Vortrag vom 09.02.2016 (Dr. Dibbelt)

Zur Förderung volitionaler Kompetenzen bei Rehabilitanden
mit chronischem Rückenschmerz
Dr. Susanne Dibbelt, Institut für Rehabilitationsforschung (IfR)
Bad Rothenfelde
Hannoversche Werkstattgespräche Rehabilitation
PRÄVENTION IN DER REHABILITATION
Koordinierungsstelle Angewandte Rehabilitationsforschung
9.2.2016
Überblick
• Stand der Forschung: Psychologische Theorien
volitionaler Kompetenzen
• Interventionen für die stationäre
Rehabilitation und ihre Wirksamkeit
• Zusammenfassung & Fazit: Was bleibt zu tun?
2
Warum tun wir nicht immer das, was gut für uns ist?
Jetzt
Oder
Später
a) weil wir es nicht wollen -> Motivation
b) weil wir es nicht können -> Volition
3
Experiment zur Untersuchung Volitionaler
Fähigkeiten/ Willenskraft
Belohnungsaufschub (Mischel, 1972, 1996)
• Versuchsaufbau: Kind im Vorschulalter sitzt vor
einem Teller mit 1 Marshmallow
• Instruktion: Du bekommst 2 Marshmallows, wenn du
wartest, bis ich (die Versuchsleiterin) zurückkomme
• Wenn du möchtest, dass ich früher zurückkomme,
kannst du diese Klingel drücken, bekommst dann
aber kein zweites Marshmallow
• Möchtest du zwei Marshmallows haben?
• Abhängige Variable: Zeit, bis die Klingel gedrückt wird
(Maximum 15 Minuten)
4
Aufmerksamkeitskontrolle und Belohnungsaufschub
(Mischel, 1972, 1996)
Walter Mischel Marshmallow experiment
https://www.youtube.com/watch?v=IQzM8jRpoh4
Der Marshmallow-Test von Walter Mischel (Sternstunde
Philosophie, 22.3.2015)
https://www.youtube.com/watch?v=gdQ1S8Djgxk
Mischel, W, Ebbesen EB, Raskoff Zeiss, A (1972). Cognitive and attentional mechanisms
in delay of gratification. Journal of Personality and Social Psychology 21 (2): 204–218.
5
Langfristige Korrelate des Belohnungsaufschubs
In weiteren Follow-Up Studien fanden Forscher,
dass Kinder, die in der Lage waren, länger auf die
Belohnung zu warten, bis 30 Jahre nach den
Experimenten
• größeren beruflichen Erfolg
• erfolgreichere Ausbildungen
• angemesseneren body mass index (BMI)
• und bessere sonstige Gesundheitswerte
aufwiesen
Mischel, Shoda, & Peake (1989). Journal of Personality and Social
6
Psychology, 54, 687-696
Was ist Volition?
