Mehr Aktualität! Extrem energiereiche

SPEKTROGRAMM
ASTROPHYSIK
Extrem energiereiche kosmische Strahlung
in internationales Forscherteam,
die H.E.S.S.-Kollaboration, hat
herausgefunden, woher die höchst­
energetische galaktische kosmische
Strahlung kommt: aus der Umgebung
des Schwarzen Lochs im Zentrum der
Milchstraße. Dort beschleunigen die
Teilchen auf Energien von mindestens
einem Petaelektronvolt (10 15 eV).
Kosmische Strahlung prasselt
ständig aus dem All auf die Erde. Sie
besteht aus Protonen, Elektronen und
Atomkernen. Bekannt war, dass solche
Strahlung mit Teilchenenergien bis
100 Teraelektronvolt (10 14 eV) in der
Milchstraße entsteht. Man vermutete
aber, dass es in der Galaxis auch Petaelektronvolt-Quellen geben müsse.
Die Forscher machten eine entsprechende Quelle ausfindig, indem sie
Daten des Teleskopsystems H.E.S.S.
(High Energy Stereoscopic System)
auswerteten, das in Namibia betrieben
wird. Damit konnten sie die räumliche
Struktur und Energie der kosmischen
Strahlung ermitteln, die aus den Tiefen
der Milchstraße stammt. Demzufolge
gibt es im galaktischen Zentrum einen
Im Zentrum der Milchstraße treffen
Protonen der kosmischen Strahlung
(blau) auf Moleküle in der Umgebung.
Dabei entstehen Gammaphotonen
(gelb).
MARK A. GARLICK / H.E.S.S. COLLABORATION
E
Beschleuniger, der die Teilchen auf bis
zu 10 15 eV bringt. Vermutlich handelt es
sich um das supermassereiche Schwarze Loch Sagittarius A*. Das widerspricht
der älteren Annahme, derart energiereiche Teilchen würden in Stoßwellen von Supernovae oder bei Prozessen
in anderen Galaxien produziert.
Die Untersuchung war kompliziert,
da interstellare Magnetfelder die
Teilchen der kosmischen Strahlung
ablenken. Deren Ankunftsrichtung
zeigt also nicht auf den Herkunftsort
zurück. Nahe ihrer Quelle treten sie
jedoch oft mit interstellarem Gas in
Wechselwirkung, wobei Gammastrahlung entsteht, die auf geradem Weg zu
uns gelangt. Die Gammastrahlung
erzeugt kurze Lichtblitze in der Erdatmosphäre, welche sich mit H.E.S.S.
untersuchen lassen.
Nature 10.1038/nature17147, 2016
NEUROPHYSIOLOGIE
Oxytozin hemmt Schmerzen
O
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xytozin ist als »Kuschelhormon«
bekannt – es fördert soziale
­Zuwendung, löst Wehen aus und leitet
den Milchfluss ein. Das Peptid kann
aber offenbar noch mehr: Anscheinend unterdrückt es Schmerzen.
Wissenschaftler um Valery Grinevich
von Deutschen Krebsforschungs­
zentrum in Heidelberg haben im
Rattengehirn etwa 30 spezielle
­Nervenzellen gefunden, die Oxytozin
her­stellen, dessen schmerzhemmende Wirkung steuern und damit
eine Art Schmerz-Kontroll­zentrum
bilden.
Im Hypothalamus, der wichtigsten
Steuerzentrale des vegetativen Nervensystems, produzieren zwei verschiedene Nervenzelltypen das Peptid:
groß- und kleinzellige Oxytozin-Neurone. Die ersten geben den Stoff über
die Hirnanhangdrüse direkt in die
Blutbahn und versorgen so den Körper
damit. Die zweiten besitzen lange
Ausläufer bis tief ins Rückenmark
hinein; ihre Funktion war bisher
unklar.
Wie Grinevich und seine Kollegen
experimentell gezeigt haben, speisen
etwa 30 kleinzellige Oxytozin-Neurone
das Hormon genau an den Stellen ins
Rückenmark ein, an denen Schmerz­
signale durchlaufen, und hemmen so
deren Weiterleitung. Zudem regen sie
ihre großzelligen Nachbarn dazu an,
das Peptid ins Blut abzugeben. Beide
Mechanismen dämpfen die Schmerzempfindung.
Die Wissenschaftler stimulierten
kleinzellige Oxytozin-Neurone in
lebenden Ratten gezielt und bewirkten
so eine erhöhte Ausschüttung des
Hormons auf beiden Wegen. Entsprechend behandelte Tiere reagierten
weniger stark auf Schmerzreize.
Neuron 89, S. 1291 – 1304, 2016
SPEK TRUM DER WISSENSCHAF T · M AI 2016
PALÄONTOLOGIE
SEAN MCMAHON, YALE UNIVERSITY
Schwimmender Rüssel mit Schnauze
Mit seinem gelenkigen Schnauzenrüssel
und den Stielaugen sah das Tully-Monster
nach heutigem Empfinden seltsam aus
(Foto: Rekonstruktion).
