwer geworfen hat und der liegen geblieben ist, wo sonst nichts ist. Zaun drumherum. Eine junge Frau vom Sicherheitsdienst steht vor dem Haus und grüßt freundlich. Treppe hoch, Tür auf, ein Flur voller Männer zwischen achtzehn und Mitte dreißig. Sie sind im Hungerstreik. Kommunalpolitiker und engagierte Bürger haben davon erfahren und wollen klären, was los ist. Eine Frau von der Ausländerbehörde führt sie in den Aufenthaltsraum. Sie ist groß, mit kurzen weißen Haaren und strengem Gesicht. Außerdem dabei: zwei in die Jahre gekommene Wachmänner und eine junge Sozialpädagogin mit Hornbrille und blondem Zopf, die hier mit den Flüchtlingen arbeitet. ! Junger Grüner: Die Leute hier sagen, sie würden schlecht behandelt. Sozialpädagogin: Sie streiken, weil sie selber kochen wollen. Das geht aber nicht. Erstens müssen die Kochplatten geprüft werden, denn das ist ein großes Gebäude. Wenn es einmal brennt, dann brennt es überall. Zweitens haben wir nichts zum Abwaschen. Wenn die kochen und nicht abwaschen können, dann haben wir hier Tierchen bis zum Gehtnichtmehr. Wir hatten das schon, dass die Leute im Bad abgewaschen haben, und dann waren die Rohre verstopft. Kreistagsfrau: Muss es sein, dass abends um neun das Tor abgeschlossen wird? Sozialpädagogin: Das ist, damit sie abends ein bisschen runterkommen. Einige müssen ja morgens zur Schule. Das soll einen geregelten Ablauf reinbringen. Nur deshalb. Das sind halt superviele Leute an einem Ort. Wachmann: Ein Ordnungsprinzip muss da schon sein. Das geht gar nicht anders. Junger Grüner: Natürlich, das verstehen wir grundsätzlich auch. Aber jetzt ist Wochenende, und da geht keiner zur Schule. Sozialpädagogin: Das ist nicht so, dass sie nicht rein und raus dürfen. Es gibt eine Klingel. Junger Grüner: Aber sie dürfen abends nach 21 Uhr niemanden empfangen. Sozialpädagogin: Sie könnten mit ihrem Besuch woanders hingehen, das ist doch kein Problem. Wachmann: Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn wir hier die Tore nachts auflassen? Die haben ein aktives Nachtleben, teilweise bis früh um viere. Kreistagsfrau: Aber Sie dürfen doch auch zu Hause ein- und ausgehen, wie Sie wollen. ! Syrer, auf Englisch: Meine Familie hat in Syrien vier Häuser. Ich bin ganz allein hierhergekommen, um mein Studium zu beenden. Aber ich darf hier nicht tun, was ich will. Ich darf nicht mal kochen. Sozialpädagogin: Aber wir ändern das doch. Sie hören nicht zu. Syrer: Doch, ich höre zu, aber ich verstehe es nicht. Sozialpädagogin: Das merke ich. Wachmann: Das muss geregelt werden. 21, 22 Uhr, so lange können die sich in den Zimmern untereinander besuchen, sagt doch kein Mensch was. Aber dann bleibt jeder in seinem Zimmer. Die können doch nicht die halbe Nacht lang Feten feiern. ! ! Der Aufenthaltsraum ist trist, Wände in lustlosem Gelb, zwei Fernseher auf der Fensterbank, von denen einer funktionstüchtig aussieht, eine Stereoanlage und ein paar Sofas vom Sperrmüll. Die Flüchtlinge drängeln sich am Türrahmen, es kommen immer mehr in den Raum hinein. Einige reden zornig dazwischen, andere beobachten still und genau. Sie verstehen wenig, aber sie lesen in den Gesichtern der Deutschen. Wenn die Sozialpädagogin von einzelnen Bewohnern berichtet, beispielsweise von einem Gespräch mit Ahmed, dann rufen die anderen laut: Ahmed, Ahmed, damit der, um den es geht, auch dazukommt. ! Kreistagsfrau: Wie organisieren Sie das Beschwerdemanagement für die Flüchtlinge? Sozialpädagogin: Wir setzen uns hin, zuletzt am Mittwochabend, mit drei von den Jungs. Dann besprechen wir die Probleme. Wir haben vorgeschlagen, dass sie für das Catering genau aufschreiben, was sie essen wollen. Welches Fleisch, welches Gemüse, welche Beilage etcetera pepe. Und dann meinten sie: Nee, machen wir nicht. Was soll ich denn da tun? Kreistagsfrau: Es sollte für die Essensversorger feststehen, was