Mit Volition wird ein Bündel von Fähigkeiten
der Selbststeuerung bezeichnet, die
Menschen dazu in die Lage versetzen,
• ihre Ziele zu wählen und
• und diese trotz innerer und äußerer
Widerstände und konkurrierender
Handlungsimpulse umzusetzen
(Julius Kuhl, 1983, 1998, 2001; Thomas Goschke, 2011)
7
Bedingungen, die sich ungünstig auf die
Zielumsetzung auswirken
•
•
•
•
•
•
•
Ein wenig konkretes Ziel (Es soll besser werden)
Keine Entscheidung
Keine Selbstverpflichtung in Bezug auf das Ziel
Keinen Plan zur Umsetzung
Keine Strategien, um mit Barrieren umzugehen
Mangelnde Affektregulation (positiv, negativ)
Mangelnde Impulskontrolle (Abschirmung,
Aufmerksamkeit)
• Mangelnde Passung der Ziele und der Maßnahmen
zum Selbst (zu Grundmotiven & Erfahrungen:
Selbstkongruenz)
• Mangelnde Kenntnis und Lösung von Zielkonflikten
8
Willentliche Handlungssteuerung als Ergebnis der Evolution
• Expansion von neokortikalen
Assoziationsfeldern, insb. des
Frontalhirns
Totenkopfäffchen
Katze
Rhesusaffe
Hund
Schimpanse
Mensch
• Abnahme der Bedeutung
angeborener Reflexe
• Zunehmende Komplexität der
Prozesse, die zwischen
Wahrnehmung und Motorik
vermitteln
Entwicklungslinien der Volitionsforschung
Klassische
u.a. Narziß Ach (1871-1946)
deutsche Willenspsychologie
Kurt Lewin (1890-1947)
unterscheidet
Zielstreben
Motivation
Volition
Gesundheitsverhalten
Zielsetzen
Ralf Schwarzer:
HAPA Modell
Health Action Process
Approach, 1994
Prochaska,
DiClemente &
Norcross, 1992:
Das
Transtheoretische
Modell
Moderne Willenspsychologie (ab 1980)
Heinz Heckhausen & Peter Gollwitzer:
Rubikonmodell
Julius Kuhl:
Handlungskontrolltheorie
PSI Theorie
10
Abwägen
FiatTendenz
Planen
Handeln
Realisierungsorientierung
Realitätsorientierung
•
•
Motivation
postaktional
Intentionsdesaktivierung
FazitTendenz
Volition
aktional
Volition
präaktional
Intentionsinitiierung
Motivation
prädezisional
Intentionsbildung
(Rubikon)
Motivation und Volition: Das Rubikon-Modell
Bewerten
Realitätsorientierung
Gollwitzer, P. (1990). Abwägen und Planen. Göttingen:
Hogrefe.
Heckhausen, H. (1989). Motivation und Handeln (2.
Auflage). Berlin: Springer.
Motivation und Volition in Veränderungsprozessen
HandlungsErgebnisErwartung
Fähigkeit –
Schwierigkeit
Krankheitsmodell
Selbstwirksamkeit
Wichtigkeit
Sinn, Relevanz
Handlungskontrolltheorie Kuhl, 1983
Rubikon-Modell der Handlungsphasen: Heckhausen &
Gollwitzer, 1987
Das transtheoretische Modell (TTM), Prochaska, DiClemente
& Norcross, 1992
Das sozial-kognitive Prozessmodell des
Gesundheitsverhaltens (Health Action Process
Approach - HAPA) Ralf Schwarzer, 1992; A
Züricher Ressourcenmodell , Krause & Storch, 2010
?
Abwägen,
Entscheiden
!
Absichtsbildung
& SelbstVerpflichtung
Handeln
Dringlichkeit
Risikowahrnehmung
Absichtslosigkeit
Non Intenders
TTM
Planung
Planung
Absichtsbildung
Intenders
Entscheidung
Zielsetzung
Barrieren &
Ressourcen
Handeln
Actors
HandlungsKontrollstrategien
Aufrechterhalten
Konflikt-Modell (Kuhl u.a.)
Volition ist eine Funktion, die immer dann zum Einsatz
kommt,
 wenn eine Handlung nicht automatisch ausgeführt
werden kann,
• weil es keine Routinen gibt (neue Handlung)
• oder Absichten und Ziele miteinander oder mit
unpassenden Handlungsimpulsen im Konflikt
stehen
13
Beispiele für volitionale Kontrollprozesse
• Konzentration auf relevante Reize/
Ausblenden störender Information
• Hemmung emotionaler Impulse und aktueller
Bedürfnisse
• Aufrechterhaltung von Absichten (Persistenz)
• Unterdrückung inadäquater Gewohnheiten
• Belohnungsaufschub
• Tolerieren unangenehmer Nebeneffekte (z.B.