D
as Rätsel des »Tully-Monsters«, über dem Paläontologen
seit beinahe 60 Jahren brüten, scheint gelöst zu sein.
Von dem Wesen sind massenweise fossile Überreste erhalten – in einer Gesteinsformation im Nordosten des US-Bundesstaats Illinois. Forscher um Victoria McCoy von der Yale
University (USA) haben nun genauer geklärt, was es mit der
bizarren Kreatur auf sich hatte: Sie war vermutlich ein
Wirbeltier und ein früher Vorfahr der heutigen Neunaugen.
Das Tier trägt den wissenschaftlichen Namen Tullimon­s­
trum gregarium, benannt nach dem Erstentdecker Francis
Tully. Es besaß einen fischähnlichen Körper mit seitlich
abstehenden Stielaugen und einem Flossenschwanz in
Pfeilform. Sein vorderes Ende ging in einen Rüssel über und
mündete in eine große Schnauze mit Zähnen. T. gregarium
war meist um die 30 Zentimeter lang und lebte vor schätzungsweise 308 Millionen Jahren, also im späten Karbon.
Um die verwandtschaftlichen Beziehungen des Wesens
zu klären, untersuchten McCoy und seine Kollegen mehr als
1200 Exemplare aus dem Field Museum of Natural History
in Chicago. Einige Merkmale des »Monsters« sprechen
dafür, dass es sich um ein Wirbeltier handelte: etwa Zahnreihen im Mundbereich, Kiementaschen und vor allem eine
Chorda dorsalis, ein ursprüngliches inneres Achsenskelett.
Letztere hatten Wissenschaftler in früheren Untersuchungen fälschlicherweise für einen Darm gehalten.
Über die Lebensweise des Tiers ist wenig bis nichts
bekannt. Es ergriff die Nahrung vermutlich mit seiner
Schnauze und schabte Stücke davon mit der Zunge ab. Was
auf dem Speiseplan stand, wissen die Forscher allerdings
nicht. T. gregarium könnte ein Räuber oder auch ein Aasfresser gewesen sein.
Nature 10.1038/nature16992, 2016
ZAHLENTHEORIE
Mysteriöses Primzahlen-Muster fasziniert Mathematiker
P
rimzahlen gehören zu den rätselhaftesten Phänomenen
der Mathematik. Sie wirken wie zufällig unter die Zahlen
gestreut. Aber das stimmt nicht ganz. Immer wieder finden
Enthusiasten und Fachleute seltsame Auffälligkeiten ihrer
Verteilung, die auf unbekannte, verborgene Gesetzmäßigkeiten hinzudeuten scheinen.
Ein weiteres solches Muster haben nun zwei Mathematiker von der Stanford University in Kalifornien in der ersten
Milliarde Primzahlen entdeckt. Wie Kannan Soundararajan
und Robert Lemke Oliver berichten, besitzen aufeinander
folgende Primzahlen deutlich seltener die gleiche letzte
Ziffer, als nach dem Zufall zu erwarten wäre. Demnach
sollte statistisch betrachtet jede mögliche Kombination von
Endziffern unter den ersten 100 Millionen Primzahlen etwa
6,25 Millionen Mal auftreten. Die »Endzifferzwillinge«
tauchen jedoch jeweils nur etwa 4,5 Millionen Mal auf.
Bemerkenswert ist laut den Wissenschaftlern zudem, dass
WWW.SPEK TRUM .DE
Primzahlen bekanntermaßen zwar etwas häufiger auf
3 oder 7 enden als auf 1 oder 9. Betrachtet man jedoch die
Endzifferzwillinge, ist das Verhältnis umgekehrt – die
selteneren Endziffern folgen um etwa fünf Prozent öfter
aufeinander. Insgesamt schwanken die Häufigkeiten der
Endzifferkombinationen ziemlich drastisch: Auf eine
1 folgt lediglich 5,4 Millionen Mal eine 9, während nahezu
8 Millionen Mal auf eine 9 eine 1 folgt.
Erstaunlicherweise gilt das Muster mit den selteneren
Endzifferzwillingen nicht nur für das gewohnte Zehnersystem, sondern auch, wenn man andere Zahlen als Basis
nimmt. Mathematisch gesprochen sind also sowohl Primzahlpaare, die kongruent modulo 10 sind, als auch solche,
für die modulo 7 oder eine beliebige andere Basis gilt,
seltener, als die Zufallsannahme erwarten lässt. Der Grund
hierfür ist unbekannt.
arXiv:1603.03720 [math.NT], 2016
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SPEKTROGRAMM
HIRNFORSCHUNG
Lichtblitze gegen Alzheimerdemenz
G
edächtnisverlust, der in frühen
Stadien der Alzheimerkrankheit
auftritt, lässt sich behandeln, zumindest bei Mäusen. Das berichtet ein
Team um Susumu Tonegawa vom
Massachusetts Institute of Technology
(MIT). Die Forscher unterzogen genetisch veränderte Mäuse, die alzheimerähnliche Symptome entwickelt hatten,
einem Gedächtnistest. In speziellen
Versuchskammern verabreichten sie
den Nagern unangenehme Stromschläge, so dass die Tiere lernten, sich
dort zu fürchten. Nach kurzer Zeit
hatten die Nager diese Erfahrung
allerdings bereits vergessen, so dass sie
die Käfige wieder angstfrei betraten.
