199 Rezensionen Zusammenfassend kann man sagen, dass die Studie von Joanna Drynda einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Literaturwissenschaft geleistet hat. Zweifelsohne hat diese Habilitationsschrift einen hohen wissenschaftlichen Wert, obwohl ich beim Lesen dieser Arbeit manchmal den Eindruck gewonnen habe, dass die Autorin das Spiegelmotiv und die Spiegelmetapher aus einer so breiten, mehrdimensionalen Perspektive darstellen heraus wollte, dass sich einige Verallgemeinerungen nicht vermeiden ließen. Meines Erachtens ist diese Arbeit dank der Vielfalt der von der Autorin erwähnten literarischen Beispiele eine wertvolle Quelle zur Literaturwissenschaft für alle, die sich für Feminismus im literarischen Kontext interessieren. Die literarischen Texte wurden zutreffend und entsprechend der Thematik, die von der Autorin erforscht wird, gewählt. Dryndas Thesen sind in ihrer Textbezogenheit argumentativ gut begründet. Es ist zu unterstreichen, dass die Autorin nicht nur auf literarische Texte sondern auch auf philosophische Konzepte und verschiedene Topoi eingeht, was dem Leser das breite Spektrum der erforschten Problematik näher bringt. Kamila Torzewska-Nowak Beate Sommerfeld: Zwischen Augenblicksnotat und Lebensbilanz. Die Tagebuchaufzeichnungen Hugo von Hofmannsthals, Robert Musils und Franz Kafkas. Frankfurt a.M.: Lang, 2013, 356 S. „Tagebücher sind, wie Autobiographien und Briefe, materialisierte Zeit. Wer ein Tagebuch liest, hält Zeit in Händen.“ (S. 15) Arno Dusini Der Forschungsgegenstand der Verfasserin der Publikation Beate Sommerfeld sind die Tagebücher von Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und Franz Kafka. In ihrer Analyse ist die Autorin der Meinung, dass die Aufzeichnungen der oben genannten Schriftsteller nicht dem verbreiteten Bild des Tagebuches entsprechen. Sie beschränkt sich auf die Textbeispiele aus der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert, da dieser Zeitraum, so Sommerfeld, neue Anforderungen an das Tagebuch stellt. Zum Ziel der Analyse setzt sich die Germanistin „die Schreibweisen der Schriftstellertagebücher vor dem Hintergrund der Probleme des Schreibens um die Jahrhundertwende zu untersuchen“. (S. 10) Das Buch weist eine überschaubare Struktur auf. Im ersten Teil reflektiert die Autorin über den Stand der Tagebuchforschung und begründet ihre Auswahl bezüglich Textkorpus und Methode. Den Tagebuchaufzeichnungen von Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und Franz Kafka sind drei weitere Kapitel gewidmet und abschließend werden die herausgearbeiteten Ergebnisse präsentiert. Laut Boerner ist ein Tagebuch „ein fortlaufender, meist von Tag zu Tag geschriebener Bericht über Dinge […], die im Laufe des Tages vorfielen“. (S. 11) In dem theoretischen Teil stellt die Verfasserin die Reflektionen über die Gattung Tagebuch u.a. von Peter Boerner, 200 Rezensionen Hargen Thomas, Albert Gräser, Claus Vogelsang und Rüdiger Görner dar. Die von der Literaturwissenschaftlerin gewählten Beispiele gehören zu den Grenzgängern der Gattung. Die von ihr ausgewählten Autoren experimentierten mit dieser Gattung. Beate Sommerfeld setzt sich auch mit den Bezeichnungen „Tagebuch“ vs. „Tagebuchaufzeichnung“ auseinander. Hauptanliegen der Verfasserin ist zu beweisen, dass die Tagebücher die Probleme des Schreibens der Schriftsteller im Kontext der