Anstrengung)
14
Beispiel für volitionale Konflikte in der Reha
• Motivation (Veränderungsziel):
• Krankheitsmodell: Dekonditionierung – Inaktivität als SchmerzUrsache oder Schmerz-Verstärker (nach Ausschluss von „red
flags“)
• Handlungsergebniserwartung und Risiko-Kommunikation: Wenn
ich körperlich aktiv bin, kann ich chronische Schmerzen
reduzieren; andernfalls drohen weitere
Funktionseinschränkungen
• Selbstwirksamkeitserwartung steigern durch geringe
Anforderungen (z.B. jeden Tag 5000 Schritte): Ich kann es
schaffen!
• Volition (Strategien bei der Umsetzung des Zieles):
Aufmerksamkeitskontrolle: Von den Schmerzen ablenken
• Motivationskontrolle: Positive Folgen von Aktivität und
Bewegung antizipieren
15
• Emotionskontrolle: Mich in gute Stimmung versetzen
Bedarfsabhängige Interventionen
• Veränderungsmotivation: Förderung von
Wissen und Problemwahrnehmung, Klärung
von Zielen und Zielkonflikten
• Umsetzung: Planung, Ressourcenorientierung
(Erfahrungen, Strategien, soziale
Unterstützung)
• Aufrechterhaltung: Barriere-Planung,
Wahrnehmung und Kontrolle von
Veränderungen (z.B. Schmerztagebücher)
16
Interventionen
• ParZivar: Partizipative Zielvereinbarung in der
Rehabilitation (Dibbelt et al., 2011; Glattacker et al.,
2013)
• ZaZo: Motivationstraining für Rehabilitanden:
Klärung berufsbezogener Ziele und Beratung zur
Umsetzung Fiedler et al., 2011
• MoVo-LISA (Göhner & Fuchs, 2007)
• Gruppentherapie zur Förderung volitionaler
Kompetenzen (GFVK; Forstmeier & Rüddel, 2006,
2007)
• Multimodale Programme bei Patienten mit
chronischen Rückenschmerzen (VMO)
17
ParZivar
Partizipative Zielvereinbarung in der
Rehabilitation - ParZivar I und II
Projektteams
Ergebnis-Evaluation:
Institut für Qualitätsmanagement und Sozialmedizin Freiburg
Dr. Manuela Glattacker, Antje Dudeck, Maria Garbrecht, Antje Ullrich, Oskar
Mittag
Intervention, Training und Prozess-Evaluation:
Institut für Rehabilitationsforschung, Abt. Bad Rothenfelde.
Susanne Dibbelt, Monika Schaidhammer, Maria Quatmann, Sylvia Freund,
Bernhard Greitemann
Förderung durch: DRV Bund &
Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften GfR
Vorgehen in den ParZivar-Projekten
 Leitfrage: Wie muss gute Zielarbeit in der stationären
Rehabilitation aussehen?
• Qualitätskriterien aus Literatur und Befragung von
Behandlern und Rehabilitanden
• Weitere Anforderungen an die Intervention:
– Integration in die Routineabläufe (Verbesserung der
obligatorischen Prozesse)
– Keine zusätzlichen Ressourcen (im Unterschied zu ZaZo,
MoVo Lisa u.a.)
– Erprobung in ParZivar I, Verbesserung der Umsetzung in
PaZivar II
– Erstellung von Arbeitshilfen:
• Arbeitsblätter für Rehabilitanden, Manual inklusive
Dialogleitfaden
Materialien u.a. auf www.reha-ziele.de
19
Prinzipien der ParZivar Intervention
ParZivar Intervention
Wesentliche
Kennzeichen:
• Dialog
• Teilhabeorientiert
• Partizipation
• Messbarkeit
• Prozessorientiert
• Nachsorge
1.
Erarbeitung spezifischer, nachprüfbarer,
individueller & teilhabe-orientierter Ziele
2.
Entwicklung und Aushandlung der Ziele im
Dialog
3.
