Zusammenfassend kann man sagen, dass die Studie von Joanna

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Zusammenfassend kann man sagen, dass die Studie von Joanna Drynda einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Literaturwissenschaft geleistet hat. Zweifelsohne hat diese
Habilitationsschrift einen hohen wissenschaftlichen Wert, obwohl ich beim Lesen dieser
Arbeit manchmal den Eindruck gewonnen habe, dass die Autorin das Spiegelmotiv und die
Spiegelmetapher aus einer so breiten, mehrdimensionalen Perspektive darstellen heraus wollte, dass sich einige Verallgemeinerungen nicht vermeiden ließen.
Meines Erachtens ist diese Arbeit dank der Vielfalt der von der Autorin erwähnten literarischen Beispiele eine wertvolle Quelle zur Literaturwissenschaft für alle, die sich für Feminismus im literarischen Kontext interessieren. Die literarischen Texte wurden zutreffend und
entsprechend der Thematik, die von der Autorin erforscht wird, gewählt. Dryndas Thesen
sind in ihrer Textbezogenheit argumentativ gut begründet. Es ist zu unterstreichen, dass die
Autorin nicht nur auf literarische Texte sondern auch auf philosophische Konzepte und verschiedene Topoi eingeht, was dem Leser das breite Spektrum der erforschten Problematik
näher bringt.
Kamila Torzewska-Nowak
Beate Sommerfeld: Zwischen Augenblicksnotat und Lebensbilanz. Die Tagebuchaufzeichnungen Hugo von Hofmannsthals, Robert Musils und Franz Kafkas. Frankfurt a.M.:
Lang, 2013, 356 S.
„Tagebücher sind, wie Autobiographien und
Briefe, materialisierte Zeit. Wer ein Tagebuch
liest, hält Zeit in Händen.“ (S. 15)
Arno Dusini
Der Forschungsgegenstand der Verfasserin der Publikation Beate Sommerfeld sind die
Tagebücher von Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und Franz Kafka. In ihrer Analyse ist
die Autorin der Meinung, dass die Aufzeichnungen der oben genannten Schriftsteller nicht
dem verbreiteten Bild des Tagebuches entsprechen. Sie beschränkt sich auf die Textbeispiele
aus der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert, da dieser Zeitraum, so Sommerfeld, neue Anforderungen an das Tagebuch stellt. Zum Ziel der Analyse setzt sich die Germanistin „die
Schreibweisen der Schriftstellertagebücher vor dem Hintergrund der Probleme des Schreibens um die Jahrhundertwende zu untersuchen“. (S. 10)
Das Buch weist eine überschaubare Struktur auf. Im ersten Teil reflektiert die Autorin
über den Stand der Tagebuchforschung und begründet ihre Auswahl bezüglich Textkorpus
und Methode. Den Tagebuchaufzeichnungen von Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und
Franz Kafka sind drei weitere Kapitel gewidmet und abschließend werden die herausgearbeiteten Ergebnisse präsentiert.
Laut Boerner ist ein Tagebuch „ein fortlaufender, meist von Tag zu Tag geschriebener
Bericht über Dinge […], die im Laufe des Tages vorfielen“. (S. 11) In dem theoretischen Teil
stellt die Verfasserin die Reflektionen über die Gattung Tagebuch u.a. von Peter Boerner,
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Hargen Thomas, Albert Gräser, Claus Vogelsang und Rüdiger Görner dar. Die von der Literaturwissenschaftlerin gewählten Beispiele gehören zu den Grenzgängern der Gattung. Die
von ihr ausgewählten Autoren experimentierten mit dieser Gattung. Beate Sommerfeld setzt
sich auch mit den Bezeichnungen „Tagebuch“ vs. „Tagebuchaufzeichnung“ auseinander.