Epoche widerspiegeln. Wilhelm Dilthey meinte, dass die Macht und Breite des eigenen Lebens, die Energie der Besinnung über dasselbe die Grundlage des geschichtlichen Sehens sei.10 Außerdem befindet sich der Aspekt der Identitätsfindung der Schriftsteller im Fokus der Studie. Dabei stützt sich die Autorin auf die Hermeneutik von Paul Ricoeur. Seiner Ansicht nach, muss das Selbst, um sich zu verstehen, sich an die Objekte im weitesten Sinne verlieren, um sich in der Welt der Zeichen wiederzufinden. (S. 28) Im weiteren Teil wurde der Prozess der reflexiven Selbstvermittlung in den Tagebuchaufzeichnungen erörtert. In dem Kapitel über die Tagebuchaufzeichnungen Hugo von Hofmannstahls weist die Autorin auf das Problem der gattungsmäßigen Einordnung seiner Schriften hin. Laut Mathias Mayer fehlt in den Tagebuchaufzeichnungen des Schriftstellers die für diese Gattung typische Selbstbeobachtung. Die Verfasserin ist der Auffassung, dass Hofmannsthals Tagebuch kein Tagebuch eines Chronisten des eigenen Lebens und des Zeitgeschehens ist. (S. 34) Ihrer Analyse wurden Erzählungen, Dramen, essayistische Texte, aber auch teils datierte und teils undatierte Notizen, die zum Großteil aus Lektürennotizen und Reflektionen über das Gelesene, Begegnungen und Gesprächen mit Freunden und Bekannten bestehen, unterzogen. Die Germanistin stellt die These auf, dass das ständige Überschreiten der Gattungsgrenzen als Merkmal des modernen Schriftstellertagebuchs betrachtet werden soll. Dieser Teil setzt sich auch mit der Wichtigkeit des „Augenblicks“, in dem sich das Erleben bei dem Schriftsteller zusammenzieht, und mit dem Verlust des unmittelbaren Weltkontakts, der von Hofmannsthal als Prä-existenz bezeichnet wird, auseinander (S. 69–70). In ihren Ausführungen beschäftigt sich Beate Sommerfeld mit Robert Musils einzelnen Tagebuchheften, die 1957 als erste gekürzte Ausgabe von Adolf Frise veröffentlicht wurden.11 In dem Kapitel, das den Tagebuchheften des Autors gewidmet ist, betont die Germanistin an zahlreichen Stellen die Auseinandersetzung des Schriftstellers mit der Gattung, wobei darauf hingewiesen wird, dass er ihr gegenüber skeptisch eingestellt war. Weitere Überlegungen sind dem Essayismus als Schreibverfahren in Musils Tagebuchaufzeichnungen und Epiphanie (S. 120) gewidmet. In den Heften sind mehrere Stellen aus religionswissenschaftlichen, anthropologischen und naturwissenschaftlichen Werken der Zeit zu finden, die, so Sommerfeld, von den Bestrebungen Musils zeugen, das Phänomen theoretisch-präzise zu fundieren und zu definieren (S. 132). Das dritte Kapitel ist Franz Kafkas Quartheften gewidmet. Der Textkorpus umfasst zwölf Quarthefte, die sowohl diarische Notizen als auch literarische Vorarbeiten enthalten: zwei Konvolute aus losen Blättern und vier Reisetagebücher. Auch Clayton Koelb weist in einem Artikel darauf hin, dass der Begriff Tagebuch für die Quarthefte nicht vollkommen geeignet sei, obwohl einzelne Hefte doch zeitweilig den Charakter eines Tagebuches besa________________ 10 Wilhelm Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Frankfurt a.M. 1981, S. 247. 11 Adolf Frise: Die Tagebücher Robert Musils, in: Neue Rundschau, Frankfurt a.M. 1974, S. 124-138. 