Bestimmung von Indikatoren (messbaren Istund Sollwerten, wenn möglich)
4.
Maßnahmen auf Teilhabeziel beziehen: Wie
tragen sie zur Zielerreichung bei?
5.
Überprüfung von Anfangszielen und
Maßnahmen im Reha Prozess und ggf.
Veränderung (Bilanzen)
6.
Dokumentation der Zielarbeit für Patienten und
Team zugänglich (Arbeitsblatt Reha-Ziele)
7.
Langfristige Perspektive: Umsetzungsplanung
der Ziele zuhause
20
Arbeitsblatt K1 (Anfangsziele)
21
Ergebnisse ParZivar I (nur CRS) und II: Prozess
(Glattacker et al., 2013; Ullrich et al., 2015)
ParZivar-Studien
I
II
% Ja zu t1 (bei Entlassung):
Hat der Arzt….
KG*
SG**
Plus
KG*
SG**
Plus
... zu Beginn mit Ihnen über RehaZiele gesprochen?
75%
96%
+21%
83%
96%
+13%
… nach ihren eigenen Zielen
gefragt?
72%
92%
+ 20%
75%
98%
+23%
… mit Ihnen gemeinsam Ziele
vereinbart?
35%
78%
+42%
46%
86%
+40%
… im Verlauf über Ziele
gesprochen?
48%
67%
+19%
60%
87%
+27%
… am Ende über Ziele gesprochen?
62%
85%
+22%
71%
91%
+19%
… über Ziele nach der Reha
gesprochen?***
74%
74%
+0%
70%
91%
+21%
* vor Training
**nach Training in Partizipativer Zielvereinbarung
Ergebnisse ParZivar II
 Überlegene Verbesserungen in der Interventionsgruppe :
• Schmerzbedingte Angst (FESV, Geissner, 2001)
• Schmerzbedingter Ärger(FESV, Geissner, 2001)
• Körperliches Befinden (SF12; Ware et al., 1996)
• Verbesserung der Arzt-Patienten-Interaktion
(P.A.INT; Dibbelt et al., 2007; Fragebogen zum
Kommunikationsverhalten des Behandlers KOVA; Farin
et al.,2012)
23
Zielanalyse & Ziel-Operationalisierung (ZAZO)
Zur Förderung beruflicher Motivation
Projektteam
Rolf Fiedler
Jens Hinrichs
Gereon Heuft
u.a.
Klinik & Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie,
Universitätsklinikum Münster
Zielanalyse & Ziel-Operationalisierung (ZAZO)
zur Förderung beruflicher Motivation
•
•
•
•
Ressourcenorientiertes Gruppentraining
Klärung individueller berufsbezogener Ziele
Unterstützung zur Umsetzung beruflicher Ziele
4 interaktive Module, 6-8 TN, 90 Min je Sitzung
• Evaluation: Überlegene Verbesserung der
subjektiven Prognose der Erwerbsfähigkeit (SPE)
in der Interventionsgruppe
25
Weitere Evaluationsergebnisse
Ergebnis-Evaluation (Hanna et al., 2010):
In der Interventionsgruppe überlegen verbessert:
• subjektive Erwerbsprognose
• Motivationale Parameter wie Verbundenheit mit der Arbeit,
Neugier, Anschlussmotivation
Implementierungsstudie (Hinrichs et al., 2014):
Das ZAZO-Gruppentraining in der rehabilitativen
Routineversorgung führt zu
• erhöhter Ziel-Aktivität (Initiative*) und zu geringerer ZielHemmung (Zögern*) bei beruflichen Zielen
• Nach 6 Monaten haben ca. 30 % der Teilnehmer die
entwickelten Ziele verwirklicht, 70% verfolgen sie noch aktiv
bzw. teilweise
*Skalen aus dem DIAMO (Diagnostik der Arbeitsmotivation; Fiedler et al., 2005)
26
ZaZo Module
Trainingsmodule
Modul 1
Anliegen generieren
Ziele
•
•
•
•
Modul 2
Konkrete Zielanalyse
•
•
•
Modul 3
Ziel-Operationalisierung •
Schritte zur
•
•
Zielannäherung
•
Modul 4
Ressourcenaktivierung
und Transfer
•
•
Interventionen
Zielvisionen generieren
•
Anliegen für die berufliche
•
Zukunft formulieren
•
Implizite Motive aktivieren und
explizite Ziele formulieren
Ziele positiv, konkret und
kontrollierbar formulieren
Zielanalyse und ggf.
