Edmund Kalb Leben und Werk Edmund Kalb Leben und Werk unartproduktion Von Rudolf Sagmeister und Kathleen Sagmeister-Fox. Auf Basis des Kataloges 1994 neu bearbeitet von Ulrich Gabriel. Edmund Kalb Leben und Werk 1. Auflage, Okober 2014 © Copyright by unartproduktion A-6850 Dornbirn, Wallenmahd 23/C1/II Telefon 0043 5572 23019 Fax 0043 5572 394719 [email protected] www.unartproduktion.at Gestaltung: Werner Wohlgenannt, Dornbirn ISBN: 978-3-901325-92-2 Inhalt 9 Schillerstraße 22 58 Georgs Appell 11 Schweigen und Denken 60 Die Wappenmalerei 13 Der Vater 64 Zeichnen am Bahnhof 14 Talent Edmund 66Herr Kalb nicht ganz bei 15 Sudeleien 20 Die Eltern 21 Moral- und Erziehungsideale 24 Die Mutter 28 „Ein großes Kind“ 32 Kreuz † Christe 33 Falsche Schamhaftigkeit 36 Kalbs eigener Weg 40 1912–1919 Realschule 43 Sozialismus 44 Kommunismus, Christentum 45 Tötung eines Menschen 46 Weltkrieg gespiegelt 48 Der Studentenrat 51 Schulfreund Alfons Fritz 53 Ebnit Trost ? 68 Stipendium verweigert 69 Aktzeichnungen vernichtet 72 Kongenialer Freund Wimmer 74 Italienreise 76 Adolf Schinnerer 77 Kaltnadelarbeiten 79 Esperanto 82 Schauen und Denken 83 Tausend Selbstbildnisse 84 Auge, Nase, Mund 86 Bis zum dunkelsten Schwarz 88 Der ganze Kopf 90 Gefangen in Dornbirn 92 Nochmals München 941930 Höhepunkt der Qualität und Abbruch 54 Studien zur Zeichenkunst 95 „Künscht leer lo“ 57 Der Weg nach München 96 Selbstdeutung – Weltdeutung 5 98 Sein eigener Archivar 102 Spaltung der Wahrnehmung 103 Kreise und Schleifen 106 Magnetismus, Hypnotismus 107 Planetenbahnen 109 Flugzeugmotoren 111Die Ablehnung der Farbe 1920 144D ie „lockere“ Atmosphäre im Ebnit 149 Kinderporträts 152 Kalb und die Frauen 157 Fussenegger, Diem, Fritz 159 Hilfegesuch an die Stadt 160 „Verkehrstafeln streichen !“ 160 Zwangsbewirtschaftung 115 Mathematische Denkmodelle 161 Verhaftung 117 Wellen, Strahlen, Atom 163 Vier Monate Haft 120Kartoffelroder und 166 Hitlerkopf zerschnitten Fabriksmilch 122 Universum über dem Kopf 124Ideen der russischen Avantgarde 127 Die Formen der Geometrie 130 Der unendliche Raum 132 1 bis Unendlich 133 Überwindung durch Denken 135 Die Aura um den Kopf 167Porträtieren im Militär- gefängnis 168 54 Zigaretten für eine Kamera 170 Kriegsheimkehrer 173 Die große Not des Vaters 176 Die Willkür der Behörden 177 Beamtenbeleidigung: Arrest 177Protest beim Oberlandes- gericht 136 Die Seinsfrage 178 Verhaftung auf offener Straße 138 Der gestützte Kopf 178 Nachttopf beschlagnahmt 140 Schlangenhaut 179 Zwangsexekution: Haft 143 Vorbild Frans Hals 179 Geisteszustand angezweifelt 6 181P fändung, Erregung, schwerer Kerker 183 Fußtritt und Säbelhiebe 184„Querulatorische Psychopathie“ 185K raftausdrücke gegen Gendarmen 186 Gefesselt im Handwagen 187 Gefesselt im Beiwagen 188S ämtliche Mietzinse gepfändet 189 Strom abgestellt 191 Wappenmalen bei Petroleum 192 Bücher und Pflanzensamen 193 Baumveredelungen 193 Der „Böckla“-Birnenbaum 193 Reisanbau im Hochmoor 194 