201 Rezensionen ßen.12 Ähnlich wie bei Musil und Hofmannsthal ist auch der Kafka’sche Textkorpus durch Heterogenität gekennzeichnet. Die Verfasserin gibt zu, dass die Forschungsliteratur zu Kafkas Tagebüchern recht umfangreich ist. Hier erwähnt Sommerfeld u.a Namen wie Hermann Korte, Detlef Kremer, Hartmut Binder, Clayton Koelb, Philipp Theison, Gerhart Baumann, Sophie von Glinski oder Gerhard Neumann. Bei den Ausführungen stützt sich die Verfasserin auf die Studie von Georg Guntermann, der vom reflexiven Charakter des Textes ausgeht, der ein Aufbrechen der Realitätswahrnehmung und ihre verwandelnde Fiktionalisierung nach sich zieht (S. 215). Im nächsten Unterkapitel reflektiert die Germanistin über die Bedeutung des Theaters für Kafka, der hoffte, das Modell theatralischer Expressivität auf seine Literatur übertragen zu können (S. 228–233). Die weiteren Ausführungen sind der Identitätsfrage des Autors gewidmet. Beate Sommerfeld erwähnt auch, dass das Kafka‘sche Tagebuch als Schule des Sehens bezeichnet wurde und betont die Bedeutung der Augenblicksbeobachtung als Ansatzpunkt für das Schreiben. Danach werden die Quarthefte als Ort narrativer Anstrengungen Kafkas besprochen. Zum Schluss beschreibt die Autorin Kafkas Erzählversuche, über ein gebrochenes Zeitverhältnis zu reflektieren. Ein Tagebuch ist ein endloses Selbstgespräch, das das Ich durch Selbstbestätigungen und Selbstwiderlegungen begleitet und das jeden Selbstverlust und Selbstgewinn vergegenwärtigt.13 In den Schlussbetrachtungen bestätigt die Autorin die These, dass die Tagebuchaufzeichnungen ein Balanceakt zwischen den Gattungen sind. Die Tagebücher sind eine Schnittstelle zwischen persönlichen Erlebnissen und künstlerischem Schaffensprozess. In ihrer Studie hat Beate Sommerfeld an Beispielen von Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und Franz Kafka bewiesen, dass die Tagebuchaufzeichnungen der Jahrhundertwende nicht von Linearität, Abgeschlossenheit und Chronologismus gekennzeichnet sind. Die Arbeit macht auch deutlich, dass in den Tagebuchaufzeichnungen die ständige Arbeit am Selbst, die Selbsterkundung und Selbsterschaffung widergespiegelt werden. Die Tagebuchhefte drücken die poetologischen Grundprobleme der Schriftsteller und der Zeit aus. Außerdem konstruieren sie Identität und strukturieren Wirklichkeitserfahrung. Wichtig ist zu betonen, dass die Verfasserin alle Besonderheiten der Tagebuchaufzeichnungen der drei Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und Franz Kafka ausführlich besprochen hat und bei der Analyse der jeweiligen Notizen Ähnlichkeiten und Unterschiede hervorhob. Olena Komarnicka Renate Sternel-Rutz (Hg.), Leben und Werk der Posener Theologen D. Paul Blau und D. Karl Greulich. Beiträge zur Geschichte der Provinz Posen, Band 4: Deutscher Geschichtsverein (DGV) des Posener Landes e.V., Bad Bevensen 2013, 139 S. Die Veranstaltung zum feierlich und in verschiedenartiger Weise begangenen 150. Geburtstag von Paul Blau, des Generalsuperintendenten für Posen und Pomerellen (1861–1944), gab den Impuls und die Inspiration zum 4. Band einer verdienstvollen Publikationen des Deut________________ 12 Clayton Koelb: Kafka als Tagebuchschreiber, in: Bettina von Jagow, Oliver Jahraus: Kafka Handbuch, München 2008, S. 98. 13 Gerhart Baumann: Über den Umgang mit uns selbst. Zur Phänomenologie des Tagebuchs, in: Universitas. Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur, 33. Jg., Stuttgart 1978, S. 799.
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