Zielkonflikte verdeutlichen
Commitment
Zielerreichungswahrscheinlichkeit
Beginn der Zielverfolgung
Anstrengungsbereitschaft
Empfinden bei Zielerreichung
Wirkbereich und Bedeutung
für andere
Eigene Stärken bewusst
machen
Verankerung des Gelernten
und Transfer in den Alltag
Einführung
Assoziationen zum Thema Arbeit
Imaginationsübung zur Aktivierung
impliziter Bedürfnisse
•
•
•
Einführung
Bedeutung und Wirkung von Zielen
Individuelles Schreibheft
•
•
•
Einführung Motivation und Volition
Aktive Spiele (Dart, Tauziehen,
Bilderrätsel und Mikado) zur
emotionalen Aktivierung
[…]
•
•
•
Postkarten
Ressourcenübung
Patenschaftsverträge
27
MoVo-LISA
Motivational-volitional-psychologisches
Konzept zum Aufbau eines körperlichaktiven ernährungsgesunden Lebensstils
Projektteam
Wiebke Göhner
Katholische Hochschule Freiburg
Reinhard Fuchs
Universität Freiburg,
Institut für Sport und Sportwissenschaft
MoVo-Konzepte
• Motivational-volitional-psychologisches
Konzept zum Aufbau eines körperlich-aktiven
ernährungsgesunden Lebensstils: stationär
und ambulant
29
MoVo-LISA
Klinik:
• 1. Gruppengespräch (60 Min): Gesundheitsziele, Entwurf
eines Bewegungsplans (orientiert an eigenen Präferenzen)
• Einzelgespräch (10 Min): Überprüfung des Bewegungsplans
• 2. Gruppengespräch (90 Min): Beratung möglicher
Hindernisse zuhause und Strategien zu ihrer Überwindung,
Anleitung zu Selbstbeobachtung
Zuhause:
• Erprobung & Selbstbeobachtung
• Reminder per Post
• Telefonat (10 Min)
30
Beispiel Material (nach Göhner & Fuchs, 2007)
Barrieren-Management zum
„inneren Schweinehund“
• Sich zum Sport verabreden (z.B.
mit Freundin)
• Sich noch mal die Gesundheitsziele vergegenwärtigen (z.B.
Schmerzlinderung)
• Sich vor Augen führen, wie gut
das Training tut (z.B. Wohlfühlen
danach, Stolz auf eigene Leistung)
• Sich Hinweise und Hilfen
organisieren (z.B. Sportklamotten
bereit legen)
Strategien
• Soziales Einbinden
• Ziele vergegenwärtigen
• Nachmotivieren
• Starthilfen
Quelle: Göhner & Fuchs, 2007, Flipcharts Nr. 11 und Nr. 12
31
MoVo-Lisa Evaluation
Fuchs et al., 2011; Göhner et al., 2009
Unterschied zwischen IG und VG zu t5:
28.4 Minuten pro Woche
Körperliche Aktivität: Minuten pro Woche (Mittelwerte)
32
So werde ich willensstark!