Erdbeerbaum & Kakipflaume 195 Tagebücher 1951, 1952 203Tod 204Edmund Kalb, Kurzbiographie 207 Danach … 213 Zu diesem Buch 7 1 Eingang Kalbhaus, 2013 2 Edmund Kalbs Elternhaus, 2013 8 3 Josef Kalb, Wandmalerei Stiegenhaus Schillerstraße 22 Edmund Kalb wurde am 9. Februar 1900 als einziges Kind des Josef Kalb (1868–1946) und der Elisabeth Kalb geb. Mathis (1862–1940) in Dornbirn geboren. Der Vater war ein mäßig erfolgreicher Wappen- und Dekorationsmaler mit höheren Ambitionen. Die Familie bewohnte in der Schillerstraße 22, nahe dem Dornbirner Stadtzentrum, ein respektables Bürgerhaus (Abb. 1–4) dessen enges Stiegenhaus der Vater nach Vorlagen aus Maier-Dekorationszeitschriften über und über mit Figuren- und Städteszenen und floralen Schmuckmotiven im Jugendstil (Abb. 3) ausgemalt hatte. Dies Haus hab gemalt ich nach meinem Sinn und gefällt so mir sehr wohl darin 9 4 Kalbhaus, Frontseite mit Fachwerkfeldern, 2013 10 Schweigen und Denken Auch die Fassade des Hauses wurde von ihm, als Hinweis auf seine Tätigkeit als Schriftenmaler, gestaltet. Von den Fachwerkfeldern des Giebels herab grüßen und belehren noch heute zahlreiche deutsche Sinnsprüche (Abb. 4) Passanten und Besucher des Hauses, wie „Schweigen und denken kann niemanden kränken“ oder „Sei fromm und verschwiegen, was nicht Dein ist, lass liegen“. Nachdem Vater Kalb diese Sprüche selbst ausgewählt hatte, könnte man aus ihnen durchaus auch auf seine Lebenseinstellung schließen. Der Ernst dieser Sprüche wird gebrochen durch den einzigen Dialektspruch: „Wer ehrle denkt und handlat recht, der kunt zu nünt und goht ihm schlecht“. Gott schützt uns vor Regen und Wind und vor Gesellen die lästig sind 11 5 Josef Kalb (1862–1940), Aufnahme um 1900 12 Der Vater Als etwa Dreißigjähriger ließ sich Edmunds Vater Josef Kalb beim Dornbirner Stadtfotografen Albert Winsauer im Habitus des Kunstmalers (Abb. 5) ablichten. Die Inszenierung dieser Aufnahme, der Säulenhintergrund, die Pose an der Staffelei mit Palette und Malstock und drei mit ins Bild hereingenommene eigene Werke, Heiligenbilder im Nazarenerstil, dokumentieren den selbstgestellten Anspruch auf Anerkennung als freier Künstler. Im Gegensatz zu diesem Anspruch stand die tatsächliche Brotarbeit, die hauptsächlich im angewandten, handwerklichen Bereich, wie Wappen, Schildermalerei, dekorative Ausmalungen, Restaurierungen von Bildstöcken, angesiedelt war. Die freien künstlerischen Arbeiten, Porträts und Heiligengemälde, bewegten sich auf sehr provinziellem Niveau und trugen kaum zum Lebensunterhalt bei. Die Vorlagen für seine religiösen Motive suchte und fand er weniger in der Hochkunst, als vielmehr in den populären Massendrucken des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Josef Kalbs Malweise war eine pedantisch genaue, kleinmeisterlich spitzpinselig, bieder und trocken (Abb. 7). Dennoch war der Vater Edmund Kalbs erster Lehrmeister. 