für diese Nationen hier geht und was nicht. Angeblich gab es Schweinefleisch. Sozialpädagogin: Es gibt kein Schweinefleisch hier, das stimmt einfach nicht. Der Caterer achtet darauf. Das Essen ist wahrscheinlich anders zubereitet, als sie es kennen, so dass sie sich manchmal unsicher sind. Ich hatte vorgeschlagen, eine Liste auszuhängen, was es zu essen gibt, damit sie genau wissen, welches Fleisch es ist. Dann sagen sie aber: Nein, wir wollen selber kochen. Kreistagsfrau: Das sind alles Erwachsene. Viele von denen haben tolle Berufe. Man könnte Vertreter benennen, vielleicht zimmerweise, die dann regulär sprechen. Und nicht nach dem Prinzip Zufall versuchen, die Probleme zu lösen. Sozialpädagogin: Gestern waren sie so sauer, dass sie gesagt haben, sie wollen auch das nicht. YOUNG LEADERS ' CONFERENCE #4 DIE DEUTSCHE SICHERHEITSPOLITIK IN DER ÖFFENTLICHEN DISKUSSION 2016 26. Januar 2016, F.A.Z. Atrium, Berlin Foto Plainpicture Kreistagsfrau: Dann ist was schiefgelaufen, dann wartet man 24 Stunden und versucht es noch mal. ! Achtzig Flüchtlinge leben hier, immer fünf in einem Zimmer. Nur junge Männer. Frauen, Kinder und Alte fehlen. Die Männer sind ungeduldig, sie reden laut durcheinander. Demnächst ziehen weitere sechzig Männer hier ein. Am Ende werden es zweihundert sein. ! Sozialpädagogin: Wir haben die Bewohner darum gebeten, das Essen vom Catering nicht durchs Haus zu tragen. Das scheint nicht zu allen durchgedrungen zu sein. Junger Grüner: Es ist wichtig, einen unabhängigen Übersetzer zu haben. Behördenfrau: Wir haben eine Aufgabe, und die bringen wir rüber. Die Kollegen geben sich schon arg Mühe. Wir hatten neulich einen Brand. Und die haben das Haus nicht verlassen. Obwohl einen Tag vorher die Übung gemacht wurde. Sozialpädagogin: Die sagen: Ich gehe bei Feueralarm nicht raus, ich gehe erst raus, wenn ich das Feuer sehe. Behördenfrau: Ich kann mir natürlich nicht immer die Leute aussuchen, mit denen ich umgehe. Wenn die ihre Aufenthaltserlaubnis haben, können sie gehen. Wir haben hier welche, die schon längst weg sein könnten. Die könnten sich eine eigene Wohnung suchen. Aber hier drin gelten Regeln. Wenn sie sagen, sie vertrauen mir nicht, dann brauchen sie auch kein Gespräch mit mir zu führen. Junger Grüner: Sie haben von Ihrer Aufgabe hier gesprochen. Wie würden Sie die beschreiben? Behördenfrau: Dass wir die Leute vernünftig unterbringen und für Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit sorgen. Nach innen und nach außen. Es ist schlimm, dass man um Unterkünfte einen Zaun bauen muss, weil es Anschläge gab. Hier war der Zaun schon da. Sozialpädagogin: Die Adresse dieser Unterkunft steht auf Facebook. Behördenfrau: Ich weiß nicht, ob Sie es im Kreistag mitgekriegt haben. Die Rechten wollten eine Übersicht über die Wohnungen von Flüchtlingen. ! Draußen fährt ein Polizeiauto vor, das nach wenigen Minuten wieder verschwindet. Ein junger Syrer mit Lederjacke, adrett und selbstbewusst, nimmt ein Kopfkissen und faltet es demonstrativ zusammen, bis es so klein ist wie ein Portemonnaie. Er sagt in schlechtem Englisch, wenn er da noch seine Jacke drunter lege, könne er eventuell schlafen. Die Frau von der Kreisverwaltung redet unterdessen über Kühlschrankhygiene. ! Behördenfrau: Ich mache das nicht, weil ich denke, ich bin hier der liebe Gott. Es gibt so gut wie keinen Verhandlungsspielraum. Gewisse Regeln müssen eingehalten werden, und da geht es nicht darum, wie ich die finde. Wir werden uns nicht an denen orientieren, die nur alles schlecht finden. Wachmann: In den Zimmern stehen nur Betten, keine Schränke. Die haben ihre Sachen unter den Betten, weil es nicht anders geht. Und dann stellen sie den Kocher neben die Betten. Machen Sie das zu Hause etwa in Ihrer Schlafstube? Zweiter Wachmann: Das ist eine Notunterkunft. In circa sechs, acht Wochen werden