Gruppentherapie zur Förderung
volitionaler Kompetenzen (GFVK)
Projektteam
Simon Forstmeier
Universität Siegen
Heinz Rüddel
(Ehemals) Psychosomatische Fachklinik
Sankt Franziska-Stift
Bad Kreuznach
Gruppentherapie zur Förderung volitionaler
Kompetenzen (GFVK)
Bei der Umsetzung von Reha-Zielen gibt es emotionale
und motivationale Hindernisse wie Motivationsverlust,
negativer Affekt, Verlust der Aufmerksamkeit, Mangel
an Initiative, Vergessen des Ziels, Über- oder
Unteraktivierung.
Das Training vermittelt volitionale Fertigkeiten und
Kompetenzen wie
– Zielsetzung
– Selbstmotivierung
– Gefühlsmanagement
und unterstützt die Umsetzung von Reha-Zielen
 Für Rehabilitanden in der Psychosomatik – mehr Zeit!
34
Gruppentherapie zur Förderung volitionaler
Kompetenzen (GFVK): Inhalte
• Zielsetzungstraining (2 Sitzungen a 90 Min):
– Formulierung guter Ziele
– Konkretisierung
• Selbstmotivierung (4 Sitzungen a 90 Min)
– Selbstwahrnehmung von Motivation
– Erfahrungen mit Motivationsproblemen
– Strategien bei Motivationsproblemen, Erprobung
und Auswertung
• Gefühlsmanagement (4 Sitzungen a 90 Min):
 Selbstwahrnehmung, Strategien im Umgang mit
Gefühlen, praktische Erprobung
35
Selbstkontrolle - Selbstregulation
Auch auf interaktionelle Führungsformen übertragbar!
Wenn`s schnell gehen
muss:
Selbstkontrolle
• Selbstdisziplin, Wille
• Hierarchische Führung
• Zeitweilige
Unterdrückung aller
Impulse, die die
Ausführung der
aktuellen Absicht
gefährden
Wenn`s nachhaltig und
gesund sein soll:
Selbstregulation
• Koordination
• Führung durch inneres
Team (Schulz von Thun)
• Integriert möglichst
viele Stimmen (Gefühle,
Motive, Werte, eigene
und fremde
Bedürfnisse)
 Selbststeuerungsinventar SSI, Englisch VCQ (Kuhl und Fuhrmann, 1998)
36
Selbstkontrolle - Selbstregulation
• Sind wichtige Komponenten der
Selbststeuerung/Volition
Gute Selbststeuerung wechselt situations- und
zielangemessen zwischen Selbstkontrolle und
Selbstregulation
Das GFVK-Programm berücksichtigt, ob
Personen eher Defizite in der Selbstkontrolle
oder Selbstregulation (z.B. Durchhalter)
aufweisen
37
Evaluationsergebnisse
(Forstmeier & Rüddel, 2007)
Verbesserungen volitionaler Kompetenzen (SSI, Kuhl & Fuhrmann,
1998) nach einem Gruppentraining (Differenzen Post-Pre-Test) von
Forstmeier & Rüddel (2007)
Mißerfolgsbewältigung
Entscheidungsregulation
Selbstberuhigung
Selbstaktivierung
Emotionsregulation
Selbstmotivation
Aufmerksamkeitskontrolle
-4
-2
0
2
Studiengr
4
6
8
10
Kontrolle
38
Übersicht über die genannten Interventionen
Name
Umfang & Zeit
Inhalte
Setting
Evaluation
Autoren
ParZivar
Partizipative
Zielvereinbarung
4 mal 20 Min
(80 Min)
Teilhabe- und
Reha-Ziele,
Bilanzen, Ziele
nach Reha
Alle RehaFormen
Dibbelt et al.,
2011; Glattacker
et al., 2013
ZaZo
Zielanalyse &
Zieloperationalisierung
4 mal 90 Min
(360 Min)
Berufliche
Ziele entwickeln,
volitionale
Strategien
Alle RehaFormen
MoVo LISA