6 Erstkommunikant Edmund Kalb 13 Talent Edmund Schon als Fünfzehnjähriger legte der Sohn in einem der wenigen erhaltenen Ölgemälde, einem kleinformatigen Porträt nach Kaiser Franz Josef (Abb. 8), Zeugnis ab von seinem Talent. Bereits damals übertraf er seinen Vater nicht nur in der Frische des Ausdrucks und der Realistik der Wiedergabe, sondern vor allem im freieren und gekonnteren Umgang mit den Mitteln der Malerei. Uniform und Orden sind in aufgelöster Malweise, mit breiten Pinselstrichen Lichter setzend, nur summarisch wiedergegeben, beim Bart ließ er zur Steigerung der Transparenz die Leinwand durchscheinen. Für solche Freiheiten und „moderne“ Kunstauffassungen hatte der Vater keinerlei Verständnis. 7 Josef Kalb: Selbstbildnis 1896 14 8 Edmund Kalb: Porträt Kaiser Franz Josef, 1915 Sudeleien Von seinem Sohn erwartete Josef Kalb, dass er ihm ein treuer und gehorsamer Gehilfe in seinem Malergeschäft sein würde. Die späteren eigenständigen Arbeiten Edmund Kalbs soll der Vater als ,Sudeleien‘ und Papierverschwendung abgelehnt haben. Teurere Materialien, Ölfarben, Leinwände usw. soll er ihm aus diesem Grund vorenthalten haben mit dem Kommentar, es sei wohl genug, dass er ihn bei sich wohnen lasse und ihn durchfüttere. Unter den Hunderten von Porträtzeichnungen Edmund Kalbs finden sich nur fünf nach seinem Vater (Kat. 620–624). Nach Aussagen der Verwandten soll sich dieser geweigert haben, sich von seinem Sohn zeichnen zu lassen. Nur unbemerkt habe er ihn von der Seite skizzieren können. Tatsächlich existieren zwei Zeichnungen nach dem Vater in Seitenansicht. Eine davon drückt allein schon durch das extreme Querformat (25 x 53 cm) in das das Porträt (Abb. 9) gezwängt ist, das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Vater und Sohn aus. Die Strenge und Unbeugsamkeit der väterlichen Autorität kommt besonders in der Wiedergabe des ,stutzerhaften‘ Kinnbärtchens, in der exakten Parallelität der Strichlage der Barthaare, im Gegensatz zu dem in wilde Strichlagen aufgelösten Hintergrund zum Ausdruck. In späteren Jahren, nachdem der Widerstand des Vaters durch das Alter und durch die Not der Zeit gebrochen war, zeichnete er ihn dann en face. Bei einem dieser Porträts (Abb. 10) ist das Gesicht von wirbelnden Strichen überlagert, aus deren Dickicht klein und gnomenhaft die Augen hervorblicken. 15 9 Vater Josef Kalb, um 1930. Kat. 620 16 17 11 Vater Josef Kalb, nach 1930. Kat.624 18 10 Vater Josef Kalb, um 1930. Kat.621 12 Fotografie des Vaters, 1930 19 Die Eltern Ein Schlaglicht auf das schwierige Verhältnis Kalbs zu seinen Eltern und auf die Atmosphäre der Unterdrückung und Enge im Elternhaus werfen einige handschriftliche Kommentare, bezeichnenderweise in Spiegelschrift, in Kalbs Lehrbuch der katholischen Religion, im Kapitel „Von den Pflichten der Kinder und der Eltern“ notierte er sich folgende Worte: „Aussprache“ – „herunterkanzeln“ – „grob“ – „Tischgespräche“ – „Eltern“ – „grob werden“ 13 Hochzeitsfotografie der Eltern, 1898 20
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