Herde auf jeder Etage eingebaut. Behördenfrau: Und auch dann wird es Regeln geben, die nicht allen gefallen. Kreistagsfrau: Aber trotzdem kann es doch klappen. Diese Leute können sich DIE THEMEN Die Welt aus den Fugen: Aktuelle Stunde zum IS-Terror, zu den Folgen für die innere Sicherheit und zum ausgerufenen EU-Bündnisfall. Hält zusammen, was zusammengehört? Die Flüchtlingskrise als Prüfstein der europäischen Idee, der gemeinsamen Werte und der europäischen Institutionen. Diplomatie, Zusammenarbeit, Sicherheitspolitik. Europas Verantwortung in der Welt und Ansätze zur Befriedung und Stabilisierung !"#$%"&'()#*+(,-./&'0&1( Deutsche Souveränität, europäische Interessen und internationale Verantwortung. In welche Richtung werden sich außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Diskussionen bis zum Jahr 2030 verändern? Das Gespräch dreht sich im Kreis. Es geht nicht ums Kochen, es geht nicht um zu viel Kohl und Kartoffelbrei, sondern um Frust. Die meisten Asylbewerber haben ein sehr optimiertes Bild von Deutschland, mit dem die Realität nicht mithalten kann. Hier angekommen, sind sie zum Rumsitzen und Abwarten gezwungen, ohne zu wissen, wann ihr Asylantrag bearbeitet wird. Was aus der Familie zu Hause wird, ist auch unklar. Und es stärkt auch nicht die Nerven, dass sich durch die Kälte alle nur noch im Haus aufhalten, wo sie sich nirgends zurückziehen können. Syrer: Es tut mir leid, aber die behandeln uns hier, als wären wir im Gefängnis. Sozialpädagogin: Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Syrer: Es tut mir leid, aber wir mögen das deutsche Essen nicht. Zweiter Syrer: Ich wollte hier Besuch empfangen und durfte es nicht. Kreistagsfrau: Kann das stimmen? Behördenfrau: Kein Besuch auf den Zimmern, ja. Er kann sich gerne hier unten in den Aufenthaltsraum Besuch einladen. Sozialpädagogin: Grundsätzlich darf er hier unten Besuch kriegen. Ich weiß nicht, ob es ein Problem mit der Security gab, das kann ich nicht beurteilen, wenn ich selber nicht da war. Behördenfrau: Ich möchte nicht so eine Situation wie im Nachbarort. Die erste und die zweite Etage haben sich dort nicht verstanden – obwohl alle Syrer waren. Die hatten dort auch Frauenbesuch, aber weil es nur Männer in der Unterkunft gibt, sind keine sanitären Anlagen für Frauen da. Wir hatten auch in einer Unterkunft den Fall, dass Frauen dort gewisse Dienste verrichtet haben. Es geht um die Sicherheit. Er darf gerne hier unten Besuch haben. Aber er ist einer, der seine Aufenthaltserlaubnis schon hat, er sollte sich lieber um eine Wohnung kümmern. Kreistagsfrau: Lassen Sie uns doch festhalten: Wir brauchen einen unabhängigen Übersetzer und Gespräche einmal pro Woche. Behördenfrau: Ich kann gerne einen Termin einrichten lassen, wir werden das erklären, aber wir verhandeln nicht. Wir brauchen Zeit, bis das alles fertig ist hier. Syrer: I cannot bring a girl to my room. You know what I mean. Sozialpädagogin: Yes. Behördenfrau: Und am Schluss noch eine Regel: Fernseher aus, wenn man rausgeht. Heizung runter, Fenster zu. Das kostet Geld. This is money. Syrer, auf Englisch: Das ist das erste Mal, dass Sie Englisch mit mir reden. (Und dann, auf Deutsch) Ja, ich verstehe. Wegen der großen Nachfrage sind keine weiteren Anmeldungen möglich. Folgen Sie der Konferenz via Live-Stream am 26. Januar 2016 ab 9:15 Uhr auf WWW.FAZ.NET/SIPO2016 DIE SPRECHER (AUSWAHL) S.E. Philippe Étienne, Botschafter der Französischen Republik !"#"$%&'()*+$,-+*$./0'1234156$Botschafter der Republik Türkei Dr. Klaus Kinkel, Außenminister a.D. Dr. Ole Schröder, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern Dr. Almut Wieland-Karimi, Direktorin des ZIF IN ZUSAMMENARBEIT MIT MEDIENPARTNER Mitdiskutieren auf twitter: #SiPo2016 Mehr unter: www.faz-forum.com/sicherheitspolitik2016
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