2 Module (60+90),
1 Einzelgespräch a
10 Minuten
(160 Min)
„passende“
Alle RehaGesundheitsziele, Formen
Bewegungsplan,
Barriere-Planung
Effekte
Zielbezogene
Prozess
AP-Interaktion
Wohlbefinden
Schmerz
Effekte
Arbeitsmotivation (Diamo)
Subjektive
Erwerbsprognose
Effekte
Sportlich e
Aktivität
Gruppentherapie
zur Förderung
volitionaler
Kompetenzen
(GFVK)
10 Sitzungen a 90
Min (900 Min)
Zielsetzung
Selbstmotivierung
Volitionale
Strategien
PsychoEffekte
somatische
Volitionale
stationäre Reha Kompetenz
(VCQ-3)
Fiedler et al.,
2011
Göhner & Fuchs,
2007
Forstmeier &
Rüddel, 2006,
2007
40
Weiterentwicklung der „Willensforschung“
in den 1990iger Jahren
• Die Rolle unbewusster (impliziter/automatischer)
Prozesse
• Funktion von Emotionen für die Handlungssteuerung
• Neuropsychologische & neuroanatomische
Erkenntnisse u.a. durch die Entwicklung
bildgebender Verfahren (z.B. Magnetresonanztomografie (MRT))
 Beispiel für eine integrative Theorie: PSI-Theorie von
Kuhl (2001)
41
Integration: PSI Theorie (Kuhl, 2001)
Die PSI-Theorie unterscheidet 4 kognitive MakroSysteme:
(1)
(2)
(3)
(4)
Absichtsgedächtnis (Intentionsgedächtnis, Verstand)
Intuitive (automatische) Verhaltenssteuerung
Selbst (Extensionsgedächtnis)
Fehlerzoom (Objekterkennung)
Das Zusammenspiel der Systeme wird durch Gefühle
beeinflusst, die eine Person (bei der Zielverfolgung) hat:
Beispiel: Bergsteigen
42
PSI Theorie (Kuhl, 2001)
43
Integration: PSI Theorie (Kuhl, 2001)
Positive Stimmung: Das Ziel ist erreicht
bzw. nicht gefährdet ist („alles gut“)
• bahnt intuitive Verhaltenssteuerung (Flow)
• hemmt ggf. den Fehler- Zoom (Detailfokus)
• signalisiert dem Intentionsgedächtnis, dass
es nicht tätig werden muss
Negative Stimmung, z.B. bei Störungen
• blockiert die intuitive Verhaltenssteuerung
und den Selbstzugang
• aktiviert OES & Absichtsgedächtnis: Was jetzt? Plan
B?
44
Konsequenzen der PSI für therapeutisches
Handeln
• Berücksichtigung von Wissen und Gefühlen
• Einfluss kontrollierter & unbewusster Prozesse
• Unterstützende Kommunikation (s. Rogers), um
negative Gefühle (Angst, Ärger) zu reduzieren
• „Rechtshemnispärische“ Interventionen wie
– Imagination: Barrieren, Immunstärkung
– Affektive Kommunikation: Beruhigung
fördern die Beteiligung des Selbst
• Persönlichkeitssensitive Interventionen
(z.B. Psychogyms von Maja Storch & Julius Kuhl, 2012)
45
PSI & Züricher Ressourcen Modell
Zentrale Prinzipien:
• Salutogenese, Ressourcenorientierung
• „Rechts-Hemnispärische“
Interventionen, die das Selbst
mit einbeziehen, z.B. Bilder
Maja Storch / Julius Kuhl
Die Kraft aus dem Selbst
Sieben PsychoGyms für
das Unbewusste,
2. überarb. Auflage 2013
Differenzierung der VeränderungsInterventionen für unterschiedliche
Systemkonfigurationen (Persönlichkeiten)
46
Anwendungen der PSI-Theorie im therapeutischen
Handeln
Multimodale Schmerztherapie:
Verhaltensbahnung (körperliche Aktivität) bei
