Dr. Helmut Müller-Enbergs Adjungeretprofessor an der Syddansk Universitet (Odense, Dänemark) 14.12.2015 Sehr geehrte Frau Sorge, gern beantworte ich Ihre Fragen. Allerdings ausschließlich in der o. g. Funktion, nicht als jemand, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der BStU angestellt ist. Ihre Fragen - - Konnte es vorkommen, dass DDR-Bürger „Inoffizielle Mitarbeiter“ des MfS waren, ohne davon zu wissen? Was sagen Sie zu Lammels Einlassung vom DJV-Verbandstag Anfang November: „Und wenn man dann von Kress und selbsternannten Experten in Ferndiagnose, die schreiben, Sie hätten die Akte nicht gesehen, aber ich solle mal gefällig zurücktreten, liest, dann muss ich schon sagen, ich weiß nicht, wie bestürzt man danach nicht sein können.“? Ihr Forscherkollege Kowalczuk sagt übrigens: „Lammel hat der Stasi ausweislich der wenigen vorliegenden Dokumente keinerlei belastende, ja nicht einmal verwertbare Informationen geliefert.“ Sehen Sie das auch so? Meine Antworten - Im Regelfall wusste kein DDR-Bürger (wie auch andere), dass er in den Karteien oder Akten des MfS als „inoffizieller Mitarbeiter“ geführt wurde. Wer sich für solche Fragen im Westen interessierte, konnte einzelnen Büchern entnehmen, dass es diese Bezeichnung gab. Ob sie dann mit diesem Wissen schlussfolgerten, auch so bezeichnet zu werden, dürfte spekulativ sein. Im Regelfall wies sich das MfS bei der Kontaktaufnahme nicht als Vertreter dieser Institution aus, sondern wählte eine auf die Person zugeschnittene Legende. Lag etwa ein mutmaßliches Zolldelikt vor, konnte das dann schon als Angehöriger der Zollverwaltung sein. Im Prozess des Kennenlernens jedoch war es üblich, sich ab einem geeigneten Zeitpunkt als MfS zu erkennen zu geben, insbesondere dann, wenn der Moment herangekommen war, diese Person schriftlich oder mündlich zu verpflichten. Insoweit wussten IM regelmäßig, dass ihr Gesprächspartner vom MfS war, mit der bestimmte Fragen erörtert wurden. - Als Wissenschaftler interessiert mich lediglich die Analyse und Bewertung von Vorgängen, die teils auf Akten, teils auf Zeitzeugen, teils auf Einlassungen beruhen. Insoweit bewerte ich lediglich, was mir an Empirie vorliegt. - Das MfS war nicht allein Repressionsmaschine, sondern auch Nachrichtendienst mit exekutiven Funktionen. Es definierte IM als Personen, die konspirativ Aufträge erledigten. Der Gesetzgebert definierte IM als Personen, die sich bereit erklärt haben, Informationen zu liefern. In diesem Zusammenhang ist unerheblich, welchen Inhalt diese Informationen haben. Es zählt nach Ansicht des Gesetzgebers allein die Tatsache selbst. Folglich ist von der Annahme auszugehen, das für im Namen des BStU abgegebene Stellungnahmen die Definition des Gesetzgebers maßgebend ist. Die beiden Definitionen haben Schnittmengen, betonen jedoch darüber hinausgehende Aspekte. Für das MfS konnte eine Person IM sein, die Informationen in westlichen Medien lancierte. Also nicht Informationen an das MfS lieferte, sondern für das Ministerium verbreitete. Welche Funktion eine vom MfS abverlangte Information hatte, erschließt sich erst, wenn die Kette vollständig dokumentiert ist. Heißt, was war das Problem, mit dem sich das MfS befasste? Welchen Informationsbaustein bestellte das MfS bei einem IM? Und welchen Zweck sollte diese Information erfüllen? Nicht immer sollte eine Information belastenden Charakter haben, was aber durchaus erwünscht sein konnte. Ob eine gelieferte Information verwertbar war, hängt davon ab, ob die vorgenannte Kette vollständig rekonstruiert bzw. bekannt ist. Ein Beispiel: Man war daran interessiert, das allgemein zugängliche öffentliche Telefonbuch einer Stadt zu erhalten, um auf dessen Basis operative Überlegungen anzustellen oder operativen Nutzen daraus zu ziehen. Beschaffte der IM in diesem Kontext ein solches Telefonbuch, war die Information verwertbar. Eine Belastung muss daraus nicht ableitbar sein, konnte es aber, wenn sich herausstellte, dass die von einem Bürger angegebene Privatadresse oder Rufnummer im Widerspruch zu den Angaben im Telefonbuch war. Es erscheint nützlich, möglichst differenzierend Sachverhalte zu analysieren. Wie sich das im Fall des IMS „Michael“ darstellt, erschließt sich erst, wenn die relevante, o. g. Kette vollständig ist. Das ist jedoch nicht in jedem Fall abschließend gegeben. Darauf kommt es auch mit Blick auf die IM-Definitionen nicht an.
© Copyright 2024 ExpyDoc