Hauptanliegen der Verfasserin ist zu beweisen, dass die Tagebücher die Probleme des
Schreibens der Schriftsteller im Kontext der Epoche widerspiegeln. Wilhelm Dilthey meinte,
dass die Macht und Breite des eigenen Lebens, die Energie der Besinnung über dasselbe die
Grundlage des geschichtlichen Sehens sei.10
Außerdem befindet sich der Aspekt der Identitätsfindung der Schriftsteller im Fokus der
Studie. Dabei stützt sich die Autorin auf die Hermeneutik von Paul Ricoeur. Seiner Ansicht
nach, muss das Selbst, um sich zu verstehen, sich an die Objekte im weitesten Sinne verlieren, um sich in der Welt der Zeichen wiederzufinden. (S. 28) Im weiteren Teil wurde der
Prozess der reflexiven Selbstvermittlung in den Tagebuchaufzeichnungen erörtert.
In dem Kapitel über die Tagebuchaufzeichnungen Hugo von Hofmannstahls weist die
Autorin auf das Problem der gattungsmäßigen Einordnung seiner Schriften hin. Laut Mathias
Mayer fehlt in den Tagebuchaufzeichnungen des Schriftstellers die für diese Gattung typische
Selbstbeobachtung. Die Verfasserin ist der Auffassung, dass Hofmannsthals Tagebuch kein
Tagebuch eines Chronisten des eigenen Lebens und des Zeitgeschehens ist. (S. 34) Ihrer
Analyse wurden Erzählungen, Dramen, essayistische Texte, aber auch teils datierte und teils
undatierte Notizen, die zum Großteil aus Lektürennotizen und Reflektionen über das Gelesene, Begegnungen und Gesprächen mit Freunden und Bekannten bestehen, unterzogen. Die
Germanistin stellt die These auf, dass das ständige Überschreiten der Gattungsgrenzen als
Merkmal des modernen Schriftstellertagebuchs betrachtet werden soll. Dieser Teil setzt sich
auch mit der Wichtigkeit des „Augenblicks“, in dem sich das Erleben bei dem Schriftsteller
zusammenzieht, und mit dem Verlust des unmittelbaren Weltkontakts, der von Hofmannsthal
als Prä-existenz bezeichnet wird, auseinander (S. 69–70).
In ihren Ausführungen beschäftigt sich Beate Sommerfeld mit Robert Musils einzelnen
Tagebuchheften, die 1957 als erste gekürzte Ausgabe von Adolf Frise veröffentlicht wurden.11 In dem Kapitel, das den Tagebuchheften des Autors gewidmet ist, betont die Germanistin an zahlreichen Stellen die Auseinandersetzung des Schriftstellers mit der Gattung,
wobei darauf hingewiesen wird, dass er ihr gegenüber skeptisch eingestellt war. Weitere
Überlegungen sind dem Essayismus als Schreibverfahren in Musils Tagebuchaufzeichnungen
und Epiphanie (S. 120) gewidmet. In den Heften sind mehrere Stellen aus religionswissenschaftlichen, anthropologischen und naturwissenschaftlichen Werken der Zeit zu finden, die,
so Sommerfeld, von den Bestrebungen Musils zeugen, das Phänomen theoretisch-präzise zu
fundieren und zu definieren (S. 132).
Das dritte Kapitel ist Franz Kafkas Quartheften gewidmet. Der Textkorpus umfasst
zwölf Quarthefte, die sowohl diarische Notizen als auch literarische Vorarbeiten enthalten:
zwei Konvolute aus losen Blättern und vier Reisetagebücher. Auch Clayton Koelb weist in
einem Artikel darauf hin, dass der Begriff Tagebuch für die Quarthefte nicht vollkommen
geeignet sei, obwohl einzelne Hefte doch zeitweilig den Charakter eines Tagebuches besa________________
10
Wilhelm Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Frankfurt
a.M. 1981, S. 247.
11
Adolf Frise: Die Tagebücher Robert Musils, in: Neue Rundschau, Frankfurt a.M. 1974, S. 124-138.