Schmerzpatienten durch Positive Gefühle,
Erfolg, Genuss & Spaß
Beispiel: Integriertes orthopädischpsychosomatisches Konzept (IopKo)
Multimodales Programm für Menschen
mit chronischen Rückenschmerzen
Rückenfit – Lebenslust statt
Krankheitsfrust
www.klinik-muensterland.de
(Greitemann et al., 2006; Dibbelt et al., 2006; Quatmann et al., 2011)
47
Anforderungsprofil der DRV Bund…
… für die Bewegungstherapie in der
verhaltensmedizinisch orthopädische Rehabilitation (VMO; DRV Bund 2012):
• niederschwelliger Einstieg (Erfolgserlebnisse,
Vermeidung negativer Emotionen)
• vorwiegend erlebnisorientierte Körperarbeit
• Körperwahrnehmungsaspekte stehen im Vordergrund
• Kommunikation und Interaktion über Bewegung findet
statt
• bewegungstherapeutische Gruppenarbeit im Hinblick
auf Motivation, Selbstmanagement und Transfer in den
48
Alltag
Multimodales Behandlungsprogramm Rückenfit
Psychologischer Teil
“Fitness”-Teil
RF-Einf.: Kennenlernen
4
P
x
M
RF-a: Mit eigenen
A
R
RF-1: Schmerzbewältigung
Kräften umgehen
q
u
n
RF-2: Umgang mit Frust
RF-b: Stretching a
a
Spannungen lösen
c
BOR I: Info zu Rente/Reha
4
h
RF-c: Erlebniswelt
x
BOR IIa: Berufliche
Wasser
T
Rehabilitation
J
h
RF-d: Im Gleichgewicht
a
e
RF-3: Genuss und Genießen
sein
c
r
o
a
RF-4: Innere und
RF-e: Mit Lust und
b
b
äußere Kraftquellen
Spaß Probleme lösen
s
a
o
n
n
d
RF-Bilanz: Bilanz und Ausblick
Wirksamkeit IopKo-Rückenfit
Überlegende Behandlungsergebnisse der
Studiengruppe hinsichtlich
• Schmerzen
• psychische Belastungen (insbesondere Depressivität)
• Arbeitsunfähigkeitstage
• zu Ende des stationären Aufenthaltes und 10 Monate
danach
• sowie Handlungsorientierung (Dibbelt et al., 2006;
Greitemann et al., 2006, 2007)
50
Handlungskontrolltheorie (Kuhl, 1983)
HAKEMP-K, Kuhl (2000): Handlungskontrolle (nach
Erfolg, Misserfolg und prospektiv (Initiative))
Handlungskontrolle Prospektiv (HOP-LOP)
Beispiel: Wenn ich weiß, dass etwas bald erledigt
werden muss, dann…
• muss ich mir oft einen Ruck geben, um den Anfang
zu kriegen (Lageorientierung Prospektiv: Zögern)
• fällt es mir leicht, es schnell hinter mich zu bringen
(Handlungsorientierung Prospektiv: Initiative)
51
IopKo-Studie: Reha-Status 10 Monate nach Reha und
Handlungsorientierung Initiative (HOP-LOP)
Handlungsorientierung prospektiv (HOP) & Reha-Erfolg t3 **
11,00
10,500
10,00
9,500
9,00
8,500
8,00
t0
t1
Reha-Erfolg niedrig (118)
t2
Reha-Erfolg hoch (111)
t3
Zusammenfassung & Fazit
• Die vorliegenden Theorien liefern das
geeignete Handwerkszeug
• Geeignete Interventionen wurden für die
Förderung volitionaler Fähigkeiten entwickelt
• Wichtige Prinzipien volitionaler Förderung
sind in den Anforderungsprofil zur VMO der
DRV Bund festgeschrieben
• Entwicklungspotential ergibt sich bei der
Implementierung volitionsfördernder
Interventionen in der Routine wie in der
partizipativen Zielarbeit
53
Challenges…
…are fascinating!
54
55