Schon seit Längerem ist bekannt,
dass Ausfälle in frühen Alzheimer­
stadien vor allem das episodische
Gedächtnis betreffen und dass dabei
der so genannte Hippocampus eine
RIKEN
Nerven­zellen
(grün-gelb fluoreszierend) im
Gyrus den­tatus,
einem Teil des
Hippocampus
(blau). Solche
Neurone sind
für das episodische Gedächtnis
bedeutsam.
wichtige Rolle spielt. Die Forscher
manipulierten bei den Alzheimer­
mäusen daher Nervenzellen in dieser
Hirnregion mit optogenetischen
Techniken. Das erlaubte es, die hippocampalen Neurone mit Lichtreizen zu
aktivieren. Eine solche Stimulation rief
bei den Alzheimermäusen wieder jene
Angstreaktion hervor, die sie zuvor
noch hatten vermissen lassen.
Auf Grund des Befunds vermuten
die Forscher, in den frühen Stadien der
Alzheimererkrankung würden Erinnerungen nach wie vor kodiert und
gespeichert – sie könnten nur nicht
mehr richtig abgerufen werden. Dass
sich daraus jedoch eine Behandlungsmethode für Patienten entwickeln
lässt, ist unwahrscheinlich. Zum einen
erscheint fraglich, inwieweit die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar
sind, zum anderen erfordert der gewählte Ansatz genetische Eingriffe tief
im Gehirn.
Nature 10.1038/nature17172, 2016
BIOCHEMIE
Plastik fressende Bakterien
E
in neu entdecktes Bakterium kann
den Kunststoff Polyethylentere­
phthalat (PET) zersetzen, aus dem
PET-Flaschen bestehen. Dies berichtet
ein Team um Kohei Oda vom Kyoto
Institute of Technology (Japan). Die
Wissenschaftler analysierten 250
Sediment-, Boden- und Schmutzwasserproben, die mit PET verunreinigt
waren, sowie Belebtschlamm aus einer
PET-Wiederaufbereitungsanlage. In
den Proben fahndeten sie gezielt nach
Mikroben, die das Plastik verdauen
und sich davon ernähren können. Oda
und seine Kollegen stießen auf eine
Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme
von I.-sakaiensis-Zellen, die seit
60 Stunden auf einem PET-Film wachsen.
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bislang unbekannte Bakterienspezies
namens Ideonella sakaiensis. Wenn
sie diese bei 30 Grad Celsius auf einer
0,2 Millimeter dicken PET-Schicht
kultivierten, war das Plastik nach sechs
Wochen restlos abgebaut.
Das Bakterium spaltet den Kunststoff vor allem mit Hilfe zweier
­Enzyme, PETase und MHETase. Dabei
KOHEI ODA, KYOTO INSTITUTE OF TECHNOLOGY;
YOSHIDA, S. ET AL., SCIENCE 351, S. 1196-1199, 2016, FIG. 1D
entstehen Ethylenglykol sowie Tere­
phthalsäure, die anschließend weiter
verstoffwechselt wird. Wie die Forscher
betonen, waren vor diesen Befunden
bereits einige Pilzarten bekannt, die
PET zersetzen können. Verglichen mit
deren Plastik abbauenden Enzymen sei
die PETase aus I. sakaiensis allerdings
um ein Vielfaches aktiver und zeichne
sich zudem durch eine höhere enzymatische Selektivität aus.
Der Stoffwechsel dieses Bakteriums
ist offenbar einzigartig. Vermutlich
brachte ein Zusammenspiel aus
Mutationen und lateralem Gentransfer diese spezielle Enzymausstattung
hervor, die sich dann in PET-verschmutzter Umgebung als vorteilhaft
erwies.
Science 351, S. 1196 – 1199, 2016
SPEK TRUM DER WISSENSCHAF T · M AI 2016
BILD DES MONATS
HELLER ALS MILLIONEN SONNEN
Im rund 170 000 Lichtjahre entfernten Sternhaufen R136 haben Astronomen die größte bekannte Ansammlung
extrem massereicher und junger Sterne entdeckt, darunter neun mit mehr als der 100-fachen Masse der Sonne.
Die Forscher untersuchten sie spektroskopisch im ultravioletten Wellenlängenbereich, wo die Objekte besonders­
intensiv leuchten (im Bild hellblau). Damit wollen sie die bestehenden Modelle verbessern – denn diese erklären
bislang nur unzureichend, wie solche Giganten überhaupt entstehen können.
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 458, S. 624 – 659, 1. Mai 2016
NASA / ESA / PAUL CROWTHER, UNIVERSITY OF SHEFFIELD
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