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ßen.12 Ähnlich wie bei Musil und Hofmannsthal ist auch der Kafka’sche Textkorpus durch Heterogenität gekennzeichnet. Die Verfasserin gibt zu, dass die Forschungsliteratur zu Kafkas Tagebüchern recht umfangreich ist. Hier erwähnt Sommerfeld u.a Namen wie Hermann Korte, Detlef
Kremer, Hartmut Binder, Clayton Koelb, Philipp Theison, Gerhart Baumann, Sophie von Glinski
oder Gerhard Neumann. Bei den Ausführungen stützt sich die Verfasserin auf die Studie von
Georg Guntermann, der vom reflexiven Charakter des Textes ausgeht, der ein Aufbrechen der
Realitätswahrnehmung und ihre verwandelnde Fiktionalisierung nach sich zieht (S. 215). Im
nächsten Unterkapitel reflektiert die Germanistin über die Bedeutung des Theaters für Kafka,
der hoffte, das Modell theatralischer Expressivität auf seine Literatur übertragen zu können
(S. 228–233). Die weiteren Ausführungen sind der Identitätsfrage des Autors gewidmet. Beate
Sommerfeld erwähnt auch, dass das Kafka‘sche Tagebuch als Schule des Sehens bezeichnet wurde und betont die Bedeutung der Augenblicksbeobachtung als Ansatzpunkt für das Schreiben.
Danach werden die Quarthefte als Ort narrativer Anstrengungen Kafkas besprochen. Zum Schluss
beschreibt die Autorin Kafkas Erzählversuche, über ein gebrochenes Zeitverhältnis zu reflektieren.
Ein Tagebuch ist ein endloses Selbstgespräch, das das Ich durch Selbstbestätigungen und
Selbstwiderlegungen begleitet und das jeden Selbstverlust und Selbstgewinn vergegenwärtigt.13 In den Schlussbetrachtungen bestätigt die Autorin die These, dass die Tagebuchaufzeichnungen ein Balanceakt zwischen den Gattungen sind. Die Tagebücher sind eine Schnittstelle zwischen persönlichen Erlebnissen und künstlerischem Schaffensprozess. In ihrer
Studie hat Beate Sommerfeld an Beispielen von Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und
Franz Kafka bewiesen, dass die Tagebuchaufzeichnungen der Jahrhundertwende nicht von
Linearität, Abgeschlossenheit und Chronologismus gekennzeichnet sind. Die Arbeit macht
auch deutlich, dass in den Tagebuchaufzeichnungen die ständige Arbeit am Selbst, die
Selbsterkundung und Selbsterschaffung widergespiegelt werden. Die Tagebuchhefte drücken
die poetologischen Grundprobleme der Schriftsteller und der Zeit aus. Außerdem konstruieren sie Identität und strukturieren Wirklichkeitserfahrung. Wichtig ist zu betonen, dass die
Verfasserin alle Besonderheiten der Tagebuchaufzeichnungen der drei Schriftsteller Hugo
von Hofmannsthal, Robert Musil und Franz Kafka ausführlich besprochen hat und bei der
Analyse der jeweiligen Notizen Ähnlichkeiten und Unterschiede hervorhob.
Olena Komarnicka
Renate Sternel-Rutz (Hg.), Leben und Werk der Posener Theologen D. Paul Blau und
D. Karl Greulich. Beiträge zur Geschichte der Provinz Posen, Band 4: Deutscher Geschichtsverein (DGV) des Posener Landes e.V., Bad Bevensen 2013, 139 S.
Die Veranstaltung zum feierlich und in verschiedenartiger Weise begangenen 150. Geburtstag von Paul Blau, des Generalsuperintendenten für Posen und Pomerellen (1861–1944),
gab den Impuls und die Inspiration zum 4. Band einer verdienstvollen Publikationen des Deut________________
12
Clayton Koelb: Kafka als Tagebuchschreiber, in: Bettina von Jagow, Oliver Jahraus: Kafka
Handbuch, München 2008, S. 98.
13
Gerhart Baumann: Über den Umgang mit uns selbst. Zur Phänomenologie des Tagebuchs, in:
Universitas. Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur, 33. Jg., Stuttgart 1978, S. 799.